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THEMA:   was ist ein fensterling?

 10 Antwort(en).

pilli begann die Diskussion am 19.03.02 (21:40) mit folgendem Beitrag:



FENSTERLINGE.

Es sind Menschen die am Fenster leben. Wie
es Menschen gibt, die in der Kueche oder auf der
Treppe oder im Badezimmer leben, sogenannte Badlinge,
so gibt es Fensterlinge. Es ist ein eigenes Geschlecht,
sie lesen, essen, lehnen , und gaehnen, liegen und siegen
am, neben und im Fenster.
Gewiss sie siegen auch im Fenster. Sie blicken herab. Es gibt nichts , auf das
sie nicht herabblicken, sie blicken auch auf dich herab;wenn du vorueber gehst
und zu ihnen hinaufschaust, so sehen sie im wahren Sinn des Wortes auf dich
herab. Sie koennen nichts dafuer, es ist einfach ihre Natur und ist in ihrer
Lage bedingt. Wie es die Pflanze magisch zum Licht zieht, so zieht es den
Fensterling zum Fenster hin, und dort liegt er dann, ein Kissen unter den
Ellenbogen und blickt herab.
Die Fensterlinge gehoeren in die Familie der Geniesser. Es gibt sie in jeder
Strasse, in jedem Ort, in jedem Land, und sie nehmen dem Leben gegeueber die
beneidenswerte Rolle des ewigen Zuschauers ein. Nichts, was sie aus ihrer Ruhe
bringt; was auch mit ihrer Lage zusammenhaengt. Nichts, was ihnen Kuemmernis
verursacht , solange es etwas zu schauen gibt.Wobei sie auf ihre Weise mit
allem zufrieden sind;sie schauen gerade so gut der Biene nach, die
vorueberfliegt ( wenn nichts anderes da ist) wie dem Radlerklub " Blaue Nelke"
der ins gruene zieht.
Ein richtiger Fensterling verschmaeht auch jeden anderen Genuss. Kino laesst ihn
kalt, Theater lockt ihn nicht hinter seinem Fensterbrett hervor. Sport braucht
er nicht. Er hat seinen eigenen Sport und seinen eigenen staendigen Logenplatz.
Manchmal treten die Fensterlinge auch paarweise auf, meistens als Mann und Frau,
das sind die geborenen Kritiker. - Ob das neue Kleid von der kleinen Frau von
schraeg gegenueber von der Stange oder nach Mass ist, ob der Rock zu kurz ist
und die Absaetze zu hoch sind, und wohin der elegante Herr, der nachmittags in
dem Haus an der Ecke verschwindet, eigentlich geht, das sind Fragen, die fuer
einen echten Fensterling wahre Lebensfragen sind.
Fensterlinge haben nichts mit FINSTERLINGEN zu tun, nur ein Druckfehler koennte
sie dazu stempeln. Es ist im ganzen ein harmloses Geschlecht, welches das Leben
nur zu sich nimmt und es innerlich verdaut, ohne etwa damit zu beginnen.
Ein FINSTERLING ist im dunkeln taetig , genau das Gegenteil vom Fensterling,
der die Helle ueber alles liebt und dessen eigenstes Gesetz Untaetigkeit ist.
Schon darum koennte sich der Fensterling niemals zu einer Taetigkeit aufraffen,
weil er ja, waehrend er handeln wuerde, notwendig allerlei von dem verpassen
muesste, was inzwischen vorgeht.

den text habe ich heute per e-mail, kopiert aus einer alten zeitschrift von einer anderen news-group zugesandt bekommen.
könnte das nicht auch in der heutigen zeit für uns internetties gelten?


WANDA antwortete am 19.03.02 (22:34):

Hallo pilli, heute morgen habe ich mit Dir angefangen, jetzt höre ich mit Dir auf. Als Lektüre vor dem Schlafengehen ganz köstlich - aber nein, das sind wir nicht, wir siegen doch nicht, wir blicken doch nicht auf andere herab und dann gehören wir doch auch nicht zur Gruppe der Geniesser - oder vielleicht doch ?
Naja, auf jeden Fall haben wir kein Kissen. Gute Nacht Wanda


pilli antwortete am 19.03.02 (23:00):

liebe wanda,
ich wünsche dir einen fensterplatz in deinen träumen, an dem du nur wundeschöne dinge siehst, vergangenes oder zukünftiges, sodass du eine geruhsame nacht hast,

sternenglanzhelle grüsse,
pilli


alima antwortete am 19.03.02 (23:07):

Hallo pilli, mein fensterling wohnt im nebenhaus, er schaut darauf wer ein und aus geht, was der nachbar im garten macht, da reicht aber das kissen nicht, da muß die füßbank aufs fenster, um daraufzukrabbeln, und wenn gehört, wird da wird sich unterhalten, dann haben wir einen unterfensterstehling, verrufen als finsterling, ich finde es unausstehlich. gute nacht


seewolf antwortete am 20.03.02 (02:19):

Fensterlinge waren die besten Mitarbeiter von Gestapo und Stasi und und und ....sind es auch heute noch.


schorsch antwortete am 20.03.02 (10:03):

@ "...Fensterlinge waren die besten Mitarbeiter von Gestapo und Stasi und und und ....sind es auch heute noch...."

