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THEMA:   Freundschaft - Hoffnung

 13 Antwort(en).

lisa begann die Diskussion am 29.03.01 (22:37) mit folgendem Beitrag:

Am Tage,
da meine Hand deine Hand ergriff,
fühlte sie den Puls des Lebens
und empfing Freundschaft
und Harmonie, ... Am Tage,
als du mir deine Hand reichtest,
gab ich dir die meine
und damit zugleich mein Herz.
Aus deiner Hand
empfing ich das Heilmittel,
das ich überall vergebens gesucht hatte.
am Tage,
da du mir deine Hand gabst,
habe ich erfahren,
daß es nicht Größeres gibt
im Leben der Menschen als die Liebe.
... Ich habe deine Hand
an mein Herz gelegt,
damit sie das Echo meiner Seele vernimmt
... Gib mir deine Hand
und nimm die meine.
Hand in Hand werden wir
weder straucheln noch fallen.
Hand in Hand werden wir unser Ziel erreichen,
das wir suchen
im Meer unseres Lebens.

"Simon Y. Assaf" ein libanesischer Dichter, mit hoffnungsvollem

ist in Freundschaft nicht auch Liebe, Toleranz, heißt ertragen, tragen des anderen
ein Stück weit, ein Anlehnen in Ruhe und Angenommensein, das Gehen durch
Mißverständnisse zum noch tieferen Verstehen, solange nicht einer seine Hand
zurückzieht und durch Schweigen dem anderen keine Gelegenheit gibt immer
wieder im Vertrauen zurückzukommen. Freundschaft braucht immer die
Erwiderung des anderen. Ich will den anderen nicht besitzen, lasse ihn in seiner
Andersartigkeit gelten, lasse ihm den Raum der Freiheit den er braucht,
jeder braucht. Freundschaft läßt in Menschlichkeit wachsen und kann auch
zwei Seelen durchdringen. Sie ist immer ein Geschenk, man kann sie nicht "machen".

Ich wünsche allen, den Mut zu finden auf den zuzugehen, zu dem sie sich
hingezogen fühlen, er bereichern kann, sympatisch ist. Jeder hat einmal Angst
zu kompliziert zu sein für einen Freund, ihn zu verlieren, der Freundschaft nicht
wert zu sein, weil man sie mit Problemen überfordert. Dann wünsch ich das
Vertrauen, das auch durch Konflikte und Mißverständnisse hindurch diese
Freundschaft tiefer wird, Bestand hat auch in Spannungen. Dankbar kann derjenige
sein, einen Freund gefunden zu haben und die Tage freundlicher scheinen.
Und redet miteinander, niemand kann alles erahnen und so entstehen verlorene
Chancen, bleiben Menschen allein im Ungewissen.
Oder scheut heut jeder Verbindlichkeit, Beistand, die
jemandem gilt ohne Ansehen von sozialem Status. Lebenssituation.

Lisa

(Internet-Tipp: https://www.empfindung.de)


Rosmarie S antwortete am 30.03.01 (10:09):

Liebe Lisa,

deine Gedanken habe ich sicher alle auch schon einmal gedacht - vielleicht nicht so ausgereift und differenziert. Aber deine Einstellung ist auch meine! Deine Gedanken zogen sich durch mein Leben hin...

Da du das hier postest, drängt sich bei mir gleich die Frage auf, warum hier und jetzt, warum so engagiert?
Das klingt nach Leiden am Gegenteil (wie ich das kenne! Es ist also nicht das kleinste Fünkchen "Kritik" dabei, wenn ich das vermerke!).
Ich empfinde deine Gedanken als typisch weibliche Gedanken. Das tiefsinnige Gedicht, das du zitierst, ist zwar von einem Mann, aber von einem Orientalen. Die verknüpfen Denken, Fühlen, Menschlichkeit und Sinnlichkeit stärker miteinander und leben Emotionales freier aus. Viele Männer bei uns reagieren meiner Erfahrung nach eher pragmatisch, konkret, unromantisch, kopfbetont oder körperbetont, aber vor allem nicht allzu gern reflektierend... :-)))
Ich versuche, die Differenz meiner Erwartungshaltungen und Hoffnungen mit dem, was ist und für mich lebbar zu sein scheint, mit Humor weg zu stecken. :-)))


Friedgard antwortete am 30.03.01 (10:21):

Der Freund

Deine Augen:
Moosachate,
drin sich spiegeln tausend Welten,
Meere, Berge,
Wälder, Menschen.
Deine Augen:
helle Lichter,
voller Lachen,
Funken sprühend -
oder ernste, stille Brunnen,
um der Menschheit Trauer wissend.
Deine Augen:
Moosachate -
hab mich ganz in sie verloren,
doch
als wir dann Abschied nahmen,
gabst du,
mit dem letzten Blicke,
mir mein Spiegelbild zurück.

