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THEMA:   Erwachsenenstrafrecht für jugendliche Mörder in USA?

 57 Antwort(en).

Johannes Michalowsky begann die Diskussion am 17.05.01 (17:08) mit folgendem Beitrag:

CNN hat auf seiner Startseite zur Zeit (17.05.01) eine Umfrage mit folgendem Text laufen:

Ist es angemessen, daß des Mordes beschuldigte Teenager nach Erwachsenenstrafrecht behandelt werden?

Bei bisher immerhin über 40.000 abgegebenen Stimmen wurde diese Frage von 81% bejaht.

Das heißt ja wahrscheinlich auch, daß diese 81% mit einer Hinrichtung von jugendlichen Straftätern einverstanden wären oder diese zumindest in Kauf nehmen würden.

Die Missachtung der Menschenrechte durch die amerikanische Justiz in diesem Punkt ist notorisch. Was besonders erschüttert ist, daß diese Art von Rechtsausübung fest auf dem Boden der Zustimmung der US-Bürger steht. Näheres zu dem Thema in der unten angegebenen Web Site.

(Internet-Tipp: https://www.todesstrafe-usa.de)


Almex antwortete am 18.05.01 (20:41):

Bei uns ist doch auch noch eine unterschiedliche Behandlung die Praxis: ab 18 Jahren ist ein Mensch volljährig, verschiedene Bestrebungen gehen dahin, diese Altersgrenze noch zu senken; gut - dann aber auch mit allen Konsequenzen !
Was immer wieder vergessen wird: den Opfern, sprich: Hinterbliebenen kann es doch gleich sein, w e r den Mord begangen hat, ob der Täter nun 14 oder 40 Jahre alt war ! Wer will einen Mord als 'Jugendsünde' hinstellen, nur weil der Mörder noch nicht volljährig, bzw. lt. Rechtsverständnis 'erwachsen' war ?
Zuviele Ereignisse hier bei uns haben bewiesen, daß die sog. Resozialisierung von derartigen Verbrechern erfolglos ist, egal, wie alt sie sind.


Heidi antwortete am 18.05.01 (22:01):

auch wenn ich gleich wieder gesteinigt werde :-), nachstehende Ballade ist meine Antwort:

Die Ballade vom Nachahmungstrieb

Es ist schon wahr: Nichts wirkt so rasch wie Gift!
Der Mensch, und sei er noch so minderjährig,
ist, was die Laster dieser Welt betrifft,
früh bei der Hand und unerhört gelehrig.

Im Februar, ich nicht am wievielten,
geschah's, auf irgend eines Jungen Drängen,
daß Kinder, die im Hinterhofe spielten,
beschlossen, Naumanns Fritzchen aufzuhängen.

Sie kannten aus der Zeitung die Geschichten,
in denen Mord vorkommt und Polizei.
Uns sie beschlossen, Naumann hinzurichten,
weil er, so sagten sie, ein Räuber sei.

Sie steckten seinen Kopf in eine Schlinge
Karl war der Pastor, lamentierte viel
und sagte ihm, wenn er zu schrein anfinge,
verdürbe er den anderen das Spiel.

Fritz Naumann äußerte, ihm sei nicht bange.
Die andern waren ernst und führten ihn.
Man warf den Strick über die Teppichstange.
Und dann begann man, Fritzchen hochzuziehn.

Er sträubte sich. Es war zu spät. Er schwebte.
Dann klemmten sie den Strick am Haken ein.
Fritz zuckte, weil er noch ein bißchen lebte.
Ein kleines Mädchen zwickte ihn ins Bein.

Er zappelte ganz stumm, und etwas später
verkehrte sich das Kinderspiel in Mord.
Als das sie sieben kleinen Übeltäter
erkannten, liefen sie erschrocken fort.

Noch wußte niemand von dem armen Kinde.
Der Hof lag still. Der Himmel war blutrot.
Der kleine Naumann schaukelte im Winde.
Er merkte nichts davon. Denn er war tot.

Frau Witwe Zickler, die vorüberschlurfte,
lief auf die Straße und erhob Geschrei,
obwohl sie doch dort gar nicht schreien durfte.
Und gegen Sechs erschien die Polizei.

Die Mutter fiel in Ohnmacht vor dem Knaben.
Und beide wurden rasch ins Haus gebracht.
Karl, den man festnahm, sagte kalt:" Wir haben
es nur wie die Erwachsenen gemacht."

(Anmerkung: Der Ballade liegt ein Pressebericht aus dem Jahre 1930 zugrunde)

Erich Kästner


Heidi antwortete am 18.05.01 (22:03):

das heisst: bevor wir Kinder und Jugendliche aburteilen wie Erwachsene sollten wir darüber nachdenken warum sie zu "Verbrechern" geworden sind.


elena antwortete am 18.05.01 (22:06):

Ich froh in einem Staat zu leben, in dem die Todesstrafe abgeschafft ist, obwohl auch bei mir oft die "Volksseele" kocht. Zumal wenn ich sehe, das jugendliche Straftäter und/oder Mörder oft mit Samthandschuhen angefasst werden, weil sie eine schwierige Kindheit hatten oder mit dem Erwachsenwerden nicht zurecht kommen.

In diesem Augenblick denke ich dann an die Opfer, die das Alter des Täters nicht einmal erreichen duften oder konnten. Ich bin für härtere Bestrafung und lebenslang sollte nicht nach einigen Jahren durch vorzeitge Begnadigung aufgeweicht werden.

Psychologen meinen inzwischen, für jeden Täter einen Therapeuten, was dann als Ergebnis oft dabei herauskommt, lässt sich anhand von Kiminalsstatistiken gut nachweisen.

(Internet-Tipp: /seniorentreff/de/hp/kluge/)


Georg Segessenmann antwortete am 18.05.01 (22:25):

Ich möchte nicht in der Haut der Angehörigen von solchen Mordopfern stecken. Du?

Schorsch


Nick antwortete am 19.05.01 (10:32):

Aus einer Umfrage den Schluss zu ziehen, dass die US-Bürger generell für die Todesstrafe sind, ist falsch. Wer die amerikanische Welt nicht kennt, sollte nicht darüber urteilen. Es ist eine andere Welt, die hier kaum einer genau kennt. Wer nicht mehrere Jahre in den USA gelebt hat, kann das nicht beurteilen.


Goldica Herz antwortete am 19.05.01 (13:38):

Warum sollen solche Meinungsumfragen falsch sein? Amerikanische Meinungsforscher können doch nicht alle irren.

Seit Generationen hat es keinen namhaften US-Politiker mehr gegeben, der gegen die Todeststrafe war. Das gleiche gilt für nahezu alle amerikanischen Präsidenten des Jahrhunderts.

Da ich selbst amerikanische Staatsbürgerin bin, weiß ich sehr genau, wie die Wirklichkeit aussieht.

(Internet-Tipp: https://www.todesstrafe.de)


doris16 antwortete am 19.05.01 (16:47):

Nick, das war ja nicht eine einmalige Umfrage - - immer wieder ergibt sich dasselbe Resultat, d.h. die Mehrzahl der Amerikaner (auch Kanada, wo ich lebe)ist für die Todesstrafe bei bewiesenem Mord. Rehabilitieren ist zwar eine zivilisierte" Idee, ist aber erfolglos. Ich habe mich, seit ich im Justizwesen war, eingehend damit beschäftigt.


Goldica Herz antwortete am 19.05.01 (20:49):

Korrektur:

Seit Generationen hat es keinen namhaften US-Politiker mehr gegeben, der gegen die Todesstrafe war. Das gleiche gilt für nahezu alle amerikanischen Präsidenten des >>vergangenen<< Jahrhunderts.


