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1982

 

L’après midi d’une femme

 

von  Anna Höge

 

 

Die Sonne hing über dem Horizont, senkte sich unmerklich gegen das Wasser, wurde groß und größer. Flimmernde Lichtstreifen züngelten über die sanfte Kräuselung des Meeres, ließen Tiefe erahnen.

Federwölkchen, milchig-weiß, berührten sich zitternd auf mattblauem Hintergrund.

 

Möwen, schrill und fordernd, scheinbar in der Luft stehend, dann wieder im schaukelnden Gleitflug dahinschwebend, stießen von Zeit zu Zeit in die Tiefe - kleine weiße Monster, sich sättigend von allerlei Getier, welches das weichende Meer im Watt zurückgelassen hatte.

 

Der Strand war fast menschenleer. Nur eine einsame Malerin hatte sich selbstvergessen im noch aufgeheizten Sand niedergelassen. Versunken in den Anblick des hohen Nachmittags hatte sie das Malen vergessen. Der Pinsel war ihrer Hand entglitten. Farben trockneten ein, verliefen im Sand.

Es kümmerte sie nicht. Sie schaute und schaute und horchte und horchte.

 

Eigentlich hatte sie genüßlich eine Zigarette rauchen und über die einzelnen Schritte ihrer Arbeit nachdenken wollen. Das Licht war wunderbar. - Sie vergaß das Rauchen. - Sie vergaß das Malen. - Sie vergaß sogar das Denken. Eine Ahnung von Glück und Frieden erfüllte sie. Sie spürte, wie der unerkannte Dämon Alltag aus ihrem Leibe entwich, gleichsam mitgenommen wurde vom fliehenden Meer.

 

Eingefangen in wohltuende Trance zog sie sich vollständig aus, ließ sich zurücksinken in den warmen Sand, breitete sich aus, bot sich der schmeichelnden Brise dar, spürte erschauernd die Berührung der wechselnden Winde. Sie wurde leicht., immer leichter, ihre Haut transparent. Sie ging ein in die Weite des Universums, spürte nicht mehr die Begrenzung des Körpers. Sie war Meer, Sonne, Watt, Wind - ja, Möwe und Fisch.

Ihre Seele schwebte in friedlicher Einheit mit der Natur um sie herum. Gedankenfetzen flogen sie an: „Das ist der Tod - Vollendung - Einswerden mit Gott! - Mit wirbelnden Stürmen sich über Land und Meer drehen! - Ins Unendliche fallen!“

 

Schließlich war nur noch Stille, das Streicheln des Luftzugs, das Prickeln auf der haut. Die Gedanken entglitten ihr, wurden ungreifbar, versanken in blaue Nebel. Sie ruderten in einem Boot hinaus. Tagelang, nächtelang! Die Gestirne waren ihre Wegbegleiter, liebten sie. Ein spielerischer Wind nahm sich ihrer an, verwandelte das Boot in eine weiße weiche Wolke, nahm sie mit über Land und Meer bis hin an eine große Wüste. Farben leuchteten ihr in einer nie gekannten Intensität entgegen, versuchten , sie zu schlucken. Ein Anflug von Furcht überkam sie, wollte Panik werden.

Die Augen taten weh. Übermächtig war die Schönheit.

 

Bevor sie sie jedoch einsaugen konnte, löste sich das barmherzige Wölkchen in Tausende und Abertausende von Tropfen, regnete und regnete, weiter und weiter, bis die ganze Welt ein einziges Meer war. - Ein Meer, in das sie langsam hineinsank.

Noch einmal  spürte sie einen Hauch von Furcht, doch als das Wasser sich sanft über ihr schloß, überkam sie Geborgenheit, die Erlösung des Einswerdens, des Sich-Verströmens. Sie war zu Hause im weltweiten Meer, ließ sich ganz sinken.

So schwebte sie eine Weile dahin in den Tiefen der Seele, behütet im warmen Schoß der Ewigkeit.

 

Allmählich jedoch breitete sich Kühle aus, die den Körper erschauern ließ. Zögernd nur kehrte das Bewußtsein in die Welt der Sinne zurück. Die Haut wurde von einem Kälteschauer überzogen. - Noch widersetzten sich die geschlossenen Lider dem Befehl des Bewußtseins. Sie wollten sich nicht heben. - Nur noch ein Weilchen!

 

Die Kälte begann auf der Haut zu schmerzen, Feuchtigkeit kroch die Glieder empor. Die blind um sich tasten Hände griffen in Wasser. Ein erschrockener Krebs grub sich unter der Handfläche blitzschnell in den Sand. Und während sich die sensiblen Gehörgänge mit den wellenförmigen Geräuschen des zurückkehrenden Meeres füllten, hoben sich endlich auch die Lider.

 

Sie fand sich bereits von kleineren Wasserflächen umgeben, entdeckte die umgefallene Staffelei, die überschwemmten Farben, die Kleider, die sich mit Wasser vollgesogen hatten. Und ganz erfüllt noch vom Frieden der gerade erst im Erlöschen begriffenen Bilder tat sie nach einer kurzen Zeit der Besinnung, was notwendig war, um ins Diesseits und den Alltag zurückzukehren.

 

Copyright

Anna Höge/co. Karin Häsing

Sachsenstraße 35

52351 Düren

 


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