F.S., aus "Jeder Augenblick ist ein Juwel", Kreuz-Verlag


Lisa antwortete am 30.03.01 (12:45):

liebe Rosmarie,
warum schreibst du hier? und seit wann :-). Diese Fragen stellen sich mir nicht, was dich enttäuschen mag.
In einem öffentlichen Medium gehe ich noch diskreter mit Persönlichem um, als
es sonst meine Art ist. Ist wie in einer Freundschaft, wo gerade das Gespräch
ein Austausch von Gedanken im Kennenlernen, einen Schutz braucht. Erst
das gibt Vertrauen und Ruhe, zum so sein dürfen wie man ist. Jeder andere
wird verstehen oder es müssen, daß es so ist. Und es respektieren als eine
gute Eigenschaft oder es eben lassen. Ich glaube in jedem steckt auch die
Sehnsucht nach einem diskreten Menschen, der uns nicht "verrät".
Leider ist es die Praxis, daß im Vertrauen geäußertes in Gesprächsrunden
als Unterhaltungsstoff dient, siehe Talkshows. Das verhindert natürlich jegliche
Offenheit, Vertrauen und gibt ein abschreckendes Beispiel.

In dieses Diskussionsforum etwas "hineinzustellen", ob es Sinn macht,
es kann Anregung sein. In jedem Alter braucht man Freunde, in der Lebensmitte
ist es schwerer einen Anfang zu finden, jemand zu finden, dem man es wert ist,
noch etwas zu teilen, geben zu dürfen. Meistens ist man lang eingebunden,
an Orte, es sind Kinder da, Eltern die Hilfe brauchen. Es ist schön wenn
dabei auch noch Stunden einfach für uns selbst da sind, wo wir selbst auch
gelten und sein dürfen, fallenlassen ist sicher zuviel gesagt. Ihr versteht es
schon, einmal nicht gern gehabt zu werden weil man Mutter, Oma, Tochter
ist, sondern ein Mensch mit noch einer anderen Lebendigkeit, Hoffnungen,
einer Lebensfreude, die noch jemand "anstecken" kann. Das in Gruppenveranstaltungen
der älteren Generation anzubieten kann eine Gelegenheit zu einer Freundschaft noch
geben, aber in der Menge verliert sich viel in Beliebigkeit und Austauschbarkeit,
Oberflächlichkeit, wo man auch nur seine Rolle spielt.
wie auch sonst im Leben, weniger ist oft viel mehr.
Auf der empfohlenen Webseite steht etwas passendes, ungefähr in dem Sinn,
"Wenn du eine Maske aufhast, kann niemand deine Tränen sehen". Da beginnt
eine Zweisamkeit, Freundschaft, Diskretion, die ja auch mal Tränen trocken
kann, neben anderen Gemeinsamkeiten und eines Zusammengehörigkeitsgefühls
das frei ist.

Realität ist wohl, daß viele am Gegenteil leiden.


Lisa


Lisa antwortete am 30.03.01 (12:54):

liebe Friedgard,
dein Gedicht spricht eine warme Sprache.
Das mit dem Spiegelbild, sich im anderen erkennen,
trifft den Sinn so gut, viel über uns erfahren wir
mit den Augen und Sinnen eines vertrauten Menschen,
so daß wir ein Stück weit zu uns selbst finden.
Und wir freuen uns, daß dabei auch unsere Schwächen,
die wir uns selbst wohl kaum immer eingestehen mögen,
mit guten Augen angesehen und wir sie vor DEM
Spiegel nicht wegschminken müssen. Man berührt
auch diese mit einem Streicheln, dass sie weniger
weh tun.

