Archivübersicht | Impressum

THEMA:   Schuld am ersten Weltkrieg (Teilerklärung)

 6 Antwort(en).

emilwachkopp begann die Diskussion am 26.09.03 (02:23) mit folgendem Beitrag:

Meine eigne Schuld an�n ersten Weltkrieg is immer noch nich zu meine Zufriedenheit geklärt. Aber weil sich kein Aas für diese Frage intressiern tut, muss ich ganz allein mit mir selber zu Gericht gehen.
Was ein Weltkrieg für ein Dingsbums war, das wusst ich 1914 noch nich, weil das vor den ersten Weltkrieg noch kein Weltkrieg gegeben hat. Andere Kriege kann es gegeben haben. Aber davon wusste ich nichts, weil Mutter mir, aus Glaubensgründe, von�n Geschichtsunterricht hat befreien lassen. Religion durft ich haben. Geschichte aber nich. Das grauenhafte Gebärden von die Menschheit konnte meine Mutter nich mit die Vorstellung an eine göttlichen Vorsehung in ein und denselben ideologischen Pott bringen. Also schwor sie sich den Glauben an die Menschheit ab.
Darum war das.

Aber mit von die Partie sein wollte ich. Das gib ich zu. Aber aus Überzeugung eigenlich nich so. Das war ehrer vonwegen eine Frau.
Wegen die Maria war das.
In die war ich verliebt.
Aber denn geht sie bei und nimmt einen anderen.
Damit war meine Welt am Rande.
Ich wollt mir abmurksen.

Erst wollte ich mir zehn Kilo Rattengift über meinen Halbbruder, was der Harald war, besorgen, weil der doch in Grosshandel Rabatt bekam. Aber denn hab ich mir gesagt: �Emil�, heff ik mi seggt, �wenn du schon zur andern Seite musst, denn nich wie eine Ratte.� Ich hatte irgendwo gelesen, dass man als Adeligen immer ein Heldentod sterben soll. Dadurch wird denn der Tod, im Glanze der Heldenglorie geadelt, in die Geschichtsbücher in ewiges Andenken verwandelt.
An die Front zog es mir.
In die vorderste Reihe.
Wo jeder mir gleich abknalln konnt.
Auch das blindeste Huhn.


emilwachkopp antwortete am 26.09.03 (02:38):

An Mutter hatte ich schon ein Abschiedsbrief geschrieben, damit sie wegen mein drastischen Wegfall kein schlechtes Gewissen kriegen sollte.

�Zutiefst verehrte Frau Mutter,
die folgenden Zeilen habe ich noch vor meinem Tode verfasst, doch schon in einer Vorahnung an mir bevorstehende, undurchsichtige Verwicklungen, wie stets das Schicksal einem Wachkopp sie beschert. Sollte des Schicksals Ränke heilen Leibes ich nicht überstehen, so sei es Ihnen, Frau Mutter, versichert, dass keine Schuld auf Ihrer Seele lastet. Es ist, will mir scheinen, ein verschlepptes Ödipusleiden, das an meiner Seelensubstanz sich nährt. Denn als mein zweiter Lebensakt dem ersten Akt auf das Haar zu gleichen schien, da überkam es mich gar unendlich bitter.
----------------
Die Frage meiner Hinterlassenschaft ist bereits durch unsrer Familie Advokat, Dr. Schmuh, zum Besten geregelt. Es verbleibet mir noch zu sagen, dass sämtliche durch die mir bevorstehenden Verwicklungen enstehenden Kosten, sowohl als auch meine Schulden, an meinen Herrn Vater vermacht sind.

Auch in einer mir noch unbekannten Welt verbleibe ich Ihr
Sie zutiefst verehrender Sohn Emil.�

Die Musterung war auch schon klar. Als Entwurf, mein ich. Ich war schon seelisch ganz auf ihr eingestellt. Aber denn kam, wie immer, wieder was dazwischen!
Ich hab mir nümlich eine TBC aufgesackt; das, was man heut die �Schwindsucht� nennt. Zur Armee durft ich deshalb nich hin. Vunwegen die Ansteckungsgefahr. Der Krieg hätt doch gar nich erst anfangen könn, so wie ich meine Barzillen ins eigne Lager verbreitet hätt. Aber denn wär ich, auf die andre Seite, auch nich als Held, sondern blos als Dolchstosslegendär verewigt worden.
Ich wollt aber nich, dass man mir in die Geschichtsbücher als Finsterling beschreibt un denn dabei auch noch mein Nachname erwähnen tut. Ich hat mir doch ehrer Siegfried als Vorbild gedacht. �Siegfried Wachkopp, der Drachentöter. Im Nebeljungen-Ring.�
Wo ein Held is, da is auch immer eine Jungfrau mit ins Spiel, steht das in die Bücher. Das is, weil das die Jungfraun, weil sie noch so naiv sind, immer zu uns Helden hinziehn tut. Aber in meine Lage hatte ich gar nichs davon. In mein gebrochenes Herz war damals nur Platz für Maria. Und die gehörte doch nu schon einen anderen und war vielleicht auch gar keine Jungfrau mehr. Jedenfalls hätt ik dat as Doden gar nich mehr ermitteln könn.


emilwachkopp antwortete am 26.09.03 (02:54):

Das stellte sich erst nach den ersten Weltkrieg raus, dass das gar keine TBC war, sondern bloss Einbildung.
Solche Tollpatsche von Ärzte gab das also damals! Dichten Dir eine Schwindsucht an den Hals und tilgen Dir damit aus die Zukunftsgeschichte.
Die haben mir ins Sanatorium nach die Schweiz rüber geschickt. Zur Erhohlung. So hiess das jedenfalls. Aber den alten Emil machst Du kein X für ein U vor. Die hatten mir nümlich in ihren Geist längst aufgegeben. Als �morbid� oder �moribund� oder sowas Ähnliches hatte sie mir schon eingestuft. Ich weiss das darum, weil alle �Morbiden� für den Beerdigungsunternehmer zum Nachmessen freigegeben worden waren: Länge, Breite und Höhe. Und wir mussten auch schon ins Bett, wenn da oben noch getanzt wurde.
Vonwegen Erhohlung!
Wenn meine TBC damals echt gewesen wär, denn hätten die Schweizer Ärzte mir heut auf das Gewissen. Weil sie doch mit ihre Diagnosen meine Krankheit so verschlechtert hätten. Ein andern Grund für meine Verschlechterung, als wie ihre Diagnosen, gab es ja erwieser Maasen gar nich.

Aber was immer über die Schweizer Sanatoriums gesagt wird, dass das da so vornehm gewesen sein soll und alles, is büschen übertrieben. Essen, Weine und Spirituosen waren erste Klasse, das streit ich nich ab. Die Musik und die Unterhaltung auch. Aber es herrschten da lockere Sitten, das konnt ein glatt den Atem verschlagen.
Sobald das Dunkel war, denn ging auf die Ballkonks das Gerenne los. Von Tür zu Tür gingen die Schatten. Immer husch husch. Und immer auf leise Sohlen. Ich konnt denn schon deshalb gar nich mehr raus, weil ich von links und rechts immerzu umgerannt worden wär.
Ich selbst hab an die Huscherei ehrer nich so teilgenommen, wegen meine Puste. Das büschen, was ich noch hatte, wär mir, wenn die Schweizer Ärzte Recht gehabt hätten, viel zu schnell ausgegangen.


schorsch antwortete am 26.09.03 (09:51):

Lieber Emil

Verlier doch bitte nicht zu viele Gedanken über deine Schuld am 1. Weltkrieg. Überlege besser, was du mithelfen kannst, einen 3. zu verhindern (;--))))


pilli antwortete am 26.09.03 (11:35):

für Emil,
den wachen und fülosofischen husch-verweigerer:
------------------------

Überlaß es der Zeit

Erscheint dir etwas unerhört,
Bist du tiefsten Herzens empört,
Bäume nicht auf, versuch's nicht mit Streit,
Berühr es nicht, überlaß es der Zeit.
Am ersten Tag wirst du feige dich schelten,
Am zweiten läßt du dein Schweigen schon gelten,
Am dritten hast du's überwunden,
Alles ist wichtig nur auf Stunden,
Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter,
Zeit ist Balsam und Friedensstifter.

Theodor Fontane
(1819-1898)

auch wenn der Theodor ett mit den adeligen nich so hatte und eher dem huschen zugeneigt war...bezeugen daß doch die daraus entstandenen nichtehelichen bleibenden erinnerungen...

magst datt sprüchlein vielleicht mal lesen?

