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Ein Monat Mai auf Chalkidiki

1979

erzählt von

Peter J.Kurtenbach

 

Im vergangenen Jahr waren wir in Andalusien, in Sevilla und Gra­nada. Da wir uns aber hier in dieser Sammlung ausschließlich auf den Balkan kon­zentrieren wollen, werden wir über unsere Spanienerlebnisse irgendwann an anderer Stelle berichten.

In diesem Frühjahr, genau am 27.April, nahmen wir wieder einmal Kurs in Richtung Südosten. Wir hatten uns für eine Nachtfahrt entschieden, die wir um genau 20 Uhr antraten. Liesel und ich waren allein. Die Kinder hatten andere Pläne oder im Augenblick für ihre eigenen noch nicht genug angespart. Wer da also zu Hause blieb, hatte immerhin einen guten und zuverlässigen Freund dabei: unseren King. King war ein Boxerrüde, vor dem jeder Briefträger vor Angst oder Ehrfurcht artig seine Mütze zog. King sah sich immer rund um die Uhr im Dienst. Unsere Kinder hätten also während unserer Abwesenheit Haus- und Hoftür offen stehen lassen können. Wenn King knurrte, blieb ein Fremder nicht einmal auf der Straße stehen. Kurzum, ich hätte auf meine Töchter nicht bes­ser aufpassen können. Und unsere Söhne? Na, die werden es niemals zuge­ben, daß auch sie sich auf unseren King verlassen haben.

Die Fahrt durch die Nacht verlief reibungslos. Für uns beide jedenfalls, denn kurz hinter dem Frankfurter Kreuz hatten wir einen großen Citroën vor uns, der ganz plötzlich so in die Bremsen stieg, daß weithin sichtbar schwarzer Rauch aus den Radkästen stieg. Wir waren gewarnt; also ging ich vom Gas. Und das war gut so, denn gleich hinter der vor uns liegenden Biegung hatte es furcht­bar geknallt. Als ich die Unfallstelle bei kontrolliertem Tempo passierte, bot sich mir ein Unfalldesaster, dem ich nur durch eine geschickte Slalomfahrt entrinnen konnte. Nach so einer Karambo­lage sieht man sich natürlich immer so etwas als Held. Also fragte ich mein Schätzchen, ob es hier wirklich so knapp war. Sie meinte, es war so knapp.

Wir sind durchgefahren bis Groschublje. Das waren genau 1.052 Km. In die­sem Motel in der Früh angelangt, bestellte ich für mich eine Portion Krautsalat und zwei Slivovitze. Der noch etwas unausgeschlafene Kellner hat etwas fra­gend mein Schätzchen angeschaut. Sie hat zustimmend genickt; also bekam ich meinen Krautsalat und meinen Slivovitz. Wenn ich mich recht erinnere, hat sich meine Liebste nur eine Portion heißes Wasser bestellt, weil sie beim Kaffee so ihre eigenen Vorstellungen hatte. Das soll jetzt natürlich keine Wer­bung für den löslichen Kaffee der Firma NESTLE sein. Warum für mich keinen Kaffee, sondern Krautsalat und Slivovitz? Nach einer Fahrstrecke von tau­send Kilometern brauchte ich einen tiefen, erholsamen Schlaf. Den hätte mir die Firma Nestle ganz bestimmt nicht geboten. Der Krautsalat sollte mei­nen mit mindestens vierzig Zigaretten verräucherten Magen entgiften, der Sli­vovitz besorgte dann den Rest: einen absoluten Tiefschlaf, bei dem keine Au­tostraße unter meinem Bett daherrollte. - Man kann es ausprobieren. Es funk­tioniert. Ich versank jedenfalls in einen ohnmachtsähnlichen Tiefschlaf, aus dem mich mein Schätzchen am späten Mittag weckte. Wenn wir jetzt nicht im Restaurant erscheinen würden, könnten wir das Mittagessen vergessen. Natürlich wollten wir anständig essen.


