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THEMA:   Gedichte Kapitel 29

 101 Antwort(en).

team seniorentreff begann die Diskussion am 18.01.03 (18:53) mit folgendem Beitrag:

Ein neues Kapitel "Gedichte".

Kapitel 28 wird archiviert unter /seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a384.html

Weiterhin viel Freude beim Schreiben und Lesen.

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a384.html


sieghard antwortete am 18.01.03 (20:28):

Gottlieder eines Gläubigen

Am Ufer deiner ewigen Unendlichkeit
wandle, irre ich und suche dich.
Es starrt der Blick zum Meere unverwandt,
es müht sich und versinkt der Fuß im Sand,
es hebt sich immer in den Wind die Hand.
Und wie das Meer herüber Well um Welle trägt,
und mir mein Herz das rote Blut bis an die Lippen schlägt,

Gott, Gott, ich suche dich.
Du bist das Meer, das Meer,
und ich bin eine Hand voll Sand,
verschäumt, verweht.
Ich bin am öden, weiten Strand
der schwarze Tang,
durch den der Wandrer strauchelnd geht.
Ich bin mein Leben lang
nur das zerschellte Wrack.
Und du das Meer, das über alles her
unendlich flutet Tag und Tag.

[Ernst Thrasolt 1878-1945]
.
Gruß an Dela
.


.. antwortete am 19.01.03 (13:06):

sie sollten nicht verloren gehen..

zur Erinnerung:

Weses Gedichte (solange sie noch online sind)

https://home.t-online.de/home/wesebay/lyrik/gedichte.htm

Internet-Tipp: https://home.t-online.de/home/wesebay/lyrik/gedichte.htm


Marie2 antwortete am 19.01.03 (19:53):

Gründe


Weil das alles nicht hilft

Sie tun ja doch was sie wollen



Weil ich mir nicht nochmals

die Finger verbrennen will



Weil man nur lachen wird:

Auf dich haben sie gewartet



Und warum immer ich?

Keiner wird es mir danken



Weil da niemand mehr durchsieht

sondern höchstens noch mehr kaputtgeht



Weil jedes Schlechte

vielleicht auch sein Gutes hat



Weil es Sache des Standpunktes ist

und überhaupt wem soll man glauben



Weil auch bei den anderen nur

mit Wasser gekocht wird



Weil ich das lieber

Berufeneren überlasse



Weil man nie weiß

wie einem das schaden kann



Weil sich die Mühe nicht lohnt

weil sie alle das gar nicht wert sind�



Das sind Todesursachen

zu schreiben auf unsere Gräber



die nicht mehr gegraben werden

wenn das die Ursachen sind



Erich Fried


Medea antwortete am 21.01.03 (16:53):

Jeden Tag als eine Gabe, als ein Geschenk annehmen.
Steh morgens nicht zu spät auf,
schau in den Spiegel, lach Dich an
und sage zu Dir: Guten Morgen!
Dann bist Du schon in Übung,
dann kannst Du es auch anderen sagen.

Fang den Tag von heute nicht mit den Scherben von gestern an.

Humor und Geduld sind die Kamele,
mit denen ich durch jede Wüste komme.

Glück kannst Du nicht kaufen, doch Liebe gibt es umsonst.

Das Leben ist viel zu kurz und unsere Welt viel zu klein,
um ein Schlachtfeld daraus zu machen.

Legt alle Waffen der Welt
einem Franz von Assisi in die Hand,
und Ihr könnt auf beiden Ohren schlafen.

Phil Bosmans.


dela antwortete am 22.01.03 (15:11):

man redet am ehesten von der eigenschaft, die man nicht hat....;-)), aber ich arbeite...
_____________________________________________________

Geduld

(Elli Michler)

Ich wünsche dir Geduld. Eine Tugend, wie Engel sie haben,
die uns geneigt sind in ihrer Huld.
Geduld ist die mächtigste unter den Gaben.
Ich wünsche dir Geduld, die das Begonnene glücklich zu Ende bringt,
ob es nun wenig ist oder viel. Geduld, die dich sicher macht,
dass es gelingt, sanft in beharrlichem Spiel.
Ich wünsche dir Geduld, die dir hilft, an deiner Enttäuschung zu reifen,
Geduld, auch schier Unbegreifliches noch zu begreifen.
Ich wünsche dir Geduld, wenn es dir auferlegt ist zu warten.
Das Glück kommt immer zu jenen, welche geduldig verharrten.
Ich wünsche dir Geduld, die du brauchst zum Verzicht,
zum Vergeben von Schuld. Geduld hat Gewicht.
Geduld ist genauso wichtig wie Mut für dein tägliches Überleben.
Während er laut ist, bleibt sie ganz still auf der Hut.
Himmlische Kräfte sind ihr gegeben:
Geduld, die dich leise beschwören will, niemals aufzugeben.


Medea. antwortete am 22.01.03 (19:19):

@ Dela

"Gott hat Achtung vor mir, wenn ich arbeite ....

aber er liebt mich, wenn ich singe.

(Tagore)


dela antwortete am 22.01.03 (20:31):

gruess dich MEDEA...

ich arbeite an mir, um geduldiger zu werden ;-)

unter meinen texten fand ich ein tanka :
_____________________________________________


Wenn du arbeitest
wird man dich dafür schätzen.
Geliebt wirst du nur,

wenn du tanzt alle Tage
zur Melodie der Elfen.

16. April 2002

(D)


Marie2 antwortete am 22.01.03 (22:15):

Ich lobe den Tanz

Ich lobe den Tanz, denn er befreit den Menschen
von der Schwere der Dinge;
bindet de Vereinzelten
zu Gemeinschaft.

Ich lobe den Tanz,
der alles fordert und fördert;
Gesundheit und klaren Geist
und eine beschwingte Seele.

Tanz ist Verwandlung
des Traumes, der Zeit, des Menschen,
der dauernd in Gefahr ist,
zu zerfallen, ganz Hirn,
Wille oder Gefühl zu werden.

Der Tanz dagegen fordert
den ganzen Menschen,
der in seiner Mitte verankert ist,
der nicht besessen ist
von der Begehrlichkeit
nach Menschen und Dingen
und von der Dämonie
der Verlassenheit im eigenen Ich.

Der Tanz fordert
den befreiten, den schwingenden Menschen
im Gleichgewicht aller Kräfte.
Ich lobe den Tanz!

O Mensch, lerne tanzen,
sonst wissen die Engel
im Himmel mit dir
nichts anzufangen.

- Das Gedicht wird Augustinus zugeschrieben �


@dela Was ist ein tanka?


Erika Kalkert antwortete am 23.01.03 (09:26):

Warum es keinen Krieg geben kann

Chinesisches Märchen von Ernst Penzoldt

(Veröffentlicht in der Mitgliedszeitschrift "Frau und Mutter" der Kath. Frauengemeinschaft Deutschlands. kfd)

Als der Krieg zwischen den beiden benachbarten Völkern unvermeidlich war, schickten die feindlichen Feldherrn Späher aus, um zu erkunden, wo man am leichtesten in das Nachbarland einfallen könnte. Und die Kundschafter kehrten zurück und berichteten ungefähr mit den gleichen Worten ihren Vorgesetzten:
Es gäbe nur eine Stelle an der Grenze, um in das andere Land einzubrechen. "Dort aber", sagten sie, "wohnt ein braver Bauer in einem kleinen Haus mit seiner anmutigen Frau. Sie haben einander lieb, und es heißt, sie seien die glücklichsten Menschen auf der Welt. Sie haben ein Kind. Wenn wir nun über das kleine Grundstück in Feindesland einmarschieren, dann würden wir dieses Glück zerstören. Also kann es keinen Krieg geben."
Das sahen die Feldherren denn auch wohl oder übel ein, und der Krieg unterblieb, wie jeder Mensch begreifen wird.


Leider ist dies nur ein Märchen.

Erika


Angelika antwortete am 23.01.03 (12:58):

Angemessenes Gedicht zur Aktualität in manchen Forenthemen:

In den Herzen
der folgsamen
Kinder
nistet
knisternd und
raschelnd
die Rache
(H.C. Flemming )


dela antwortete am 23.01.03 (14:51):

@marie2

Schon seit dem 4. Jahrhundert ist das Tanka (...) aus Japan bekannt. Es hat eine fünfzeilige Gestaltungsform und ist der Vorläufer des Haiku. Es besteht aus einem dreizeiligen Oberstollen, 5 - 7 � 5 silbig und aus einem zweizeiligen Unterstollen 7 � 7 silbig. Es umfasst somit 31 Silben.

aus: Haiku Linde
____________________________________________________

Zarte Schneeflöckchen
zieren Bäume und Sträucher -
ausgefallene
lichtfunkelnde Schmuckstücke.
Jedes glänzt als Unikat.

D.Heider
___________________________________________________


Internet-Tipp: https://https://easy.to/haikulinde


Marie2 antwortete am 24.01.03 (22:31):

paar, über 50

dass nur noch eines von beiden
eine weitere lebensphase wird haben
müssen
und sie noch lange nicht kommen
und kurz sein
möge

Ernst Jandl


hl antwortete am 25.01.03 (08:56):

Glaubensbekenntnis
Nr. 6


Ich glaube nicht, daß Gott die ungestümen
Gefälle unsrer schönen Worte mag,
die seinen Namen, Namen, Namen rühmen,
Ihm schmeicheln wie vor einem Kaufvertrag.
Ich glaub, er lauscht, ob einem Seelengrunde
noch unverstellt ein leises Wort entquillt,
vielleicht gesagt zu einem kleinen Hunde,
das mehr als hundert laute Hymnen gilt.


Gertrud von den Brincken


gefunden bei www.reyntjes.de/Anton/Balten/BrinckenGertrudvonder.htm

(aus: G. v. d. B.: Gezeiten und Ausklang. Gedichte aus dem Nachlaß herausgegeben von Winno von Löwenstern. Köln 1992: Mare Balticum. S. 183ff.)

Internet-Tipp: https://www.reyntjes.de/Anton/Balten/BrinckenGertrudvonder.htm


Adolf antwortete am 26.01.03 (01:50):

Ich wünsche dir Beredsamkeit

Ich wünsche dir Beredsamkeit.
Gemeint ist nicht das Schwätzen.
Man kann die Reden unsrer Zeit
durch Schweigen gut ersetzen.

