Zu allen Autoren | Mehr von diesem Autor | Impressum

Pik Bube

Eine Brücke über die Bošut

 

Zwischen Drau (Drava) und Donau im Norden und der Save im Süden stößt man auf eine Eisenbahnverbindung, die südlich von Vinkovci die Bošut überquert. Diese Eisenbahnbrücke wurde gegen Ende des Krieges zerstört und so der Bahnverkehr zwischen Vinkovci und Brtschko zum Erliegen gebracht. Diese Bahnüberführung sollte von einheimischen Zimmerleuten durch eine Eichenkonstruktion wiederhergestellt werden. Für die hierzu notwendigen Gründungsarbeiten wurde aus unserem Lager ein Arbeitskommando zusammengestellt.

Solche Außenkommandos waren Arbeitseinsätze, die für diese Zeit auch außerhalb des Lagers stationiert wurden. Man konnte in der Regel davon ausgehen, dass die Unterbringung wesentlich besser war als im Lager. Die Qualität eines Außenkommandos wurde aber in erster Linie danach bemessen, inwieweit man Kontakt mit der Zivilbevölkerung bekam. Wenn die Wachmannschaft es zuließ, konnte man verschiedentlich nach Feierabend oder an Sonntagen bei den Dorfbewohnern eine Beschäftigung finden, für die man mit Lebensmitteln entlohnt wurde. So glich jedes Außenkommando in etwa einem Lotteriespiel.

Ich hatte mich mit meinen vier Kameraden um dieses Arbeitskommando bemüht, und es sollte sich bald herausstellen, dass wir eine gute Wahl getroffen hatten.

Der Abmarsch wurde unverzüglich in die Wege geleitet. Da wir, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kein Marschgepäck mehr besaßen, machte das keine Schwierigkeiten. Zu meiner Bekleidung gehörte inzwischen noch ein Waffenrock des Heeres, aus dem Nachlass eines verstorbenen Kameraden. Er muss gegen Ende seines Lebens auch ein ganz armer Hund gewesen sein, denn dieses Kleidungsstück besaß nur noch dreiviertel lange Ärmel, die in Fetzen herunterhingen. Das Vorderteil war parallel zur Knopfleiste vom Kragen bis zum Rocksaum aufgerissen. Der Himmel mochte wissen, wie dieser Torso zustandegekommen war. Unter diesen Fetzen hatte ich nichts als die nackte Haut. Von meinem Unterhemd war nichts mehr übrig. Meine heeresgrüne Unterhose trug ich zwar noch, doch hatte ich das Gesäß mit feinem Bindedraht geflickt. Irgendwann fand ich, auf der Suche nach Nähgarn, diesen Draht, dessen einziger Vorteil darin bestand, dass ich beim Vernähen meines Hosenbodens keine Nadel benötigte. Das Gewebe war inzwischen durch Schmutz, mehr aber noch durch mehrfache Heißluftentlausungen total verrottet. So verbarg ich vorne spärlich meine verkümmerte Männlichkeit. Hinten am Gesäß, wo der Bindedraht das immer wieder aufriss, was ich mit seiner Hilfe verbergen wollte, besaß diese Unterhose nur noch Symbolcharakter. Sie signalisierte, dass es grundsätzlich meine Absicht war, mein nacktes Hinterteil vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

Bis zum ersten Kälteeinbruch hatte es noch ein paar Monate Zeit. Die Angst vor diesem ersten Winter kroch mir aber allmählich in die Knochen und verfolgte mich bis in den Schlaf. Eine Versorgung mit Bekleidung war keineswegs in Sicht. Das jugoslawische Militär war selbst oft in grotesker Weise unterversorgt.

Die Vorbereitungen zum Abmarsch dauerten kaum eine Stunde. Der Wachhabende oder 'Wodnik', wie man ihn hierzulande nannte, und seine Wachmänner brachten auch nicht viel Gepäck zusammen. Die Zeiten waren offensichtlich für alle nicht die besten. Das Küchengerät und die erste Verpflegung wurden auf einem Pferdewagen verstaut, alles Gepäck konnte natürlich dazugeladen werden. Als alles das besorgt war, ballerten die Posten übermütig in die Luft, was den Aufbruch anzeigte.

So, wie wir dahinzogen, waren wir vielleicht nicht allzu ansehnlich, aber ein jeder von uns steckte voller spannender Erwartung. Der Wodnik zog mit dem Bauern, dem dieses Gespann gehörte, vorneweg. Hinter dem Fuhrwerk gruppierten sich die fünfzehn Mann unseres Arbeitskommandos. Den Schluss machten drei Posten, kroatische und dalmatinische Lieder singend. Ihre Karabiner trugen sie mit dem Kolben nach oben geschultert. Das war ein Zeichen absoluter Friedfertigkeit, die wir, teils barfuss und mit kahl geschorenen Köpfen, in vollen Zügen genossen.

Eines zeichnete sich schon ganz deutlich ab. Weder der Wodnik, noch seine Wachmänner waren darauf aus, uns zu drangsalieren. So etwas merkte man gleich.

Wir waren kaum drei Stunden unterwegs, als wir am Zielort anlangten. Das Ortsschild PRIVLAKA stand unmittelbar am Bahnübergang der momentan stillgelegten Eisenbahnlinie. Das Bahnwärterhaus, vielleicht war es auch eine Haltestelle gewesen, wurde uns als Unterkunft zugewiesen. Innen befanden sich drei ungefähr gleich große Räume. Hinter dem rückwärtigen Hof war noch ein kleines Gebäude, das offensichtlich als Geräteschuppen gedient hatte. Die Wachmannschaft bezog ein geräumiges Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

Unsere Räume waren nicht nur völlig leer, es fehlten auch sämtliche Innentüren. Wen störte das?- Der Wodnik beauftragte den Bauern, der uns hierher gebracht hatte und einige unserer Männer, Stroh aus dem Ort herbeizufahren. Er selbst überwachte diese Aktion, damit man uns gutes Stroh für unsere Schlafplätze herausgab. Darüber hinaus organisierte er Bretter, um die Schlafplätze zu den Durchgängen hin abzugrenzen. Das Stroh sollte sich nicht im ganzen Haus verbreiten.

Es bot sich an, in jedem Raum fünf Personen unterzubringen und dafür auf einen Wohnraum zu verzichten. Was wollten wir mit einem Wohnraum, wo uns weder Tisch noch Stühle zur Verfügung standen. Bald roch es in jedem Winkel nach frischem Stroh. Im Nebengebäude war inzwischen eine Kochstelle eingerichtet worden. Holz für den Bedarf der ersten Tage war vorhanden.

Erich Tautenhahn wurde unser Koch. Dieser Job war weniger eine Frage der Kochkunst als des Vertrauens. Erich mochten sie alle. In seiner Eigenschaft als Koch hatte er sich allerdings noch zu bewähren. Vom Wachhabenden erhielt er die Erlaubnis, seine Schlafstelle im Nebengebäude bei seinen Verpflegungsvorräten einzurichten. Wir halfen ihm dabei. Dann schritt Erich zur Tat. Er zog Wasser aus dem Brunnen, wusch den Kessel aus und legte Feuer unter. Mit einer Mehlschwitze war schnell eine einfache Suppe aufgerührt. Dazu wurde Brot verteilt. Diese Brotportion musste, wie im Lager, bis zum Abend des folgenden Tages ausreichen.

Nach dieser ersten Abendmahlzeit saßen wir noch lange ums Feuer. An unserer Unterkunft gab es nichts auszusetzen. Aber auch unsere Bewachung schien, wenn sie sich weiter so verhielt, sehr in Ordnung zu sein. Der Wodnik und seine Posten hatten uns auf dem ganzen Weg nicht ein einziges Mal angetrieben.

Da Erich sein Nachtlager bei den Verpflegungsvorräten aufgeschlagen hatte, schliefen wir nur zu viert im Raum. Das Fenster war weit geöffnet und ließ die milde Nachtluft herein. Wir wünschten uns eine gute Nacht und genossen ihre Stille.

Erich Tautenhahn stammte aus einer kleinen Ortschaft im rheinischen Vorgebirge. Auf Grund seiner eingeschränkten Militärtauglichkeit war er für die Heimatverwendung zu einer Polizei-Ersatzeinheit gezogen worden. Er versah fortan in seinem Ort den Dienst eines Hilfspolizisten. So blieb er bei seiner mit Kindern reich gesegneten Familie. Letzteres mag ein Grund dafür gewesen sein, dass er gelegentlich der großen Versuchung unterlag, bei unangemeldeten, also 'Schwarzschlachtungen' vorübergehend zu erblinden. Dafür erhielt er jeweils einen bescheidenen Anteil vom Schlachtgut. Das war für die Versorgung seiner großen Familie von einiger Bedeutung. Aber dann hatte man ihn irgendwann erwischt. Wer ihn angezeigt hatte, das hat er nie erfahren. Da über das Dienstvergehen eines Polizisten zu verhandeln war, schieden mildernde Umstände aus. Das Urteil lautete auf vier Jahre Zuchthaus. Es hätte viel schlimmer kommen können. Aber so konnte zu jener Zeit ein braver Mann zu einer ansehnlichen Zuchthausstrafe kommen. In seinem kriminellen Umfeld, bei denen, die seine Geschichte nicht kannten, brachten vier Jahre "Z" schon ein gewisses Ansehen ein.

Was Erich Tautenhahn an kriminellem Format fehlte, das brachten unsere übrigen drei auf zum Teil beachtliche Weise ein. Unübertroffen war Fritz Barufke, unser Berliner und zu seiner Bestzeit als Gewaltverbrecher vielleicht sogar ohne Konkurrenz. Es machte ihm heute immer noch Spaß, seine schier unglaublichen Kräfte spielen zu lassen. Damit hatte er ungewollt uns schon manchen Akkord, oder Arbeitsnorm, wie es hier hieß, verdorben. Fritz hatte einst in freier Wildbahn so ziemlich alles in seinem Repertoire, ob es sich um Einbruch, Raub oder Körperverletzung handelte. Dabei wurde ihm immer das Attribut 'SCHWER' zuerkannt, was genau seiner Gewichtsklasse entsprach. Während seiner Dienstzeit hatte er über diese Dinge nie ein Wort verloren. Jetzt, frei von aller Unwürdigkeit, holte er das aber genüsslich nach. Wenn man ihm glaubte, hatte er vom Sparschwein bis zum Tresor alles geknackt, was sich anbot. Sicher war manches übertrieben, was er an langen Abenden von sich gab. In seiner Gunst zu stehen, vermittelte immerhin ein Gefühl der Sicherheit. Wenn er jemandem, den er für die Welt nicht mochte, etwas Ernsthaftes zu sagen hatte, dann fasste er ihn im Krawattenbereich, nahm ihn in Vorhalte, was den Betroffenen stets etwas vom Boden abheben ließ, und erklärte seinen Standpunkt. Als er das einmal, in sonst friedfertiger Absicht, mit einem Wachposten praktizierte, geriet er in ernsthafte Schwierigkeiten. Es war die ganze Wachmannschaft, die über ihn herfiel. In der möglichen Absicht, ihm nur ein paar Zähne einzuschlagen, zertrümmerte man seine Oberkieferprothese. Wenn er seitdem mit zwei einsamen Eckzähnen lachte, glaubte man ihm jede Horrorgeschichte.

