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THEMA:   Gedichte, Gedichte 2.Teil

 110 Antwort(en).

Friedgard Seiter begann die Diskussion am 29.09.00 (17:50) mit folgendem Beitrag:

Liebe Gedichtfreunde, da wir inzwischen bei 156 angelangt sind, dachte ich, wir könnten einen neuen Gedichtband
anlegen - der alte bleibt ja bestehen. Was meint Ihr dazu?
Ich fange ihn an - etwas verfrüht, wie ich gestehe - mit dem "Oktober" von Erich Kästner, den könnt Ihr dann vielleicht an Freunde weiterleiten:

Der Oktober

Fröstelnd geht die Zeit spazieren.
Was vorüber schien, beginnt.
Chrysanthemen blühn und frieren.
Fröstelnd geht die Zeit spazieren.
Und du folgst ihr wie ein Kind.

Geh nur weiter. Bleib nicht stehen.
Kehr nicht um, als sei's zuviel.
Bis ans Ende mußt du gehen.
Hadre nicht mit den Alleen.
Ist der Weg denn schuld am Ziel?

Geh nicht wie auf fremden Füßen,
und als hätt'st du dich verirrt.
Willst du nicht die Rosen grüßen?
Laß den Herbst nicht dafür büßen,
daß es Winter werden wird.

An den Wegen, in den Wiesen
leuchten, wie auf grünen Fliesen,
Bäume bunt und blumenschön.
Sind's Buketts für sanfte Riesen?
Geh nur weiter, bleib nicht stehn.

Blätter tanzen sterbensheiter
ihre letzten Menuetts.
Folge folgsam dem Begleiter.
Bleib nicht stehen, geh nur weiter.
Denn das Jahr ist dein Gesetz.

Nebel zaubern in der Lichtung
eine Welt des Ungefährs.
Raum wird Traum. Und Rauch wird Dichtung.
Folg der Zeit. Sie weiß die Richtung.
"Stirb und werde!" nannte er's....


Heidi Lachnitt antwortete am 29.09.00 (18:40):

Gute Idee, Friedgart! Damit es nicht so leer aussieht:


Im Regen geschrieben

Wer wie die Biene wäre,
die die Sonne
auch durch den Wolkenhimmel fühlt,
die den Weg zur Blüte findet
und nie die Richtung verliert,
dem lägen die Felder in ewigem Glanz,
wie kurz er auch lebte,
er würde selten
weinen.

Hilde Domin "Nur eine Rose als Stütze"


Webmaster antwortete am 29.09.00 (21:08):

Kurze Information in Prosa zu "Gedichte, Gedichte 2.Teil". Ich habe die E-Mailadressen aller "Gedichte"-Interessenten auch hierher übertragen, in der Annahme, dass dies gewünscht ist. Sollte jemand die Gedichte 2. Teil nicht mehr mitlesen wollen, so kann ich die E-Mailadresse auf Wunsch löschen.

MfG Webmaster


Koloman Stumpfögger antwortete am 30.09.00 (12:12):

herzlichsten Dank für das Bewahren (und dem Verbleib) des Raumes für Gedichte.

Im Zeitalter der Statistik läßt sich leicht feststellen, daß von allen Untergliederungen des Forums, die Rubrik "Gedichte, Gedichte" die am häufigsten frequentierte (gefragteste?) ist.

Sobald ich etwas mehr Zeit haben werde, stelle ich - gewissermaßen im Anschluß an die jüngst vorausgegangenen Themen - drei Gedichte von Catarina Carsten aus dem Gedichtband "Im Labyrinth der tausend Wirklichkeiten" ein.

Mit allen guten Wünschen,
kNs


Koloman Stumpfögger antwortete am 30.09.00 (15:34):

Nachtwache

Sing dem Schmerz,
singe dem Schmerz
ein Schlaflied.

Wenn er erwacht,
die Augen aufschlägt,
ist es zu spät.

von Catarina Carsten


Koloman Stumpfögger antwortete am 30.09.00 (15:40):

Ende September

Noch wärmt die Sonne
Katzen den Rücken.

�pfel und Trauben reifen
an den Spalieren.

Die Stimmen der Kinder
klingen anders als im März.

von Catarina Carsten


Koloman Stumpfögger antwortete am 30.09.00 (15:42):

Roter Faden

Im Labyrinth
der tausend Wirklichkeiten
nützt keine Scharfsinn;

Nur Weisheit das Traums,
Leichtigkeit
und Fledermausklugheit

von Castarina Carsten


Heidi Lachnitt antwortete am 30.09.00 (15:56):




Ach, ihr Sinne,
was seid ihr doch für verwöhnte Brüder -
ständig braucht ihr neuen Reiz

Ach, ihr Stimmungen,
was seid ihr doch für launige Gesellen,
bald Gewitter, bald Sonnenschein -
ein schweres Los,
mit euch zurechtzukommen

Ach, ihr Gedanken,
was seid ihr für ein unruhiges Springgetier,
wirr und ständig auf der Jagd,
steckt ihr alles
in eure viel zu kleinen Taschen ein

Ach, ihr Begierden,
wie leicht geht man euch auf den Leim!
Brennend, als wäre euer Wunsch
der Mittelpunkt der Welt,
wollt ihr im nächsten Augenblick
schon an ein neues Ziel

Ach, ihr Träume, Hoffnungen,
begleitet ihr mich immer noch,
macht ihr bloß das Herz mir schwer
oder macht ihr mir Mut auf mehr?

Ach, ihr Tölpel,
die meinen Innenraum bewohnen,
was versprecht ihr mir den Himmel -
und warum schenke ich euch
immer noch Gehör?

von Walter Baco aus "Darf ich dich einladen
auf ein Gefühl"


Heidi Lachnitt antwortete am 30.09.00 (16:10):

und nocheinmal Walter Baco

ein wundersamer Garten
wartet
auf unsere Gegenwart

Wachsam
doch
unsagbar fern
des dunklen Adlers Kreisen

Im stillen, stolzen Glanz
wächst
an den Ufern des Waldes
das wirkliche Gedicht

Ohne etwas zu halten
bin ich in den Himmel
gefallen

Was sind schon ein paar Tropfen,
wenn man unendlich baden kann...

Die böse Welt wird wohl
den Blick erweitern müssen,
wenn niemand mehr in ihre Bilder paßt

Darf ich dich einladen
auf ein -
Gefühl -

Immerhin
unsre Liebe findet
- in Ferngesprächen -
statt

Mit den stumpfen Waffen meiner Worte
gegen eine namenlose Übermacht

Schwester meiner Seele
Der wundersame Garten wartet

Tausend Blüten küssen deinen Weg


Sieghard Winter antwortete am 30.09.00 (16:30):

Danke, Friedgard, für den Kästner-Olktober.
Ich hatte schon drauf gewartet.
Hier das bekannte Oktoberlied von Storm


Oktoberlied von Theodor Storm

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
vergolden, ja vergolden!

Und geht es draußen noch so toll,
Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt, die schöne Welt,
So gänzlich unverwüstlich!

Und wimmert auch einmal das Herz, -
Stoß an und laß es klingen!
Wir wissens doch, ein rechtes Herz
Ist gar nicht umzubringen.

Der Nebel steigt, es fällt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden.

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
doch warte nur ein Weilchen!
Der Frühling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen.

Die blauen Tage brechen an,
Und ehe sie verfließen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Genießen, ja genießen.


Koloman Stumpfögger antwortete am 30.09.00 (21:18):

Herbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
Gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
Dränge sie zur Vollendung hin und jage
Die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
Und wird in den Alleen hin und her
Unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

von Rainer Maria Rilke
zitiert aus
"Unvergängliche Deutsche Lyrik", Seite 434
Hans von Hugo Verlag, Hamburg, 1947,
Herausgeber: Wilhelm Elsner


Friedgard Seiter antwortete am 30.09.00 (21:38):

Danke Koloman, das ist das Gedicht, was ich als nächstes reinsetzen wollte!
Und da wir bei Rilke sind, bekommt Ihr heute Abend den Panther, den ich auch
sehr liebe - er ist unglaublich einfühlsam:

Der Panther
im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist im Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf - . Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.


Heidi Lachnitt antwortete am 01.10.00 (11:54):

Heute morgen gesehen:

Herbstmorgen

Die bunt gefärbten Bäume
kuscheln sich tief
in weiche graue Nebelbetten

Die Tränen der Nacht
glänzen wie Silberperlen

Stille herrscht und Ruhe
- sei fein leise
weck sie nicht auf

hl

Ich wünsche allen einen schönen Sonntag!


Gerlinde antwortete am 01.10.00 (22:26):

Danke Koloman, es ist eines meiner Lieblingsgedichte!


Der Herbst

Viele Drachen stehen in dem Winde
tanzend in der weiten Lüfte Reich.
Kinder stehn im Feld in dünnen Kleidern,
sonnensprossig und mit Stirnen bleich.