Am Nachmittag haben wir einen Spaziergang durch die nahegelegenen Wäl­der gemacht. Überall fanden wir die Blätter wild wachsender Cyclamen, der kleinen, im schattigen  Freiland lebenden Alpenveilchen also. Wir kamen in der falschen Jah­reszeit. Von den stark duftenden Blüten noch keine Spur.

Am nächsten Tag sind wir die 730 km bis Alexinac ohne irgendwelche Pro­bleme gefahren. Probleme, ganz große Probleme gab es anderswo. Im Bereich der Bucht von Kotor hatte es tags zuvor ein starkes Erdbeben gege­ben. In den jugoslawischen TV-Sendungen gab es verständlicherweise kein anderes Thema. Da sahen wir im Aufenthaltsraum des Motels nur noch Bilder und Berichte von den Zerstörungen im Umkreis von Kotor und die Effizienz der mobilisierten Katastrophen-Einrichtungen der näheren und weiteren Umge­bung. Das alles haben an jenem Abend und an den folgenden Tagen auch unsere deutschen Nachrichtensendungen berichtet, aber wir waren ganz nahe dabei.

Am folgenden Morgen, dem 30. April, sind wir kurz nach acht Uhr wieder auf die Auto-Put und fuhren in Niš nicht mehr in Richtung Bulgarien, sondern über Niška Banja, Skopie auf die griechische Grenze zu. An der jugosla­wisch-mazedonischen Grenzstation Gevgelia machten wir Quartier, um hier zu über­nachten und neue Kräfte zu sammeln. 

In meinem Hinterkopf geisterte noch der Gedanke, von hier in das nicht weit entfernte Smokviza zurückzufahren, wo ich 1941, als 20jähriger, nach aben­teuerlicher Fahrt eine Zwangsrast einlegen mußte. Na, das war vielleicht eine  Reise. Ich habe sie in meinem Erlebnisbericht über die Kriegsjahre in Bulga­rien und auf dem Balkan haarklein beschrieben. Irgendwie war ich wohl an jenem Tage des Fahrens müde, obwohl Smokviza nur etwa fünfzehn Kilometer von Gevgelia entfernt liegt. Schade. - 

An der jugoslawisch-griechischen Grenze stellt man seine Uhr sogar zwei Stunden vor. Da muß man sich seine Zeit schon klug einteilen. So haben wir uns am nächsten Tag auf guten Straßen zeitig auf den Weg gemacht und wurstelten uns schon bald durch den Wahnsinnsverkehr auf Salonikis Stra­ßen. Dabei war mir vergönnt, sogar einen kurzen Blick auf das Hotel Atlas zu werfen, in dem ich 1941 einige Tage gewohnt hatte. 1941, da war ich 38 Jahre jünger.

Stadtauswärts, in Richtung Süden, hatte die Polizei am Vormittag eine dritte Fahrbahn aus der Gegenrichtung für den nach Süden rollenden Verkehr belegt. Am Nachmittag hatte dann der Gegenverkehr drei Fahrspu­ren zur Verfügung. Das funktionierte absolut reibungslos.

Da es noch früh am Tag war, haben wir uns die Halbinsel Chalkidiki erst ein­mal recht genau angeschaut. Ursprünglich wollten wir auf dem mittleren Aus­läufer, auf Sitonia, Quartier machen, merkten aber schon bald, daß wir auf Kassandra viel besser aufgehoben sein würden.

