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THEMA:   Sehnsucht

 15 Antwort(en).

Frieder begann die Diskussion am 04.02.03 (14:32) mit folgendem Beitrag:

Selige Sehnsucht

Soeben habe ich ein Gedicht von einem deut. Dichter gefunden,
aber ich verstehe so vieles nicht. Wer hilft mir?
"Flammentod / die dich zeugte, wo du zeugtest / fremde Fühlung"
Hier der 1.2. u. 5. Vers

Selige Sehnsucht
Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet:
Das Lebendige will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.

In der Liebesnächte Kühlung,
die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

Und solange du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

Einen guten Tag, Frieder


Angelika antwortete am 04.02.03 (15:20):

Lieber Frieder, vielleicht wird Goethes "Selige Sehnsucht". das zum Zyklus des "West-östlicher Divan" als "Buch des Sängers" gehört, nur im Zusammenhang erklärbar. Wie viele anderee seiner Werke hat dieses Gedicht stark freimaurerische Anklänge.

Hier noch einmal das Gedicht im Zusammenhang mit allen versen:
Selige Sehnsucht
Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet,
Das Lebend'ge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.

In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.

Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du, Schmetterling, verbrannt.

Und solang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.



--------------------------------------------------------------------------------
Schwarzer Schatten ist über dem Staub
der Geliebten Gefährte;
ich machte mich zum Staube,
aber der Schatten ging über mich hin.

--------------------------------------------------------------------------------
Sollt ich nicht ein Gleichnis brauchen,
wie es mir beliebt?
da uns Gott des Lebens Gleichnis
in der Mücke gibt?

Sollt ich nicht ein Gleichnis brauchen,
wie es mir beliebt,
da mir Gott in Liebchens Augen
sich im Gleichnis liebt?
..........
Leider wird im Schulunterricht lieber auf die "Jugendwerke" Goethes zurückgegriffen und nicht auf die Liebes- und Gedankenlyrik des fast 70jährigen Goethes. Der "West-östliche Divan" entstand nach seinen umfangreichen Studien der Orientalistik und ist sicher ein gelungender Versuch, sich dieser Kultur und denkweise zu nähern.Angeregt wurde er durch die Verse des persischen Dichters Hafiz, die 1814 erstmal in deutscher Übersetzung erschienen. Aber auch noch ein viel naheliegender grund beflügelte ihn zu�den Versen des "West-östlichen Divans" und dem von Dir zitierten Gedicht: Goethe, fast 66Jahre alt, hatte ich verliebt und schwebste auf Wolke 7! (Eine Dame aus Wiesbaden war�s, 30J. jung war sie und sie hiess marianne von Willemer).

Lies im "Divan" mal das "Buch Suleika" - ohne diese Liebesbeziehung zwischen Goethe und Marianne wären diese Verse wohl nie entstanden. Das Kapitel gehörte auch zu Henry Millers Lieblingsgedichten und da schliesst sich ein kleiner kreis, denn auch Miller hat bis ins hohe Alter noch wunderbare Liebesbriefe (zB an Brenda Venus) geschrieben.

Auf Wunsch gerne mehr aus dem "Goetheschen Nähkörbchen".
Ich hoffe, mit meinem kleinen Exkurs in Goethes Liebesleben hast Du ein paar Hintergrundinformationen mher, die Dir das Gedicht begreiflicher machen. Es würde mich freuen.

Angelika


Marianne antwortete am 04.02.03 (15:30):

Das Gedicht ist von Goethe.

In der Liebesnächte Kühlung,
die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,


Das Lebendige will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.


Ich denke, dass Goethe hier eine sehr alte Vorstellung der Menschheit symbolisch aufzeigt.Er sagt es ja selbst: Stirb und werde.

Im Augenblick der höchsten Lebendigkeit - im Zeugungsakt - ist die Stunde des (Flammen)todes gegenwärtig. Goethe sagt das ja auch am Schluss der von Dir zitierten Verse:

Und solange du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.


Solange ein Mensch dieses Fühlen von Leben und Tod im Augenblick nicht hat, bleibt er nur ein "trüber Gast".


Lieber Frieder, ohne jetzt hochtrabend in Sekundärliteratur rumgewühlt zu haben, habe ich Dir schnell meine Gedanken zu diesem Gedicht, das ich auch sehr schätze, mitgeteilt.

Und zu den Methaphern: Flammentod drückt aus: Flamme erzeugt Feuer - das ist ein Prozess.

fremde Fühlung: das meint er- m.E.- als Vorgang des Prozesses, den er in der letzten Strophe erklärt.


Marianne antwortete am 04.02.03 (15:36):

"ohne jetzt hochtrabend in Sekundärliteratur rumgewühlt zu haben "( Marianne) Ich habe meine Worte zu Dir geschrieben, bevor ich Angelikas Beitrag auf der Platte hatte. Diese Worte beziehen sich also in keinster Weise auf ihren Beitrag, sondern sollten nur ausdrücken, dass ich mich spontan zur Frage geäußert habe.