In dem Meer der goldnen Stoppeln segeln
kleine Schiffe, weiß und leicht erbaut;
und in Träumen seiner leichten Weite
sinkt der Himmel wolkenüberblaut.

Weit gerückt in unbewegter Ruhe
steht der Wald wie eine rote Stadt.
Und des Herbstes goldne Flaggen hängen
von den höchsten Türmen schwer und matt.


Georg Heym


Heidi Lachnitt antwortete am 03.10.00 (21:59):

Alle mit Oktober beschäftigt?
............


Wenn der Wind sich dreht

Der Wind weht heute
geraden Weges von Dir zu mir
ich lausche in die Stille
und höre Dich

Die kleine weisse Wolke
hat Dein Gesicht gesehen
und spiegelt es
zu mir

Wenn der Wind sich dreht
und weht von mir zu Dir
halt ein und lausche
meinem Lied
hl


Gerlinde antwortete am 03.10.00 (22:03):

Traum

Es ist immer derselbe Traum:
Ein rotblühender Kastanienbaum,
Ein Garten, voll von Sommerflor,
Einsam ein altes Haus davor.

Dort, wo der stille Garten liegt,
Hat meine Mutter mich gewiegt;
Vielleicht - es ist so lange her -
Steht Garten, Haus und Baum nicht mehr.

Vielleicht geht jetzt ein Wiesenweg
Und Pflug und Egge drüber weg,
Von Heimat, Garten, Haus und Baum
Ist nichts geblieben als mein Traum.


H.Hesse


Sieghard antwortete am 04.10.00 (10:30):

Wolfgang Borchert (1921 - 1947)

Ich möchte Leuchtturm sein
in Nacht und Wind
für Dorsch und Stint
für jedes Boot ---
und bin doch selbst
ein Schiff in Not.


Edith antwortete am 04.10.00 (13:46):

Lynkeus der Türmer

Zum Sehen geboren,
zum Schauen bestellt,
dem Turme geschworen,
gefällt mir die Welt.
Ich blick' in die Ferne,
ich seh' in die Näh
den Mond und die Sterne,
den Wald und das Reh.
So seh' ich in allen
die ewige Zier,
und wie mir's gefallen,
gefall' ich auch mir.
Ihr glücklichen Augen,
was je ihr gesehn,
es sei, wie es wolle,
es war doch so schön!


Ricardo antwortete am 04.10.00 (17:02):

Liebe Gerlinde,
deine Gedichte
strahlen in einem hellen Lichte,
mir haben sie das Herz erfreut,
und deshalb will ich singen heut
ein Loblied hier allen Poeten,
ob in Dörfern oder Städten,
die sich im Forum ein Stelldichein geben,
Hoooooooch sollen sie alle leben!


Heidi Lachnitt antwortete am 04.10.00 (17:22):

Warum ich so gerne hier bei Euch bin:

Seelenflug

"Ich kann fliegen!" rief die Dreijährige
und rannte mit ausgebreiteten Armen
über die bunte Blumenwiese
stolperte und fiel hin
getröstet von der Mutter, noch Tränen auf den Wangen
flüsterte sie "und ich kann doch fliegen!"

"Ich kann fliegen"
aus den Fesseln des Alltags
in eine schönere Welt
mit meinen Gedichten
mit meinen Traumgeschichten
mit den Gedichten die andere geschrieben haben

"Ich kann fliegen"
und meine Finger fliegen über die Tastatur
suchen, schreiben, lesen
finden - eine verwandte Seele
die manchmal zu mir fliegt
in der Nacht

"Ich kann fliegen"
auch wenn ich einst in weissen Tüchern liege
dann werd' ich fliegen
in die Weiten des blauen Himmels
der Sonne entgegen
in eine andere Welt
hl


Heidi Lachnitt antwortete am 04.10.00 (17:40):

- und zweimal Mascha Kaleko:

Worte in den Wind

Du zahlst für jedes kleine Wort auf Erden,
für jedes Mal, da du das Schweigen brichst.
So tief du liebst, wirst du verwundet werden
und mißverstanden, fast sooft du sprichst.
--------

"Mein schönstes Gedicht?
Ich schrieb es nicht.
Aus tiefsten Tiefen stieg es.
Ich schwieg es."

aus "In meinen Träumen läutet es Sturm"
dtv 1977


Ursula Schäfer antwortete am 04.10.00 (21:38):

Haß reimt sich auf Spaß
Liebe auf Triebe, doch auch auf Hiebe.
Herz, das ist der Schmerz.
Brot ist die Antwort auf Not
und auf den Tod.
Gott, ach so nahe dem Spott
oder dem Trott, und Gemeinde reimt sich auf Feinde.
Aber Mensch, darauf kann icm mir nie einen Reim machen.


Heidi Lachnitt antwortete am 04.10.00 (21:43):

Schööön!! Ursula!


Gerlinde antwortete am 04.10.00 (23:01):

Noch einmal sprechen
von der Wärme des Lebens
damit noch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könnte warm werden.

Bevor ich sterbe
noch einmal sprechen
von Liebe
damit noch einige sagen:
Das gab es
das muss es geben.

Noch einmal sprechen
vom Glück der Hoffnung auf
Glück
damit noch einige fragen:
Was war das
wann kommt es wieder?



E.Fried


Ricardo antwortete am 04.10.00 (23:19):

Liebe Gerlinde,
liebe Poeten dieser Seite!

Ich habe euch doch angesprochen, habt ihr denn mein Gedicht
überhaupt nicht gelesen?
Ich hätte mich über eine Reaktion schon gefreut.
Aber das Leid ist des Poeten Schicksal :-(((((((((((((
doch ich habe mir schon selbst gesagt:

TAKE IT EASY.........


Gerlinde antwortete am 05.10.00 (09:32):

Lieber Ricardo,

es tut mir leid. Dein Gedicht hat mich sehr gefreut aber es war schon so spät und in alter Gewohnheit wollte ich noch schnell einen Beitrag leisten (war den ganzen Tag unterwegs). Nicht traurig sein!!!!
Wir sind doch eine eingeschworene Poesiegemeinschaft?
Nochmals vielen Dank und einen schönen Donnerstag!


Sieghard antwortete am 05.10.00 (10:02):


POETENLEID
die Finger deiner Hand sind
Wiener Würstchen aus Elfenbein,
deine Gedichte
strahlen in einem hellen Lichte
deine Lippen sind Hummer auf der
Vorspeiseplatte von Elysium
dein Bauch ist ein hellbrauner
Sperrbezirk
ich beiße in die Scampi
deiner Zunge o mein Flusspferd
ich habe euch doch angesprochen
hat mein Gedicht nicht gut gerochen
oder gar nicht gelesen
ihr macht als wenn nichts gewesen
ich hätte mich über eine Reaktion
gefreut doch das ist fast Illusion
trotz Gemeinschaft eingeschworener
Poeten verlorener
aber das Leid
ist des Poeten Kleid
vornehme Zurückhaltung
des Dünkels Spaltung
take it easy
nimms leicht
der einen Uhl ist der
anderen Nachtigall
des einen Freud
des andern Leid
ein Kommentar
nicht für jeden Star
interpretieren macht Arbeit
Versschmiederei anderer Leut?
Alter schützt vor
Torheit nicht
Wasserkrug macht
alt und klug
gekränkte Kränkung
ist verschenkte Schenkung
Poetinnen und Poeten
die sich im Forum ein Stelldichein geben
hoooooooch sollen sie alle leben


Edith antwortete am 05.10.00 (13:31):

Lieber Ricardo, für Dich:

Ein Dichterfreund in diesem Kreise
hat schön gesungen, uns zum Lob.
So will ich denn in schlichter Weise
ihm danken, weil er uns erhob
in den Poetenstand. Mein Herz gesteht:
der Rührung Träne quillt - ich bin Poet!

;-)))


Ricardo antwortete am 05.10.00 (14:28):

Liebe Poeten
mein Einwand hat also geholfen, der Elfenbeinturm wurde verlassen und ich habe Antworten bekommen...
danke
für Zucker und Salz
Gott erhalts!


Heidi Lachnitt antwortete am 05.10.00 (14:37):

Hallo, Sieghard!
Musste herzlich lachen,beim Lesen Deines Gedichtes!
Wusste garnicht, dass Du auch zu den Dichtern gehörst.


Hallo, Ricardo!
Bist Du nun glücklich? :-)). Wer sitzt denn hier im Elfenbeinturm??

Dürfen wir nun wieder andere Gedichte hereinbringen?


Ricardo antwortete am 05.10.00 (17:01):

Salz statt Zucker
für arme Schlucker


Heidi Lachnitt antwortete am 05.10.00 (17:07):

Leicht abgewandelt:

Brot und Salz
Gott erhalt's
das Salz in der Suppe
macht das Essen erst schön!

Getröstet, Ricardo?


