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Urlaub auf den Malediven

 

Edgar Schulz

 

Ich glaubte damals meinen Augen nicht trauen zu dürfen, als ich die Gewinnbenachrichtigung eines Versandhauses in der Hand hielt, in der mir mitgeteilt wurde, daß wir eine Reise auf die Malediven gewonnen hätten. Wir? Unvorstellbar, und doch stand es so in der Benachrichtigung, schwarz auf weiß.

 

Zunächst besorgten wir uns Prospektmaterial und informierten uns über die Malediven. Wir freuten uns über das, was wir auf der Hochglanzfolie zu sehen bekamen. Kristallklares Wasser war dort zu sehen, weiße Strände, Sonne und Palmen und fröhliche, braungebrannte Menschen. Wir waren begeistert über das, was uns erwartete.

 

Am zweiten Juli 1993 war es dann soweit. Eine Taxe brachte uns zum Hauptbahnhof, von wo aus wir mit dem Zug nach Frankfurt fahren mußten, weil ab Frankfurt unser Flieger abging.

 

In unserer Vorfreude waren wir natürlich viel zu früh auf dem Bahnhof. Aber es schadete nicht, denn unser Zug stand bereits am Bahnsteig und wartete auf seine Fahrgäste. Wir stiegen ein und machten es uns bequem. Die Reisevorbereitungen hatten uns mehr geschlaucht, als wir dachten und so kam es, daß wir im Zug einschliefen und erst aufwachten, als eine blecherne Stimme rief: „Sylt. Alles aussteigen, der Zug endet hier.“

 

„Wo sind wir?“ fragte meine Frau, „auf Sylt?“

 

Ich nickte fassungslos. Auch ein mehrfaches Hinschauen auf das Bahnhofsschild brachte kein anderes Ergebnis. Dort stand -Sylt-. Das bedeutete, daß wir in unserer übergroßen Urlaubsfreude in den falschen Zug gestiegen waren.

 

Wir wurden nervös. Unsere Gedanken kreisten und wurden immer schneller und schneller und die Vorschläge, die wir zur Lösung unseres Problems machten, brachten uns nicht weiter. Im Gegenteil, jeder Vorschlag und Gegenvorschlag nervte zum Gotterbarmen.

 

Die letzte Idee hielten wir aber doch fest. Wir riefen auf dem Frankfurter Flughafen an und erkundigten uns nach einem anderen Flieger, denn unser mußte von der Zeit her, gerade vom Boden abheben. Die Dame an der Auskunft bestätigte unseren Verdacht. „Ihr Flieger ist seit ein paar Minuten in der Luft und der nächste Flug zu den Malediven geht erst morgen nachmittag.“

 

Schlagartig wurde uns klar, daß wir die Nacht auf Sylt verbringen mußten. Nur wo? Alle Hotels, die wir aufsuchten, waren belegt. Da half auch kein bitten und betteln.

 

Wie oft im Leben, wenn man denkt es geht nicht mehr, kommt plötzlich eine Hilfe her. So war es auch hier. Das Schicksal nahte in Form eines alten, ärmlich gekleideten Mannes, der uns den Kummer von der Nasenspitze ablas.  Er fragte: „Suchen sie ein Zimmer?“

 

Überrascht nickten wir und blickten den Alten erstaunt an. Sollte der ein Zimmer für uns haben? Er hatte. Es war zwar  nicht komfortabel und bestand aus dem Dachboden seines Häuschens, aber hatten wir eine andere Wahl?

 

Der alte Herr lehnte das gebotene Übernachtungsgeld ab, wofür er von seiner Frau mit schlimmen Schimpfworten bedacht wurde. Die Frau war unsympathisch. Sie machte den Eindruck, als führe sie etwas im Schilde. Mit ihrer Hakennase, dem Buckel und dem ungepflegtem Äußeren, sah sie aus wie eine Hexe aus dem Märchenbuch. Sie kicherte hämisch hinter uns her, als wir die knarrenden Stufen der Bodentreppe hochstiegen.