Es war Anfang Mai, und da waren die Hotels und Ferienanlagen noch nicht geöffnet. Dies sollte erst am 15. des Monats geschehen. Wir fanden trotzdem eine Bleibe auf einem Camping-Gelände, das zu dem Komplex Sani gehörte. Das ganze Areal wirkte noch wie ausgestorben. Zwei deutsche Ehe­paare hat­ten merkwürdige Nissenhütten gemietet, und etwas anderes stand auch uns nicht zur Wahl. Das eine deutsche Paar reiste dann auch schon sehr bald weiter, während wir mit unserem Nachbarn noch unseren Spaß hatten. Er war ein ganz lieber und hilfsbereiter Pensionär, der unter dem Pantoffel einer recht burschikosen Frau seinen Lebensabend genoß.

Liesel und ich waren die meiste Zeit auf den Beinen. Wir hatten eigentlich gar keine Zeit, uns in die Sonne zu legen. Hier gab es eine ganze Menge zu erkunden. Da waren einmal die Ziegenherden, die in bunter Vielfalt in großen Herden durch die Pinienwälder geführt wurden. Der Ziegenhirte war ein sehr freundlicher Mann; trotzdem verstanden wir nichts von dem, was er uns erzäh­len wollte. Und während er so redete, holte er sich ungeniert die Läuse aus den Haaren und knackte sie vor unseren Augen. Das wird wohl das Natürlich­ste von der Welt gewesen sein. An einem der Tage passierte es dann, daß sich der Hirte etwas aufs Ohr gelegt hatte, während sich die Ziegenschar mit­ten auf der Straße niedergelassen hatte. Irgendwie mußten wir da hindurch. Und dann geschah es doch, daß sich die Leitziege erhob und sich uns anschloß. Damit hatten wir dann aber auch gleich die ganze Ziegenherde am Bendel. Ein Ver­such die Ziegen zu verjagen, hatte überhaupt keinen Sinn. Nicht wir, die Zie­gen waren hier zu Hause. Trotzdem wurde uns diese Situa­tion unheimlich. Wir sind dann durch den Wald zum Strand, wo wir uns auch etwas aufs Ohr gelegt haben. Und was machten unsere Ziegen? Sie lie­ßen sich im Halbkreis bei uns nieder. Natürlich hat der Ziegenhirte bald darauf hier bei uns seine Herde wiedergefunden, aber daß wir sie fast weggeführt hatten, machte auf ihn keinen Eindruck.

Eine andere Entdeckung waren schön gezeichnete Wasserschildkröten, die an einem Süßwassertümpel in Mengen anzutreffen waren. Auf dem Wasser trieb ein Balken, den sie immer wieder erklommen, um sich dort, mehrfach überein­ander liegend, zu sonnen. Gleich dabei saß ein Purpurreiher, der seine Umge­bung ganz genau beobachtete. Er stieg erst auf, wenn wir ihm allzu nahe kamen. Er kam dann aber auch gleich wieder auf seinen angestammten Platz zurück. Dann gab es ganze Scharen von Bienenfressern, diese wunderschö­nen bunten Vögel, die wir schon an der Schwarzmeerküste kennengelernt hatten. Hier konnten wir auch ihre Brut- und Nistgewohnheiten beobachten. In einer lehmigen Steilwand hatten sie ihre Nisthöhlen und flogen dort unbeküm­mert aus und ein.

Aber da war noch ein Vogel, der gab uns in der Tat ein Rätsel auf. Immer abends, wenn die Dunkelheit hereingebrochen war, machte er sich durch schnarrende Geräusche bemerkbar, die er in der Tonlage auf- und absteigen ließ. Und dies geschah auch immer ganz in unserer Nähe. Irgendwie schien auch er uns zu beobachten, mit dem Vorteil, daß er uns jedenfalls im Blick hatte. Dieses auf- und absteigende Schnarren hat uns schon fast närrisch gemacht. Wir hatten ein gutes Glas dabei. Irgendwann mußten wir ihn doch einmal zu Gesicht bekommen. Und dann hat ihn Liesel mit ihren Eulenaugen und dem guten Zeiss-Glas und einer Taschenlampe entdeckt. Natürlich war es  schon wieder dunkel. Er muß so etwa zwanzig Schritte vor uns mitten auf dem Waldweg gesessen haben.

