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Der Strolch

 

von Ingrid Baumeister

 

 

Einsam wandert ein vorgebeugter Mann, an einem schwülen Sommertag, durch Wiesen und Getreidefelder. Der vollbepackte Rucksack drückte schwer auf seine Schultern. Heute scheint die Sonne so heiß in sein Gesicht, er erreicht gerade den Kornacker, der ihm ein wenig Schatten spendet.

Hier setzt er sich an den Feldrain und gibt sich seinen Gedanken hin.

Ach, denkt er , wie ist das Wandern für mich schon mühsam. Meine 70 Jahre machen mich langsam kraftlos. Zwar habe ich heute noch kein Mittagessen in mir, aber im Schatten rasten ist mir lieber. Vielleicht habe ich am Abend Glück und bekomme einen Rest vom Mittagessen.

Wie gerne wäre ich noch ein kleiner Junge. Wie war das am Sonntag schön, wenn die Mutter mich an der Hand nahm und wir zur Kirche gingen.

Es war stets ein weiter Weg zur Kirche.

Zur Schule mußte ich denselben weiten Weg machen. Das letzte Bauerngut, hoch oben auf dem Berge, war meine Heimat. Dort war ich glücklich.

Am meisten freute mich die Ofenbank, hinter dem großen Kachelofen. Wenn ich müde aus der Schule kam, da streckte ich mich aus, nur die Füße sah man noch. Mich deckte der Ofen. Herrliche Zeit, aber längst vorbei.

Beim ersten Mal dachte ich, ich müsse die Heimat nur drei Jahre verlassen um dem Kaiser zu dienen. Eine Ewigkeit mußt ich fern bleiben.

Jetzt sind schon vierzig Jahre vergangen ohne Heimat. Ich habe sie nicht mehr.

Ach, könnt ich noch einmal zurück. Einmal noch ruhen auf der Ofenbank.

So sinnierte der alte, gebeugte Greis und dann war er eingeschlafen. Im Traum stieg er den Pfad zu seiner Heimat hinan. Es dünkte ihm, es stehe seine Mutter vor ihm.

Sie sagte:

Mein Sohn, du gingst den verkehrten Weg, ich habe dir den Richtigen gewiesen. Arbeit und Gebet, das ist das wichtigste im Leben. Aber du wolltest von Beidem nichts wissen. Wo hast du dein Weib, wo deine Kinder?

Ja, ächzte er im Schlaf. Weib und Kinder haben mich verlassen, weil ich nicht für sie gesorgt habe. Ich dachte nicht daran, jeden Tag zu arbeiten. Es lockte mich der Wald. Jedes Wild belauschte ich und wußte besser wo es wechselte, als der Jäger. Dann lief ich Talwärts aus dem Wald. Dort stand eine Taverne, hier zechten oft die Holzfäller, Jäger und Steinbrucharbeiter. Zu denen setzte ich mich und zechte mit.

Meine Frau hatte kein Brot für die Kinder und sie selbst wurde hohlwangig.

Eines Tages ging ein Holzfäller mit ihr davon. Die Kinder weinten, sie waren allein im Haus, kein Mensch ersetzte ihnen ihre Mutter. Die Gemeinde verteilte die Kinder zu fremden Bauern. Jetzt war ich allein.

Es fror mich und so ging auch ich davon. Die Taverne wurde mein Zuhause. Oft hetzte ich die Holzfäller und die Steinbrucharbeiter gegeneinander auf. Es freute mich, wenn ganz wild gerauft wurde.

Doch einmal ging es über mich her, soeben konnte ich noch flüchten, erklimmte ein Hausdach und legte mich an den Kamin. Trotz eifrigem suchen, wurde ich nicht entdeckt. Von meinem Versteck konnte ich genau verfolgen, wohin die Anderen gingen. Einer, der mir sehr zürnte, schlug ebenfalls seinen Heimweg ein, er war betrunken. Mir war bekannt, welchen gefährlichen Weg er passieren mußte und schlich ihm nach. Es brauchte nicht viel, ein kleiner Kempler und der Mann stürzte mit einem Aufschrei in die grausige Tiefe.