Karl antwortete am 19.05.01 (21:48):

Ich bin schon immer der Meinung gewesen, dass die Todesstrafe inhuman ist. Ein einziger unschuldig Hingerichteter ist einer zuviel und die geringste Wahrscheinlichkeit größer Null für so einen Fehler wäre es mir wert, diese Strafe wegen ihrer Irreversibilität zu bekämpfen.

Zudem ist es - wie viele Untersuchungen bestätigen - höchst zweifelhaft, dass die Todesstrafe abschreckende Wirkung hat, sie bedient nur primitive Rachegelüste.

In einer humanen Gesellschaft hat die Todsesstrafe m.E. keinen Platz.


Nick antwortete am 20.05.01 (10:29):

Und was wäre deine Ansicht, wenn deine kleine Tochter von einem entführt, vergewaltigt und umgebracht worden wäre?
Oder dein Sohn von einem Mitschüler erschossen worden wäre?
Und was ist mit Kinder, die andere aufhängen, weil sie das im Fernsehen gesehen haben wie es die Erwachsenen vormachen?
Wärst Du dann immer noch dagegen? Hier sperrt man sie ein und lässt sie dann wieder laufen und dann machen sie das gleiche wieder...
Die Todesstrafe ist primitiv, verhindert nichts. Aber diese Gesetze haben wir, weil wir primitiv sind, eine Gesinnung "Auge um Auge, Zahn um Zahn" haben, rachsüchtig sind und der Zivilisationsanstrich sehr dünn ist. Und deshalb gibt es auch die Todesstrafe, so barbarisch sie auch ist. Leider.


Karl antwortete am 20.05.01 (12:32):

Lieber Nick,

sicherlich wäre ich außer mir vor Wut und Hass gegen die Täter. Ich kann die betroffenen Familien in ihrem Wunsch nach Rache gut verstehen. Mir mangelt es auch nicht an Verständnis für die Gründe für die "Auge um Auge, Zahn um Zahn" Politik, mit der zur Zeit in Palästina beide Seiten die Zukunft ihrer Völker zerstören. Aber ebensowenig, wie ich die Haltung der Israelis und Palästinenser als "klug" ansehe, kann ich das Racheprinzip als Grundlage für ein zivilisiertes Strafrecht akzeptieren.
Es gibt für die Todesstrafe, die zeitlich verzögerte Lynchjustiz durch den Staat, keine Rechtfertigung, schon deshalb, weil "Irrtümer" nicht mehr korrigiert werden können.

MfG Karl


Sybille antwortete am 20.05.01 (13:19):

Angesichts der Opfer von "primitiven Rachegelüsten" zu sprechen, halte ich für unangemessen.
"Irrtümer" ließen sich sehr stark reduzieren, wenn Berufungsverfahren nach jahrelangen Recherchen und mit neuer Beweisführung zugelassen würden. Dies bedarf nur einer �nderung des Gesetzes.


MThrein antwortete am 20.05.01 (13:49):

Keiner hat das Recht einen anderen Menschen zu töten, auch Staaten oder Regierungen nicht. Weltweit sterben die meisten Menschen durch Kriege, Hungersnöten und aufgrund von jahrelanger staatlicher Misswirtschaft.
Natürlich hat der Staat auch die Aufgabe die Menschen vor Gewalt durch andere zu schützen. Dazu gibt es jedoch andere Methoden als die Todesstrafe. Über die verschiedenen Methoden lohnt es sich zu streiten und sie immer wieder zu verbessern.
Wenn Kinder und Jugendliche einer Gesellschaft vermehrt straffällig werden, müsste eine Gesellschaft doch wach werden und fragen, was in der Gesellschaft nicht stimmt und nicht eine Verschärfung des Strafrechts für Jugendliche fordern.
Gewalt ächten und ein gewaltfreies Klima in der Gesellschaft schaffen, führen dazu, dass Kinder und Jugendliche gewaltfreie Konfliktlösungen üben. Ein gewaltfreies Klima muss aber von allen gesellschaftlichen Kräften gewollt werden. Heute zählt jedoch eher, möglichst viel Profit erwirtschaften egal auf wessen Kosten und sein Recht durchsetzen, oder dass, was der Einzelne für sein Recht hält, notfalls auch mit Gewalt
Auch wenn ein Straftäter rückfällig geworden ist, der als geheilt entlassen wurde, ist das schrecklich aber keine Begründung für die Todesstrafe. Man kann nicht den Tod eines Menschen durch den Tod eines anderen Menschen ungeschehen machen. Das ist Rache, aber kein Schutz vor neuen Gewalttaten. Die Todesstrafe hat keine abschreckende Wirkung und verhindert kein Verbrechen


Goldica Herz antwortete am 20.05.01 (14:00):

Genau das ist eben das Problem. Die Gesetze könnten sehr leicht geändert werden, nur wäre damit überhaupt nichts gewonnen.

Es geht um Leben und Tod. Hier dürfen nicht einfach nur Irrtümer "reduziert" werden, sondern Irrtümer gehören völlig ausgeschlossen. Da dies nur ein frommer Wunsch sein kann, gehört die Todesstrafe schon deswegen abgeschafft.

Eine weitere Frage ist ferner, wer einen Staat legitimiert, einen Mord durch einen zweiten Mord sühnen zu wollen. Man sollte nicht vergessen, daß die Staatsgewalt hierbei immer nur von einer Einzelperson (in Amerika der Gouverneur des betreffenden Bundesstaates) ausgeht.

Der heutige US-Präsident George W. Bush hat sich in seinem Wahlkampf damit gebrüstet, daß er noch nie einen Todeskandidaten begnadigt hat. Daraus folgere ich ganz persönlich, daß Herr Bush ein potentieller Massenmörder ist.

Wer an seinem Schreibtisch ein paar Dutzend Todesurteile unterschreibt, ohne einen einzigen der "Täter" jemals gesehen, gesprochen oder gehört zu haben, der darf das Wort Gerechtigkeit eigentlich nicht in den Mund nehmen.


Wolfgang antwortete am 20.05.01 (14:35):

Der von Staats wegen erlaubte Mord wird ja nie so genannt... Das Wort Mord wird einfach wegdefiniert. Der Staat erlässt ein paar entsprechende Gesetze, und schon wird aus einer abscheulichen Tat etwas Tugendhaftes.

Vor staatlichen Mördern habe ich mehr Angst, als vor den anderen. Die staatlichen Mörder sind effizienter und richten viel mehr Unheil an. Eines haben staatliche und private Mörder gemeinsam: Sie haben keinen Respekt vor dem Leben.


Sammy antwortete am 20.05.01 (21:33):

Es ist schon verwunderlich,wie in den Beiträgen mit der Wortwahl umgegangen wird.Ein bestialischer Menschenmörder bekommt aus humanen Gründen seine Resozialisierung.Ein Staat der schützen will und auch muß,wird "Mordabsicht" vorgeworfen.Für mich galt und gilt immer noch-Töten aus NIEDRIGEN BEWEGGRÜNDEN ist MORD.Und nur die Beweggründe sind für mich diskutabel.


Goldica Herz antwortete am 20.05.01 (22:33):

Der Beitrag von "Sammy" zeigt exemplarisch, wie verlogen die Befürworter der Todesstrafe argumentieren. Es ist doch aberwitzig, zu behaupten, daß ein Staat mit der Todesstrafe seiner Bevölkerung Schutz bieten könne, oder wolle.

In weiten Teilen der Welt wird die Todesstrafe an Personen vollstreckt, nur weil sie z. B. in der falschen Partei sind. Oder weil sie einer ungeliebten Religion angehören, oder wegen Gotteslästerung, oder wegen Ehebruch, oder Rauschgiftdelikten. Kriegsdienstverweigerer werden an die Wand gestellt und ohne jeden Kommentar erschossen. In Teilen Mexicos werden Pferdediebe noch heute aufgehängt. Und... und... und...

