Archivübersicht | Impressum

THEMA:   Das anonyme Töten

 23 Antwort(en).

Karl begann die Diskussion am 07.01.03 (07:59) mit folgendem Beitrag:

Die Schrecklichkeit moderner Kriege wird z.T. dadurch ermöglicht, dass Töten durch Knopfdruck aus großer Distanz keine der uns eingebauten biologischen Hemmungen mehr auslöst. Schockiert hat mich vorgestern im Fernsehen die Aussage eines amerikanischen Bomberpiloten (es hätte ein Bomberpilot aus allen Luftwaffen der Welt sein können), der soeben über die schmerzhafte Trennung von seiner eigenen Familie, speziell von seinen beiden kleinen Kindern berichtet hatte. Er sagte, dass er beim Auslösen einer Bombe nie an ein Gebäude oder an Menschen denke, sondern immer nur an "das Ziel".

Bomberpiloten sind keine Unmenschen, sondern nett, sympathisch, sie könnten Dein Freund sein. Sie wären nicht in der Lage ein einziges Kind mit dem Dolch zu ermorden, aber sie töten Tausende ohne nachzudenken, per Knopfdruck.

So war es in Coventry, in Dresden, in Vietnam, so ist es im Irak geplant. Die Piloten sind heiß darauf.

Es heißt immer, Menschen seien zur Reflexion ihres Tuns in der Lage. Sind sie es? Würde man bei der Aufnahmeprüfung zum Bomberpiloten verlangen, dass die Kandidaten wenigstens ein Baby per Hand umbringen, würde es kaum Bomberpiloten geben. Menschlichlkeit wird auch heute noch am ehesten durch unsere biologischen Instinkte garantiert. Schaltet man sie aus durch große Distanz und Verfremdung ist sie wie weggeblasen.

Töten ist neuerdings wie ein Computerspiel, nur die Leichen sind real, aber der Knopfdrücker merkt es gar nicht.


hl antwortete am 07.01.03 (08:16):

Ich weiss nicht, Karl, ob die Bomberpiloten und alle anderen am Töten beteiligten Soldaten wirklich so naiv und sympathisch sind, wie dargestellt.

Man sollte zu den Medienbildern der getöteten Menschen - egal welcher Kriegsschauplatz (was für ein Wort!) - Bild und Namen des jeweiligen Bomberpiloten bzw. Knopfabdrückers setzen. Vielleicht gäbe es dann ein paar Menschen weniger, die bereit sind den Knopf zum Töten zu drücken.


Simba antwortete am 07.01.03 (08:19):

Wenn jeder das Tier selbst töten müsste, dessen Fleisch er essen will, würde es auch viel mehr Vegetarier geben.


Karl antwortete am 07.01.03 (08:21):

Liebe Heidi, im Privatleben nett und sympathisch, im Beruf schrecklich. Es ist die Diskrepanz, die mich so erschreckt. Diese Menschen werden so gedrillt, ihr Gehirn so gewaschen, dass sie absolut nichts Böses erkennen können an dem, was sie tun.


schorsch antwortete am 07.01.03 (08:21):

....und vielleicht würde es schon nützen, wenn neben dem Knopf ein Bild seiner Familie hängen würde auf dem steht: "Vielleicht drückt im gleichen Moment ein anderer Pilot auf den Knopf und löscht deine Familie aus?"


Karl antwortete am 07.01.03 (08:22):

@ Simba, auch das ist wahr und beruht auf dem gleichen Prinzip der Verfremdung, des "Nichtdabeiseins".


hl antwortete am 07.01.03 (08:29):

Die scheinbare Diskrepanz ist meiner Meinung nach nicht so gross, lieber Karl. Denn alle Kopfdrücker und Menschentöter waren einmal Zivilisten, die sich bewußt für den Beruf des Soldaten entschieden haben und damit auch bewußt für die Möglichkeit, dass sie im Rahmen ihres Berufes auch Menschen töten müssen.


hl antwortete am 07.01.03 (08:47):

.. ausserdem gehört die sympathische Darstellung "unserer Jungs" in den Medien zur Kriegspropaganda. Die Kriegsmacher rechnen wohl nicht mit denkenden Menschen.


Karl antwortete am 07.01.03 (09:17):

So ist es und die Kriegsmacher haben ja leider oft recht mit dieser Annahme, wie wir auch hier immer wieder gesehen haben (s. Politikforum).