„Peter, jetzt habe ich ihn, ich glaube, ich kenne ihn auch. Ich bin diesem Vogel zwar noch nie in der Natur begegnet, aber ich erinnere mich an eine Feder­zeichnung in einem meiner Kinderbücher. Da war von einem Waisenkind die Rede, das seine Mutter suchte und bei den Tieren des Waldes auf Hilfe hoffte, die sie auch bekam. ‘Die Bernsteinperle’ hat dieses Jugendbuch geheißen, und es gehörte zum Schönsten in meiner ziemlich umfangreichen Sammlung. Eben weil diese Geschichte mein Kinderherz so sehr berührt hatte, war mir auch die Federzeichnung noch in so guter Erinnerung. Wenn wir wieder zu Hause sind, werde ich in unserem Bestimmungsbuch nachschauen, ob es die­sen ‘Ziegenmelker’ wirklich gibt.“

Es stellte sich zu Hause heraus, daß sie tatsächlich recht hatte, daß diese Nachtschwalbe unter dem Namen ‘Ziegenmelker’ bekannt war, und auch sein Geschnarre wurde genauso beschrieben, wie wir das hier an den Abenden vernommen hatten.

Wenige Tage später machten wir noch die Bekanntschaft mit einem alten Ehepaar. Sie waren mit einem Wohnanhänger hier eingetroffen. Die beiden hatten schon die halbe Welt bereist. Sie kannten sich auch in der Tierwelt bestens aus. Sie machten uns auf den Schilfrohrsänger aufmerksam und daß sich überhaupt an diesem Schilfstreifen allerhand Vogelarten tummelten.

In den Waschräumen nisteten die Rauchschwalben ungeniert auf den Trenn­wänden bei den Waschbecken. Wenn man sich in der Früh hier wusch, konnte es passieren, daß diese Schwalben mitunter einiges an Wasserspritzer abbe­kamen. Das rührte die nicht im geringsten. Man hatte mitunter den Eindruck, als ob sie nachschauen wollten, ob man sich auch tatsächlich hinter den Ohren gewaschen hatte.

Und da war dann noch ein Esel. In der Saison hatte er die Kinder übers Gelände zu karren. Ich denke, auch wenn die Saison noch nicht begonnen hatte, steckte noch einiger Frust in ihm; zumindest, als er mich einmal so in den Rücken stieß, daß ich lang auf dem Boden landete. Gott, ich habe ihm das nicht groß übel genommen, aber Freunde sind wir nicht geworden.

