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Der Balkanrückzug

1944 - 45

 

Am 6. September in der Früh ging für mich eine erlebnisreiche Zeit zu Ende. In den verflossenen dreieinhalb Jahren war mir Sofia eine zweite Heimat geworden. Die Familie Beke, und die übrigen Freunde waren mir nicht gleichgültig und würden mir wohl unvergessen bleiben. Nun schlichen wir uns davon, wie Diebe in der Nacht.

In den Tagen zuvor waren an der bulgarischen Schwarzmeerküste deutsche Marinesoldaten, die sich aus Rumänien nach Bulgarien abgesetzt hatten, in Internierungslager gepfercht worden. Wie es der Sofioter 'Marinegruppe Süd' erging, oder ergangen war, da hatte ich keine Ahnung. Man sprach auch davon, daß die Heereseinheiten interniert worden seien. Wir waren es jedenfalls noch nicht. Das hatte seine Gründe. Zwischen dem bulgarischen Oberbefehlshaber der Luftwaffe, General Airanov, und unserem Missionschef Darries hatte sich über die Zeit eine echte Freundschaft entwickelt. Diese Freundschaft kam so weit zum Tragen, daß sich General Airanov mit Erfolg dem Vorhaben der neu gebildeten Regierung widersetzte, die deutschen Luftwaffenverbände ebenfalls zu internieren. Als Grund führte er an, daß sich gerade unsere Luftwaffe sehr erfolgreich bei der bulgarischen Landesverteidigung engagiert habe. Was wäre uns auch anderes übriggeblieben. Trotzdem, diese Argumentation verfehlte ihre Wirkung nicht. Wir blieben noch einige Tage ungeschoren.

Daß ich in diesen kritischen Tagen trotzdem noch einmal nach Pantscharevo gewandert bin, war schon mehr als überflüssig. Die Familie Hase hatte sich längst nach Deutschland abgesetzt. Ich wollte mich noch von einem Kneipenwirt verabschieden, was natürlich überaus wichtig war. Das wäre mir aber um ein Haar schlecht bekommen. Ich saß den ganzen Abend über mit einem bulgarischen Obersten und einem Zivilisten an einem Tisch. Dabei stellte sich heraus, daß dieser Zivilist ein Richter war. Wir unterhielten uns in deutscher Sprache, was meinen Tischgenossen keine Schwierigkeiten bereitete. Wer es konnte, sprach gerne mit uns Deutsch, um sich in dieser Sprache zu üben. Das war nicht zuletzt der Grund, warum wir uns nie ernsthaft mit der bulgarischen Sprache befaßt haben. Ich glaube, wir hätten im Nachthemd irgendwo einkehren können, um im Sofioter Dialekt eine Portion Bohnen zu bestellen. Die Antwort hätte immer und überall geheißen: 'Sofort mein Herr'. Was mögen wir eigentlich an uns gehabt haben, daß wir so unverwechselbar deutsch aussahen? Diese Frage stelle ich mir allerdings heute erst.

Ich kann mich erinnern, daß wir uns den ganzen Abend über recht angenehm unterhalten haben. Sie wollten ja immer wieder alles über Deutschland wissen, über das Deutschland, wie es einmal ausgesehen hatte. Leider hatte ich da nicht allzuviel anzubieten. Ich war in meiner Heimat nur bis Trier gekommen. Und auch das nur, weil in irgendeinem Jahr dort der 'Heilige Rock', das Gewand Christi, ausgestellt wurde. Trotzdem hatte ich den Eindruck, daß ich die beiden Herren einigermaßen unterhalten konnte. Und dann kam der 'Knackpunkt'. Der Richter fragte mich, wie lange ich schon in Bulgarien lebe. Ahnungslos sagte ich offen und unbefangen, daß ich mich seit Mai 1941 in Bulgarien aufhalte. Und dann war es passiert. Dreieinhalb Jahre sei ich nun schon in Bulgarien und ich erwartete von ihnen immer noch, daß sie sich mit mir in meiner Landessprache unterhielten. Aber das war erst der Anfang. Er warf mir alle Eigenschaften an den Kopf, die sich von dieser Feststellung ableiten ließen. Die Situation wurde so unangenehm, daß mein Oberst sich ganz entschieden diesen Ton verbat. Damit war natürlich die Stimmung dahin. Ich habe mich daraufhin schnell verabschiedet und mich in Richtung Simeonovo in Marsch gesetzt. Bulgarisches Militär, das diese Auseinandersetzung verfolgt hatte, erinnerte sich daran, daß wir uns ja längst hinter sicherem Stacheldraht befinden müßten. Nicht jeder wußte von den deutsch-bulgarischen Absprachen, was unsere Luftwaffe betraf. Während ich mich also eiligst auf den Weg nach Simeonovo machte, schossen diese bulgarischen Soldaten ebenso eifrig hinter mir her. Aber es war dunkel. Das half mir erst einmal, von Pantscharevo fortzukommen. Auf dem nächtlichen Wege nach Simeonovo wurde ich immer wieder von Schäferhunden angegriffen, weil gerade auf dieser Strecke beachtliche Schafherden eingegattert waren. Vor diesen Hunden hatte ich mehr Angst als vor übereifrigen Bulgaren. Mir ist nichts Besseres eingefallen, als mit meiner Pistole ziellos aber heftig um mich zu ballern. Was mich am Ende außer Gefecht gesetzt hat, das waren weder die Hunde noch die übereifrigen Bulgaren. Ich muß wohl wieder einmal zuviel getrunken haben. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als ich in einem 'Spanischen Reiter' liegend erwachte. Ich hatte mir den linken Oberschenkel mehrfach aufgerissen. Später, in meiner jugoslawischen Gefangenschaft, hatten die Partisanen immer ihre Freude daran, wenn ich ihnen erklärte, daß mir diese Schmisse von ihren Leuten beigebracht worden seien. - Das war dann aber auch mein allerletztes Erlebnis, was im Zusammenhang mit meiner Sofioter Zeit noch anzuführen wäre.

Am sechsten September also, Punkt drei Uhr in der Früh, erhielten alle Luftwaffenverbände, die in Bulgarien stationiert waren, Anweisung, eine Stunde später, also in der Früh um vier, mit allem Gepäck auf den verfügbaren Fahrzeugen aufzusitzen. Kurz vor dieser Zeit ließ Darries die Sirenen zum Fliegeralarm aufheulen. Was dann aber am Horizont erschien, waren unsere Transportmaschinen und Lastensegler. Es war vereinbart worden, daß wir dieses Fluggerät und alle Gerätschaften überhaupt den bulgarischen Streitkräften übergeben sollten. Während unsere bulgarischen Freunde mit aller Hast die unterirdischen Stollen unserer Luftschutzeinrichtungen aufsuchten, drehte man bei uns den Zündschlüssel. Ich hege keinen Zweifel, daß dieses Theater mit General Airanov abgesprochen war. Zwei Tage später lebte er nicht mehr.

Unser Auszug aus Bulgarien gestaltete sich in Sofia zu einer regelrechten Tragödie. Die Sofioter Bevölkerung säumte links und rechts die Straßen und weinte. Sie weinte gewiß nicht unseretwegen. Sie jammerte und weinte, weil sie ungefähr erahnte, was in den nächsten Tagen auf sie zukommen würde. Über dieses grausame Schlachten, das dann in jenen Tagen begann, wird man einmal berichten, wenn meine Bulgaren von ihrer Befreiung wieder befreit worden sind.

Hitler, so glaubten wir damals, wollte gewiß keine Weltrevolution der Arbeiterklasse, wie etwa die Kommunisten. Er wollte wohl vordergründig die Rückgewinnung der durch das Versailler Diktat herbeigeführten Gebietsverluste erreichen. Ostwärts gewiß auch noch einiges mehr, um später als der Begründer einer Weltmacht 'Großdeutschland' in die Geschichte einzugehen. Bei König Boris'III müssen ähnliche Träume eine Rolle gespielt haben. Er hatte sich, mit Hitlers Rückendeckung, jugoslawisch Mazedonien und die Dobrutscha einverleibt.

Alles das war mittlerweile ausgeträumt. Das gleiche galt wohl auch für Hitler und seine Heeresleitung. Wir, die Soldaten, wollten dabei wenigstens überleben. In welch anderen Kategorien hätte ein Soldat überall in der Welt denken und unterscheiden können? Es fiel nicht schwer, sich für das Leben zu entscheiden.

Oberstleutnant Darries hatte unsere 'Marschkolonne' so organisiert, daß an der Spitze und am Schluß unsere Flugabwehrbatterien rollten. Das waren unsere allgemein gefürchteten 8,8-Geschütze und unsere Vierlings-Flak (Flak = Flug-abwehrkanone). Mit dieser Marschordnung waren wir im Augenblick nahezu unverwundbar.

An diesem ersten Tag schafften wir es bis Niška-Banja (sprich Nischka). Wie weit wird das gewesen sein? Es waren etwa hundertfünfzig Kilometer. Angesichts der eineinhalb Tausend, die wir bis zur deutschen Reichsgrenze zurückzulegen hatten, war das nicht berauschend. Unterwegs war mir 'Dschurdschu', mein wachsamer Rehpinscher, durch die Lappen gegangen. Er wollte wohl in Bulgarien bleiben. Unsere Probleme waren zu diesem Zeitpunkt noch so unbedeutend, daß ich um meinen kleinen Freund von Herzen traurig sein konnte. Aber was soll's, es war seine Entscheidung.

In Niška-Banja richteten wir uns zwischen ausgedehnten Weinfeldern zum Übernachten ein. Das waren die ersten Muskatellertrauben, die ich in meinem Leben gegessen habe. Das war überhaupt das erste Mal, daß ich solch eine Menge Trauben auf einen Schlag vertilgt habe. Sogar, wenn ich mal aus der Hose mußte, hielt ich mich an einem dieser Weinstöcke fest. Wenn ich wieder in die Hose stieg, war dieser Weinstock abgeerntet.

Unser Chef hatte unserer Vierlingsflak Sitzbereitschaft verordnet. Da saß also immer jemand im Sattel und wartete darauf, daß etwas passieren könnte. Unser Chef hat ganz recht damit getan. Der momentane Nachfolger von General Airanov hatte gleich eine Jagdstaffel deutscher Herkunft hinter uns hergeschickt. Jetzt lagen sie wohl allesamt abgeschossen in den Weinfeldern von Niška-Banja. Diese bulgarischen Jagdverbände waren bis vor Tagen von einem deutschen Major Kühle angeführt worden. Es waren also seine Staffelkameraden von vorgestern, die hier ihren letzten Einsatz geflogen waren. Man dachte am besten nicht darüber nach.

Nachdem es an diesem Abend dunkel geworden war, gab es urplötzlich eine wilde Schießerei. Na dachte ich mir, hier hältst du dich heraus. Am Rande eines mickrigen Eichenwäldchens hatten sich diese Turbulenzen entfacht. Gut, wie wir doch zu sein schienen, hatten wir diesen nächtlichen Angriff abgewehrt. Erst am Morgen stellten wir fest, daß hier Luftwaffe und Marine miteinander 'gekämpft' hatten. Wir hatten auf beiden Seiten keine Verluste zu beklagen. Es sah also ganz so aus, daß Gott doch immer noch mit uns war, wie es auf den Koppelschlössern des Heeres zu lesen stand.

Ehe wir am folgenden Morgen weiterziehen konnten, erschien irgend so ein Heeresgeneral, der über alle unsere Flugabwehr-Batterien, die gesamte Stabskompanie und einige unserer Nachrichtenleute verfügte. Für diese Kameraden war unser eben erst begonnener Rückzug bereits zu Ende. Sie zogen wenige Stunden später wieder nach Süden. Tagesziel war das hundertzwanzig Kilometer entfernte Pristina, die Hauptstadt der Provinz Kosovo. Zu den abgestellten Nachrichtenleuten gehörte mein Uffz. Mayer aus Neukölln und mein Zimmergenosse aus dem Hotel Koop, Karl (Kalle) Busch.