 

So sachlich und nüchtern ich den Hexengeschichten gegenüberstehe, so wurde mir hier doch etwas mulmig. Meiner Frau ging es ebenso. Sie hielt sich krampfhaft an meinem Ellenbogen fest. „Reiß dich zusammen,“ schalt ich mich, „was soll die Alte uns schon tun?“

 

Als hätte der Alte unsere Gedanken erraten, beruhigte er uns. „Achten Sie nicht auf meine Frau, die spukt immer Gift und Galle, die kann gar nicht anders.“

 

Er war rührend um uns besorgt. Immer wieder fragte er: „Haben sie alles oder brauchen sie noch etwas?“

 

Ja, zu essen hätten wir gerne etwas gehabt, aber, als wir bei unserer Ankunft, die Bitte um Brot und Wurst vortrugen, schlug sie die Küchentür vor unserer Nase zu. Ich meine, daß die Ablehnung deutlich genug war. Von ihr hatten wir also nichts zu erwarten. Es blieb uns nichts anderes übrig, als hungrig ins Bett zu gehen.

 

Die Betten, die unmittelbar unter einem Dachfenster standen, waren bequemer, als es im Moment aussah. Sie rochen zwar ein wenig muffig, aber wir waren so müde, daß uns der Muffelgeruch  nicht störte. Es dauerte auch nicht lange und wir schliefen ein.

 

Mitten in der Nacht weckte mich ein Geräusch. Es scharrte und knackte, als ob ein Tier, vielleicht eine Katze oder ein Marder, sich irgendwo zu schaffen machte. Licht konnte ich keines anmachen, weil die einzige Lampe kaputt und traurig an ihrem Stromkabel hing. Die Taschenlampe, mit der uns der Alte hinauf begleitete, hatte er wieder mitgenommen.

 

Die Geräusche wurden lauter. Im fahlen Mondlicht gaukelte mir meine Phantasie Gnomen und Geister vor, die geräuschvoll über den Dachboden tobten.

 

„Mistgeister!“ Fluchte ich und sprang auf um dem, wer es auch immer war, den Garaus zu machen. Wenn meine Frau ihre Finger nicht in meine Handgelenke gekrallt hätte, wäre ich wahrscheinlich mit einem Riesensprung quer durch den Raum gesegelt und hätte dem Gegner schon gezeigt, daß er mit uns nicht machen kann, was er will. Aber nun, nachdem meine Frau mich so unerwartet festhielt, gelang mir nur mehr ein lauer Überschlag, dessen Endergebnis mein aufschlagender Kopf auf der Bettkante war. Ab da hörte ich nicht nur Geräusche, sondern sah auch noch jede Menge Sterne.

 

„Was turnst du bloß im Bett herum?!“ Fragte meine Frau. „Kümmere dich lieber um den, der die Treppe hochkommt.“

 

Nun hörte ich auch in aller Deutlichkeit das Knarren der Treppenstufen. Wer kam da. Die Alte? Schlagartig wurde es mir klar, daß es ein Fehler war, schlafen zu gehen, nachdem die Alte so hämisch hinter uns her gekichert hatte. „Komm nur,“ flüsterte ich und ballte die Hände zu Fäuste, „ich werde dich schon gebührend empfangen.“

 

Leise knarrend schwenkte die Bodenluke nach oben. Die knochige Hand, die die Luke öffnete, tauchte im diffusen Licht auf. Der Kegel einer Taschenlampe, die er in der anderen Hand trug, tanzte an den Dachpfannen entlang und dann tauchte ein Kopf mit ungeordneten, weißen Haaren auf. Der Kopf drehte sich zu uns und wir erkannten den netten Alten.

 

Was mir aber gar nicht gefiel war, daß er ein langes Messer quer im Munde trug und auf das Bett meiner Frau zuging. „Meine Güte,“ dachte ich, „sollte der etwa vorhaben uns...“ Weiter kam ich mit meinen Gedanken nicht, denn meine Frau, die dem Alten bisher mit aufgerissenen Augen entgegen sah, verschwand unter der Bettdecke und schrie fürchterlich um Hilfe.

 

Fieberhaft überlegte ich, womit ich den Alten abwehren könnte. Mein Blick fiel auf das Kopfkissen. Ich nahm es und holte zum abwehrenden Schlag aus.