Toni Schäfer, ein waschechter Kölner, war da in vieler Hinsicht anders. Ihn hatte die Erfahrung gelehrt, dass intelligente Planung schon die halbe Rendite sei, und daran hatte er sich auch immer gehalten. Wenn in der Tagespresse von einem großangelegten Kaufhauseinbruch berichtet wurde, dann hatte Toni wieder eine kurze Nacht gehabt. Er ließ sich zum Ladenschluss in einem Kaufhaus einschließen. So blieb ihm die halbe Nacht, eine tonnenschwere Kollektion zusammenzustellen. Zur abgesprochenen Zeit stand ein Lastfahrzeug am vereinbarten Ausgang. Toni öffnete ohne Sachbeschädigung Tür und Tor. Das Verladen war dann nicht mehr seine Sache. Ordentlich wie er war, schloss er hinterher alles wieder ordnungsgemäß ab. Toni blieb, im Gegensatz zu Fritz Barufke, in seinen Schilderungen immer bescheiden. Das mochte daran liegen, dass er nach jeder Aktion mit anderen zu teilen hatte.

Dann war da noch Rudi Henschel, ein Außenseiter. Damals beim Bataillon, war er stets von einer unterwürfigen Dienstbeflissenheit. Er stand schon stramm, wenn man ihn nur anschaute. Er suchte zu niemandem Kontakt, geschweige Freundschaft. Wir wussten, dass er einige Jahre abgesessen hatte. Weswegen, das wusste niemand. Rudi tat alles, was man ihm auftrug. Nur eines tat er nicht: Er fügte niemandem auch nur den geringsten Schaden zu.

 

*

Erich weckte uns, als die Sonne schon am Himmel stand. Der Wodnik hatte ihm am Abend vorher mitgeteilt, dass wir in der Früh ausschlafen könnten, und dass nur eine Baustellenbesichtigung mit Einsatzbesprechung stattfinden würde. Erich hatte sich diese Information als Überraschung aufgehoben. Außerdem war heute Samstag, der morgige Sonntag also sowieso arbeitsfrei.

Kurz nach acht traten dann aber unsere Nachbarn von gegenüber in Aktion. Der Wodnik ließ uns antreten und erklärte kurz das Tagesprogramm. Wir würden jetzt die Baustelle aufsuchen und mit dem leitenden Ingenieur unseren Arbeitseinsatz besprechen. Je besser sein Eindruck von uns, umso reibungsloser würde sich die Zusammenarbeit gestalten.

Für den Weg zur Baustelle brauchten wir anderthalb Stunden. Er führte am Bahndamm entlang und im letzten drittel durch alte Eichen- und Birkenbestände. Über die Bošut war in der Flucht der Eisenbahnlinie ein Hängesteg gespannt. Das war natürlich vorteilhaft für die Vorbereitung und Rüstung der Gründungsarbeiten.

Wir hatten uns noch nicht richtig umgeschaut, als am anderen Ufer von Vinkovci kommend, eine Draisine anrollte. Sie brachte den leitenden Bauingenieur, den Leiter des Vermessungstrupps und den Brigadier der Zimmerleute. Unser Wodnik ging ihnen über den Steg entgegen. Nach einem kurzen Begrüßungsgespräch kam er mit ihnen zu uns herüber.

Der Bauleiter, der uns in gutem Deutsch sehr freundlich begrüßte, mochte etwa dreißig Jahre alt sein. Er war für diese Zeit gut gekleidet, sah nicht minder gut aus und wirkte recht sympathisch. Uns gegenüber hatte er ganz offensichtlich keinerlei Vorbehalte. Er stellte sich uns vor. Er, Josip Pekar, spreche ohne Mühe unsere Sprache, so dass während unserer Zusammenarbeit keine Missverständnisse auftreten müssten. Überhaupt sei er davon überzeugt, dass wir alle zum guten Gelingen dieses Projektes beitragen würden. - Das hörte sich alles gut an.

Den Leiter des Vermessungstrupps stellte er als Beta Brankowic vor. Auch dessen Sprachkenntnisse würden für eine problemlose Verständigung ausreichen. Außerdem hätten wir mit ihm nicht allzu viel zu tun.

War da noch der Brigadier der Zimmerleute, der Genosse Radovan Zivkovic. Seine Zimmerleute würden in Vinkovci die Profilteile vorfertigen und hier an der Baustelle erst montieren, wenn unsere Tätigkeit hier allmählich schon zu Ende ginge. Immerhin erhoffte er sich auch mit diesen Leuten eine gute Zusammenarbeit.

Des Bauleiters Unterscheidung nach Herrn und Genossen gab uns einen ersten Hinweis auf den gebotenen Umgang miteinander.

Was unseren Arbeitsauftrag beträfe, so wäre es von Vorteil, wenn jemand unter uns wäre, dem er aufgrund fachlicher Vorbildung die Leitung unserer Arbeitsgruppe übertragen könne. Dann habe er einen qualifizierten Ansprechpartner und brauche uns nicht mit fremder Aufsicht zu belasten. Wenn also jemand diese Voraussetzung erbringe, dann möge er sich jetzt bitte melden.

Was ich bis zu diesem Augenblick nicht wusste, wir hatten tatsächlich einen vom Fach unter uns.

"Wie heißen Sie, und wo haben Sie gearbeitet?"

"Ich war - das heißt ich bin Oberbauingenieur bei der Reichsbahn. Ich heiße Klaus Forster und habe, lassen Sie mich überlegen, etwa acht Jahre verantwortlich im Brückenbau gearbeitet."

"Das ist ausgezeichnet. Da sind wir Kollegen. Waren Sie während des Krieges etwa bei den Pionieren?" 

"So ist es."

"Haben Sie während dieser Zeit auch noch Brücken gebaut?"

"Keine, mit denen wir hier etwas anfangen könnten. Solche wie diese haben wir gesprengt."

"Na lassen wir das. Der Krieg ist vorbei. Ich schlage vor, wir fangen damit an, sie wieder aufzubauen. Wollen Sie die Anleitung Ihrer Kameraden übernehmen?"

"Selbstverständlich, Herr Ingenieur."

"Genosse Wodnik," sich an unseren Wachhabenden wendend, "wenn der Soldat Forster mich bei der Bauleitung unterstützen soll, dann setzt das voraus, dass ich jederzeit über diesen Mann verfügen kann. In der Praxis kann das heißen, dass er mich manchmal in die Kanzlei begleiten muss, oder mir sonst zur Verfügung steht. Bereitet das irgendwelche Schwierigkeiten?"

"Geben Sie mir über diesen Mann eine Quittung, und Sie können ihn haben. Sie sind dann allerdings auch für seine Verwahrung verantwortlich, Genosse  Ingenieur."

"Schon gut. So werden wir zurechtkommen, Genosse Wodnik.- Und nun folgendes: Am Montag in der Früh, und in Zukunft, erwarte ich Sie um sieben Uhr hier an der Baustelle. Von zwölf bis zwei Uhr haben Sie, wie wir Zivilisten auch, Mittagspause. Um fünf Uhr am Nachmittag ist Feierabend. Für Montag habe ich rechtzeitig einen Bauzug herausbestellt. Er wird alles Material geladen haben, das Sie für das Einrammen der Pylone benötigen. Ich stelle mir vor, dass die Ramme zum Feierabend einsatzbereit ist. Für Dienstag lasse ich dann die ersten Pylone anrollen. Es wird ausreichen, wenn Sie, Herr Brankowic, mit Ihren Leuten erst gegen Acht hier eintreffen. Ob Sie, Genosse Zivkovic, am Montag hier erscheinen, überlasse ich Ihnen.- Nun wünsche ich Ihnen allen einen angenehmen Sonntag und eine gute Zusammenarbeit in den kommenden Wochen. Servus!"

Vom Wodnik und von Klaus Forster verabschiedete er sich mit Handschlag. Brankovic folgte seinem Beispiel.

Wir machten uns unverzüglich auf den Rückweg in Richtung Privlaka. Wenn wir uns beeilten, konnten wir zu Mittag wieder in der Unterkunft sein. Der Wodnik hatte sich mit Klaus Forster abgesondert, was in unseren Augen wohl einer Beförderung gleichkommen sollte. Klaus war bei uns bisher noch nicht sonderlich in Erscheinung getreten. So hatten wir also schon zwei 'Funktioner': Erich als Koch und Klaus als 'Hilfsbrigadier'. Wir waren alle froh über diese Lösung und auch darüber, dass Klaus vom Fach war. Der Ingenieur und auch der Landvermesser hatten einen guten Eindruck auf uns gemacht. Genosse Holzwurm, wie wir ihn schon etwas voreingenommen nannten, stand uns weniger freundlich gegenüber. Aber auch der Ingenieur hielt deutlich Distanz zu ihm. Unsere bisher gemachten Erfahrungen mahnten zur Vorsicht. Es galt, ihm so gut es ging aus dem Wege zu gehen, nach dem Grundsatz: Im Zweifelsfalle volle Deckung.

Erich war mit dem Essen noch nicht so weit. Er hatte Brennnesseln gesammelt, um damit die Graupensuppe zu verbessern. Der Posten, den der Wodnik im Ort zurückgelassen und der ebenfalls für seine Kameraden die Mittagsmahlzeit herzurichten hatte, war bei einem benachbarten Bauern gewesen, um nach Zwiebeln zu fragen. Seine Bemühung war nicht nur erfolgreich. Er erschien an Erichs Kochstelle, um diesen Erfolg mit ihm zu teilen.

Es ist schon ein Unterschied, ob eine Küche drei- bis vierhundert Leute zu versorgen hat oder nur fünfzehn, wie das jetzt hier der Fall war. Da schmeckte man dann auch die Zwiebel. Wenn dann noch genießbares Grünzeug dazukam, so war auch das Auge beim Essen wieder mit dabei. Diese Brennnesseln sollten sich später noch einmal als ein kostbares Geschenk der Natur erweisen, worüber es noch zu berichten gibt.