Mein Zorn war befriedigt, der beleidigt mich nimmer.

Bei ihm daheim fragten vier Kinder nach ihrem Vater. Eine traurige Mutter erzählte den Kindern vom Sturz des Vater, über eine hohe Wand.

Einpaar Wochen arbeitet ich auf meinen Feldern. Da ich allein war, konnte mir niemand beweisen, wann ich heim gekommen war.

Jedoch bei der Arbeit kamen langsam Gedanken, die mich erschauern ließen.

Hast ein Menschenleben auf dem Gewissen, bist ein Mörder.

So und ähnlich klang es in meinen Ohren. Auf einmal schrie selbst der Wind in der Nacht ums Haus: Mörder, Mörder. Ging ich den Bach entlang, murmelte es im Wasser, immerwieder das Gleiche: Mörder, Mörder. Ging ich in den Wald, ächzten es die Bäume. Mörder, Mörder. Im Schlaf sah ich ein bleiches Antlitz, angstgeschwollene Augen starten mich an.

Schweißgebadet stand ich am Morgen auf, schnürte mein Bündel und verließ meine Heimat. Weiter, immer weiter, erklomm Berge, durchwanderte Täler, kam in Länder, von denen ich nie gewußt, sah Städte voll Pracht und Herrlichkeit.

Es kam der Zeitpunkt, da war das Geld zu Ende, die Kleider zerschlissen.

In Italien verdingte ich mich an einer Schiffswerft. Hier mußte ich lernen, was wirklich arbeiten hieß.

Etliche Jahre schuftete ich, als das Heimweh über mich kam. Es zog mich nach Norden, Richtung Heimat. Jeden Tag schafften meine Füße mehr Kilometer. Schnell, schnell wollten sie ihr Ziel erreichen.

Meine Acker bebauten längst fremde Leute. Aber das Haus stand noch. Einsam wartetet es auf mich. Das Dach hatten Wind und Wetter ziemlich schadhaft gemacht. Es regnete bis in die Stube.

So begann ich, das Dach zu flicken, nahm das dürre Holz vom Stadel und machte mir eine warme Stube.

Wieder sah ich dem Wild nach, fand schnell ihre Spuren und machte sie mir zu nutzen. Mal war es ein Fuchs, bald ein Reh. Alles meine -Beute.

So trieb ich es geraume Zeit. Meine Einkäufe machte ich abends, wenn die Leute zur Ruh gingen.

Manchmal konnte ich beobachten, wie sich späte Wanderer bekreuzigten. Dann fror es mich.

Längst war ich ein ausgestoßener, man fürchtete sich vor mir, sobald man mir begegnete.

Morgens eilte ich wieder, spazierte ins Gehege.

Da stand plötzlich ein Jäger vor mir. Er schrie mich an. Hab ich dich, du elender Wilderer, du Lump, eine Denkzettel werde ich dir verpassen.

Ich war so überrascht, daß ich meinen Stutzen fallen ließ. Der Jäger, ein gedrungener Mann, ging auf mich los und es begann ein wilder Kampf. Es gab hiebe, daß mir der Schädel brummte, aber den Boden verlor ich nicht, denn ich kam auf meinem Stutzen zu liegen.

So gab ich mich geschlagen, rührte mich nicht. Der wilde Jäger ging davon und ließ mich allein. Nur langsam erholte ich mich und ging heim. Ein grenzenloser Haß stieg in meinem Herzen auf.

Wart nur du elender, bist auch nur ein Bauer, läßt mir nicht mein Vergnügen. Nur weil du mehr Geld hast, eine Jacht zu pachten, meinst du, der Wald gehöre dir allein. So alt kannst du nimmer werden, das du mirs das nicht büßt, du Schuft.

Einpaar Flüche besiegelten meinen Schwur.

Von nun an war ich nicht mehr so sicher bei meinen Jagdfreuden. Es erreichte mich ein Gerichtsbrief. Über meinen Reviergang hatte ich mich zu verantworten.

So trieb es mich wieder in die Fremde.

Gut zehn bis fünfzehn Jahre vergingen. Ein heißer Sommer lag über dem Land, als ich bei meiner Wanderschaft, mein Heimatdorf durchschritt.