Es möge dir, so wünsch' ich, glücken,
das, was du denkst schon immerfort,
auch mit genau dem gut getroffnen Wort
und mit Empfindung auszudrücken.

Aus Wörtern, die in Sprache stecken,
ob man sie ausspricht oder schreibt,
lässt Wunderbares sich entdecken,
was uns sonst tief verborgen bleibt

Beredsamkeit spricht auch aus Gesten
und aus der kleinsten guten Tat.
Die Redekunst nur zu Protesten
beherrscht doch jeder Advokat.

Beredsamkeit, nicht bloß mit Zungen:
Mit Zärtlichkeiten insgeheim
kann mehr als mit Beteuerungen
die Liebe selbst beredsam sein.

Elle Michler
einen schönen Sonntag wünscht allen, Adolf


hl antwortete am 26.01.03 (10:06):

Kurt Tucholsky
Drei Minuten Gehör

Drei Minuten Gehör will ich von euch, die ihr arbeitet- !
Von euch, die ihr den Hammer schwingt,
von euch, die ihr auf Krücken hinkt,
von euch, die ihr die Feder führt,
von euch, die ihr die Kessel schürt,
von euch, die mit treuen Händen
dem Manne ihre Liebe spenden -
von euch, den Jungen und den Alten - :
Ihr sollt drei Minuten inne halten.
Wir sind ja nicht unter Kriegsgewinnern.
Wir wollen uns einmal erinnern:

Die erste Minute gehöre dem Mann.
Wer trat vor Jahren in Feldgrau an?
Zu Hause die Kinder - zu Hause weint Mutter...
Ihr: feldgraues Kanonenfutter - !
Ihr zogt in den lehmigen Ackergraben.
Dort saht ihr keinen Fürstenknaben:
der soff sich einen in der Etappe
und ging mit den Damen in die Klappe.
Ihr wurdet geschliffen. Ihr wurdet gedrillt.
Wart ihr noch Gottes Ebenbild?
In der Kaserne - im Schilderhaus
wart ihr niedriger als die schmutzigste Laus.
Der Offizier war eine Perle,
aber ihr wart nur "Kerle"!
Ein elender Schieß- und Grüßautomat.
"Sie Schwein! Hände an die Hosennaht - !"
Verwundete mochten sich krümmen und biegen:
kam ein Prinz, dann hattet ihr stramm zu liegen.
Und noch im Massengrab wart ihr die Schweine:
Die Offiziere lagen alleine!
Ihr wart des Todes billige Ware...
So ging das vier lange blutige Jahre.
Erinnert ihr euch?

Die zweite Minute gehöre der Frau.
Wem wurden zu Hause die Haare grau?
Wer schreckte, war der Tag vorbei,
in den Nächten auf mit einem Schrei?
Wer ist es vier Jahre hindurch gewesen,
der anstand in langen Polonaisen,
indessen Prinzessinnen und ihre Gatten
alles, alles, alles hatten - -?
Wem schrieben sie einen kurzen Brief,
daß wieder einer in Flandern schlief?
Dazu ein Formular mit zwei Zetteln...
Wer mußte hier um die Renten betteln?
Tränen und Krämpfe und wildes Schrein.
Er hatte Ruhe. Ihr wart allein.
Oder sie schickten ihn, hinkend am Knüppel,
euch in die Arme zurück als Krüppel.
So sah sie aus, die wunderbare
Große Zeit - vier lange Jahre...
Erinnert ihr euch - ?

Die dritte Minute gehört den Jungen!
Euch haben sie nicht in die Jacken gezwungen!
Ihr wart noch frei! Ihr seid heute frei!
Sorgt dafür, daß es immer so sei!
An euch hängt die Hoffnung. An euch das Vertraun
von Millionen deutschen Männern und Fraun.
Ihr sollt nicht strammstehen. Ihr sollt nicht dienen!
Ihr sollt frei sein! Zeigt es ihnen!
Und wenn sie euch kommen und drohn mit Pistolen -:
Geht nicht! Sie sollen euch erst mal holen!
Keine Wehrpflicht! Keine Soldaten!
Keine Monokel- Potentaten!
Keine Orden! Keine Spaliere!
Keine Reserveoffiziere!
Ihr seid die Zukunft!
Euer das Land!
Schüttelt es ab, das Knechtschaftsband!
Wenn ihr nur wollt, seid ihr alle frei!
Euer Wille geschehe! Seid nicht mehr dabei!
Wenn ihr nur wollt: bei euch steht der Sieg!
- Nie wieder Krieg - !


hl antwortete am 27.01.03 (00:23):

Rattenfänger
(Rainhard Fendrich)

Es war einmal vor langer Zeit
-- man kann fast sag'n: vor einer Ewigkeit --
a kleiner Mann, a Musikant.
Er war bekannt im ganzen Land
für die Macht und die Magie
seiner Flötenmelodie.
Doch die Leut', dumm wie die Nacht,
war'n bald neidisch auf die Macht.
hab'n ihm g'lacht und g'schrie'n dabei:
"Des kann doch nur der Teufel sei',
der Teufel sei'!"


Seid's ängstlich und paßt's auf!
Paßt's auf die Kinder auf!
Es gibt noch so viel Rattenfänger!
Sie stengan ob'n im Licht
und zarr'n mit jedem Ton
die Kinder euch davon!

Solang' noch Kinder leb'n,
wird's immer G'schichten geb'n
über so manchen Rattenfänger.
Sie hab'n ihr' ganze Macht,
ihr' Kraft und ihr' Magie
durch eure Phantasie!

Seid's ängstlich und paßt's auf!
Paßt's auf die Kinder auf!
Es lauern immer Rattenfänger!
Auf einmal rennen's los
und alle hinterher,
wie Lemminge ins Meer


sieghard antwortete am 28.01.03 (09:25):

Urs Allemann

Lebenslauf

Vorgestern hab ich mich in die Socke geschneuzt
Gestern hab ich in die Kladde geschissen
Heut leck ich mir mit der Zungenspitze die Nase
Morgen werf ich die nasse Windel weg
Übermorgen mach ich die Augen zu
Und starr mir nach wie ich dem Horizont
Entgegenhinke und ganz klein verschwinde
.


ianna antwortete am 29.01.03 (12:01):

Zukunft

Was erwartest du
von der Zukunft

Noch ein paar Kriege
den Giftneid der Länder
salbungsvolle Gespräche
das Pathos der Politiker
die Nichbeantwortung deiner Fragen
woher wohin
den Sekundenbruchteil
des himmelweiten Pilzes
der alles begräbt

oder Frieden ?

Rose Ausländer


britt antwortete am 02.02.03 (13:15):

Sonne im Februar

Wir haben die Fenster
mit Schnee gewaschen
Helios atme sie trocken

Strähn
unser frostverästeltes Haar
mit dem Sonnenkamm

Freilich wir wissen
im Dornengarten
hast du schlafende Rosen begraben
bald wirst du sie wecken
kelchgerecht
für die Regentaufe

Wir werden Zeugen sein

Indessen blühn
farblose Eisblumen
auf dem Moosdach
verwesender Väter

Rose Ausländer


Marie2 antwortete am 02.02.03 (18:33):

Februar

Es kommt eine Zeit,
da sagt die Krähe:
Ich mache jetzt eine lange Reise.

Sie setzt sich auf eine Eisscholle
und treibt den Fluß hinunter.
Die Welt ist weiß
�vor lauter Schnee,
nur ich bin schwarz.
Im Sommer möchte ich weiß sein,
schneeweiß.
Im Sommer möchte ich
eine Möwe sein
die ihre weißen Federn
über blaue Meere trägt.
Krah-krah, sagt die Krähe,
das heißt:
Schwarz-schwarz.

- Elisabeth Borchers �


Rosmarie V. antwortete am 03.02.03 (15:35):

Schneelied
______________

von Peter Härtling

Mit dem Schnee
will ich trauern.
Schmelzen wird er
und deine Schritte vergessen.
Hier
bist du gegangen.


Kehr zurück.
Laß dich bitten
mit den erwachten
Fluß,
dem wieder
gefundenen Land.

Jetzt,
nach dem Frost,
tauen in meinen Briefen
die Sätze
und holen dich
ohne Gedächtnis
ein.

Kehr zurück
und sei
wie vor dem Schnee.


sieghard antwortete am 03.02.03 (16:33):

Des Jünglings Name ward
in den Schnee geschrieben.
Die Sonne kam,
zu Wasser schmolz der Schnee,
zerronnen ist der Name.

[Kazantzakis, Griechische Passion]
.
Gruß an Rosmarie
.


Rosmarie.V. antwortete am 06.02.03 (18:32):

Grauer Wintertag
_________________

Von Hermann Hesse


Es ist ein grauer Wintertag,
Still und fast ohne Licht,
Ein mürrischer Alter, der nicht mag,
Daß man noch mit ihm spricht.

Er hört den Fluß, den jungen, ziehn
Voll Drang und Leidenschaft;
Vorlaut und unnütz dünkt es ihn,
Die ungeduldige Kraft.

Er kneift die Augen spöttisch ein
Und spart noch mehr am Licht,
Ganz sachte fängt er an zu schnei'n,
Zieht Schleier vors Gesicht.

In stört in seinem Greisentraum
Der Möwen grell Geschrei,
Im kahlen Ebereschenbaum
Der Amseln Zänkerei.

All das Getue lächert ihn
mit seine Wichtigkeit;
Er schneielt so vor sich hin
Bis in die Dunkelheit.

Schön, nicht?


sieghard antwortete am 06.02.03 (23:13):

Christian Adolf Overbeck, 1775-1821

Komm lieber Mai und mache
Die Bäume wieder grün
Und lasst uns an dem Bache
Die kleinen Veilchen blüh'n
Wie möchten wir so gerne
Ein Blühmchen wieder seh'n
Ach lieber Mai wie gerne,
Einmal spazieren geh'n

Zwar Wintertage haben
Wohl auch der Freuden viel
Man kann im Schnee frisch traben
Und treibt manch Abendspiel
Baut Häuselchen von Karten,
Spielt Blind Kuh und fand
Auch dies wohl Schlittenfahrten
Auf's liebe freie Land

Doch wenn die Vöglein singen
Und wir dann froh und flinn
Auf grünem Rasen springen
Das ist ein ander' Ding
D'rum komm und bring vor Allem
Uns viele Veilchen mit
Bring auch viel Nachtigallen
Und viele Kuckucks Lied

Am meisten aber dauert
Mich Lottchens Herzeleid,
Das arme Mädchen lauert
Recht auf die Blumenzeit.
Umsonst hol ich ihr Spielchen
Zum Zeitvertreib herbei,
Sie sitzt in ihrem Stühlchen,
Wie's Hühnchen auf dem Ei.

