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THEMA:   Geschichten zum LESEN

 2 Antwort(en).

bello begann die Diskussion am 31.12.02 (09:16) mit folgendem Beitrag:

Einer war übrig geblieben.
Die Haut mir Brandblasen bedeckt, die Haare versengt. Nackt.
Um sich herum die Weite einer verbrannten Landschaft. Graue, blattlose Baumgerippe, ein paar Ziegelsteine, Knochen, auch Fetzen einer Zivilisation. Eine Sonne gab es nicht mehr. Von irgendeinem Stern her ergoß sich kaltes Licht, das keine Farben zuließ. Die Totenstille ließ das Versagen von Schallwellen vermuten. Es gab keinen Wind, keine Regenwolken und keinen Hunger. Alle Gewässer hatten einem Feuersturm weichen müssen. Sicherlich war da auch kein Gott mehr.

Der eine zog sich ein paar der Fetzen an und machte sich auf den Weg zur anderen Seite. Seine Brandblasen konnten in den neuen Temperaturen nicht heilen. Ein Baum-Ast, den er sich zum Geh-Stock machen wollte, zerfiel zu der Asche, durch die er watete. Er fürchtete, sich zu seinem Ausgangspunkt zurück zu verirren, da man eine Himmelsrichtung nicht ausmachen konnte. Überall war Osten ..., oder Westen ... . Jegliches Zeitgefühl krankte mangels Sonne. Er fragte sich, wer es geschafft haben könnte, auch sie auszulöschen. Die Landschaft veränderte sich nicht. Nie wusste er, auf welchem Teil der ehemaligen Erde er sich befand.
Wer hatte das alles angerichtet?

Irgendwann stellte er fest, dass noch jemand übrig geblieben war. Eine Frau. ... Eva. ... Sie sagte, sie sei das Klonbaby vom Jahre Zweitausendzwei, irgendwie eine Lüge, aber dennoch unsterblich. Er wunderte sich über ihr menschenähnliches Aussehen, nicht ahnend, dass ihr Hirn andere Windungen hatte als seines. Hier war das Experiment missglückt. Seelen lassen sich nicht klonen. �Wenn du wissen willst, wer das alles angerichtet hat,� ihre Hand wies in die verbrannte Umgebung, �das waren wir, die Klonbabys der Jahrhunderte nach meiner Geburt. Als sie unser überdrüssig wurden, führten sie einen letzten Krieg. Auch dich werde ich töten, denn du bist der letzte ihrer Forscher.� Vage Erinnerungen kamen in ihm hoch � an Reagenzgläser und Bunsenbrenner, Erfolge und Freudengeschrei, dann Angst und Schrecken, Grauen, Krankheit und Tod. Schweißperlen sammelten sich zwischen den Brandblasen, sein Herz schlug rasend, Muskulatur wurde zu Stein.
Er stöhnte und schrie ...
... und erwachte. In seinem Bett. Am einunddreißigsten Dezember Zweitausendzwei. Und fragte sich nun nicht mehr, was er den Menschen um Mitternacht wünschen müsse.

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(c) D.B. 31.12.2002


bello antwortete am 01.01.03 (12:05):