 

Bevor ich aber zuschlagen konnte, reagierte der Alte. „Meine Güte,“ flüsterte er empört und beugte sich mit dem Messer in der Hand über meine Frau, „seien sie doch still, sonst wird meine Alte erst wach. Wollen sie das?“

 

„Na, das wird ja immer schöner,“ dachte ich, „der bringt uns um und denkt daran, daß die Nachtruhe seiner Frau nicht durch unser Todesgeschrei gestört wird.“

 

„Ist gut,“ stotterte ich, und hob beruhigend die Hände, „legen sie nur das Messer weg, meine Frau  wird nicht mehr schreien!“

 

„Warum sollte ich das Messer weglegen,“ staunte der Alte und sah mich an, „das Messer brauche ich doch noch.“

 

„Okay,“ versuchte ich die Situation zu entschärfen, „sie bekommen unser Geld und alles was sie wollen, nur, bitte, töten sie uns nicht.“

 

„Quatsch!“ Zürnte der Alte. „Ich will sie nicht töten, ich will nur eine Wurst abschneiden, die am Balken über dem Bett ihrer Frau hängt. Sie haben doch Hunger, nicht? Und sie haben doch von meiner Alten nichts zu essen bekommen, oder? Nun, ich will ihnen was zu essen geben.“

 

Tatsächlich stieg er auf die Leiter, die neben dem Bett meiner Frau stand und griff mit beiden Händen in die Dunkelheit und hielt nach einem kurzem Schnitt, mit dem Messer, eine Mettwurst in der Hand. Er reichte sie mir. Verschwörerisch legte er den Zeigefinger über die Lippen und bat: „Nichts meiner Alten erzählen.“

 

Nun hatten wir also zu essen. Die Wurst roch würzig nach Rauch und unter anderen Umständen hätten wir sie bestimmt mit mehr Appetit gegessen, aber nach diesem Schrecken schmeckte sie einfach nicht.

 

Wir lagen lange wach, bis uns dann der Humor irgendwann einholte und wir über unsere Ängste lachen konnten. Nur in dem folgenden Traum, da blieb die Angst, da kam sie aus dem verborgenen hoch. Ich träumte von einer Schule, in der alte Leute zu Mörder ausgebildet werden und wo die Schüler ständig mit einem Messer im Mund herumlaufen. Auch das hämische Gesicht der Alten tauchte auf. Sie wedelte mit einer Mettwurst und jedesmal, wenn ich zugriff, verschwand die Wurst im Nichts. Ein anderer Traum bescherte mir Katzen und Mäuse, die auf dem Boden umher jagten und Hände tauchten im diffusen Mondlicht am Fußende des Bettes meiner Frau auf und wollten uns erschrecken.

 

Plötzlich wurde mir bewußt, daß der letzte Traumteil Wirklichkeit war. Am Fußende meiner Frau tauchte tatsächlich eine Hand auf. Die Hand wedelte mal nach links und mal nach recht und manchmal verhielt sie sich ganz ruhig. Ich fragte mich, ob der Alte es tatsächlich wagen würde, uns mit dummen Scherzen wachhalten zu wollen. „Aber nicht mit mir.“ Schwor ich. Ich griff vorsichtig, bemüht kein Geräusch zu machen, nach dem Reisewecker, der neben mir auf dem Fußboden stand und warf ihn mit kraftvollem Schwung auf die Hand des Alten und traf sogar. Sofort verschwand die Hand unter der Decke meiner Frau und tauchte als Fuß neben meinem Gesicht auf.

 

„Aua, aua,“ stöhnte meine Frau, „schau doch mal schnell nach, warum mir der Fuß wehtut.“

 

Ich muß gestehen, daß mich dieser Wurf, obwohl er ein exzellenter Treffer war, ein Schmuckstück und ein zwar nicht zu kleines, kostete. Seit damals weiß ich, daß ich sogar im Mondlicht treffend werfen kann.

 

Der Rest des Urlaubs verlief in aller Ruhe. Naja, Spannung hatten wir in der einen Nacht ja auch genug gehabt.


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