Ach, wenn's doch erst gelinder
Und grüner draußen wär!
Komm, lieber Mai, wir Kinder,
Wir bitten gar zu sehr!
O komm und bring vor allem
Uns viele Veilchen mit,
Bring auch viel Nachtigallen
Und schöne Kuckucks mit.
.


Adolf antwortete am 07.02.03 (01:28):

Gut gedrillt
Ein Mensch steht stumm, voll schlechter Laune,
an einem hohen Gartenzaune.
Und müht sich mit gestreckten Zehen,
in dieses Paradies zu sehen.
Und schließt aus dem erspähten Stück:
Hier wohnt der Reichtum, wohnt das Glück.
Der Sommer braust im hohen Laub,
der Mensch schleicht durch den Straßenstaub
und denkt, indes er sich entfernt,
was in der Schule er gelernt:
Dass bloßer Reichtum nicht genügt,
indem dass oft der Schein betrügt.
Der Mensch ist plötzlich so bewegt,
dass Mitleid heiß sich in ihm regt.
Mit all den armen reichen Leuten �
er weiß es selber kaum zu deuten.
Doch wir bewundern wieder mal
dies Glanzdressurstück der Moral.
Eugen Roth


Adolf antwortete am 07.02.03 (03:01):

Ein bisschen mehr Friede

Ein bisschen mehr Friede und weniger Streit
Ein bisschen mehr Güte und weniger Neid
Ein bisschen mehr Liebe und weniger Hass
Ein bisschen mehr Wahrheit - das wäre was

Satt soviel Unrast ein bisschen mehr Ruh
Statt immer nur Ich ein bisschen mehr Du
Statt Angst und Hemmungen ein bisschen mehr Mut
Und Kraft zum Handel � das wäre gut

In Trübsal und Dunkel ein bisschen mehr Licht
Kein quälend Verlangen, ein bisschen Verzicht
Und viel mehr Blumen, so lange es geht
Nicht erst an den Gräbern � da blühn sie zu spät

Ein bisschen mehr Friede und weniger Streit
Ein bisschen mehr Güte und weniger Neid
Ein bisschen mehr Liebe und weniger Hass
Ein bisschen mehr Wahrheit - das wäre was

Ziel sei der Friede des Herzen
Besseres weiß ich nicht!

Aus �Mein Lied� von Peter Rosegger


Medea. antwortete am 07.02.03 (11:03):

Das Nota Bene (Text Klabund)

Holt mir Wein aus vollen Krügen
nota bene, Wein vom Sundgau.
Und ein Weib soll bei mir liegen
nota bene, eine Jungfrau.
Ewig hängt sie mir am Munde
nota bene, eine Stunde.

Ach, das Leben lebt sich lyrisch
note bene, wenn man jung ist.
Und es duftet so verfüh'risch
nota bene, wenn's kein Dung ist.
Ach, wie leicht wird hier erreicht doch
nota bene, ein vielleicht noch.

Laßt die Erde heiß sich drehen
nota bene, bis sie kalt ist.
Deine Liebste sollst Du sehen
nota bene, wenn sie alt ist.
Lache, saufe, hure, trabe
nota bene, bis zum Grabe.


Marie2 antwortete am 07.02.03 (19:13):

Wünsch dir war
sagte die gute Fee

Alt und weise
möchte ich werden
und unerschrocken

Eine eigensinnige Alte
mit silbernen Haaren
ohne Strümpfe
in lila Sandalen
Und Lachfalten
möchte ich haben
Ganz viele

-Steinwart-


sieghard antwortete am 08.02.03 (16:31):

Sonne im Februar

Wir haben die Fenster
mit Schnee gewaschen
Helios atme sie trocken

Strähn
unser frostverästeltes Haar
mit dem Sonnenkamm

Freilich wir wissen
im Dornengarten
hast du schlafende Rosen begraben
bald wirst du sie wecken
kelchgerecht
für die Regentaufe

Wir werden Zeugen sein

Indessen blühn
farblose Eisblumen
auf dem Moosdach
verwesender Väter

Rose Ausländer
.


britt antwortete am 08.02.03 (20:00):

Paraphrase von den Spuren im Schnee

Im Schnee lief eine Spur von bloßen Füßen.
Sie ging verloren, irgendwo am Straßenrand,
von Schuh'n zertreten, wehrlos, unerkannt.
Nun werd' ich winterlang den Bruder suchen müssen.

Im Schnee lief eine Spur von bloßen Füßen:
wir gingen warm verhüllt durch dunkle Zeit.
Weh uns, wenn wir dereinst den Frost der Herzen büßen!

Sie ging verloren, irgendwo am Straßenrand...
Wen kümmerts, ist man selber nur gefeit!
Die Flocke schmilzt nicht mehr, denn lieblos ist die Hand.

Von Schuh'n zertreten, wehrlos, unerkannt:
dies ist das Ende. Niemand gibt Geleit.
Ein böser Frost hat alle Tränen längst verbrannt.

Nun werd' ich winterlang den Bruder suchen müssen:
vielleicht werd' ich am Wege selbst verschneit ...
Wenn Gott uns fände? Ach, nur seinen Saum zu küssen!

Im Schnee lief eine Spur von bloßen Füßen,
Sie ging verloren, irgendwo am Straßenrand,
von Schuh'n zertreten, wehrlos unerkannt.
Nun werd' ich winterlang den Bruder suchen müssen.

Christine Busta


Marie2 antwortete am 09.02.03 (13:08):

Der Garten

Was soll einer tun, wenn er alt ist?
Reden? und wer versteht?
Lesen? Die Zeit geht zu Ende,
Belehrung kommt zu spät.
Sich umschaun? Ist alles das gleiche,
Was alte Augen schauen.
Du sollst an der Grenze der Reiche
Deinen Garten bebauen.

Da spricht zu Dir all das Verwandte,
Das aufwächst und blüht und stirbt
Und der große Unbekannte,
Segnet und verdirbt.
Und es hebt sich Dein Mut, Dein Versagen
Dir vor Augen zu Schande und Preis
In den Bäumen die Früchte tragen
Im verkümmernden Reis.
Bis am Ende aller Gedanken
Das Wunder steht:
Samen von Deiner kranken
Herbstlichen Hand gesät
Erwacht in der Tiefe der feuchten,
O mach Dich ihr vertraut-
Wenn das geheime Leuchten
Den Schnee auftaut . . .

- Marie Luise Kaschnitz �


Adolf antwortete am 09.02.03 (14:40):

Niemand kann dir die Brücke bauen, auf der gerade du über den Fluß des Lebens schreiten mußt, niemand außer dir allein. Zwar gibt es zahllose Pfade und Brücken und Halbgötter, die dich durch den Fluß tragen wollen; aber nur um den Preis Deiner selbst: du würdest dich verpfänden und verlieren
Nitsche
Allen eine schöne Woche, Adolf


Erika Kalkert antwortete am 09.02.03 (18:10):

Woher wüssten wir, wie wir leben sollen,
wenn wir nicht an etwas glaubten, das größer ist als wir?
Wer würde uns lehren zu leben?
Wer sagt dem Baum, wann die Zeit kommt,
seine kleinen Blätter auszutreiben?
Wer sagt diesen Drosseln da, dass es warm geworden ist und sie wieder nach Norden fliegen können?
Vögel und Bäume hören auf etwas, das weiser ist als sie.

Wir sind wie die Blumen. Wir leben und wir sterben,
und aus uns selbst wissen wir nichts.
Aber das, was größer ist als wir, lehrt uns -
lehrt uns, wie wir leben sollen.

Chiparopia, Yuma-Indianerin


Marie2 antwortete am 11.02.03 (19:25):

Frei fliegen möchte ich

Frei fliegen möchte ich,
doch ich kann nicht.
Meine Flügel sind erlahmt
von all den Jahren,
in denen ich nicht ahnte,
dass ich fliegen könnte.

Frei fliegen möchte ich,
doch ich darf nicht.
Menschen lassen mich nicht los,
aus all den Jahren in denen ich nicht wusste,
dass ich fliegen könnte.

Frei fliegen möchte ich
doch ich wag�s nicht,
denn ich hab� es nicht geübt,
in all den Jahren,
wo sie mir sagten,
dass ich kein Vogel sei.

Frei fliegen möchte ich,
und ich tu es!
Lass sie denken, was sie woll�n,
noch all die Jahre,
die sie nicht verstehen,
dass ich fliegen kann.

-Doris Lindenblatt-


Adolf antwortete am 13.02.03 (22:58):

Alles fügt sich und erfüllt sich,
musst es nur erwarten können.
Und dem Werden deines Glückes
Jahr und Felder reichlich gönnen.
(Christian Morgenstern)

Einen schönen Valentinstag


hl antwortete am 15.02.03 (21:33):

Drei Gedichte von Anne Steinwart


Seitdem du fort bist

Trotz hochgestellter Heizung
sind die Räme kalt.
Meine Topfblumen lassen
die Köpfe hängen.
Der Sommer ist vorbei.
Ich müßte meine Haare waschen.
und den blinden Spiegel putzen.
Jeder Tag ist eine Woche
der Abend eine Ewigkeit.

Ich male deinen Namen
in die Staubschicht
auf dem Schrank.


Wüsste ich nicht

Einfach abhauen sollte man
einfach weggehen
in eine andere Stadt
zu anderen Menschen
zu einem neuen Leben.
Wüßte ich nicht
daß ich mich mitnehmen muß
daß ich mich nicht zurücklassen kann
wie einen alten Stuhl
ich würde es versuchen
ein neues Leben
in einer anderen Stadt.


Schatten

Du hast Angst vor dem Alter
vor dem Nachlassen deiner Kraft
vor dem Verbrauchtsein.
Manchmal
siehst du alte Menschen
mit einem Lächeln im Gesicht
und die Schatten werden kleiner.


hl antwortete am 15.02.03 (21:36):

noch eines..