Erichs Debüt als Koch war ein voller Erfolg. Wir von der Festungsbrigade waren richtig stolz auf ihn. Toni Schäfer meinte augenzwinkernd:

"Man merkt ja gleich, dass du vier Jahre auf dem Internat warst."

Dass damit die Kölner Haftanstalt, der Klingelpütz gemeint war, wussten nur die Eingeweihten, aber etwas verlegen wurde Erich doch.

Klaus Forster war in Gedanken schon beim Brückenbau. Der Bauleiter war gewiss ein freundlicher Mann. Doch dessen Vorstellung, dass wir Montag schon Gerüst und Ramme aufbauen könnten, weckte in ihm die Befürchtung, dass dies hier sein erster Brückenbau sei.  Hatte er sich davon überzeugt, wie es auf dem Flussgrund aussehe? Wo ist überhaupt die alte Brücke? Liegt sie etwa noch im Bach, und inwieweit wird sie uns dann behindern. Er werde das dumme Gefühl nicht los, dass er mit diesem Herrn Pekar noch Probleme bekomme.

Über den Rest des Tages konnten wir frei verfügen. Während die einen aus Steinen und Brettern Bänke herrichteten, brachten andere Haus und Hof auf Schwung. Schon bald waren alle Fenster geputzt und der Hof mit Reisigbesen ausgekehrt. Als gegen Abend der Wachhabende noch einmal zu uns hereinschaute, nutzte ich diese Gelegenheit, um mir für den morgigen Sonntag die Erlaubnis zu einem Kirchenbesuch einzuholen. Zu meiner Überraschung gab er mir ohne Umschweife sein Einverständnis. Es stand mir also ein richtiger Sonntag bevor. Ich konnte es kaum fassen.

Ich schätzte es kurz nach acht Uhr, als Erich zum Frühstück schepperte. Da Sonntag sei, sollte sich jeder selbst bedienen. Wer also noch ein Weilchen dösen mochte, der konnte sich eben später um sein Frühstück kümmern.  Mein Gott, war das eine herrliche Schlamperei!

Als die Glocken der Dorfkirche läuteten, musste es wohl viertel vor zehn sein. Ich wartete, bis der Gottesdienst begonnen hatte. So wie ich daherkam, wollte ich mich ja doch nicht unters Volk mischen. Als ich bei der Kirche eintraf, tönte mir bereits Orgelspiel und Gesang entgegen. Sachte schlich ich mich durch den Seiteneingang ins Kircheninnere und verbarg mich, so gut es ging, im Schatten des Beichtgestühls. Die Ausstattung des Innenraumes war einfach und erinnerte deutlich an unsere Dorfkirchen im schwäbischen Raum.

Der Pastor gestaltete diesen Gottesdienst als ein gesungenes Hochamt. Die lateinischen Gesänge waren mir sehr vertraut, und es erschien mir zeitweilig, als ob ich mich zu Hause in unserer alten Pfarrkirche befände. Wenn ich die Augen schloss, durchrann mich ein freudiger Taumel. Alles schien sich vor mir zu drehen, und ich musste mich am nächstbesten Gegenstand, einer Kniebank, festhalten, um mein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Dass ich solches wieder einmal erleben durfte, erschien mir als eine ganz große Gnade, die mich mit hoffnungsvoller Zuversicht erfüllte.

Von der Predigt verstand ich so gut wie nichts. Mir fiel aber auf, dass der Pastor mich schon bald entdeckt haben musste. Während er predigte, wanderte sein Blick immer wieder zu mir hin, bis dann auch einige Kirchenbesucher in ihren Bänken sich nach mir umschauten und ihre Nachbarn auf mich aufmerksam machten. Diese Neugierde sorgte natürlich für eine entsprechende Unruhe. Aber was sollte ich tun, wo ich doch diesem Gottesdienst bis zum Ende beiwohnen wollte? Ich tat nichts. Ich störte mich nicht daran. Ganz sicher hatte die Kirche, der Pastor und auch die Gläubigen einen solch zerlumpten Besucher noch nicht erlebt. Die entstandene Unruhe legte sich, als die Predigt beendet war und der Gottesdienst weitergeführt wurde. Gegen Ende der Messfeier schien man mich vergessen zu haben. Aber das schien nur so.

Nachdem sich die Kirche geleert hatte, wartete ich wieder eine Weile, in der Annahme, dass die Besucher inzwischen ihrer Wege gegangen seien. Schließlich hatten die Bäuerinnen ja noch für den sonntäglichen Mittagstisch zu sorgen. Als ich aber aus der Kirche in das helle Tageslicht trat, standen Männer und Frauen in kleinen Gruppen beisammen, und alle schauten mich an. Angesprochen wurde ich aber von niemandem. Aber der Pastor, aus seiner Sakristei kommend, schritt geradewegs auf mich zu und brachte in deutscher Sprache seine Freude über meinen Kirchenbesuch zum Ausdruck. Um dies wohl zu bekräftigen, überreichte er mir als Geschenk ein Handtuch und ein Stück Seife. Ein paar Männer vor dem Kirchenportal klatschten in die Hände und sogleich spendeten auch alle anderen dieser Szene Beifall.

Meine Verlegenheit war sicherlich sehr viel größer als die berechtigte Freude über diese wohlwollende und freundliche Beachtung. In diesem Dorf waren wir also doch recht gut aufgehoben. Ich bedankte mich beim Pastor für die nützlichen Gaben. Vor den Dorfbewohnern machte ich eine artige Verbeugung. Ich winkte etwas linkisch in die Runde und machte mich eiligst ins Lager zurück.

Von den Kameraden wurde ich nach der Innenausstattung der Kirche und nach meinen Eindrücken befragt. Von Spott war da nirgendwo eine Spur. Ein jeder von uns unterhielt mittlerweile irgendeine Beziehung 'nach oben', ganz gleich, wie sich diese beim einzelnen äußerte oder ausprägte. Gehänselt wurde ich allerdings wegen der mitgebrachten Geschenke.

"Dass du dir jetzt auch die Fott wäschst!" mahnte Toni Schäfer, der ja auch sah, dass mein derzeitiger Bekleidungszustand vieles offen ließ. "Fott", das ist der rheinische Dialektbegriff für unser Gesäß.

Ich war an diesem Morgen herzlich gerne das Objekt, an dem man seine gute Laune auslassen wollte. Das Handtuch war übrigens ein aufgetrenntes Mehl- oder Zuckersäckchen, wie man das auch bei uns zu Hause kannte. Die Seife war ein großes, unförmiges Stück selbst hergestellter Knochenseife. So roch sie auch, und statt zu schäumen schmierte sie. Etwas besseres gab es aber zu dieser Zeit weder hierzulande, noch in der Heimat, wie ich später erfuhr. Diese Seife, und nur die Seife, stellte ich der allgemeinen Benutzung zur Verfügung, um die Segnungen der katholischen Kirche allen zuteil werden zu lassen.

Erichs sonntägliche Bohnensuppe mit Rauchfleisch war wieder einmal mit der gewohnten Lagerkost nicht zu vergleichen. Es waren nicht nur die gedünsteten Zwiebel, die diese Sonntagsmahlzeit auszeichneten. Erich hatte ganz fein geschnittenen Sauerampfer im Öl und mit den Rauchfleischstückchen gedünstet.

Viel Zeit war nicht vergangen, als vor unserer Unterkunft ein Stimmengewirr irgendeine Aktion ankündigte. Augenblicke später erschien unser Wodnik mit einem guten Dutzend Dorfbewohner, die alle mit Körben befrachtet waren. Der Wodnik verschaffte sich erst einmal Gehör, um uns diesen Aufzug zu erklären:

"Was sagt ihr dazu?! - Diese Leute hier wollen euch in Privlaka herzlich willkommen heißen. Das, was sie in ihren Körben mitgebracht haben, könnt ihr annehmen. Ich habe nichts einzuwenden."

Während der Wodnik sich kurz zur Situation äußerte, ruhten die Augen der Kirchenbesucher vom Vormittag mit offensichtlichem Wohlgefallen auf diesem Häuflein Elend, das sich heute in ihre Kirche verirrt hatte. Auch meine Kameraden merkten gleich, dass diese Aktion mit meinem Kirchenbesuch in Zusammenhang zu bringen war. Erich Tautenhahn, der gerade neben mir stand, kommentierte:

"Siehste Pit, beten hilft immer", als die Dörfler ihre Pracht auf unsere improvisierten Bänke ablegten. Eine Frau kam auf mich zu, es war kaum zu fassen, hing mir eine Hose, eine Unterhose und ein Unterhemd über den Arm. Ich drückte sie spontan an mich, und sie ließ sich das, wie selbstverständlich, gefallen.

Unser Wodnik wurde befragt, ob es zulässig sei, dass man uns in der nächsten Zeit in ihre Familien einladen dürfe. Auch gäbe es auf den Höfen manches zu tun, wo wir mithelfen und uns etwas nebenher verdienen könnten. Der Wodnik erklärte sich grundsätzlich einverstanden, machte aber zur Bedingung, dass ihm daraus keinerlei Probleme erwachsen dürften.

Die Frau, die mir die Bekleidung mitgebracht hatte, nannte mir ihre Hausnummer und lud mich gleich für den Nachmittag zu sich nach Hause ein, wobei der Wodnik dolmetschte. Ich war nicht der einzige, der an diesem Nachmittag in die Familien eingeladen wurde.

Was hatte man uns nun alles mitgebracht: Fetten und geräucherten Speck, ausgebackene Hühnerteile, Kuchen, Brot, Wein und Schnaps.

Den Schnaps überließen wir dem Wodnik und seiner Wachmannschaft. Alles andere erhielt Erich zur gerechten Verteilung oder zur weiteren Verarbeitung in seiner Küche.

So kam denn auch hier in Privlaka liebevolle Hilfe wieder aus den Reihen des Kirchenvolkes.

Die meisten von uns folgten den Einladungen und begleiteten unsere Besucher nach Hause. Ich musste erst noch Toilette machen: Handtuch und Seife einweihen und die geschenkte Bekleidung anziehen. Unterhemd und -hose waren aus weißem Leinen. Die Unterhose, dreiviertel lang, wurde mit je zwei Bändern unter den Waden gebunden. Die Hose schien aus gewalktem Wollzeug zu sein, mittelbraun mit schwarzer Paspelierung. Sie war in der Art geschnitten, wie sie in Bosnien und Montenegro getragen wurde. Sie war auch dreiviertel lang. Der Schritt war ziemlich weit in die Kniekehlen heruntergezogen und entsprechend weit geschnitten. Unter den Knien wurde sie eng, und zu den Enden hin war sie geschlitzt.