Was aber nicht heisst, dass alle, die an einem Fenster sitzen, Stasi-artige sind. Viele Menschen können nicht mehr aus dem Haus, weil sie unbeweglich, zerbrechlich geworden sind. Sollen wir ihnen das bisschen Freiheit, ihren Fensterplatz geniessen zu können, vielleicht mit solchen Bemerkungen vermiesen?

Lieber Seewolf. Angenommen, Du wärst auf der Strasse und würdest von Halunken angegriffen. Wärst Du da nicht froh, es würde jemand aus der menschenleeren Strasse am Fenster sitzen, das sehen und die Polizei rufen? Ist es nicht schon schlimm genug, dass manchmal Leute sterben und monatelang in ihrer Wohnung liegen - weil das "Sich um den Mitmenschen kümmern" einen anrüchigen Gehalt bekommen hat?

Schorsch


baerliner antwortete am 20.03.02 (11:24):

Ich bin erstaunt, welche Diskussion sich um den Begriff
"Fensterlinge" ergibt. Sicher gibt es auch neugierige
Beobachter, die andern hinterherschauen oder nachspionieren
und ihre "Erkenntnisse" austratschen.

Aber ich entsinne mich noch an meine Kindheit nach dem
Krieg, als Opas und Omas aus den Fenstern schauten oder
auf der Straße in der Sonne saßen, sogar aus dem 1. Stock
ihrer Wohnung sich mit Leuten auf der Straße unterhielten
usw. Da gab es nämlich weder PC noch Fernsehen;-)

Schlimm sind die Finsterlinge, die hinter der Gardine stehen.


Ilse Wedelstaedt antwortete am 20.03.02 (12:44):

"... als Oma und Opa aus dem Fenster schauten,... sich mit den Leuten auf der Straße unterhielten" usw.

Dieser unmittelbare Kontakt fehlt uns manchmal. lch kenne solche Leute auch: Sie wissen zwar früher als Du, was Du morgen kochen wirst - stört mich nicht, aber vielleicht so manch einen potentiellen Einbrecher.


utelo antwortete am 20.03.02 (19:41):

Hi Ihr alle,
die Fensterlinge sind -wie ich seit einigen Jahren we iß- sehr nützlich. Früher hat es mich aufgeregt, wenn ewig jemand am Fenster hing und wußte, wann ich ging und kam, was meine Kinder taten, wer zu Besuch kam usw.
Jetzt haben wir hier in der Stadt an der Hauptstraße, auch einen Fensterling, der alles beobachtet, aber so gefällig ist, daß er sieht:
wenn das Dachfenster beim Regen nicht geschlossen ist,
wenn Qualm aus einer Wohnung kommt und der Bewohner auf Arbeit ist -er rief die Feuerwehr-
wenn ein Überfall auf mehrere Geschäfte erfolgt -er rief die Polizei
wenn mal wieder einer sein Auto so geparkt hat, daß man nicht raus kommt - er weiß wo der Zuparker ist-
als ein behinderter Junge nicht über die Straße kam - er rief die Eltern gegenüber an-

Es gibt dafür noch viele Beispiele, d.h. alles was ursprünglich negativ aussieht, hat auch seine positiven Seiten. Wenn unser Fensterling mal nicht da ist, machen wir uns alle Sorgen, kllingeln bei ihm und hören, daß er manchmal im Krankenhaus ist, oder bei seiner Tochter ein paar Tage Urlaub macht o.ä. Wir finden es schön, weil es in der zur Zeit doch ziermlich anonymen Nachbarschaft doch Verbindung und Zugehörigkeit gibt.

Soweit von mir zum Fensterling
Grüße
Utelo


Wanda antwortete am 20.03.02 (22:30):

Pillis Anliegen war glaube ich, dass wir uns alle an die Nase fassen sollten, um darüber nachzudenken, ob wir nicht auch so eine Art von Fensterlingen sind.
Offen gestanden ist es reine Neugierde, dass ich den Kasten abends noch anschmeisse, ich will einfach wissen, wer da war und was er hinterlassen hat, und sei es noch so banal. eco war übrigens schon lange nicht mehr da ! Möglicherweise kommt dieses Grundbedürfnis des Menschen zu kurz, wenn er allein lebt.
Wie auch immer - ehrlich gesagt bin ich doch so eine Art virtueller Verschnitt von einem Fensterling, wahrscheinlich wir alle, die wir hier täglich sind. In diesem Sinne - man gönnt sich ja sonst nichts. Wanda


pilli antwortete am 20.03.02 (23:31):

guten abend,
ja wanda, auch ich bin ein fensterling, willkommen im club!
wenn auch nicht so, wie hier beschrieben,aber neugierig, was sich da draussen tut, bin ich schon. ohne diese neugier wüßte ich vieles nicht.

ich hatte diesen text, wie oben geschrieben aus einer newsgroup, die ich einen tag vor weihnachten entdeckte.hier fand ich auf der suche nach informationen für meine mutter sehr viel interessantes über den geburtsort meiner mutter, ich habe die ganze nacht texte und foto`s ausgedruckt, alles in einen schönen ordner geheftet und dann verschenkt.
wir beide haben gelacht und geweint, diese vielen erinnerungen waren wie ein blick zurück für sie. jetzt drucke ich täglich die mitteilungen der forumsmitglieder aus und sie bekommt diese info`s dann, um halt so auch ohne pc teilnehmen zu können.
vielleicht scheint morgen die sonne, dann mache ich mein fenster gaaaanz weit auf!

nette grüsse,
pilli