Trauriges Vogellied

Überall
gewesen.
Nirgendwo
ein Nest gebaut.
Überall
mein Lied gesungen.
Nirgendwo
Gehör gefunden.
Überall
Federn verloren.
Will
dennoch weitersingen

Anne Steinwart


Marie2 antwortete am 16.02.03 (21:33):

Linke Kopfhälfte

In dieser kleinen Halbkugel
auf der mein Haar grau wird
wohnen die Wörter
dies Wörternest

Meine Hand
nimmt das Nest in die Hand

Die rechte sagt man
ist leer von Worten

Auslauf für das unbenutzte
Vokabular
Der Erinnerung

- Hilde Domin


Wolfgang antwortete am 16.02.03 (23:15):

Der Föhnwind is kemma (ein Lied, gesungen von der Münchener Volkssängerin BALLY PRELL, 1923-1982)

Der Föhnwind is kemma gar gach über d�Nacht,
hollaro-dorido, gar gach über d�Nacht.
Der hat da so sakrische G�spassettl g�macht,
hollaro-dorido, hat G�spassettl g�macht.

De Weiber, de alten, ham g�woant und ham bet�t,
hollaro-dorido, ham g�woant und ham bet�t.
dass der Herrgott im Himme an Einseherts hätt,
hollaro-dorido, an Einseherts hätt.

De Deandl ham greinnt auf den sakrischen Wind,
hollaro-dorido, auf den sakrischen Wind,
weil koa oanziger Bua mehr zum Fensterln her kimmt,
hollaro-dorido, zum Fensterln her kimmt.

Aber i bin der Girgl und des söi kenn i ned,
hollaro-dorido, und des söi kenn i ned,
dass mi a grobs Wetta moi abschrecka tät,
hollaro-dorido, amoi abschrecka tät.

[...]

Text u. Musik: Queri/Prell


hl antwortete am 17.02.03 (08:38):

Nicht aufzuhalten

Dieses verrückte Kind
das losrennt
das Leben zu umarmen
das hinfällt
aufsteht und weiterläuft
mit zerschlagenen Knien
Dieses verrückte Kind
das Hoffnung heißt
an Liebe glaubt

von Anne Steinwart


Erika Kalkert antwortete am 17.02.03 (16:08):

Morgensonne im Winter

Auf den eisbedeckten Scheiben
fängt im Morgensonnenlichte
Blum und Scholle an zu treiben...

Löst in diamantnen Tränen
ihren Frost und ihre Dichte,
rinnt herab in Perlensträhnen...

Herz, o Herz, nach langem Wähnen
laß auch deines Glücks Geschichte
diamantne Tränen schreiben!

Christian Morgenstern
(1871 - 1914)


Wolfgang antwortete am 17.02.03 (23:21):

An mei Diandl... :-)

s'Diandl liabn (von den Biermösl Blosn aus der CD "wo samma")

Und's Fruahjahr hot ogfanga, i gspür ein Verlanga.
Bin i naus in d'Woit zum Vögl zammafanga.
's Diandl des hot glacht, hot Spassetln gmacht:
"Kimmst aufs Kammerfensterl bei da Nacht?"
Bin i mit meim Verlanga zum Herrn Pfarrer ganga.
"Derf i, derf i, derf i 's Diandl liabn?"
"Na na", sogt er, "zerst werd ma traut",
und hot sei Köchin ganz verliabt ogschaut.
Bin i mit meim Verlanga zum Herrn Bischof ganga.
"Derf i, derf i, derf i 's Diandl liabn?"
"Na na", sogt er, "des waar a Schand",
und schaut auf seinen Lieblingsministrant.
Bin i mit meim Verlanga zum Pabst soiber ganga.
"Derf i, derf i, derf i, derf i...'s Diandl liabn?"
"Opus dei", sogt er drunt in Rom,
"Satan diabolus, Ritex Kondom."
Bin i mit meim Verlanga zu meim Herrgott ganga.
"Derf i, derf i, derf i 's Diandl liabn?"
"Ja freilich", sogt er und hot glacht,
"zwengs wos hob i de Buam und Diandl gmacht?
Laßts de do drunt no betn und heilig redn,
aus dera Kirch bin i scho lang austretn!"


s'Diandl antwortete am 17.02.03 (23:53):

An mei'm Buam

Mei, liaber Bua, wos fragst so vuil?
woast, wichtig ist doch nur dei Gfuil,
steig obi durchs Fensterl, zeig mir dei Liab,
dass der Herrgott uns zwoa mit Freuden siacht

:-))))


Adolf antwortete am 18.02.03 (21:39):

Über die Stille
Wenn es nur einmal so ganz stille wäre.
Wenn das Zufällige und Ungefähre verstummte
und das nachbarliche Lachen,
wenn das Geräusch, das meine Sinne machen,
mich nicht so sehr verhinderte am Wachen-

Dann könnte ich in einem tausendfachen Gedanken
bis an deinen Rand dich denken
und dich besitzen (nur ein Lächeln lang),
um dich an alles Leben zu verschenken wie einen Dank.
(von Rainer Maria Rilke)


Antonius antwortete am 20.02.03 (19:18):

Ein Winterabschieds-Gedicht...? Bitte sehr, von meinem Lieblingsschwyzer; mit Grüßen an alle Schweizerinnen:

Franz Hohler
Wo die Kälte herkommt

Ganz weit oben in Nordgrönland
sitzt auf einem Eisberg
die Kältehummel. Sie ist
2o ooo Kilo schwer und möchte gern fliegen.
Ihre Flügel sind aber viel zu schwach.
Trotzdem lässt sie sie dauernd auf und ab schwirren,
weil sie hofft,
es gelinge ihr eines Tages doch noch.
Dadurch bewegt sie die eiskalte Luft so stark,
dass diese bis zu uns kommt.
Den ganzen Winter lang übt die Kältehummel,
bis sie im Frühling erschöpft einschläft.
Zum Glück, denn sonst hätten wir keinen Sommer.
Im Sommer schläft die Kältehummel
und träumt, sie könne fliegen.
Ein Schläuling, der nicht gerne fror,
schickte ihr einmal ein Paket
voll Schlaftabletten, weil er hoffte,
sie schlafe dann auch im Winter.
Aber der Briefträger war ein Eisbär,
und der war so neugierig,
dass er das Paket aufmachte und
alle Tabletten selber schluckte.
Seither wird in Nordgrönland
keine Post mehr ausgetragen,
denn der Eisbär schläft noch heute,
und weil er der Einzige ist, der weiß,
wo die Kältehummel wohnt,
kann niemand sagen,
wie es ihr jetzt geht,
aber so lang es jedes Jahr Winter wird,
können wir annehmen,

dass sie noch lebt.

*
(Aus: Schneeflocken tanzen in der Nacht. 24 Geschichten für kalte Winterabende. Hrsg. v. Hannelore Westhoff. dtv 62116. S. 57. - Im Original ist Hohlers Text n i c h t als Gedicht gedruckt, sondern als Prosatext; ich find's s o schöner, zum Phantasieren...)


Erika Kalkert antwortete am 21.02.03 (17:30):

Glücklichere Verhältnisse können erst eintreten,
wenn alle Völker zu der Erkenntnis gelangen,
dass jeder Krieg, auch der siegreiche,
ein nationales Unglück ist.

Helmut Graf von Moltke


sieghard antwortete am 22.02.03 (09:45):

Die Sonne scheint ohne Helligkeit, und der Mond
geht auf ohne Licht. Mein Herz schmeckt nach
Asche, und meine Kehle ist eng und müde vom
Weinen. Was ist eine verlorene Seele? Es ist eine,
die von ihrem wahren Pfad abgekommen ist und
in der Finsternis nach erinnerten Wegen tastet. 411

[Malcolm Lowry, Unter dem Vulkan]
.


Rosmarie V. antwortete am 22.02.03 (12:18):

Kalte Zeit
__________

Mach Feuer an im Ofen,
Derweil koch ich den Tee.
Im Zimmer ist's so hundekalt
Und draußen treibt der Schnee.

Der Tag wir immer müder,
Die Vögel sind entfloh'n
Hinterm Fensterkreuz seh ich
Ein Baumgerippe droh'n.

Die Kälte nimmt gefangen
Mein Denken und mein Tun.
Ein Alpdruck, schwer und bitter,
Läßt mich zur Nacht nicht ruhn.

Das Feuer brennt im Ofen,
Die Kanne schwitzt vom Tee.
Laß uns vom nächsten Sommer sprechen,
Denn draußen treibt der Schnee.

Michael Sallmann


Adolf antwortete am 22.02.03 (21:05):

Ich habe ein Liedtext gefunden der in diese Jahreszeit passt, kenne aber nicht den Verfasser, vielleicht kennt ihn jemand. Wünsche allen einen schönen Sonntag, Adolf.

Nicht lange mehr ist Winter,
schon glänzt der Sonne Schein,
dann kehrt mit neuen Liedern
der Frühling bei uns ein.
Im Feld singt die Lerche,
der Kuckuck ruft im Hain:
Kuk-kuck, Kuk-kuck,
da wollen wir uns freun..


Erika Kalkert antwortete am 25.02.03 (19:33):

Februarabend

Bläulich dämmert am Hügel hinab zum See
matten Schimmers im Schmelzen der weiche Schnee,
in den Nebeln gestaltlos wie bleiche Träume
schwimmen vielästige Kronen erstorbener Bäume.

Aber durchs Dorf, durch alle schlummernden Gassen
wandelt der Nachtwind, schlendert lau und gelassen,
rastet am Zaun und läßt in den dunklen Gärten
und in den Träumen der Jugend Frühling werden.

Hermann Hesse


britt antwortete am 26.02.03 (09:09):

...dieses etwas "schwere" Gedicht ist wohl sehr bekannt,
ich finde es passend am heutigen Tag...

Verheißung

Fühlst du durch die Winternacht,
Durch der kalten Sternlein Zittern,
Durch der Eiscrystalle Pracht,
Wie sie flimmern und zersplittern:
Fühlst nicht wehen laue Mahnung,
Keimen leise Frühlingsahnung?

Drunten schläft der Frühlingsmorgen,
Quillt in gärenden Gewalten
Und, ob heute noch verborgen,
Sprengt er rings das Eis in Spalten:
Und in wirbelnd lauem Wehen
Braust er denen, die's verstehen.

