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THEMA:   Das Ende einer Email-Freundschaft

 12 Antwort(en).

marie37 begann die Diskussion am 11.05.04 (11:04) :

Das Ende einer Email-Freundschaft

Es war vor etwa vier Jahren. Da las ich im Seniorentreff von einem gewissen Haran Lavee, der über 90-jährig Email-Partner suchte. Ich habe mich gemeldet und noch einige andere Damen aus dem ST (Dörte? und Lydia?). (Leider sind mir zwischenzeitlich durch Virenbefall einige Adressen verloren gegangen).
Es war ein sehr lebhafter, interessanter, abwechslungsreicher und manchmal auch heiterer Briefwechsel.
Nach und nach stellte sich heraus, dass Haran Lavee ein Jude ist, der in Düsseldorf 1906 als Hans geboren worden war und 1933 mit der Familie in weiser Voraussicht nach Palästina auswanderte.
Haran war nach mehreren Schlaganfällen halbseitig gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Er lebte in einem Kibbuz und wurde dort sehr gut versorgt. Um seinen sehr aktiven Geist nicht verkümmern zu lassen, schenkten ihm seine Kinder, Enkel und Urenkel einen PC mit Internetanschluss. Damit begann unsere Freundschaft. Zu seinem 95sten Geburtstag telefonierte ich mit ihm. Er hatte eine Stimme wie ein junger Mann.

Als er einen erneuten Schlaganfall erlitten hat, schrieb mir seine Tochter, dass es ihm nicht gut gehe und wir den Mail-Kontakt doch einstellen sollten.
Ich habe die Bitte befolgt. Aber nach etwa einem halben Jahr wollte ich doch wissen, wann und wie Haran gestorben ist. Ich schrieb an die bekannte Adresse in der Hoffnung, seine Enkel würden ab und zu seine Mails abrufen und mir etwas Näheres über Harans letzten Tage berichten.

Zu meinem Erstaunen und meiner großen Freude meldete sich Haran bei mir. Er konnte sich an die Einzelheiten unseres Briefwechsels nicht mehr erinnern, wusste nur noch, dass es einen solchen gegeben hatte.

Wir schrieben uns täglich, manchmal sogar mehrmals. Er erzählte mir die Geschichte seiner Vorfahren, die ich in einem Mundarttext verarbeitet und zu einem Wettbewerb eingeschickt habe. Dafür bekam ich 2003 den ersten Preis für Mundartprosa. Von diesem Preis erfuhr Haran noch.
Leider ist er am 9. November 2003 97-jährig gestorben. Mit seiner Tochter Naomi bin ich noch in Kontakt und bedauere es sehr, dass ich seiner Einladung nicht mehr Folge leisten konnte.
Auf jeden Fall fehlt er mir sehr. Sein Humor, sein großes literarisches Wissen, seine Lebensklugheit, und, und, und kann kaum jemand ersetzen. Er hat mir ganze Passagen aus den Räubern zitiert, hat mir Liederverse aus dem Zupfgeigenhansel geschrieben. Hat mir manchen klugen Rat gegeben. Er war ein wirklicher Freund. Irgendwann werde ich nach Israel reisen und sein Grab besuchen.

Gruß von Marie

Internet-Tipp: https://www.kraichgaumundart.de


juergenschmidb antwortete am 11.05.04 (13:06):

Das finde ich so eine wunderbare Geschichte, wie man sie nicht planen, nur leben kann.
Werde mir den link mal anschauen.


juergen1 antwortete am 11.05.04 (13:21):

Marie37,

soo interessant, soo schön und zum Schluss soo traurig.
Schade, schade. Deinen Mail-Freund hätte ich auch gerne gekannt.


Geli antwortete am 11.05.04 (13:26):

Ist Internet nicht schön? :-)))


Irina antwortete am 11.05.04 (14:04):

Wenn man so etwas liest, könnte man denken, daß Internet zuweilen schöner ist als das reale Leben.