Der Durst quälte meine Kehle und so kaufte ich mir eine Flasche Bier. Stieg dann auf einen Berg, der sich mitten durch die Ebene schob. Zeit besaß ich zu genüge, viel Zeit. Zur Vorderseite stieg ich ein. In der steil abfallenden Wand, entdeckte ich eine Bank, auf dieser ruhte ich mich aus. Ein herrlicher Anblick vor mir. Im Norden grüßte Hohen - Salzach. Ein ruhendes Land, goldene Weizenfelder, leuchteten neben sattgrünen Wiesen. Zur linken versiegelte der Böll den Blick, einige wenige Schneeflocken zierten ihn noch.

Es war ein trockener Sommer, heuer. Sinnend saß ich auf der Höh, trank meine Flasche leer. Da entglitt mir die Flasche aus meiner Hand, fiel auf einen Stein und zerschellte in viele Scherben. Meine Hand blutete etwas, weil ich nach einer Scherbe im affekt gegriffen hatte.

Hin ist auch aufgeräumt, dachte ich, sog noch einmal die wunderschöne Landschaft in mich hinein, danach verließ ich die Bank und ging langsam vom Berg hinab.

Während meinem Gang durch die Gegend, dachte ich bei mir. Salzburg schau ich mir wieder einmal an. Bei dieser Hitze freut mich eh keine Arbeit. Geld habe ich noch genug im Sack. Schließlich war ich ja einige Monate in einem Steinbruch, im Kärntnerischen, beschäftigt.

 

Von der Heimatgemeinde erfuhr ich, meine Heimatstatt, muß neu gebaut werden. Es fällt das Haus und der Stall zusammen. Dabei muß es doch für meinen Ältesten erhalten bleiben. Mein Ältester diente bei einem Bauern in der Gegend. Ein strammer Bursche ist er geworden, der Georg. Er fürchtet keine Arbeit oder Gefahr.

Längst hatte ich die Stadt Salzburg erreicht. Mein Weg führte mich zu all den Schönheiten, die dieser Ort birgt. Trocken war die Luft., es kam schon wochenlang kein Regen übers Land. Mensch und Tier litten unter der drückenden Hitze.

 

Die Glasscherben auf dem Boden, vor der Aussichtsbank funkelten den ganzen Tag in der Sonnenglut. Weit umher war das Gestrüpp und das Gras, dürr. Da begann es in der Mittagssonne plötzlich unter den Flaschenscherben zu glimmen. Die kleine Flamme kroch übers dürre Moos, suchte seinen Weg nach Nahrung und fand alles, was ein Feuerchen so brauchte, um groß zu werden.

Um vier Uhr Nachmittags, pfiffen die Sirenen. Das Feuerhorn schmetterte durch die Gegend, alles lief zum Feuer löschen. Mit Krampen und Hacken wurde gearbeitet. Viele Bäume brannten lichterloh, selbst Wurzeln kochten, Steine zerfielen als gebrannter Kalk. Ein schauriges Spiel bot der Berg.

Es wurde Nacht, noch immer wütete das Feuer über die hohe Glatte Wand. Brennende Hölzer fielen wie Christbäume herab.

Drei Tage und Nächte arbeiteten die Feuerwehren, sowie die Bauersleute, um den großen Waldbrand zu dämmen.

Am dritten Tag, in der Früh, kam der Wind. Er brachte die Glutstelle erneut zum entfachen. Funkengraben brannten wieder auf, bekohlten die unten stehenden Gehöfte.

Zwei beherzte Burschen, die schwindelfrei waren, ließen sich im Gewand, an Seilen und Stiegen zu den Glutstellen herab, um es an Ort und Stelle zu vernichten.

Das Seil wurde um Bäume gewickelt und zwei andere Burschen hielten es fest. Die Beiden am Seil fühlten sich ganz sicher, ihre Arbeit verrichteten sie fast auf Kirchturmhöhe. Da geschah das Schreckliche. Die Bäume waren unterkohlt. Beim letzten Ruck entwurzelten sie und stürzten mit den Angeseilten in die Tiefe.