Lisa


Rosmarie S antwortete am 31.03.01 (17:28):

Liebe Lisa,

es tut mir leid, dass ich meine Fragen so ungeschickt in den Raum gestellt habe! Sie mussten auf dich wie eine Kritik wirken, aber das Gegenteil wollte ich eigentlich bezwecken. Ich dachte mir, du könntest und möchtest daraufhin vielleicht ein wenig mehr über den Auslöser (nicht über den Grund!) deiner Gedanken preisgeben. Manchmal ist es ja so, dass andere ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Und dann tut es vielleicht gut, eine solche Rückmeldung zu lesen...
Auf jeden Fall wollte ich dir nicht zu nahe treten!
Wenn ich dein Posting nicht besonders interessant und lohnend gefunden hätte, hätte ich gewiss nicht darauf reagiert.
Fühle dein Posting also bitte nicht durch mich in irgendeiner Weise in Frage gestellt, sondern sieh meine Reaktion einfach so, dass du in mir Erinnerungen und Gedanken heraufbeschworen hast, die mir sehr vertraut sind. Dadurch habe ich wahrscheinlich menschlich nicht so geschickt reagiert, wie ich eigentlich gern reagieren möchte... :-(((


Lisa antwortete am 31.03.01 (23:24):

Liebe Rosmarie,
du siehst in mir nur einen von vielen einsamen Menschen, die gar nicht auffallen im Alltag und ihren Pflichten nachgehen. Ich las unter anderem einen Beitrag "stille Tränen", der in mir auch die Sehnsucht nach etwas schmerzlich weckte, ich wollte es in seiner Schönheit dort so stehen lassen, habe darum mit S. Assaf einen neuen Beitrag eröffnet.
Ich wollte nicht unfreundlich dir gegenüber sein, manchmal ist man ein wenig dünnhäutig. Du hast nur spontan reagiert und in deiner Antwort liegt viel das ich wiedererkenne.
Ich danke dir.

Lisa


Rosmarie S antwortete am 01.04.01 (09:23):

Liebe Lisa,

für mich ist es schön, dass hier auch persönliche Gefühle ausgedrückt werden können: Freude, Begeisterung, aber auch Einsamkeit, Schmerz, Trauer, vielleicht auch ein kleines bisschen Hoffnung, dass der richtige Mensch im richtigen Moment mitliest und die richtigen Worte findet...

Ich kenne diese Gefühle genau, und ich bin mir sicher, dass es auch vielen der hier Anwesenden so geht!

Die stillen, verantwortungsvollen Menschen, die ohne Aufhebens um ihre eigenen Bedürfnisse ihren Pflichten nachgehen, sind oft die wertvollsten!

Dir und uns allen hier einen innerlich und äußerlich sonnigen Tag!


Lisa antwortete am 01.04.01 (13:01):