Wer trotzdem grundsätzlich für die Todesstrafe plädiert, obwohl all diese Fakten bekannt sind, der hat die kausalen Zusammenhänge von Schuld und Sühne einfach nicht begriffen.


Heidi antwortete am 20.05.01 (23:00):

"...Wenn Kinder und Jugendliche einer Gesellschaft vermehrt straffällig werden, müsste eine Gesellschaft doch wach werden und fragen, was in der Gesellschaft nicht stimmt und nicht eine Verschärfung des Strafrechts für Jugendliche fordern..."

Danke, Mechtild, das trifft genau den Punkt.

Zur grundsätzlichen Frage "Todesstrafe ja oder nein?" Es gibt ein Gebot hierzu, dass in fast allen Religionen verankert ist. "Du sollst nicht töten."


doris16 antwortete am 20.05.01 (23:32):

Wie ich schon ausgeführt habe, ist die Todesstrafe - vor allen Dingen für Massenmörder - gerechtfertigt, weil derjenige auf keinen Fall nochmals töten kann und "rehabilitieren" deshalb erfolglos ist, weil solche Menschen von vornherein nicht "habilitiert" sind/waren.
Der Staat hat die Aufgabe, die Bevölkerung vor solchen Menschen zu schützen.


Wolfgang antwortete am 21.05.01 (01:58):

In der Tat sind die Beweggründe massgebend, wenn Menschen von anderen Menschen getötet werden. Mord ist in allen zivilisierten Rechtssystemen die Tötung eines Menschen aus besonders verwerflichen Motiven, auf besonders verwerfliche Art und Weise oder zu besonders verwerflichen Zwecken. Genau diese Attribute beschreiben in aller Regel staatlich sanktionierte Tötungen. Warum also werden diese nicht Mord genannt?

Der Mord von Menschen auf Geheiss des Staates bekommt keine höhere Weihen, nur weil er angeblich zum Wohle der Menschen verübt wird.


Goldica Herz antwortete am 21.05.01 (10:09):

Ich habe gerade noch einmal alle Beiträge durchgelesen. Mir ist dabei aufgefallen, daß immer wieder von der Schutzfunktion des Staates gesprochen wird. Kein normal denkender Mensch ist gegen eine solche Schutzfunktion. Nur kann kein Staat dieser Aufgabe gerecht werden. Einen globalen und allumfassenden Schutz gibt es einfach nicht.

Primäre Aufgabe der Politik wäre es, die Gesellschaft davon zu überzeugen, daß Ethik, Moral und Rechtsempfinden nicht nur Schlagworte sind. Man muß die Menschen davon überzeugen, daß sich der Glaube an die Zukunft lohnt.

Man kann von einem einzelnen Bürger nicht mehr einfordern, als das, was man ihnen tagtäglich selbst vorlebt. In der Politik gibt es nur noch wenige Vorbilder. Unsere Obrigkeit hat den Verfall der Sitten selbst eingeleitet. Blindwütig nach Verschärfung des Strafgesetzes zu rufen, das ist eine billige und sehr polemische Forderung.

Wenn man erlebt, was sich sich die Repräsentanten unseres Staates gestatten, dann sind Zweifel mehr als berechtigt. Schmiergelder, schwarze Kassen, Steuerhinterziehung, persönliche Bereicherung, Korruption, Falschaussagen usw. ....das fällt mir zuerst ein, wenn ich an Politik denke.

Den gleichen Politikern auch noch das Recht geben, über Leben und Tod zu entscheiden, das würde uns ins finsterste Mittelalter zurückwerfen.

Mir persönlich ist Deutschland, als Land der "Dichter und Denker" wesentlich sympathischer, als mich an den Gedanken gewöhnen zu müssen, im Land der "Richter und Henker" zu leben.


Goldica Herz antwortete am 21.05.01 (12:18):

Ich bitte um Nachsicht, wenn dieser Beitrag etwas umfangreicher ausfallen wird. Es erscheint mir aber gerechtfertigt, weil es ein Schlaglicht auf unser eigentliches Thema wirft.


� DER SPIEGEL


"Schminke für die Todesstrafe"

Erstmals seit einer Generation wittern die Gegner von Gaskammer und Giftspritze eine Chance, die Hinrichtungswelle in den USA zu stoppen. Doch die Mehrheit der Bürger wünscht lediglich die Sicherheit, dass Justizmorde ausgeschlossen sind.

Auf die Nachspeise beim Henkersmahl hatte der Todgeweihte keinen Appetit. Lieber verstaute Ricky Ray Rector seine Portion Nusskuchen irgendwo in der Zelle - "für später", wie er den Wärtern erklärte. Dass es für ihn nach der Hinrichtung kein Später mehr geben konnte, war dem verurteilten Mörder mit dem schweren Gehirnschaden entfallen.

Gouverneur Bill Clinton hatte es sich im Januar 1992 nicht nehmen lassen, Ricky Rectors Entsorgung ins Jenseits im heimatlichen Arkansas persönlich abzusegnen - auch wenn er dafür seinen Feldzug in Richtung Weißes Haus kurz unterbrechen musste. Auch das war ja Wahlkampf: Mit der Hinrichtung eines geistig Behinderten signalisierte der demokratische Bewerber der Nation unmissverständlich, dass in punkto Todesstrafe auf ihn Verlass sei. Zehn Monate darauf erwies sich bei den Novemberwahlen, dass Clintons Geste sich ausgezahlt hatte; Präsident George Bush musste das Oval Office an ihn abtreten.

Acht Jahre später ist es wieder ein Gouverneur und Präsidentschaftsbewerber, der sich in den Medien mit dem Thema Todesstrafe profiliert. Diesmal aber mit einer Geste in die Gegenrichtung: Statt zum 132. Mal in seiner Amtszeit ein Todesurteil programmgemäß vollstrecken zu lassen, hat der texanische Gouverneur (und Präsidentensohn) George W. Bush erstmals eine Hinrichtung aufgeschoben.

"Eine Art Wendepunkt" nennt das hoffnungsfroh der "Economist", und so wirkt es auf liberale Amerikaner tatsächlich. Denn Unwahrscheinliches geschah: Ausgerechnet in Texas, dem hinrichtungsfreudigsten Bundesstaat der Vereinigten Staaten, gibt ausgerechnet "Doubleyou" Bush - im Wahljahr 2000 höchstwahrscheinlicher Präsidentschaftskandidat der Republikaner - einem Todeskandidaten 30 Tage Hinrichtungsaufschub - und da-mit die Chance, der Giftspritze zu entkommen.

Zufällig heißt dieser schon 1994 verurteilte Mörder gleichfalls Ricky, wie der unter Gouverneur Clinton in Arkansas hingerichtete Ricky Rector. Auch Ricky McGinn, 43, der wegen der Vergewaltigung und Ermordung seiner zwölfjährigen Stieftochter Stephanie Rae Flanary zum Tode verurteilt worden war, hatte wie sein Vornamensvetter vor acht Jahren bereits seine Henkersmahlzeit in der Vollzugsanstalt Huntsville absolviert und dabei seine Lieblingsspeisen verzehren dürfen: einen doppelten Cheeseburger, fettige Fritten und Dr. Peppers Cola-Getränk.

Anders als bei jenem Fall wurde das Feinschmecker-Menü für Ricky McGinn dann aber doch nicht zum finalen Abendmahl. Was ihn in letzter Minute rettete, war ein plötzlicher Stimmungswandel bei Gouverneur Bush. Der hatte erkannt, dass eine voreilige Hinrichtung McGinns hinterher wie ein geschliffener Bumerang auf ihn zurückwirbeln könnte, seine Hoffnungen auf das Präsidentenamt ruinierend.