Den beiden Männern , welche das Seil hielten, riß es die Hand von den Armen, es gab keine Rettung mehr. Auch für die Abgestürzten kam jede Hilfe zu spät, sie waren beide tot.

 

Ich saß in einem kühlen Keller, in Salzburg, beim Bier, las die Tageszeitung, als die traurige Nachricht von meinem Ältesten, dort geschrieben stand.

Abgestürzt beim löschen über die hohe Wand, stand dort.

Mir wurde heiß, trotz des kühlen Bieres und des kühlen Raumes in dem ich mich befand.

Weiter berichtete die Zeitung, sei die Ursache des Waldbrandes, Glasscherben einer Bierflasche gewesen, welche bei der Aussichtsbank gefunden wurden.

Mein Sohn bezahlte nun schon das zweite mal für mich, diesmal mit seinem Leben.

 

Ein Stöhnen entfährt dem Träumer am Kornfeld aus seiner Brust. Er öffnete die Augen und glaubte, seine Mutter im Nebel verschwinden zu sehen.

Einmal habe ich es meiner Mutter sagen können, welche Schuld mich drückt, wenn auch nur im Traum.

Mühsam erhob sich der alte Mann. er humpelte ein Stück weiter, in Gedanken war er immer noch bei seiner Mutter. Wenn sie mir doch nur helfen könnte. Dabei seufzte er.

Mir aber, es wird nicht mal im Grab etwas von mir übrig bleiben. Von ihr könnte man noch glauben, wie ein Kind, das die Mutter würde vom Himmel herab helfen, brummte er vor sich hin.

Nun muß ich nach was zu Essen schauen. Wenn mein Magen ist leer, kommen so wackelige Gedanken, hat doch alles keinen Sinn.

So trottete der alte Mann zum nahen Gehöft, setzte sich vor dem Haus auf die Bank und wartete. Da kam die Bäuerin mit der dampfenden Suppenschüssel zum Hausfenster, um die Suppe zu kühlen. Sie trat aus der Tür und rief die arbeitenden Leute zum Essen. Dabei sah sie den alten Mann.

Geh, gib mir was zu essen, hab nur einen Altenhunger, so bat der Alte.

Einpaar Knödel vom Mittag, mit der Abendsuppe , bekam er. Auch durfte er über Nacht im Heu schlafen. Selbst ein Frühstück wurde am Morgen gereicht.

Ein vergelt’s Gott, rief er in die Küche. Ergriff seinen Wanderstab und zog weiter.

Ruhelos wanderte er durch Stadt und Land. Hatte ja keine Heimat mehr.

Ein Jahr ums andere voran in die Vergangenheit und noch immer zog vorgebeugt, auf seinem Stock gestützt, der Greis, auf der Landstraße.

Da änderte sich auf einmal das Straßenbild. Überall begegnetem ihm Wanderburschen. Von Tag zu Tag wurden es mehr Wanderer. Es war jetzt schon schwer eine Mittagssuppe zu bekommen, es waren einfach zu viele Vorgänger da.

Die Zeit der Arbeitslosigkeit machte sich spürbar.

Der Alte überdachte mißmutig seine Lage, wich einfach den jungen Leuten aus.

So stieg er etliche Tage vor Weihnachten, es war 1933, über eine kleine Anhöhe und gelangte zu einem alleinstehenden Bauernhof. Es lag tiefer Schnee, so daß er gezwungen war, ganz nahe an den Stubenfenstern vorbei zu gehen.

Da sah er den alten Bauern Pfeife rauchend, vor dem Ofen sitzen. In ihm erkannte er sofort den einst wilden Jäger.

Im Schnee vor dem Haus staken zwei Skier, die nahm der Alte, stieß einen Fluch aus, dabei warf er die Skier im hohen Bogen über einen Holzhaufen. Dann sah er sich um, ob er nicht bemerkt wurde. Schlüpft ein ins Haus, über die Stiege, hinauf auf die Tenne. Schwang sich wie ein junger Mann auf einen Balken und landete im Dachboden des Hauses.

Es freute ihn, als er sah, daß eine menge Stroh dort gelagert war.

