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THEMA:   Die kluge Ratte

 21 Antwort(en).

pheedor begann die Diskussion am 13.12.02 (11:43) mit folgendem Beitrag:

In seiner Enzyklopädie der Säugetiere schreibt Grzimek, Ratten hätten die in den fünfziger Jahren von den USA auf dem Eniwetok-Atoll durchgeführten Wasserstoffbombentest überlebt. Es gibt leider keine Quellennachweise in dem Buch. Auch Nachfragen beim Verlag haben nichts ergeben.

Ich gehe mal davon aus, daß Grzimek dies nicht unbedacht erwähnt hat; die Frage ist, falls es stimmt, wie hat die Ratte das gemacht? Ein Tier, dem nachgesagt wird, es habe die Pest verbreitet, obgleich es an ihr millionenfach zu Grunde gegangen ist.

Hat hier jemand darüber gehört, oder gelesen?


Wolfgang antwortete am 13.12.02 (13:01):

Im (Nord)-Pazifik gibt es ein Atoll... das Rongelap Atoll... Teil der 'Republic of the Marshall Islands'. Das Atoll liegt etwa 100 Meilen südöstlich des Bikini Atolls, dort, wo bekanntlich die USA von 1946 bis 1958 67 Atom- und Wasserstoffbomben testeten. Bei vielen dieser Explosionen lag Rongelap in Windrichtung und wurde so vom radioaktiven Fallout getroffen, so stark, dass die Bewohner (gegen ihren Willen) umgesiedelt werden mussten. Mittlerweile sind sie aber alle wieder zu Hause.

Im Meer rund um Rongelop - sagt man - gebe es die intaktesten Korallenriffe des Pazifiks und besonders viele und grosse Fische.

Weil das so ist, soll Rongelop jetzt als 'Urlaubsparadies' ausgebaut werden. Eine japanische Investorengruppe will gross einsteigen ins Geschäft. Dann dürfte es schnell vorbei sein mit den intakten Korallenriffen und den Fischen.

Was lernen wir daraus? - Offensichtlich schädigen Atom- und Wasserstoffbombentests die Ökosysteme mit ihren Pflanzen und Tieren kaum oder lassen sie gar - weil die Menschen vertrieben wurden - prächtiger gedeihen, als vorher ... Der grösste Feind intakter Ökosysteme scheint der Mensch zu sein, vor allem, wenn er als Tourist daherkommt.

Rongelap Atoll
Republic of the Marshall Islands
Local Government Site
https://www.botany.hawaii.edu/rongelap/webpage/

Internet-Tipp: https://www.botany.hawaii.edu/rongelap/webpage/


pheedor antwortete am 13.12.02 (14:26):

@wolfgang

Danke für die Info. Das Eniwetok-Atoll zählt ebenfalls zu den Marshall-Inseln. Meine Frage zielt dahin, was, vorausgesetzt dem ist so, geschieht da eigentlich, wenn durch radioaktive Strahlung einerseits Menschen sterben, andererseits Lebewesen (bei Grzimek die Ratten) überleben!? Ich habe mich hier in der Uni-Bibliothek dumm und dusselig gelesen und nichts gefunden. Selbst bin ich über Groliers visueller Enzyclopidea nicht fündig geworden.

Das Erstaunlichste dabei ist, daß durch den von Xenopsilla-cheopsis übertragenen Bazillus die Ratte gestorben, durch radioaktiven Niederschlag aber nicht gestorben ist; falls letzteres zutrifft.


Karl antwortete am 14.12.02 (12:03):

@ pheedor
Sicherlich sind auch sehr viele Ratten gestorben. Vermutlich hätten auch einige Menschen überlebt, wenn sie so zahlreich gewesen wären wie die Ratten, aber sie hätten sich danach nicht so schnell vermehrt, da sie eine längere Generationszeit haben und die "Wurfzahl" geringer ist als bei den Nagetieren.

Mit der Klugheit (der Lernfähigkeit) der Ratten, die ich nicht in Frage stellen möchte, hat in diesem Fall das Überleben sicherlich wenig zu tun. Auch viele Insekten werden überlebt haben.


Wolfgang antwortete am 14.12.02 (13:07):

Gerade im Bereich der Schädlichkeitsprüfungen zeigen sich immer wieder gravierende Unterschiede zwischen Mensch und Versuchstier. Was für den Mensch giftig ist oder Missbildungen hervorruft, kann für die Ratte harmlos sein und umgekehrt.

