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Helga Sternhagen
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Mit 66 fängt das Leben an ...

Oktober 2004.

Ich komme gerade zurück von einem Seetörn von Kiel aus in den kleinen Belt vor den dänischen Inseln, dann zurück mit dem alten Toppsegelschoner �Thor Heyerdahl" (730 qm Segelfläche), wo ich täglich an Bord eine Mannschaft von 37 Personen verpflegte, morgens, mittags, nachmittags und abends, Wache ging z.B. von 4 - 8 Uhr , Segel mit setzte (war beim Grossegel, dem Bullen, eingesetzt) und das Schiff mit steuerte, das durfte jeder eine halbe Stunde nach Einführung.

Allein schon mit einem gepackten Rucksack auf dem Rücken in den Zug zu steigen, allein damit nach Kiel zu fahren, dort dann das Schiff zu suchen, all das hatte etwas von Freiheit an sich. Als ich das Schiff endlich fand und es bestieg, war dort niemand zu sehen. Ich ging eine Treppe hinunter in den �Bauch" des Seglers und befand mich plötzlich beim Kapitän, der sich mit: �Ick bünn Kuddel" vorstellte. Mich abschätzend, traute er mir wohl zu, dass ich in meinem Alter kochen könne. Es war 16 Uhr und er bat mich, bis 18 Uhr für die 37 starke Mannschaft (wovon bis dahin noch Leute anreisten) das Abendbrot zu richten, ohne daß ich zunächst wusste, wo was stand, wo das Kühlhaus ist, das Tiefkühlhaus, das Brotkühlhaus und was im grossen Trockenlager vorhanden war, geschweige denn, wo ich was in der Küche finde. In der Kombüse hatte ich später drei sich abwechselnde Backschaftsleute zur Hilfe, und einen in sich gekehrten Junker zur laufenden Unterstützung. Er nahm das mit der Zeit nicht so genau, war aber umwerfend freundlich und hilfsbereit. Abgewaschen wurde per Hand. Ich gehörte also ab sofort zur Crew und musste sehen, wie ich fertig wurde. Und ich wurde fertig, dankbar für jede vierte Zwiebel, wenn ich drei gewürfelt hatte. Es gab abends bunten Paprikasalat, Bratkartoffeln mit Rührei, Käse- und Aufschnittplatten mit Brot und Butter. Am nächsten Morgen wollte Kuddel, der Kapitän, dass alle u.a. frischen Obstsalat bekamen. Ich war ja auf Wache seit 4 Uhr, meldete mich um 5 Uhr ab zum Obst schneiden, das bei der Menge 1 _ Std. dauerte. Um halb sieben kamen zwei Backschaftler dazu, um Kaffee, Tee, Quark, Joghurt, Käse, Wurst, Marmelade, Butter, Müsli, Haferflocken, Orangensaft, Tomaten, Wasser zu suchen und auch fanden. Ich suchte TK-Brötchen = 40 Stück, die mussten in den Ofen, aber wie ging der an? Um halb acht war Frühstück, d.h. ich musste die Glocke läuten, damit alle kamen. Der Kapitän sagte:" Pünktlich biste ja, aber Glocken läuten, das müssen wir noch üben!" Als alle da waren, sollte ich die �stille Minute" anläuten, damit nicht gleich alle losfraßen. Ich war schweißnass und zählte von 1 - 60. Alle hielten den Kopf gesenkt und waren ganz ruhig, was sie wohl alle so dachten? Dann musste ich wieder läuten und man begann, sich sein Frühstück zusammen zustellen. Während Kuddel, der Kapitän, im Nachhinein zu bedenken gab, daß das wohl nicht ganz eine Minute war. Er wirkte auf mich sehr kompetent. Darum blieb mir zwischenzeitlich das Brot im Halse stecken, weil ich zu um 11:30 Uhr für die eine Wache mit 8 Personen und um 12 Uhr für die anderen 29 Leute ein Mittagessen zuzubereiten hatte und nicht wusste, was ich kochen sollte. Ich ging dann auf Suche, um zu sehen, was so da war und ich sah viele Früchte, Putenschnitzel, Reis und Brokkoli unter der Ware, die mich animierten, Putengeschnetzeltes mit Reis und Currysauce mit den Rest Früchten vom morgigen Obstsalat plus einige Dosen Früchte zu mixen. Den Brokkoli kochte ich ab und bereitete davon 5 Liter Suppe mit allen