Ricardo antwortete am 05.10.00 (17:11):

Und nun noch ein Gedicht von Whitman, es stand schonmal da, war aber dann verschwunden.

Aus dem wogenden Meer der Menge

Aus dem wogenden Meer der Menge sprang ein Tropfen lieblich zu mir,
Flüsternd: "Ich liebe dich, ich vergehe bald,
Weither bin ich gereist, einzig um dich zu sehen und
dich zu berühren,
Denn ich konnte nicht sterben, ehe ich dich nicht
einmal sah,
Denn ich fürchtete dich hernach zu verlieren."

Nun haben wir uns getroffen und uns gesehen, nun
sind wir geborgen,
Kehre in Frieden zurück in das Meer, mein Geliebtes,
Auch ich bin Teil dieses Meers, mein Geliebtes, wir sind nicht so sehr
voneinander getrennt,
Sieh das erhabene Rund, den Allzusammenhang, wie
vollkommen!
Dich und mich ist die unwiderstehliche See bestimmt
zu trennen,
Für eine Weile uns auseinander zu tragen, doch nicht
für immer;
Habe Geduld - eine kleine Spanne - wisse, ich grüße
die Luft, das Meer und das Land
Jeden Tag bei sinkender Sonne um deinetwillen, Geliebtes.

Aus: Walt Whitman: Grashalme. Deutsch von Hans Reisiger.
Diogenes Verlag, Zürich 1985.


Heidi Lachnitt antwortete am 05.10.00 (17:33):

Es ist immer noch da, Ricardo - aber in der anderen Rubrik.
Zum Dank für Deinen Buchtip ein weiteres von Whitman:

Wie ich hier sitze
gedanken- und sehnsuchtsvoll

Wie ich hier sitze gedanken- und sehnsuchtsvoll,
Will es mir scheinen, dass es andere Männer in anderen Ländern gibt,
gedanken- und sehnsuchtsvoll,
Will es mir scheinen, als könnt ich hinüberblicken und sie
gewahren
in Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien,
Oder fern, fern in China, oder in Rußland und Japan, in
anderen Mundarten redend,
Und will es mir scheinen, wenn ich sie kennte, so würde ich
ihnen verbunden sein, wie den Männern meiner eigenen Länder,
O ich weiss, wir würden Brüder und Liebende sein,
Ich weiß, ich würde glücklich mit ihnen sein.

Aus "Grashalme" (s.o.)


Wolfgang Maul antwortete am 05.10.00 (20:39):

Mal sehen, ob es auch mir gelingt, in den 'Elfenbeinturm' einzudringen. Das wird wohl schwierig werden. Hat es hier doch einen starken Hang zu romantischer Gefühligkeit - in Westmittelbairisch: zvui Gfui. Vielleicht schafft es ja dies kleine Gedichtchen von Hans Fischer in der Sprache eines Teils meiner bayerischen Heimat, dem Versinken im Gemüt ein wenig entgegenzuwirken, und mich hier - zünftig versteht sich - einzuführen:

Boarisch! (von Hans Fischer)

De deutsche Sprach, -sagt ma, -is schwer,
Boarisch aba no vui mehr.
Da hoaßts z. B. nunter, außi, obi oda nei,
was werd da wann wohl richtig sei?
Nach Schwabing fahrt ma obi, nunter gehts ins Tal,
nach Nymphenburg muaßt außi, des stimmt auf jedn Fall.
Nach Augsburg fahrt ma ummi, des hoaßt zu alle Schwabn,
dann werds a bißl schwarer, -jetzt kimmt da große Grabn,
Obi gehts in d'Holledau. nach Reg'nsburg und an Bod'nsee,
an d Isar und in Flaucher, des waar soweit ganz schee.
Da boarisch Wald, des woaß bei uns a jedes Kind,
der is net drobn oda druntn, -der is hint.
Wenn also oana boarisch lerna wui,
der braucht dazua sche ganz vui Gfui,
net bloß fürn Maßkruag in da Hand
und - a Herz für d Leut und s ganze Bayernland.


christl springer antwortete am 05.10.00 (20:56):

Verzeiht, falls dieses Gedicht schon da war, aber ich habe die Übersicht verloren, doch Rilke kann man öfter lesen:

Herbst

Die Blaetter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.


Heidi Lachnitt antwortete am 05.10.00 (21:12):

Für Wolfgang - Ein Gedicht mit "ohne" Gfui! :-))

Horizontale Muse

Sortier ich meine Träumerein
in "leicht beschwingt" und in banale,
So reihen sie sich seltsam ein
in vertik- und horizontale.

Die waagerechte Dimension
- Lang hingestreckt, flachliegend, eben -
Ist Sonne, Regen, Ackerland
für mein so taugenichtses Leben.

Senkrecht, benimmt sich mein Gehirn,
Als wär es am Erweichen.
Doch waagrecht, wird die blöde Stirn
Zum Füllhorn sondergleichen:

Auf Wiesen und Chaisen,
Auf Matten und Betten
Kann ich mich vor lauter Ideen
Nicht retten.

Doch schwindet die Eingebung radikal,
Ergreift mich die Feder, wenn vertikal.

Das Resultat ist deutlich zu sehn:
Obigen Firlefanz schrieb ich im Stehn.

Mascha Kaleko"In meinen Träumen läutet es Sturm"


Sieghard Winter antwortete am 05.10.00 (22:30):

Ein ritter s� gel�ret was,
daz er an den buochen las,
swas er dar an geschriben vant;
der was wolfgang genant.
dienstman was er ze Ouwe.
er nam im manige schouwe
an misl�chen buochen;
dar an begunde er suochen,
ob er iht des funde,
d� mite er swäere stunde
möhte senfter machen,
und von s� gewanten sachen,
das gotes �ren töhte
und d� mite er sich möhte
gelieben den liuten...


Heidi Lachnitt antwortete am 05.10.00 (22:35):

Eindeutig im Stehen geschrieben --
Erbitte Übersetzung, Sieghard!


Sieghard antwortete am 05.10.00 (22:44):

Übersetzung ja,
aber bitte, was heißt
im Stehen?
stehend am Pult?
oder wo?
Bis gleich
sieghard


Heidi Lachnitt antwortete am 05.10.00 (22:47):

siehe letzter Satz des vorherigen Gedichtes! :-))


Sieghard antwortete am 05.10.00 (23:01):

Also, Heidi, alles klar (-_-) (-_-)
hier nun die Übersetzung:

Ein Ritter besaß solche Schulbildung,
dass er in den Büchern lesen konnte,
alles was er darin geschrieben fand.
Er war Wolfgang genannt
und war Lehnsmann zu Aue.
Er sah sich eifrig
in verschiedenen Büchern um
und begann darin zu suchen,
ob er etwas derartiges fände,
womit er bedrückte Stunden
leichter machen könnte
und dass von solchen Dingen handelte,
dass es zu Gottes Ehre taugte,
und womit er sich zugleich
den Menschen angenehm machen könnte.


Trudi antwortete am 05.10.00 (23:02):

Hier ein Text von Peter Grohmann:

Der Fluss des Lebens.
Heute lädt er zum Träumen ein.
Verweile an seinen vielfachen Ufern,
sieh den Wassern nach,
die sich am Horizont verlieren.
Morgen macht er Dich
vielleicht traurig,
lädt zum Nachdenken ein.

Als ich diese Zeilen las, habe ich die Einladung zum Nachdenken angenommen, vielleicht die/der eine oder andere von Euch auch.


Sieghard antwortete am 05.10.00 (23:06):

Du merkst,
der mhd. Text ist weit schöner,
eben poetisch, klangvoller, kunstvoller,
und und und
...

und nun
gute Nacht

...


Sieghard antwortete am 06.10.00 (08:36):

die blumen
des zuckers krumen
von ric
für siegh
hierdurch dir
dank dafür


Wolfgang Maul antwortete am 07.10.00 (21:30):

Heute was für 's Herz. Ein Gedichtchen von Klabund (das ist Alfred Henschke), dessen Gedichte, Songs und Schauspiele in Deutschland in den 20er Jahren sehr bekannt waren. Mir ist danach an solch einem grauen und regnerischen Herbsttag. Vielleicht liest "mein" Mensch diese Zeilen:

Die Menschheit ist ein leeres Wort.
Mein Mensch ist viele Meilen fort.
Er liebet mich. Ich liebe ihn.
Die Wolken ziehn. Die Falter fliehn.
Ein Mond steigt unter Rosen auf.
Nie hört sein Mund zu kosen auf.

(aus: Das heisse Herz. Balladen Mythen Gedichte von Klabund, Berlin 1922)

(Internet-Tipp: https://userpage.fu-berlin.de/~nylk/Klabund/)


Heidi Lachnitt antwortete am 07.10.00 (21:52):

Etwas für's Herz! - tut das gut, Wolfgang. Ich hoffe "Dein" Mensch hat's gelesen.

