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THEMA:   Eugen Drewermann

 6 Antwort(en).

Lucca begann die Diskussion am 28.11.01 (23:50) mit folgendem Beitrag:

Liebe Seniorentreffler,
wer kann mir helfen?
Ich möchte gern als Erstkontakt ein Buch von Eugen Drewermann lesen.
Welches Buch von ihm führt mich in gut verständlicher Weise in seine Gedankenwelt ein?


Heidelinde antwortete am 29.11.01 (17:25):

Liebe Lucca,
ich habe folgende 2 Bücher gelesen: "Zeiten der Liebe" und "Die Botschaft der Frauen".Beide Bücher sind als TB erschienen.Es sind tiefe und poetische Gedanken, die sehr nachdenklich machen.
Viele Grüße
Heidelinde


Anni antwortete am 29.11.01 (22:17):

Liebe Lucca,
auch ich habe eine Reihe von Büchern von Eugen Drewermann. Dann habe ich seine Vorträge in Bonn und Wolfsburg gehört. Ein außergewöhnlicher, liebenswerter Mensch der einen unwahrscheinlich nachdenklich macht. Als erstes Buch habe ich mir "Kleriker" gekauft. Lesen tue ich zur Zeit "...und es geschah so". Ich mag ihn sehr
Gruß Anni


Lucca antwortete am 29.11.01 (22:51):

Danke, Heidelinde,
danke, Anni,

es tut gut, wenn Fragen,wie meine, nicht im "Bermudadreieck" verschwinden, sondern mit Einfühlungsvermögen beantwortet werden.
Eine ruhige Vorweihnachtszeit wünscht Euch
Lucca


brigitte8 antwortete am 30.11.01 (22:38):

Liebe Lucca,
ich bin auch sehr begeistert von Drewermann. Wenn man ihn persönlich hören kann, sollte man das nicht versäumen.
Ich besitze "Wort des Heils, Wort der Heilung", das sind Gespräche und Interviews.Ich würde es Dir gern schicken, wenn Du das möchtest. Liebe Grüße brigitte8.


Stephan Drissen-Reyntjes antwortete am 04.12.01 (00:08):

Ein Beispiel für Drewermanns Ansichten: ein Interview
�Religion ist ein Ort von Hoffnung�

Gespräch mit dem Psychotherapeuten Eugen Drewermann

Diesseits: Fühlen Sie sich heutzutage eher in der Rolle des Psychoanalytikers oder des
katholischen Geistlichen?
Eugen Drewermann: Als katholischer Geistlicher, in dem Sinne wie ich bis 1991 Priester war, kann ich mich nicht fühlen. Mit der katholischen Kirche, die in meinen Augen einen fundamentalistischen Dogmatismus verwaltet, habe ich geistig und arbeitsmäßig große Schwierigkeiten, denn sie unterdrückt jede Aktivität, die sie nicht kontrollieren kann.
Ich sehe zwischen Psychotherapeuten und religiös existierendem Menschsein keinen Gegensatz. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, das Christentum ist im Unterschied zum Judentum oder Islam, die Gesetzesreligionen sind, eine therapeutische Religion: Jesus hat, wie man beim Lesen im Neuen Testament sieht, nicht nebenbei, sondern ganz zentral, Menschen geheilt. Er schaffte es, von Gott so gütig zu sprechen, dass sich darunter die Angst im Menschen legte, die bis in die Seele, bis in den Körper hinein krankheitsverursachend wirken kann. Das müssten wir in unserem Jahrhundert dringend nachbilden, so dass eine Synthese dessen, was im 20. Jahrhundert Psychotherapie geheißen hat und dem was Religion werden könnte, mir überaus dringlich scheint.
Die Menschen haben an Kirche kein Interesse mehr, die mehr Neurosen produziert als heilt, und die statt Menschen zu befreien, ihnen einen äußereren Zwang auferlegt. Ein System der unfehlbaren Offenbarung und des absoluten Wissens. Man sollte nur auf die Amtsträger, die Bischöfe und den Papst hören, um zu wissen, was Gott gesagt hat. Das kann heute nicht mehr funktionieren. Aber eine Religion, die den Menschen mündig macht, die seine Person stärkt, die Freiheit ernst nimmt, die den Dialog unter den Menschen als einen kreativen Prozess der Erkenntnis versteht, hat Zukunft. Die möchte ich fördern in jeder Weise.