Da hatte ich schon mehr Freude an einer jungen Griechin von der Rezeption. Daß ich bis heute ihren Namen ‘Stella’ nicht vergessen habe, läßt vermuten, daß sie wirklich hübsch war. Fast wäre mir sogar ein gemeinsames Foto gelungen: Wir saßen vor unserer elenden Hütte und vertrieben die Zeit bei einer Flasche Retsina mit Kartenspiel, einem Canasta natürlich. Dieser Ret­sina ist eine ausschließlich griechische Weinspezialität. Das ist ein trockner Weißwein, den man mit dem Harz der Pinien versetzt hat. Wenn man sieht, wie das Harz den Pinien abgezapft wird, sollte man ihn eigentlich nicht trinken. Man geht da genauso vor, wie bei den Gummibäumen zur Rohstoffgewinnung für die von uns so hochgeschätzten Gummiprodukte. Als Stella zufällig an unserer Hütte vorbeikam, lud ich sie zu einem Glas Wein ein, was sie auch nicht ausschlug. Sie erzählte, daß sie in Dráma beheimatet sei und dort auch noch die Schule besuche. Ich beklagte mich über die vielen Schnaken, die hier über einen herfielen. In Bulgarien würde man diese Quälgeister ‘Komari’ nen­nen. Hier in Griechenland, so verriet uns Stella, nenne man sie ‘Konupi’. Nun ja, an irgendeiner Stelle muß man ja mit dem Erlernen einer Fremdsprache beginnen. Was ich noch aus jenen Tagen behalten habe, ist auch, daß die Schlange in der griechischen Sprache ‘Serpiente’ heißen soll. Da wird man sie wohl nach unseren Serpentinen benannt haben. Da kommt mir auch gleich ein Vorjahreserlebnis in den Sinn. Es war in Sevilla, wo wir uns auf einer betrieb­samen Straße schier hoffnungslos verirrt hatten. An jeder Straßenecke wurden wir zwar daran erinnert, daß wir uns auf der ‘Calle de la Sierpes’ befanden, aber das hat uns auch kaum weitergeholfen. Aus heutiger Sicht könnte das die ‘Straße der Schlangen’ gewesen sein. Gut, daß wir das damals nicht gewußt haben.  - Ach ja, das Foto, das war’s doch, was ich überhaupt erzählen wollte. Für ein Foto mit Selbstauslöser brauchte ich ein Stativ, was ich natürlich an Bord hatte. Also meine Contaflex aufs Stativ geschraubt und in die richtige Stellung gebracht, den Selbstauslö­ser eingestellt und gestartet. Mit postju­gendlicher Kondition machte ich meinen Start ins Bild, nahm dabei aber leider ein Bein meines ansonsten so stabilen Stativs mit. Contaflex und Stativ voll­führ­ten eine energische Rolle rückwärts, wobei mein kostbarer Fotoapparat im Bereich der Filmtransportmechanik auf einem Stein landete. Das mit auf einem Stein landen kannte ich noch aus Kin­dertagen, als mich ein Ziegenbock ähn­lich durch die Luft wirbelte. Auch da landete ich brutal auf einem Stein. Es war mein eigener Schädel, der diesen Sturz aufzufangen hatte. Wenn ich heute so darüber nachdenke, wäre ich ohne diesen Sturz vielleicht ein großer Wissen­schaftler geworden. So aber ist mir nur eine kleine Narbe geblieben. Der Foto­apparat hat das nicht einmal so gut vertragen wie ich. Der Hebel für den Film­transport war blockiert. Mit foto­grafieren war da nichts mehr.

Ab dem 15. Mai war auch die weiträumige Ferienanlage ‘Sani Beach’ geöffnet. Wir haben uns diese Anlage angeschaut und fanden sie sehr verlockend. Da unser Aufenthalt in Griechenland aber allmählich zu Ende ging, mochten wir uns einen Umzug nicht mehr zumuten. Aber im Restaurant dieser Anlage haben wir im Schein der Abendsonne vortrefflich zu Abend gegessen. Unser Urteil: Sani Beach sehr empfehlenswert.

Über unsere Rückreise gibt es nicht viel zu berichten. Da wir an der Grenze die Uhren um ganze zwei Stunden zurückstellen konnten, würden wir eine weite Strecke schaffen. So wäre es dann auch fast gewesen. Kurz nach Mittag standen wir an der Rezeption vom Motel Alexinac, wo uns die alte Rheinlän­derin in gewohnter Freundlichkeit begrüßte. Die Anzeige der Tageskilometer stand auf 550. Da ich ein Freund von runden Zahlen bin, entschied ich mich für einen zeitigen Feierabend. Es lief uns ja nichts davon.