Hörst du aus der Worte Hall,
Wie sie kühn und trotzig klettern,
Und mit jugendlichem Prall
Klirrend eine Welt zerschmettern:
Hörst du nicht die leise Mahnung,
Warmen Lebensfrühlings Ahnung?

Hugo von Hofmannsthal


Marie2 antwortete am 26.02.03 (09:30):

Vorfrühling
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.

Er hat sich gewiegt,
Wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.

Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten.

Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt.

Er glitt durch die Flöte,
Als schluchzender Schrei,
An dämmernder Röte
Flog er vorbei.

Er flog mit Schweigen
Durch flüsternde Zimmer
Und löschte im Neigen
Der Ampel Schimmer.

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.

Durch die glatten
Kahlen Alleen
Treibt sein Wehn
Blasse Schatten

Und den Duft,
Den er gebracht,
Von wo er gekommen
Seit gestern Nacht.

- Hugo von Hofmannsthal-


Erika Kalkert antwortete am 01.03.03 (16:20):

März

An dem grün beflognen Hang
ist schon Veilchenblau erklungen,
nur den schwarzen Wald entlang
liegt noch Schnee in zackigen Zungen.
Tropfen aber schmilzt um Tropfen hin,
aufgesogen von der durstigen Erde,
und am blauen Himmel oben ziehn
Lämmerwolken in beglänzter Herde.
Finkenruf verliebt schmilzt im Gesträuch:
Menschern, singt auch ihr und liebet euch!

Hermann Hesse


britt antwortete am 01.03.03 (18:10):

Frühling

Sonne. Und noch ein bißchen aufgetauter Schnee
und Wasser, das von allen Dächern tropft,
und dann ein bloßer Absatz, welcher klopft,
und Straßen, die in nasser Glattheit glänzen,
und Gräser, welche hinter hohen Fenzen
dastehen, wie ein halbverscheuchtes Reh ...

Himmel. Und milder, warmer Regen, welcher fällt,
und dann ein Hund, der sinn- und grundlos bellt,
ein Mantel, welcher offen weht,
ein dünnes Kleid, das wie ein Lachen steht,
in einer Kinderhand ein bißchen nasser Schnee
und in den Augen Warten auf den ersten Klee ...

Frühling. Die Bäume sind erst jetzt ganz kahl
und jeder Strauch ist wie ein weicher Schall
als erste Nachricht von dem neuen Glück.
Und morgen kehren Schwalben auch zurück.

Selma Meerbaum-Eisinger
(1924-1942)


Marie2 antwortete am 02.03.03 (23:05):

Abzählen der Regentropfenschnur

Ich zähle die Regentropfen an den Zweigen,
sie glänzen, aber sie fallen nicht,
schimmernde Schnüre von Tropfen
an den kahlen Zweigen.
Die Wiese sieht mich an
mit großen Augen aus Wasser.
Die goldgrünen Weidenkätzchen
haben ein triefendes Fell.
Keine Biene besucht sie.
Ich will sie einladen
sich an meinem Ofen zu trocknen.
Ich sitze auf einem Berg
und habe alles,
das Dach und die Wände,
das Bett und den Tisch,
den heißen Regen im Badezimmer
und den Ofen mit löwenfarbener Mähne,
der atmet wie ein Tier
oder ein Mitmensch.
Und die Postfrau
die den Brief bringen würde
auf meinen Berg.
Aber die Weidenkätzchen
treten nicht ein
und der Brief kommt nicht,
denn die Regentropfen
wollen sich nicht zählen lassen.

Hilde Domin


sieghard antwortete am 03.03.03 (11:03):

Herr mein Gebieter
Sieh mich doch einmal an
Ich lauf als Narr herum
Heut komm ich morgen geh ich
Zu dir o Herr
Ich Komiker von deiner Gnade
Bin voller Fehler
Du kennst sie alle
Sei mir gnädig.

[Hanns Dieter Hüsch]
.


Erika Kalkert antwortete am 04.03.03 (18:10):

Lob des Frühlings

Frühling läßt sein blaues Band
wieder flattern durch die Lüfte.
Süße wohlbekannte Düfte
streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
wollen balde kommen.
Horch, von fern ein Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen.

Eduard Mörike

Saatengrün, Veilchenduft,
Lerchenwirbel, Amselschlag,
Sonnenregen, linde Luft!
Wenn ich solche Worte singe,
braucht es dann noch große Dinge,
dich zu preisen Frühlingstag!

Ludwig Uhland

Das Beet schon lockert
sich's in die Höh!
Da wanken Glöckchen
so weiß wie Schnee;
Safran entfaltet
gewalt'ge Glut,
smaragden keimt es
und keimt wie Glut.
Primeln stolzieren
so naseweiß,
schalkhafte Veilchen
versteckt mit Fleiß;
was auch noch alles
da regt und webt,
genug, der Frühling
er wirkt und lebt.

Johann Wolfgang von Goethe


EveMarie antwortete am 05.03.03 (18:33):

Ich kann Adolf's Frage beantworten.
Nicht lange mehr ist Winter ist ein vierstimmiger Kanon,
volkstümlich,ohne Verfasserangabe.


EveMarie antwortete am 06.03.03 (13:22):

Hallo Adolf,Du sagst, Du kannst mit der angegebenen Internetadresse nicht Öffnen.Kein Wunder, es hat sich
ein,wenn auch nur geringfügiger Fehler,eingeschlichen.Also nochmal: https://www.rcaguilar.com/lieder/texte/nitlange.htm
ich hatte recaguillar geschrieben
Viel Glück,EveMarie


Adlf antwortete am 08.03.03 (20:13):

Ach, was sind wir dumme Leute-
Wir genießen nie das Heute,
Unser ganzes Menschenleben
Ist ein Hasten, ist ein Streben,
Ist ein Bangen, ist ein Sorgen-
Heute denkt man schon an morgen,
Morgen an die spät're Zeit-
Und kein Mensch genießt das Heut'-.
Auf des Lebens Stufenleiter
Eilt man weiter, immer weiter.
Nutz den Frühling deines Lebens
Leb im Sommer nicht vergebens
Denn gar bald stehest du im Herbste
Bis der Winter naht, dann sterbstet.
Und die Welt geht trotzdem heiter
Immer weiter, immer weiter...
Otto Reutter

Einen schönen Sonntag wünscht Adolf


EveMarie antwortete am 10.03.03 (16:01):

Hell ins Fenster scheint die Sonne;
scheint ins Herz mir Himmelswonne;
und was kalt,ist dumpf und weh,
taut sie weg wie Maienschnee.

Winter weint die hellsten Tränen,
und ich fühle Frühjahrssehnen;
Lust und Feude,frisch wie Tau,
lacht mir zu des Himmels Blau.

Noch ist Zeit für Glück und Wonne,
komm herein,o Frühjahrssonne!
Lächle mir die Seligkeit
ief ins Herz,noch ist es Zeit.


EveMarie antwortete am 10.03.03 (16:05):

das vorangegangene Gedicht ist von : Moritz Hauptmann


Rosmarie V. antwortete am 10.03.03 (17:30):

Dieses Gedicht passt, so scheint es mir, sehr gut in die heutige Zeit.

Unlösbar
________

Hiroshima fiel mir ein
als ich heute in New York
beklagte Lidice, Dresden
und Oradour.

Die Namen standen
ein jeder für sich und
stellvertretend doch
einer für alle

Als ob die Trümmer
gemeinsam sich türmten
und alle Toten mich riefen
mit einer Stimme

Johanna Anderka
in Lyrik heute
Edition L

Ich hoffe
der Name Bagdad
wird nicht auf
der Liste stehen! RV


Marie2 antwortete am 11.03.03 (13:26):

März
Sonne lag krank im Bett. Sitzt nun am Ofen.
Liest, was gewesen ist, liest Katastrophen.
Springflut und Havarie, Sturm und Lawinen -
Gibt es denn niemals Ruh drunten bei ihnen?

Schaut den Kalender an. Drauf steht: "Es werde!"
Greift nach dem Opernglas. Blickt auf die Erde.
Schnee vom vergangnen Jahr blieb nicht der gleiche.
Liegt wie ein Bettbezug klein auf der Bleiche.

Winter macht Inventur. Will sich verändern.
Schrieb auf ein Angebot aus fernen Ländern.
Mustert im Fortgehn noch Weiden und Erlen.
Kätzchen blühn silbergrau. Schimmern wie Perlen.

In Baum und Krume regt's sich allenthalben.
Radio meldet schon Störche und Schwalben.
Schneeglöckchen ahnen nun, was sie bedeuten.
Wenn du die Augen schließt, hörst du sie läuten.

Kästner


Rosmarie.V. antwortete am 12.03.03 (18:23):

März
____

Christel Anders

Morgen spiegelt im Eisbart
Die Dachrinne tropft
schillert Trichter in
weich-warmen Schnee

Blitzende Tränen fallen
Obstbäume laden in
besonnte Zweige
Helle begrüßt den Tag

Ich öffne weit beide Fenster
Frische empfängt mich und
Licht tanzt
Frühlingsboten ins Haus


Marie2 antwortete am 13.03.03 (09:35):

Auf die frage was glück sei

Auf die frage was glück sei
konstruiere ich folgende sätze
wenn du anrufst
werde ich vor glück weinen
wenn du anriefest
würde ich vor glück weinen
wenn du angerufen hättest
hätte ich vor glück geweint
wenn du anrufen hättest wollen
hätte ich weinen können
was gemessen an der alles beherrschenden kälte
ein glück gewesen wäre

- Dorothee Sölle-


dela antwortete am 16.03.03 (22:00):

Frühling.

Nun ist er endlich kommen doch
in grünem Knospenschuh.
�Er kam, er kam ja immer noch�,
die Bäume nicken sich's zu.

Sie konnten ihn all erwarten kaum,
nun treiben sie Schuß auf Schuß;
im Garten der alte Apfelbaum
er sträubt sich, aber er muß.

Wohl zögert auch das alte Herz
und atmet noch nicht frei,
es bangt und sorgt: �Es ist erst März,
und März ist noch nicht Mai.�

O schüttle ab den schweren Traum
und die lange Winterruh',
es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag's auch du!

