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Der Adventskalender.

„Ich will einen Adventskalender!“, hatte meine Tochter vorsorglich Mitte November angekündigt. Mit ihren elf Jahren weiß sie genau, dass nur klare Forderungen zum Ziel führen. Vor allem bei Eltern, die eher andere Termine im Kopf haben als Nikolaustage und dergleichen.

Nun war also morgen der 1.12. Und nicht einmal die Tankstelle hatte noch Adventskalender.

Was werden die Freunde meiner Kinder von mir halten, die ab morgen jeden Tag ein Fensterchen ihres Milka-Kalenders aufreißen und eine Schokoladenfigur herausklauben dürfen? Wie werde ich in den Augen meiner Mutter dastehen, die mir jedes Jahr 24 prall gefüllte selbst gehäkelte Socken, auf eine rote Kordel gefädelt, ins Kinderzimmer gehängt hatte? Was tun, um heimelige Vorweihnachtsstimmung zu erzeugen und 24 Tage lang aufrecht zu erhalten?

Gelten nicht Fische-Frauen als ungeheuer kreativ? Da sollte es für mich kein Problem sein, einen Adventskalender ohne Schokolade und ohne Kalender zu basteln. Ich öffnete eine Flasche Spätburgunder.

Tatsächlich, ein brauchbarer Gedanke schon beim ersten Glas: Was liegt näher in einer Dienstleistungsgesellschaft, als Dienstleistungen anzubieten! Am besten vielleicht als Tombola. Gesucht wären also Serviceideen, die für eine Tochter von elf und einen Sohn von 14 Jahren attraktiv sind. Das Problem: Es müssen 48 sein.

Ich schenkte mir nach und schrieb die tapfer die ersten Lose:

„Ich nähe Dir den losen Knopf an.“

„Ich wasche Deine Fußballschuhe“.

„Du kriegst Frühstück ans Bett.“...

Bald wirkte sogar der Wein ernüchternd: Die Tage bis Weihnachten würden hart für mich werden. Meine Kinder wissen: Was man verspricht, muss man halten. Besonders als Mutter. Moment mal, was ist eigentlich mit dem Vater? Ich füllte Wein nach und die nächsten Zettel aus:

„Papa näht Dir einen Knopf an...“

Aus Mitleid mit Mann und Kind spendierte ich jetzt auch materielle Werte:

„Dieser Gutschein berechtigt zum Kinobesuch mit zwei Freunden.“

Die Flasche war ziemlich leer, als ich endlich 48 Papierstreifen fertig hatte. Ich rollte sie zusammen, wickelte um jedes einen Faden aus Stickgarn und ging schlafen. Mein Ruf als liebevolle Mutter müsste gerettet sein.

„Hä, was ist das denn?“, rief meine Tochter am nächsten Morgen.

Zugegeben, eine Mütze voller Papierröllchen ist eine herbe Enttäuschung, wenn man insgeheim den größten 24-türigen Kalender des namhaftesten Schokoladenherstellers erwartet hat.

Nachsichtig lächelnd tauchte mein Sohn seine Hand in das Loshäufchen und fischte heraus:

„Du und nur Du kriegst heute Abend die Fernbedienung“.

„Krass“, kommentierte seine Schwester und schaute mich mit einer Mischung aus Bewunderung und Skepsis an. Ihr Zettel besagte:

„Der Inhaber dieses Loses darf einem Erziehungsberechtigten die Augen verbinden, wenn eine Klassenarbeit zu unterschreiben ist.“

Bei welchem Pegelstand in der Flasche war mir das eingefallen? In den eisblauen Augen der Gymnasiastin stand nun zu lesen, dass sie das Potenzial dieser Adventskalender-Notlösung klar erkannte. Was ist stinknormales Naschen gegen echte Macht!

Eine pädagogisch geschulte Mutter kann es nicht lassen, sie führt Spielregeln ein. So auch ich:

Die Gutscheine dürfen getauscht und versteigert werden und sind 60 Tage gültig.

Hinter den geschlossenen Türen der Kinderzimmer entwickelte sich ein schwunghafter Handel. Unser Sohn tauschte bei seiner Schwester ein Los mit der Aufschrift:

„Du darfst den schwarzen Pulli anziehen, der Mama angeblich zu eng ist.“

gegen

„Du brauchst nicht mit zu Tante Helgas Geburtstag.“

Sie erwarb - gegen

„Einmal von Schuhe geputzt kriegen.“

von ihm:

„Du wirst heute gelobt.“

Wer weiß, wozu es gut ist. Am 24. Dezember fischte er den letzten Zettel aus der Mütze:

„Du darfst heute in Mamas Bett, auch wenn kein Gewitter ist.“

Warum ihm seine Schwester ihr seit 14. Dezember sorgfältig gehütetes:

„Du brauchst den Geschirrspüler nicht auszuräumen, auch wenn es dringend verlangt wird“

dafür bot, blieb ihm ein Rätsel.

Bis sie den „Auch-ohne-Gewitter-in-Mamas-Bett-Schein“ gegen eine unbekannte Summe Bargeldes an Papa verkaufte.

Uta Alexander


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