Als wir hernach etwa dreißig Kilometer in Richtung Aleksinac vorangekommen waren, bekamen wir aber 'Dunst', der nicht von der Marine kam. Ein reich dekorierter Krieger von der 'Transportsicherung' meinte:

"Jungs, seht zu, daß ihr möglichst schnell von hier wegkommt. Da drüben haben wir es mit Weibern zu tun. So viel Angst, wie im Augenblick, habe ich während des ganzen Rußlandfeldzuges nicht gehabt."

"Und wieso?"

"Glaub mir, wenn die dich erwischen, kennt dich hinterher kein Mensch mehr wieder."

Nun ja, wir wollten eh hier keine Wurzeln schlagen. Über Smederevo sind wir an diesem Tag bis nach Weißkirchen im Banat gekommen. Das waren immerhin ein wenig mehr als zweihundert Kilometer.

So deutsch wie der Ortsname, waren auch alle Straßenbezeichnungen. Das löste ganz eigenartige Gefühle aus. Waren wir doch auf dem Wege, die Heimat, deutschen Boden wieder zu erreichen. Da standen wir nun mitten auf dem 'Kirchplatz', das 'Rathaus' zur Linken und die 'Alte Post', wo es nie Briefmarken zu kaufen gab. Nun gab es aber hier auch nichts anderes mehr. Die volksdeutschen Familien waren fast alle in die Heimat ihrer Vorfahren, ins Schwabenland aufgebrochen. Dadurch wirkte dieses so hoffnungsvolle Bild wie eine Theaterkulisse zwischen zwei Vorstellungen. Die Bewohner, die hier verblieben waren, rekrutierten sich überwiegend aus den 'Mischehen' zwischen Deutschen und Serben oder auch Deutschen und Tschechen, da sich etwa zehn Kilometer entfernt ein tschechisches Dorf befand, das bis auf den heutigen Tag 'Tschesko Selo' heißt. Selbstverständlich waren auch rein volksdeutsche Familien hier verblieben. Aber das waren überwiegend alte Leute, die ihr Leben eigentlich schon hinter sich hatten und irgendwann in der Nachbarschaft ihrer Eltern auf diesem Friedhof ihre letzte Ruhe finden wollten. Daß es hier mit der Ruhe bald vorbei sein würde, das ahnten sie wohl, aber was wollte und konnte man ihnen noch antun? Sie hatten ihre Söhne und Töchter oft genug vor den Folgen gewarnt, die eine übertriebene Volkstümelei bei den serbischen und tschechischen Nachbarn heraufbeschwören könnte. Gewußt hatten sie es ja auch nicht, aber ihre Lebenserfahrung und ihr lebenslanger Umgang mit anderen ethnischen Gruppen hatte sie gelehrt, daß nur ein friedliches Nebeneinander auf die Dauer erträglich sei; ganz zu schweigen von den leidenschaftlichen Aufrufen ihres deutschstämmigen Ortspfarrers zu friedlicher und achtbarer Nachbarschaft. Dabei waren die Serben ja nicht einmal katholischen Glaubens. Aber was hatte das zu bedeuten, ob römisch oder orthodox, ihr Gott und 'Sohn des himmlischen Vaters' war ein und derselbe Jesus Christus, auf den sich beide Glaubensrichtungen begründeten. Inzwischen wußten sie es alle: Diese aufgesetzte Begeisterung hatte aus ihrem Ort eine Stätte entstehen lassen, die an eine verlassene Goldgräberstadt im wilden Westen erinnerte. Das alles besagt, daß wir hier in Weißkirchen keinerlei Quartierprobleme hatten. Wir konnten uns die Häuser aussuchen.

Jawohl, 'aussuchen', da wären wir doch schon wieder beim Thema. So wie in Niška Banja erschien gleich am nächsten Tag wieder ein General. Diesmal war er von der Luftwaffe. Wo auf einmal alle diese Generäle herkamen!? Er warb für die Fallschirmjäger. Es gab zu dieser Zeit, Gott sei Dank, noch Entscheidungen, die unserer Freiwilligkeit anheimgestellt waren. Fallschirmjäger, das hörte sich nicht gut an. Nach dem Kriege vielleicht, da hätte man darüber reden können. Trotzdem war diese Überlegung recht kurzsichtig.

Aber so etwas stellt sich ja immer erst nachher heraus. Hätte ich mich freiwillig gemeldet, wäre ich fast vier Jahre früher nach Hause, zu meinen Eltern und zu meinem Schätzchen gekommen. Aber mit dieser Absicht meldet man sich nicht zu den Fallschirmjägern. Trotz seines leidenschaftlichen Aufrufs zur äußersten Anstrengung für die Sicherung unseres Endsieges, fand er keinen einzigen, der ein Fallschirmjäger werden wollte.

Hernach erschien ein Stabsoffizier, der uns nicht minder scharf ins Auge faßte. Der aber warb nicht um Freiwillige. Der suchte sich seine Leute ganz einfach aus, wie auf einer Bekleidungskammer. Er brauchte ein Dutzend Nachrichtenleute, von denen einer ein Unterführer sein sollte. Ich komme darauf zu sprechen, weil ich am Ende einer von diesen Nachrichtenleuten war. Ich war vorher und später nie ein Neidhammel. Trotzdem war es gut für mich, daß ich erst lange nach dem Kriege erfahren habe. was aus dem Rest meiner Einheit geworden ist. Man soll's nicht glauben: Sie zogen, von weiteren Generälen und Stabsoffizieren völlig unbehelligt, weit über Deutschland hinaus, bis nach Norwegen. Da soll es zu dieser Zeit noch die meisten Kalorien gegeben haben. Aber das war es letztendlich nicht einmal. Die deutsche Unterschrift unter die bedingungslose Kapitulation war noch nicht trocken, da befanden sich meine Kameraden bereits auf dem Wege zu ihren Eltern, Liebsten und alles was dazu gehörte. Zum Glück habe ich das damals nicht gewußt.

Wir aber hatten ja wohl immer noch diesen Krieg zu gewinnen. Zweifel waren da völlig unangebracht. Wo hätte man sonst seinen Mut hernehmen sollen, sich wider alle Vernunft weiterhin tapfer mit dem Gegner auseinanderzusetzen. Aber genau hier liegt der Trugschluß. Wir waren nicht etwa tapfer, weil wir diesen verdammten Krieg noch gewinnen wollten. Wir haben uns verbissen zur Wehr gesetzt, weil wir nicht irgendwo mit durchschnittener Kehle, mit demoliertem Gesicht oder eingeschlagenem Schädel verscharrt werden wollten. Wir waren noch jung. Wir wollten nichts weiter, als überleben.

In Weißkirchen wurde eine ganz neue, kampfstarke Einheit zusammengestellt, die unter 'Alarmbataillon' firmierte. Hier ist mir dieser Begriff eigentlich zum ersten Mal begegnet. So recht verstanden habe ich die Funktionen einer so benannten Kampfeinheit nie.

Ein Bataillon hat seinen Bataillonsstab, seinen Bataillonsgefechtsstand, seine Bataillonsversorgungseinrichtungen. Alles das wurde nunmehr hier in Weißkirchen installiert. Der Bataillonskommandeur war ein Hauptmann der Luftwaffe. Ein im Pulverdampf ergrauter Heeresoffizier wäre mir in dieser Situation bedeutend sympathischer gewesen. Aber das war's ja. Wir konnten uns nichts aussuchen.

Nachdem allenthalben wieder Ordnung herrschte, bekamen wir Befehl, zu dem dreißig Kilometer entfernten Oravita vorzugehen. Oravita lag in Rumänien. Da wollten wir doch gar nicht hin. So ganz allmählich begriffen wir, daß es nicht die erklärte Absicht war, uns möglichst schnell auf deutschen Boden zurückzuführen. Wir sollten in unseren zugewiesenen Stellungen einen Rückzug sichern helfen, wie es den in diesem zweiten Weltkrieg bis dahin nicht gegeben hat. Also konnten wir alle Verabredungen in der Heimat absagen.

Oravita schien wohl als eine Kreisstadt zu fungieren. Wir kamen zu dieser Erkenntnis, als wir das prächtigste Gebäude dieser Stadt inspizierten. Wir fanden, daß wir hier erst einmal Quartier beziehen sollten. Es waren erst Stunden nach dieser Quartierbelegung vergangen, als die Rote Armee dieses Oravita unter heftigen Granatwerferbeschuß nahm.

Eine Frau, die nur die Straße überqueren wollte, wurde von solch einer Granate tödlich getroffen. Nun lag sie regungslos mitten auf der Straße. Sie war die erste Tote, die ich auf diesem Rückzug gesehen habe.

Nach Oravita umzuziehen, nur um ein komfortables Stadthaus zu beziehen, das war natürlich nicht die Absicht unseres Bataillonsstabes. Unser erster Auftrag lautete, die Russen aus dem nahegelegenen Steierdorf/Anina hinauszuwerfen. Wir von der Luftwaffe wußten überhaupt nicht, wie man das anstellt. Ich liege wohl nicht weit daneben, wenn ich annehme, daß unser LW-Bataillonskommandeur das so genau auch nicht gewußt hat. Diese Betrachtungen halfen uns in diesem Augenblick nicht weiter. Die Russen hatten sich auf einem Hügelgelände eingerichtet und wären auch gerne dort geblieben. Jetzt sollten wir sie aus ihren Stellungen verjagen. Der Himmel möge uns beistehen, daß wir das schafften. Der Himmel stand uns bei. Zwei Feldwebel des Heeres hatten unsere qualvollen Beratungen belustigt verfolgt. Das einzige, womit wir bei den beiden Eindruck machten, das war unsere Bewaffnung. Unser mickeriger Haufen war mit zwei Maschinengewehren ausgerüstet, die vom Feinsten waren, wenn man das einmal so sagen darf. Außerdem waren wir mit Schießbechern ausgerüstet. Diese wurden vorne auf den Gewehrlauf geschnallt. Mit einer Platzpatrone schoß man dann eine Gewehrgranate aus diesem Becher, die schon einiges anrichten konnte. Also boten sich diese beiden Männer vom Heer an, sich mit uns gemeinsam die Situation da oben einmal 'anzuschauen'. Der eine hing sich ein MG mit seinem Tragriemen über die Schulter und schoß munter so quasi aus der Hüfte heraus. Zwei von unseren Leuten liefen neben ihm her, weil sie die Munitionskästen trugen. Der andere schoß mit unseren Gewehrgranaten exakt auf den Mann. Man durfte gar nicht hinschauen. Mit lautem Gebrüll, mit 'Russki kaputt' und was sonst noch, hatten wir etwa nach einer viertel Stunde diesen Hügel oben erreicht. Als wir angekommen waren, hatten wir das alles noch nicht so recht begriffen. Wir waren durch den kaum behinderten Schnellauf auf den Hügel klatschnaß geschwitzt und die Zunge hing uns zum Halse heraus.

Da oben stand ein einsames Gehöft. Dessen Bewohner, ein noch relativ junges Ehepaar, liefen uns entgegen. Er trug auf seinem Arm ein Kind, das einen Granatsplitter in die Hand bekommen hatte. Das Kind weinte vor Schmerz und vor dem Anblick der blutenden Wunde. Dieser Vater sagte uns, wo wir was in seinem Hause finden würden. Eine viertel Stunde später, einige der Russen geisterten noch hier durchs Gelände, buken die beiden Heeresfeldwebel seelenruhig Eierpfannkuchen, zu denen sie uns natürlich einluden. Eigentlich hatten wir uns diese Extraverpflegung kaum verdient.

Unser Einsatz hier in Steierdorf verfolgte den Zweck, das Vordringen der Roten Armee so lange aufzuhalten, bis die Kreisstadt Oravita evakuiert sei. Als wir uns wieder auf Oravita zurückzogen, stand dort am Bahnhof ein langer Personenzug unter Dampf, der von der Zivilbevölkerung nahezu gestürmt wurde. Ein Jeder hatte noch eilig so viel seiner Habe zusammengerafft, wie er eben tragen konnte. Das mußte jetzt alles in den Abteilen verstaut werden.