Die Hose war alles in allem ein Monstrum, dass vom Schnitt her jedem passen musste und zur Winterzeit ganz sicher guten Kälteschutz versprach. Wie unerwartet schnell sich mitunter doch Probleme lösten.

So eingekleidet, machte ich mich auf den Weg zu meinen Wohltätern. Sie wohnten nur wenige Häuser von unserer Unterkunft entfernt. Die Behausungen waren durchweg im gleichen Stil gebaut. Die Stirnseite mit der Wohnstube bildete unter einem Spitzgiebel die Straßenfront. Daneben, oder noch innerhalb dieser Front, führten in der Regel drei Stufen hinauf zur Haustür, durch die man zu einer offenen Veranda gelangte. An die Wohnstube schloss sich die Küche an, die man von der Veranda her betreten konnte. Selbstverständlich war diese Veranda auch vom Innenhof her in breiter Front zu begehen. Zur anderen Seite führte die Küche in den Schlafraum. Daneben, mitunter mit eigenem Eingang über die Veranda, schloss sich verschiedentlich noch ein Schlafraum an. Oft folgte dann eine Wirtschaftsküche mit Vorratskammer. Am Ende dieser Zeile gelangte man in den Geräte- oder Vorratsschuppen oder in die Stallungen. Mitten auf dem Hof war der Brunnen angelegt, mit einer Holzkonstruktion überdacht. In kurzer Entfernung dahinter stand der Maisschober, in der Regel Fachwerk, darüber ein Trockenspeicher mit luftdurchlässigen Wandungen. Eine breite Torausfahrt führte vom Hof auf die Straße.

Vermutlich die Enkel meiner Gastgeber, ein kleiner Bub und ein Mädchen, saßen auf der Treppe und hielten offensichtlich Ausschau nach dem angekündigten Gast, denn als ich auf das Haus zusteuerte, verschwanden sie eilig auf die Veranda. Mir war das schon recht, auf diese Weise angemeldet zu sein, während ich mir überlegte, wie ich mich überhaupt einführen sollte. Der Hausherr, in den sechziger Jahren, begrüßte mich auf der Veranda und lud mich ins Wohnzimmer ein. Er war nicht der Typ, auf den man von sich aus zugegangen wäre. Er war groß, hager, und ein schier gewaltiger Schnurrbart beherrschte sein Aussehen. War seine Frau auch ganz sicher der Initiator dieser Einladung, so war er doch in keiner Weise umständlich oder verhalten. Ganz im Gegenteil. Er führte mich ins Haus und schenkte zur Begrüßung einen Grosdowa, einen Trester, in schon bereitgestellte Gläser ein. Zur bessern Bekömmlichkeit brachte seine Frau einen Teller Salat aus grünen, sauer eingelegten Tomaten, Paprikaschoten und Sauerkraut.

Dieser Mezé (sprich Mesé), wie ich solche Schnapszugaben von Bulgarien her kannte, war bei meiner Alkoholentwöhnung schon angebracht, zumal gerade Grosdowa nicht unbedingt meine Geschmacksrichtung war.

Mit der Unterhaltung war es etwas schwieriger. Er sprach etwas deutsch, weil er noch beim österreichisch-ungarischen Militär gedient hatte, und es machte ihm Spaß, mit geschwollenen Stirnadern auf mich einzureden.

Seine Frau hatte sich mit der deutschen Sprache nie befasst. So hörte sie uns neidvoll und staunend zu und konnte so auch nicht wissen, wie schwer wir uns taten.

Der Bauer beklagte die Zeit und die augenblicklichen Verhältnisse. Nun hatte man den Krieg mit heilen Knochen überlebt, aber was war jetzt? Was der Krieg nicht verwüstet hatte, war von den durchziehenden Serben, gemeint war die Partisanen-Armee, verhunzt worden. Man brauche sich nur die Häuser anzuschauen. Ausgerechnet jene, die vorgaben, uns zu befreien, hatten alle Häuserfronten mit rotfarbenen Parolen beschmiert. Man durfte nicht mehr daran denken, wie diese wilde Horde hier durch den Ort gezogen war. Etliche hatten nicht einmal Schuhe an den Füßen. "Die Läuse sind ihnen im Arsch verreckt, so arm waren sie; aber rote Farbe, wo hat es jemals vorher soviel rote Farbe gegeben!" - Man wisse diese Schweinerei auch nicht mehr wegzukriegen, so tief sei die Farbe in den Lehmputz eingedrungen.

Die Frau erschien in der Tür und wartete geduldig, bis ihr Mann in seiner Rede den nächsten Punkt setzte. Dann fragte sie, ob sie uns schon etwas herrichten solle. Da ich nicht zu spät zurück ins Quartier kommen wollte, befasste sie sich sogleich mit dem Abendbrot, während der Bauer mir sein Anwesen zeigte.

Schinken, Brot und fetter Speck zu Bratkartoffeln bildeten das Abendbrot. Dazu gab es einen herben Weißwein, ein Produkt seines eigenen Anbaus und eigener Herstellung, wie eben alles, was auf den Tisch kam. Warum sollte sich bei diesen Leuten etwas ändern? Es war doch alles recht so, wie es war.

Die gewiss nicht unberechtigte Verbitterung dieses Mannes wird verständlicher, wenn man von der alten Rivalität zwischen den Serben und den Kroaten weiß. Die Kroaten wehrten sich schon lange vor dem Kriege vehement gegen die zentralistischen Herrschaftsansprüche Belgrads. Ohne diesen Hintergrund hätte es die 'Ustaschi' überhaupt nicht gegeben.

Der Bauer sprach davon, dass sie im Augenblick dabei seien, die junge Maisaussaat auszudünnen; eine mühevolle Arbeit, und sie gehe mächtig ins Kreuz. Das Maisfeld schloss sich direkt an den Hof an. Beim Anblick der angebauten Fläche fragte man sich wirklich, wie lange drei oder vier Personen zu tun haben würden, um dieses Feld zu bearbeiten. - Ob ich bereit sei, stundenweise nach Feierabend zu helfen, damit diese Arbeit rechtzeitig erledigt werden könne? Man würde sich selbstverständlich in angemessener Form erkenntlich zeigen. Ich sagte herzlich gerne zu, denn hier bot sich eine Gelegenheit, wieder etwas auf die Rippen zu bekommen. Außerdem machte es auch Freude, mit diesen Leuten umzugehen. Ich versprach, so oft wie möglich vorbeizuschauen und nach Kräften auf dem Felde zu helfen. Zum Abschied drückte die Bäuerin mir noch einen Kanten Brot in die Hand, den ich gerne annahm.

Als ich zur Unterkunft zurückkehrte, hatten einige schon vor mir den Heimweg gefunden. Der erste Eindruck schien sich zu bestätigen. Die Ortsbewohner waren freundlich und unvoreingenommen. Um diese Jahreszeit konnten sie alle Hilfe auf den Feldern gebrauchen; war dies doch der erste Sommer nach einem langen Kriege, der es ihnen wieder erlaubte, in Ruhe und Sicherheit ihre Felder zu bestellen.

Es gab an diesem Abend viel zu erzählen. Für Fritz Barufke hatte sich außerdem eine ergiebige Tabak-Quelle aufgetan. Sein Bauer baute dieses begehrte Kraut an und verarbeitete es bis zum Feinschnitt. Fritz war großzügig mit Tabak beschenkt worden. Nicht zuletzt wegen seines Hinweises, dass er stets für eine größere Familie zu sorgen habe. Seine Familie war, wie konnte es anders sein, unser Fünfer-Gespann von der Festungsbrigade. Wir qualmten an diesem Abend, was wir vertragen konnten. Als Zigarettenpapier musste die Tageszeitung dieser Region, die BORBA, herhalten. Borba, das heißt 'der Kampf'.- Na, also.

Privlaka, daran war nicht mehr zu zweifeln, war für uns ein Glückstreffer, den es mit Vernunft zu nutzen galt. Hier konnten und sollten wir Kräfte sammeln, denn wir hatten noch einiges vor uns; sehr viel mehr, als uns an diesem Sommerabend jemals in den Sinn gekommen wäre.--

*

"Gruppe 'Elend', fertigmachen zum Frühstück!"

Dass Erich uns auf diese Weise weckte, deutete an, dass es mit dem Sonntag vorbei war. Er selbst war schon eine halbe Stunde auf den Beinen, und das Morgensüppchen dampfte bereits im Kessel. Da gab es kein Überlegen mehr; aber verdammt früh am Morgen war es ja doch. Die Wache hatte Erich um halb fünf Uhr geweckt. Dann war es jetzt etwa fünf. In zwei Stunden mussten wir auf der Baustelle sein. Im Augenblick war es noch kalt. Ein Dunst, der über Dorf und Feldern lag, ließ noch nicht erkennen, ob sich die Sonne durchsetzen würde.

Es mochte eine weitere halbe Stunde vergangen sein, als die Posten auf dem Hofe erschienen.

"In zehn Minuten alles fertig. Dobro?" - Aber ja doch. Fritz Barufke drehte für seine Familie bereits die Morgenzigaretten. Wenn der Sauhund wenigstens einen das Papier selber lecken ließe. Er merkte schon, dass wir seine Spucke nicht sonderlich schätzten, aber da sabbelte er erst recht, dass sich die Fäden zogen. Dass er einmal ein feiner Mann werden würde, da war nicht mit zu rechnen.

Den Weg zur Baustelle legten wir im Eilmarsch zurück. Der Boden war um diese Zeit noch recht kalt. Wenn man nicht gleich in den dritten Gang schaltete, wich bei diesen Temperaturen das Gefühl aus den bloßen Füßen. Dieses Barfußlaufen war eine echte Tortur. Auf diesen Feldwegen ging es noch, aber auf Splitt und Schotter kamen einem die Tränen.

An der Bošut tat sich noch nichts. Es dauerte noch eine Weile, bis sich aus Richtung Vinkovci etwas bewegte. Wir vertrieben die Zeit des Wartens, indem wir vom Hängesteg aus die Wasseroberfläche beobachteten.

Das war doch nicht zu fassen! Zu dieser frühen Stunde standen wahre Prachtexemplare von Hechten im träge fließenden Wasser. Wir sahen diese Kerle schon in Erichs Pfanne schmoren. Als wir unsere Posten auf die Fische aufmerksam machten, nahm einer von ihnen spontan den Karabiner von der Schulter und schon krachte ein Schuss ins Wasser. Er wurde zwar momentan von seinem Wodnik gehörig zusammengeschissen, aber nun war's geschehen. Es waren mehr als ein Dutzend Fische, die tot an der Oberfläche trieben. Darunter wertloses Kleinzeug.