Wie so häufig bei den Ermittlungsbehörden der Südstaaten, war auch in diesem texanischen Mordfall die Beweisaufnahme überaus schlampig gewesen. Zwar wurde bei der Autopsie in der Scheide der ermordeten Stephanie Rae Flanary ein fremdes Schamhaarpartikel entdeckt, auf ihren Shorts auch ein mutmaßlicher Samenfleck, doch eine wissenschaftliche Untersuchung dieser Spuren unterblieb.

Durch den Hinrichtungsaufschub haben McGinns Anwälte nun Gelegenheit, eine DNS-Analyse von Schamhaar und Samen, die an dem Mädchen gefunden wurden, mit dem Erbgut des Mannes vergleichen zu lassen, der als ihr Mörder verurteilt wurde. Sollten die "genetischen Fingerabdrücke" von einem anderen stammen, wird Todeskandidat McGinn dem Henker gewiss entwischen. Der wegen gewalttätiger Sexualdelikte schon mehrmals vorbestrafte Ricky könnte dann leicht ein Wiederaufnahmeverfahren erreichen.

Der Politiker George W. Bush hatte gerade noch die Gefahr erkannt, die seiner Karriere aus dem Fall entstehen könnte. Denn wären - nach einer termingerechten Hinrichtung des Verurteilten - plötzlich die DNS-Analysen aus dem Nachlass der toten Stephanie aufgetaucht, und hätten diese Spuren auf einen anderen Sexualpartner (und somit mutmaßlichen Mörder) als McGinn hingewiesen, so hätte der Skandal ganz Amerika erschüttert: Der Gouverneur und Präsidentschaftskandidat

George W. Bush wäre als Law-and-Order-Fanatiker dagestanden, der einen Unschuldigen auf die Todespritsche spannen ließ.

Die Vollstreckung der Höchststrafe in einem Fall, bei dem der Hingerichtete schon kurz darauf als völlig entlastet erscheint, hätte in den USA aber noch weitaus gravierendere Folgen haben können: Seit der Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1976 wäre es das erste Mal gewesen, dass dem amerikanischen Rechtssystem ein Justizmord nachgewiesen wird. Obwohl in diesem knappen Vierteljahrhundert in den Vereinigten Staaten 646 Menschen wegen Kapitalverbrechen exekutiert wurden, musste die Justiz bisher in keinem einzigen Fall einräumen, dass dabei auch ein Unschuldiger zu Tode gekommen sei.

Mit stolzem Trotz kann Bush der Jüngere nach wie vor verkünden: "Jede Person, die unter meiner �gide in Texas hingerichtet wird, ist schuldig." In seinen bisher fünfeinhalb Jahren als Gouverneur hat der berechnende und populäre Präsidentensohn in der Rubrik Verbrecher-Entsorgung sämtliche Rekorde gebrochen: Die 131 Exekutionsopfer vor der McGinn-Entscheidung (und die 3 seither) stellen über ein Fünftel aller seit dem Jahr 1976 in den Vereinigten Staaten hingerichteten Todeskandidaten dar. Weitere 14 Verdammte warten in Texas auf eine Hinrichtung noch in diesem Sommer - zu einer Zeit, wenn ihr Gouverneur sich gerade anschickt, die Präsidentschaftskandidatur der Republikanischen Partei offiziell zu erringen.

Texas ist sicher groß, aber doch nur einer der 38 (von 50) amerikanischen Bundesstaaten, in denen die Parolen "Hang them high" oder "Let them fry" (deutsche Entsprechung etwa: Rübe runter) sich auf Dauer Geltung verschafft haben. Je nach Umfrage sind zwei Drittel bis drei Viertel der Amerikaner Anhänger der Todesstrafe, und nur ein Fünftel lehnt sie auch bei grausamen Verbrechen mit Entschiedenheit ab. Sogar unter den US-Bürgern schwarzer Hautfarbe, die von der Justiz überproportional mit der Todesstrafe bedacht werden, gibt es mehr Anhänger als Gegner der Hinrichtungspraxis.

Dennoch: Als George Bush sich entschloss, Ricky McGinn eine Galgenfrist einzuräumen, zeigte er durchaus auch Gespür für einen gewissen Meinungsumschwung im Lande - für eine in der amerikanischen �ffentlichkeit letzthin entbrannte Debatte um die Legitimität der Todesstrafe in einem höchst anfälligen Justizsystem, das Fehlurteile am laufenden Band produziert.

"Die Organisation des amerikanischen Gerichtswesens erschließt sich dem Verständnis eines Fremden nur schwer", war dem französischen Historiker Alexis de Tocqueville schon vor 160 Jahren aufgefallen. Aber auch das Verständnis vieler Amerikaner ist inzwischen überfordert - durch zirkushafte Showprozesse, demagogische Staatsanwälte, schlafmützige Verteidiger sowie allzu beeindruckbare (oder gar nach Hautfarbe abstimmende) Geschworene.

Vor allem aber sind es die massenhaften Fehlurteile in erster Instanz, die das Vertrauen in das ganze Strafrechtssystem erschüttert haben. Und wenn Justizirrtümer alltäglich werden, haben vor allem die Befürworter der Todesstrafe, sollte man meinen, einen schweren Stand.

Deshalb sind es sogar manche Anhänger der Hinrichtungspraxis, welche die Notbremse ziehen wollen. Im Januar erregte George Ryan, republikanischer Gouverneur von Illinois und durchaus von der moralischen Berechtigung der Todesstrafe überzeugt, durch eine spektakuläre Maßnahme Aufsehen in ganz Amerika: Ryan verhängte über seinen Bundesstaat einen unbefristeten Hinrichtungsstopp, weil 13 zum Tode Verurteilte sich im Berufungsverfahren als unschuldig erwiesen hatten und aus dem Todestrakt entlassen werden mussten. Es erscheine ihm als "totaler Alptraum", sagte Ryan, dass in Illinois ein Unschuldiger hingerichtet werden könnte.

Seither lässt vielen Amerikanern die Frage keine Ruhe mehr: Wie viele solcher Fälle mag es unter den 3670 Todeskandidaten geben, die in den Gefängnissen von 38 Bundesstaaten viele Jahre - manche sogar Jahrzehnte - auf den Tod oder auf ein Revisionsverfahren warten? Wie der Menschenrechtler Stephen Bright vom Southern Center for Human Rights ironisch bemerkt: "Es scheint in der Bevölkerung die Erkenntnis zu reifen, dass die Todesstrafe noch so ein Regierungsprogramm ist, das nicht funktioniert."

Am vergangenen Freitag protestierten sechs ehemalige Todeskandidaten in einer ganzseitigen Anzeige der "New York Times" gegen die für diesen Donnerstag in Texas geplante Exekution des 36-jährigen Gary Graham. Er wurde 1981 auf Grund der Aussage eines einzigen Zeugen des Mordes angeklagt - wenig überzeugend, wie die Unterzeichner meinen. Es fehlten handfeste Beweise für die Tat.

Die Menschenrechtler sind ganz froh, nicht mehr überwiegend moralisch argumentieren zu müssen - oder mit Hinweisen auf eine "zivilisierte Welt", die über die amerikanischen Barbaren entsetzt sei. Damit war bei diesem selbstbewussten Volk noch nie etwas zu erreichen. Als sich der Papst 1998 für die fromm gewordene Todeskandidatin Karla Faye Tucker einsetzte, ließ Gouverneur Bush den Heiligen Vater einen guten Mann sein.