Die nächste Übernachtung legten wir  bei dem uns inzwischen recht vertrauten Bregana ein. Da hatten wir uns all die Jahre sehr gut aufgehoben gefühlt. Da die Uhr erst 16,30 zeigte, sind wir wieder einmal in den Ort Bregana gewan­dert und haben dort das Restaurant ‘Zur schwarzen Sau’ aufgesucht. Wir haben zwar nicht schlecht gespeist, aber vor Jahren war es hier wesentlich besser. Eigentlich müßte es doch überall von Jahr zu Jahr besser und komfor­tabler werden. Das galt für den sozialistisch geprägten Balkan offenkundig nicht. Rechnete man diesen negativen Trend hoch, und soetwas gehörte ja zu meinem Job, konnte man dem vielgepriesenen Sozialismus keine allzu rosige Zukunft prophezeien. Negative Trends sollte man eigentlich nicht hoch, son­dern herunterrechnen, damit man erfährt, wo und wann der  ‘Null-Punkt’ erreicht ist. Ich will es mir merken.

Auf der Fahrt durch Österreich überfiel uns bei Jochberg der unwiderstehliche Drang, einen ungeplanten Aufenthalt einzulegen. Da sind wir dann noch drei Tage durch die wunderschöne Alpenlandschaft gewandert. Ganz abgesehen davon, daß ich mir in Jochberg einen gewalkten Markenhut gekauft habe, hatte ich, wie so oft, wieder einmal etwas Unvorhergesehenes zu erleiden. Wenn ich so darüber nachdenke, wundere ich mich zuweilen, daß es mein Schätzchen immer wieder gewagt hat, mit mir auf die Reise zu gehen. Es war nicht von großer Bedeutung, was mir da wieder erfuhr, aber warum traf es immer wieder mich?! -

Wir hatten einen, auf unserer mitgeführten Wanderkarte eindeutig ausgewiesenen Rundweg geplant. Als wir dann aber die halbe Wegstrecke hinter uns hatten, haben wir aus üblicher Vorsicht einen Einheimischen nach dem Zustand der weiteren Wegführung befragt. Dieser, er trug auch so einen gewalkten Hut wie ich, schaute sehr kritisch auf unsere Füße und meinte, daß wir für den weiteren Weg nicht unbedingt das richtige Schuhwerk an den Füßen hätten. Nunja, von unbedingt richtig sind wir bei unseren Reisen eigentlich nie ausgegangen, also begnügten wir uns mit dieser Warnung, ohne daß wir uns aus ihr etwas Kon­kretes vorstellen konnten. Konkret wurde es dann aber schon bald. Unser Weg laut Wanderkarte führte zu einer Klamm, die reichlich smaragtgrünes Wasser führte. Daß smaragtgrün eiskalt bedeutet, wissen wir seit diesem Tage. Beide hatten wir Schuhe und Strümpfe ausgezogen, ehe wir ins Wasser stiegen. Es ist mit dem eiskalten Wasser wie mit dem eisgekühlten Schnaps. Im ersten Moment merkt man eigentlich noch nichts oder nur wenig. Als ich etwa auf der Mitte dieses Wasserlaufs angelangt war, war ich mir nicht mehr sicher, ob ich überhaupt noch Füße besaß. Als ich dann scheinbar fuß- und beinlos das andere Ufer erreichte, hieß es Schuhe und Strümpfe wieder anzuziehen. Ich benutzte einen liegenden Kiefernstamm, um mich wieder marschfähig zu machen. Liesel tat das auch, aber sie setzte ihren Fuß nicht auf eine üppige Harzausquellung, wie ich. Schon nach den ersten Schritten merkte ich, daß in meinen Schuhen irgend etwas nicht so recht stimmen konnte. Das war aber auch kein Wunder. Ich hatte beide Füße auf diesen Harzausfluß gestellt. Nun klebten meine Socken an den Füßen und auch an den Schuhsohlen. Bis zu unserer Ankunft in Jochberg mußte ich das nun ertragen. Da, wo ich meinen schönen Hut gekauft hatte, empfahl man mir ganz simples Reinigungsbenzin, um Füße, Socken und Schuhsohlen zu reinigen. Und dann wurde es Zeit, nun wirk­lich heimwärts zu starten. Wir müssen ziemlich zügig gefahren sein, denn um 15,15 Uhr hatten wir unsere 750 Km hinter uns gebracht.

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