Trix, denn wo etwas Brühe war, wusste nur der Teufel. Die grossen Töpfe brachten mich fast um. In der Kombüse sind überall Haltestangen, damit nichts rutscht. Ich habe mich laufend daran gestossen, bis einer auf die Idee kam, dass man die hochheben konnte. Tatsächlich fand ich noch Zeit für zwei Bleche Apfelkuchen mit Rosinen und Mandeln. Den Teig knetete Andreas, ein Schüler, ein toller Junge. Einige wollten Schlagsahne zum Kuchen, die musste sie sich aber selber schlagen, es war genug da. Meine Gedanken kreisten schon wieder um das Abendessen. Zwischendurch aber musste ich Segel mit setzen, ich durfte am Grossegel den �Bullen" lenken, und K-Komandos mit anhören und Kindern Kekse geben, und beim Patrick (mit Zahnspange) in der Kombüse die Musik leiser stellen zu der er tanzte und ihn dazu bewegen, vielleicht einmal den Abfall zu entsorgen und abzuwaschen. Abends lies ich Matthias, meine liebenswürdige �Dauerhilfe" Aufschnittplatten machen. Wollte mal sehen, was das wird, da kann man ja eigentlich nicht viel verkehrt machen, nur rechnen musste man ja schon bei 37 Leuten, da lag das Problem. Ich zog Tomaten ab und gab Balsamiko-Essig sowie Öl auf viele Platten, und Pfeffer und Salz, dann schichtete ich wie ein Weltmeister abwechselnd Tomaten-Mozarella, Tomaten-Mozzarella. Es wurde der Renner des Abends. Dann erinnerte ich mich, einen Eimer Matjes gesehen zu haben, daraus entwickelte sich mit Hilfe von Theda (eine Politik-Studentin) und Susanne ein Matjessalat nach Hausfrauen Art, und aus einer dicken fetten Zwiebelwurst lies ich kleine Bällchen drehen und sie zu einer grossen Weintraube auf einer Platte formen, ringsherum legten wir Schinken auf Eisbergsalat (immer für 37 Personen). Reste von mittags gingen weg wie warme Semmel. Man beobachtete mich, während ich schon wieder Pläne machte für das sonntägliche Frühstück. Der Kapitän wollte etwas mit Eiern, sonntags gehört sich ein Frühstücksei, war sein Argument. Naja. Ich fragte, ob Rührei auch in Ordnung sei. Es war. So, Helga, und nach dem Abendessen kommste mal zu mir auf die Brücke. Ich war dran mit dem Steuern des Schiffes. Es wurde mir erklärt. Es wollte bald der Anker gesetzt werden. Er: �Backbord 10" !Ich: �Liegt"! Er: � Steuerbord 20"! Ich:"Liegt!" �Wache 4 vorbereiten zum Anker setzen." Das war für die Wache 4 gesagt. Bimmel, bimmel. Zu mir gewendet: �Kurs 285 Grad Nordwest". Ich drehte an dem grossen Steuerrad. �Liegt"! Und ich überlegte, was mache ich nur zum Frühstück? Oja, Käseomelettes. Es kam immer irgendwie Käse zurück von den Platten. Kleinschneiden, rein in die Eier. Und mittags, was mittags? Ich muss noch einmal in den TK. Und ich ging später. Dort sah ich zwei 5 kg Beutel mit Hack. Im grossen, bis an die Decke voll gestapeltem Trockenraum lag in der Ecke ein Sack Kartoffeln. Ein Glas Kapern entdeckten meine Augen. Klar, Königsberger Klopse. Zwiebeln waren da, Milch, Sahne, Lorbeer, Sardellen, Senf, P.S. in Kilodosen. Alles, was ich brauchte war da. Der Biologie-Dozent Ingo war für den morgigen Backschaftdienst eingeteilt und schälte die benötigten 100 Kartoffeln... zwei Std., da sie �Augen" hatten, ließ ich diese auch noch von ihm entfernen, noch �ne Stunde. Aufgesetzt habe ich sie in einem Grossen Topf zwei Stunden vor der Mittagszeit. Die Klopse drehten andere Backschaftler = zwei Stunden lang, da ich sie recht klein wollte. Harte Zeit an Bord, nicht nur für mich. Am nächsten Morgen schlich ich um 5 Uhr aus meiner Koje. Ich schlief die Nacht über angezogen, vor lauter Angst, die Zeit zu verpassen. Eine riesige Schüssel stand in meiner Koje auf dem Fussboden. Diese Idee war gewachsen, weil morgens alles so dunkel ist. Der