Irina


simaja antwortete am 11.05.04 (15:30):

internet ist das reale leben.


schorsch antwortete am 11.05.04 (15:53):

Ich denke, so mancher und manche würde staunen, sähe er/sie all die MitschreiberInnen hier im ST live. Denn bestimmt hat es unter uns viele, die kaum mehr aus dem Haus gehen, aber dank Internet - und ST! - mit uns sein und mitleben können.

An dieser Stelle also mal ein Kompliment all jenen MitschreiberInnen, deren Körper zwar alt, deren Geist aber jung geblieben ist.


marie37 antwortete am 11.05.04 (16:24):

Ich würde die Geschichte von Haran und seinen Vorfahren gerne hier reinstellen, nur fürchte ich, dass meine Mundart nicht gut zu lesen ist.

Ich habe u.a. Haran auch auf die unselige Zeit des dritten Reiches angesprochen, habe geschrieben, wie leid mir das Verhalten der Deutschen damals täte. Darauf meinte er: "Dir braucht das doch nicht leid zu tun, Du hast doch nichts getan! Du bist auf jeden Fall meine Marliese." Diese Mail hat mich zu Tränen gerührt.
Haran hat immer geglaubt, seine Familie, die Kinder und Enkelkinder würden sich nicht für seine Geschichte interessieren. Als ich ihm meinen Mundarttext zur Kontrolle geschickt habe, las er ihn seiner Tochter Naomi vor. Naomi kann nicht Deutsch lesen und schreiben, aber sie kann es sprechen. Daraufhin nahm Naomi diesen Text, ging zu einer Deutschlehrerin und diese übersetzte diesen Mundarttext ins Hebräische.
Vor wegen, die Familie interessiert sich nicht für die Geschichte von Haran. Der hebräische Text wurde ihm von seinen Enkelkindern und den Bewohnern des Kibbuz förmlich aus der Hand gerissen.

Der Text wird übrigens demnächst in einem kleinen Buch: "Dorfgeschichten" veröffentlicht.
Gruß von Marie

Internet-Tipp: https://www.marliese-echner-klingmann.de


Karl antwortete am 11.05.04 (19:01):

Liebe marie37,

ich würde mich sehr darüber freuen. Wenn Du mir die Texte schickst, kann ich sie im Autorenteil des ST einstellen und von hier verlinken.

Dein Bericht hat mich sehr gefreut und es macht mich glücklich zu sehen, dass der Seniorentreff seinem Namen Ehre machen und Menschen zusammenbringen kann.

Mit freundlichen Grüßen. Karl

Internet-Tipp: /autoren/index.html


wuermchen antwortete am 11.05.04 (20:58):

Mich freut es hier zu lesen, dass so liebe Freundschaften entstehen können und nicht nur in oberflächlichen Rederei enden.
Ich beneide Dich um dieses schöne Erlebnis, glaube aber dass das wirklich Seltenheitswert hat.


marie2 antwortete am 11.05.04 (22:53):

Ja Internet ist schön. Aber zuweilen ist das reale Miteinandersprechen noch schöner. Wir haben Besuch aus Kanada, vor einem Jahr im Netz zum erstenmal von einander gehört. Viel gemailt, jetzt sind sie hier. Sie sind auf der Suche nach ihren Wurzeln und uns macht es Spaß, sie ein Stückchen dabei zu begleiten.

Marie2


desiree antwortete am 13.05.04 (12:36):

Liebe Marie 37,

danke für diesen netten Bericht.
Das spricht uns an und gleichzeitig beneide ich Dich um diese Brieffreundschaft.
Natürlich habe ich mir gleich Deinen link angeschaut.
desiree


hexlein44 antwortete am 28.05.04 (18:29):


Hallo , ich bin ganz gerührt von dieser schönen Internet-bekanntschaft

Es ist eine wunderschöne Geschichte-!!!
wie schön das es das Internet gibt, auch ich bin schon älter und froh einen Pc zu haben, es ist ein Stück freiheit zur großen Welt

Liebe Grüsse Gaby