liebe Rosmarie
ich habe meine Schwierigkeiten mit schnellen Wertungen, von Dingen die nicht meßbar sind.
Dazu wissen wir viel zu wenig, ein jeder hat sein "Maß" was er aus sich heraus zu geben vermag,
was von anderen wiederum als ein Zuviel oder Zuwenig empfunden werden kann. So gibt es
schlichtweg Kein Maß allgemeingültiger Art für Freude, Trauer u.v.m. Man wird schon "zurechtgestutzt"
im Lauf des Lebens nicht allzusehr zu zeigen was bewegt. Dazu braucht es viel Vertrauen, Toleranz.
Wer gesteht schon jemandem "auf der Straße", Bekannten, seine Hoffnungen, Sehnsüchte.
Allzuleicht wird da gewertet, ge- und verurteilt. Es kann einem Selbstsucht, Unvernunft als Motiv
zugewiesen werden, womit man sich selbst schon Vorwürfe macht, angesichts vielen Elends um
uns, auf so nichtfaßbare, für uns selbst "lebendig" erhaltendes, noch Hoffnungen oder Träume
zu haben. Verläßt man aufgrund dieser minimalen ungewissen Chance einen Lebensraum mit
seinen gewachsenen Bindungen und Verantwortungen, hat man sozusagen nichts in der Hand
um das zu begründen. Menschen wollen Immer einen "handfesten" Grund hören, mit dem sie etwas
anfangen können. Einen neuen Job, etwas, wohin man geht. Zu sich selbst kann man schlecht
sagen. Und schon wäre derjenige nicht mehr "wertvoll", nur noch ein Egoist. Obwohl, bei
näherem Hinsehen, auch viele diese Hoffnungen noch haben, sich aber nicht offen eingestehen.
Alles was uns real umgibt, findet man im WWW, teils aggressiver, härter, bedenkenloser im
Umgang auch mit Menschen. Aber leichteren Mutes könnte!! eine zuvor geistige Nähe zwischen
Menschen entstehen, so sie sich die Chance zum anderen Kennenlernen geben, wie es im Alltag gar nicht möglich
wäre, wo auch nach vielen Jahren sich Menschen, die sich täglich begegnen eigentlich fern sind
wie die Planeten, weil sie ihr Inneres stets abschirmen. Ihre Seelen und Gedanken für sich
"pflegen", weil zu oft verletzt wenn sie sich mal vorwagten.
Schau Kindern zu, wie sie sich verändern sobald sie die "Regeln" kennenlernen mußten. Dann
müssen sie sich schämen für Gefühlsäußerungen, weil sie andere verunsichern, sie nicht
erwidert werden. Ich gehe täglich an einem "Kinderland" vorbei, treffe dabei Mütter mit ihren
Kindern. Im Krankenhaus, da ist Trost bei Schmerz willkommen, normal, man sieht eine Wunde,
das Weinen. Wie gut tut es umarmt und gestreichelt zu werden, sie beruhigen sich eher,
als wenn auf sie eingeredet wird, sich zusammenzunehmen.

Eine neue Zeit, eine Zeit für ungewöhnliche Wege, wie sie jede Epoche hat. Vielleicht getrennt
wohnen, gemeinsam "leben". Was wohl aus Sparsamkeitsgründen unterbleibt ;-) oder wenn
Kinder da sind. Es gibt jedoch viele Gründe, die diesen Weg als den besten für ein erfülltes Zusammensein aufzeigen.

Lisa


Georg Segessenmann,alias Georg von Signau antwortete am 02.04.01 (09:50):

Liebe Mädels

Mir fällt auf: Worte in Prosa, die von Gefühlen sprechen, werden zumeist von Frauen geäussert. Könnte dies daher kommen, dass Ihr, die Frauen, uns Männer von Geburt auf dazu erzieht, keine Gefühle zu zeigen - sie zu unterdrücken?

Aber: Macht bitte weiter so, Mädels. Es tut ja auch gut, Worte über Gefühle nur zu lesen!

Herzlich, Schorsch


Georg Segessenmann,alias Georg von Signau antwortete am 02.04.01 (10:43):

Und dann noch dies: Glücklich all die Menschen, die die Gabe haben, sich durch Schreiben Böses von der Seele wälzen zu können. Ich habe dank dieser Gabe wohl den Psychiater sparen können und kann nur Jedem und Jeder empfehlen, es mir gleich zu tun. Wie ich das meine? Hier ein Auszug aus meiner Lebensgeschichte. Vielleicht dem Einen oder der Anderen eine Anregung zu eigenem Tun?