Wir setzten uns zügig weiter ab, um uns im Raume Weißkirchen in die Auffangstellungen einzuordnen. Unterwegs mußte ich immer wieder die Telefonmasten hochsteigen, um eine Sprechverbindung in den rückwärtigen Raum ausfindig zu machen. Wir waren noch nicht weit von Oravita entfernt, als ich hoch oben am Mast in meinen Steigeisen stand und alle Blankdrähte anzapfte. Aber da waren keinerlei Sprechverbindungen mehr herzustellen. Und während ich da oben meine Klemmen setzte und an meinem Feldfernsprecher kurbelte, dampfte, von Oravita kommend, jener Personenzug auf mich zu, dessen turbulente Beladung ich im Bahnhof einen Augenblick verfolgt hatte. Gott sei Dank! Dann hatte dieser Zug doch noch rechtzeitig ausfahren können.

Ich hätte etwas genauer hinschauen sollen. Dann wäre ich nicht in die Verlegenheit geraten, mich wirklich im allerletzten Augenblick vom Mast fallen zu lassen. Sie hatten mich vermutlich für einen Postangestellten gehalten, als mir die Russen vom Zug schon freundlich zuwinkten. Für die Post? Nein, da trug ich doch die falsche Uniform. Und damit sie das nicht auch noch merkten, machte ich einen Klimmzug, um die Eisen vom Mast zu lösen, dann die Beine breit, und schon lag ich mit meiner technischen Ausrüstung am Boden, zwischen Disteln und jungem Akazienanflug. Mein Absprung erwies sich als perfekt. Ich hatte mir nichts verknackst, verstaucht und auch nichts ramponiert. Was ich damals in Sofia unter dem Einfluss von 'Federweißen' rechtzeitig übt, funktioniert später im Ernstfall wie geschmiert.

In Weißkirchen wurde unserer Nachrichtenstaffel ein ominöses Zelt zugewiesen. Das war für uns etwas ganz Neues. Aber es gefiel uns. Unser alter Kumpel Baumgarten bot sich an, uns an den Tagen, an denen seine Mithilfe nicht unbedingt vonnöten sei, mit Kaffee und Schnittchen zu betreuen. Wir hatten gutes Brot, einwandfreie Butter und Wurstkonserven. Die Schnittchen mit Rotwurst und dick mit Zwiebelringen belegt, das war wohl ganz nach meinem Geschmack. Dabei hätte ich bis zu diesem Zeitpunkt für keine guten Worte rohen Zwiebel gegessen. Was man im Krieg so alles lernt.

Für mich tat sich in jenen Tagen ein ganz merkwürdiges Problem auf, was soweit führte, daß kein Mensch mehr mit mir ins Gelände ziehen wollte. War ich nicht mit unterwegs, dann passierte gewöhnlich nichts. War ich mit von der Partie, gerieten wir mit Sicherheit in die blödsinnigsten Situationen, die stets geeignet waren, uns Angst und Schrecken einzujagen. Zwei solcher Merkwürdigkeiten fallen mir gerade so ein. Ich sollte mit einem Kameraden vom Heer einen Bauchschußverwundeten zum nächsten Verbandsplatz überführen. Der arme Kerl lag in dem klapprigen Gefährt auf einer dicken Strohlage. Mein Begleiter verstand etwas von Pferden und führte somit die Zügel. Ich verstand absolut nichts von Pferd und Zügel. Dafür hatte ich, mit Brille allerdings, bessere Augen und ein wesentlich besseres Gehör.- Nein, was man damals alles zu den Soldaten eingezogen hat! -

Den russischen Tiefflieger, der plötzlich auf uns herunterstürzte, hatte er weder gehört noch gesehen. Ich habe also das Pferd am Zaumzeug gefaßt und bin mit Roß und Wagen durch einen flachen Graben in ein dürres Maisfeld getürmt. Unser Verwundeter hat bei diesem Ausbruch zwar schmerzhaft aufgeschrien, aber sonst war uns nichts passiert. Wir waren gerade vorsichtig auf die Straße zurückkutschiert, da wurden wir mit Maschinenwaffen beschossen. Diese verdammten Burschen verwendeten sogar Leuchtspurmunition. Also ging es wieder rechts ab ins Maisfeld. Eine Gruppe Partisanen hatte ganz zufällig unsere Wege gekreuzt. Was man uns da vor die Füße ballerte, war weiter nichts als ein Feuerschutz, damit die Kameraden gefahrlos die Straße überqueren konnten. Von uns hatten sie gewiß nichts zu befürchten, aber wie das in Kriegszeiten so ist. Es waren keine zehn Minuten vergangen, als uns unser Chef mit seinem Fahrzeug entgegenkam. Als wir ihm berichteten, was uns gerade erst widerfahren war, meinte er, daß wir doch wohl ein wenig spinnen. - Was soll's.

Bei einer anderen Gelegenheit war ich mit meinen Nachrichtenkollegen unterwegs, um bestehende Leitungswege auf ihre Verwendbarkeit zu überprüfen. Wenn man noch eine intakte Verbindung ausmachen konnte, brauchte man keine neue zu bauen. Da, wo wir uns aufhielten, konnte eigentlich überhaupt nichts passieren. Eigentlich, wenn man davon absah, daß sich justament hoch über uns einer unserer recht selten gewordenen Jäger mit einer russischen Rata herumbalgte. Ein Großteil der Munition die sie dabei verschossen, ging ausgerechnet da zu Boden, wo wir unserer Pflicht nachzugehen bemüht waren. Wir pflanzten uns also in die erstbeste Deckung, obwohl wir mit dieser fliegerischen Sportveranstaltung gar nichts zu tun hatten. Nachdem sich solche und ähnlich gefährliche Vorgänge nun schon mehrmals in meiner Anwesenheit wiederholt hatten, fragte man mich, ob ich nicht für die nächste Zeit die Rotwurststullen mit Zwiebeln vorbereiten wolle. Nein, ich mochte nicht. Wenn das wirklich zutraf, was man meiner Anwesenheit andichtete, dann hätte unter Garantie unser feudales Zelt einen Volltreffer bekommen.

In den folgenden Tagen zogen wir uns etappenweise über Pancevo auf Belgrad zurück. Hier in Belgrad war alles ruhig. Nichts deutete darauf hin, daß sich in den nächsten Tagen bedeutsame Dinge ereignen könnten. Bedeutsam wurde es dann am 13.Oktober, der außerdem ein Freitag war. Man schickte uns nach Süden, dem Avala zu. Hier sollten wir der Ersten Gebirgsjägerdivision entgegenkommen, die sich in größter Bedrängnis befand. Sie hatte, was weiß ich wo, dringend Munition angefordert. Was man vermutlich in Containern über ihnen abwarf, das war Munition, die nur in italienischen Waffensystemen verwendet werden konnte.

Das war nun so ein exemplarisches Beispiel von Sabotage, worüber Jahrzehnte später Marxisten, Kommunisten, die Antifaschisten insgesamt, voller Stolz in unseren TV-Medien berichten durften. Allein diese Untat hat mindestens fünfundzwanzigtausend Soldaten das Leben gekostet. Im Bereich der Topcider Kaserne und auf der 'Zigeunerinsel' wurden sie binnen einer Woche mit Genickschuß in die Grube befördert. Ich schließe nicht aus, daß sogar eines meiner eigenen Kinder mir in ahnungslosem Zynismus entgegenhalten könnte: Nun ja, Vergleichbares habt 'ihr' ja auch gemacht. Wir, die wir durch diese Hölle hindurch mußten, hätten wahrlich Besseres verdient. Den Jugendlichen aber, die zeitlebens an der Anständigkeit und Aufrichtigkeit ihrer Väter zweifeln mußten, ist darüber die Fähigkeit zu tragfähigem Vertrauen abhanden gekommen.

Ich hatte später in meiner Kriegsgefangenschaft Gelegenheit, über diese Vorgänge Näheres und Genaues zu erfahren. Doch läßt sich das aus zweiter Hand nicht erzählen. Gewünscht hätte ich mir, daß diese Saboteure wenigstens die Gruben für dieses Massaker hätten ausheben müssen. Der jugoslawische Kommissar, der diese Erschießungen leitete, ist nach übereinstimmenden Aussagen darüber verrückt geworden. Russische Offiziere haben diesem grausamen Spiel ein Ende bereitet, nachdem  keine hundert Mann mehr am Leben waren. Der besagte Kommissar muß in den Folgetagen immer wieder mit Zigaretten, Schnaps, Brot und Speck bei dem kleinen Häuflein der Überlebenden erschienen sein. Dabei habe er oft wie ein kleines Kind geweint. Zeugen dieser Vorgänge begegnete ich im Belgrader Donaulager. Einer von ihnen war mit einem etwas mißlungenem Genickschuß noch aus der Grube gestiegen. Nachdem man diese Exekutionen abgeblasen hatte, wurde er gepflegt und behandelt. Der Austritt des Geschosses hatte eine große Narbe hinterlassen.

Die Probleme dieser Ersten Gebirgsjäger-Division waren überhaupt der Grund, warum wir bis zum bitteren Ende in die Straßenkämpfe verwickelt waren. Am Avala hatten wir mit diesen Kameraden noch einwandfreie Funkverbindung.

Auf diesem Wege erfuhren wir von ihren Munitionsproblemen. Der gepeilte Abstand betrug deutlich weniger als zehn Kilometer. Es waren also höchstens zwei Stunden Fußmarsch, der uns von unseren Kameraden trennte. Zwischen der Topcider Kaserne und dem Avala war dann aber auch plötzlich Schluß für uns. Unsere Luftwaffe bestand aus jeweils zwei Gruppen von Jägern und Sturzkampffliegern. Das war zu dieser Zeit schon eine ganze Menge. Unsere Jäger griffen mit hohem Munitionsaufwand die russischen Stellungen an. Da wir so dicht beieinanderlagen, schossen wir weiße Leuchtkugeln auf die russischen Stellungen zu. Was machten die Russen? Sie schossen ebenfalls weiße Leuchtkugeln ins rückwärtige Gebiet, wo nichts mehr anzugreifen war. Aber das war noch nicht alles. Vielleicht hundert Meter seitwärts stand der 'Kübelwagen' unseres Abschnittsgenerals. Wir versorgten ihn laufend mit Funknachrichten. In einer vorgezogenen Stellung befanden sich zwei Sturmgeschütze auf 'Tigerlafette'. Der 'Tiger' war unser schwerster und gleichzeitig beweglichster Panzer. Das Sturmgeschütz auf dem gleichen Fahrwerk besaß keinen Schwenkturm, sondern ein fest einzurichtendes Geschütz. Als uns eine russische Panzerspitze von ca. hundert T34 Panzern gemeldet wurde, hatten unsere Sturmgeschütze keine Chance. Sie starteten ihre Motoren und versuchten, sich so schnell
wie möglich in Richtung Belgrad abzusetzen. Unser Abschnittsgeneral hatte währenddessen Stuka-Unterstützung angefordert, um die russische Panzerspitze anzugreifen und vielleicht zeitweilig aufzuhalten. Was passierte? Als unsere Sturmgeschütze kurz vor den russischen Panzern auf die Topcider Kaserne zupreschten, stürzten unsere Stukas vom Himmel und zertrümmerten irrtümlich unsere Sturmgeschütze. Da diese sich in diesem Augenblick gerade auf den Generalsstandort zubewegten, bekam dieser Kübelwagen gleich seinen Segen mit. Den General traf ein Splitter, der ihm das ganze Kreuz aufriß. Er war sofort tot. Das war Freitag, der 13.Oktober 1944.