Theodor Fontane


Marie2 antwortete am 18.03.03 (09:18):

Obligates Lenzgedicht

Ein bißchen Frühling scheint's jetzt doch zu werden.
Der Flieder keimt bereits mit Heldenmut.
Im Garten rotten Veilchen sich zu Herden.
Das erste Unkraut reizt schon zu Beschwerden
und ist zehn Zentimeter groß (mit Hut).

Die Luft ist anders. Selbst die Auspuffgase.
Vollautomatisch reagiert das Herz:
man schnuppert. Kommt so langsam in Ekstase.
Auch mit verschleppter Grippe in der Nase
riecht alles schön wie parfümierter Nerz.

Die Äcker rascheln zärtlich mit den Stoppeln.
Spaziergänger genießen jeden Schritt.
Sie möchten mit den Hasen feldwärts hoppeln,
sich auch wie die im Liebesspiel verdoppeln.
(Obwohl sie wissen: niemand kommt da mit.)

Die Vögel sieht man jetzt in Zwölferreihen.
Sie nehmen Trockenkurse in Gesang.
Die Sonne spendet schon die ersten Weihen.
Bald braucht kein Mensch mehr einen Schirm zu leihen.
Ganz unter uns: Der Winter war zu lang.

Mia Jertz


Marie2 antwortete am 20.03.03 (11:29):

Die Wolke

Es ist eine Wolke
übers
Land gegangen,
da ließen die Blumen die
Köpfe hangen.

Es hat gelber Regen
in den Bäumen gesessen,
da haben die Vögel
ihr Lied vergessen.

Es wehte ein Windstoß
auf Kräutern und Steinen,
da wollte der Sonne
Schein nicht mehr scheinen.

Es wurde das Walslaub
wie Staub so trocken,
da sind die Menschen
zu Tode erschrocken.

- Rudolf Otto Wiemer -


Wolfgang antwortete am 20.03.03 (21:15):

Anlässlich der heissen Phase des Krieges ums irakische Öl aus "Lysistrata" von ARISTOPHANES der...

Epilog (von Erich Fried)

(Lysistrata tritt auf, legt ihre Maske ab.)

Das Spiel ist aus. Noch NICHT aus sind die Kriege.
Auch zwischen Sparta und Athen der Krieg
ist nicht in Liebe, nein, in Blut erstickt.
So ging's bis heut'. Jahrhundert um Jahrhundert. -

Die Frauen? - Ja, die Frauen haben oftmals
verflucht den krieg der Männer, Brüder, Söhne.
Sie gegen ihn noch immer an.
Doch kommt kein Friede bloss vom waffenlosen Kampf
der Frauen gegen liebestolle Männer.
Auch Aristophanes hat nicht geglaubt,
es sei so leicht, den Wahnsinn zu beenden,
nur: DASS es Wahnsinn war, das wollt' er zeigen,
und dass es DENKBAR wäre, dass die Liebe
siegt über Vorurteil und altgewohntem Hass.

Und wahr ist auch, dass Frau'n - und manche Männer -
von Zeit zu Zeit erkennen, dass das Treiben
von Rüstung, Feindbild, alter Tradition,
Gewohnheits-Unrecht, das sich hält für Recht,
zum Lachen wär', wenn's nicht zum Weinen wäre.
Drum denkt heut' dran, es geht uns alle an,
es gilt für jede Frau und jeden Mann:
Falls ihr noch leben wollt, verteidigt euch -
vor allem gegen den VERTEIDIGUNGSFALL,
in dem es nichts mehr zu verteidigen gäbe!

Denn zu Lysistratas war der Krieg
noch MENSCHLICH unmenschlich und nicht wie heute.
Es gab noch Sieger und es gab noch Beute,
und Aristophanes konnte noch lachen
und sein Athen noch mit ihm lachen machen.
Wir aber brauchen heute ANDRE Rollen,
wenn wir nicht heut' nur, nein, auch morgen lachen wollen.

Quelle... ARISTOPHANES / ERICH FRIED: Lysistrata. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, Neuausgabe 2000, S. 74


Marie2 antwortete am 23.03.03 (00:13):

Kleines Experiment

Sieh dir
den Staatsmann an
ihn selbst
oder ein Foto

und die Männer
die er nach Europa
geschickt hat
um zu verhandeln

Dann sage dir dreimal laut vor:
�Er schützt nur die Freiheit
Er will die anderen nur abschrecken
Er will den Frieden"

Wenn du dir das glaubst
dann ist alles für dich in Ordnung
Wenn du es nicht glauben kannst
Musst du etwas tun

Erich Fried


Erika Kalkert antwortete am 25.03.03 (15:43):

Keinem vernünftigen Menschen
wird es einfallen, Tintenflecken mit Tinte,
Ölflecken mit Öl wegwaschen zu wollen.
Nur Blut, das soll immer wieder mit Blut
abgewaschen werden.

Bertha von Suttner


hl antwortete am 26.03.03 (15:38):

Der Mördermarder

Der Mardermörder hockt vorm Bau,
der Marder ist vor Angst ganz blau.

Er weiß, daß ihm vor seinem Tod
die Qual der Mardermarter droht,

wenn er nicht kurzentschlossen handelt,
sich kühn zum Martermarder wandelt

und marternd dem entgegenspringt,
der mordend in sein Reich eindringt.

Gedacht, getan, er hüpft ans Licht,
der Mardermörder sieht das nicht,

da der sich, scheinbar unbemerkt,
grad für die Mardermarter stärkt.

Der Martermarder zählt bis vier,
der Mardermörder trinkt ein Bier.

Der Mardermörder beißt ins Brot,
der Mördermarder beißt ihn tot.

Robert Gernhardt
Gedichte aus Wörtersee/Vertraute Laute


Rosmarie.V. (Ruzenka) antwortete am 31.03.03 (18:23):

Archaischer Wahnsinn
____________________

Der Mensch
erfand
-tausend Götter:

Grund
für tausend mal tausend
- Kriege

für etwas
das es nicht gibt:
- tausend Götter!

Paul Gerhard Reitnauer

in
Lyrik heute Eddition L


Wolfgang antwortete am 02.04.03 (16:23):

Die Poesie und ihre Störer (von NIKOLAUS LENAU, 1802-1850)

Im tiefen Walde ging die Poesie
Die Pfade heilger Abgeschiedenheit,
Da bricht ein lauter Schwarm herein und schreit
Der Selbstversunknen zu: �Was suchst du hie?
Laß doch die Blumen blühn, die Bäume rauschen,
Und schwärme nicht unpraktisch weiche Klage,
Denn mannhaftwehrhaft sind nunmehr die Tage,
Du wirst dem Wald kein wirksam Lied entlauschen.
Komm, komm mit uns, verding uns deine Kräfte;
Wir wollen reich dir jeden Schritt bezahlen
Mit blankgemünztem Lobe in Journalen,
Heb dich zum weltbeglückenden Geschäfte! �
Laß nicht dein Herz in Einsamkeit versumpfen,
Erwach aus Träumen, werde sozial,
Weih dich dem Tatendrange zum Gemahl;
Zur alten Jungfer wirst du sonst verschrumpfen!�
Die Poesie dem Schwarm antwortend spricht:
�Laßt mich! verdächtig ist mir euer Streben;
Befreien wollt ihr das gejochte Leben
Und gönnt sogar der Kunst die Freiheit nicht?
Euch sank zu tief ins Aug die Nebelkappe,
Wenn euer Blick nicht straßenüber sieht,
Und wenn ihr heischt vom freigebornen Lied,
Daß es dienstbar nur eure Gleise tappe.
Ein Blumenantlitz hat noch nie gelogen,
Und sichrer blüht es mir ins Herz die Kunde,
Daß heilen wird der Menschheit tiefe Wunde,
Als euer wirres Antlitz, wutverzogen.
Prophetisch rauscht der Wald: die Welt wird frei!
Er rauscht es lauter mir als eure Blätter,
Mit all dem seelenlosen Wortgeschmetter,
Mit all der matten Eisenfresserei.
Wenn mirs beliebt, werd ich hier Blumen pflücken;
Wenn mirs beliebt, werd ich von Freiheit singen;
Doch nimmermehr laß ich von euch mich dingen!�
Sie sprichts und kehrt dem rohen Schwarm den Rücken.

(1838)


Erika Kalkert antwortete am 03.04.03 (13:37):

Frühling

Wieder schreitet er den braunen Pfad
von den stürmeklaren Bergen nieder,
wieder quellen, wo der Schöne naht,
liebe Blumen auf und Vogellieder.

Wieder auch verführt er meinen Sinn,
dass in dieser zart erblühten Reine
mir die Erde,deren Gast ich bin,
Eigentum und holde Heimat scheine.

Hermann Hesse


Adolf antwortete am 06.04.03 (15:55):

Vorfrühling
Das Dach ist wieder frei von Schnee.
Doch deine Haare bleiben weiß.
Der Saft steigt wieder in die Höh'.
Doch deine Glieder bleiben steif.
Am Mittag ist die Luft
nun längst nicht mehr so kalt.
Du aber frierst noch immer,
wenn auch das warme, wollene Tuch
von Weihnachten um deine Schultern liegt,
das deine stöckrigen Finger
aus bleichem, verhärtetem Wachs
hin und wieder zusammenhalten
in zitternder Unruh'.

Es will wieder Frühling werden.
Ein Vogel pfeift's schon vom Dach.
Frühling für wen ?
Nur für die Kinder,
die Rollschuh laufen ?
Nur für die Händler,
die Blumen verkaufen ?
Für alles, was atmet
und hofft und vertraut.
Auch für den Haselnußstrauch
gibt es Auferstehung.
Ja, ganz gewiß für dich auch!
Elli Michler

Es ist zwar kein Vorfrühling mehr, aber es passt zu dieser Jahreszeit.


EveMarie antwortete am 11.04.03 (02:10):

Der Frühling naht mit Brausen,er rüstet sich zur Tat.
und unter Sturm und Sausen keimt still die grüne Saat.
Drum wach, erwach,du Menschenkind,
daß dich der Lenz nicht schlafend find't.

Tu ab die Wintersorgen,empfange frisch den Gast,
er fliegt wie junger Morgen und hält nicht lange Rast.
Drum wach,erwach,du Menschenkind,
daß dich der Lenz nicht schlafend find't.