Der Schrei

Mitten in der Nacht war ich aufgewacht. ich wusste nicht, ob ich geträumt hatte. Oder war das wirk-lich ein Schrei gewesen?. Nun aber hörte ich es wieder und es war kein Traum. Unten schrie jemand: "Aufmachen. Mach doch endlich auf!"
Leise weckte ich Beat, meinen älteren Bruder. Ausser ihm und mir waren noch meine zwei jüngeren Schwestern Sara und Ria im gleichen Bett. Ich wollte nicht, dass auch sie wach würden, weil es sonst ein Geplärre abgesetzt hätte, wie jedesmal, wenn man sie aus dem Schlaf riss.
Beat aber drehte sich nur auf die andere Seite. So wand ich mich halt, so leise es eben ging, allein aus dem Bett und schlich mich aus dem Zimmer. Die Türe liess ich aber offen, denn ich fürchtete mich vor dem Schrecklichen, das da offenbar unten vor sich ging. Leise ging ich die Treppe hinunter. Als ich etwa in der Hälfte war, hörte ich wieder das Rufen. Und es musste sich jemand ganz unten auf der Treppe befinden, denn ich hörte lautes Atmen.
In diesem Moment ging oben das Licht im Korridor an. Beat war also doch noch wach geworden und war mir nachgegangen.
Ich machte mich ganz klein, denn ich wollte nicht, dass Vater � er war es, der unten so laut schnaufte - mich bemerkte. Aber ich brauchte nichts zu befürchten, denn Vater war zu sehr damit beschäftigt, so zu tun, als ob er nicht da wäre.
Und wieder hörte ich das Rufen, nun aber schon viel leiser und von unterdrücktem Schluchzen ver-mengt. Und ich erkannte jetzt ganz deutlich die Stimme meiner Mutter, die offensichtlich draussen vor der verschlossenen Tür stand und Einlass begehrte. Ich erinnerte mich, dass Mutter am Abend gesagt hatte, wir sollten alle zu Bett gehen, sie wolle noch zu Tante Ida, die nur etwa hundert Meter von uns weg wohnte. Vater war auf Nachtschicht und hätte eigentlich erst am Morgen wieder daheim sein sollen. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Warum war er zu Hause und warum war Mutter vor der verschlossenen Tür?
Weil Bruder Beat laut hustete und gähnte, blickte Vater nach oben. "Marsch, ins Bett!" brüllte er uns an. Erschrocken stolperten wir die Treppe hoch. Aber Beat gab mir ein Zeichen. Er löschte das Licht und wir blieben oben auf der Treppe sitzen.
Nun begann unten Mutter an die Türe zu poltern. Und als auch dies nichts nützte, bearbeitete sie sie mit den Schuhen. Der Lärm wurde schliesslich so laut, dass auch noch Sara und Ria aus ihrem Schlaf gerissen wurden. Leise schlichen Beat und ich zu ihnen und versuchten sie zu beruhigen. Aber statt-dessen weinten sie noch lauter und wollten aufstehen. Da versprach Beat ihnen, wenn sie ganz ruhig seien, dann dürften sie mit uns auf die Treppe sitzen. Sie versprachen es. So sassen wir nun also zu viert oben und hörten uns den Spektakel unten an. Als aber wieder die Stimme der Mutter zu hören war, konnten sich die Mädchen nicht mehr an die Abmachung halten. Sie begannen so laut nach Mutti zu schreien, dass Vater wohl Angst bekam, die ganze Nachbarschaft würde noch aufgeweckt und wür-de zusammenlaufen. Mit einem Ruck riss er die Haustüre auf. Mutter, nicht darauf gefasst, fiel nach innen. Vater fasste sie mit einer Hand an den Haaren. Mit dem Fuss schloss er die Türe wieder. Dann drosch er mit den Fäusten auf Mutter ein und schrie: "Du Hure; du bist vom Teufel besessen. Ich will dir diesen Teufel schon austreiben!" Er schlug und bearbeitete Mutter so lange mit den Fäusten, dass sie aus der Nase blutete. Mutter fiel zu Boden und schützte ihr Gesicht mit ihren Händen. Vater aber liess nicht nach, sondern bearbeitete sie nun mit Fusstritten.
Wir Kinder hatten bis jetzt versucht, uns ruhig zu verhalten. Als wir aber Mutter auf dem Boden sich winden sahen und wie sie aus der Nase blutete, schrien wir wie am Spiess, Vater solle Mutti nicht noch ganz kaputt machen. Dies brachte ihn wohl wieder zur Besinnung. Käsebleich und zitternd stand er da. Wir rannten nach unten und richteten Mutter auf. Sie weinte fast lautlos. Ihr ganzer Körper wur-de wie von Krämpfen geschüttelt. Sie fasste uns Kinder an und wir gingen zusammen zum Lavabo, wo Mutter sich das Blut aus dem Gesicht wusch.