So ! Für heute hatte er eine Unterkunft. Unter mir ist der Schuft, an dem ich mich noch nie rächen konnte. Der sitzt beim warmen Ofen, dem gönne ich mein Schicksal.

So oder ähnlich ging es ihm durch den Kopf.

Aber heut will ich bald schlafen, zwar schrecklich müde und hungrig, aber im Schlaf denke ich nicht daran.

Im Haus wußte kein Mensch von der Gegenwart des Strolches. Alles Schlief in der Nacht, bis auf ein kleines Knäblein und seiner jungen Mutter. Der Kleine hatte ein Ohrengeschwür. Das wimmern des Knäblein war so laut, daß es bis zum Strolch hinauf drang.

Aha, kleine Kinder sind auch da, dachte er, drehte sich um und schlief weiter.

Früh am Morgen, als in der Küche, die Milchmaschine in Betrieb war, verließ der ewige Wanderer das Haus.

Ein großer Wachhund schlug an, aber der Strolch wurde von den Leuten nicht bemerkt. Bei der Miststatt im Hofe, machte er noch schnell einen Griff auf die gefrorene Jauchenpumpe. Knacks war der Hebel abgedrückt.

So, brummte der Alte, für Heute. Dann stapfte er Talwärts.

Immer kleiner wurde der Kreis, den der Heimatlose zog. Stets stieg er in die Bergseiten, einmal rechts, einmal links, des Tales. Die Straße war ihm zu belebt mit Arbeitslosen.

Die alleinstehenden Gehöfte, an den Berglehnen gaben immer noch mehr an die Armen, als im Tal.

So kam es, daß er alle 14 Tage und öfter zum Hof des gehaßten Jäger kam. Entweder früh am Morgen oder Abends. Der Hund wurde mit einer alten Wurst gefüttert, so sagte dieser nun kein Laut mehr, wenn der alte Mann kam.

Brauchte der Greis ein Nachtlager, so wußte er schon einen Platz, wo er nicht entdeckt wurde.

Wenn alle Hausleute schliefen, schlich er sich in die Küche und verstopfte die Ofenröhre mit Windeln, die an einer Schnur hingen. In den Kachelofen steckte er einen Pack Strümpfe.

So, nun mußt du eine Zeitlang auf den warmen Ofen verzichten, du guter Jäger. Der Alte kicherte vor sich hin und verließ den Hof, noch in der selben Nacht.

Alle 14 Tage vollführte der Unhold anderer Bosheiten. Einmal nahm er zum Beispiel, Schuhe unter dem Ofen hervor und warf diese weit vom Hof ins Wasser.

 

Der Fön blies über die Alpen. Auf der Straße gab es Schneematsch und Kot. Ein gutes Schuhzeug müßte man jetzt haben, seufzte der Strolch. Aber in dieser armen Zeit, benützte jeder seine Schneesachen solange es irgend ging. Wer verdient denn heut schon was? Ist ja in der ganzen Wirtschaft stillstand. Kein Mensch baut, niemand schafft an, bei den Handwerkern. Es ist kein Geld im Lande. Das Ausland kauft nicht mehr in Österreich. Nur Arbeitslose begegnen einen. Man kann schon gar nicht mehr ausweichen. Auch über die Berge ziehen sie schon.

So grübelte der Alte und steigt schon wieder die Höhe hinan, bezieht zur Dämmerstunde wieder sein Strohlager am Dachboden, des einst so starken Jägers. Eine ungute Nacht verbringt er dort. Seine Füße werden nicht warm. In der Stube unten gibt es heute viel Lärm. Es sind Wanderer, die einen Falzhobel bei sich tragen. Auch sie wollen übernachten und so unterhalten sie sich.

Dem Alten im Stroh überkommt ein Zorn. Er zieht sich an und geht noch in der selben Nacht weg. Doch ehe er aus dem Stadel tritt, nimmt er einen Schuppel Heu, hält ein brennendes Zündholz darunter, bis es aufflackert, dann steckt er es unter die Tennbrücke. Zieht eine teuflische Fratze und eilt davon.

Hinter dem Haus über die Wiese, nimmt er den Steig zum Wald hinauf. Einen Blick wirft er noch zurück, dann steigt er in Tal hinab.

