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THEMA:   Was soll zählen? Die eigene Leistung oder die Erbtante?

 11 Antwort(en).

Karl begann die Diskussion am 28.09.02 (14:48) mit folgendem Beitrag:

Die aktuelle Diskussion über Steuern hat dieses Nachdenken bei mir ausgelöst, aber ich möchte hier keine politische Diskussion beginnen. Sondern mich interessiert Eure Meinung zu folgendem Konflikt, den wahrscheinlich jeder von Euch prinzipiell auch sieht, aber bei dem erfahrungsgemäß jeder die Gewichtung anders verteilen möchte.

Wir alle sind uns wohl einig, dass persönliche Lebensleistung sich auch finanziell auszahlen darf. Nicht bei wenigen ist der Anreiz zum Schaffen und zur Leistung auch die Sorge um die Zukunftssicherung der Familie und vor allem der Kinder und Enkelkinder. Würden wir also die Möglichkeit wegnehmen, Wohlstand und Sicherheit auf die Nachkommen zu übergeben (zu vererben), wäre für viele der Anreiz wesentlich geringer, überhaupt Werte zu schaffen.

Andererseits - ich muss es auch für mich bekennen - überfällt uns manchmal der pure Neid, wenn wir sehen, dass einige ohne eigene Lebensleistung im Luxus nur so schwimmen und nur mit einem müden Lächeln tägliche Einkaufsrechnungen über zigtausend Euro quittieren (so neulich per Zufall im TV gesehen).

Wo seht ihr die richtige Balance zwischen dem berechtigten und essentiellen Wunsch der Individuen vererben zu dürfen und dem m.E. auch berechtigten Wunsch des Staates, die Allgemeinheit an großen Erbschaften zu beteiligen?

Mit freundlichen Grüßen

Karl


Hermann Penker antwortete am 28.09.02 (20:14):

Lieber Karl! Als unselbständig Erwerbstätiger habe ich ein Einkommen, das dem Finanzamt bis auf den letzten Groschen bekannt ist und dem entsprechend auch besteuert wird. Wenn ich der Meinung bin, dass ich einen Teil des von mir Ersparten der Allgemeinheit zukommen lassen soll, dann habe ich genug Möglichkeiten dazu. Das von mir ersparte und vom Staat mit Steuerabzug geschmälerte Einkommen sollte ohne besonders hohe Besteuerung auf meine Erben übergehen können (Oder das damit erworbene unbewegliche Vermögen).
Wären unsere Gesetze so, dass der Staat mehr erbt als mein Sohn, dann hätte ich mir nie ein Haus angeschafft sondern eine Mietwohnung bezogen. In kleineren und ständigen Beträgen, die nicht besonders auffallen, könnte man in vielen Jahren den Kindern ja auch einigermaßen unter die Arme greifen, ohne dass der Staat der große Nutznießer ist.
MfG Hermann


Johannes Michalowsky antwortete am 28.09.02 (20:46):

@Karl

..., daß einige ohne eigene Lebensleistung im Luxus nur so schwimmen ...

Gibt es dafür konkretere Angaben? Wer ist das, wieso ohne eigene Lebensleistung, was passiert, wenn deren Vermögen konfisziert würde - bekäme dann jeder von uns im Sinne einer Beteiligung an großen Erbschaften einen Euro ab oder wieviel? Das entsprechend Rothschild-Beispiel ist doch sicher bekannt?

Ich denke allerdings, daß es bei der jetzt einsetzenden Debatte mehr um Staatssanierung geht als um Beteiligung der Allgemeinheit an irgendetwas - diese Allgemeinheit muß nämlich ihrerseits ebenfalls kräftig dazupacken.