Dass man überhaupt Tiere z. B. erhöhter Strahlenbelastung aussetzt und so ihre biologische Beanspruchung misst, entspingt der Vorstellung, dass eine Tierart als biologisches Modell für eine andere dienen kann. Diese Vorstellung aber ist sehr vereinfachend. Jede Tierart ist einzigartig bezüglich Anatomie, Physiologie und Stoffwechsel mit seiner Umwelt.

Das heißt: Jede Reaktion auf Schadstoffe ist speziesspezifisch, also nur für eine Art charakteristisch. Da neben der Reaktion auch noch andere Faktoren, wie Umweltbedingungen, Nahrung, Konstitution usw., eine wichtige Rolle spielen, sind die Ergebnisse solcher Tests nicht nur für die eine Tierart, sondern strenggenommen sogar nur für die gerade betroffene Population gültig.

Tatsache ist aber auch, dass alle lebenden Systeme von Radioaktivität beeinflusst werden - bis hin zu ihrer Zerstörung.

Eine prima Webseite von der Fachhochschule Furtwangen gibt es zum Thema...

Biologische Strahlenwirkungen
https://zope.reaktor.fh-furtwangen.de/portal/natural_sciences/nuclear_sciences/biostrahlen/biostrahlen2


Ursula antwortete am 14.12.02 (13:53):

Hallo Wolfgang,

die Internet-Adresse kann nicht richtig sein. Könntest Du sie bitte nochmal überprüfen.
Und direkt über die Website der FH Furtwangen (www.fh-furtwangen.de) habe ich die Veröffentlichung (interessiert mich sehr) leider auch nicht gefunden.

Gruß
Ursula


wese antwortete am 14.12.02 (14:08):

@ Ursula:

Also bei mir funktioniert die Adresse. Vielleicht hast Du sie nicht ganz vollständig kopiert.


Ursula antwortete am 14.12.02 (14:20):

Danke, wese,
Du hast Recht, habe die Adresse wohl falsch eingegeben. Im zweiten Anlauf hat es soeben geklappt.
Gruß
Ursula


pheedor antwortete am 14.12.02 (14:33):

@hallo Karl,

wie man sich das Phänomen erklären kann, weiß ich auch noch nicht. Zu Geburten sei gesagt, daß die Ratte in der Lage ist, wie ein paar andere Tiere auch, ihren Nachwuchs mit dem zur Verfügung stehenden Lebensraum abzustimmen, (sie trägt nicht alle Föten aus, falls erforderlich).

Toll nicht? Der Mensch kann das nur mit Condomen und Abtreibung!


pheedor antwortete am 14.12.02 (14:37):

danke, Wolfgang,

bin auf der Seite gewesen. Werde mal durchblättern.


pheedor antwortete am 14.12.02 (15:09):

@wolfgang

aus Grzimeks Bericht geht leider nicht hervor, ob Ratten zu Testzwecken auf dem Atoll ausgesetzt wurden, oder ob sie dort wild, oder bei den Menschen lebten, zwangsweise, weil auch hier ihres natürlichen Lebensraums beraubt.

Was Experimente an Ratten und deren Nützlichkeit, die beachtenswerten Besonderheiten dieses Tieres, ob sie die Pest verbreitet hat, oder nicht, weswegen sie im chinesischen Kalender an erster Stelle steht, wieso sie in Dejnoke (Indien) als Kaba (Kinder) verehrt wird, anbelangt, darüber können wir uns ein ander mal gerne unterhalten; im Moment geht es mir nur um das Phänomen Eniwetok.


Wolfgang antwortete am 14.12.02 (15:59):

@pheedor... Ich habe das schon verstanden, dass Dich das 'Phänomen Eniwetok' - wie Du es nennst - besonders interessiert. Ich wollte mit meinen Beiträgen auch nur einige Informationen liefern, um nicht unwidersprochen die Sache mit den 'klugen Ratten' stehen zu lassen.

Phänomene dieser Art sind relativ leicht zu erklären, denn Radioaktivität ist messbar und ihre Auswirkungen auf Pflanzen, Tiere und Menschen auch. Allerdings, man muss vorsichtig sein und vor allem Fachleute verschiedener Fachrichtungen zu Rate ziehen, um die Daten richtig zu interpretieren. Denn nichts ist schwieriger, als ein ganzes Ökosystem und die vielfaltigen Aktionen und Reaktionen seiner 'Bewohner' zu beschreiben oder gar zu erklären.