In Gedanken malt er sich aus, wie der alte Jäger frieren muß, wenn er aus dem brennenden Haus muß. Jetzt habe ich nicht mehr allein nasse und kalte Füße, denkt er. Dabei wandert er den Berg entlang, durchs Tal.

Schnell, schnell ! Er hört wie alles alarmiert wird und ist froh, daß er von niemandem gesehen wurde. Alles eilt aufwärts, dem brennenden Hof zu. Das Tal und auch der Berg sind hell erleuchtet.

 

Der Strolch, er wandert der Dunkelheit zu. Gleich muß er eine Brücke zu passieren, im Volksmund wird sie Teufelsbrücke genannt. Vieles geht ihm durch den Sinn, manchmal ist er furchtsam wie ein Kind, besonders heut läßt ihm das Gewissen keine Ruh. So nähert er sich dem unheimlichen Ort. Ja, auf der Brücke wartete einer auf ihn. Der fliehende Wanderer muß über die Brücke, er hat keinen Ausweg. Unbeweglich steht eine Gestalt auf der Brücke. Vom nahen Kirchturm schlägt es laut und dumpf an sein Ohr,. 24:00 Uhr.

Der Strolch denkt, jetzt muß der Unheimliche verschwinden, seine Zeit ist um. Aber die Gestalt rührt sich nicht. Von oben her hört er eilende Schritte, so muß er weiter, weiter dem Unheimlichen entgegen. Als er an ihm vorbei eilt berührt er die Figur. Es war ein Strohmann.

Der Strolch konnte nicht ahnen, daß junge Leute einen Witz machen wollten und zum Kammerfenster einer Landschönen einen Strohmann binden wollten.

Als sie den brennenden Hof sahen, eilten sie zur Hilfe. Die Strohpuppe ließen sie auf der Brücke stehen.

Schweißperlen rannten ihm übers Gesicht und er war froh, daß er weiter eilen konnte.

Einen Stundenmarsch hatte er hinter sich, als er in ein Seitental einbog. Tief im Graben wußte er einen Stadel mit weichem Heu, dort vergrub er sich und schlief schnell fest ein.

Einpaar Tage verbrachte er im Heu, dann humpelte er weiter. Es eilte ihn gar nicht mehr. Nur gemütlich aus der Gegend dachte er. Wem würde es eingefallen, einen so alten Greis zu untersuchen und zu fragen. So einer hat seine Ruh. Er lachte sich in den Bart.

An einem Gasthof vorbei kommend, trat er in die Wirtsstube, bestellte sich ein Mittagessen, ein Glas Bier und las dort die Tageszeitung. Der Bericht vom Hofbrand am Berg war auch darin zu lesen.

Es stand: Eingeäschert bis auf den Grund. In Verdacht kommt der junge Bauer, wegen Überversicherung. Menschenleben sind keine zum Opfer gefallen.

Der alte brummte, ist mir nicht recht. Kenn den Jungen nicht, hätte dem Alten zugehört. ein bißchen Arrest für den wilden Jäger hätte mich gefreut. Aber wenigstens hat der Lump auch keine Ofenbank mehr.

In der Zeitung gab es noch viel zu lesen und zu erfahren, so auch, daß in Wien Aufstände sind, daß das Volk rebelliert , über soviel Not und Arbeitslosigkeit. Jetzt haben`s gar den Bundeskanzler ermordet. Überall in Stadt und Land gibt es große Razzia gegen die Rebellen. Nazi nennen die Leute die Rebellen. Eine ungute Zeit. Es wird sicher noch Krieg geben, wenn nicht bald eine Änderung kommt. Bin ich froh, daß ich alt bin, sonst müßt ich noch zu den Soldaten.

Seine Gedanken gingen weiter. Aber meine Söhne sind dran. Ja, im ersten Weltkrieg durfte ich daheim bleiben. Hatte ja selbst ein Bauerngut zum Einarbeiten und sechs kleine Kinder. Das rettete mich vor dem Krieg. Er schimpfte über sich selbst, daß er nicht weiter geschafft hatte, aber jetzt half es nichts mehr.