Mit knapper Not haben wir mit unserem Nachrichtenwagen das Stadtgebiet erreicht. Wir lagen alle flach auf dem Boden, während die Geschosse über unsere Köpfe pfiffen und die Planen zerfetzten. Ich weiß nicht, mit welchem Trick es unser Fahrer geschafft hat, heil bis zum Belgrader Bahnhof zu kommen. In Windeseile saßen wir ab und verteilten uns in die Häuser der Balkanska ulitza, die hinauf zum Hotel Moskva und zur Terasia führte. Unser Chef verteilte Panzerfäuste an uns, soviel wir schleppen konnten. Weiß der Teufel, wo er sie her hatte. Jedenfalls konnten wir uns mit dieser Bewaffnung die russischen Panzer vom Leibe halten. Wenn wir aus den Hauseingängen auf ganz kurze Entfernung auf diese Ungetüme anlegten, hatten diese Panzerbesatzungen keine Chance. Nach ganz kurzer Zeit waren alle Straßen, die vom Bahnhof zur Terasia (Terazije) führten, von abgeschossenen russischen Panzern blockiert.

Wir waren bis zu einer breiten Querstraße vorgedrungen, die sich heute 'Narodnog fronta' nennt. Weiter kamen wir erst einmal nicht, weil die Häuser der gegenüberliegenden Straßenfront von Scharfschützen besetzt waren. Bei einigen Fenstern hatte man diese flexiblen Jalousetten heruntergelassen und dann wieder auf Luke angezogen. Zwischen diese Lamellen hatten die Scharfschützen ihre Gewehrläufe geschoben und schossen gezielt auf alles, was sich bewegte.

Ich werde die Panzer-Grenadiere, einen Feldwebel und einen Obergefreiten, nicht vergessen. Sie hatten auf der Terasia einen russischen Panzer lahmgeschossen. Nun feuerte dieser wild um sich, so lange die Munition reichte. Als die beiden bei uns aufkreuzten, war uns völlig unverständlich, wie sie den Weg zu uns geschafft hatten. Der Feldwebel war in höchstem Maße aufgebracht. Auf der Terasia waren in einigen Schaufenstern unsere Rot-Kreuz-Schwestern und Nachrichtenhelferinnen splitternackt ausgestellt. Sie waren gefesselt, und als Zeichen ihrer Herkunft hatte man ihnen ihre Kopfbedeckungen aufgesetzt. Also waren auch noch Nachrichtenhelferinnen hier in Belgrad geblieben. Der Feldwebel tobte. Er fragte uns, ob wir an den langen Fensterfronten Scharfschützen ausgemacht hätten. Ja, einige dieser Fester konnten wir ihm mit Sicherheit benennen. Wir zeigten sie ihm. Dann waren die beiden auch schon wieder verschwunden. Jetzt erlebten wir schier Unglaubliches. Bei dieser Häuserfront stiegen ganz plötzlich unsere Panzerleute aus einer der Dachluken. Mit artistischem Geschick turnten sie über den Dachfirst bis hin zu dem fraglichen Haus. Dort zertrümmerten sie die Scheibe der Dachluke und verschwanden auf den Dachboden. Dann dauerte es eine Weile, bis die Jalousette des besagten Fensters hochgezogen wurde und einer oder gleich mehrere dieser Scharfschützen aus dem Fenster flogen. - Nach einer Weile tauchten unsere Panzerleute wieder bei uns auf:

"Habt ihr wieder einen Scharfschützen ausgemacht?"

"Na klar, dort drüben."

Und schon waren sie wieder verschwunden. Dieses grausame Spiel trieben die beiden fast den ganzen Tag über.

Das muß sich bei den Russen herumgesprochen haben. Tags darauf konnten wir diese Straße in Richtung Albanija-Hochhaus überqueren, wo wir uns dann zu sechs Mann zwischen der 'Kneza Mihaila' und der heutigen 'Kolarceva' einquartierten. Gleich vor uns hatten wir den heutigen 'Platz der Republik' mit seinem 'National Theater'. Es lag uns gleich gegenüber. Neben diesem Theater, an der Ecke zur 'Francuska', hatte ein russisches Panzerabwehrgeschütz (PAK) Stellung bezogen. Zur Geschützbedienung hatte sich auch ein Offizier gesellt, der uns ständig durchs Glas beäugte.

In der 'Kneza Mihaila' befand sich in unserer Höhe ein Kino. Wenn man dieses Kino betrat, war zur Linken eine großflächige Spiegelwand. Rechter Hand ging man eine Treppe hinunter und kam dann zur Kasse und zu den Glaskästen, hinter denen zu normalen Zeiten Bilder von Filmszenen ausgestellt wurden. Momentan liefen alle Filme außerhalb des Kinos. Warum ich das so genau beschreibe? Ja, vor dieser Spiegelwand verloren wir den ersten Kameraden. Da waren wir nur noch fünf. Was war geschehen? Unser Kumpel hatte festgestellt, daß man über diesen Spiegel das PAK-Geschütz und seine Bedienung bestens beobachten konnte. Was er nicht bedacht hatte: Die Russen konnten auch diesen Spiegel beobachten, ohne vielleicht zu wissen, daß dies überhaupt ein Spiegel war. Sie hatten unseren Mann entdeckt und zogen sogleich einen Schuß ab. Unser Mann stand dabei im toten Winkel. Und trotzdem. Es waren ihm eine Menge Glassplitter in den Bauch eingedrungen. Wir konnten ihn noch nach Semlin (Zemun) ins Lazarett transportieren lassen. Dort ist er aber an dieser Verwundung gestorben.

Zum Essenfassen mußten wir die 'Sremska' hoch zur heutigen 'Brankova Prizrenska' Die 'Sremska' war aber auf der ganzen Strecke von der russischen PAK einzusehen. An dieser Straße befand sich 'auf unserer Seite' ein großes Textil-Kaufhaus. Da hat diese PAK dann auch hineingehalten. Das Geschoß durchschlug alle Wände bis hinauf zu unserem Küchenbunker. Also stiegen wir fortan durch die Löcher und brauchten die Straße nicht mehr zu benutzen. Allerdings mußten wir dabei eine kurze Querstraße passieren, um in dieses Kaufhaus zu kommen. Auch diese Querstraße lag unter russischem Beschuß von der angrenzenden 'Kolarceva' her. Aber das war jetzt noch die einzige kritische Strecke, um zu unserem Stab zu gelangen.

Aus diesem Textilhaus hatten wir uns einen größeren Posten weißer und rosaroter Damenschlüpfer 'ausgeliehen'. Wenn wir so drei von dieser Sorte über jeden unserer Stiefel zogen, bewegten wir uns völlig geräuschlos durchs Gelände. In diesem Aufzug machten wir fortan unsere Hausbesuche bei den Russen oder Tito-Partisanen, um uns den zum Überleben notwendigen Respekt zu verschaffen. Wenn's dann bei unseren Nachbarn krachte, dann hatte das schon Wirkung. Wenn so in einer guten Stube eine Panzerfaust ausbrannte, dann war's hinterher mit Tapezieren allein nicht getan. Das hat die Russen sichtbar geärgert, was sich in einer der folgenden Nächte bewies.

Da bekamen wir ein mörderisches Granatwerferfeuer auf den Hut. Ich hatte neben dem Haus, ich glaube, an der 'Brandmauer' würde man bei uns sagen, in einem Kellerschacht Stellung bezogen. Dieser Schacht war (Gott sei Dank) so tief, daß ich nur noch mit dem Kopf herausschaute. Dieses Kellerloch war schon all die Tage meine Wachstation, wenn ich nicht anderswo eingeteilt war. Hier schlief ich mitunter sogar im Stehen. Wenn es dann einmal schepperte, war ich umgefallen und mit meinem Stahlhelm gegen die Hauswand gedonnert. Während ich dann mit dem Rücken noch die Wand herunter rutschte, blieb mir Gelegenheit, wieder aufzuwachen.

Jetzt, bei diesem Feuerzauber, war ich aber hellwach. Die Burschen hatten doch irgend etwas vor. Ich legte mir drei Stielhandgranaten auf das Mäuerchen vor meiner Nase. Die Schraubdeckel hatte ich entfernt, so daß die Schnüre zum Abziehen so quasi vor eben dieser  Nase baumelten. Und dann krachte es gewaltig. Etwa ein oder zwei Meter vor mir war eine Granate eingeschlagen. Von dem Leuchtblitz noch völlig geblendet, vernahm ich plötzlich ein leises Zischen. Mein Gott, waren das jetzt etwa meine Handgranaten? Ich war vor Schreck wie gelähmt. Nein sie waren es nicht. Die Granatsplitter, die kurz über meinem Kopf gegen die Hauswand geschlagen waren, kühlten sich zu meinen Füßen im Regenwasser ab.

Und dann mußte ich mal wieder Essen holen. Zusammen mit einem Kumpel natürlich. Bei der Küche gesellte sich ein Leutnant der LW zu uns, der mit uns nach vorne wollte, um sich dort einmal umzusehen. Da haben wir beide uns natürlich riesig 'gefreut', denn zu zweit konnte man die kritische Strecke noch einigermaßen sicher schaffen. Zu dritt war das schon nicht mehr so gut. Aber was soll's, Leutnant ist nun mal Leutnant. Also, auf ging‘s. Der Leutnant spurtete als erster zu dem Gebäude, in dem wir uns eingenistet hatten. Mein Kumpel, mit dem Kaffeekanister auf dem Rücken und Brot unter dem Arm, machte gleich hinterher. Da knallte es aber schon. -

Also ließ ich erst einmal ein Weilchen verstreichen. Es können zehn Minuten gewesen sein. Dann ging auch ich an den Start. - Es wäre alles gut gegangen, wenn wir nicht während der vorausgegangenen Nacht unter dem schon erwähnten Granatwerferfeuer gelegen hätten. In unserer Ruine hat uns das während der Nacht nichts ausgemacht. Aber jetzt. Die Granateinschläge hatten die Teerdecke der Straße zu kleinen Kratern aufblühen lassen. Und genau über so eine Erhebung stolperte ich und ging lang zu Boden. Den Inhalt der fünf Kochgeschirre hatte ich mit hocherhobenem Arm gerettet. Die Wurstkonserven unter meinem rechten Arm kullerten allerdings über die Straße. Ich rappelte mich auf und trat diese drei Dosen wie ein Fußballprofi hinter eine schützende Garagenreihe. Dann fielen auch schon die ersten Schüsse. Das war knapp.

Als ich ins Haus kam, lag mein Kumpel bäuchlings auf dem Tisch und streckte seinen nackten Hintern gegen die Decke. Der Schuß aus der 'Kolarceva' hatte nicht den Mann, sondern den Kaffeekanister getroffen. Einschuß-, Ausschuß, der brühheiße Kaffee war ihm aus beiden Löchern über den Hintern gelaufen. Das war jetzt rohes Fleisch. Was Verbandszeug betraf, so waren wir für das Notwendigste versorgt. Es dauerte also nicht lange, da trug unser Kollege eine aus Brandbinden und Mull kunstvoll gewirkte Windelhose. So haben wir ihn in der Nacht nach Semlin transportieren lassen. Er wird nicht daran gestorben sein.

Auf dem Hinterhof, zwischen unserer Bleibe und dem bereits erwähnten Kino, haben wir in einer der Nächte versucht, uns eine MG-Stellung auszubauen. Es ist nichts Rechtes daraus geworden, obwohl wir es an Fleiß und Arbeitseifer nicht fehlen ließen. Der Boden bestand aus angeschütteter Koksschlacke. So wie wir gruben, rieselte die trockne Schlacke von allen Seiten nach. Am Ende war es uns immerhin gelungen, eine Art Trichter auszuheben. Der aufgeschüttete Aushub bot zum Nationaltheater hin noch die wirksamste Deckung. Ich hatte mich in der Nacht auch redlich gemüht. Jetzt verschnaufte ich zusammen mit einem Unteroffizier (Uffz), der den ulkigen Namen Habenschaden trug. Wir nannten ihn 'Hascha'. Der Raum, in dem wir uns befanden, hatte sein Fenster zum Hof hinaus, wo wir jetzt unsere MG-Stellung installiert hatten. Diese Machinenwaffe war ein ausgebautes Flieger-MG. Es war sehr gut zu handhaben, aber sehr schmutzempfindlich. Nun ja, wenn es dort droben in den Lüften staubte, dann sah das ja etwas anders aus.