In esoterischen Kreisen wird gerne das Märchen von den 'klugen Ratten von Eniwetok' erzählt. Angeblich sollen Ratten resistent sein gegen radioaktive Strahlung oder gegen Hitze- oder Druckwellen. Sind sie aber nicht. Dass Ratten nach der Verwüstung der Erde durch einen grossen atomaren Krieg für sie bessere Lebensbedingungen vorfinden, und die für uns Menschen dann nicht mehr so gut sind, wie bisher, ist möglich. Das beweist allerdings nur, dass wir die für Menschen immer noch recht günstigen Lebensbedingungen auf unserem Planeten nicht mutwillig zu unserem Schaden verändern sollten. :-)


schorsch antwortete am 14.12.02 (16:16):

Auch in Hiroshima und Nagasaki haben ein paar Menschen die A-Bombe überlebt in Gebieten, wo sonst alle Menschen starben. Wenn also sogar der Mensch nicht immer gleich reagiert wie sein Mitmensch, ist dies doch von Kleinlebewesen, die in grosser Anzahl leben, nicht anders zu erwarten. Ganz gewiss aber tragen Mensch, Tier und Pflanzen durch solche Eingriffe Schäden davon, die erst in nächsten Generationen ersichtlich sein können.
Übrigens: Zur Zeit als die Saurier infolge einer Naturkatastrophe ausstarben, sind viele andere Arten fast unbeschadet davongekommen. Insbesondere jene natürlich, die im Meer lebten.


pheedor antwortete am 14.12.02 (16:22):

hallo, wolfgang,

nicht mißverstehen, ich bin dir dankbar für deine Infos und die Angabe der Internetseite

Gruß
Pheedor


pheedor antwortete am 14.12.02 (17:11):

@schorsch

das ist hinlänglich bekannt.


pheedor antwortete am 14.12.02 (19:22):

@hallo, Wolfgang,

Laß mich mal ganz locker phantasieren:

Der sich aufzwingende Gedanke der Überlebensfähigkeit der Ratten nach einem großen atomaren Krieg ist schon gravierend, nicht wahr? Stellt sich dabei doch, zumindest theoretisch, die Krone der Schöpfung als >abgesetzt< heraus. Dazu auch mein Vergleich mit Xenopsilla-cheopsis (natürlich) und der Auswirkung von Wasserstoffbomben (unnatürlich)

Zu dem Unterschied Mensch � Versuchstier: Weiterhin hat sich bei Ratten als Versuchstiere erwiesen, daß sie ihre natürlichen Verhaltensweisen ablegen. Obwohl bei einem solcher Versuche für alle notwendigen natürlichen Umgebungen gesorgt wurde, reichlich Platz und genügend Nahrung vorhanden war, baute die Ratte keine Nester mehr und stellte ihre Vermehrung ein. Interessant, nicht wahr? Sie nimmt die andere Situation wahr, sie stellt sich ein, sie paßt sich an. Man mag daraus ermessen, wie wenig nützlich Produkte sind, die an Ratten getestet wurden, von der Grausamkeit solcher Vorgehen einmal ganz abgesehen. Übrigens hat sie sich auch nach der Beraubung ihres natürlichen Lebensraums angepaßt � sie kann sogar in dreckigen Kanälen und auf Müllkippen leben. Der Mensch würde dort keinen Tag unbeschadet überstehen.

Zurück zum Eigentlichen könnte man meinen, mit radioaktiven Niederschlägen habe sie im Grunde nichts am Hut, sie kann sich darauf aber einstellen, wie sie sich bei dem frühzeitigen Erkennen eines Erdbebens ebenfalls auf Flucht einstellt. Druck, Helle und Hitze überlebt sie wahrscheinlich in der Tiefe ihrer Baue.

Besitzt du vielleicht Lektüre in diesem Thema? Ich habe hier zwar schon einiges, aber vielleicht fehlt mir noch was.

Mit freundlichen Grüßen
Pheedor


Felix antwortete am 15.12.02 (00:51):

Da habe ich einen Beitrag gefunden:
<https://www.physiologus.de/ratte.htm>

Auf Engebi wurden im Verlauf von vier Jahren vierzehn Atombomben und eine thermonukleare Bombe abgeworfen, die in verschiedenen Höhen über dem Boden explodierten.
Vier Jahre nach Beendigung der Versuchsreihe landeten Wissenschaftler der amerikanischen Marine, in schwere Strahlenschutzkleidung gehüllt, auf der Insel. Der Boden war wie verglast; die üppige tropische Vegetation, die einst die Insel bedeckte, war vollkommen vernichtet und ebenso alle Tiere. Alle, bis auf eine Art: die Ratten. Diese Nager gab es immer noch, und sie vermehrten sich weiterhin ungestört, gesund und kräftig.