Ich hielte es jedenfalls für richtig, wenn jeder sich um seine eigene Wohlfahrt bemüht und nicht auf die anderer schaut.


mechtild antwortete am 28.09.02 (22:43):


Lieber Karl,
man kann das Thema nicht diskutieren, ohne zu definieren, was ist eine eigene Lebensleistung. Bringen behinderte Menschen, die ihr ganzes Leben abhängig sind, in Heimen wohnen, die vom �Steuerzahler� bezahlt werden und von Menschen betreut werden, die vom Staat bezahlt werden, auch eine Lebensleitung? Behinderte können sich nicht um ihre eigene Wohlfahrt bemühen, Johannes. Wer behindert ist muss aber auch erst definiert werden


Johannes Michalowsky antwortete am 29.09.02 (09:51):

Vielleicht sollte man auch nicht vergessen, daß große Vermögen oft in Stiftungen eingebracht werden oder worden sind oder daß Vermögende als Sponsoren auftreten oder signifikante Teile ihres Vermögens sozialen Zwecken zur Verfügung stellen.

Als Beispiel sei die Carreras-Stiftung genannt, deren Aussage es ist: Leukämie muß heilbar werden - immer und bei jedem!

Carreras bringt dort nicht nur eigene Mittel ein, sondern sammelt auch erfolgreich nennenswerte Beträge bei anderen vermögenden Bürgern und Unternehmen ein.

Bei solchen Stiftungen handelt es sich oft genug um Aufgaben, die der Staat halbherzig oder gar nicht betreibt, die aber im höchsten Interresse eines nennenswerten Bevölkerungsteiles liegen. Auch die Behinderten haben da ihren Anteil.

So gesehen halte ich es für richtig, daß dem Staat durch Einbringen von Vermögen in Stiftungen Steuermittel vorenthalten werden, da sie dort oft ein segensreiches Werk ermöglichen.

Internet-Tipp: https://www.carreras-stiftung.de/


Karl antwortete am 29.09.02 (09:57):

Auch in der Diskussion "Was ist Reichtum?" unter Politik habe ich folgenden Beitrag eingebracht:

In der Geschichte wurde die "Begradigung" von Ungleichverteilungen immer wieder vorgenommen; denn es gibt einen immer präsenten Widerspruch zwischen dem Streben des Einzelnen nach Reichtum und Macht auch für seine Erben und der Chancengleichheit der Individuen bei der Geburt.

Eine der ersten Landreformen, die historisch überliefert sind, wurde von Solon in die Wege geleitet (Quelle, s. Link). Solon wurde im Jahre 592/591 v.Chr. zum Archonten von Athen bestimmt. Sowohl die untere als auch die obere Gesellschaft sah zu ihm hinauf. In seiner folgenden Amtszeit packte er ein heißes Eisen nach dem andern an, um in Athen wenigstens ansatzweise das neue Wohl der Gemeinschaft herzustellen.

Von den Zeitgenossen ist die sg. Lastenabschüttelung ("Seisachteia") als ganz besonders revolutionär empfunden worden. Sämtliche Schulden wurden aufgehoben - die Gläubiger hatten alle Ansprüche an ihren Schuldner verloren. Fortan gab es die sogenannte "Hektemoroi" nicht mehr, die vorher die Bauern dazu zwangen für das Land ein Sechstel des von ihnen erwirtschafteten Produktmittels dem Lehnherrn zu entgelten. Stattdessen ging nun der von ihnen vorher bearbeitete Boden in den ihren Besitz über. Außerdem verbot er das "Leihen auf den Körper", das bei Zahlungsunfähigkeit die sg. Schuldknechtschaft zur Folge gehabt hätte. Was also die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 unter die unveräußerlichen Menschenrechte aufnahm, daß niemand sein Leben oder seine Freiheit verpfänden oder verkaufen kann, war das schon 2370 Jahre früher in die Tat umgesetzte Credo des ersten politischen Denkers der abendlländischen Welt.
Wie sehr der Adel Solon seine vermeintlich einseitige Bevorzugung des Volkes verübelte, zeigt sich an den häßlichen Gerüchten, die boswillige Verleumder in Umlauf brachten. Demnach munkelte man hinter vorgehaltener Hand, Solon habe kurz vor der Reform Freunden und Verwandten von seinem Plan berichtet, welche dann nichts Eiligeres zu tun hatten, als hohe Kredite für riesige Grundstücke aufzunehmen, und danach als reiche Großgrundbesitzer ohne eine Drachme Schulden dastanden. Solons Integrität ist jedoch über jeden Zweifel erhaben. Wieso hätte er - der zahlreichen "Freunden", die ihn zu einem Ausbau seiner Stellung zur Tyrannis drängten, eine unmißverständliche Abfuhr erteilte - mit solchen vergleichbar harmlosen Dingen seinen Ruf aufs Spiel setzen sollen? Doch auch der Demos (das Volk) fühlte sich bald betrogen, da die von ihm gewünschten Änderungen teils unberücksichtigt blieben. So stand Solon also gleich nach der ersten Maßnahme im Kreuzfeuer der Kritik...