Und wie die Vöglein leise anstimmen ihren Chor,
so schall'auch deine Weise aus tiefster Brust hervor.
Bist nicht verarmt,bist nicht allein,
umringt von Sang und Sonnenschein.


Johann Nepomuk Vogel


Adolf antwortete am 15.04.03 (22:26):

Waldandacht.
Herrlich Ist's am Sonntagmorgen
durch den stillen Wald zu geh'n;
wenn die Büsche und die Bäume
noch in ihrer Andacht steh'n.
Wenn die Vöglein musizieren
und die Blumen werden wach,
wenn die ersten Sonnenstrahlen
blitzen durch das Blätterdach.

Oh, dann geh ich in Gedanken
gern so ganz für mich allein
in den heil'gen Tempel Gottes
in den tiefen Wald hinein.
Staunend laß ich auf mich wirken
was der Schöpfer hier erschuf.
Lasse selbst ihn zu mir sprechen,
durch den Busch-den Vogelruf.

Welch ein Reichtum seiner Werke,
welche Güte,welche Pracht
die aus jeder kleinen Blüte,
aus dem Vogelliede lacht.
Und er selbst steht am Altare,
leitet den gemischten Chor,
liest aus wunderbaren Blättern
mir die Morgenpredigt vor.

Und wenn dann die Kirchenglocken
läuten ring's in weiter Rund.
Sitz auf einen Stamm ich nieder,
öffne Seele, Herz und Mund;
Stimme in den Schall der Glocken
in den Gesang der Vögel ein.
Gott zu Lob- solch Weihestunde
kann auch dir zum Segen sein.

Friedrich Wienke

Ich wünsche allen �Frohe Ostern� und friedvolle Ostertage.


Erika Kalkert antwortete am 18.04.03 (09:02):

karfeiertag

märzhimmel
aprilwind
wolkenverhangen
wochenendblau
längsbalken
querbalken
hoch genug
aufgehängt
weit genug
weg

die Autobahn
führt am Fusse des Hügels
vorbei

keine ausfahrt
golgatha

jörg jordan


hl antwortete am 18.04.03 (09:12):

Karfreitag

Elfen träumen
Menschen versäumen
Staatsmänner räumen
die Welt auf

Der Horizont rot
Sinkendes Boot
Frieden ist tot
die Welt brennt

Ein letztes Lied
Ein letzter Krieg
Niemandes Sieg
die Welt brennt

Was sind das für Menschen
die aus Hass und aus Gier
vernichten und sengen

Was sind das für Menschen
die aus Rachsucht töten
zerstören, verbrennen

..im Namen Gottes
..im Namen der Gerechtigkeit
..im Namen des Friedens

Wer gibt ihnen Einhalt?
Wer hält sie zurück?

Der den Blinden sehend machte
sprach von der Liebe
und starb am Kreuz
für alle
doch die Schlange
lebt
immer noch

Wer beten kann,
der bete ..

hl


sieghard antwortete am 18.04.03 (12:21):

KREUZ-HYMNUS
Venantius Fortunatus (+ nach 600)

Heilig Kreuz, du Baum der Treue,
edler Baum, dem keiner gleich,
keiner so an Laub und Blüte,
keiner so an Früchten reich:
Süßes Holz, o süße Nägel,
welche süße Last an euch.

Beuge, hoher Baum, die Zweige,
werde weich an Stamm und Ast,
denn dein hartes Holz muß tragen
eine königliche Last,
gib den Gliedern deines Schöpfers
an dem Stamme linde Rast.

Du allein warst wert, zu tragen
aller Sünden Lösegeld,
du, die Planke, die uns rettet
aus dem Schiffbruch dieser Welt.
Du, gesalbt vom Blut des Lammes,
Pfosten, der den Tod abhält.

Lob und Ruhm sei ohne Ende
Gott, dem höchsten Herrn, geweiht.
Preis dem Vater und dem Sohne
und dem Geist der Heiligkeit.
Einen Gott in drei Personen
lobe alle Welt und Zeit. Amen
.


britt antwortete am 18.04.03 (13:31):

Zwiegespräch mit dem Engel

Ich sprach: wer warnt mich in der Not der Stunde? -
Und Er: das Licht erstrahlt zur rechten Zeit.
Ich sprach: wie komm ich zu so hohem Bunde? -
Und Jener: frage nicht. Sei nur bereit.

Kennst du den Traum, der uns von je beirrte? -
Ich weiß, ihr seid von Lockung hart bedrängt.
Verdient nicht Tod, wer allzu niedrig irrte? -
Die Himmelsliebe richtet nicht, sie schenkt.

Warum die Angst endlos? warum das Grauen? -
Endlos in Wahrheit einzig ist das Licht.
Wenn ich dir folge, werd ich es erschauen? -
Schon liegt sein Glanz auf deinem Angesicht.

So trag ich schon das Licht in meinem Leben? -
Im Kern, den du mit Traumgewirk umsponnst.
Nichts muß ich tun, als nur die Hände heben? -
Was sonst als nur dies Eine! was denn sonst!

Henry von Heiseler


EveMarie antwortete am 19.04.03 (17:59):

Mailied
Wenn des Frühlings Zauberfinger pochet an der Erde Pforten,
springet auf der dunkle Zwinger, und es jubelt aller Orten:
Schöner Mai, holder Mai, Winters Herrschaft ist vorbei.

Vöglein singen süße Lieder in des neuen Lenzes Drange,
und das Herz lauscht immer wieder dem geheimnisvollen Sange:
Schöner Mai, holder Mai, Winters Herrschaft ist vorbei.

Und das wunderbare Regen auf dem weiten Erdenraume
Will auch mir das Herz bewegen nach dem bangen Wintertraume:
Schöner Mai, holder Mai, Winters Herrschaft ist vorbei!

Albert Heinrici


Ich wünsche allen Mitstreitern ein gesegnetes Osterfest


Antonius antwortete am 20.04.03 (11:39):

Frohe Ostern!

Zwei Oster-Texte; nicht so sehr lyrisch sind, aber von zwei Geistlichen stammen, die auch als Dichter diese - unsere - Welt sahen bzw. sehen:

Albrecht Goes:
Unter dem Friedensbogen

Was wir begraben müssen:
es ist eine große Hoffnung bei diesem großen Grab:
�Er soll die Starken zum Raube haben, dafür daß er sein Leben in den Tod gegeben hat und den Übeltätern gleichgerechnet ist und er die Sünde der Vielen getragen hat und für die Übeltäter gebeten" (Jesaja 53,12):
die alte prophetische Verheißung,
die in Christus Erfüllung fand, deutet auf diese Hoffnung mit starkem Licht.
Er, Christus, der Herr,
hat vor uns begraben,
was wir begraben müssen:
auf dem Kreuzweg den Haß, am Kreuz die Gerechtigkeit für sich selbst und in der dunkelsten Stunde all und jedes Sicherheitsverlangen;
und auch das Mißtrauen, das sich behaupten möchte.
Er hat das Vertrauen, das dienen will, überwindend aufgerichtet,
Überwinder aufrufend,
die, erschrocken über den Todesweg,
den die kluge Sicherheit, die sichere Klugheit baut,
arm und kühn unter dem Friedensbogen Gottes laufen;
ohne Harnisch: gering, aber getrost.
*
Und ein nachdenklicher Aphorismus von
Kurt Marti:

Ostern, Neuzeit: Christus lebt, die Hasen sterben aus.


EveMarie antwortete am 21.04.03 (23:43):

Die Raupe und der Schmetterling

Freund, der Unterschied der Erdendinge
scheint recht groß und ist doch so geringe.
Alter und Gestalt und Raum und Zeit
sind ein Traumbild nur der Wirklichkeit.

Träg und matt auf abgezehrten Sträuchen
sah ein Schmetterling die Raupe schleichen
und erhob sich fröhlich,argwohnfrei,
daß er Raupe selbst gewesen sei.

Traurig schlich die Alternde zu Grabe:
"Ach, daß ich umsonst gelebet habe,
sterbe kinderlos und so gering
und da fliegt der schöne Schmetterling!"

Ängstlich spann sie sich in ihre Hülle
schlief,-und als der Mutter Lebensfülle
sie erweckte,wähnte sie sich neu,
wußte nicht,was sie gewesen sei.

Freund,ein Traumreich ist das Reich der Erden.
Was wir waren,was wir einst noch werden?
Niemand weiß es ,glücklich sind wir blind.
Laß uns eins nur wissen,- was wir sind

Leider ist mir der Verfasser unbekannt


hl antwortete am 01.05.03 (23:13):

Karoline von Günderrode '(1780-1806)


Der Knabe und das Vergismeinnicht

Der Knabe
O Blümelein Vergismeinnicht!
Entzieh Dich meinem Auge nicht.
Ihr, Veilchen! Nelken! Rosen!
Auf euch verweilt der Sonne Licht,
Als wollt es mit euch kosen;
Doch wenn die Sonne tiefer sinkt,
Wenn Nacht die Farben all verschlingt,
Da reden süße Düfte
Von eurem stillen Leben mir
Und die vertrauten Lüfte
Die bringen eure Grüße mir.
Doch ach! Vergismeinnicht, von Dir
Bringt nichts, bringt nichts mir Kunde.
Sag, Blümlein, lebst dem Aug Du nur?
Flieht mit den Farben jede Spur
Mir hin von Deinem Leben?
Hast keine Stimm, die zu mir spricht
Wenn Schatten Dich umgeben?

Vergismeinnicht
Die Stimme, ach Süßer! die hab ich nicht.
Doch trag ich den Namen Vergismeinnicht,
Der, wenn ich auch schweige, dem Herzen spricht.


sieghard antwortete am 02.05.03 (17:33):


Der Mai

Im Galarock des heiteren Verschwenders,
ein Blumenzepter in der schmalen Hand,
fährt nun der Mai, der Mozart des Kalenders,
aus seiner Kutsche grüßend, über Land.

Er überblüht sich, er braucht nur zu winken.
Er winkt! Und rollt durch einen Farbenhain.
Blaumeisen flattern ihm voraus und Finken.
Und Pfauenaugen flügeln hinterdrein.

Die Apfelbäume hinterm Zaun erröten.
Die Birken machen einen grünen Knicks.
Die Drosseln spielen, auf ganz kleinen Flöten,
das Scherzo aus der Symphonie des Glücks.