Der Wodnik stand noch voll unter Dampf, als ein sonnengebräunter Adam ins Wasser klatschte. Der kleine Smolka machte sich wie ein Hühnerhund hinter den Fischen her. Da sie nun mal tot waren, sollten sie auch noch verderben? - Als er mit seiner Beute ans Ufer stieg, zählte sie sieben stattliche Hechte und ein kapitaler Wels.

Diese Ausbeute wirkte auch auf unseren Wodnik beruhigend. Mehr noch. Wir würden ja künftig jeden Morgen um diese Zeit und an dieser Stelle das Wasser nach Brätlingen absuchen. Es war deshalb vernünftig, jetzt schon einen Verteilungsschlüssel festzulegen, der den momentan so wohltuenden Frieden sicherte. Der Wodnik zierte sich zwar noch etwas, vielleicht auch nur wegen dieses unweidmännischen Auftaktes; meinte dann aber, dass die Fische heute, wie auch künftig, reell verteilt werden sollten. Rechnete man bei diesem Kaliber einen Fisch für zwei Personen, dann gehörten von der heutigen Jagd zwei Hechte dem 'Oberhaus'. Da blieben der Wels und fünf Hechte für uns. Wir packten die Beute in reichlich Gras und Laub, damit sie nicht verdarb. Als der Bauleiter uns an diesem Morgen begrüßte, konnte er nicht wissen, was wir schon alles geregelt hatten.

Der große Meister begrüßte den Wodnik und Klaus Forster wieder mit Handschlag. Uns bedachte er mit einem "Guten Morgen miteinand!"

Während der Ingenieur mit Klaus das Tagesprogramm besprach, schauten wir uns, durch den Fischfang ermuntert, den Baustellenbereich etwas näher an. Und siehe da, wir wurden gleich wieder fündig. Stein- und Birkenpilze lachten uns an, als ob sie nur auf uns gewartet hätten. Aufnehmen wollten wir sie aber erst nach Feierabend, damit sie keinen Schaden nähmen. Hoffentlich konnte Erich mit Pilzen umgehen; und wenn nicht, dann brachten wir ihm das schon bei.

Klaus Forster kam mit guten Nachrichten aus der Besprechung. Die alte Brückenkonstruktion war längst aus dem Fluss geräumt worden. Die betonierten Brückenfundamente, in der Längsrichtung des Flusslaufes, waren sozusagen unbeschädigt geblieben. Beim Abraum der Eisenteile hatte man die Profile einen halben Meter über den Fundamenten abgeschnitten. So konnte man jetzt diese Stutzen zum Flanschen der Rüstung benutzen. Das Gerüst war von den Zimmerleuten exakt auf diese Flanschabstände zugerichtet worden.

Während Klaus noch berichtete, rollte von Vinkovci der Bauzug mit dem Rüstmaterial an. Der Ingenieur hatte Klaus eine Zeichnung und eine Stückliste dieser Rüstung ausgehändigt, damit wir mit Verstand abladen und entsprechend auslegen konnten.

Wir machten uns mit einem solchen Eifer an die Arbeit, dass unsere Aufseher nur noch staunten. Bezüglich der Arbeitsaufteilung hatte ich angeregt, dass wir in der gleichen Gruppierung arbeiten sollten, wie wir uns in unserer Unterkunft auf die drei Schlafräume verteilt hatten. So müsse eine optimale Zusammenarbeit gewährleistet sein. Meinungsverschiedenheiten und persönliche Querelen könnten dann in der Unterkunft bereinigt werden. Mir ging es vor allem darum, mit meinen Buschmännern zusammenzubleiben.

Wir vier luden ab. Die nächste Gruppe legte das Material nach Anweisung von Klaus Forster am Ufer ab. Die dritte Kolonne baute die Teile sofort im und über dem Wasser auf. Es zeigte sich, dass die so vorgenommene Arbeitsteilung bestens funktionierte. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass dieses Gerüst eigens für dieses Brückenprojekt angefertigt und hervorragend ausgeführt war. Da hatten Genosse Zivkovic und seine Brigade schon gezeigt, was sie konnten. Dank dieser guten Vorbereitung vollzog sich der Aufbau reibungslos.

Das schwerste Stück Arbeit war das Hochschaffen der schweren Seilwinde. Hierzu brachte Fritz Barufke einen sehr brauchbaren Vorschlag. Der Kerl hätte auch mit ehrlicher Arbeit bestehen können.

Für das Hochwuchten der schweren Winde waren starke Vierkanthölzer angefertigt worden, deren obere Enden mit dem Gerüst fest verschraubt wurden. Nachdem wir die Winde auf die Gleitbalken aufgesetzt hatten, machte sich Fritz mit dem hakenbewehrten Seilende hinauf auf die Arbeitsbühne und legte das Seil bis zur gegenüberliegenden Balkenkonstruktion aus, schlug es um diesen Balken und legte es mit dem schweren Haken fest. Unsere Gruppe schob mit Brechstangen, wie sie beim Rangieren benutzt werden, die Winde auf den Hölzern hoch. Die zweite Gruppe betätigte nach Leibeskräften die Winde, so dass sie nicht nur straff im Seil blieb, sondern auch noch einige Zugkräfte entwickelte. Oben auf der Bühne war die dritte Kolonne dabei, mit starken Seilen dieses Monstrum hochzuziehen. Auf der Bühne waren als Gleitschienen ganz normale Gleisstränge ausgelegt worden. Das alles lief am Schnürchen wie bei einer Zirkustruppe. Klaus Forster ging von Mann zu Mann und ermunterte:

"Heute habt ihr schon gewonnen."

Es war wirklich kaum zu glauben. Als Erich mit dem Essen anrückte, war das Gerüst aufgebaut, und die Winde stand an ihrem Platz.

In den beiden letzten Tagen war so viel auf uns eingestürmt, dass sich niemand Gedanken darüber gemacht hatte, wie Erich mit unserer Mittagsverpflegung überhaupt zur Baustelle gelangen sollte. Aber da hatte er eine Überraschung anzubieten. Erich ritt auf einem Esel. Links und rechts baumelte je ein Essen-Kanister. Da Erichs Beine um einiges länger als die des Esels waren, musste man diesen Ritt gesehen haben. Erich war gezwungen, die Beine weit zu grätschen, damit ihn der Esel im Galopp nicht stehen ließ. Und mit dem Galopp war das auch so eine Sache. Doch da konnte ich ihm einen brauchbaren Hinweis geben. Man musste sich nur weit genug hinten auf den Esel setzen, dann lag das Gewicht auf seinen Nieren. Dieser Druck war für das Tier schmerzhaft, und so lief es flott voran, um die Last möglichst bald wieder loszuwerden. Wie sich herausstellte, brachte das den Esel tatsächlich auf Trab. Bulgarische Freunde hatten mir diesen Dreh beigebracht. Inzwischen bin ich aber der Überzeugung, dass diese Empfehlung zwar nützlich, aber nicht besonders gut für den Esel war.

Als wir mit dem Essen fertig waren, wuschen wir die beiden Kanister in der Bošut gründlich aus. In den einen packten wir die Fische, den anderen füllten wir randvoll mit Pilzen. Mit all dem wollte Erich etwas für den Abend herrichten, dass uns die Spucke wegbleiben würde. Für den nächsten Mittag sammelten wir erst nach Feierabend.

Der Bauzug war am Vormittag gleich nach dem Entladen nach Vinkovci zurückgefahren. Am Nachmittag erwarteten wir ihn mit der ersten Ladung Pylone zurück. Bis dahin hatten wir noch das Fallgerüst für die Ramme aufzubauen. Der 'Rammbär' wurde in die Konstruktion eingebracht und an dem Haken der Seilwinde befestigt.

Alles das war erledigt, als die ersten Pylone anrollten. Wir luden sie noch ab, und dann war Feierabend. An diesem ersten Arbeitstag war alles gut gelaufen. Der Ingenieur spendierte eine Runde Zigaretten der Marke 'PARTISAN', von der es hieß, dass sie in England hergestellt würden. Aber das war vielleicht auch nur ein Gerücht. Der Wodnik machte auch keine Einwände, als wir noch eine halbe Stunde Pilze sammeln wollten. Er und seine Crew hatten an dieser Zusatzverpflegung allerdings kein Interesse.

Trotzdem kamen wir sehr zeitig in die Unterkünfte zurück. Da wir alle auf die Abendmahlzeit spannten: gebackener Hecht mit Pilzen, machte ich mich gleich auf den Weg zu meinem Bauern, um ihm noch ein bis zwei Stunden zu helfen. Dort lernte ich nun auch die Tochter des Bauern kennen. Sie sprach zu meiner Überraschung etwas deutsch. So erfuhr ich, dass ihr Mann und auch ihr Bruder immer noch im Lager seien. Beide hatten sich aus der Gegend von Panschevo im Banat gemeldet. Wie sie erfahren hatte, war man dort dabei, den Grundbesitz der geflüchteten Volksdeutschen in Staatsgüter zusammenzufassen und in dieser Form erstmals zu bewirtschaften. Die junge Frau glich übrigens sehr ihrer Mutter. Ihre froh und warmherzig dreinschauenden Augen machten alles unkompliziert. Ich beeilte mich sehr mit der Arbeit und verzichtete hinterher auf ein Abendbrot, weil ich rechtzeitig zu Erichs Essenausgabe in der Unterkunft zurück sein wollte. Man gab mir aber einen Frühstücksspeck, Brot und Zwiebellauch für den nächsten Tag mit auf den Weg und wünschte mir für den heutigen Abend einen recht guten Appetit.

Erich strahlte über alle Backen, als er zum Abendbrot schepperte. Ich hatte bis zu diesem Abend noch nie gebackenen Hecht und auch noch kein Pilzragout gegessen. Und das alles gab es in Mengen, dass man kaum darüberschauen konnte. Wie wir an diesem Abend schlemmten, das durften wir keinem Menschen erzählen. Und so meinte Toni Schäfer:

"Wenn uns da der liebe Gott nicht straft."