Diesseits: Warum dann aber Religion? So wie Sie Religion beschreiben, ist sie im Grunde Psychoanalyse, aber atheistisch-humanistisch. Wofür brauchen Sie und die Menschen die Vorstellung vom persönlichen Gott?
Eugen Drewermann: Der Atheismus - naturwissenschaftlich und auch im Werke Sigmund Freuds - ist mir überaus verständlich. Ich habe ein neues Buch heraus gebracht unter dem Titel �Und es geschah so" über das Verhältnis von Biologie und Theologie.
Ich zeige darin, dass das Gottesbild der herkömmlichen christlichen Theologie Atheismus produzieren muss. Man hat die biblische Gottesvorstellung mit griechischer Naturphilosophie zusammengebracht und daraus ein metaphysisches Gottesbild abgleitet, nachdem Gott allweise, allgütig und allmächtig ist. Bei diesen Erwartungen kann die Enttäuschung nur dramatisch sein. Die Welt ist nicht gütig, alles andere als weise. Und unterliegt keinem durchgängigen Plan. Die Biologen können an jeder Stelle heute zeigen, dass das definitiv nicht der Fall ist. Nicht weil wir einiges nur noch nicht genau genug erkannt hätten, sondern weil wir es ziemlich genau kennen, wird das alte Erklärungsbild ad absurdum geführt. Zwi-schen dem Darwinismus, heute Pflicht im Biologieunterricht der Zwölfjährigen, und dem was sie in der Religionsstunde danach präsentiert bekommen, gibt es logisch einen diametralen Gegensatz. In den hinein greift der Atheismus völlig berechtigt.
Die DDR hat mit Leichtigkeit in ihrer Kulturpolitik diese Widersprüche ausnut-zen können. Dasselbe Problem hatten wie in den westlichen Bundesländern aber ganz ge-nauso. Über 500 verordnete Religionsstunden produzieren Atheismus. je besser man die Religion begreift, desto weniger kann man verstehen, wie dies mit den Naturwis-senschaften übereinstimmen soll und umgekehrt.
Was Sigmund Freud angeht, ist der Atheismus für ihn eine Erfahrungstatsache. Die Menschen kommen und reden von Gott. Je länger man mit ihnen spricht, je besser man sie begreift, wird deutlich, dass sie unter Gott die Ängste ihrer Kindertage verstanden haben, infantile Bindungen, ver-zweifelte Suche nach Liebe, die ständige Untertänigkeit unter Ersatzautoritäten. Das muss abgebaut werden und hat kein Recht mehr sich zu beglaubigen. Für mich hat Freud etwas geleistet so wie Elias, der die Götzen Kanaans bekämpft hat. Lauter vergegenständlichte Vorstellungen, die dann dem Menschen zum Zwangssystem werden. Mit einem Wort: Der Atheismus hat eine äußerst reinigende und wichtige Funktion. Er beantwortet aber nicht die Fragen, die wir Menschen wirklich haben. Wir Menschen wollen als Erstes gar nicht wissen, ob jene Hypothese in Physik oder Biologie zutrifft. Die Religion ist nicht nötig, um die Natur zu erklären, sie ist aber nötig, um die Welt und die Stellung des Menschen in ihr zu verstehen. Die Religion ist eine hermeneutische, keine naturwissenschaftliche Größe.

Diesseits: Wir haben aber auch noch Philo-sophie und Psychologie als therapeutisch er-klärende Wissenschaften.
Eugen Drewermann: Eben. Da ist schon die Psychoanalyse in der Zwickmühle. Eben weil sie dem Menschen helfen kann und - Gott sei Dank - nicht das ist, was man Na-turwissenschaft nennt. Denn dann könnte sie nicht helfen: Sie könnte bestenfalls aus-weichen in Biochemie, dann aber täte sie den Personen Unrecht, die so behandelt werden. Die am Ende der biochemischen Keule wieder ihre Subjektivität, ihre Indivi-dualität zurückmelden müssen, um als Menschen gesund zu bleiben. Kurzum, wir haben, weil wir Individuen sind, einen Haufen von Fragen an die Natur, die in der Na-tur mit Mitteln der Naturwissenschaft nie beantwortet werden. Und diese Nullstellen sind wesentlich, um Religion zu begründen. Es fängt ganz praktisch an. In der Psycho-analyse haben sie es mit Leuten zu tun, die den Glauben an sich selber längst verloren haben, die sich sicher fühlen, dass kein Mensch sie liebt und dass ihr Leben sinnlos ist. In diesem Fall kann man nur therapeutisch arbeiten, wenn sie an einen anderen Menschen mehr glauben als an sich selbst. Aber was die Psychoanalytiker dann tun, hat empirisch-naturwissenschaftlich nicht die leiseste Rechtfertigung. Sie hat auch im Rahmen der Logik der Natur keine Rechtfertigung. Sie wenden sich viele Jahre einem Individuum zu. Der Natur aber sind die Individuen egal, buchstäblich sind sie Überlebensmaschinen für den Egoismus der Gene. Aber keine Wesen, die man schützen, erhalten oder pflegen müsste. Kurz: Die Psychoanalyse - oder welche Art von Therapie auch immer - erweist sich als menschlich darin, dass sie den Unterschied zu den Naturwissenschaften betont. Das, was wir tun, ist gebunden an den Glauben, dass Personsein, Subjektivität, Individualität und Liebe
unendlich viel mehr ist, als alles, was in der Natur sich findet. Dieses Legitimationsdefizit für das, was wir tun, wenn wir Menschen sind, kann uns eigentlich nur die Religion geben.