Wir wollten uns eben eine Frühstückstulle zurechtmachen. Hascha war gerade mit dem Öffnen einer Rotwurstdose beschäftigt, als ich, am Fenster stehend, direkt in das Gesicht eines Mongolen schaute. Mein Schrei "Hascha" genügte, daß wir uns beide momentan flach auf den Boden warfen. Dann krachte es auch schon. Uns beiden war nichts passiert. Die Splitter waren erst so ab ca. 40 - 50 cm aufwärts in die Wände gegangen, hatten dann aber gründlich den Putz heruntergeholt. Der Deckenputz war sogar mit der Lampe heruntergekommen. Als wir wieder hochkamen, konnten wir uns zuerst nicht verständigen. Wir waren völlig taub. Aber dann haben wir uns umgeschaut. Hatten unsere Leute am MG diesen Russen nicht bemerkt? Sie hatten, aber erst, als es krachte. Von diesem Schrecken wohl völlig durchgedreht, haben sie dann diesem Mongolen das ganze Magazin, hundertzwanzig Schuß, wenn ich mich recht erinnere, ins Kreuz gefeuert. So lag er nun unter unserem Fenster. Als wir ihn dort wegzogen, hatten wir den Eindruck, daß sein Oberkörper nur noch in den Hosenträgern hing.

Das mußten wir schon in der folgenden Nacht büßen. Ich war mit einem Kumpel ans MG eingeteilt. Rundum war es mucksmäuschenstill. Aber dann donnerte eine Granate direkt auf unsere Deckung, deren lose Asche durch die Gegend staubte. Ich merkte gleich, daß ich voller Blut war. Hals, Ärmel und die linke Hand waren blutüberströmt. Mein Gott, jetzt hatte es mich wohl erwischt. Schmerzen verspürte ich nicht. Aber das sei immer so. So hatte man es uns immer wieder erzählt. Aber dann hörte ich ein merkwürdiges Glucksen an meiner Seite. Meinem Kumpel hatte ein Splitter den Hals und seine Schlagader aufgerissen. All das Blut an meinem Körper war von ihm. Ich raffte mir meine Panzerfaust und rannte durch das Kaufhaus zu unserer Befehlsstelle. Unser Chef hatte einen kleinen Straßenbunker bezogen. Da hatte es gerade Platz für einen Stuhl und einen Tisch. Der Besucher durfte stehen. Und so stand ich auch da und hatte meine Panzerfaust auf seinem Tisch abgelegt. - Bis er brüllte:

"Schaffen Sie das Mistding 'raus!"

Im Licht der Lampe sah ich's dann auch. Die Panzerfaust hatte eine Menge Splitter abbekommen. Der Kopf war aufgespalten und das Rohr, in dem sich bereits die beiden Treibsätze befanden, war an mehreren Stellen durchlöchert. Also habe ich dieses Mistding in ein Kellerloch gesteckt. Ich habe nicht einmal gewagt, die Sprengsätze aus der Rohrkonstruktion zu nehmen. Nun ja, wenn Herr Hauptmann so reagierte, stand mir ja auch etwas Angst zu.

Jetzt waren wir nur noch zu viert. Wie wollten wir diese wichtige Stellung zum Theaterplatz hin mit nur vier Mann noch sichern? Das fragte sich unser Hauptmann wohl auch. Er ließ gleich einen Uffz. seine Klamotten packen, damit er mit mir nach vorne gehe. Außerdem begleiteten uns zwei Sanitäter, die neben ihrem Sanitätsdienst auch als unsere Suppen- und Kaffeekocher fungierten, um den toten Kameraden zu bergen.

Während wir uns alsdann gemeinsam durch das Textilhaus nach vorne machten, geriet ich doch heftig ins Grübeln. Wie hatte sich das jetzt abgespielt? Durch die Granate war mein Kumpel dicht links neben mir zu Tode gekommen, und wenn ich die Panzerfaust gewesen wäre, die gleich rechter Hand neben mir lag, hätte mir das auch gereicht.

Uffz.Kläsges, unser neuer Mann, wollte in der ersten Nacht partout nicht in das Loch hinein, wo sein Vorgänger sein Leben gelassen hatte. Nein, er nistete sich gleich neben dem Kino, von dem schon die Rede war, ein. Und in dieser ersten Nacht hatte er auch gleich seinen großen Erfolg. Was war geschehen?

Da dies auch wieder meine Nachtschicht war, steckte ich also ganz allein in der Koksschlacke. Dann fuhr ein LKW direkt vor meiner Nase auf und hielt an. Der Fahrer rief laut zur 'Kolarceva' hinüber und gab seinen Waffenbrüdern bekannt, daß er Munition geladen und in dieser Dunkelheit die Orientierung verloren habe. Ich weiß nicht, ob Uffz.Kläsges dies auch so verstanden hat. Er donnerte kurzerhand eine Panzerfaust auf dieses Vehikel und traf dabei exakt den Treibstofftank zwischen Fahrerkabine und Laderaum. Was dann passierte, brachte mich aber flott auf die Beine. Fahrer und Beifahrer lagen brennend auf der Straße, als dann die ganze Munition hoch ging; aber nicht etwa mit einem Mal. Nein, es krachte und zischte, donnerte und polterte bis in den frühen Morgen.

Hascha hat noch am selben Morgen aus dem Deckel einer Konservendose einen Orden fabriziert: Das Opel-Blitz-Vernichtungsabzeichen. Aber immerhin, ich hätte mich nicht getraut, auf so kurze Entfernung auf eine so brisante Ladung zu ballern.

In der Nacht darauf verloren wir wieder einen Mann. Er hatte in dieser Nacht, aber auch die Tage zuvor, den Haupteingang zu sichern. Ob sich die Russen mittlerweile auch Damenschlüpfer über die Stiefel zogen? Jedenfalls hat unser Mann überhört, daß man ihm eine 'geballte Ladung' an die Haustür befestigt hatte. Eine geballte Ladung ist ein Kranz von Stielhandgranaten, die mit einem Draht zusammengebunden sind. Auch die Abzugsschnüre sind miteinander verbunden, so daß man den ganzen Kranz in einem Zug zünden kann.

Eine Dokumentationen über die Vorgänge in Belgrad wurde mir vom Bundesarchiv Freiburg am 20.Sept.1988 auf Anfrage zugeleitet, weil ich meinen eigenen Erinnerungen nicht mehr glauben mochte. Hier ein Auszug:

Herausgegeben von Professsor Dr. Erich Maschke,

Leiter der Wissenschaftlichen Kommission

für deutsche Kriegsgefangenengeschichte.

Seite 89:

Schon das Deutsche Friedensbüro Stuttgart hat in seiner Denkschrift über das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen in Jugoslawien aus dem Jahre 1949 festgestellt, die Partisanen hätten unter den Gefangenen ein "furchtbares Blutbad" angerichtet. Von etwa 30.000 Mann seien "nur wenige Hundert" am Leben geblieben. Über dem Schicksal der Kriegsgefangenen von Belgrad (Beograd) liegt eine Ungewißheit, die sich nicht völlig beseitigen läßt, weil die Augenzeugen für die Erschießungen meist selbst dieser Tragödie zum Opfer gefallen sind. Die Heimkehreraussagen stützen sich daher im wesentlichen auf Mitteilungen jugoslawischer Zivilisten und auf die Entdeckung von Massengräbern in und um Belgrad (Beograd). Sie sind jedoch so zahlreich und in ihren Hinweisen so auffallend übereinstimmend, daß kaum ein Zweifel am Umfang der Belgrader Ereignisse vom Oktober 1944 erlaubt ist.

16. Oktober bis 20.Oktober 1944 (Zeugenaussagen):

"Unzählige Kriegsgefangene und auch Volksdeutsche wurden in Belgrad während dieser Tage erschossen. ... Ich habe im Hof der Topcider-Kaserne, wo unser Lager war, vom Fenster aus mehrere Reihen Massengräber gesehen. Wenn Erschießungen stattfanden, durften wir uns an den Fenstern nicht blicken lassen." Ein anderer hat gehört, die deutschen Gebirgsjäger seien in die Panzergräben im Vorort von Topcider getrieben, dort erschossen und verscharrt worden. Mehrere andere haben von jugoslawischen Zivilisten gehört, daß 1944 etwa 25.000 bis 30.000 Mann erschossen worden sind.

Seite 90:

Wie mir ein jugoslawischer Augenzeuge vor meiner Entlassung erzählt hat, sollen bei der Einnahme Belgrads durch die Russen und Partisanen Hunderte von deutschen Nachrichtenhelferinnen und Soldaten auf spitzen Pfählen aufgespießt worden sein, ebenfalls Hunderte wurden als Zielscheiben aufgestellt und erschossen. Ein anderer Heimkehrer weiß aus Schilderungen von Kameraden, die bei dem betreffenden Vorfall selbst dabei gewesen seien, daß die Wehrmachtshelferinnen und Rotkreuz-Schwestern teilweise nackt in Schaufenster gestellt, später mit einem Boot auf die Donau hinausgeführt und dort ins Wasser geworfen worden sind.  Eine Rotkreuz-Schwester hat einem anderen Gewährsmann erzählt, bei der Einnahme Belgrads (Beograds) sei auf dem Hauptbahnhof ein vollbesetzter Lazarettzug "vollkommen mit Messern niedergemacht" worden.

*


In der Nacht zum 21.Oktober haben wir uns über die Savebrücke nach Semlin abgesetzt, nachdem es uns nicht mehr gelungen war, Funkkontakt mit der Ersten Gebirgsjäger-Division aufzunehmen. Nur drei Kilometer von meinem Standort entfernt, am 'Topcider Berg', war man seit Tagen dabei, diese Männer mit Genickschuß in die Grube zu befördern. Es waren etwa 20.000 bis 25.000.

Ich befand mich also bis zur letzten Stunde im Herzen Belgrads, zwischen dem Albanija Hochhaus und dem Theater, am heutigen 'Platz der Republik'. Von dem Gebäude, in dem ich mich damals mit weiteren fünf Mann festgebissen hatte, steht nichts mehr. Da stand damals schon nicht mehr viel. Heute befindet sich dort ein Café-Restaurant. Von diesen sechs Mann haben wir zu dritt dieses Drama überlebt.

Unser erbärmliches Häuflein von der Luftwaffe, dann Reste einer Panzergrenadiereinheit und Pioniere waren die letzten, die über die Save-Brücke Semlin erreichten. Wir hatten den Auftrag, die Brücke anschließend zu sprengen. Die Sprengung war von unseren Pionieren vorbereitet worden.

Wir haben noch in der Nacht auf den Höhen des Kalvarienberges neue Stellungen bezogen. Wir gruben uns also ein. Da wir keine Spaten besaßen, lockerten wir mit unseren Seitengewehren die Erde und hoben diese mit unseren Stahlhelmen aus. Als der Morgen aufzog, waren die von uns ausgehobenen Erdlöcher in der Lage, uns vollends Deckung zu geben. Während wir dies noch schweißgebadet feststellten und ausprobierten, stürmten die Russen und Partisanen mit lautem "Hurrää" auf uns zu. Aber wie konnte das möglich sein? Sie kamen aus der völlig falschen Richtung. Was war geschehen? Die Brückensprengung hatte nicht funktioniert. Ob da wieder jemand manipuliert hatte?

Nun rannten wir, was die Lungen hergaben, bis wir an den bewaldeten Hängen des Kalvarienberges etwas Deckung fanden. Die Russen nahmen uns unter höllisches Granatwerferfeuer. Zu dieser Zeit führte der russische Soldat einen Schanzspaten bei sich, den man mit einem Griff in einen Granatwerfer umfunktionieren konnte. Klappte man das Spatenblatt weg, dann bildete dieses die Bodenplatte. Der Spatenstiel war hohl und diente auf diese Weise als Geschützrohr. Die Russen hatten in ihrer Waffenausrüstung überhaupt mächtig aufgeholt. Allein die Tatsache, daß jeder von ihnen über eine Maschinenpistole verfügte, ließ uns beten, daß der Krieg bald zu Ende sein möge.