Aber die nächsten Tage ließen sich gut an. Auf der Baustelle ging die Arbeit flott voran; nicht zuletzt durch die geschickte Arbeitsplanung von Klaus Forster. Das Einvernehmen zwischen ihm und unserem Bauleiter mutete schon freundschaftlich an. Besser konnten sich die Dinge nicht entwickeln. Und auch im Dorf taten sich nirgendwo Probleme auf. Es war überhaupt interessant, das Dorfleben in seiner Vielfalt zu beobachten. Dabei werde ich die Enten und die Gänse nicht vergessen, die man in der Früh auf die Dorfstraße trieb. Just zu dieser Jahreszeit waren die Maulbeeren reif, deren Bäume links und rechts die Dorfstraße säumten. Wenn die überreifen Früchte in die begrünten Straßengräben fielen, dann dauerte es kaum einen Tag, bis sie bei der Sommerhitze säuerten und in Gärung übergingen. Und genau in diesem Zustand fraß die schnatternde Meute diese Früchte am liebsten. Man denkt gar nicht darüber nach, dass Beerenobst so im Dahingammeln eine Menge Alkohol entwickelt. Es war jedenfalls köstlich anzuschauen, wie Enten und Gänse bereits zur Mittagszeit auf den Zustand der Volltrunkenheit zusteuerten und kaum noch wussten, wie sie ihre Beine zu gebrauchen hatten. Da rutschten sie, zuweilen hilflos schnatternd, breitbeinig auf ihrem Pürzel voran.

Der zu dieser Zeit unter den Flattermännern grassierende Alkoholismus wurde von den Dorfbewohnern überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Statt dessen gewann man mehr und mehr den Eindruck, dass auch unter der Bevölkerung dem Alkohol fleißig zugesprochen wurde. Das hatte aber keine Auswirkungen auf unser Arbeitskommando. Wir hätten sicherlich die Möglichkeit gehabt, an diesen Hausbrand heranzukommen, aber wir mieden dieses Gesöff wie schlechte Weiber. Unsere derzeitige Situation war so eminent, dass es für uns nichts geben durfte, womit wir diesen Zustand aufs Spiel gesetzt hätten. Statt dessen genossen wir Erichs vorzügliche Küche und gebärdeten uns brav und fleißig.

*

Und dann geschah auf der Baustelle dieser schlimme Unfall. -

Um den Fortgang der Gründungsarbeiten zu beschleunigen, hatte unser Bauleiter noch eine leichtere Handramme auf die Baustelle kommen lassen. Das Zugseil dieser Ramme verzweigte sich über einen Eisenring auf zehn Handseile, die in einem Querholz endeten. Mit dem Rücken zur Ramme nahmen wir diese Querhölzer vor die Brust und drückten, vom Gerüst fortstrebend, den Rammbär hoch bis zum Anschlag. Der Rammbär löste sich dann selbsttätig und donnerte herunter, auf den Kopf des Eichenpylons.

Ob nun der Auslösemechanismus versagt hatte, ob das Zugseil beschädigt war oder beides zutraf; plötzlich riss das Zugseil über dem Eisenring, der dann mit unheimlicher Wucht in den Schädel eines unserer Leute einschlug. Es war Rudi Henschel, der da erschlagen am Boden lag. Während wir noch wie vom Donner gerührt dastanden, hatten der Wodnik und Klaus Forster das Unfallopfer aufgenommen. Sie rannten mit ihm über den Hängesteg zur Draisine, an der unser Landvermesser bereits den Motor angelassen hatte.

Klaus Forster berichtete hinterher, dass man Rudi ins Spital eingeliefert habe. Er war auf dem Weg nach Vinkovci nicht wieder zu sich gekommen. Über seinen weiteren Verbleib konnten wir nie etwas erfahren.

Seit diesem Unfall herrschte auf der Baustelle ein anderer Ton. Der Bauleiter beschuldigte jetzt Klaus Forster, dass er das eingesetzte Arbeitsgerät nicht sorgfältig genug inspiziert habe. Seine Anschuldigung war so hart formuliert, dass Klaus sofort den ganzen Kram hinschmeißen wollte. Wir baten ihn, das gerade jetzt nicht zu tun. Auch steckte der Bauleiter merklich zurück, als er Forsters Absicht witterte.

Es ist immer das alte Spiel um den Schwarzen Peter. Bei Vorgängen, die Berichterstattung und Rechtfertigung erforderlich machen, suchen sich die Verantwortlichen einen Schuldigen zum Vorzeigen. Klaus Forster spielte da aber nicht mit. Also waren wir allesamt ein verlotterter Haufen, dem man zu viel Freiheit gelassen hatte und denen man künftig etwas mehr auf die Finger schauen musste.

So hatte sich auch unser Verhältnis zum Wodnik grundlegend geändert. Als unsinnige Konsequenz schränkte er unseren privaten Arbeitseinsatz bei den Dorfbewohnern ganz erheblich ein. Nun war das ja wirklich ein Ausnahmezustand. In diesem Zusammenhang erzeugten diese Anordnungen aber Unmut und Verbitterung. Auf der Baustelle führten unsere Posten jetzt Sicherheitsüberprüfungen durch, wobei Kompetenz durch Lautstärke ersetzt wurde.

Die Idylle war dahin. Sie glich dem Paradies nach dem Sündenfall. Wir waren froh, dass trotz allem die Arbeit zügig voranschritt. Insgeheim wünschten wir uns, dass dieser Arbeitseinsatz recht bald zu Ende ginge. Wer hätte sich vor wenigen Tagen eine derartige Entwicklung vorstellen können?

Aber das dicke Ende sollte erst noch kommen. Nachdem nun einmal die Harmonie gestört war, führte jedes Fehlverhalten, ganz gleich von welcher Seite, unweigerlich in kritische Situationen. Und ausgerechnet ich  musste es sein, der den nächsten schwerwiegenden Konflikt provozierte.

Die Gründungsarbeiten gingen ihrem Abschloss entgegen. Auf der Brücke war die Gleisunterlage über den Fluss bereits fertiggestellt. Als Nächstes stand die Aufschüttung des Bahndammes zwischen dem alten Gleiskörper und den Brückenköpfen an. Diese Aufschüttung sollte teilweise mit Koksschlacke ausgeführt werden.

Der Tag, an dem mit dieser Arbeit begonnen werden sollte, begann für mich mit der üblen Feststellung, dass meine rechte Gesichtshälfte so stark geschwollen war, dass ich mein Auge nicht mehr öffnen konnte. Die Schwellung zog sich bis hoch auf den geschorenen Kopf hinauf. Schmerzen hatte ich keine. Was war zu tun? Es gab hier weder einen Arzt, noch besaß irgendwer Medikamente. Was sich nicht mit Kamille oder Wegerich behandeln ließ, das verzog sich entweder von selbst; schlimmstenfalls starb man daran. Es hatte wenig Sinn, in der Unterkunft zu verbleiben, und so zog ich auch an diesem Morgen mit zur Arbeit.

Es hatte über Nacht geregnet, und auf dem Weg zur Baustelle waren große Wasserpfützen stehengeblieben, die zu der frühen Stunde noch eisig kalt an den bloßen Füßen waren. Da ich davon ausging, dass meine Schwellung von einer Erkältung herrührte, bemühte ich mich, die kalten Pfützen zu umgehen. Über ganze Strecken war das aber nicht möglich. So ging ich die wenigen Schritte zum Bahndamm hinauf und lief dort über die Schwellen. Das hätte vorher niemand beanstandet. Wozu auch? Ich hatte aber noch keine zehn Schritte gemacht, als einer der Posten mir zurief, dass ich zurück auf den Weg kommen solle. Ich verwies auf meinen geschwollenen Kopf und auf die Wasserpfützen und bat um Verständnis, dass ich trockenen Fußes zur Baustelle kommen möchte. Statt auf mein Argument einzugehen, sprang er mit wenigen Sätzen auf den Bahndamm, baute sich vor mir auf und lud, laut auf mich einbrüllend, seinen Karabiner durch.

Das jugoslawische Militär war zu dieser Zeit mit dem deutschen Karabiner '98k' ausgerüstet, dessen Magazin fünf Schuss Munition aufnahm. Offensichtlich hatten die Partisanen Schwierigkeiten mit der Schlosssicherung, bei der man sich zu merken hatte, dass die Flügelstellung nach rechts 'gesichert' bedeutete; der Karabiner aber Schussbereit war, wenn dieser Flügel nach links wies. Um diesen Rechts/Links-Konflikt sicher in den Griff zu bekommen, bestand die Anweisung, die Munition 'unterzuladen', Man drückte die oberste Patrone des Magazins auch noch unter den Kammerstengel und verschloss den Karabiner, ohne dass sich eine Patrone im Lauf befand. Wollte man also wirklich schießen, so musste die Waffe in diesem Zustand nochmals durchgeladen werden.

Wenn jemand, in einer für den Angesprochenen fremden Sprache, hysterisch brüllt, dann führt das selten eine bessere Verständigung herbei. Zudem machte mir mein momentaner Gesundheitszustand mehr Angst, als das auf mich gerichtete Gewehr. Also brüllte ich zurück. Und weil der Ton die Musik machen soll, brüllte und fluchte ich bulgarisch, im Sofioter Dialekt, dieweil ich dort einige Zeit als Soldat gewesen war. Ich erzielte mit dieser Ansprache eine verblüffende Wirkung. Wie ich erst hinterher erfuhr, war dieser Soldat in der Grenzstadt Pirot zu Hause, die zeitweilig zu Bulgarien gehörte. Er stand wie angedonnert vor mir und ließ den Mund offen stehen. Die so entstandene Verwirrung nutzte ich, diese dramatisch anmutende Situation wieder zu entschärfen. Unser Wodnik, der diesen Vorgang aufmerksam verfolgt hatte, nutzte seinerseits die von mir herbeigeführte Entspannung, seinen Posten zurückzupfeifen, ohne dass er dabei sein Gesicht verlor.

Dass dieser Vorgang für mich noch lange nicht ausgestanden war, das merkte ich schon bald, nachdem wir unsere Arbeit aufgenommen hatten. Mein Freund aus Pirot stand immer dicht neben mir. Wenn ich einmal mein Kreuz streckte, dann stieß er mir den Gewehrkolben in die Rippen. Meine bulgarische Konversation musste ihn doch sehr gekränkt haben.

Viel zu spät merkte ich, dass Fritz Barufke das schikanöse Gebaren des Postens mit zunehmendem Zorn verfolgte. Wenn Fritz böse war, dann sah er auch so aus, nur musste man es rechtzeitig merken.