Mascha Kaleko hat etwas für "meinen" Menschen geschrieben:

Sonett in Dur

Ich frage mich in meinen stillen Stunden
Was war das Leben, Liebster, eh du kamst
Und mir den Schatten von der Seele nahmst.
Was suchte ich, bevor ich dich gefunden?

Wie war mein Gestern, such ich zu ergründen,
Und sieh, ich weiß es nur noch ungefähr.
So ganz umbrandet mich das Jetzt, dies Meer,
In das die besten meiner Träume münden.

Vergaß ich doch, wie süß die Vögel sangen,
Noch eh du warst, der Jahre buntes Kleid
Mir blieb nur dies von Zeiten, die vergangen:
Die weißen Winter und die Einsamkeit.

Sie warten meiner, läßt du mich allein.
Und niemals wieder wird es Frühling sein.


Sieghard antwortete am 07.10.00 (22:28):

Wolfgang: Frage mit Klabund
Heidi: Antwort mit Mascha Kaleko

bisweilen suche ich,
was [wen] es nicht gibt
hier und jetzt
zumindest nicht
dann tröstet vielleicht

Schillers Gedicht "Der Pilgrim"
hier nur die 9. Strophe:

Ach kein Steg will dahin führen,
Ach der Himmel über mir
Will die Erde nie berühren,
Und das Dort ist niemals hier!


Waltraud antwortete am 08.10.00 (00:23):

Falls hier jemand unter uns ist, der gerade Geburtstag hat, dem möchte ich diese Zeilen widmen:

Gute Wünsche

Ein jeder Tag im neuen Jahr
soll Dir ein kleines Lächeln schenken.
An jedem Tag im neuen Jahr
soll einer liebend an Dich denken.
Denn jeden Tag im neuen Jahr
sollst Du den frohen Mut behalten.
Für jeden Tag im neuen Jahr
will ich Dir gern die Daumen halten.
Zu jedem Tag im neuen Jahr
sollst Du gesund und froh erwachen.
Weil jeden Tag im neuen Jahr
die and�ren warten auf Dein Lachen.
Mit jedem Tag im neuen Jahr
sollst Du ein wenig weiter reifen.
Auf jeden Tag im neuen Jahr
sollst Du, wenn er nicht taugte, pfeifen.
Am letzten Tag im neuen Jahr
magst Du noch einmal rückwärts schauen -
Ein neuer Tag, ein neues Jahr
nimm�s hin und dank� und hab Vertrauen.


Heidi Lachnitt antwortete am 08.10.00 (12:06):

Ein Gedicht aus vergangenen Zeiten, gleicher Titel, Sieghard:

Suche

Es gibt einen leeren Platz in meinem Herzen
den niemand je hat ausgefüllt.
Ein blinder Fleck auf meiner Seele
schmerzt -
ich weiß nicht welche Art von Schmerz das ist.
meine Gedanken laufen Marathon -
kein Ziel in Sicht.
Ich wünsche mir - Nähe
doch bei dem Gedanken verletzt zu werden
schweige ich

Es gibt einen leeren Platz in meinem Herzen ...


hl/49


Edith antwortete am 08.10.00 (13:19):

... und noch ein tröstlicher Schluß eines langen Gedichtes von Schiller, in dem er die abhanden gekommenen Ideale seiner Jugend betrauert:

Von all dem rauschenden Geleite
wer harrte liebend bei mir aus?
Wer steht mir tröstend noch zur Seite
und folgt mir bis zum finstern Haus?
Du, die du alle Wunden heilest,
der Freundschaft leise, zarte Hand,
des Lebens Bürden liebend teiltest,
du, die ich frühe sucht' und fand.

Und du, die gern sich mit ihr gattet,
wie sie der Seele Sturm beschwört,
Beschäftigung, die nie ermattet,
die langsam schafft, doch nie zerstört,
die zu dem Bau der Ewigkeiten
zwar Sandkorn nur für Sandkorn reicht,
doch von der großen Schuld der Zeiten
Minuten, Tage, Jahre streicht.

Aus: Die Ideale


Sieghard antwortete am 08.10.00 (15:45):

Hier eine ganz kleine
Goethe-Parodie:
Wer kennt das ganze Werkchen?

Sankt Edah war nicht aufgeräumt
sie hatte soeben beim Schreiben geträumt
so was vom Regiment im Forum
per omnia s�cula s�culorum
und dann mit Zepter und Kron
so eine endgültige Inthronisation
denn im Kopf hat das keine Schranken
das waren so ihre liebsten Gedanken


Wolfgang Maul antwortete am 08.10.00 (23:25):

Ja, Sieghard, gute Idee... warum eigentlich keine Parodie. Damit 's auch mal a weng lustig ist. - Hier ist noch eine. Sie ist von der aus der Schweiz stammenden Schriftstellerin Grethi T.Tunnwig und nimmt Hermann Hesses Gedicht "Liebeslied" auf 's Korn:

Liebeslied

Ich bin der Hirsch und du das Reh,
Der Ast bist du und ich der Baum,
Die Sonne ich und du der Schnee,
Ich bin der Tag und du der Traum.
Die Zeit bin ich und du der Raum.
Du bist das Nichts und ich das Kaum!

Ich bin der Deckel, du der Topf,
Der Hals bin ich und du der Kropf.
Ich bin der Zapfen, du der Spund,
Die Hündin du und ich der Hund.
Du bist das Ach und ich das Weh:
Ich bin der Hess und du das E.


IRIS Berghaus antwortete am 09.10.00 (17:24):

Etwas "herzliches", was aus Kindertagen haften geblieben ist.Für Wolfgang und "seinen" Menschen:
Herz, mein Herz, sei nicht beklommen
und ertrage dein Geschick.
Neuer Frühling gibt zurück,
was der Winter dir genommen.
Und wie VIEL ist dir geblieben!
Und wie schön ist noch die Welt!
Und, mein Herz, was DIR gefällt,
ALLES, ALLES
darfst DU Lieben.


Heidi Lachnitt antwortete am 09.10.00 (19:08):

Johann Wolfgang v.Goethe (keine Parodie)

Beherzigung

Feiger Gedanken
Bängliches Schwanken,
Weibisches Zagen,
�ngstliches Klagen
Wendet kein Elend,
Macht dich nicht frei.

Allen Gewalten
Zum Trotz sich erhalten,
Nimmer sich beugen,
Kräftig sich zeigen,
Rufet die Arme
Der Götter herbei


Heidi Lachnitt antwortete am 09.10.00 (19:52):

und noch einmal Mascha Kaleko
aus 'Das Buch der Gedichte" Conrady, Cornelsen

Katzenjammer-Monolog

Zuweilen möchte man aus sich heraus
Und kann die Tür ins Freie doch nicht finden.
Dann schnüffelt man vielleicht mal nach den Gründen
Und kriecht noch tiefer in sein Schneckenhaus.

Man müßte noch so vieles tun. Und manches lassen.
Und kann das eine wie das andre nicht.
Man denkt an manche unerfüllte Pflicht,
Bis sich die Dinge dann mit uns befassen.

So vieles tut man rasch in Acht und Bann
Mit Augen, die geschlossen schon erblinden.
Doch auch das Schicksal hat so dann und wann
Auf unserm Konto Unterlassungssünden.

Mitunter scheints, man sei nun endlich da.
- Am Ziel, von dem man schüchtern nur geträumt hat -
Da plötzlich merkt man, daß man was versäumt hat,
ein dummes Etwas nur. Beinah... beinah.

Wenn man ein zweites Mal geboren würde,
Dann finge man das Leben anders an.
- Vielleicht, daß dann so manches anders würde...
(Vorausgesetzt, daß man vergessen kann -)

Daß man vergessen kann, was man erfahren.
Man horcht sehr oft zu viel in sich herum.
Am besten wär es, klug zu sein und stumm.
Man ist zuweilen alt mit zwanzig Jahren.


Sieghard antwortete am 09.10.00 (22:19):


Hesses "Liebeslied" kenne ich leider nicht.
Im umgekehrten Falle könnte ich die
Parodie von G.T.Tunnwig besser würdigen.
Könntest du, Wolfgang, Hesses "Liebeslied"
ins Forum stellen?
--------------------------------------------

Es folgt ein kleines Gedicht:
Wer kennt es?

Himmel blau
Sonne gelb
wärmt die Welt

Wolken grau
Regen blau
tränkt die Welt

Sonne rot
Herz voll Glut
liebt die Welt


Heidi Lachnitt antwortete am 10.10.00 (13:40):

Farbspiele Sieghard? :-)) - Wer kennt dieses Gedicht?

Hochrot
Du innig Rot,
Bis an den Tod
Soll meine Lieb dir gleichen,
Soll nimmer bleichen,
Bis an den Tod,
Du glühend Rot,
Soll sie dir gleichen.


Sieghard antwortete am 10.10.00 (15:32):

Heidi klar (Karoline v. Gündrode)
und danke, mehr als Farbspiele!