Karl antwortete am 07.01.03 (09:33):

Es lohnt sich übrigens, in Google unter dem Begriff "Tötungshemmung" zu suchen. Diese angeborene Tötungshemmung funktioniert aber leider eben nur im Nahbereich. Kindchenschema und Unterwerfungsgesten, wie auf den Rückenlegen (den verwundbaren Bauch präsentierend) können im Krieg der Elektronik keine Tötungshemmung mehr auslösen, da Individuen unsichtbar bleiben.


mulde antwortete am 07.01.03 (10:26):

Also doch- Soldaten sind Mörder!!

was ist aber dann der Befehlgebende Leutnant- Hauptmann
oder gar General--- und Berater eines Regenten!
Verurteilt wird immer der , welcher direkt damit zu tun hatt.
der höhere Befehlsgeber sitzt stets im "warmen".
Ist bei enem Sieg stets Befehlsgeber der erste zum Lorbeeren abholen-
bei einer Niederlage trägt immer der Untergebene die Schuld.
Nur die wahren Schuldigen - die Generalstäbler und ihre Auftraggeber - die sterben an Alterschwäche.


Ullika antwortete am 07.01.03 (10:50):

Der Mensch hat nur einen natürlichen Feind - seine Artgenossen. Ihm muss nur oft genug eingeredet werden, dass seine Eigentum, seine Existenz, sein Wohlstand gefährdet sind und er greift hemmungslos zur Waffe. So entstehen nicht nur Kriege, sondern entwickelt sich auch Rechtsradikalismus. Um das Übel an der Wurzel zu packen, muss ein Umdenken erfolgen, dazu gehören eine gute Erziehung und eine gute Bildung. Einer meiner alten Lehrer hat einmal gesagt: die Politiker sind gar nicht an mündigen Bürgern interessiert, sondern sie wollen nur die Masse hinter sich bringen.


Felix antwortete am 07.01.03 (12:34):

An anderer Stelle bin ich schon einmal auf dieses Problem eingegangen. Hier nochmals in Kürze:

- Es existieren angeborene Tötungshemmungen ... auch beim gesunden Menschen.
- Der angeborene Auslösemechanismus (AAM, Fachbegriff der Verhaltensforschung) funktioniert aber nur, wenn gewisse Signale wahrgenommen werden können. z.B. Demutsgebärden, Kindchenschema, Unterwerfungsgesten etc. von Karl erwähnt.
- Bei Waffen, die auf grosse Distanz oder indirekt wirken, können diese hemmenden Signale nicht wahrgenommen weden.
- Aber auch bei Sichtkontakt können diese Hemmungen überwunden werden. z.B. wenn der andere angreift oder schiesst, wenn der Kamerad getroffen wird, wenn der Befehl zum Töten penetrant genug wird und natürlich sehr bald nach Gewöhnung und damit Abstumpfung.
- Dass ca. 70-80% der Menschen bereit sind, andere Menschen bis zum Tod zu quälen ... wenn eine vermeintliche Autorität dies anordnet ... zeigen die erschreckenden Resultate der Milgram Experimente und ihre Nachfolger.

Hier der Link dazu:
<https://141.35.2.84/erzwiss/projekte_2000/cakir_loth/das_milgram_experiment.htm>

URL zu lang?

Internet-Tipp: https://141.35.2.84/erzwiss/projekte_2000/cakir_loth/das_milgram_experiment.htm


schorsch antwortete am 07.01.03 (16:31):

Diese Hemmungen fallen auch zum Beispiel, wenn ein Soldat von den Vertretern der eigenen Armee getötet oder ins Gefängnis geworfen würde, falls er sich weigern würde zu töten.
Dieser Aspekt wirft die Frage auf: Warum hetzen die Generäle und Politiker Unschuldige auf Unschuldige, statt sich selber auf das Schlachtfeld zu begeben und sich Mann gegen Mann die Köpfe einzuschlagen?


susanna berger antwortete am 07.01.03 (21:27):

@ schorsch

...das predige ich schon seit langer Zeit, aber niemand hört auf mich. Laß�die Oberen gegeneinander antreten und wer gewinnt ... gut, der hat eben gewonnen und leider muß das Volk dann dem Sieger gehorchen ...

Das würde vielen großes Elend ersparen und wir hätten dann einen Oberen, der gut in Form sein muß, sowohl pysisch als auch psychisch.


schorsch antwortete am 08.01.03 (11:51):

Ich gehe nicht so weit zu verlangen, dass dann das Volk des Verlierers auch verloren habe - höchstens einen offenbar nicht wehrtüchtigen Zu-Obersten ! Aber diese sind austauschbar.....


mechtild antwortete am 08.01.03 (23:17):