Wir waren damit beschäftigt, das Rammgerüst abzubauen und die Seilwinde von der Arbeitsbühne zu schaffen, als sich Fritz, mit einer Brechstange in der Hand, eilig auf uns zu bewegte. Der Posten hatte ihm den Rücken zugekehrt, so dass er ihn nicht bemerkte. Ich hatte in diesem Augenblick nur den einen Gedanken: Mein Gott, der schlägt ihn tot. Aber Fritz hatte sich seine Reaktion wohl überlegt. Da wir gerade dabei waren, die Seilwinde zum Bühnenrand hin zu verrücken, dorthin, wo wir sie auch hochgehievt hatten, setzte Fritz dicht neben mir seine Brechstange an, um beim nächsten 'Hau ruck' abzurutschen und sich gegen den Posten fallen zu lassen. Mein Freund aus Pirot tat noch einen Schrei, dann klatschte es zweimal auf dem Wasser auf.

Es dauerte verdächtig lange, bis die beiden wieder auftauchten. Für den Posten war das mehr als er vertragen konnte. Fritz brachte den Ohnmächtigen schwimmend an Land. Während man sich um ihn bemühte, setzte Fritz auf Klaus Forster. Der musste jetzt seinen ganzen Einfluss geltend machen. Und der tat das auch. Klaus ließ sofort jede Arbeit einstellen und verlangte vom Bauleiter die unverzügliche Entfernung dieses schikanösen Postens. Der Ingenieur schätzte mittlerweile die Zusammenarbeit mit Forster so hoch ein, dass er sich für die Ablösung des Postens entschied. Für den hatte das bei der Kommandantur zweifellos Konsequenzen. Der Wodnik brachte seinen Mann selbst nach Vinkovci zurück. Es war bereits Mittag, als er mit der Ablösung erschien. Dieser, so hatte man den Eindruck, war unterwegs entsprechend vergattert worden. Er sah aus wie ein Mistkerl, und es zeigte sich bald, dass er auch ein solcher war.

Die turbulenten Vorgänge des Vormittags hatte einer mit großem Interesse verfolgt. Genosse Zivkovic war mit einigen Zimmerleuten auf der Baustelle, um Profilhölzer einzupassen. Noch während Fritz mit dem Posten im Wasser war, hatte er eifrig auf den Bauleiter und auf den Wodnik eingeredet. Dass der Bauleiter trotzdem der Forderung Forsters nachgekommen war, das war für ihn noch nicht erledigt. Jetzt redete er intensiv auf den Wodnik ein, dessen Verhalten uns gegenüber, seit dem Unfall mit Rudi Henschel, schon kompliziert genug war. Aber der Tag war ja noch nicht zu Ende, und es sah ganz so aus, als ob noch einiges auf uns zukäme. Es lag eine Spannung in der Luft, die man auf der Haut zu verspüren glaubte.

Solche Situationen entwickeln mit einem Mal ihre eigene Dynamik. Dann passt aber auch alles zusammen.

Aus Vinkovci kommend, schob eine Rangierlok zwei Waggons mit Koksschlacke an die Uferböschung. Wie sich dann beim Ausladen herausstellte, war diese Schlacke noch heiß, stellenweise noch rot glühend. Ungeachtet dessen mussten wir unverzüglich mit dem Abladen beginnen. Wen sollte es wundern, dass wir nun hinter allem infame Absicht witterten. Wir schaufelten  und schoben so schnell es uns möglich war das heiße Material durch die Ladeluke. Dabei vollführten wir auf der Glut regelrechte Indianertänze.

Unseren neuen Wachmann zerriss es fast vor Vergnügen. Er hopste, sprang und feixte, während er uns ständig mit "hajde" und "dawei" antrieb. Plötzlich sah ich eine Koksgabel durch die Luft fliegen, die dann im Geäst einer Eiche hängenblieb. Unmittelbar danach sprang Fritz Barufke vom Waggon und baute sich vor dem Wachmann auf. Dieser war, was ziemlich ungewöhnlich, mit einer englischen Maschinenpistole bewaffnet. Die Schulterstütze war in diesem Augenblick zurückgeklappt. Vermutlich als Reflex aus plötzlicher Angst heraus, fasste der Posten diese MPi am Laufende und schlug sie Fritz über den Schädel. Im Augenblick des Aufschlags lösten sich aus dieser Waffe mehrere Schüsse, die dem Wachmann allesamt ins Ellenbogengelenk eindrangen. Unmittelbar nach diesen Schüssen, nach dem Aufschrei, geschah ein Weiteres. Genosse Zivkovic war damit beschäftigt, mit seinem Beil einen langen Vierkantbalken nachzuarbeiten. Dieser Tumult hatte ihn einen Augenblick von seiner Tätigkeit abgelenkt. Dieser Augenblick genügte, dass er sich mit dem Beil in den Fuß schlug. Wie sich herausstellte, hatte er sich dabei zwei Zehen abgetrennt.

Dem Wachmann wurde im Nu der Oberarm abgebunden. Ihn und Zivkovic schaffte man mit der Draisine eiligst nach Vinkovci.

Auf der Baustelle war es ziemlich still geworden. Der Bauleiter ließ die Arbeit sofort einstellen. Der Wodnik brachte uns zurück in die Unterkunft.

Wir sind an dieser Baustelle nicht wieder eingesetzt worden. Am nächsten Tag mussten wir unsere Sachen packen. Man brachte uns zurück nach Vinkovci. Ob das jetzt ein Missverständnis oder ein schlechter Witz war, angeblich würden wir vom Bahnhof Vinkovci in die Heimat abtransportiert.

Am Bahnhof angelangt, ließ man uns erst einmal stundenlang auf dem Vorplatz stehen. Am späten Nachmittag wurde dann unsere Wachmannschaft ausgetauscht. Diese Ablösung brachte uns wieder nach Privlaka zurück.

Wir wurden einem bereits bestehenden Arbeitskommando zugeteilt, dessen Aufgabe es war, in den angrenzenden Wäldern Holz zu schlagen. Wir waren überrascht, dass hier außer uns ein weiteres Arbeitskommando stationiert war. Es mögen etwa zehn Mann gewesen sein, die einer Sanitätseinheit angehört hatten. Sie waren alle noch komplett eingekleidet und hatten auch alles Gepäck behalten. Man hatte ihnen auch nicht die Köpfe kahl geschoren, als ob Sanitäter keine Kopfläuse bekommen könnten. Dieses Kommando war in einem Haus untergebracht, das ehemals volksdeutschen Bauern gehört hatte.

Man empfing uns recht kühl und reserviert, was eigentlich verständlich war. So wie wir, lief man nun einmal nicht herum. Man tat sich etwas schwer, uns als Kameraden, Arbeitskameraden, zu akzeptieren. An uns war auch nichts zu verbinden oder zu behandeln; jedenfalls noch nicht. Die Einsicht, dass erst Kleider Leute machen, galt wohl überall. Hatte man dafür etwas Verständnis, fiel es auch nicht schwer, diese Distanz zu ertragen. Es lohnte sich.

Einer von ihnen war vor dem Kriege Barkeeper im Casino von Zoppot, dem heutigen Sopot. In diesem Job, so sagte er, war Menschenkenntnis das allerwichtigste. Wenn ein Gast sich an der Bar niederließ, musste man gleich erkennen, ob er überhaupt etwas von Cocktails verstand. Wem hätte man sonst die Reste der Mixturen andrehen sollen. Dann musste man hin- und zuhören können. Seine Gäste wollten ja nicht nur ihr Geld vernaschen. Man wollte sich einmal mit einem vernünftigen Menschen aussprechen und dessen Meinung hören. Und er war so ein Seelentröster.

Ein anderer war ehemals Chefkoch auf dem Luxusliner 'EUROPA'. Das sollte aber nicht heißen, dass er auch hier seine Leute bekochte. So gesehen brachten sein Wissen und seine Erfahrungen hier nichts ein. Man hörte ihm einfach zu und ließ das Wasser im Munde zusammenlaufen.

Ein dritter war bis in den Krieg hinein Saxophonist beim Radio-Tanzorchester 'Hans Bund'. Aber das war hier sein Thema nicht. Seine Zweitbeschäftigung war die Gebäudereinigung. Kurzum, er war Fensterputzer. Alle seine Kniffe auf diesem Gebiet sind mir heute noch nützlich.

Die interessanteste Person war aber ein junger Pater, ein katholischer Priester also. Von Statur war er unteres Mittelmaß. Seine  wohlgeformten Hände hatten wohl noch nie schwere körperliche Arbeit verrichtet. Ihm wurde das auch hier nicht abverlangt. Sein ganzer Habitus passte exakt zu seinem frommen Aloisiusgesicht. Er genoss hohes Ansehen bei seinen Kameraden und nicht minder bei der Wachmannschaft. Wie kam das? -

Bereits in den ersten Tagen seines hiesigen Einsatzes hatte ein Dorfbewohner sich an seinem Arbeitsgerät verletzt. Nach einigen Tagen zeichneten sich ernsthafte Komplikationen ab, die dringend einer ärztlichen Behandlung bedurften. Einen Arzt gab es aber hier nicht mehr, weil man auch ihn ins Gefängnis gesteckt hatte. Da unser Pater noch Tetanusspritzen in seinem Gepäck wusste, bot er seine Hilfe an. Diese Behandlung erwies sich als sehr wirksam, so dass der Betroffene schon bald wieder auf den Beinen war.

Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass dieser Deutsche ein katholischer Priester war. Die Frömmigkeit der hiesigen Bevölkerung schloss daher keineswegs aus, dass dieser Gottesmann mit übernatürlichen Kräften ausgestattet war. Sogar unsere Wachmannschaft zeigte sich in einer Weise beeindruckt, die es nicht mehr zuließ, diesen Mann im vorgegebenen Rahmen zu reglementieren. Unsere jetzige Bewachung war übrigens äußerst korrekt, ließ aber keine Kontakte mit der Zivilbevölkerung zu, wie uns das beim Brückenbaukommando eingeräumt worden war. Der Pater war in allem die Ausnahme. Ihm hatte man erlaubt, in der Pfarrkirche, in aller Stille, regelmäßig die hl.Messe zu feiern. Und es war schon fast alltäglich, dass die Bevölkerung irgend etwas für die Küche spendierte.

Dass unser Pater bei aller Frömmigkeit und Würde ein Schlitzohr war, das konnten wir wenige Tage später miterleben. Diesmal ging es nicht um Tetanus. Eine Bäuerin lag mit Geburtswehen danieder, die immer wieder aussetzten. Die arme Frau befand sich bereits in einem recht bedenklichen Zustand. Was lag also näher, als nach dem deutschen Pater zu rufen. Diesmal hat er vielleicht tatsächlich ein kleines Wunder vollbracht, denn was konnte unser Pater da ausrichten? - Der Pater konnte.