Doch was ein Justizirrtum ist, das versteht jeder Amerikaner - die Weißen ganz besonders seit dem Freispruch für den mörderischen Football-Star O. J. Simpson durch eine überwiegend schwarze Jury. Erst die Gefahr des Justizmordes gibt der Kampagne der US-Menschenrechtler für ein Hinrichtungsmoratorium wirklichen Schwung - für eine möglichst unbefristete Unterbrechung der Vollstreckungspraxis. Die Gegner von Gaskammer und Todesspritze sehen sich durch neue, Aufsehen erregende Statistiken bestärkt. Eine umfassende Studie der Columbia University in New York City, die am Montag vergangener Woche veröffentlicht wurde, hat einen besonders alarmierenden Klang:

Zwei Drittel aller Todesurteile, die zwischen 1976 und 1995 in den USA gefällt wurden, seien in der Berufung wieder aufgehoben worden, heißt es in der Studie - meist wegen schwerer Fehler einer inkompetenten Verteidigung oder weil übereifrige Polizisten und Staatsanwälte entlastende Beweise unterdrückt hatten. 75 Prozent jener Todeskandidaten, bei denen die Urteile hinterher aufgehoben werden mussten, erhielten später in neuen Verfahren weitaus geringere Strafen; 7 Prozent mussten sogar freigesprochen werden.

Auch im US-Senat greift das Unbehagen über mögliche Justizirrtümer beim Verhängen der Todesstrafe um sich. Senator Patrick Leahy, ein Demokrat aus Vermont, will das Recht jedes Angeklagten auf eine DNS-Analyse im Strafprozessrecht verankern lassen. Seinem Gesetzentwurf werden neuerdings erhebliche Erfolgschancen eingeräumt.

Freilich spielte das Erbgut des Angeklagten in zahlreichen Mordprozessen bisher meist deshalb keine Rolle, weil der Täter keinen "genetischen Fingerabdruck" hinterlassen hatte. Und obendrein: Würde nicht die absolute Gewissheit in der Beweisführung, die durch einen DNS-Vergleich ermöglicht wird, in solchen Fällen das Verhängen der Todesstrafe geradezu herausfordern? Etwa nach dem Motto: Jetzt mit ruhigem Gewissen - dank DNS!

Unausgesprochen bleibt auch ein etwas brutaler Einwand, den die besonders heftigen Befürworter der Todesstrafe gegen die bisherige amerikanische Hinrichtungspraxis erheben: Die USA würden international das moralische Odium in Kauf nehmen, das mit der Todesstrafe verbunden ist, ohne dabei den Anteil der Schwerstverbrecher an der US-Gesellschaft merklich zu verringern - dazu werde die Höchststrafe viel zu selten vollstreckt.

Unter den Menschenrechtlern andererseits gibt es nicht wenige, denen die eigene Kampagne gegen die Justiz-Schlamperei unheimlich ist. "Die Bevölkerung wird die Hinrichtung eindeutig schuldiger Mörder begrüßen und sich dabei auch noch pudelwohl fühlen", fürchtet Michael Rushford, Leiter einer juristischen Stiftung.

"Wenn die Todesstrafe mit Lippenstift und Wangenrot geschminkt wird und ein feines Kleid umgehängt bekommt", fürchtet auch der Armen-Verteidiger Charles Hoffman in Chicago, "werden viele Leute sie auf einmal ganz akzeptabel finden."

� DER SPIEGEL


Johannes Michalowsky antwortete am 21.05.01 (13:15):

Es gibt auch einen wirtschaftlichen Aspekt, und Arbeitsplätze gibt es auch durch die Hinrichtungsparaxis - das rechtfertigt doch so Manches. Wie wäre es mit der Lektuüre folgenden Buches:

Die Hinrichtungsindustrie

Der Autor Stephen Trombley hatte Zugang zu der Strafanstalt Potosi in Missouri, einem der modernsten und höchstgesicherten Gefängnisse der USA, in dem sich ausschließlich Gefangene mit lebenslänglichen Haftstrafen oder zum Tode Verurteilte befinden. Stephen Trombley hat keine moralische Abhandlung über das Für und Wider der Todesstrafe geschrieben. Sein Buch zeigt die furchtbare Praxis, den Perfektionismus des Tötens und die Psyche derer, die einen Menschen umbringen. Und es zeigt, was es heißt, auf den Tod zu warten.

Reportage/Roman: IBN: 3-498-06507-6

(Internet-Tipp: https://www.todesstrafe.de/)


Nick antwortete am 23.05.01 (09:47):

Das hat Goldica Herz am 20.05.01 um 14:00 Uhr geschrieben:

"Der heutige US-Präsident George W. Bush hat sich in seinem Wahlkampf damit gebrüstet, daß er noch nie einen Todeskandidaten begnadigt hat. Daraus folgere ich ganz persönlich, daß Herr Bush ein potentieller Massenmörder ist."

Ich bin entsetzt über eine derartige Schlussfolgerung. Herrn Bush als einen potentiellen Massenmörder zu bezeichnen ist eine Beleidigung für jeden US-Bürger und alle anderen anständigen Menschen.

Beleidigende �usserungen dieser Art und ihre Veröffentlichung im Diskussionsforum entsprechen nicht den Anstandsregeln die für den SeniorenTreff gelten.


Wolfgang antwortete am 23.05.01 (10:30):

Strafrechtlich sind staatliche Mörder fein raus und nicht zu belangen... sie haben das Recht ja auf ihrer Seite. Aber im Interesse einer wahren Sprache müssen Morde als solche bezeichnet werden und diejenigen, die einen Mord ausüben, als Mörder. Ob das nun Soldaten sind oder Richter oder Staatsanwälte oder Senatoren oder andere aktiv und in verantwortlicher Stellung an solchen Schandtaten Beteiligte: Alle tragen sie ihren Teil dazu bei, dass ein (staatlich sanktionierter) Mord geschehen kann.


Goldica Herz antwortete am 23.05.01 (13:03):

Sehr geehrter Nick,

ich weise die gegen mich erhobenen Vorwürfe ganz entschieden zurück. Es steht Ihnen nicht zu, auch nicht moralisch, darüber zu befinden, ob mein Beitrag für eine Veröffentlichung im Forum geeignet ist.

Die von Ihnen gemachte Aussage....

>Beleidigende �usserungen dieser Art und ihre Veröffentlichung im >Diskussionsforum entsprechen nicht den Anstandsregeln die für den >Seniorentreff gelten.

betrachte ich als Ihre ganz private Meinung, die für mich nicht wichtig und nicht relevant ist. Im Übrigen entspricht diese Meinung auch nicht der Wahrheit.

==========================================================

In den Spielregeln des Forums steht folgendes:

Liebe Diskussionsteilnehmer,

der Seniorentreff im Internet stellt Ihnen hiermit eine kostenlose Plattform zum freien Gedankenaustausch zur Verfügung. Die geäußerten Meinungen sind die der Autoren und nicht die des Seniorentreffs.

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Wenn Ihnen diese Regeln nicht gefallen, dann gründen Sie doch bitte ein eigenes Forum. Dort können Sie dann Zensur ausüben, solange es Ihnen gefällt. Ihre Intoleranz wird jedenfalls nicht verhindern können, daß ich hier meine persönliche Meinung ungeschminkt sagen werde.

P.S. �ffentliche Stellungnahme des Webmasters erbeten!


Karl antwortete am 23.05.01 (14:12):

Hallo zusammen,

Schiedsrichter zu spielen ist ein schwieriger Job. Es hilft hierbei, sich umzuschauen und zu sehen, was für Regeln anderswo angewendet werden. Generell haben Personen des öffentlichen Lebens - und dazu ist Herr Bush ja wohl zu zählen - harsche Kritik, auch in der �ffentlichkeit zu ertragen. Im Falle von Herrn Bush, der mehr als 100 Todesurteile unterschrieben hat und in dessen Amtsperiode in Texas die Zahl der vollstreckten Todesurteile in die Höhe geschnellt ist, ist der Vorwurf des "Massenmörders" von der Meinungsfreiheit, vor allem im Hinblick auf die oben angeführten Fakten in Bezug auf die Häufigkeit von Fehlurteilen, m.E. voll gedeckt. Ich darf erinnern, dass wir in Deutschland auch den Begriff des "Schreibtischmörders" haben. Es ist nicht notwendig, selbst final Hand angelegt zu haben.