Die Kutsche rollt durch atmende Pastelle.
Wir ziehn den Hut. Die Kutsche rollt vorbei.
Die Zeit versinkt in einer Fliederwelle.
O, gäb es doch ein Jahr aus lauter Mai!

Melancholie und Freude sind wohl Schwestern.
Und aus den Zweigen fällt verblühter Schnee.
Mit jedem Pulsschlag wird aus Heute Gestern.
Auch Glück kann weh tun. Auch der Mai tut weh.

Er nickt uns zu und ruft: "Ich komm ja wieder!"
Aus Himmelblau wird langsam Abendgold.
Er grüßt die Hügel, und er winkt dem Flieder.
Er lächelt. Lächelt. Und die Kutsche rollt.

[Erich Kästner 1904 -1974]

.
Kaum ein Mai ohne diesen Könner Kästner
Gruß an alle hier von früher und von heute
.


Stephan Frank antwortete am 02.05.03 (18:53):

Hermann Stephanos
HÜHNER LEGEN EIER

�Worte sind schön�, sagt ein afrikanisches Sprichwort,
�aber Hühner legen Eier.�
Andere gelten zu lassen in ihrem So-Sein,
in ihrem Anders-Sein, das ist leicht gepredigt.
Anwalt der Stimmlosen sein,
der Ausländer, Campesinos und Stadtstreicher,
der Geschiedenen, Homos und Punker,
da liege ich richtig. Da schwimme ich ganz
im Kielwasser der fraternité.
Da bin ich ganz auf der Linie Jesu.

Aber wenn es konkret wird:
Wenn der Kleine zahnt und nachts keine Ruhe gibt,
wenn meine pubertierende Tochter mich nervt,
wenn der Schwiegervater alt und verwirrt ist,
wenn meine Frau Feministin wird,
dann wird es schwer mit der Nächstenliebe,
mit der Toleranz.

X wirklich gelten lassen,
Y nicht verändern wollen,
Z nicht manipulieren,
obwohl es notwendig scheint,
obwohl ich zu wissen glaube, was für ihn gut ist,
obwohl er in sein eigenes Unglück rennt,
wie ich meine ...
Auch dann noch zu glauben an einen Gott,
der �seine Sonne aufgehen läßt über Gute und Böse�,
und von diesem Gott zu lernen
Geduld, Menschenfreundlichkeit und Vertrauen,
das ist schwer.

�Worte sind schön, aber Hühner legen Eier.�

Und - Hähne - was leisten die...?


hl antwortete am 02.05.03 (21:59):

Adele Schopenhauer (1797-1849)

Der Blick

Du siehst mich an! - Ein unbegreiflich Irren
Hält meinen Blick, - will mir das Herz verwirren!
Ein bunter Pfeil durchfliegt die klare Luft,
Ein Farbenflor verhüllt die Welt in Duft.
Der Himmel wird ein flammend Meteor,
Und überall dringt Zauberklang hervor,
Leis, wie der West, wie Millionen Glocken
Mit höchster Kraft verwirrend mich zu locken.
So wechselnd rasch mir Qual und Lust zu geben,
Bald flammend heiß, durchdringend all mein Leben,
Bald eisig starr zum Todten mich zu wandeln -
Unfähig nun zum Denken, Sprechen, Handeln,
Löst all mein Wesen sich in diesem Blick -
Da siehst Du fort - Besinnung kehrt zurück!
Zum Tode matt, will ich mich Dir entziehen
Und folge Dir, und meine, Dich zu fliehen.


hl antwortete am 02.05.03 (23:24):

Ein Schlaflied (nicht nur für Elfen) :-)

schlafe elflein, schlafe,
da draussen
blöken nur schafe,
die welt ist dunkel,
der mond scheint hell,
schlafe, elflein,
schlaf' schnell

bist müde vom tanzen,
müde vom singen,
müde von allen
weltendingen
- lass' sie nicht rein!
schlafe elflein,
schlaf' ein


die sterne wollen singen
dein wiegenlied
der helle mond
deinen schlaf behüt'
dunkle wolken
verscheucht der wind
schlafe elflein,
schlaf' geschwind!


sieghard antwortete am 05.05.03 (08:22):


Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
man weiß nicht, was noch werden mag,
das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun armes Herz, vergiss der Qual!
Nun muss sich alles, alles wenden.
[Ludwig Uhland]


Nun muss sich wieder alles wenden,
Ich fühl's an meines Herzens Schlag,
Und schöner wird's an allen Enden
Und lieblicher mit jedem Tag.
[Arno Holz]
.


Marie2 antwortete am 05.05.03 (09:42):

Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.

Ein schmuckes Laken macht einen Knicks
Und gratuliert mir zum Baden.
Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs
Betiteln mich "Euer Gnaden."

Aus meiner tiefsten Seele zieht
Mit Nasenflügelbeben
Ein ungeheurer Appetit
Nach Frühstück und nach Leben.

Joachim Ringelnatz


dela antwortete am 06.05.03 (22:59):

Lied der Amsel

(Ulla Hahn)

Flieg mit mir hinauf
auf diesen Ast und schau
auf dich hinunter;
Auf dich in den Blumen
auf dich in den Steinen
im Gras am Wasser
auf dich unterm Baum
Du hier oben und
du da unten:
Das ist alles.


EveMarie antwortete am 10.05.03 (23:35):

Frühlingslied
Die Luft ist blau,das Tal ist grün,
die kleinen Maienglocken blühn
und Schlüsselblumen drunter;
der Wiesengrund ist schon so bunt
und malt sich täglich bunter.

Drum komme,wem der Mai gefällt,
und freue sich der schönen Welt
und Gottes Vatergüte,
die diese Pracht hervorgebracht,
den Baum und seine Blüte.

Ludwig Christoph Heinrich Hölty


hl antwortete am 11.05.03 (00:13):

auch ein "Frühlingsgedicht" ;-)

Nie wieder ..


Ich habe meinen Löwenzahn ermordet
mit scharfen Messern am hellichten Tag.
Er hat sich auf der Wiese zusammengehordet,
um sich zu vermehren (was ich nicht mag).

Das Moos habe ich grausam herausgerissen,
und meine Wiese brutal vertikuliert
(ein wenig belastet es mein Gewissen
früher habe ich Körbe damit verziert).

Das frische Grün meiner Frühlingswiese
habe ich geschoren bis auf den Stumpf
(doch wenn ich jetzt die Wiese gieße
verwandelt sie sich in einen Sumpf).

Darum habe ich meine Wiese zugeteert,
mit grüner Farbe hübsch angestrichen,
die arme Wiese hat sich nicht gewehrt,
doch hat die Farbe in meine Nase gebissen.

Dann habe ich Blumen darauf gemalt
recht groß und bunt, so wie ich sie mag.
Die Farbe macht sich auf Dauer bezahlt
- nun habe ich Frühling jeden Tag.

hl/Mai 2003


.. nach einem schweißtreibenden Gartenarbeitsnachmittag in praller Sonne - nicht ganz ernst zu nehmen ;-)


sieghare antwortete am 11.05.03 (08:32):

Annette von Droste-Hülshoff1797 - 1848

An meine Mutter

So gern hätt' ich ein schönes Lied gemacht,
Von deiner Liebe, deiner treuen Weise,
Die Gabe, die für andre immer wacht,
Hätt' ich so gern geweckt zu deinem Preise.

Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr,
Und wie ich auch die Reime mochte stellen,
Des Herzens Fluten rollten drüber her,
Zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.

So nimm die einfach schlichte Gabe hin,
vom einfach ungeschmückten Wort getragen,
Und meine ganze Seele nimm darin;
Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen.
.


britt antwortete am 11.05.03 (08:59):

... das Lächeln über ihr Grab hängen....


Meine Mutter

War sie der große Engel,
Der neben mir ging?

Oder liegt meine Mutter begraben
Unter dem Himmel von Rauch -
Nie blüht es blau über ihrem Tode.

Wenn meine Augen doch hell schienen
Und ihr Licht brächten.

Wäre mein Lächeln nicht versunken im Antlitz,
Ich würde es über ihr Grab hängen.

Aber ich weiß einen Stern,
Auf dem immer Tag ist;
Den will ich über ihre Erde tragen.

Ich werde jetzt immer ganz allein sein
Wie der große Engel,
Der neben mir ging.

Else Lasker-Schüler


Erika Kalkert antwortete am 11.05.03 (09:51):

An meine Mutter

So gern hätt' ich ein schönes Lied gemacht
von deiner Liebe, deiner treuen Weise.
Die Gabe, die für andre immer wacht,
hätt' ich so gern geweckt zu deinem Preise.

Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr,
und wie ich auch die Reime möchte stellen,
des Herzens Fluten wallten darüber her,
zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.

So nimm die einfach schlichte Gabe hin,
von einfach ungeschmücktem Wort getragen,
und meine ganze Seele nimm darin:
Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen.

Annette von Drose-Hülshoff


dela antwortete am 11.05.03 (20:55):

An meinen Schutzengel

Den Namen weiss ich nicht. Doch du bist einer
Der Engel aus dem himmlischen Quartett,
Das einstmals, als ich kleiner war und reiner,
Allnächtlich Wache hielt an meinem Bett.

Wie du auch heisst- seit vielen Jahren schon
Hältst du die Schwingen über mich gebreitet
Du hast, der Toren guter Schutzpatron,
Durch Wasser und durch Feuer mich geleitet.

Du halfst dem Taugenichts, als er zu spät
Das Einmaleins der Lebensschule lernte.
Und meine Saat, mit Bangen ausgesät,
Ging auf und wurde unverhofft zur Ernte.

Seit langem bin ich tief in deiner Schuld.
Verzeih mir noch die eine -letzte- Bitte:
Erstrecke deine himmlische Geduld
Auch auf mein Kind und lenke seine Schritte.

Er ist mein Sohn. Das heisst: er ist gefährdet.
Sei um ihn tags, behüte seinen Schlaf.
Und füg es, dass mein liebes schwarzes Schaf
Sich dann und wann ein wenig weiss gebärdet.

Gib du dem kleinen Träumer das Geleit.
Hilf ihm vor Gott und vor der Welt bestehen.
Und bleibt dir dann noch freie Zeit,
Magst du bei mir auch nach dem Rechten sehen.


Aus: Mascha Kaléko, In meinen Träumen läutet es Sturm.


forum-admin antwortete am 16.05.03 (22:08):

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