Ein schlechter Start

Um zu begreifen, was Vater mit "den Teufel" austreiben meinte, muss ich etwas zurückblenden:
Zur Zeit, als Mutter die Schule beendet hatte, war der erste Weltkrieg. Sie lebte mit ihren Eltern, wel-che aber nicht zusammen verheiratet waren, in Kärnten (�sterreich). Dieses Unverheiratet sein war damals in den ärmeren Schichten der Bevölkerung �sterreichs gang und gäbe. Kam man später noch zu etwas Wohlstand, konnte ja immer noch geheiratet werden. Und um Kinder in die Welt zu setzen brauchte es keinen Trauschein!
Mein Grossvater hatte damals das Aufgebot zum Kriegsdienst erhalten. Er rückte denn auch ein und liess sich ein paar Wochen herum kommandieren. Dann aber habe es ihm "ausgehängt", so erzählte uns unsere Mutter. Er sei desertiert und in die Schweiz abgehauen. Er wurde interniert bis der Krieg zu Ende war.
Schon während er im Internierungslager war, schloss er Bekanntschaft mit einer Schweizerin. Sie war Hebamme und eine sehr resolute Frau. Da er ja in �sterreich nicht verheiratet war, konnte er sie eheli-chen. Am Tage der Hochzeit gebar sie abends das erste Kind. Natürlich konnte die Heirat in �ster-reich nicht unbemerkt bleiben. Meine Grossmutter nahm Kontakt auf mit ihrem ungetreuen Lebensge-fährten. Wenn er sich schon nicht mehr um sie bekümmere, sagte sie, dann solle er wenigstens die Kinder ins "Gelobte Land" nehmen. Nach langem Drängen gab die Frau meines Grossvaters nach. Aber alle Bälger wollte sie nicht. So kam halt meine Mutter Miriam und ihr jüngerer Bruder Leo mit einem Rotkreuzzug in der Schweiz an. Miriam trat in eine Fabrik ein und gab ihren ganzen Lohn ihrer Stiefmutter. Leo musste noch zur Schule.
Es ging nicht gut mit den beiden Frauenzimmern in einem Haushalt. Miriam hatte in der Fabrik eine Schweizerfreundin gefunden. Dieser klagte Miriam ihr Leid. Die Freundin, Margrith Lenzinger, nahm Miriam manchmal übers Wochenende mit nach Hause in Kurligen (Anm: alle Namen imRoman sind geändert). Die ganze Familie Lenzinger nahm Anteil an Miriams Schicksal. Es wurde Familienrat abgehalten und man beschloss, die hübsche Miriam in den Schoss der Familie Lenzinger aufzuneh-men.
Vater Lenzinger war Prediger in einer Sekte, die ich hier "Geschwister der gekreuzigten Sonne" nen-nen möchte. Dies, weil von dieser Sekte in diesem Buch noch viel die Rede sein wird, ich aber nie-manden vor den Kopf stossen möchte.
Es war ganz natürlich, dass Miriam auch in diese Kirche eintrat, (Anm: Sie war katholisch aufgewach-sen) fand sie doch hier liebevolle Aufnahme und eine Menge junger Leute, die ihre Freude an der jun-gen Schwarzhaarigen hatten. Und hier lernte meine Mutter auch meinen Vater kennen. Die Leute er-zählten, dass dieser ernsthafte, junge Mann eine gute Partie sein müsse, denn er gehe nie aus, sondern trage seine Batzen zur Bank.
Auch dem jungen Mann, namens Boris Grogg, redeten die Geschwister in Christo gut zu. So wurde aus den beiden ein Paar und es wurde bald einmal geheiratet.
Aber Miriam merkte, dass von den Batzen, die da auf der Bank sich befinden sollten, nicht viel dran sein konnte, denn es kamen beständig Mahnungen über unbezahlte Rechnungen ins Haus geflattert. Woher sollte das Geld auch gekommen sein? Boris war seit Jahren arbeitslos und lebte von der Ar-beitslosenunterstützung. Man konnte ihm deshalb keine Vorwürfe machen. Zu jener Zeit war mehr als die Hälfte aller Arbeiter ohne Stelle und hatte keinen festen Verdienst.
Miriam war in der glücklichen Lage, dass sie eine Stelle hatte. Man streckte sich halt nach der Decke. Aber bald wurde sie schwanger. Miriam arbeitete bis zum letzten Tag vor der Entbindung. Aber dann fiel auch dieser Verdienst für eine Weile aus. Für solche Fälle gab es damals noch keine Versicherun-gen. Also musste man zum Fürsorgeamt. Und dort regierten kleine Könige. Wer nicht kuschte und bettelte, dass es einen Stein erweicht hätte, bekam nichts oder nicht alles.
Glücklicherweise fand mein Vater hin und wieder aushilfsweise Arbeit. Diese war zwar meistens un-terbezahlt und manchmal fast menschenunwürdig. Aber die Arbeitslosen versuchten einander die Stellen wegzunehmen, indem sie die Kollegen bei den Chefs denunzierten und für weniger Lohn ar-beiteten. Da Boris gewissenhaft war, nicht trank, jede Arbeit ohne zu murren machte und erst noch gratis Überstunden leistete, bekam er bald einmal für längere Zeit eine Stelle.
Sobald Mutter ihr erstes Kind nicht mehr an der Brust stillen musste, nahm auch sie ihre Stelle in einer Fabrik wieder auf. Das Problem war aber, wer nun das Kind hüten sollte. Zu jener Zeit wohnten meine Eltern in einem kleinen Bauernhaus in Kurligen zur Untermiete. Der Kleinbauer arbeitete tagsüber im Wald für die Gemeinde. Leider hatte das Ehepaar keine Kinder. Das mochte auch der Grund sein, dass sich beide dem Trunke ergaben. Wenn sie betrunken waren, verprügelte der Mann die Frau.