*** FEUERWERKE DER WELT *** Teil I

So schöne braune Haut habe ich mitgebracht. Durch den letzten Sonnenbrand sind die Falten des Alters ein wenig verwischt. Im warmen Sand haben sich die Gelenke erholt. Das Haar ist etwas heller geworden. Mein Spiegelbild scheint sich verjüngt zu haben. Die fettarme Kost hat mich schlanker gemacht, das viele Schwimmen den Körper trainiert und die Helligkeit der Landschaft doch nicht das Gemüt erheitert. Ich fühlte mich jung und gutaussehend, als ich das Flugzeug betrat, und hätte mir einbilden können, dass die Stewardess nur mich so angelächelt habe.
Dann kamen das Aufheulen der Antriebswerke, der leichte Druck an die Sessellehne, der Dunst in größerer Höhe � und das Frühstück, das mir nach der langen Früchte-Zeit nun keinen Appetit mehr machte. In der letzten Nacht hatte ich mit neuen Freunden zusammen gesessen und ein bisschen von ihrem goldgelben, dicklichen Bananen-Likör getrunken ..., jetzt spürte ich eine leichte Müdigkeit und eine sich steigernde Unlust. Mir fiel ein, dass die Eingeborenen gesagt hatten, du nicht schön, du besser weiße Haut. Und ich dachte, sie wollen weiß sein, wir braun � und wie kommt das? Weshalb lässt sich ein schwarzer Mann so lange abschaben und operieren, bis ihm die Nase abfällt -, nur um �weiß� zu sein? Na ja, aber gut, dass man ihm nicht auch noch die Gene bleichen soll. Im Grunde genommen � auch wenn das manche anzweifeln � bleibt die Seele auch nach einer Psychotherapie die, die sie war. Es bleibt der Körper mit allen seinen Reaktionen das, was er vor der Silikon-Täuschung war.

Ich glaubte in meiner Müdigkeit, wieder diese buntklingende Reggae-Musik zu hören, jene rot-grün-gelben Farben zu sehen, ihren Ananassaft zu trinken oder das Fleisch ihrer Früchte zu essen. Das Brummen des Flugzeugs förderte mein Einschlafen -, und ich schlief stundenlang.


bello antwortete am 01.01.03 (12:12):

*** FEUERWERKE DER WELT *** Teil II

Da sah ich mich wieder die Strände verlassen, sah die Fackeln verlöschen ... Sah mich vom Sand in den Sumpf schreiten ... in die Gegend, in denen die Kinder dicke Bäuche hatten vom Hunger, in denen Ratten die wenigen Nahrungsmittel fraßen oder verdreckten, in denen die Mütter keine Milch hatten für ihre Babys und die Väter mittels Stehlereien ihre Familien versorgten. Die Menschen hier waren viel schwärzer als die, die sich am Strand tummelten und von den Trinkgeldern der Touristen lebten. In ihren Augenwinkeln tranken Fliegen die salzige Flüssigkeit ihrer Tränen. Ihre Haut war faltig und schlaff, auch die der Kinder -, ihr Haar zerzaust und krank. Mit jedem kleinen Wind wurden ihre zugigen Hütten weggeweht. Dann hatten sie lange kein Dach mehr, unter dem sich Kinder, Alte und Kranke hätten niederlegen können. Statt Musik hörte man hier nur Wimmern, statt Strand gab es verseuchte Pfützen, statt Schönheit nur das Elend. Wie lange hätten sie alle hier gesund überleben können, wenn man ihnen nur die Kosten für die Feuerwerke der Welt geschenkt hätte?
Ich brachte ihnen, was ich an Kleidung vermissen konnte, und packte jedes Mal meine Taschen voller Münzen, obwohl das so sinnlos war: zwar bekamen alle so ein abgegriffenes Metall-Plättchen, aber wie lange half das schon. Sie freuten sich auch nicht. Ihre Augen blieben misstrauisch, manche Mütter weinten. Doch was hätte ich tun sollen? Nicht hingehen? Die schlimmsten Wunden nicht behandeln? Den Kindern nicht die Fliegen aus den Augen wischen? Die Münzen auf meinem Konto lassen? Zurückkommen und wie ein Reisebüro behaupten, es sei dort wunderschön gewesen? Niemandem erzählen, dass dieses Land zweigeteilt ist und niemand die innere Grenze überschreiten möchte?

Nachdem diese so realistischen, krass und wirklich erlebten Träume vorüber gezogen waren, erwachte ich mit einer unbehaglichen Übelkeit. In meinem Gepäck befanden sich hübsche Pillen dagegen. Ich nahm sie nicht. Gegen seelische Übelkeit wirkten sie nicht. Und schon gar nicht gegen die Unlust.

(c) D.B. 2002