----------------------------------------------------

Zum Thema "suchen, finden
und doch nicht finden"
waren mehrere gültige Texte
ins Forum gestellt worden,
u.a. von Heidi, Edith, Wolfgang,
Trudi, Waltraud.
Hier ein weiterer von Augustinus:

Ibi vacabimus et videbimus,
videbimus et amabimus,
amabimus et laudabimus.
Ecce quod erit in fine sine fine.

Übersetzung:
Dort werden wir wohnen und schauen,
schauen und lieben,
lieben und loben.
Siehe was im Ende sein wird ohne Ende.


Sieghard antwortete am 10.10.00 (15:51):

Heidi, das vorvorige, du kennst es,
es ist ja deins!

Wolfgang, hat Warten auf den
Hesse noch Sinn? Ich hoffe


Gerlinde antwortete am 10.10.00 (20:12):

Ich träume wieder von der Unbekannten,
die schon so oft im Traum vor mir gestanden.

Wir lieben uns, sie streicht das wirre Haar
mir aus der Stirn mit Händen wunderbar.

Und sie versteht mein rätselhaftes Wesen
und kann in meinem dunklen Herzen lesen.

Du fragst mich:ist sie blond? Ich weiß es nicht.
Doch wie ein Märchen ist ihr Angesicht.

Und wie sie heißt? Ich weiß nicht. Doch es klingt
ihr Name süß, wie wenn die Ferne singt -

Wie Eines Name, den du Liebling heißt
und den du ferne und verloren weißt.

Und ihrer Stimme Ton ist dunkelfarben
wie Stimmen von Geliebten, die uns starben.


H.Hesse


Wolfgang Maul antwortete am 11.10.00 (11:23):

Sieghard... Dein Warten hatte Sinn. :-) Hier ist Hesses "Liebeslied" (der hat übrigens mehrere unter dem Titel geschrieben). Aber die Parodie bezieht sich auf die erste Strophe von diesem hier:

Liebeslied (von Hermann Hesse / 1920)

Ich bin der Hirsch und Du das Reh
Der Vogel Du und ich der Baum
Die Sonne Du und ich der Schnee
Du bist der Tag und ich der Traum

[...]


Iris Berghaus antwortete am 11.10.00 (14:04):

Für Engel suchende

Du suchst einen Engel?
Was stellst Du Dir vor?
Ist er blond oder braun?
Groß oder klein?

Ist er dick oder dünn?
Schwach oder stark?
Ist er herb oder Süß?
Oder ist er aus Stein?

Zufällig begegnest Du ihm,
er gleicht einem Traum.
Sekunden verfliegen,
Du merkst es kaum.

Er ist voller Freude
und dreht richtig auf.
Doch Du gehst vorüber,
machst nicht mal die Augen auf.

Jetzt ist dieser Engel ein Pflänzchen am Wege.
Unscheinbar und klein,
wollt für Dich wachsen und Dein Engel der Liebe sein.

Du siehst ihn nicht... und trittst leise drauf.
Der Engel ist`s müde und gibt sich ganz auf.

Du gehst weiter und träumst nebenbei.....
"Ach könnt ich ihn finden...egal wie er sei!"


Friedgard Seiter antwortete am 11.10.00 (20:52):

Eine Woche nur war ich weg - und 68 (in Worten: Achtundsechzig!) Mails warteten auf mich - meistens Gedichte -
Gedichte! -
Heute erst kam ich dazu, sie alle zu lesen - es ist herrlich, wie dieser Quell sprudelt!

Christian Morgenstern - (Ihr wißt ja inzwischen, daß er zu meinen Lieblingen gehört ----):

Getrennter Liebender Gebet zueinander

Komme auch heute zu mir,
bleibe auch heute bei mir.

Begleite jeden meiner Schritte,
heilige mir jeden Schritt.

Hilf mir, daß ich nicht in Stricke
falle noch strauchle.

Hilf mir stark und schön bleiben,
bis ich dich nächsten Morgen wieder bitte.

Durchdringe mich ganz mit deinem Licht,
das du bist.
Wohne in mir wie das Licht in der Luft.

Auf daß ich ganz dein sei,
auf daß du ganz mein seist
auch diesen Tag.


Heidi Lachnitt antwortete am 11.10.00 (21:38):

Mascha Kaleko

Liebeslied

Wenn du mich einmal nicht mehr liebst,
Laß mich das ehrlich wissen.
Dass du mir keine Lüge gibst
Noch Trug in deinen Küssen!

Dass mir dein Herz die Treue hält,
Musst du mir niemals schwören.
Wenn eine andre dir gefällt,
Sollst du nicht mir gehören.

Wenn du mich einmal nicht mehr magst,
Und geht mein Herz in Scherben -
Dass du nicht fragst, noch um mich klagst!
Ich kann so leise sterben.


Sieghard antwortete am 11.10.00 (21:52):


welch ein Reichtum ach zu dumm
Reichtum Siechtum Witwentum
welch ein Reichtum dideldum
Reichtum Deutschtum Dichtertum
welch ein Reichtum rundherum
Reichtum Konsum Künstlertum
welch ein Reichtum wiederum
Reichtum Psycho-Pharmakum
welch ein Reichtum noch posthum


Heidi Lachnitt antwortete am 12.10.00 (17:32):

vom gestrigen Herbstspaziergang mitgebracht:

die letzten Farben des Herbstes

ich lasse meinen Blick
in Wolkengebirgen spazierengehen
- den Wind in meinem Haar

sehe dunkle Stämme wie Gitterstäbe
in der Mitte des Käfigs stehen
- die Spitzen gelb gekrönt

will Farben mit den Augen trinken
grüngelb, rotgold und braun und blau
- der Becher neigt sich bald

und rotglänzenden Lack
im dunkelgrünen Moose finden
- zum letzten Mal.
hl


Waltraud Heise antwortete am 13.10.00 (00:51):

^Herbsterkenntnis

Ich steh am Weiher, der mit stumpfem Glanz
vor meinen Blicken ausgebreitet liegt.
Der Nebel braut und fern sind Spiel und Tanz
und Fröhlichkeit und Singen sind versiegt.
Kalt ist`s geworden in und außer mir,
der Sommer ist so hie wie dort vorbei.
Und frag mich plötzlich, warum steh ich hier?
Was warte ich? Es wird so schnell nicht Mai.
Und weiter sinn ich, schaue auf das Laub
das sterbensmüd vom Baume niederfällt.
Was wird mit ihm, so frag ich, es wird Staub,
und da erkenne ich den Sinn der Welt.
Zwar wird der Baum geschmückt mit neuem Grün,
und nichts wird fehlen an der früh`ren Pracht.
Es ruhn die Wandrer, die vorüberziehn
und seine Zweige rauschen in der Nacht.
Und keiner ist, der jemals danach fragt
warum er nicht sein altes Laub mehr trägt,
und nur der Mensch erlaubt sich, daß er klagt,
weil jeder sich einmal zum Sterben legt.
Für ewig ist nun mal auf Erden nichts.
Ein neuer Mai kommt, doch wir bleiben alt.
Bis einst am Tage jenes Weltgerichts
wir neu erstehn durch Gottes Allgewalt.

WH


Gerlinde antwortete am 13.10.00 (09:06):

Du

Wo keine Freiheit ist
bist du die Freiheit
wo keine Würde ist
bist du die Würde
wo keine Wärme ist
keine Nähe von Mensch zu Mensch
bist du die Nähe und Wärme
Herz der herzlosen Welt.

Deine Lippen und deine Zunge
sind Fragen und Antwort
in deinen Armen und deinem Schoß
ist etwas wie Ruhe

Jedes Fortgehenmüssen von
dir
geht zu auf das
Wiederkommen
du bist ein Anfang der
Zukunft
Herz der herzlosen Welt

Du bist kein Glaubensartikel
und keine Philosophie
keine Vorschrift und kein Besitz
an den man sich klammert
du bist ein lebender Mensch
du bist eine Frau
und kannst irren und
zweifeln und gut sein
Herz der herzlosen Welt


Erich Fried


Heidi Lachnitt antwortete am 13.10.00 (12:02):

Ein Trost, Gerlinde - Danke!

Hier ein weiteres Gedicht von Erich Fried:

Frau Welt

Ich bin
zur Welt
gekommen
und bin nun
endlich so weit

laut
zu fragen
wie ich
dazukomme
zu ihr zu kommen

Sie kommt
und sagt leise:
Du kommst nicht
du bist schon
im Gehen

Erich Fried, 'Die bunten Getüme', Fischer-Verlag


Sieghard antwortete am 13.10.00 (14:55):

Joseph von Eichendorff (1788-1857)

Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.


