Archivübersicht | Impressum

THEMA:   Trauerpiranhas (Achtung: Satire!)

 11 Antwort(en).

Katharina begann die Diskussion am 02.02.03 (11:35) mit folgendem Beitrag:

Manchmal habe ich das Gefühl, als ob es sowas wie Trauerpiranhas gibt. Die die Nase in jede Nachricht stecken, in der Hoffnung, dass wenigsten ein kleiner Trauerhappen für sie selbst abfällt. Gustostücke sind Kinder, die - obschon sie so tapfere kleine Personen gewesen sind - letztlich doch der tödlichen Krankheit erlegen sind. Oder Kinder, die einem Kinderschänder oder einem Kidnapper in die Hände gefallen sind. Wenn es süße, blonde Geschöpfchen waren mit großen, lachenden Augen, dann schmecken sie den Trauerpiranhas besonders gut. So schuldlos - so tot! Soviel Trauer können Erwachsenenschicksale natürlich auf den Teller bringen, aber verunglückte mehrfache Familienväter sind auch nicht zu verachten. Schließlich können nicht jeden Tag irgendwelche Terroristen in irgendwelche Hochhäuser fliegen, dass auf einen Schlag gleich alle Trauergelüste befriedigt werden können. Bis hin zum Tod der Feuerwehrmänner, der immerhin ein Heldentod ist. Was schon ein ganz besonderes Gustostückerl ist, denn wenn die Trauer auch noch mit Ehrfurcht vor Heroentum gewürzt ist, dann ist das schon fast nicht mehr zu toppen.

Der Nährwert der TVT (TeleVisionsTrauer) ist jedoch ein geringer. Selbst Großereignisse halten nur ein paar Wochen vor, dann wird so ein Trauerpiranha schnell wieder hungrig. Er nimmt Witterung auf und bald erschnuppert er Nachschub: Er ist aus dem Himmel gefallen. Und dann auch noch gleich sieben auf einen Streich. Welch ein Segen ist die Raumfahrt!


Antonius Reyntjes antwortete am 02.02.03 (17:15):

Eine tolle, ehrenhafte, sprachlich-geistig sensible Trauerarbeit, ein würdiger Text!
Wir sollten ihn mit dem Gewäsch vergleichen, das morgen in unseren Zeitungen steht: BILD: "Menschheitsdrama" (oder ähnlich) und die anderen Schnurrpfeifereien und Blähungen von nationaler Ehre und Verpflichtung vergessen. Krokodilstränen und Ergebenheitsphrasen werden fließen, aus allen Präfekturen...
Glückwunsch, Katharina!
Eine würdige, kritische, Auseinandersetzung mit dem Unsinn der menschenmordenden Weltraumstürmerei...
Traurig, dass die Männer (und einige wenige technisch interessierte Frauen) weitermachen... Sie werden die Fehler suchen und finden - und für die nächsten zehn, zwölf Jahre einige Fehler verbessern - und immer wieder wollen Männlein und Fraulein in die Kapseln kriechen und an ihrer Ehre als Heldinnen und Helden stricken - ja, dies ist auch ein Stück "Krieg", was Männer sich leisten, um ihre Hypertrophie öffentlich auszustellen, um sich bejubeln zu lassen.
Nota bene: Ehre ihrer Asche, Empathie mit ihren Nachgebliebenen; aber Kritik dem Bemühen, angeblich die "Wissenschaft" bis zu den Krieg zu tragen und mit den Sternen und im menschenfeindlichen Weltenraum weiterzuspielen, was vergebliche Torheit ist...
Wir haben Aufgaben und Verantwortung auf dieser Erde, z.B. für unsere Kindern - n i c h t Krieg zu führen, den Hungertod von Kindern zu verhindern, Sterbenden einen würdigen Abschied zu geben undundund...
Aber Männer leisten sich ja nicht die Phantasie, dass sie beim nächsten Unfall (egal, wo) die Opfer sein könnten; solche Sorgen entlasten sie durch Technikgeilheit, manisches Treiben am PC und rücksichtloses Vernichten der Gelder für die Gemeinschaft, die Gesellschaft, die Notleidenden...; und die Trauerarbeit überlassen sie den Frauen und Redenschreibern und Entsorgungsgeistlichen, die nicht ausdrücken wollen, was wirklich passiert ist auf dieser einmaligen Erde....
Es gibt hübsch-groteske Sternen-Lieder von Dürrenmatt; der das jetzige Lamentieren vorweggeommen hat.


Marianne antwortete am 02.02.03 (19:03):

In diesem Sinne:

Auf, auf zum fröhlichen Trauern!