Lichtgenerator wurde um Mitternacht ausgeschaltet, nur die Positionslampen und der Vollmond leuchteten, und wenn man das Laufen bekam, war eine Taschenlampe sehr nützlich. Also so konnte ich morgens gleich in dem nebenan liegenden Kühlhaus mit der Taschenlampe und der Schüssel 3 Melonen, 8 �pfel, 3 Pampelmusen, 10 Orangen, 8 Kiwi holen und gleich mit nach oben in die Kombüse nehmen, um Obstsalat zu schnippeln, denn die andere Backschaft hatte erst später Dienst, war dann ja auch noch genug zu tun. Nun gut, Ihr, die Ihr das hier lest, solltet nur einen kleinen Einblick in meine Tätigkeit erhalten. Keiner wusste, wer ich bin. Ich war einfach nur Helga, und genau das wollte ich, fern von bekannten Menschen. Es war ein einmaliges Erlebnis, das Fähigkeiten bis an die absoluten Grenzen hervorbrachte, und das nicht nur bei mir. Die Mannschaft besteht aus dem freiwilligen Stamm, ausgebildete Segler, die ihre Freizeit damit verbringen, an Bord verantwortliche Aufgaben zu übernehmen, und ansonsten ihren Beruf haben, wobei es immer andere Segler sind, die mit auf Fahrt gehen, denn es gibt 300 Stammleute und 3.000 Mitglieder. Dazu die Trainees (Schülergruppen, Ewachsene, Familien), die einmal auf einem Segelschiff fahren und alles aktiv miterleben möchten rund um die Uhr. Es waren diesesmal dabei Lehrer, Dozenten, Informatiker, Schüler, Studenten, �rzte, Familien mit Kindern, ein Psychologe u.a. Jedes Stammitglied hatte mehrere Trainees zu betreuen und jede Gruppe seine Arbeit, nicht nur die der Navigation. Der Kapitän ist jedesmal ein anderer, unser war Rentner und der Maschinist auch. Ein traditionelles Seemannsleben wurde praktiziert, das viel Disziplin, Zupacken und Ordnung erforderte. Das Prinzip solcher Reisen hat Grundlagen, vor allem ist dabei an die Jugend gedacht. Erziehung durch die See, sich herausfordern zu lassen und etwas Neues zu erproben und erfahren wollen. Für Jugendliche und junge Erwachsene, denen Menschen nicht egal sind und für die Partnerschaft zum Erlebnis werden soll, die bereit sind, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen und zu tragen, die den direkten Kontakt zur Natur suchen. Dazu eignet sich ein Schiff ganz besonders. Die lokale und zeitliche Eingrenzung auf einem Schiff zwingt zur Auseinandersetzung mit sich und anderen: das Schiff als sozialer Lebensraum eröffnet neue Horizonte und grenzt die eigenen Möglichkeiten ein - im wörtlichen und übertragenen Sinn. Pädagogisch ist alles sehr hoch veranschlagt, ein pädagogisches Medium. Die Thor Heyerdahl ist u.a. ein Schulschiff. Jugendliche fuhren ein halbes Jahr auf See (v. Gymnasium Spiekeroog).Biologie war dann Meereskunde, Sprachen erlebten sie in fernen Ländern mit Landaufenthalt, Mathematik war Navigation, Umweltskunde = die Sauberkeit auf dem Schiff, dazu die seemännischen Tätigkeiten, handwerkliche Kenntnisse, hauswirtschaftliche (wer nicht in der Kombüse kocht, hat nichts zu essen) und kaufmännische Tätigkeiten (z.B. Einkauf von Ware), naturkundliche und geografische Kenntnisse, sportliche Betätigungen, Freizeitvorbereitungen- und Gestaltungen, Gruppengespräche, Konfliktbesprechung usw.

Und zum Schluss ein Geständnis: Zurück in Hamburg, mietete ich mir ein Hotelzimmer und schlief 15 Std., so fertig war ich, seelig und stolz auf die �standing ovation" der ganzen Besatzung beim Abschied. Es hat allen geschmeckt und was das Wichtigste für den Kapitän war: �Das Essen stand immer pünktlich auf dem Tisch!"

Ich danke der Stamm-Crew für das freundliche Angebot, zu jederzeit gegen �Hand und Koje" wieder dabei sein zu dürfen.

Helga Sternhagen 2004


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