Nachdem man ihn an das kritische Kindbett geführt hatte, entnahm er seiner Medikamententasche zwei weiße Tabletten. Die erste sollte die Ärmste gleich schlucken, die zweite, falls überhaupt noch notwendig, nach etwa einer halben Stunde. Die Einhaltung dieses Zeitabstandes sei allerdings von Bedeutung. Außerdem könne es der Frau nicht schaden, wenn sie jetzt gemeinsam um eine glückliche Geburt beten würden. Also packte er seinen Kram wieder zusammen und ging zurück in die Unterkunft.

Allzu viel Zeit war nicht vergangen, als ein überglücklicher Vater mit seinem Pferdewagen anpreschte und unserem Pater um den Hals fiel. Sein Fuhrwerk hatte er beladen, als ob er nach Vinkovci auf den Markt wolle. Doch nichts dergleichen. Wir alle sollten seine Freude mit ihm teilen. Seine Frau hatte eine Tochter zur Welt gebracht. Schon diese erste Tablette habe die Geburt eingeleitet. Die andere erhielt unser Pater nun zurück. Dieser ließ sie weise lächelnd in ein Röhrchen fallen, auf dem ASPIRIN zu lesen stand. Da hatte er aber hoch gepokert.

*

Wir fanden leider so recht keinen Kontakt zu diesen Sanitätern. Dafür machten wir wohl einen zu heruntergekommenen Eindruck. Wer wollte es ihnen verdenken. Während sie in den Wohnräumen des Hauses untergebracht waren, hatte man uns die leeren Stallungen zugewiesen, wo wir aber ausreichend mit gutem Stroh versorgt waren. Während unserer Freizeit spielten die Sanitäter auf der Veranda Schach oder Skat. Da waren sogar noch Bücher zum Lesen. Dagegen beschränkte sich unsere Unterhaltung auf das, was uns gerade so einfiel. Fritz Barufke erzählte seine Klopse zum wiederholten Mal, wobei er wohl immer etwas dazudichtete, was sich aber gut anhörte. Bei so einer Rückbesinnung fiel es dem Toni Schäfer ein, dass unser Erich ja noch nichts erzählt habe. Vier Jahre "Z" bekäme man ja auch nicht so einfach geschenkt. Er sei doch nicht etwa...

Erich Tautenhahn wehrte ärgerlich ab. Nein, er sei recht normal veranlagt, aber ... Und so erzählte er uns auch seine Geschichte, wie er als Hilfspolizist bei Schwarzschlachtungen mitunter Pate gestanden habe. Irgend ein Neidhammel hatte ihn dann verpfiffen. - Die vier Jahre hat er im Kölner Klingelpütz abgesessen. Er hatte es insofern sehr gut angetroffen, als er bei dem Hauptwachmeister an der Aufnahme als Kalfaktor tätig werden konnte. Er erzählte, dass es ihm mit der Zeit gelungen sei, das Vertrauen dieses Hauptwachmeisters zu gewinnen. Zwar habe der gewusst, was er so an Zigaretten oder Tabak in die Anstalt hineinschmuggelte. Solange sich das aber in Grenzen hielt, habe er das stillschweigend durchgehen lassen. Dieser Beamte sei überhaupt ein rechtes Original gewesen.

So, wie Erich diesen Mann beschrieb, hätte das genau zu meinem Patenonkel gepasst, der im Kölner Strafvollzug tätig war. Also fragte ich, ob das vielleicht der Hauptwachmeister Strausfeld gewesen sei. - Da schaute Erich mich erschrocken an und sagte:

"Mensch Pit, sag nur, dass du auch im Klingelpütz gesessen hast."

Erich hatte mich bisher offensichtlich gemocht, doch jetzt hatte ich den Eindruck, dass ich sein Freund geworden war.

In unserem 'Schlafstall' machte sich ein kleines Ungezieferproblem bemerkbar. Erdflöhe versuchten es bei uns. Nicht dass sie uns schmerzhaft gezwickt oder gebissen hätten. Absolut nicht. Sie suchten uns auch nur auf, wenn wir uns am Boden zur Ruhe gelegt hatten. Dann steckten sie plötzlich zwischen Haut und Hose und drehten sich wie wild in engen Kreisen, so als ob sie sich verlaufen hätten und verzweifelt nach dem Ausgang suchten. Da Erdflöhe relativ groß sind, war das doch etwas unangenehm. Aber ich habe mich mit ihnen geeinigt. Es war mir gelungen, einen leeren Kartoffelsack an Land zu ziehen. Wenn ich am Abend einen Strauß grüner Walnussblätter in diesen Sack steckte und jetzt meine Füße und Beine hinterher, was dann soeben bis an die Knie reichte, tat sich absolut nichts mehr mit Erdflöhen. Aufgrund dieser Erfahrung haben auch meine Kumpels diesen Viechern den Spaß verdorben. Aber auf diese Idee musste man erst einmal kommen.

So habe ich geraume Zeit später die Entdeckung gemacht, dass die grünen Schalen der Walnuss wirksam die trockene Bartflechte zurückdrängt. Aber darauf komme ich noch an anderer Stelle.

Was die Verpflegung betraf, da merkte man schon, dass Erich nicht mehr für uns kochte. Hier fehlte der Ehrgeiz und auch die Freude, uns zu umsorgen. Es blieb beim Versorgen. Fünf mal in der Woche gab es Maismehl; in der Früh hauchdünn, am Mittag pampig und am Abend als Polentaschnitten. Die einzigen Zutaten waren Salz und Öl.

Mittwochs gab es Nudeln und sonntags Bohnen mit Rauchfleisch. Da diese Mittwochs- und Sonntagsverpflegung über Jahre und an allen Orten die gleiche blieb, ist es nicht ausgeschlossen, dass das jugoslawische Militär heute noch mittwochs mit Nudeln und sonntags mit Bohnen und Rauchfleisch verpflegt wird.

Was diesen Maisbrei am Mittag betraf, so hatte Fritz Barufke in seiner betont unfeinen Art dem Koch angeboten, ihm diesen Pamps "vor den Arsch zu klatschen". Seitdem hieß dieser Fraß, auch bei den Sanitätern, 'Arschklatsch'.

Ich bekam wieder meine Magen- und Darmprobleme. Meine Verdauung schien völlig lahmgelegt. Was ich zu meiner Krafterhaltung herunterschluckte, kam hinten unversehrt wieder heraus. Unser Pater behandelte mich mit HCL. So schluckte ich Salzsäure, nach Tropfen wohl dosiert. Es half alles nichts. Ich baute rapide mit meinen Kräften ab, wobei ich sagen muss, dass sich die Sanitäter sehr um mich bemühten.

Unser Arbeitskommando war für den Holzeinschlag eingesetzt. Ohne längeren Anmarsch erreichten wir allmorgendlich unseren Arbeitsplatz. Wir hatten Eichen und Ulmen bzw. Rüster zu schlagen. Die Stämme waren nach dem Fällen zu entasten, auf Meter zu schneiden und zu spalten. Die zu erfüllende Tagesnorm betrug einen Raummeter. Auf dieser Vorgabe bestand man allerdings unerbittlich. Unsere Sanitäter schafften das auch, ohne sich dabei umzubringen. Wir waren aber barfuss. Ehe es überhaupt an das Fällen eines Baumes ging, mussten wir erst einmal das dichte Unterholz, den Bodenaufschlag der Eichen fegen. Was dann davon noch kurz über dem Boden stehenblieb, das wurde zur Qual für unsere Füße. Schon nach einer Woche waren meine Füße so verschwollen und vereitert, dass ich meine Zehen buchstäblich nachzählen musste. Aber es gab kein Pardon: ein Mann, ein Meter. Ich schaffte es mit dem besten Willen nicht. Meine Kumpels, auch die Sanitäter, sorgten dafür, dass ich nur an Eichenstämmen zu arbeiten brauchte. Diese ließen sich wenigstens problemlos spalten. Die Ulmen waren in ihrer Struktur so zerfasert, dass sie sich nur sehr mühsam bearbeiten ließen. Da hatte man vergebens drei Keile eingeschlagen und musste dann zusehen, wie man sie wieder herausbekam. Und immer wieder wurde es mir schwarz vor den Augen, und ich baute ab. Mein Zustand war so, dass unbedingt bald etwas geschehen musste.

Es geschah etwas, aber das hatte grundsätzlich nichts mit mir zu tun. Jugoslawien und Frankreich hatten sich darauf geeinigt, dass die Elsässer sofort repatriiert würden; ein Beschluss also, der meine Probleme keineswegs tangierte. Oder doch? -

Mein Geburtsort war Elsaff im Westerwald. Elsass und Elsaff, das reimte sich doch schon. So kam ich in meiner Not auf die verwegene Idee, mich als Elsässer für die Repatriierung zu melden. - Ich tat’s, und zwei Tage später saß ich auf der Bahn mit Ziel Zemun, dem einstigen Semlin, wo sich damals der Belgrader Flugplatz befand.

 

14 JAHRE SPÄTER:  ... Großes Kriegsgefangenentreffen auf

                                          dem Messegelände in Köln

Ich wollte doch einmal sehen, was sich an Bekannten hier im Messegelände eingefunden hatte. Von den großen Lagern fand ich keinerlei Hinweise. Ich werde sie übersehen haben. Aber dann sah ich mich in Privlaka wieder. - Von den Kameraden der Festungsbrigade war zu meiner großen Enttäuschung niemand vertreten. Schäfer und Barufke waren doch wohl nicht wieder in irgend einem 'Internat' gelandet? Unser Polenta-Koch war da, unser Pater und der Buchdrucker, mit dem ich in Vinkovci zusammen auf dieser Abkratzstation gelegen hatte. Man erinnere sich, dass er damals sehr schmerzhaft unter Blasensteine zu leiden hatte. Er war also auch noch unter den Lebenden. Er hatte seine Frau mitgebracht. Diese hatte ganz großen Schmuck angelegt, was bei diesem Konvent etwas unpassend war. Man durfte aber daraus schließen, dass die Druckerei wieder gut im Geschäft war. Den Koch hätte ich dem Äußeren nach nicht wiedererkannt. Aber seine Stimme und seine Sprüche waren mir noch deutlich im Ohr. Der Pater hatte sich kaum verändert. Etwas ergraut schien er mir. Er fragte unseren Koch, ob er noch wisse, was seine Spezialität gewesen sei. Der Koch wusste es nicht mehr. Aber wie hatte er das vergessen können. 'Arschklatsch' nannte sich diese Spezialität. Die Frau des Buchdrukkers war entsetzt. So Vulgäres aus dem Munde eines Gottesmannes!

 



 

Fortsetzung: Die Toten von Klenak

Zum Inhaltsverzeichnis