Heidi Lachnitt antwortete am 13.10.00 (17:35):


Die Poesie der Erde kennt kein Schweigen;
Wenn alle Vögel, matt von Sonnenglut,
sich flüchten in der kühlen Wipfel Hut,
Hört man's auf frisch gemähten Wiesen geigen.
Das ist die Grille. Sie führt an den Reigen
In Sommers Überfluss; denn niemals ruht
Sie aus in dem, was nur aus Lust sie tut,
Geniessst selbst noch die Ruhe unter Zweigen.

Die Poesie der Erde, sie schweigt nie.
An langen Winterabenden, wenn frierend
Die Welt verstummt, erklingt aus dem Kamin
Des Heimchens Lied, die warme Melodie,
Und wer ihr lauscht, in Träume sich verlierend,
Hört Grillenlieder über Wiesen ziehn.

John Keats (1795-1821)

übersetzt v. Hans-Dieter Gelfert
in 'Hundert englische Gedichte' (dtv)


Heidi Lachnitt antwortete am 13.10.00 (21:23):

Ich weiß auch nicht warum mir immer am Abend diese traurigen Gedichte einfallen? Aber besser Liebeskummer mit Mascha Kaleko als rabenschwarzes von hl :-))

Solo für Frauenstimme

Wenn du fortgehst, Liebster, wird es regnen,
Klopft die Einsamkeit, mich zu besuchen.
Und ich werde meinem Schicksal fluchen.
Deine Tage aber will ich segnen.

Du drangst wie Sturmwind in mein junges Leben,
Und alle Mauern sanken wie Kulissen.
Du hast das Dach von meinem Haus gerissen.
Doch neuen Schutz hast du mir nicht gegeben.

So starb ich tausendmal. Doch da du kamst,
Mocht ich das Glück, dir nah zu sein, nicht stören.
Wie aber solltest du mein Schweigen hören,
Da du doch nicht einmal mein Wort vernahmst...


Heidi Lachnitt antwortete am 13.10.00 (21:54):

Kann ich so nicht stehen lassen - aller guten Dinge sind drei - bevor ich mich mit Friedgarts "Juwelen" zu Bett begebe - eines dass ich noch nicht hier gelesen habe:

Glücksmomente

Mit den Schmetterlingen tanzen,
mit dem Wind auf Reisen gehn,
mit den Bienen Honig sammeln,
mit der Sonne auferstehn,
mit den Wassern talwärts rauschen,
mit den Kindern Märchen lauschen,
mit den Wolken segelfliegen,
mit den Blättern sanft sich wiegen,
mit der Erde Regen trinken
und mit Sternen traumversinken.

Friedgart Seiters, "Jeder Augenblick ist ein Juwel"

Ich wünsche allen eine gute Nacht


Heidi Lachnitt antwortete am 14.10.00 (11:18):

heute morgen, 6.00 h:

Oktobermorgen

Menschen, Häuser, Bäume, Berge
und meine Gedanken
versunken im Nebel
grau, feucht und kalt

ein unerklärlicher Schmerz
schneidet in meinem Inneren
die Träume entzwei
Oktober...

hl
------------------
Jetzt um 11.00h strahlt die Sonne wieder vom Himmel und:

Ein neuer Tag

Der Himmel
hat sein schwarzes Tuch abgelegt
den blauen Morgenmantel angezogen
blinzelt und
reibt sich die Sterne aus den Augen

die Sonne wärmt den Morgencaf�
ein neuer Tag beginnt
ein neues Lied
hl


Ilse Fahl antwortete am 14.10.00 (21:23):

Die Ameisen

In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee,
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Dann auf den letzten Teil der Reise.

Joachim Ringelnatz


Ilse Fahl antwortete am 14.10.00 (21:32):


Selbstkritik

Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich;
so hab' ich erstens den Gewinn,
daß ich so hübsch bescheiden bin;
zum zweiten denken sich die Leut,
der Mensch ist lauter Redlichkeit;
auch schnapp' ich drittens diesen Bissen
vorweg den anderen Kritiküssen;
und viertens hoff' ich außerdem
auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es dann zuletzt heraus,
daß ich ein ganz famoses Haus.

Wilhelm Busch


Wolfgang antwortete am 15.10.00 (11:46):

Hier ein Gedicht von Hermann Hesse: Mon R�ve Familier (Aus dem Französischen des Paul Verlaine):

Ich träume wieder von der Unbekannten,
Die schon so oft im Traum vor mir gestanden.

Wir lieben uns, sie streicht das wirre Haar
Mir aus der Stirn mit Händen wunderbar.

Und sie versteht mein rätselhaftes Wesen
Und kann in meinem dunklen Herzen lesen.

Du fragst mich: ist sie blond? Ich weiß es nicht.
Doch wie ein Märchen ist ihr Angesicht.

Und wie sie heißt? Ich weiß nicht. Doch es klingt
Ihr Name süß, wie wenn die Ferne singt -

Wie Eines Name, den du Liebling heißt
Und den du ferne und verloren weißt.

Und ihrer Stimme Ton ist dunkelfarben
Wie Stimmen von Geliebten, die uns starben.

(aus: Hermann Hesse, Gesammelte Werke in zwölf Bänden, Erster Band)


Heidi Lachnitt antwortete am 15.10.00 (12:23):

schon erstaunlich,Wolfgang! Hier für die "Franzosen" unter uns der französische Text:

Mon R�ve Familier

Je fais souvent ce r�ve �trange et p�n�trant
D'une femme inconnue, et que j'aime, et qui m'aime,
Et qui n'est, chaque fois, ni tout � fait la m�me
Ni tout � fait une autre, et m'aime et me comprend.

Car elle me comprend, et mon c�ur, transparent
Pour elle seule, h�las ! cesse d'�tre un probl�me
Pour elle seule, et les moiteurs de mon front bl�me,
Elle seule les sait rafra�chir, en pleurant.

Est-elle brune, blonde ou rousse ? Je l'ignore.
Son nom ? Je me souviens qu'il est doux et sonore
Comme ceux des aim�s que la Vie exila.

Son regard est pareil au regard des statues,
Et, pour sa voix, lointaine, et calme, et grave, elle a
L'inflexion des voix ch�res qui se sont tues.

Einen schönen Sonntag wünsche ich allen

(Internet-Tipp: https://poetes.com/verlaine/revefam.htm)


Sieghard antwortete am 15.10.00 (18:56):

Rose Ausländer [1901-1988]

Almosen

Ich gehe von Haus zu Haus
Bettelmönch
Brotworte sammeln

Goldmünzen
mit stolzen Köpfen
ich grüße sie
bitte um Spende

Sie sehen an mir vorbei und
lächeln

In meine Almosenschale
fällt Schnee


Heidi Lachnitt antwortete am 15.10.00 (19:39):

Eichendorff, 'Der Einsiedler' - dritter Vers:

O Trost der Welt, du stille Nacht!
Der Tag hat mich so müd gemacht,
Das weite Meer schon dunkelt,
Laß ausruhn mich von Lust und Not,
Bis daß das ewge Morgenrot
Den stillen Wald durchfunkelt

Ich wünsche allen Einsamen eine gute Nacht


Ilse Fahl antwortete am 16.10.00 (01:22):


Ich schlaf' nicht gern auf weichen Daunen,
Denn statt des Märchenwaldes Raunen
Hör' ich die geliebten kleinen,
Gerupften Gänschen bitter weinen,
Sie kommen an mein Bett und stöhnen,
Und klappern frierend mit den Zähnen,
Und dieses Klappern klingt so schaurig,
Wenn ich erwache bin ich traurig !

Heinz Erhardt


Ilse Fahl antwortete am 16.10.00 (09:04):


Reihen - Stühle, weiche -harte
Eintritt gegen Eintrittskarte,
Damen viel - von Puder blasse,
Und Programme an der Kasse,
Leute strömen, viele kenn' ich,
Garderobe zwanzig Pfennig,
Sängerin macht: mi-mi-mi,
Impressario tröstet sie.
Und dann öffnet sie den Mund
Erst oval und dann ganz rund,
Und mit Hilfe ihrer Lungen
Hat sie hoch und laut gesungen,
Sie sang Schumann, linke Brahms,
Der Beginn war acht Uhr ahms.
Und zum Schluß, da ging man bebend,
Aber froh, daß man noch lebend,
Heim und legt sich müde nieder!
Morgen singt die Dame wieder!
Hein Erhardt


Gerlinde antwortete am 16.10.00 (09:33):

Neuer Tag



Auferstanden vom Schlaf
gesättigt vom Traum
sind wir da
und fordern den Tag.

Schöneres kann uns nicht blühn
als der Baum vor dem Hause
des Nachbarn.
Begabter können die Sinne nicht sein
als Wahrzunehmen
was uns gebührt.


E.Borchers


Ilse Fahl antwortete am 16.10.00 (11:21):

Und noch ein Gedicht.....