Falls gewünscht, stelle ich ab und zu weitere "Müsterchen" aus meiner Lebensgeschichte in dieses Forum.

Herzliche Grüsse, Schorsch


Lisa antwortete am 02.04.01 (11:36):

hallo lieber Schorsch,

die Möglichkeit sein Leben auf die Weise "sein zu lassen", indem du deine Gedanken und Fragen dazu in Worten vor dir sehen kannst, so vielleicht einen Abstand dazu bekommst, der dir hilft, ist heilsam, man kann eher etwas "weglegen". Es heißt nicht daß es fort ist, wiegt vielleicht anders. Du stehst nur vor dir selbst. Das muß nicht gefallen, nicht jeder kann es ertragen auf die Weise allein in sich zu gehen.

Es ist ein großes Glück aufwachsen zu dürfen in einem liebevollem Elternhaus, wo es nicht als "unfein" galt Gefühle auch zu leben, was für Söhne und Tochter gleichermaßen galt.
einen großen Teil der Erziehung "genießen" jedoch dann beide Geschlechter in Kindergarten, Schule, Ausbildung. Man kann als Mutter eine "Basis" , ein Vertrauen schenken, das sich die Kinder später in ihrem Umfeld, auf ihrem Weg, bei anderen erst wieder schwer erwerben müssen. Nicht immer und überall kann als ausgleichende Hand die der Mutter, und auch des Vaters :-), wirken. Und das wollen die Kinder auch nicht immer. Einer braucht mehr, der andere weniger Anlehnung, jeder muß so toleriert und respektiert werden wie er ist, so wie wir es uns auch wünschen. Es hört sich alles zu perfekt an, das ist es nie. Mütter sind keine allmächtigen "Zauberwesen" und nicht selten sind die Erwartungen zu hoch, die an sie gestellt werden, die sie selbst auf "ewig" als Mutter auch zurücklassen. Ich kann bei allem nur von mir sprechen. Sehr früh damit begonnen den Kindern einen leichten Weg in Selbständigkeit im Handeln und auch Fühlen zu lassen.
Mir persönlich hat es kein Glück gebracht Gefühle meinem Partner gegenüber frei auszusprechen, zu leben. Spät habe ich aufgehört sie zu zeigen und es fiel mir unglaublich schwer zu akzeptieren, daß all mein Bemühen, auch Leidenschaft :-), nichts "hervorlocken" konnte von dem vielbeschworenen tief vergrabenen Gefühlen. Wenn man verliebt ist findet man unglaublich viel Erklärungen für sich selbst, daß er zuviel Arbeit hat, es nicht gewohnt ist, man selbst einfach zu offen ist mit Zärtlichkeiten, und nach und nach gibt man es auf und zweifelt ungeheuer an sich selbst. Zumal dann anderweitig die schnelleren einfacheren Befriedigungen gesucht wurden.
Auch ich als Frau mußte lernen Gefühle , in der Partnerschaft wohlgemerkt, das hat nichts mit den Kindern zu tun, man lebt als Mutter viele Leben nebeneinander :), zu verbergen um mich nicht als lästig zu erweisen, mich nicht "lächerlich" zu machen. Und glaub mir, jede Hoffnung darauf das was aus den vielen Versen hier sprechen mag, auch noch leben zu dürfen, stirbt dabei. Man wird stumm. Das ist das Schlimmste, und einsam, mittendrin.
Man sieht nie wie es in einem aussieht, wie eng an der Grenze ich manchmal bin um allem ein Ende zu machen. Da "funktioniert" die Mutter wieder, Tochter, leben zu müssen, um nicht zu enttäuschen, wenigstens das nicht zu vermasseln. Auch darin bin ich nicht frei. Und allein schafft man es nicht, sich ein Stück weit zu befreien, um mit jemandem das noch teilen zu dürfen, was in erhofften Sehnsüchten nach Berührung im "Ganzen" tief in einem ruht. Zuviel �ngste stehen davor, zumal meine Lebensmitte überschritten ist. Realistisch, wirst auch du sagen, daß es da für eine Frau "vorbei" ist, es nicht mehr "lohnt" für jemand, sich damit zu befassen. Ich bin kein Mensch für abenteuerliches, ich brauche ein Kennen und Vertrauen, was niemals käuflich ist, nur ein Geschenk, auch dazu gehören immer zwei.