(s. Link)

Internet-Tipp: https://olsn.st.schule.de/Wissen/Geschichte/Vortrag/Solon/gesetz.html


Johannes Michalowsky antwortete am 29.09.02 (10:21):

Hm, wollen wir künftig alles doppelt moppeln? Ich hatte dort geantwortet:

@Karl

"... die vorher die Bauern dazu zwangen, für das Land ein Sechstel des von ihnen erwirtschafteten Produktmittels dem Lehnherrn zu entgelten."

Da wäre aber heute jeder Steuerzahler froh, wenn er nur ein Sechstel abliefern müsste. Das ist in der deutschen Gegenwart mal gerade in etwa der Eingangssteuersatz.


Karl antwortete am 29.09.02 (11:58):

Nun, Solon verbot auch das "Leihen auf den Körper", das bei Zahlungsunfähigkeit die sg. Schuldknechtschaft zur Folge hatte. Insofern geht es uns heute schon wesentlich besser, da Leibeigenschaft und Sklaventum abgeschafft sind. Die Sklaverei ist im übrigen ein drastisches, aber andererseits besonders anschauliches Beispiel für das, was ich meine.

Ein in die Sklaverei geborenes Kind hatte, selbst bei höchster Intelligenz, kaum eine Chance auf Reichtum, während der eventuell tumpe Sohn eines Großgrundbesitzers wie die Made im Speck leben konnte.

Damit ich richtig verstanden werde: Ich halte beides für legitim, die Forderung eines Anrechts auf Chancengleichheit (der jeder moderne Mensch heute guterzogen zustimmt) als auch das individuelle Streben nach optimaler Versorgung der Nachkommenschaft. Es ist der automatisch programmierte Konflikt zwischen beiden Seiten, der mich fasziniert und der z.T. sogar direkt in unserer Parteienlandschaft Ausdruck findet.

Was mir wichtig ist, dass wir erkennen, dass die Anliegen beider Seiten "gerecht" sind, wir uns also um einen vernünftigen gesellschaftspolitischen Ausgleich (Kompromiss) bemühen müssen. Niemand sollte die Vertreter der anderen Seite verteufeln, sondern argumentativ ernst nehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


mechtild antwortete am 29.09.02 (14:21):

Lieber Karl, ich stimme Dir zu die eigene Leistung und die optimale Versorgung er Nachkommen beides ist legitim. Dazu muss aber die eigene Leistung, die Arbeit entsprechend gut bezahlt werden und zwar jede Arbeit. Es darf nicht so große Gehaltsunterschiede geben wie jetzt. Wenn ich von einem Job im Dienstleistungsbereich meine Lebenshaltungskosten nicht gedeckt bekomme und deshalb noch einen 2. Job brauche um leben zu können, ein Manager in einem Konzern aber so viel im Jahr verdient, wie ein ArbeiterInn in seinem ganzen Leben, dann ist das Lohnleistungsverhältnis nicht mehr in Ordnung.
Das Häuschen von der Oma oder der mittelständige Betrieb vom Vater sollen weiter ohne Steuern vererbt werden.