Diesseits: Ist für Sie die Bibel ein offenbartes Wort Gottes? Oder ist sie eine kulturhi-storische Leistung der Menschen auf ihrem Weg zum Menschsein, in der viele Ängste und Probleme von Menschen aufgegriffen werden?
Eugen Drewermann: Das beides ist dasselbe. Ich glaube nicht, dass Offenbarung sich ver-stehen lässt in der Art, dass da von außen irgend jemand durch ein unsichtbares Mi-krofon geraunt hätte. Nein, Offenbarung besteht darin, dass Menschen die Rollos hochziehen und die Sonne hineinlassen. Das sind Menschen, die sich durch die Angst nicht ins Bockshorn jagen lassen, sondern die Angst widerlegen, sich nicht verheddern in den immer gleichen Reaktions- und Fluchtschemata, sondern kreativ darüber hinausblicken. Das tut Buddha. Er widerlegt das Leid durch seine Stille. Das tut Jesus. Er widerlegt den Hass durch seine Liebe. Das sind Schritte zum Menschsein und Offenbarungen. Die Bibel ist kein historisches Informationsbuch. Das wusste schon Spinoza. Das ist wirklich nicht neu. Man kann Gott nicht vergegenständlichen, ohne Aberglauben zu züchten. Die Weihnachtserzählung ist nicht historisch. Sehr wichtig wäre es zu zeigen, dass es wunderbare Symbole sind, in der Nacht das Licht zu sehen und inmitten der Stalinorgeln den Gesang der Engel zu hören, da wo im Grun-de nichts ist als die übliche Armut, die An-kunft eines Gottessohnes zu erblicken: Das sind Wahrnehmungen des Herzens. Das wusste nun schon Meister Eckhard im 14. Jahrhundert. Theologen sollten nach einem halben Jahrtausend nicht immer noch denselben Unsinn quatschen. Entweder ist et-was real, weil es hier ist, wie eine Tasse Kaffee, oder irreal - und dann ist es nur phantasiert. Menschsein besteht darin, Träume zu haben, die wirklicher sind, als die gottverdammte Wirklichkeit. Religiöse Visionen widerlegen das, was wir wirklich nen-nen. Nur deshalb ist Religion ein Ort von Hoffnung.

Diesseits: Dann ist Gott nur irreal?
Eugen Drewermann: Dann ist Gott Teil der Subjektivität, die wir brauchen, um als Sub-jekte zu leben. Er ist das absolute Subjekt. Die ganze Theologie des 20. Jahrhunderts hat eigentlich nur einen einzigen Glaubens-satz: Gott ist das Subjekt, das nie zum Objekt wird. Darin hat sie Recht.

Diesseits: Fühlen Sie sich eigentlich wohl bei den reformierten Protestanten, wo sie die katholische Kirche doch als sehr reformbedürftig ansehen?
Eugen Drewermann: Ich weiß nicht, ob diese Gegensätze noch einen Sinn machen. Darum sag ich: Wir sollten Protestanten werden, um Katholiken bleiben zu können. Aber ich sag' auch: Wir sollten Buddhisten werden, um bessere Christen zu sein.

Eugen Drewermann, katholischer Theologe und Psychotherapeut, lehrte von 1979 bis 1991 als Privatdozent an der Katholischen Theologischen Fakultät Paderborn. Seine zahlreichen Publika-tionen reichen von Märcheninterpretationen bis hin zu theologischen Kommentaren. Auf Grund seiner Kirchenkritik erhielt er 1991 Lehrverbot. 1992 wurde ihm das Predigen und die priesterlicbe Tätigkeit ebenfalls untersagt.

Das Gespräch mit Eugen Drewermann führte Ulrich Tünsmeyer.
[In der Zeitschrift: DIESSEITS - 1/2000]


Stephan Drissen-Reyntjes antwortete am 04.12.01 (19:30):

Ein Beitrag von Drewermann...

Auszug aus einem Vortrag von Eugen Drewermann:
Titel des Vortrages: Die Kirchen versagen, die Sekten gedeihen.

"Die gefühllose Grausamkeit der jüdisch-christlichen Religion gegenüber den Tieren entsetzte vor 150 Jahren schon A. Schopenhauer und war für ihn ein Argument zugunsten einer buddhistisch-hinduistischen Spiritualität. Wir haben, erneut gegen den Widerstand des Kirchendogmatismus, von seiten der Naturwissenschaften lernen müssen, wie eng Mensch und Tier in der Geschichte des Lebens auf diesem Planeten zusammenhängen und daß die Gefühle höherer Säugetiere nicht sehr verschieden sind von unseren eigenen, doch gibt es bis heute weder eine Ethik noch eine Frömmigkeit, die diesen Einsichten Rechnung trüge. Esoterische Mystik, astrologische Weissagung, alle möglichen Kopien "primitiver" Magie, Seelenwanderungslehre und Karmaphilosophie gehören zur Grundausstattung zahlreicher Sekten, so abstrus ihre Praktiken im Einzelfall auch ausfallen mögen, - sie erhalten ihre scheinbare Berechtigung durch die beharrliche Weigerung der Großkirchen, eine religiös gültige und moralisch gütige Synthese von Rationlität und Mystik, von Geist und Natur, von Mensch und Tier zu formulieren."