Lisa


Rosmarie S antwortete am 03.04.01 (17:37):

Lieber Schorsch,

dein Text hat mich sehr bewegt! Und er ist ein Beleg für mich, dass man auch mit schlimmer Kindheit und Schicksalsschlägen ein positiver Mensch sein kann!

Ich denke manchmal, dass es nicht darauf ankommt, wieviel Schlimmes ein Mensch in seinem Leben wegstecken muss. Ob jemand den Kopf oben behalten kann, scheint mehr von seinen Fähigkeiten, Trauriges zu überwinden und sich nicht aufzugeben, aber auch von seiner Erwartungshaltung an das Leben abzuhängen, bzw. von seiner Fähigkeit, seine Erwartungshaltungen im Laufe der Zeit zurückzuschrauben, ohne zu verbittern.

Wie seht ihr das?


Lisa antwortete am 04.04.01 (00:38):

liebe Rosmarie,
ein positiver Mensch, mit einem Guthaben, ein Plus, frei interpretiert, den Tagen etwas Gutes abzugewinnen.

Erwartungshaltungen, sie werden wohl früh geprägt. Das ist schwer zu beschreiben oder verstehen. Sie sind eigentlich gering und liegen in ausgestreckten Kinderarmen, nimm mich in die Arme, laß mich Wärme spüren. Diese ursprünglichste Erwartung ist immer, auch in späten Jahren,in uns. Ein noch nicht mit Worten dieses erbitten könnende Kind, weiß nichteinmal daß es damit eine Erwartungshaltung ausdrückt.

Eine der tief spürbarsten Zurückweisung ist das Verweigern von Nähe, direkt oder indirekt. Es schmerzt noch tiefer, läßt hilflos zurück, weiß man nicht warum, welches der Mangel ist, daß diese nicht gewährt wird.
Alles andere, was als Erwartungshaltung noch eingeordnet wird, hat doch größtensteils mit materiellen Dingen zu tun, die Genügsamkeit oder immerwährende Unzufriedenheit, das rührt meines Erachtens auch aus einer mehr, oder weniger, inneren Befriedigung, die Abstand, Ruhe gibt, wenn Zeit für jemand anderen da ist, diese mit Nähe und Begegnung, auch der Gedanken, zu teilen, die weder immer Worte noch "Zahlungsmittel" braucht um Wünsche wahr werden zu lassen.

Realität, ist mehr gelebte Distanz, die sich fürchtet vor vielem. So finden, flüchten, Menschen in Einsamkeit und werden solange darin gefangen sein, bis sie jemand Einlaß gewähren, sich wieder zutrauen einen Wunsch zu äußern, wie mit ausgestreckten Armen.

Bewältigungs"strategien" hat jeder, bewußt oder unbewußt,im Schreiben, im Arbeiten, im tätigen Dasein für andere.
Dann gibt es noch die Schokolade :-), eine kleine Streicheleinheit.