MariaM antwortete am 30.09.02 (21:39):

Lieber Karl, Du hast eine so spannende Diskussion begonnen. Ich wollte spontan antworten - aber das geht nicht. Weil, es sind so viele Themen in Deinem Beitrag, die eigentlich eine Rundum-Konferenzschaltung für die nächsten vier Wochen erfordern. :-)))

1. Thema. Persönliche Lebensleistung - "darf" sie sich finanziell auszahlen. (Aber Hallo!). 2. Thema. Die Generation der Erben. (Ein Fortsetzungskrimi). 3. Thema. Neid. (Kenne ich nicht, ist aber hochinteressant). 4. Thema. Was ist mein Motor im Leben/Beruf - die Kinder, denen ich was hinterlassen möchte? (Aber werklisch net, sagt der Hesse in mir). 5. Thema. Sklaverei - hat sie heute nur einen anderen Namen? (Ja!). 6. Chancengleichheit. Der Konflikt zwischen Arm und Reich. (Stoff für eine Wochenendtagung). 7. Die Parteien-Tragödie - Arbeitgeber und Arbeitnehmer fühlen sich wo gut aufgehoben? (Ganze Arbeiterviertel in Hamburg haben diesmal plötzlich CDU/CSU gewählt).

Womit möchtest Du anfangen?

Ich beginne mit 1. Ich arbeite von morgens um 9 bis abends um 9. Mein Beruf lässt es nicht anders zu. Entweder ganz oder gar nicht. An Wochenenden, wenn andere relaxen, arbeite ich. So ist das nun mal. Ich zahle einen hohen Preis dafür, dass ich entsprechend mehr Geld verdiene als ein Schlosser. Deshalb bin ich aber nicht reich. Ich habe zwar rund 6000 Bücher, komme aber kaum noch zum Lesen und somit ins Schleudern. Wozu das alles? Aber: Ich habe gar keine andere Wahl als weiterzumachen... Oder zum Sozialhilfeempfänger zu werden. Dann werden die im Leben erarbeiteten "Privilegien" einkassiert. Persönliche Lebensleistung - eine Sackgasse!? (Bitte, lassen Sie uns das Leben Behinderter in einem gesonderten Thema diskutieren @ Mechtild).

Herzliche Grüsse an alle.


Poldi antwortete am 30.09.02 (23:44):

@MariaM

Einer der besten Beiträge, die es im Forum gegeben hat - Respekt!


mechtild antwortete am 01.10.02 (12:37):

Liebe MariaM Ich meine, die persönliche Lebensleistung kann nur individuell definiert werden. Jeder hat verschiedene Zwänge, die das Leben vorschreibt und die die individuelle Lebensleistung beeinflussen. (z:B. Kinder ja/nein, Krankheit ja/nein, Eigentum ja/nein) Die hier genannten Punkte und noch viele andere beeinflussen die Lebensleistung. Ich kann manche Dinge zwar beeinflussen, aber viele Sachen werden auch vom Schicksal stark beeinflusst. (z.B. gesunde Kinder) Ich halte es für korrekt, das Löhne unterschiedlich sind. Ein Chef verdient meist mehr als seine Angestellten und hat noch sehr viel andere Privilegien. Aber das ist auch okay. Nur eine oder mehrere Gehaltsstufen mehr verdienen als meine Angestellten und ein Managergehalt, da gibt es doch wohl unverhältnismäßige Unterschiede. Darüber sollte man bei einer Lebensleistung diskutieren und nicht über das Gehalt, was in unterschiedlichen Gewerben gezahlt wird.
Wenn Du Spaß an der Arbeit hast, arbeite so lange Du kannst, so viel Du kannst und kassiere ein gutes Gehalt. Wenn sich die Gehälter aber im Bereich von z.B. Herrn Sommer von der Telekom udgl. bewegen, halte ich das nicht mehr in Ordnung. Ich glaube Leistung und das dafür zustehende Gehalt oder wie es sich auch bezeichnet stehen da in keiner Relation.
Mechtild