Werner antwortete am 23.05.01 (15:15):

Ich möchte noch einen anderen Aspekt in die Diskussion einbringen. In einem Beitrag weiter oben war die Rede davon, dass "... solche Menschen von vornherein nicht "habilitiert" sind/waren" und deshalb kein Lebensrecht haben würden.

Natürlich muss uns ein Staat vor Mördern schützen, aber doch nicht, in dem er selber mordet. Mich stört an obigem Zitat vor allem auch das "von vornherein". Das klingt nach "zum Mörder geboren" und ich vermute, hier besteht auch der Wunsch nach Vorbeugung? Wie wär's mit Gentest, dann die Guten nach rechts und die Schlechten in den Mülleimer? Hatten wir doch alles schon.

Gebt dem Staat nicht das Recht zu töten, denn er wird es missbrauchen, wenn nicht heute, dann morgen.


Goldica Herz antwortete am 23.05.01 (20:04):

Wer einen Menschen tötet ist ein Mörder. Wer einen Mörder tötet, der ist ebenfalls ein Mörder. Dieser Mörder wird zwangsläufig von einem weiteren Mörder getötet. Und auch dieser Mörder...... Hier beginnt die Kettenreaktion.

Würde man der Todeslogik mancher Leute folgen, dann hätten wir binnen kürzester Zeit die gesamte Menschheit ausgerottet. Einer bliebe letztlich übrig, weil kein Henker mehr da ist.... ein Mörder.


Nick antwortete am 23.05.01 (20:28):

Goldica Herz hat ihre Meinung hier zum Ausdruck gebracht. Das ist ihr gutes Recht. Ich muss ihre Meinung nicht teilen. Ich kann eine andere Meinung vertreten. Das ist mein gutes Recht. Genau das habe ich getan. Den Webmaster zu einer öffentlichen Stellungnahme aufzufordern, ist nicht falsch. Unser Webmaster hat seine Meinung zum Ausdruck gebracht. Aber an meiner Meinung ändert es nichts. Wir haben in diesem Land so was wie Meinungsfreiheit. Sie gilt für alle.


Heidi antwortete am 23.05.01 (23:36):

Geht's denn wirklich nicht ohne...?


Werner antwortete am 24.05.01 (00:00):

Es geht auch ohne Todesstrafe. Die Bundesrepublik und die Schweiz, ganz Europa, sind ohne die Todesstrafe eher sicherer als die USA. Wer behauptet, die Todesstrafe würde die Sicherheit erhöhen, der irrt gewaltig. Wenn das Leben nichts mehr zählt, zählt es nichts, so sieht die Sachlage aus. Wenn Politiker hinrichten lassen, um ihre Wahlchancen zu erhöhen, ist dies sogar nach klassischer Definition Mord, da die Tötung geplant und aus niederen Beweggründen stattfindet.

Wer geistig Behinderte hinrichtet, wie jetzt wieder in Texas geplant, der ist ein Mörder.


Goldica Herz antwortete am 24.05.01 (12:43):

Sehr geehrter Nick,

wenn Sie in Ihrem neuesten Beitrag darauf hinweisen, daß wir in diesem Land Meinungsfreiheit haben, dann hätten Sie das auch ein wenig früher tun können. Es wäre dann nicht notwendig gewesen, daß Sie mich "wider besseres Wissen" einer Straftat (Beleidigung) beschuldigen.

> .... ist eine Beleidigung für jeden US-Bürger und alle anderen >anständigen Menschen.

Ich selbst, so hoffe ich, zähle mich ebenfalls zu den anständigen Menschen. Und US-Bürgerin bin ich ausserdem. Aber das nur zur Information. Eventuell hilft es auch beim Nachdenken darüber, was persönliche Verunglimpfungen bewirken können.


Ricardo antwortete am 24.05.01 (17:04):

Ich habe hier gelesen, daß jede Art von Tötung Mord sei. also auch die Todesstrafe sei Mord.
Dem möchte ich widersprechen.
In der Bibel lautet das entsprechende Gebot, redlich übersetzt:
Du sollst nicht morden.
Nicht etwa: Du sollst nicht töten, das ist doch ein Unterschied.
Mord wird u.a. durch das Motiv definiert, die verwerfliche Absicht.
Niemand kann es mir verbieten, in Notwehr jemanden zu töten, der mich mit der Waffe angreift und mein Leben gefährdet. Soldaten sind also keine Mörder.

Leider kommt es zudem immer wieder vor, daß ein Mörder, der aus der Haft flieht, erneut schwere Verbrechen begeht.
Wo bleibt da der Schutz der Gesellschaft vor weiterem Unheil?
Ist die Todesstrafe wirklich unmenschlich?


Wolfgang antwortete am 24.05.01 (17:26):

Ja, die Todesstrafe ist ein furchtbares Werkzeug, geboren aus dem Geist der Rache... Sowohl Motiv, Art und Weise als auch Zweck sind besonders verwerflich. - Auch Soldaten können zu Mördern werden. Immer dann, wenn ihr Staat einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen hat. Dann verteidigen Soldaten nicht, sondern morden.

Das Argument, man brauche die Todesstrafe zum Schutze der Gesellschaft, zieht schon gar nicht. Vergleichen wir einmal die USA mit Europa: Die USA - das Land mit den weltweit meisten staatlich verübten Morden - ist zugleich auch das Land mit den meisten privaten Morden. Es ist wohl so, dass staatliche und private Gewalttaten und -täter sich gegenseitig hochschaukeln. - Wenn Du also irgendwo relativ sicher leben kannst, Ricardo, dann nicht in den USA, sondern in Europa... :-)


Karl antwortete am 24.05.01 (17:51):

Hallo Ricardo,

das erste Argument gegen die Todesstrafe, dass mich bereits hinreichend überzeugt, ist, dass jeder der für die Todesstrafe ist, die Tötung Unschuldiger in Kauf nehmen muss, denn Irren ist menschlich und zudem vielfach belegt. Leider kann nach Vollstreckung der Strafe, diese nicht mehr aufgehoben werden. Ein unschuldig Hingerichteter wäre m.E. bereits einer zuviel.

U.a unsere deutsche Geschichte, aber auch die Geschichte anderer Völker liefert das zweite Argument, dass m.E. auch hinreichend ist, um die Todesstrafe zu ächten, dies ist die u.U. willkürliche Auslegung der Gesetze durch staatlich gegängelte Justiz. Wenn eine Diktatur bereits Gesetze vorfindet, die es erlauben, Menschen umzubringen, wird sie durch entsprechende Anschuldigungen Wege finden, sie auf Oppositionelle anzuwenden. Die politischen und juristischen Strukturen, die wir schaffen, müssen möglichst resistent gegen Mißbrauch sein. Deshalb ist es gut, wenn die irreversible Todesstrafe tabu ist.

Das dritte Argument gewinnt besonders bei der engeren Fragestellung dieses Themas Kontur. Als Genetiker, der einiges über die Bedeutung der Gene weiss und hier keine Nachhilfe braucht, bin ich entsetzt von der umsichgreifenden Gläubigkeit an ihre Allmacht. Homo sapiens ist ein soziales Wesen und sehr stark auch von der Umwelt geprägt (dafür prädestinieren gerade ihn seine Gene, die ihn mit besonders guter Lernfähigkeit im Vergleich zu anderen Tieren ausstatten). Wenn ein Jugendlicher mordet, dann ihn hinzurichten und zu glauben, die Welt sei wieder in Ordnung, dass ist doch der Gipfel der Dummheit.