Nach kurzer Rast trottete er weiter auf der Landstraße , weiter Plan - und Ziellos. Immer kamen die Gedanken an den brennenden Hof zurück. Manchmal freute es ihn, dann aber murrte er in seinen Bart : Gefährlich ist es und eine Unterkunft weniger hast du auch, alter Esel.

So oder ähnlich vertrieb er sich die Zeit bei seinem Marsch. Längst merkte er nicht, wie sich die Gegend veränderte durch die er schritt. Ins Flachland war er hinaus gewandert. Der Schnee hörte schon bald auf und er konnte auf trockener Straße dahin wandern. Die Sonne schien herrlich warm auf den Rücken, der Frühling kommt. Daß taugt mit, da kann ich wieder die Täler durchstreifen, sagte er laut vor sich hin. Erst im letzten Augenblick bemerkte er einen Schandarm, der auf dem Fahrrad ihm nach kam.

He, Alter, wohin die Reise, sind die Papiere in Ordnung? Laß sehen !

Umständlich kramte der Alte seinen Ausweis aus der Westentasche und übergab sie dem Mann des Gesetzes.

Wirst bald aufhören müssen mit dem Wandern. Ist bald kein Platz mehr für dich. Jetzt werden bald Soldaten die Straße beherrschen. Es kommt Krieg, sagte der Schandarm

Oje, seufzte der Greis, wo soll ich hin? Hab keine Heimat mehr.

Es gibt Altenheime, da hinein gehörst du schon längst. Adio.

Dann verschwand das Fahrrad aus seinen Augen.

Unser alter Wanderer stand eine ganze Weile am selben Fleck, sah dabei noch ängstlich, dem davoneilenden Schandarm nach.

Was der Gendarm gesagte hatte stimmte ihn nachdenklich, bedächtig setzte er sich an den Straßenrand auf den Rucksack.

Ich soll in`s Altersheim. Nein, das kann ich nicht aushalten. Es ist mir zu eng und zu einsam. Mich treibt die Sehnsucht nach einem Plätzchen, wo ich Ausschau halten kann über Berg und Tal. Eine breite Ofenbank möchte ich haben, dann könnte ich zufrieden sein.

In seinen Gedanken versunken, wanderte er schon wieder in die Berge hinein. Weit drinnen in den Tiroler - Bergen, wußte er ein altes Bauernhaus. Es war dort eine gute Familie, die duldeten den Alten schon mal öfters etliche Wochen, wenn er anklopfte.

Kurz entschlossen kehrte er dem Flachland den Rücken und begab sich Richtung Salzburg. Hier besuchte er seine Tochter, die war in der Stadtnähe verheiratet. Er bat sie, sie möge ihm die Hose flicken und die Wäsche reinigen, er habe das Bedürfnis seinen Rucksack wieder sauber zu halten.

Die Tochter besorgte alles dem unsteten alten Vater. Die Wäsche hing schon auf der Leine, die Hose bekam einen neuen Boden, als während ihrer Näharbeiten die Tochter den Vater, bei einem Gespräch, an die längst verlorene Heimat erinnerte.

Aus war es mit dem Alten und seiner Ruhe. Fluchend und schreiend nimmt er seine Wäsche von der Leine, stopft sie in den Rucksack, fuhr in die geheftete Hose und eilte auf seinem knorrigen Wanderstock davon.

Ganz wie ausgelassen hupfte er lange Zeit dahin. Gerade jetzt konnte er es nicht vertagen, daß von der Vergangenheit etwas laut wurde. Verflixtes Mädchen, das geht mir gerade noch ab, murmelte er im weitereilen.

Stundenlang maschierte er auf seinen Reisen. Es ängstigte ihn, daß soviel Militär sichtbar war, die Polizei kontrollierte öfter als sonst seine Papiere.

Es treib ihn an den Ort, wo er seine letzte Untat begangen hatte. Dort war ein schönes neues Gebäude entstanden, aber es fehlte eine warme Stube, stellte der Greis fest.

Als er in die Küche trat, um ein Nachtlager zu bitten, konnte ihm nur eine harte Holzbank angewiesen werde.

Er sah sich nach dem alten Bauern um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Da fragte er eines der Kinder: Wo ist euer Großvater?