Über den Höhenzug des Kalvarienberges türmten wir zum Flugplatz Semlin. Hier mußte auf jeden Fall noch deutsches Militär liegen. Die Herren Kollegen waren gerade dabei, die Flugzeughangars, aus bestem deutschen Bunkerbeton, in die Luft zu sprengen. Ob das wirklich so wichtig war? Hätte ich damals gewußt, daß ich etwa ein Jahr später als Kriegsgefangener diese gewaltigen Betonbrocken mit Hammer und Meißel zertrümmern mußte, um die Eisenarmierung, die eingegossenen Eisenstäbe also, freizulegen, ich glaube, ich hätte beim Anblick dieser Zerstörung geweint.

Mit der Möglichkeit, daß uns die Russen schon wieder dicht auf den Versen waren, hatte niemand gerechnet. Das paßte absolut nicht in unseren Zeitplan, denn hier aus Semlin war noch eine Menge mehr oder weniger schwerverwundeter Soldaten auszufliegen. Was dann von unseren Leuten in Szene gesetzt wurde, ließ mich als tappiger Ersatzinfanterist wieder stolz auf meine Waffengattung blicken. Das Lazarett schaffte alle Verwundete so schnell es eben ging zum Flugplatz. Die hier stationierten JU-52 Transportmaschinen ließen bereits ihre Motoren warmlaufen, als die ersten Sankas, die Sanitätsfahrzeuge, am Flugfeld eintrafen. Aber es half alles nichts, die Russen waren vor ihnen da und hatten bereits an zwei Seiten des Flugfeldes  Stellung bezogen. Wie diese Rettungsaktion noch vonstatten gehen sollte, war mir ein Rätsel.

Ich konnte ja so unscheinbar auftreten, wie ich wollte, man fand immer sofort eine sinnvolle Beschäftigung für mich. Was konnte das anders sein als Strippen zu ziehen, Sprechleitungen zu unseren Artilleriestellungen. Wenn es allenthalben ratsam war, den Kopf einzuziehen, war das Verlegen von Leitungen alles andere als ein Vergnügen. Aber was soll's, dafür boten sich für uns oft genug andere Vorteile.

Was sich jetzt abspielte, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Dazu muß ich vorher etwas erklären. Unsere Artilleriestellungen auf dem Flugplatz, das waren ausschließlich 8,8cm-Flugabwehrgeschütze, deren ursprüngliche Aufgabe darin bestand, feindliche Flugzeuge vom Himmel zu holen. Die Flakstellungen verfügten über Meßgeräte, die recht zuverlässig die Flughöhe der gegnerischen Flugverbände bestimmen konnten. An der Flakmunition wurde dann diese Flughöhe am Sprengring eingestellt, und auf ging's. Hier am Flugfeld war die Situation insofern anders, als sich die abzuwehrenden Ziele nicht in der Luft, sondern auf dem Boden befanden. Das Prinzip blieb im Grunde dasselbe. Die Entfernung zum Gegner wurde vermessen und auf die Sprengringe übertragen. Man sprach dabei von 'hochgezogener Ladung'. Was dann geschah, wenn die Geschosse in etwa zwei Meter über dem Boden krepierten, war nichts für schwache Nerven. Die Wirkung dieser Abwehr war so vernichtend, daß alle unsere Verwundeten, wenn auch nicht seelenruhig, in die bereitstehenden Transportmaschinen verladen werden konnten. Als die Maschinen starteten, legte unsere Flak ein Sperrfeuer hin, da hätte sich keine Maus mehr aus ihrem Loch getraut. Das ist die wahnwitzige Logik eines jeden Krieges: Der Tod des einen ist das Leben des anderen. Was vielleicht am Rande noch zu erwähnen wäre: Ich lag mit meiner Kabelrolle etwa dreißig Meter vor den Geschützbatterien. Daß ich da nicht mein Gehör vollends verloren habe, grenzt fast schon an ein Wunder.

Die Umgebung von Belgrad war uns mittlerweile gründlich verleidet. Ob es uns anderorts viel besser ergehen würde, das blieb noch abzuwarten. Wir hatten inzwischen die Order, das Donaugebiet zwischen Vukovar und Neusatz (Novi Sad) zu sichern. Von Norden, aus Ungarn kommend, drängten starke Verbände der Roten Armee auf die Donau zu. Uns führte man über Indija, durch die Fruška Gora an die Donau, wo wir in Ilok einer zusammengewürfelten Einheit zugeteilt wurden, die sich 'Kampfgruppe Zimmermann' nannte.

Hier schien man doch tatsächlich überwintern zu wollen. Die Soldaten hatten große Gruben ausgehoben, so als wolle man nun einen soliden Keller fürs Eigenheim bauen. In diese Ausschachtungen hatte man dreistöckige Bettgestelle gebaut. In der Mitte waren bereits Kanonenöfen installiert. Die Abdeckungen bestanden aus einer Lage Baumstämme, darüber eine dicke Lage Astholz. Das Ganze wurde mit Mais-strohballen und letztendlich mit Erde abgedeckt.

Selbstverständlich wurden wir gleich in diese Schanzarbeiten einbezogen. Trotzdem hatte ich den Eindruck, daß wir in den Augen unserer neuen Kameraden eine Menge Arbeitsstunden im Rückstand blieben. Ich verspürte diese Aversion auf ganz merkwürdige Weise. Ich hatte während der Straßenkämpfe in Belgrad meine ganze Habe verloren. Was mir geblieben war, waren Brotbeutel, Kochgeschirr und Eßbesteck. Meine Uniform war noch komplett. Ich besaß sogar noch meinen LW-Mantel. Bei meinem Schuhzeug sah das anders aus. Da wir in Belgrad nicht mehr aus den Kleidern kamen, war ich, meinen armen Füßen zuliebe, in meine Halbschuhe gestiegen, die ich mir in Sofia hatte anfertigen lassen. In diesem leichten Schuhzeug sollte ich nun gegen die Rote Armee antreten? Ich bat den Bekleidungskämmerer, der ja soviel auch nicht mehr hatte, um ein Paar vernünftige Schuhe. Er empfahl mir Krawatte zu tragen. Sie passe zu meiner Luftwaffenuniform und damit zu meinen eleganten Schuhen. - Es war also nicht allein die Rote Armee, die uns nicht mochte.

Der Gefechtsstand der Kampfgruppe Zimmermann befand sich auf einem Höhenzug in zwei Bauernhäusern, deren Eingänge von der Donau her einzusehen waren. Also riß man einige Fachwerke aus den Rückwänden heraus, um ungesehen diese Gebäude begehen zu können. Ich war derweil auch nicht müßig und baute, in Halbschuhen, Sprechleitungen oder reparierte ausgefallene Nachrichtenverbindungen. Dabei schien es mir höchst verdächtig, wenn ich bei einem Durchruf ein freundlich, fröhliches "Hallo, Fritzi, Fritzi" vernahm. Nun ja, diese Burschen hatten also auch noch ihren Krieg zu gewinnen. Beruhigend wirkten solche Begrüßungen nicht; ganz einfach deshalb, weil ich da nachschauen mußte, was nun geboten war. Auf so einer Erkundung passierte mir doch tatsächlich, daß ich in einem unserer Schützengräben plötzlich russische Gesprächsfetzen auffing. Schützengräben sind, wer das nicht weiß, in weiten Zickzacklinie angelegt. Auf die Gefahr hin, daß dies jetzt sehr albern klingt: Ich dankte dem lieben Gott, daß ich mich, von den Russen unbemerkt, noch im 'Zick' befand, so daß ich sachte eine Handgranate nach 'Zack' hinüberlupfen konnte. Dabei war das mein Handwerk gar nicht.

Meine wirklichen Probleme lagen aber ganz woanders. In den engen Unterständen wurde ich während der Nacht durch so arge Koliken geplagt, daß ich nächtelang neben dem Kanonenofen saß und auf den Morgen wartete. Dieses Sodbrennen trieb mir oft das Letzte aus dem Magen, was soviel ja auch nicht war. Da mußte Rat geschaffen werden. Unser Truppenarzt war von der SS. Ja, hier war alles vertreten. Er war übrigens ein Mann, bei dem man sich bestens aufgehoben fühlte. Das war in meinem Falle vielleicht ein Fehler. Er überreichte mir einen gehäuften Eßlöffel Magnesium, den ich, im Vertrauen auf seine Kunst, widerspruchslos hinunterspülte. Es waren erst wenige Stunden vergangen, als ich bei meiner verantwortungsvollen Arbeit endlich einen befreienden Wind entfachen konnte. Es war kein Wind. Es war viel mehr. Meine Hose war so voll, wie man sich das nicht vorzustellen vermag. Das war und blieb für mich über lange Zeit ein Problem, das sich in dieser Situation kaum beschreiben läßt.

Die Rote Armee und, man mag es nicht glauben, bulgarische Einheiten, hatten während einer Nacht, jenseits der Donau, in Baška Palanka, die Ausgangsstellungen für einen Angriff bezogen. Während der ganzen Nacht waren am anderen Ufer Kettenfahrzeuge aufgefahren. Nicht, daß sie dabei etwa ihre Fahrlichter abgeblendet hätten. Diese aufgeblendeten Scheinwerfer galten wohl schon als das vorweggenommene "Hurrää" der stürmenden Infanterie am kommenden Morgen. Wir hatten die Hangstellungen bezogen, von wo wir die Vorbereitungen verfolgen konnten. Das einzig gute Gefühl, das uns der Dinge harren ließ, war die von den Pionieren beteuerte Gewißheit, daß das vor uns liegende Hanggelände so dicht vermint sei, daß die Russen in der Früh ihr blaues Wunder erleben würden. Nicht die Russen, wir erlebten dieses Wunder. Partisanen hatten während der letzten Nächte, von uns völlig unbemerkt, den gesamten Hang von Minen geräumt. Während die Rote Armee den Hang stürmte, hoben sie uns mit ihren Panzerabwehrkanonen, die sehr zutreffend 'Ratsch-Bum' genannt wurden, aus unseren Schutzgräben. Wir sind wenig später schon um unser Leben gelaufen. Dabei erlebte ich folgendes: Während wir mit letzten Kraftreserven einen Hang hoch rannten, schrie einer von uns plötzlich gellend auf und ließ sich zu Boden fallen. Was so richtige Infanteristen waren, die hatten für solche Situationen eine Zeltplane dabei. Diese Planen hatten eine Dreieckform. Also faßten wir zu dritt die Zipfel der Plane und schleppten unseren Verwundeten den steilen Hang hoch. Als wir oben aus dem Wald tretend einen Waldweg erreicht hatten, schoß eine russische Rata über unsere Köpfe hinweg. Sie konnte uns nicht bemerken, weil wir vielleicht fünf Sekunden zu spät dort eingetroffen waren. Und was machte unser Verwundeter? Er machte einen Satz aus der Zeltplane und hatte in Sekundenschnelle eine ausreichende Deckung gefunden. Von der Schlepperei stand mir hartgetrockneter Schaum vor dem Munde. Warum durfte ich diesem verdammten Kerl nicht eine vor den Hintern ballern?

Auf einer Waldlichtung sammelte Oberst Zimmermann die Reste seiner Kampfgruppe. Das war nicht viel, was da noch zu ihm gefunden hatte. In meiner Gefangenschaft erfuhr ich später, daß dieser Hohlweg, der aus dem Ort Ilok hinauf zu unseren Stellungen führte, den ganzen folgenden Winter über voller Leichen gelegen habe. Was Oberst Zimmermann verblieben war, das mögen vielleicht noch an die fünfzig Mann gewesen sein. Dazu waren etwa ein halbes Dutzend bespannter Fahrzeuge zu rechnen. Auf die landesüblichen Gespanne verluden wir alle Gerätschaften, vor allem unsere Funkgeräte, außerdem die noch zur Verfügung stehende Munition und Verpflegung.