Die Menschen sind doch so stolz darauf, dass sie nicht nur ihren Instinkten gehorchen, sondern denken können und über ihr Verhalten reflektieren können. Diese Fähigkeit besitzt der Mensch auch im Krieg oder zumindest , bevor er in den Krieg zieht. Sie ist aber bei Soldaten nicht erwünscht. Soldaten sollen gehorchen und nicht denken.
Leider wird die heutige Jugend wieder so erzogen, dass möglichst wenig denken müssen. Sie gehorchen nicht unbedingt, aber machen alles, was Spass macht. Warum es Spass macht und was es bewirkt, was sie tun wird auch nicht gefragt. Also selbst denken ist nicht gefragt, macht wohl keinen Spass.


schorsch antwortete am 09.01.03 (12:00):

Ich habe selber eine Rekrutenschule und eine Unteroffizierschule absolviert und erlaube mir, eine eigene Meinung zum "Heldentum" zu äussern:

Der Drill und das Exerzieren haben - nebst der Ertüchtigung des Körpers - das Ziel, den Soldaten zu unbedingtem (Kadaver-)Gehorsam zu erziehen. Nur so kann man später von ihm verlangen, auf jedes Ziel zu schiessen, sei dies nun eine Festung oder "nur" ein Zivilist in Gestalt eines alten Mütterchens oder eines Kindes. Vordergründig tun wir dies im Interesse des Vaterlandes, hintergündig aber im Interesse derer, die hinten befehlen und sich Zeit lassen können, ihre Güter an einen sicheren Ort zu bringen.


Wolfgang antwortete am 09.01.03 (13:08):

Ich habe andere Erfahrungen gemacht während meines Wehrdienstes... Sicher, die Prinzipien "Befehl" und "Gehorsam" sind Bestandteil jeder Armee. Bei der Bundeswehr aber - so habe ich es erlebt - wurde erstaunlich viel Wert auf politische Bildung gelegt. Viele Kameraden in meiner Kompanie haben erst dort einen fundierten Unterricht bekommen und erfahren, dass es auch Wehrmachts-Widerstand gegen die Hitler-Bande gab.

Meine Kenntnisse übers Völkerrecht und über das Widerstandsrecht UND die Widerstandspflicht jedes Soldaten gegenüber einem Befehlenden, der ein Kriegsverbrechen befiehlt, verdanke ich meinen Ausbildern bei der Bundeswehr.

Dass auch in der französischen Armee nicht nur tumbe Befehlsempfänger am "Drücker" sitzen, beweist ein Vorfall im Afghanistan-Krieg: Französische Offiziere, Kampfbomberpiloten, weigerten sich, per Flächenbombardement ein Dorf in Schutt und Asche zu legen, weil sie viele zivile Opfer fürchteten. Der amerikanische Befehlshaber gab diesen Befehl daraufhin an amerikanische Bomberbesatzungen weiter, die das blutige Werk skrupellos und gegen geltendes Recht durchführten. Die französischen Offiziere wurden nicht bestraft, sondern vom französischen Präsidenten öffentlich für ihre Befehlsverweigerung gelobt.


schorsch antwortete am 09.01.03 (17:54):

Diese Belobigung gebe ich an den französischen Präsidenten zurück!


Rainer (Klr) antwortete am 10.01.03 (15:00):

Lieber Schorsch,
als pensionierter deutscher Berufssoldat habe ich gute Verbindungen zum Schweizer Militär und MfD gehabt. Es haben sich Freundschaften bis in die Familien entweickelt. Ich war als Gast in etlichen Rekrutenschulen, Panzertruppenschulen, Mechanikerschulen usw. auch bei Grenzwacht und Polizei und hab dort niemals erlebt, dass ein schweizer Rekrut zum Kadavergehorsam erzogen wurde.
Weder per Befehl der Offiziere oder per Ausbildung in den Schulen. Wie auch kein Rekrut in Europa solche Befehle bekommt.
Schweizer Rekruten und andere europäische Rekruten wie auch deren Ausbilder halten sich an die Genfer Konventionen. Du solltest lieber ein bisschen Stolz darauf sein, dass auch von deinen Landsleuten keiner auf ein altes Mütterchen oder ein Kind schiesst.

@Wolfgang: genau so ist es


Felix antwortete am 10.01.03 (16:56):