Übersetzung aus dem alten Testament hin oder her. Ich bin stolz in einer Gesellschaft zu leben, in der die Todesstrafe geächtet ist. Ich bin ein Kulturoptimist und glaube daran, dass sich Gesellschaften entwickeln und aus Fehlern lernen können. Für mich ist die Abschaffung der Todesstrafe ein hohes Gut, für das es sich lohnt zu streiten.

MfG Karl


Werner antwortete am 24.05.01 (18:01):

Leider waren deutsche Soldaten und sind z.Zt. israelische Soldaten, die auf steinewerfende Kinder schießen, sehr wohl Mörder. Im Alten Testament steht "Auge um Auge und Zahn um Zahn". Müssen wir uns im 3. Jahrtausend nach Christus immer noch an solch archaischen Verhaltensmodellen orientieren? Wohin das führt, wird uns gerade demonstriert.

Ich stimme den Argumenten von Wolfgang und Karl in dieser Sache voll zu.


Goldica Herz antwortete am 24.05.01 (19:21):

Lieber Ricardo,

Deine Interpretation von Notwehr ist falsch. Du schriebst wörtlich folgendes:

>Niemand kann es mir verbieten, in Notwehr jemanden zu töten, der >mich mit der Waffe angreift und mein Leben gefährdet.

Dazu sagt der Gesetzgeber folgendes:

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

StGB � 34 Rechtfertigender Notstand

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

Also bitte, selbst in einer Notwehrsituation ist die reine "Tötungsabsicht" ein verbotenes Mittel.


Ricardo antwortete am 25.05.01 (08:43):

Liebe Goldica
also verbieten kann man die Notwehr ja Gottseidank nicht, und ich erkenne auch nicht, woraus du in dem etwas verschrobenen Gesetzestext dazu eine Begründung erkennen willst.
Wer sich selbst verteidigt, hat niemals eine andere Absicht, als seine eigene Haut zu retten, keine Tötungsabsicht.

Als ehemaliger Psychiater muß ich die Beiträge mit gemischten Gefühlen lesen. Wie geht es dem Arzt, der erleben muß dass ein Häftling im Freigang, dem er zugestimmt , erneut gemordet hat?
Ich habe ja nicht die Todesstrafe befürwortet, sondern nur gefragt, ob sie unmenschlich sei.
Die Angehörigen der Opfer streben nicht etwa nach Rache, der Staat auch nicht.
Sondern nach Vergeltung, auch das ist ein Unterschied.
Im Übrigen ist das Thema in Deutschland besonders delikat, wo die Todesstrafe sehr beliebt war.
Aber als die Mörder des dritten Reiches zum Tode verurteilt wurden, gab es viel Heuchelei mit Bitten um Gnade.


Karl antwortete am 25.05.01 (09:15):

Lieber Ricardo,

die Alternative zum Freigang ist doch nicht die Todesstrafe! Wer will denn das Kind mit dem Bade ausschütten? In dieser Diskussion wird doch nicht in Frage gestellt, dass die Bevölkerung vor Psychopathen zu schützen ist. Aber wir können doch nicht "potentielle" Mörder prophylaktisch hinrichten.

"Beliebt" war die Todesstrafe selbst in Deutschland wohl nie, außer vielleicht bei einigen Psychopathen, die sich auf diese Art im Richteramt oder als Henker oder als Zuschauer abreagierten. Nützlich war die Todesstrafe in den Augen der Nazis, da sie damit aktive Selektion im darwinschen Sinn betreiben wollten. Deshalb haben sie angeblich "unwertes" Leben, Behinderte, Zigeuner, Juden gleich millionenfach vernichtet.

Selektionsgedanken sind leider auch in dieser Diskussion wieder angeklungen. Furchtbar. Es darf keine Verwischung der Grenzen geben. Nie wieder Todesstrafe in Deutschland, im Vorfeld sollten wir solchen Gedanken entgegenstehen.


Johannes Michalowsky antwortete am 25.05.01 (10:57):

Doku: Leben und Sterben hinter Gittern

3Sat 25.05.2001 23.00

The Farm � eine 90minütige Dokumentation über das größte US-Hochsicherheitsgefängnis, Louisiana State Prison.

�Wer hier landet, fühlt sich lebendig begraben. In dem Knastbunker sitzen Gefangene mit geradezu utopischen Haftstrafen von bis zu 100 Jahren. Die meisten Insassen sind schwarz.

Was hoffen die Menschen? Wovon träumen sie? Die preisgekrönte Doku rückt den Verurteilten beklemmend nah und gibt ihnen damit ein Stück ihrer verlorenen Würde zurück.� (aus der Programmzeitschrift TV Spielfilm)

Bei dieser Gelegenheit möchte ich daran erinnern, dass das Thema dieser Diskussion die Anwendung Erwachsenenstrafrechts auf Jugendliche war. Immerhin kann man sich mal � betrachtet man sich den genannten Film � Gedanken darüber machen, ob Verurteilung und Strafvollzug dieser Art auch auf Jugendliche angewandt werden sollte.

(Internet-Tipp: https://www.todesstrafe.de/)


Ricardo antwortete am 25.05.01 (15:28):

Ich fühle mich mißverstanden und lasse mich nicht in eine Ecke drängen.
Ich habe mit keinem Wort die Todesstrafe befürwortet, sondern nur zu denken gegeben.

Ich habe doch nicht gefordert, daß jemand mit dem Tode bestraft wird, und das auch noch vorbeugend.

Ich denke mehr an die Opfer als an die Täter, das gebe ich zu.


Karl antwortete am 25.05.01 (16:53):

Lieber Ricardo,

es gut daran zu denken, wie Opfer vermieden werden können. Die Fakten zeigen, dass die Todesstrafe hierbei nicht hilft. Es hilft den Opfern nicht, wenn man in der Diskussion ein Schlupfloch für die Todesstrafe lässt.

Der Psychiater, der den Freigang erlaubt hat, hätte diesen verbieten können. Es geht einfach nicht um die Alternative Freigang oder Todesstrafe. Dies ist durchaus wichtig, gesagt zu werden. Ich glaube Dir sehr gern, dass Du das auch so siehst.


Heidi antwortete am 25.05.01 (18:16):

In der Kindererziehung sind Strafen unpopulär geworden. Warum? Wer sein Kind strafen muss gibt damit zu, dass er es falsch erzogen hat.

Umgesetzt auf unsere Gesellschaft - wir brauchten kein Strafrecht, wenn die Ursachen für Straftaten beseitigt würden.

Pathologische "Straftäter" gehören selbstverständlich in Behandlung und/oder dauerhafte Schutzverwahrung, aber auch das kann menschenwürdig von statten gehen.

Einfach gesagt - schwer getan, ich weiß :-)


Goldica Herz antwortete am 25.05.01 (18:42):

Lieber Johannes,

ich möchte Deinem Wunsch folgen und zum eigentlichen Ausgangsthema zurückkehren. Die Problematik mit jugendlichen Straftätern, speziell in den USA, hat nämlich viele hässliche Facetten.

Im Artikel 4 der amerikanischen Menschenrechtskonvention steht folgendes geschrieben:

"Die Todesstrafe darf nicht gegen Personen verhängt werden, die zur Zeit der Begehung des Verbrechens unter 18 oder über 70 Jahre alt waren; auch darf sie nicht bei Schwangeren angewandt werden."