�Die Fallen, die wir auf der Insel aufstellten, füllten sich bald mit Ratten, und es waren keine armen, von der Strahlung deformierten Kreaturen, sondern kerngesunde und robuste Exemplare�, notierte erstaunt William B. Jackson, der Hauptverantwortliche der amerikanischen Marineforschungsgruppe.
Doch wie hatten die Ratten fünfzehn Atombomben überleben können? Und vor allem, wovon hatten sie sich in den vier Jahren des Infernos ernährt?
Verschiedene Hypothesen wurden aufgestellt: Die Ratten mußten sich in tiefe unterirdische Gänge verkrochen und von den Wurzeln der einst reich wuchernden tropischen Vegetation gelebt haben,und wahrscheinlich hatten sie sich nach und nach auf den Fischfang verlegt und waren in große Tiefen auf der Suche nach Fischen und Krustentieren hinabgetaucht.
Doch wie gesagt, dies sind Hypothesen, die zahlreichen Faktoren keine Rechnung tragen, wie unter anderem den unvorstellbar hohen Temperaturen (im Bereich von Millionen Graden), die bei einer Nuklearexplosion herrschen, dem Seebeben, das diese hervorruft, dem Verschluß der Gänge durch den schrecklichen Uberdruck, der Zerstörung von Samenzellen durch Gammastrahlen ...
- Aus:Francesco Santoianni, Von Mäusen und Menschen. München 1998 (Serie Piper2594, orig. 1993)

Internet-Tipp: https://www.physiologus.de/ratte.htm


pheedor antwortete am 15.12.02 (01:45):

@felix,

danke, Felix, das ist ein guter Hinweis. Bin gerade auf der Seite gewesen.

Erstaunlich, daß so Vieles noch Theorie ist. Na, ja, macht nichts, erstmal habe ich jetzt was zum Studieren.

Bis zum nächsten Thema.

Mit freundlichen Grüßen
Pheedor


Felix antwortete am 15.12.02 (02:56):

In einem weiteren Beitrag wollte ich noch einige Ergänzungen anbringen. Leider wollte ich vorhin etwas korrigieren ... und weg war er.

Kurze Zusammenfassung:
Es geht bei den Ratten nicht um Klugheit sondern um andere Eigenschaften, die ein Überleben wahrscheinlicher machen:
- Anpassungsfähigkeit, Merk- und Lernfähigkeit, funktionierendes Sozialsystem, grosse Nachkommenrate, kurze Tragzeit, Unspezialisiertheit z.B. bei der Nahrung, hohe Resistenz gegen schädigende Einflüsse u.s.w.

Ionisierende Strahlung schädigt den Körper und das Erbmaterial. Je koplexer der Aufbau eines Lebewesens ist, umso grösser wird das Risiko, dass diese Schädigungen zum Tod des Individuums führen.

Die einmalige Ganzkörper-Dosis bei der von einer Population die Hälfte stirbt, nennt man die Semiletaldosis (LD50).
Beim Mensch beträgt sie durchschnittlich um 450 rem, bei der Ratte um 600 rem aber bei Wespen an die 100'000 rem.
Es gibt Mikroorganismen, die noch weit resistenter sind.

Als Vergleich: Die Feuerwehrmänner, die in Tschernobyl an fordester Front im Einsatz waren erhielten Dosen von mehr als 1000 rem!


schorsch antwortete am 15.12.02 (10:36):

Fazit: Trotz grössten Anstrengungen des Menschen, die Erde auszurotten, gibt es einige Lebewesen, die das zu vereiteln verstehen!


pheedor antwortete am 15.12.02 (14:05):

hallo, Felix,

das sehe ich ebenso. Meine Überschrift hätte ein Fragezeichen haben sollen.


pheedor antwortete am 15.12.02 (14:26):

nochmal, Felix, war auch zu schnell weg;

das mit der Semiletaldosis ist äußerst interessant. Will mal schauen, daß ich darüber noch mehr Infos bekomme.

mfg
Pheedor