Zur Schweizer Militärausbildung darf ich vielleicht auch noch etwas beifügen. Mit über 1200 Diensttagen vom Rekruten bis zum AC Dienstchef in drei Infanterieregimentern und auf einem Mobilmachungsplatz weiss ich von was ich rede.
Lieber Schorsch ... soweit kann ich dir Recht geben ... die Rekrutenschule, die ich aus Studiengründen um ein Jahr verschoben hatte, war für mich die traurigste Erfahrung meines ganzen Lebens. Mit System versuchten die Vorgesetzten damals unsern Willen zu brechen. Mit idiotischen Massnahmen wurden wir zur Schnecke gemacht. Wir mussten uns auf Bäumen militärisch anmelden "Hier Korporal ... zu Befehl Korporal!" Wenn's zu wenig laut war, musste man 100m kriechen ... dann wieder anmelden etc. Ich war damals sehr sportlich und durchtrainiert ... grinste bei solchen Strafaktionen und fragte, ob ich es wiederholen dürfe ... "Rekrut Schweizer ... marsch in die Kaserne ... Sie melden sich in 3 Minuten im Ausgangstenue hier zurück ... abmelden!!!" Auch diese Tenuefez erfüllte ich mehrmals hintereinander ... bis der Korporal genug hatte!
Statt im Ausgang an männlichen Saufgelagen teilzunehmen ... sass ich oft einsam und deprimiert auf einem Baumstrunk im Wald ... schrieb die traurigsten Briefe und Gedichte meines Lebens an meine Geliebte ... mit nassen Augen ... ein Jammerbild von einem Soldaten.
Da ich ein guter Schütze war ... bekam ich von meinem Schulkommandanten oft Lob zu hören .... und durfte früher als die andern einrücken. Wenn ich aber zu bedenken gab, dass meine Schüsse auf 300m mit Sicherheit tödlich gewesen wären, wenn sie nicht einer Scheibe gegolten hätten, machte den Oberst nachdenklich und verstimmt fügte er hinzu:" Gehen sie ... bevor ich mir das anderst überlege ... abmelden!!!!"
Oder der Feldweibel fragt beim Abendverlesen:" Wer kann Violine spiele?" Da ich an einen musikalischen Beitrag dachte ... meldete ich mich. Ich wurde zum Fahrradreinigen abkommandiert. Mit einer Dienstbeschwerde gelang ich an den Schulkommandanten ... und bekam Recht. Leider hatte ich mir damit einen erbitterten Feind geschaffen. etc. u.s.w.
Trotzdem habe ich die Flucht nach vorn gewagt ... und quasi den Marsch durch die Institutionen auf mich genommen. Ich durchlief die militärische Laufbahn bis zum Stabsoffizier im Range eines Hauptmannes mit dem Vorsatz ein menschlicher, anständiger Vorgesetzter zu werden. In meinen zahlreichen Qualifikationen waren jeweils zwei gleichbleibende "Negativpunkte": Militärische Sprache: lässt zu wünschen übrig! Militärische Umgangsformen: mangelhaft. Ohne Kampflärm konnte ich von meinen Leuten etwas verlangen ohne sie gleich anzubrüllen! Militärische Formen braucht es nur, wenn die Vorgesetzten nur Dank ihres Grades als Autoritäten betrachtet werden können.
Schorsch, der Ton hat sich seit unserer RS in der Schweiz stark geändert. Ich weiss nicht, ob der amerikanische oder britische Drill-Stil bei uns noch durchführbar wäre.
Die Ausbildung zum Soldaten bleibt aber die Ausbildung zum Töten.... und das stimmt mich traurig!


schorsch antwortete am 10.01.03 (17:10):

Schon möglich, lieber Felix, dass sich das inzwischen geändert hat. Jedenfalls sind mir meine eigenen Erlebnisse (die sich haargenau mit den Deinigen decken) als die menschenverachtendsten meines Lebens in Erinnerung geblieben. Als Korporal wollte ich das, wie Du später, humanisieren, die Rekruten als das behandeln, das sie waren: Menschen. Die Rektion vom Zuführer bis zum Schulkommandant waren äusserst negativ.


Felix antwortete am 11.01.03 (16:05):

Lieber Schorsch,
beim Abverdienen (Graddienst) schaute mir der Instruktionsoffizier eine Weile zu, wie ich meine Rekruten an der "Kampfbahn" trainierte. Er nahm mich zur Seite und sprach in gestrengem Ton: "Leutnant Schweizer ... sie sind ein viel zu weicher Typ .. auf diese Art werden sie ihren Zug nicht lange führen ..."
Er hatte sich mächtig getäuscht. Am Schluss der Rekrutenschule hatten meine Leute ohne unnötigen Stress alle Ausbildungsziele bestens erreicht. Ich bin nicht stolz darauf ... die Ziele waren leider vorallem Gefechtsverhalten und Durchhalten ... martialische Leistungen, die hoffentlich nie benötigt werden. Stolz hingegen war ich, dass ich der einzige Offizier war, der von seinen Untergebenen mit in den Ausgang genommen wurde!
Ich spezialisierte mich dann immer mehr auf defensives Verhalten ... auf Abwehr- und Schutzmassnahmen gegen die Wirkung atomarer und chemischer Kriegsführung ... hoffentlich auch vergeblich ... im Sinne von nie gebraucht werden müssen!