Die Wahrheit sieht in Wirklichkeit aber so aus:

Die USA sind internationalen Standards zum Trotz fast das einzige Land, das zur Tatzeit unter 18 Jahre alte Personen hinrichtet. Dies ist ein Menschenrechtsskandal. Mindestens 72 Staaten, die wie die USA weiterhin an der Todesstrafe festhalten, verbieten gesetzlich die Hinrichtung von Straftätern unter 18 Jahren. Das moderne Amerika befindet sich mit der Hinrichtung von jugendlichen Straftätern in der Gesellschaft von Ländern, wie Iran, Jemen, Nigeria, Pakistan und Saudi-Arabien..

Insgesamt sitzen nach Angaben des Washingtoner Death Penalty Information Center 47 Jugendliche in den Todestrakten amerikanischer Gefängnisse ("Time" kommt sogar auf 63 Minderjährige). Zwei Drittel dieser Jugendlichen sind von dunkler Hautfarbe - und in allen Fällen waren ihre Opfer weiß.

(Internet-Tipp: https://mitglied.tripod.de/nannyogg/)


Nick antwortete am 01.06.01 (19:24):

Die Todesstrafe ist schlimm. Aber das, was die zum Tode verurteilen getan haben, nämlich andere getötet, ist genau so schlimm.


Ricardo antwortete am 02.06.01 (21:43):

Lieber Nick
Dein Satz trifft die Problematik, ich stelle fest, dass sich oft nur wenige Leute für die Opfer von Gewalttaten interessieren, dagegen wird auch in den Medien ausführlich über die Täter berichtet und um Sympathie für die Verurteilten geworben.
Schließlich sind sie es vor allem, die Menschenrechte verletzen.


Georg Segessenmann,alias Georg von antwortete am 03.06.01 (10:43):

Lieber Nick

Meine Meinung dazu: Wird ein Mensch angegriffen mit dem Ziel ihn zu töten, hat er das Recht sich zu wehren, den Angreifer zu töten bevor dieser ihn tötet. Bist Du da der gleichen Meinung?
War aber der Angreifer schneller, stärker, brutaler als der Angegriffene, so dass dieser sein Leben lassen musste, ist es nicht mehr als gerecht, anstelle des Getöteten die Notwehr posthum zu praktizieren sprich den Angreifer zu töten - aber nur dann, wenn der Täter unzweifelhaft eruiert ist.

Schorsch


Werner antwortete am 03.06.01 (11:07):

Auge um Auge, Zahn um Zahn?
Wohin führen uns diese archaischen Verhaltensweisen?


Ricardo antwortete am 05.06.01 (21:49):

Hallo Werner
Das Wort: "Auge um Auge, Zahn um Zahn..." wird leider oft zitiert in einem Sinn, der absulut nicht gemeint ist.
Ein jüdischer Theologe schreibt dazu:
Es soll um Gottes willen niemandem aus Rache oder Vergeltung ein Auge verletzt werden.
Der Schädiger, also derjenige, der einen anderen verletzt hat, soll eine entsprechende Sühne leisten, also für ein Auge das Schmerzensgeld eines Auges, für einen ausgeschlagenen Zahn entsprechend weniger.
Rache ist auch nach dem AT verboten.
"Liebe deinen Nächsten..." ist ursprünglich ein Gebot aus dem alten Testament gilt heute noch.


Werner Gans antwortete am 06.06.01 (16:15):

Hallo Ricardo,


das ist eine erfreuliche Interpretation dieses archaischen Konzeptes, dem ich voll zustimmen kann. Damit wäre ja wohl auch das Konzept "Todesstrafe für Mord" überwunden.

Wenn die Rache wegfällt, dann geht es nur noch um den Schutz der Bevölkerung und dieser ist am besten gewährleistet, wenn der Staat selbst Achtung vor dem Leben praktiziert.

Herzliche Grüße, Werner


Georg Segessenmann antwortete am 06.06.01 (16:48):

Schon recht, lieber Werner. Aber wer ist denn der Staat? Wer sind denn unsere Richter? Sind sie denn nicht, genauso wie die Politiker, von uns gewählt, haben aber manchmal ein Rechtsempfinden, das unserem "gesunden Menschenverstand" diametral gegenübersteht?
Schauen wir doch mal nach Amerika, dem "Gelobten Land", das einmal eine Vorzeige-Rechtspflege hatte. Wo gibt es denn noch mehr Fehlurteile, von Rassenwahn und Profitdenken geleitete, als gerade dort?
Ich plädiere nicht auf Todesstrafe um jeden Preis und ohne Rücksicht auf das Recht. Aber wo ein Mensch den anderen aus Geldgier, Rassenhass oder Wahn tötet, so, dass er unzweideutig überführt werden kann, dann gehört er nicht mehr zu uns - er ist unfähig zu machen, noch weitere Menschen zu töten. Aber ncht durch lebenslanges Hintergittersperren bei menschenunwürdigen Bedingungen. Denn da ist der Tod noch die bessere Lösung.

Schorsch


nick antwortete am 06.06.01 (20:43):

Das gelobte Land... Da wird mal wieder auf Amerika geschimpft. Dabei ist Deutschland das am besten amerikanisierte Land von Europa. Das sollte man nicht vergessen.


Karl antwortete am 08.06.01 (07:43):

dpa-Meldung von heute (in gekürzter Form entnommen der Badischen Zeitung vom 8.Juni 2001):

'Der Spanier Joaquin Jose Martinez, der in den USA 1997 zum Tode verurteilt worden war, wurde jetzt mangels Beweisen freigesprochen. Das Todesurteil hatte 1997 in Spanien zu einer nachhaltigen Solidaritätswelle geführt.'

Eigener Zusatz: Die Solidarität von ganz Spanien und die in Spendenaktionen gesammelten Millionen konnten eine Wiederaufnahme des Verfahrens bewirken. Wäre Joaquin Jose Martinez ohne Lobby, arm und schwarz gewesen, würde er heute nicht mehr leben.

Ich denke, niemand, der nachdenklich ist, kann ein System, in dem solches möglich ist, wirklich gut heißen.


nick antwortete am 08.06.01 (14:12):

Die Todesstrafe ist grausam, und einmal vollstreckt, endgültig und nicht umkehrbar. Wenn ein Unschuldiger hingerichtet wird, ist es ein schlimmes, nicht wieder gut zu machendes Unrecht. Keine Frage.
Es ist richtig, ein Rechtssystem kritisch zu beurteilen. Aber jedes Volk hat die Rechtssprechung, die es verdient hat. Richter, Ankläger, Anwälte, Geschworene sind an das Gesetz gebunden. Sie sind Menschen. Sie machen Fehler. Das ist hier auch nicht anders.
Es gibt in Deutschland keine Todesstrafe. Das mag gut sein oder auch nicht. Unschuldig Verurteilte wird es trotzdem immer wieder geben. Hier und dort.
Das eine absolut richtige Recht gibt es nicht, weil es von Menschen gemacht und angewendet wird.


Wolfgang antwortete am 12.06.01 (14:44):

In den USA wurde der als "Oklahoma Bomber" bekannte Timothy McVeigh ermordet. McVeigh war ein Mörder. Er kam aus der Mitte der Gesellschaft. Er ermordete 168 Menschen und verletzte viele, zum Teil schwer... - Gestern dann sein Ende: Man hat ihn gefesselt und den dann wehrlosen Mann vor Zuschauern mittels einer Giftspritze umgebracht. Die berliner Zeitung taz schreibt dazu: "[...] Es sind diese Momente, in denen den Zuschauern ganz intuitiv bewusst zu werden scheint, dass sich der hinrichtende Staat auf das Niveau des Mörders McVeigh begibt. [...]"

Einen Artikel über den Typ und den gesellschaftlichen Hintergrund des Mörders McVeigh gibt es heute in DIE WELT online:

Timothy McVeighs Ende
https://www.welt.de/daten/2001/06/12/0612fo260018.htx

(Internet-Tipp: https://www.welt.de/daten/2001/06/12/0612fo260018.htx)