Im Wasser schwimmt ein Gummischwamm,
Denn es ist Samstag und ich bade,
Zwei Zähne fehlen mir - am Kamm,
Es duftet laut nach Haarpomade,
Das Wasser tropft im Abflußrohr,
Der Stöpsel scheint nicht recht zu schließen,
Ich habe Seifenschaum im Ohr
Und Hühneraugen an den Füßen,
Das Wasser ist schon stark getrübt,
Nur mühsam wälzen sich die Fluten,
Ich bin seid vorgestern verliebt,
Da hilft kein Blasen und kein Tuten!

Heinz Erhardt


Ilse Fahl antwortete am 16.10.00 (11:49):

Habt Ihr auch soviel Spaß am Erhardt? Hier noch ein - leider in meinem Gedächtnis etwas amputhiertes Gedicht! Aber sooo herrlich!

In �gyptens großer Wüste,
Wenn de reinkommst,dann gleich links
Steht versonnen eine Büste,
Ganz aus Stein, das ist die Sphinx,
Vorn hat sie 'ne Hasenscharte,
Schuld daran ist Bonapart',
Weil er sie .......(Vergessen!)
..........Getroffen hat!


Auch:Heinz Erhardt


Heidi Lachnitt antwortete am 16.10.00 (18:59):

Erinnerung an den Frühling!



William Wordsworth (1807):

Ich ging allein, den Wolken gleich,
Die über Tal und Hügel fliegen,
Da sah ichjäh vor mir ein Reich
Von goldenen Narzissen liegen.
Am See auf waldgesäumter Wiese
Wogten im Tanz sie in der Brise

Wie nachts am Firmament der Schein
Sich flimmernd dehnt zu ferner Flucht,
Erstreckten endlos ihre Reih'n
Sich am Gestade einer Bucht.
Zehntausend warns auf einen Blick,
Keck warfen sie den Kopf zurück

Die Wellen tanzten mit, doch sie
warn heitrer als der Wellen Glanz.
Ein solches Bild von Harmonie
Füllt eines Dichters Seele ganz.
Ich sah und sah, kaum dass ich dachte,
Wie reich mich dieser Anblick machte.

Oft, wenn auf meiner Couch ich ruh,
In heitrer oder trüber Zeit,
Blitzt mir ihr Bild von innen zu,
Beseligt meine Einsamkeit.
Dann jauchzt mein Herz, neu hingerissen,
Und tanzt vergnügt mit den Narzissen.


Gerlinde antwortete am 16.10.00 (23:05):

Klarer Herbsttag


Wieder siehst du voll Wehmut im Teich
sich spiegeln den braunen Baum
und stehst frauenhaft weich
vor den Herbstzeitlosen am Waldessaum.

Kann denn die Blume für deine Schuld?
Der Baum für deine Unzulänglichkeit?
Warum buhlt
mit dem Herbst deine Traurigkeit?

Sieh nur in dich!
Da ist der Stachel und sein Grund.
Du einziglich
bist davon wund.

In schluldlosem Gleichmaß das Leben ringsum
hat seinen Tod und neu seines Werdens Kraft.
Dich aber zieht dein Menschentum
furchtbar zur Rechenschaft.


Josef Weinheber


Friedgard Seiter antwortete am 17.10.00 (08:23):

Eine alte Dame, die viel gelitten hatte, sagte einmal zu mir: "Man kann sich auch in seine eigene Trauer verlieben..."
Darum:

Matthias Claudius: Täglich zu singen

Ich danke Gott und freue mich
Wie's Kind zur Weihnachtsgabe,
Daß ich bin, bin! Und daß ich dich,
Schön menschlich Antlitz! habe;

Daß ich die Sonne, Berg und Meer,
Und Laub und Gras kann sehen,
Und abends unterm Sternenheer
Und lieben Monde gehen;

Und daß mir dann zumute ist,
Als wenn wir Kinder kamen
Und sahen, was der heil'ge Christ
Bescheret hatte, Amen!

Ich danke Gott mit Saitenspiel,
Daß ich kein König worden;
Ich wär geschmeichelt worden viel,
Und wär vielleicht verdorben.

Auch bet ich ihn von Herzen an,
Daß ich auf dieser Erde
Nicht bin ein großer reicher Mann,
Und auch wohl keiner werde.

Denn Ehr und Reichtum treibt und bläht,
Hat mancherlei Gefahren,
Und vielen hat's das Herz verdreht,
Die weiland wacker waren.

Und all das Geld und all das Gut
Gewährt zwar viele Sachen;
Gesundheit, Schlaf und guten Mut
Kann's aber doch nicht machen.

Und die sind doch, bei Ja und Nein!
Ein rechter Lohn und Segen!
Drum will ich mich nicht groß kastein
Des vielen Geldes wegen.

Gott gebe mir nur jeden Tag,
Soviel ich darf zum Leben.
Er gibt's dem Sperling auf dem Dach;
Wie sollt er's mir nicht geben!


Sieghard Winter antwortete am 17.10.00 (10:07):

Lügen haben kurze Beine
ich lüge nicht denn ich bin reine
belüge nicht mal den Herrn Schmitt
schon gar nicht mich igittigitt


Wolfgang Maul antwortete am 17.10.00 (10:52):

Ein Gedicht von Hermann Hesse - vielleicht nicht gerade auf'd Nacht gut zu lesen :-( , aber das richtige, um damit in den Tag zu gehen, wenn sich der Nebel gelöst hat. :-)

Im Nebel (von Hermann Hesse)

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein.
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war,
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist einsam sein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.


Koloman Stumpfögger antwortete am 17.10.00 (11:36):

Sonntag im November


Wenn morgens um acht
kein Laut zu vernehmen ist,
frag nicht warum.

Ein weißer Vorhang
verbirgt den Hang und den Wald
im lichten Schleier.

Vergeblich lausch ich
nach Schritten und Geräuschen
in dichtem Nebel.


von Koloman Stumpfögger


Koloman Stumpfögger antwortete am 17.10.00 (11:59):

Novembermorgen


Im Spinnennetz vor der Scheibe
ein Birkenblatt;
Traumfarbensatt.

Der Kinderflaum auf den Dingen
im Morgenlicht.
Meine Seele in tönenden Ringen;
sternspärendicht.

von Catarina Carsten

Quellenachweis:
Catarina Carsten,
"Im Labyrinth der tausend Wirklichkeiten",
Seite 92,
Edition Doppelpunkt, Wien, 1999


Koloman Stumpfögger antwortete am 17.10.00 (12:15):

Rosenranke


Sie klopft ans Fenster,
ans Küchenfenster,
jahrüber.

Mit Blättern, Blüten,
mit dürren Zweigen,
froststarr.

Sie klopft ans Fenster,
sie lehrt die Jahreszeiten
und mehr.

von Catarina Carsten

Quellnachweis:
Catarina Carsten
"Im Labyrinth der tausend Wirklichkeiten",
Seite 113,
Edition Doppelpunkt, Wien, 1999


Iris Berghaus antwortete am 17.10.00 (14:43):

Wolfgang, ich bin der Meinung,wenn ganz viel Sonne
im Herzen gespeichert ist, lassen sich die grauen Nebeltage viel besser ertragen und aushalten,ja, man
erkennt die Menschen, die da sind, und ist nicht mehr allein. .

Für alle Optimisten unter uns nun ein


Lied für die Hoffnung

Mein Kartenhaus ist wieder eingestürzt,
weil der Wind von mehr als einer Seite kam.
Alle Farben sind jetzt übermalt,
mir bleibt ein schwarzes Loch.....und eine Hand.

Will ich sie heben,wird sie schwer wie Blei
und sie quält sich, etwas Neues zu bau`n
Ich weiß, ich könnte, wenn ich wollte,
doch wollen können, kann ich nicht...mir fehlt der Mut, mich mich zu trau``n

Hinter mir zerschmettertes Glas und Porzellan,
vor mir zerspringt der Spiegel, indem ich mich sonst sehen kann.
Und ich steh bebend mittendrin,
immer noch lebend, zwischen den Scherben. Wohin?

Ich mach die Augen zu und lasse mich fallen.
Ich hoffe jemand fängt mich auf.
Ich dreh`mich im Kreis mit verbundenen Augen,
bis mir jemand die Richtung zeigt.

Du bist da und streichst mir übers Haar.
Du fängst mich auf, wie warmer, weicher Sand.
Du beatmest mich mit allem Was DU bist.
Ich fühl die Kraft zurück in meiner Hand.

Wenn ich Dich so spüre, dann kommt die ganze Welt zum Stehen.
könnt mit Dir zusammen barfuß durch Scherbenmeere gehen.
Denn die Wunden heilen mit der Zeit.
Doch Du und Ich erleben zu Zweit. Trotz aller Scherben. ZU ZWEIT.

Ich mach`die Augen zu und lasse mich fallen.
Ich weiß, Du fängst mich auf.
Ich dreh mich im Kreis, mit verbundenen Augen,
bis DU mir die Richtung zeigst.