Unsere motorisierten Fahrzeuge waren bei unserer Ankunft in Ilok mit dem Troß weitergezogen und befanden sich derzeit im vierzig Kilometer entfernten Vukovar.

Ich glaube, unser 'Kampfkommandant' Zimmermann hatte es auch nicht sonderlich mit der Luftwaffe. Nachdem er uns allen erst einmal 'die Lage' erläutert hatte, wußten wir wenigstens, daß wir rundum von russischen Kampfverbänden eingeschlossen waren. Dann traf er seine Dispositionen. Da die Gespanne überwiegend mit Nachrichtengerät beladen waren, sollten wir von den Luftnachrichten mit den Pferdefuhrwerken unser Glück versuchen. Er beabsichtigte mit dem Rest seiner Leute einen Ausbruch. In Calma würde er auf unsere Ankunft warten.

Na, war das ein Geschäft? Oberst Zimmermann hatte uns aber einen Feldwebel seiner Waffengattung zugeteilt, damit wir uns nicht ganz so verlassen fühlten. Dieser Feldwebel hatte die stärksten Nerven auch nicht. Der hätte nicht gleich Pfannkuchen eingerührt und gebacken. Trotzdem tat er fürs erste etwas sehr Vernünftiges, wenn das auch nicht sonderlich fein war. Er krapschte sich den erstbesten Zivilisten, der uns über den Weg kam, setzte ihn auf den Bock unseres ersten Fahrzeuges und erklärte ihm, daß wir auf irgendeine Weise diese Nacht noch nach Calma wollten. Als wir diesen wahnsinnigen Marsch begannen, waren wir vier Gespanne und eine 'I-Karrette'. Dieses 'I' wird wohl von der Infanterie herrühren. Karrette, das ist die gepflegte Bezeichnung für eine kleine Karre. Ihre Längen- und Seitenmaße waren exakt auf das Volumen unserer Munitionskästen abgestimmt. Diese 'I-Karrette' transportierte also unsere Munition.

Der liebe Gott war wohl wieder einmal mit uns armen Schweinen, obwohl wir Luftwaffenleute und auch die Kriegsmarine dieses 'Gott mit uns' nicht auf ihren Koppelschlössern stehen hatten. Göring wird's vergessen haben. Jedenfalls bewies uns der Verlauf dieser Nacht, daß der liebe Gott es auch mit den Koppelschlössern nicht so genau nimmt.

Auf dem Bock unseres ersten Fahrzeuges saß unser nervöser und mißtrauischer Feldwebel, der unserem Zivilisten, der sich gewiß auch nicht sonderlich wohl fühlte, seine Maschinenpistole auf die Rippen hielt. Bei diesem fast freundschaftlichen Einvernehmen wagten wir es, was wäre uns auch sonst noch geblieben, uns vorschriftsmäßig in die mehrstimmig singende russische Fahrkolonne einzuordnen. Nach etwa einer halben Stunde scherte unser Leitfahrzeug nach links aus. Man mußte schon höllisch aufpassen, daß man bei der herrschenden Dunkelheit den Anschluß nicht verpaßte. Die Russen waren uns los. Wir sie auch. Dann gestand unser Zivilist, daß er bei dieser Dunkelheit nicht mehr so recht wisse, wie es nun weitergehe. Nachdem sich dieser arme Hund uns gegenüber so verdient gemacht hatte, fuchtelte unser Feldwebel trotzdem bedrohlich mit seiner Maschinenpistole um sich. Es gelang uns, ihn zu beruhigen. Ich glaube, wir hätten ihn sonst erschlagen. Was wollten wir noch mehr. Wir waren dieser Einkesselung mit Mut und List entkommen. Dieses 'wir' stimmt nicht so ganz. Unsere 'I-Karrette' hatte unser Ausscheren verpaßt. Wo es sie in dieser finsteren Nacht hingeführt hat, das haben wir nie erfahren.

Unseren Zivilisten ließen wir laufen. Jetzt orientierten wir uns an den einzigen Lichtern, die wir in finsterer Ferne erblickten. Als wir diesen Ort erreichten, stellten wir fest, daß dies nicht Calma war. Wir hatten uns mächtig 'verfranzt', wie es bei der Luftwaffe hieß. Der Ort, in den wir einzogen, nannte sich Šid, was als Schid gesprochen wird. War das nun ein gutes oder ein schlechtes Omen. Es war trotz Schid und Scheiße ein gutes. Uns ist es in den folgenden vierundzwanzig Stunden zwar auch nicht gut ergangen. Oberst Zimmermann ist mit seinen Leuten in Calma eingetroffen. Daß dieser Ort längst von Partisanen, die von Belgrad nachgerückt waren, besetzt war, das hat er erst erfahren, als es für ihn und seine Leute kein Entrinnen mehr gab.

Dieses Calma konnten wir jetzt vergessen. So gab es für uns nur die eine Alternative, unserem Troß nachzureisen, wo wir auch unsere motorisierten Fahrzeuge wußten. Also auf nach Vukovar. Wir wollten auch schleunigst aus diesem Šid heraus. Irgendwie waren wir etwas menschenscheu geworden. War's ein Wunder?

Als sich das Licht des Morgens hob, entdeckten wir einen der üblichen Bauernhöfe. Ob er noch bewohnt war? Wir schauten nach. Nein, die ehemaligen Bewohner hatten Hab und Gut verlassen. Vermutlich waren es auch Bauern deutscher Abstammung, die nichts anderes mehr zu retten wußten als ihr Leben.

Beim Anblick der leerstehenden Räume und Stallungen mochten nicht einmal mehr die Pferde weiterziehen. Wir selbst waren so übernächtigt, daß wir kaum noch geradeaus schauen konnten. Also wurden die Pferde ausgespannt und versorgt. Dann legten auch wir uns zur Ruhe. Von meinem ganz persönlichen Problem war ja nun schon eine ganze Weile nicht mehr die Rede. Trotzdem bestand es weiterhin. So, wie man in Westernfilmen den schnellen Griff zum Colt überzeugend vorgeführt bekommt, so hielt ich meinen Hosenbund immer griffbereit. Wir hatten uns auch noch nicht lange zur Ruhe gelegt, da merkte ich, daß ich noch etwas zu erledigen hatte. So wie die schnatternden Gänse auf dem Capitol die Römer gewarnt oder gar gerettet haben sollen, so war's bei mir der Durchmarsch, ohne den wir allesamt aus diesem Bauernhaus nicht mehr herausgekommen wären. Und wie knapp das war! - Das, was mich so sehr bedrängte, wollte ich auf dem Misthaufen loswerden. Ich hatte mittlerweile meinen Hintern so wundgeschissen, daß es für mich fast nichts Schöneres mehr gab als diesen erwartungsvoll in den Wind zu hängen.

Und dann geschah's.- Was da vor meiner Nase krachend an der Lehmwand verspritzte, das war ganz ohne Zweifel russische MP-Munition, die von der ganz üblen Sorte. Auf deutscher Seite sind nie Explosivgeschosse zum Einsatz gekommen. Meines Wissens auch bei den westlichen Alliierten nicht.

Mein Hechtsprung vom Misthaufen beförderte mich für einen ganz kurzen Augenblick in einen toten Winkel. Mit drei oder vier Sprüngen hatte ich auch den Hauseingang erreicht. Die vor dem Eingang abgestellten Fahrzeuge boten mir vielleicht auch noch etwas Deckung.

Mit dem lauten Brüll "Raus hier! Russen!", brachte ich alle auf die Beine. Die Kollegen brauchten nur noch nach den Stiefeln, dem Koppel, Gewehr und Hut und Mantel zu greifen und auf ging's durch die rückwärtigen Fenster. Es wurde aber auch allerhöchste Zeit. Die Russen waren bereits in die Wirtschaftsküche eingedrungen. Es trennte uns nur noch die Tür zu unserem Schlafraum. Vielleicht haben wir kostbare Sekunden dadurch gewonnen, daß sie der Versuchung nicht widerstehen konnten, unsere Rucksäcke auszukippen. Aber da war ja nichts zu holen. Da wäre unser Verpflegungsfahrzeug schon interessanter gewesen, aber das hatte wohl solche Eile nicht. So, wie wir aus den Fenstern türmten, drangen die Russen in unseren Schlafraum ein. Es war wirklich eine Sache von Sekunden.

Jenseits der entlangführenden Straße lag ein unbebauter Acker, an den sich nach etwa fünfzig Meter ein dürres Maisfeld anschloß. Da lag unsere Chance. Aus den Augen, aus dem Visier. Aber da mußten wir erst einmal hinkommen. Der dunkle Boden war feucht und blieb momentan in dicken Klumpen an den Stiefeln haften. Es sage keiner etwas gegen Halbschuhe. Sie blieben gleich, automatisch gewissermaßen, in dem schweren Boden stecken, und die Socken folgten schon nach wenigen Sprüngen. Meine Naturbereifung erwies sich in dieser Situation als großer Vorteil. Ich habe zwar bei dieser panischen Flucht noch meinen Mantel ausgezogen und weggeworfen, aber ich bin unbestritten die beste Zeit gelaufen.

Das sichtschützende Maisfeld war erreicht. Wir hatten das Schlimmste ohne Verluste hinter uns gebracht. Dann raste wieder einmal so eine Rata auf uns zu, daß wir schon glaubten, jetzt ist es aus. Nein, für sie war's aus. Nach etwa hundert Metern bohrte sie sich mit der Nase in den gleichen Grund, in dem noch meine eleganten Schuhe und meine Socken steckten. Die nachfolgende Explosion brachte uns ungewollt von den Beinen.

Es hatte den Anschein, daß wir jetzt wohl gerettet waren, wenn auch um einiges ärmer. Aber was bedeutete in dieser Situation ein Wintermantel, wenn man sein Leben noch besaß. Und meine Halbschuhe, die konnte man mir jetzt nicht mehr als Göringschen Luxus vorhalten. Jetzt war ich barfuß. Und wie meine Füße aussahen!

Eigentlich hätten wir uns jetzt nach Tovarnik orientieren müssen, aber aus dieser Richtung kamen uns in nahezu wilder Flucht motorisierte Fahrzeuge aller Verwendung und Waffengattung entgegen. Der Russe war auch zwischen Vukovar und Baška Palanka durchgebrochen. Heute fuhr man nicht mehr nach Tovarnik. Eine mögliche Umgehung, die nächste zumindest, führte über Nijemci, Orolik nach Vinkovci. Der heute noch übliche Anhalterdaumen galt damals schon. Ich fand es unbegreiflich, daß meine Kameraden die erstbesten Fahrzeuge anhielten. Das konnte doch nie im Leben gutgehen. Nachdem ich an diesem Tage schon soviel Angst und Schrecken hinter mir hatte, wollte ich jetzt einigermaßen sichergehen. Dazu mußte man natürlich seinen Kopf gebrauchen. Es war doch sonnenklar, daß bei solch wilder Fluchtbewegung irgendwo die Feldgendarmerie bereitstand. Da wurden in Windeseile neue Kampfeinheiten zusammengestellt. Die erforderlichen Offiziere und Unterführer hatten diese 'Kettenhunde' gleich dabei. - Also hieß es Nerven und Ruhe bewahren.

Nach einer Weile kam ein Geländewagen mit anhängendem Pak-Geschütz daher. Daß eine Geschützbedienung samt Geschütz türmte, das konnte eigentlich nicht sein. Da mußte doch mit dem Geschütz etwas nicht stimmen. Jawohl, das war mein Taxi. Der Fahrer hielt gleich an, als ich mich barfuß auf die Straße stellte. Ob ich etwa zum Schuster wolle? Diese Panzergrenadiere waren auf keinen Fall umständlich. Sogleich luden sie mich ein, hinten auf der Rückbank Platz zu nehmen. Da ich so heruntergekommen aussah, fragte man mich, ob ich heute schon etwas gegessen habe. Nein, heute noch nicht. Ich sei noch nicht dazu gekommen. Der Fahrer griff unter seinen Sitz und reichte mir zwei 'Frontkämpferpäckchen'. Ich hatte von dieser Sonderverpflegung noch nie gehört. Wohl kannte ich die allgemein geschätzte 'Schoka-Cola', die runden Schokoladenscheiben aus der Blechdose, die es aber wohl nur bei der Luftwaffe gab. Dieses Frontkämpferpäckchen enthielt ein gesalzenes Hartgebäck, das mit Kümmel gewürzt war. Dann erinnere ich mich noch an eine gepreßte Feigenschnitte. Das war noch nicht alles, aber ich kann mich an weitere Einzelheiten nicht erinnern.

