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Korsebejewska

 

Georg Segessenmann

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Er räkelte sich vor Wohllust stöhnend, einen starken Kaffee schlürfend auf dem Sofa in seinem Studierzimmer. Nebenan in zwei Metern Entfernung, so dass er ihn immer im Auge behalten konnte, stand sein Computer und arbeitete still vor sich hin.

 

Vor ein paar Jahren hatte Heinrich Blister (Pseudonym) sich ein Schreibprogramm gekauft. Anfänglich hatte er seine Geschichten sich mühsam aus dem Hirn über die Finger strömend gesaugt. Das wurde ihm zu anstrengend. Seinem Freund Theobald, Programmierer in einem Multigeschäft, den er jeden Mittwoch Abend im “Goldenen Ochsen” zu einem Schlummertrunk traf, erzählte er von seinem Widerwillen, sich stets neue Geschichten einfallen zu lassen. Der Freund grinste. Nach dem dritten Becher aber hatte er die Lösung pfannenfertig. “Gib mir ein paar Lieblingsstichwörter und Phrasen, die du immer wieder in deine Geschichten einbaust und typisch für dich sind, dann kreiere ich dir ein Programm, das sich gewaschen hat. Ist alles nur eine Sache von künstlicher Intelligenz.”

 

Nach nur einem Monat Arbeit hatte Blister sein auf dem normalen Schreibprogramm aufgebautes Wunderwerk. Er brauchte nun noch rund eine Stunde um die Optionen einzugeben: Volumen der Geschichte, Länge der Sätze, nach dem Zufallsprinzip basierend, Anzahl der Verben in Bezug auf die Satzthematik, Lieblingsphrasen, ebenfalls nach dem Zufallsprinzip in den Stoff eingestreut, Returntaste gedrückt, und schon flogen wie von Zauberhand geschrieben die Sätze auf den Bildschirm. So konnte denn zum Beispiel folgender sensationelle Satz gelesen werden: “Folglich kommt Kragenweite unvorbereitet geile Zicken haushoch Koitus permanente Affenhitze saugfähig Kriegsbeil Sieg heil”.

 

Einige Sätze füllten alleine schon eine ganze Seite, was natürlich sehr widernatürlich aussah, weshalb Heinrich Blister seinen Freund bat, dem abzuhelfen, was diesem denn in der Folge mit geringem Kopfzerbrechen auch gelang: die Sätze kamen auf ein normales Volumen von höchstens hundert Wörtern herunter.

 

Noch fehlte aber ein Titel für das Buch. Da die Wortefolgen ja eigentlich eher sinnlos denn voll waren, wäre ein bereits existierendes Wort wohl eher fehl am Platze gewesen. Also musste ein Konstrukt gefunden werden, das in hochkonzentrierter Form den Stoff des Romans beinhalten würde. “No problem!” grinste Theobald, der unermüdlich hilfsbereite Freund. “Gib mir die Maximalzahl in Buchstaben des Titels an und ich mache das!” “Dreizehn!” kam es wie aus der Kanone geschossen aus Blisters Mund.

 

In knapp einer halben Stunde war auch dieses Computerprogrämmchen im Kasten, es konnte gepröbelt werden. Aber die Resultate waren eher frustrierend. “keltrsu”, oder “halherigke”, oder "mizeltrefscha”, das waren die ersten Kreationen. So liessen sie denn, eigentlich schon recht skeptisch geworden, ein paar hundert solcher Wortbestien auf dem Bildschirm erscheinen. Da endlich: “Korsebejewska”, das war doch schon etwas! Das liess Gedankenverbindungen an einen grossen Feldherrn aufkommen, und das eher östlich klingende Wortkonstrukt lag im Trend der modernen Literatur. “Das ist`s!” jubelte Blister. “Wir können mit dem Romantext anfangen!”

 

So füllte sich also Blisters Arbeitsspeicher im Computer mit Wörtern, unaufhaltsam, weil Blister vergessen hatte, unter “Optionen” die maximale Länge einzugeben. Glücklicherweise kam der Schriftsteller gerade noch dazu, bevor es einen Crash infolge Speicherüberfüllung gab. Der Eingriff war ohne Folgen, niemand hätte dem Ende ansehen können, dass es eigentlich gar noch keines war, weil künstlich unterbrochen.

 

Der Stoff bestand nun aus einer Masse, die reichte, gleich neun Bücher zu je dreihundertfünfzig Seiten zu füllen. Blister beschloss, vorerst nur ein erstes dem Verlag zu schicken, welcher sich mit Freude auf das neuartige Wortgebilde stürzte und in Rekordzeit die Worte zwischen Buchdeckel band. Das Buch ging in die Buchläden. Aus Erfahrung wissend, dass der renommierte Verlag nur gute Ware lieferte, bekam das Buch einen Vorzugsplatz gleich bei den Kassen, wo es von den schmökernden Hausfrauen und Studenten innert weniger Tage gekauft wurde. “Vergriffen”, hiess es, wenn noch jemand danach fragte. Eine Zweitauflage erschien innert einer Woche und man begann im Verlag bereits mit dem Satz des zweiten Buches.

 

Natürlich wurden auch die Lektoren und Kritiker bei den Zeitschriften mit Belegsexemplaren eingedeckt. Zwar konnte kein einziger damit etwas anfangen. Aber jeder dachte, der Stoff sei eben so hoch, dass es von einem gewöhnlichen Kritiker gar nicht mehr verstanden werden konnte. Und wer gibt denn schon zu, dass er ein gewöhnlicher Kritiker sei?! Also war man in den Rezensionen nur des Lobes voll über die wunderbar futuristische Geschichte, die der Erfolgs gewohnte Heinrich Blister geschrieben habe.

 

Der absolute Höhepunkt im Leben eines Autors ist, wenn sein Buch dem Guru und ungekrönten König der Kritiker, Samuel Bleich-Karnicki vorgelegt wird. Aber diesem ging es nicht anders als all den ihm unterlegenen Kleinkritikern der Zeitschriften: er konnte keinen Sinn in der Geschichte finden. Schlaflos wälzte er sich ein paar Nächte in seinem Bett, das Ende seines Kritikerhorizontes bewusst werdend. Dann beschloss er, mit dem hoffnungsvollen Schreibtalent Blister direkt Fühlung aufzunehmen. Er lud ihn zu sich in sein Ferienhaus im Südtirol ein. Einen ganzen Tag brauchte es und mehrere Liter des besten Rotweines aus der Gegend, bis Blisters Zunge so weit gelockert war, dass er Bleich-Karnicki sein Geheimnis preis gab, das Buch sei ja eigentlich gar nicht von ihm selber geschrieben, sondern von einem genialen Computerprogramm. Sogar die Telefonnummer des Freundes, der das Programm geschrieben hatte, bekam Bleich-Karnicki.

 

Bereits anderntags rief der Kritiker-Guru auf dieser Nummer an. Man wurde sich schnell handelseinig. Gegen lumpige paar Tausender überarbeitete und ergänzte der Programmierer Theobald des Superkritikers Textprogramm dergestalt, dass Bleich-Karnicki nur noch den Titel des zu kritisierenden Buches und die allgemein gebräuchlichen Kritikerfloskeln einzugeben hatte. Den Rest übernahm das Programm.

 

Seither verfasst Samuel Bleich-Karnicki seine Verrisse auf den Bahamas.

 

März 2000    “Korsebejewska”    Georg Segessenmann

 

 

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26.02.01 (17:11)

 


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