Du machst die Augen zu und läßt Dich fallen.
Und Du weißt, ich fang Dich auf.
Du drehst Dich im Kreis, mit verbundenen Augen,bis ich Dir die Richtung zeig.

Mach die Augen zu und laß Dich fallen......


Lorbass aus Ostpreussen antwortete am 17.10.00 (21:34):


Meine Spiritualität

Sind meine Zaertlichkeiten
Sind meine Schmerzen
Ist meine Liebe

Fur mich
Fuer Dich

Lorbass

(Internet-Tipp: https://geocities.com/lorbass_mpls)


Heidi Lachnitt antwortete am 17.10.00 (23:28):

Gedichte Gedichte - aneinandergereiht

Schläft ein Lied in allen Dingen
- das Leid der Erde, es schweigt nie
So sollst Du nun die Worte hören:
Statt mit den Sternen im Traum zu versinken
schneidet mein Lied Deine Träume entzwei

Ein neues Lied - von unbekanntem Leid
nur Worte, aneinander gereiht
Ihr hört an mir vorbei
und in die Almosenschale
- fällt Schweigen

O Trost der Welt, du stille Nacht
das Schreiben hat mich müde gemacht
Nehmt wahr - was Euch gebührt
Das Leid - endlos in seinen Reih'n
spiegelt sich in meinem Sein

Wer trägt die Schuld für Unzulänglichkeit
Verliebt in Leid und Schmerz?
Weil ich ein menschlich Antlitz hab'?
Gott gebe uns allen jeden Tag
Die Würde des Menschen und Liebe zu ihm

..seltsam im Nebel zu wandern!
Leben ist einsam sein
Kein Mensch kennt den andern
Jeder ist allein

Ich mach' die Augen zu
und lass' mich fallen.....

hl


Heidi Lachnitt antwortete am 18.10.00 (08:26):

Internet-Tip zu meinem letzten "Gedicht":

.. seniorentreff - Diskussionsforum Politik und Gesellschaft, Thema: Gewalt in der Altenpflege - was ist das?

Ich wünsche allerseits einen guten Morgen und einen schönen Tag!


Wolfgang Maul antwortete am 18.10.00 (09:07):

Antwort (von Erich Fried)

Zu den Steinen
hat einer gesagt:
seid menschlich

Die Steine haben gesagt:
wir sind noch nicht
hart genug


Friedgard antwortete am 18.10.00 (14:13):

Altersheim

In den Wartesälen des Todes
laufen die Gefühle Amok
tanzen die Erinnerungen
groteske Tänze
um sich selbst
werden Vertraute zu Fremden
und Fremde
zu innig Vertrauten
verspricht das goldene Kalb
verführerisch glänzend
Befreiung
und selten nur
lächelt ein Kindlicher
oder ein Weiser
Erlösung ahnend.

F.S.


Iris Berghaus antwortete am 18.10.00 (14:41):

Antwort

Stein

steinreich

steiniger

versteinert

tot


dazu noch etwas von Edith STEIN

Je dunkler es hier um uns wird,
desto mehr müssen wir das Herz öffnen
für das Licht von oben.

Und Giovanni SEGANTINI sagte dazu

Möchten eure Fenster immer geöffnet sein,
damit eure Seele sich immer ganz der Schönheit
freuen kann,
Möchten eure Türen immer geöffnet und eure Seele
immer bereit sein,
die guten Worte, und die schönen Harmonien in sich aufzunehmen.


Sieghard Winter antwortete am 18.10.00 (17:34):

lügenmomente
auf dem wortfeld lügen

mit dem falter gaukeln
mit dem winde mauscheln
mit den bienen mogeln
mit der sonne heucheln
mit dem wasser verdrängen
mit dem kinde totschweigen
mit der wolke ausblenden
mit dem blatte tarnen
mit dem regen täuschen
mit dem sterne lügen


Friedgard antwortete am 18.10.00 (18:20):

An Sieghard

bringt es Dir eigentlich eine Befriedigung, meine Gedichte ins Negative zu verhunzen?

Vielleicht ist das mehr nach deinem Gusto:

Bitteres

Ich suchte die Wahrheit
und erstickte
in der Umarmung der Lüge.

Ich suchte die Liebe
und verdurstete
in den Salzwüsten der Verachtung.

Ich suchte den Glauben
und erfror
auf den Gletschern des Verstandes.

Ich suchte die Freundschaft
und verhungerte
an den Straßenrändern des Erfolgs.

Ich suche die Hoffnung....


Wilhelm Busch sagte:

Sei ein braver Biedermann,
Fange tüchtig an zu loben!
Und du wirst von uns sodann
Gerne mit emporgehoben.

Wie, du ziehst ein schiefes Maul?
Willst nicht,daß dich andre adeln?
Na, denn sei mir nur nicht faul.
Und verlege dich aufs Tadeln.

Gelt, das ist ein Hochgenuß,
Schwebst du so mit Wohlgefallen
Als ein selger Kritikus
Hocherhaben über allen.


Heidi Lachnitt antwortete am 18.10.00 (18:36):

Guten Abend, alle zusammen - habe ich gestern aus Versehen zu verbaler Gewalt aufgerufen???

Rekonvaleszenz

Lass uns, herz, ein stück des wegs
auf katzenpfoten gehn

Der steine sind genug, die krallen
freundlich zu schärfen

Reiner Kunze "auf eigene hoffnung", Fischer

Nach 6 Stunden reden freue ich mich jetzt auf Schweigen.
Gute Nacht


Edith antwortete am 18.10.00 (19:47):

Liebe Friedgard,
Dein Gedicht "Glücksmomente", das Heidi Lachnitt in ihrem Beitrag vom 13.10. hier ins Gedichte-Forum gestellt hat, finde ich sehr schön.
Es ist nicht zu übersehen, daß Sieghard Winter dieses Gedicht in seinem Beitrag vom 18.10. "Lügenmomente" persifliert hat - oder wie soll man das nennen? - Schade!


Ricardo antwortete am 18.10.00 (21:57):

Liebe Friedgard
Du bist nicht die einzige, die von Sieghard sowas erleben muß.
Mir hat er auch eine geschmiert.
Der Ton macht die Musik


Sieghard antwortete am 18.10.00 (23:48):


das meer ist angefüllt mit wasser
und drinnen ists besonders tief
am rand des meeres stand er
ach nein er lag weil er ja schlief

da teilten sich die fluten
und eine jungfrau trat herfür
sie tat auf einer flöte tuten
das war kein schöner zug von ihr

dem mann dem ging das lied zu herzen
obwohl sie falsche töne pfoff
man sah ihn in das wasser sterzen
und er ging unter und ersoff

nicht


Heidi Lachnitt antwortete am 19.10.00 (14:09):

Bittersüßer Mandelbaum

Die Zweige müssen die Blüten verlieren,
damit die Bäume grünen:
das Rosa und das Weiß
der süßen und bitteren Mandel
mischt sich am Boden.

War das Süße ins Bittre
oder das Bittre ins Süße gepfropft?
Alle Blüten sind voller Honig,
leichte Schmetterlingswiegen,
alles Blühen ist süß.

Doch wenn erst das Laub
die doppelte Krone vereint,
unter dem blauesten Himmel,
im sanftesten Wind,
wird dann das Bittere bitter.

Hilde Domin "Nur eine Rose als Stütze", Fischer


Heidi Lachnitt antwortete am 19.10.00 (14:18):

Zwischengedanken

Weil es
menschliche Beziehungen
gab
mußte es
Menschen geben

Nun gibt es
zwischenmenschliche
Beziehungen
Die lassen
auf das Dasein von Zwischenmenschen schließen

Es muß aber auch
Zwischenunmenschen geben
die dafür sorgen
daß die zwischenmenschlichen Beziehungen
so unmenschlich sind

Erich Fried "Die bunten Getüme"


Heidi Lachnitt antwortete am 19.10.00 (14:31):

Wie war das? Aller guten Dinge sind drei:

Hier noch ein wunderschönes von Friedgart:

Glückwunsch

Ich wünsche dir
einen Regenbogen, der bleibt,
sichtbar dem Wissenden:
eine Brücke aus Licht
über die Höhen und Tiefen der Zeit
leuchtend wie eine Idee,
stark wie die Liebe.

Friedgart Seiters, "Jeder Augenblick ist ein Juwel"

und wie recht sie damit hat. Einen schönen Tag wünsche ich!


Karl antwortete am 19.10.00 (17:13):

Hallo liebe Dichterinnen und Dichter,


es sind schon wieder über 100 Einträge bei den Gedichten 2. Teil. Ich stelle diesen jetzt ins Archiv und werde in diesem Forum einen 3. Gedichtsband eröffnen (in Prosa, meinen Fähigkeiten entsprechend ;-) und dort die Adressen der archivierten Gedichte bekanntgeben.

Die E-Mail Adressen derjenigen, die sich die Gedichte haben zuschicken lassen, werde ich nach Teil 3 übertragen.

MfG Karl