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Ein Tropfen Öl.

 

 

Edgar Schulz

 

Fachleute heißen Fachleute, weil sie etwas vom Fach verstehen. Man darf als Laie keinem Fachmann widersprechen oder etwas besser wissen, denn sonst wäre man selber auch ein bißchen Fachmann und das läßt sich der echte Fachmann nicht gefallen.

 

Doch nun soll die Geschichte der Reihe nach erzählt werden.

 

Frau Heinrichs war Mieterin eines Reihenhauses. In diesem Reihenhaus klemmte im zweiten Stock das Mansardenfenster. Ich, meines Zeichens Hausmeister, sah mir dieses klemmende Fenster an und begutachtete es von allen Seiten. Alles rütteln und schütteln, heben und zerren half nichts, es klemmte, ich bekam es nicht zu.

 

Die ironische Frage: „Na, Herr Hausmeister, kriegen sie das Fenster auch nicht zu?“ traf mich auf dem Treppenabsatz zur ersten Etage. Die Frage war in dieser Form unnötig, denn schließlich bin ich in klemmenden Fenstern, neben jedem Tischler, perfekt in der Sachkunde und kann schon von weitem erkennen, welch straffe, fachmännische Hand ein Fenster braucht, die des Hausmeisters oder die eines Tischlers. Nun, hier mußte ein Tischler her.

 

„Ähm,“ überlegte ich laut meine gezielte Antwort, die den Spott der Mieterin fürchterlich übertreffen und mich als Helden darstellen sollte, „ähm, wissen sie, Frau Heinrichs, an diesem Fenster klemmt die Querachse und die hat Bänder, die das Fenster schließen, aus den Kloben gerissen, so daß die Feststeller nicht mehr genügend Bewegungsfreiheit haben und den Schließer entgegensetzt seiner vorgesehenen  Richtung, quer zur eigentlichen Führung, drücken. Das bedeutet, daß das Kantengetriebe in seiner formalen Funktion eingeschränkt ist und nicht mehr treibt, wo es treiben sollte.“

 

Nach dieser gelungenen, für jeden Fachmann unverständlichen Rede, kamen mir fast die Tränen, so glaubhaft hatte ich gelogen. Der Leser mag mir verzeihen, aber ich wußte doch selber nicht, warum das vermaledeite Fenster nicht schloß. Aber sollte ich es zugeben? Dazu noch einer nur mit laienhaftem Fachwisssen ausgestatteten Frau? Nee, kam ja gar nicht in Frage.

 

„Hm, hm.“ Sagte Frau Heinrichs und warf die Haustür recht herbe hinter mir ins Schloß.

 

Wie es nun der Zufall will, kam der Tischlermeister Müller um die Ecke. „Tischlermeister Müller,“ begrüßte ich ihn, „ihr kommt mir wie gerufen, ich habe ein Fenster, es klemmt und es soll entklemmt werden.“

 

Bedächtig nickte er mit dem Kopf und teilte mir mit, daß vor ihm jedes Fenster in die Knie geht. Gemeinsam traten wir Frau Heinrichs gegenüber und sie führte uns in den zweiten Stock. Sie blieb auch neben uns, als wir uns mühten, das Fenster durch ziehen, zerren, stoßen und beißen, geschlossen zu kriegen. Sie legte Wäsche zusammen, genau hinter uns und wagte es, zwei erfahrenen Fensterschließern zu sagen, daß da vielleicht ein paar Tropfen Öl auf dem Gestänge, daß Fenster leichter schließbar machen.

 

Der Blick, der Frau Heinrichs aus vier Fachleuten Augen traf, war fürchterlich und veranlaßte Frau Heinrichs, sofort ihre Tätigkeit hinter uns einzustellen und sich anderen Beschäftigungen, ein Stockwerk tiefer, zuzuwenden. „War ja nur gutgemeint.“ murmelte sie leise und verschwand die Treppe nach unten. „Da muß man ja nicht gleich so böse kucken.“ Und dann setzte sie nach: „Was kümmerst du dich auch darum, das sind doch Fachleute, die kennen doch was davon.“

 

Nachdem wir unsere Augen von Frau Heinrichs ab und uns zugewendet hatten, nickten wir bestätigend, daß es wohl möglich wäre, wenn man hier ein paar und dort ein paar Tropfen Öl dranmachen würde,  das Fenster leichter schließbar wird.

 

Ich mußte die Kanne holen und ging dazu im zweiten Stock an Frau Heinrichs vorbei. Um Sachlichkeit bemüht, fragte sie mich vorsichtig: „Na, holen sie jetzt eine Ölkanne?“

 

Diese Frage wurde natürlich von mir in aller Ernsthaftigkeit, der ich fähig war, verneint. Ich erklärte ihr, daß wir einen Schraubendreher aus dem Fenster haben fallen lassen und den wollte ich holen. Sie glaubte es und sie glaubte es erst recht, als ihr kontrollierender Blick auf meine Hände fiel, in denen ich nach meiner Rückkehr einen Schraubendreher hielt. Die Ölkanne in der Innentasche meiner Jacke, die konnte sie allerdings nicht sehen. Das war auch gut so.

 

Wir ölten das Fenster nach allen Regeln der Kunst und nach dem dritten Tropfen Öl, an die richtige Stelle placiert, schloß das Fenster perfekt. Frau Heinrichs erklärten wir, das die Kloben des Fensters nachgezogen sind und das Fenster nun in seiner Funktion unübertroffen gut funktioniert.

 

Seit dieser Zeit führe ich zwanghafter Weise immer eine Ölkanne mit mir herum, um jederzeit etwas zu ölen und wenn es nur im entferntesten so aussieht, als wenn dort  Öl hin müßte.

 

Edgar Schulz 


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