Ich hatte kaum einen Biß in das Hartgebäck und in die Feigenschnitte getan, da bekam ich wieder unwiderstehlichen Druck auf den Darm. Was blieb mir übrig, als die Kameraden zu bitten einmal wegzuschauen. Mit heruntergezogener Hose außen auf dem Trittbrett hängend, habe ich meiner Bedrängnis nachgegeben.

Wie recht ich hatte! Kurz vor Otok standen sie, unsere Kettenhunde, und sammelten das ganze Fluchtvolk wieder ein. Am Anfang eines Knüppeldammes war man bereits dabei in Marschordnung anzutreten und durchzuzählen. So schnell ging das. Meine Kameraden vorne rieten mir, mich auf dem Rücksitz so klein als möglich zu machen. Sie hätten einen Fahrbefehl nach Vinkovci zur Waffenmeisterei. Sie würden keinesfalls zurückgeschickt. So war es dann auch. Der Fahrer hob gelassen einen gefalteten Schein zwischen Zeige- und Mittelfinger hoch. Das war's dann auch schon. Nach kurzer Weiterfahrt erreichten wir Vinkovci. Ich mußte noch die zwanzig Kilometer weiter nach Vukovar, wo sich unser Troß befand. Aber einmal gut in Vinkovci angelangt, fand ich problemlos eine Möglichkeit zur Weiterfahrt.

In Vukovar beim Troß waren im Moment Nachrichtenleute wenig gefragt. Man zeigte mir einen Granatwerfer, erklärte mir, daß er aus Bodenplatte und dem eigentlichen Werfer bestand und wie man damit umzugehen pflegte. Schon Augenblicke später war das mein neuer Job.

Die Werferstellungen befanden sich unmittelbar am Donauufer in Erdlöchern versteckt. Jede Stellung verfügte über ein Meßfernrohr, damit man einmal die Vorgänge im Zielgebiet, aber auch die Bestimmung der Ladung ermitteln konnte. Man unterschied unter erster, zweiter und dritter Ladung, wobei die zweite und dritte Ladung aus zusätzlichen Treibsätzen bestanden. Das Rohrkaliber wird so etwa zwölf Zentimeter gewesen sein. Das waren also schon ganz schöne Brocken, die wir da auf die Reise schickten. In diesem Zusammenhang muß ich etwas offen gestehen. Mir war in letzter Zeit oft so übel mitgespielt worden, daß es mir jetzt regelrechte Freude bereitete, durch unser Fernrohr beim Einschlag der Granaten drüben die Puppen tanzen zu sehen. Drüben, das war wohl eine kleine Donauinsel, auf der die Russen sich bereits eingerichtet hatten. Mir hat das damals eine solche Befriedigung verschafft, daß diese Eindrücke nach Jahrzehnten in meinen Träumen wieder aufstiegen. Das wiederum hing mit meiner späteren Berufsarbeit zusammen. Ich hatte einen recht umfassenden Planungs- und Organisationsauftrag übernommen, mit dem ich mich bei allen Führungskräften nur unbeliebt machen konnte. Ich will nicht weiter darauf eingehen, aber ich bekam auch da von allen Seiten einen solchen Zunder, daß demgegenüber meine finstersten Kriegserlebnisse zu verblassen schienen. Man vergißt ja, Gott sei Dank, schnell. Und wenn es dann in meinen nächtlichen Alpträumen allzu haarig wurde, dann schoß ich, aus sicherer Deckung, wieder meine dicken Granaten in die Chefetagen hinein. Das brachte mir meine alte Fröhlichkeit wieder zurück.

Ich will nun nicht alle Stationen meines Rückzuges ansprechen. Wen sollte das interessieren? Trotzdem gab es da noch Geschehnisse, die für mich von großer Bedeutung waren. So wurden die kläglichen Reste meiner letzten Einheit in eine neue Kampfeinheit integriert, die in Vinkovci Stellung bezogen hatte. Hier war ich auch wieder als Nachrichtenmann eingesetzt. Ich hatte aber  ein Problem. Meine Brille war mir zerbrochen, und da brauchte ich unbedingt Ersatz. Als ich das meinem Kompanieführer antrug, fragte er mich, ob ich dafür Heimaturlaub beantragen wolle. Die Witze waren zu dieser Zeit auch schon ziemlich albern.

Das nächste Lazarett befand sich in dem etwa fünfundsiebzig Kilometer entfernten Slavonisch Brod. Also stellte man mir einen Marschbefehl nach dort aus. Die Fahrt machte ich mit einem unserer Motorfahrzeuge, die immer wieder in diese Gegend kamen.

Der Lazarettoptiker verpaßte mir eine Gasmaskenbrille, die mich zwar nicht schmückte, aber mein Problem löste. Da ich nun einmal im Lazarett war, ließ ich mir noch eine Krätze im Rückenbereich behandeln. In den folgenden Tagen stank ich penetrant nach Schwefel. Als ich mich aber wieder auf den Weg nach Vinkovci machen wollte, hatte man mich bereits für eine ganze Woche für Wachdienste eingeteilt. Mir gefiel das zwar nicht, aber was wollte ich machen. Dazu kam, daß ich in der Zitadelle von Slavonisch Brod auf Teile meiner Sofioter Einheit gestoßen war. Die Männer, die man damals in Niška Banja bereits abzog, um sie in Richtung Pristina zu führen, waren mittlerweile hier in Slavonisch Brod eingetroffen. Den Hauptfeldwebel der Stabskompanie kannte ich recht gut. Ich hatte ihn sogar einmal zu meiner Familie Beke mitgenommen. Unter den Männern befanden sich aber auch einige ehemalige Fernschreibkollegen. War das eine Freude! In unseren Gesprächen erfuhr ich dann aber auch, wer auf dem Weg nach hier umgekommen war. Mein forscher Uffz.Mayer lebte nicht mehr und unser stets sehr aufgeweckter Kalle Busch, mit dem ich zusammen die Fernschreiberei betrieben habe, war auch nicht mehr unter den Lebenden.

Solange ich an meine Wachdienste im Lazarett gebunden war, bin ich oft in die Zitadelle, zu meinen alten Kameraden. Als wir Sofia verlassen mußten, besaß ich noch eine beachtliche Menge Lewas. In Serbien habe ich das Bündel Geld in Dinare und in Kroatien diese wiederum in Kuna umgetauscht. Da das Geld von Woche zu Woche wertloser wurde, wurden beim Umtausch auch die Geldpakete immer umfangreicher. In Slavonisch Brod wollte ich dieses Geld nun regelrecht verfressen. Ich hatte eine Kneipe gefunden, in der recht schmackhaft gekocht wurde. Hier war ich nun zu jeder Mittagszeit anzutreffen. Ich aß, soviel ich nur verdrücken konnte.

Die Tage in Brod gingen natürlich auch irgendwann zu Ende. Das Lazarett hatte mir die Marschpapiere ausgestellt. Bevor ich aber zum Bahnhof ging, verabschiedete ich mich noch schnell von meinen Leuten in der Zitadelle. Würde es ein Wiedersehen geben?

Am Bahnhof traf ich auf einen alten Bekannten. Es war dieser SS-Arzt von Ilok, dem ich meinen inzwischen fast chronischen Durchmarsch verdankte. Der Kerl konnte auch noch darüber lachen. Er fragte mich, wo ich hinwolle. Ich nannte ihm meine Einheit in Vinkovci und daß ich dort zu den Stabsnachrichten gehöre. - Nein, da brauche ich nicht mehr hinzufahren. Diese Einheit habe sich aufgelöst. Der Bunker der Stabsvermittlung habe einen Artillerievolltreffer bekommen. Von den Leuten würde ich wohl niemanden mehr wiedersehen. Ich war erschüttert und sprachlos. Ob ich nicht mit ihm kommen wolle? Wohin denn? Na wohin schon, zu seiner alten SS-Einheit. Na, das hätte mir noch gefehlt. Ich bin unverzüglich zur Standortkommandantur und habe mir diese Informationen bestätigen lassen. Es war so, wie der SS-Arzt es mir berichtet hatte. Also bin ich geradewegs wieder zurück in die Zitadelle und habe mich bei der Stabskompanie gemeldet. Dem alten Spieß paßte es, daß wir uns so schnell wiedersahen. Ab sofort gehörte ich zu diesem Haufen. Da uns nur noch wenige Tage von der letzten Kriegsweihnacht trennten, war ich froh, wieder unter alten, vertrauten Kameraden zu sein.

Noch vor den Feiertagen wurde dieses Luftwaffen-Sicherungs-Bataillon nach Ðakovo (sprich Djakovo) verlegt. Diese Stadt verfügte über einen respektablen Dom, was auf einen Bischofssitz schließen ließ. Etwa dreißig Kilometer östlich lag mein Vinkovci, wo die Nachrichtenkameraden meiner letzten Einheit allesamt zu Tode gekommen waren.

An dieser Stelle sollte ich erwähnen, daß ich schon seit einiger Zeit auf der Suche nach Liesels jüngerem Bruder Heinz war. Mir war bekannt, daß er Kompanieführer in einer kroatischen Legionärseinheit war, die sich 'Schachbrett-Division' nannte. Dieses 'Schachbrett' war von dem alten kroatischen Staatswappen abgeleitet. Da es nun mal Gottes Wille zu sein schien, immer wieder zu der verbliebenen Restmannschaft zählend, einer neuen Wehrmachtseinheit überstellt zu werden, lag der Gedanke nahe, daß ich mir so eine Einheit auch einmal selbst aussuchen wollte. Ich setzte darauf, daß es mir einmal gelingen würde, den Einsatzort von Liesels Bruder ausfindig zu machen, mich eines Tages in seiner Einheit einzufinden, um mich seinem Kommando und seiner Obhut zu unterstellen. Das erschien mir in jenen Wochen sehr erstrebenswert. Also wanderte ich über die Fernsprechverbindungen der gesamten Region, um diesen Leutnant oder Oberleutnant Krämer ausfindig zu machen. - Der liebe Gott hat mich davor bewahrt, denn wie sich sehr viel später herausstellte, war Heinz ganz in meiner Nähe als Ortskommandant in dem etwa 35 km entfernten Dorf Ruševo (sprich Ruschevo). Dort sind er und seine deutschen und kroatischen Kameraden bis auf den letzten Mann von Russen und Tito-Partisanen niedergemacht worden.

Die nächsten beiden Monate lernte ich so nützliche Dinge, wie man sich beispielsweise von Panzern überrollen läßt, um ihnen eine Haftladung unter den Bauch zu klatschen. Es war der helle Wahnsinn!

Ende März, ich hatte längst schon wieder meine Einheit gewechselt, wurde ich zu einer Festungsbrigade versetzt. Ich hatte keine Vorstellung, was man sich unter einer Festungsbrigade vorzustellen hatte. Aber dann wußte ich es: Es war ein Strafbataillon. Da hatten sich lauter schwere Jungs zusammengefunden, die in dieser Einheit als 'Wehrunwürdige' ihren Kriegsdienst leisteten. Diesmal wurde mir die Leitung der Stabsvermittlung übertragen. Meine neuen Gehilfen verfügten allesamt über ein beachtliches Sündenregister. Vier Jahre 'Z' (Zuchthaus), das mußte es wohl schon sein. Ich bin mit diesen Männern aber sehr gut zurechtgekommen und noch eine Weile mit ihnen in der Gefangenschaft zusammengeblieben.

Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Über diese Zeit, die lange Zeit meiner Gefangenschaft, habe ich unter dem Titel 'PIK BUBE' berichtet.

 

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