Von dem Kind erfuhr er, der Großvater sei gestorben.

Wäre es nicht auch für ihn besser, er würde auf dem Friedhof ruhen?

Der andere Morgen ließ ihn weiter ziehen, gen Süden. So schnell wie möglich wollte er sein ziel erreichen. Bei seinem Alter kam er aber nur langsam voran. Immer neue Nachrichten ereilten ihn. Es hieß, der Deutsche habe ein Heer aufgestellt und wird bald in Österreich sein, dann wird alles zur Arbeit angehalten. Für Alte und Mühselige gäbe es einen Platz, mit der Freiheit wäre es vorbei. Weit würde er nicht mehr maschieren.

Diese Neuigkeiten fraßen an seiner Kraft, mehr noch, als die Wanderstrapazen.

Unweit von St. Johann, im Pongau, hob man einen bewußtlosen von der Straße auf und bettete ihn in ein Krankenhaus.

Etliche Wochen vergingen, wo der Greis nicht recht wußte, was mit ihm vorging.

Unterdessen arbeiteten die Ärzte, Krankenschwestern und Fürsorger für den schwach gewordenen alten Mann. Als er wider zu sich kam, teilte man ihm mit, daß er auf Grund seiner Zeugnisse, wo er in Arbeit stand, eine Rente bekomme. Er könne auch im Altenheim bleiben.

War das eine Nachricht. Er freute sich mächtig über die Rente, aber es zog ihn nach Tirol.

Er bekam Reisegeld und konnte so die meiste Strecke mit der Bahn zurücklegen.

Glücklich wurde er bei dem Bauern aufgenommen. Der alte Wanderer saß nun alle Tage auf der Bank, hinter dem großen Kachelofen. Träumte zurück, in die längst vergangenen Wandertage. Aber er machte sich auch nützlich. Bei Tage hackte er das Holz, am Abend wiegte er die kleinen Kinder in den Schlaf. So vergingen viele Jahre.

Der Deutsche war wirklich gekommen. Gleich darauf begann der 2. Weltkrieg mit allen Grausamkeiten. Wenn die Flieger am Himmel tanzten und die Flag aus der Ferne hämmerte, verkroch sich der Alte in den Keller, hielt sich die Ohren zu und weinte in den Bart.

 

Seine Sehnsucht konnte er nicht bewältigen. Heim wandern, das war`s. Dort glaubte er, sei es stiller. Aber es galt aus zuhalten, bis die Waffen schwiegen.

 

Von seiner Rente gab er der Bäuerin einen Teil, weil er gut versorgt war, das andere tat er schön beiseite, zur Heimfahrt, wie er immer schwärmte.

Dann nach sechs Jahren, als wieder einmal der Fön über die Alpen blies, wobei der letzte Schnee aus den Bergen vertrieb wurde, die Sonne am Himmel lachte, fuhr es dem alten Strolch durch alle Glieder. Der Krieg war aus, er wollte heimwärts .

Schnell, schnell zur Bahn. Sein Herz klopfte stürmisch, er konnte endlich fahren.

Der erste Weg galt dem Friedhof, wo seine Eltern, sowie sein ältester Sohn ruhten. Diese mußte er zuerst besuchen. Er hastete die Steinstufen hinauf, setzte sich dann verschnaufend auf den Grabhügel.

Der Grabstein, samt Inschrift und Bilder war schon verwittert. Efeu rankte an den Seiten hinauf.

Ach, seufzte der Heimkehrer, schwer war es solange in der Fremde. Nun bin ich da, ganz da, schrecklich müde, aber da.

Seine Augen starten unentwegt auf die drei Bilder, die hastende Welt verschwamm um ihn, sein Kopf fiel auf die Brust nieder, er war entschlummert.

Vielleicht nahm ihn seine Mutter auf die Arme und trug ihn, begleitet von Vater und Sohn, himmelwärts.

Sein Pilgerstab lehnte neben dem unsteten Wanderer, der Wind fächelte in seinen Silberlocken.

 

So fanden ihn vorbeigehende Menschen. Sie bekreuzigten sich und sagten:

Gott sei seiner Seele gnädig! Amen!


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