Antonius Reyntjes antwortete am 02.02.03 (20:07):

Zum Thema:

Kampf in den Lüften

Der Weltraumwahn ist eine Krank-
heit, und teuer, dem Mann zu Dank.
Ich kenne wen, der litt akut
An Weltraumwahn, an Raketenwut.
Sowie er einen Gegenstand
ob Phallusform, ob ähnlich fand,
den trat und stieß mit aller Kraft
er in Gottes Nachbarschaft.

Dessen Antwort freilich......
(Frei nach Joachim Ringelnatz)


Angelika antwortete am 02.02.03 (20:38):

Einen "sehr schönen Beitrag" zur medialen Trauerarbeit hat sich gestern Abend ungewollt das ZDF geleistet. Bei der grossartig angekündigten neuen Abendshow mit Barbara Schönebergers, die angeblich LIFE gesendet wurde, zogen sich Gags um das Thema Raumfahrt wie ein roter Faden durchs Programm. Die Moderatorin versprach darin "ein kleines Feuerwerk der guten Laune", und an dieser Metapher wäre nichts auszusetzen gewesen - wenn nicht gerade auf allen Kanälen die tragische Explosion der Raumfähre "Columbia" zu sehen gewesen wäre.

"Bist du da nicht verglüht?"

Was für ein Pech, dass in der vorab aufgezeichneten Talkshow, zu der Schöneberger als Gast den Comedy-Star Anke Engelke eingeladen hatte, dann noch Raumfahrt-Gags zum Besten gebracht wurden: Michael "Bully" Herbig ("Der Schuh des Manitu") und der Popsänger Sasha spielten einen alten Anke-Engelke-Sketch nach, Sasha fragte: "Bin ich durch die Erdatmosphäre eingedrungen?", Herbig fragte: "Bist du da nicht verglüht?"

...tja...einer ähnlichen Peinlichkeit erinnere ich mich anlässlich einer Programmunterbrechung im SWF3 Radio, in der vom Attentat auf den Papst berichtet wurde und dass der paps es überlebt habe. Anschliessend gint es mit der Musiksendung weiter und die Ansagerin kündigte fröhlich den nächsten Titel an: "Und jetzt Katja Eppstein mit ihrem Hit: Im Leben, im Leben, geht mancher Schuss daneben!" -

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,233399,00.html


katharina antwortete am 02.02.03 (21:22):

vielen dank, antonius, für deine freundlichen worte! und auch an marianne für ihren erfrischenden zuruf. für fernsehhoppalas bitte einen eigenen ordner eröffnen! danke!

katharina


Angelika antwortete am 02.02.03 (21:34):

katharina, das war weit mehr als ein "hoppala" -
und passt durchaus zum thema. das mit dem eigenen ordner solltest du dir für deine forenhoppalas gut merken :-)(was für ein wort - hoppala... sowas sagt man im norden, wenn man einer stute auf den hintern haut oder sowas sing pippi langstrumpf auf ekstasy)


schorsch antwortete am 03.02.03 (10:25):

Bei aller Trauer dürfen wir den eigentlichen Grund des Weltraum-Wettlaufes nicht vergessen: Beherrschung des Weltalls und damit Beherrschung der Erde.....


pheedor antwortete am 04.02.03 (00:18):

Und schon wieder haben wir eine neue Verfahrensart kennen gelernt, mit der man leichtfertig und gewissenlos Menschen mit extrem hohem Aufwand auf eminent teuere Weise zur allgemeinen Unterhaltung töten kann.

Zyprianos Zynikos


Marianne antwortete am 04.02.03 (16:51):

@ Pheedor

Wenn ich dich richtig verstehe, kritisierst du die literarische Form Satire.
Übertreibung ist schon immer ein Mittel gewesen, auf Missstände aufmerksam zu machen.

Für mich ist die Zielrichtung der Satire von Katharina die Medialisierung der Trauer anzuprangern.
Private Trauer darf nicht zum Medienereignis werden.

Aber vielleicht meinst Du ja auch etwas ganz Anderes als das, worauf ich dir geantwortet habe. Wenn das so ist: sorry.


Pheedor antwortete am 04.02.03 (17:04):

@hallo, Marianne,

die kritisiere ich keineswegs. Ich habe nur einen recht zynischen Satz, der sich auf die Sache (Columbia und Folgen)bezieht, dazu gesetzt.

mfg
Pheedor


Marianne antwortete am 04.02.03 (17:27):

@ Pheedor


Hihi, jetzt habe ich deine lichtvollen ( kleines Späßchen) Worte mir noch einmal reingehauen und sehe, dass du - so gesehen- natürlich völlig richtig liegst.

MfG Marianne