:-)


emilwachkopp antwortete am 27.09.03 (03:51):

Lieber Schorsch,
ich weiss nich, wie man Kriege verhindern kann. Und das mein ich ganz aufrichtig. Gibt das überhaupt ein einzigen Krieg, der jemals verhindert worden is? Ich hab bloss an kein Krieg teilgenommen. Das is alles was ich jemals hab tun können. Und der Hauptgrund war eigenlich, dass ich zu sowas keine Lust hatte.
Kriegsdienstverweigerung aus reinen Egoismus. Unmoralisch vielleicht, aber effektiv. Mir hat nümlich mal ein Pfarrer gefragt: "Und wenn das alle so machen täten?" "Denn hätten wir eine unmoralische Welt ohne Kriege", heff ik antert. Ob ich aber Recht hatte, das weiss ich nich.

Liebe Pilli,
ein wunderhübsches Gedicht. Aber ob das so wahr ist, wie dass Gedicht das sagt, das kann ich in mein gegenwärtigen Zustand gar nich richtig beurteilen. Na, ik woll ehrer nich so, aver mien Kompotter. In den is goor keen richtigen Damp mehr binnen un dat Bild fangt ook schon an to flackern. Do kannst goor nich mehr vernünftig bi denken. Ik mutt woll morgen maal op dat Dack rop un de Antenn torechtbiegen.

Meine Mutter war unabhängige Sozialdemokratin, USPD. Was sie danach war, weiss ich nich. Vielleicht weltliche Agnostikerin aus reine Verzweiflung. Jedenfalls war sie politisch eigenlich auch gegen den Adel. Bloss eben nich gegen uns selber. Aber weil alle ihre Kinder so und so (jedes auf seine Art) versumpft sind, hat sich das Problem ganz von alleine gelöst. Wir waren ja von Haus aus schon immer büschen ehrer Raubritteradel, und das hat ein Heidengeld gekostet, unsern Stammbaum immer "auf Trapp" zu bringen: Vertuschen, revidieren, neue "Vorgänger" erfinden u.s.w. Das kriegtest nich umsonst.
Dass Fontane viel "gehuscht" haben kann, das kannst Du vielleicht schon daran erkennen, dass er noch fast als Kind gestorben is. Aber das kann auch ganz anders sein. Mien Vadder hett ümmer to mi seggt: "Klooke Kinner starvt fröh." Un denn hett he'n Kopp schüddelt un hett seggt: "Jaja Emil, du warst de ganze Minschheit noch överleven." Aber die Frage is ja eigenlich ehrer, ob die Menschheit klug genug is, um komische Geister lange ans Leben zu erhalten.

Ich wünsch Euch beide alles Gute,
Emil.


DorisW antwortete am 11.10.03 (16:35):

Lach Emil,
ja, das mit den Balkons, das glaub ich wohl...

Ich lese grade (zum siebten Male) den "Zauberberg", der ja in einem Lungensanatorium in Davos handelt, da findet auch so einiges Gehusche statt...
Ist zwar natürlich nur ein Roman, also Fiktion, aber da ist sehr viel von den Erlebnissen mit eingeflossen, die Thomas Manns Frau ihm berichtet hat - denn sie war dort Patientin:

""Mein Gott!" sagte Frau Schönfeld, eine rothaarige und rotäugige Kranke aus Berlin, abends in der Halle zu einem Kavalier mit langen Beinen und eingefallener Brust, der sich auf seiner Karte als "Aviateur diplômé et Enseigne de la Marine allemande" bezeichnete und mit dem Pneumothorax versehen war, übrigens zum Mittagessen im Smoking erschien und dies Kleidungsstück abends wieder ablegte, behauptend, bei der Marine sei das so Vorschrift, - "mein Gott!" sagte sie, indem sie den Enseigne gierig betrachtete, "wie herrlich braun er ist von Höhensonne! Wie ein Adlerjäger sieht er aus, dieser Teufel!" - "Wart, Nixe!" flüsterte er im Lift an ihrem Ohr, so daß eine Gänsehaut sie überlief, "Sie werden mir büßen müssen für Ihr verderbliches Augenspiel!" Und über die Balkons, an den gläsernen Scheidewänden vorbei, fand der Teufel und Adlerjäger den Weg zur Nixe..."
(Th. Mann, Der Zauberberg)

Nööö, bei solchem Gehusche hätte ich auch nicht mitmachen mögen... oder wenn schon, dann bestimmt nicht mit den Teufeln und Adlerjägern...