Angelika antwortete am 04.02.03 (15:37):

fortsetzung:
Aber zur Interpretation des Textes gibt Goethe eigentlich in der ersten Zeile schon einen Hinweis: Er will es ein bisschen geheimnisvoll machen und die empfindungen und den Sinn nicht mit dem Pöbel teilen:
"Sagt es niemand, nur den Weisen,Weil die Menge gleich verhöhnet" ...

schön auch sein Hinweis auf die Gefahr, wie schnell man/frau sich die Finger bzw die Flügel verbrennt: Denk nur an den armen Schmetterling, der selig-taumelnd ins lockende Kerzenlicht fliegt und - verbrennt ...

Ja und der Schmetterling wiederum, zu dem zitiere ich mich selbst aus einem alten beitrag hier, in der jemand nach der Symbolik der Schmetterlinge fragte:
"Man findet auf alten Grabsteinen jüdischer Friedhöfe sehr häufig den Schmetterling - er gilt als Zeichen der Vergänglichkeit, des flüchtigen Lebens, symbolisiert aber auch die Unvergänglichkeit, die Verwandlung zu einem neuen Leben. Von seinem Ursprung her ist der Schmetterling ein antik-hellenistisches Symbol, wurde aber im späten 18. Jahrhundert wieder beliebter. Der Schmetterling als Sinnbild der Psyche symbolisiert die in verschiedenen Metamorphosen beständige "Unsterblichkeit"
...
Angelika


angelika antwortete am 04.02.03 (15:43):

och Marianne, man muss doch nicht immer hochtrabend werden -
und nachgucken muss man auch nicht immer :-) auf einer meiner websites habe ich den west-östlichen divan rein zufällig irgendwann einmal zerlegt und wieder zusammen gesetzt. :-)

angelika


Antonius antwortete am 04.02.03 (20:48):

Marianne Willemer
Ein Scherzgedicht für Goethen (1814)

Zu den Kleinsten zählt man mich,
Liebe Kleine nennst Du mich.
Willst Du immer so mich heißen,
Werd ich stets mich glücklich preisen.

Als den Größten kennt man Dich,
Als den Besten ehrt man Dich,
Sieht man Dich, muß man Dich lieben;
Wärst Du nur bei uns geblieben.

Ins Gedächtnis prägt ich Dich,
In dem Herzen trag ich Dich,
Nun möcht ich der Gnade Gaben
Auch noch gern im Stammbaum haben.

(Oh, Pardon, da ist mir ein dummer Scherz in das Scherzgedicht geraten...! Schnell radieren! Wo nur?)


angelika antwortete am 04.02.03 (21:33):

noch ein Scherzchen von Goethen fürs Liebchen:-))
(Was mag er nur mit Schnee und Nebelschauer gemeint haben und was oder wer wird mit Aetna vermetaphert? :-))

Hatem

Locken, haltet mich gefangen
In dem Kreise des Gesichts!
Euch geliebten braunen Schlangen
Zu erwidern hab� ich nichts.

Nur dies Herz, es ist von Dauer,
Schwillt in jugendlichstem Flor;
Unter Schnee und Nebelschauer
Rast ein Ätna dir hervor.

Du beschämst wie Morgenröte
Jener Gipfel ernste Wand,
Und noch einmal fühlet Hatem
Frühlingshauch und Sommerbrand.


Schenke her! Noch eine Flasche!
Diesen Becher bring� ich ihr!
Findet sie ein Häufchen Asche,
Sagt sie: "Der verbrannte mir."

( Der letze Vers erinnert mich direkt an Omar Khayyam, den persischen Dichters, mathematikers und Astronomen. Seine teilweise pessimistischen Trinklieder richteten sich gegen religiösen Fanatismus und auch ketzerisch gegen das islamische Wein-Verbot:

"Ich weiß nicht, ob Derjenige der mein Wesen gestaltet hat mir ein Heim im Himmel oder in der schrecklichen Hölle vorbereitet hat. Aber ein wenig Essen, eine Angebetete und etwas Wein auf einer grünen Halde - das ist Reichtum - behalte für dich den Himmel, dem Du so vertraust".

oder auch

"An jedem Tag nehm` ich mir vor auf�s Neue, dass ich das Trinken lasse und bereue; doch seit voll Rosenduft erschienen ist der holde Lenz - bereu� ich meine Reue".


pilli antwortete am 05.02.03 (09:14):

liebe Angelika,

wie unterschiedlich worte interpretiert werden können, das zeigt dein beitrag sehr klar :-)

wie trocken und wenig "sehnsuchtsvoll" so manche unterrichtsstunde verlief...daran habe ich mich gerade erinnert :-)

"Kenntnisse, bloßes nacktes Wissen, machen keine Bildung. Der Gelehrte ist nicht immer der Gebildete. Zum Kennzeichen der Bildung gehört die innere Aneignung."
(Eduard Spranger)


Frieder antwortete am 05.02.03 (14:49):

Schönen Dank für die Reaktionen auf meine Wünsche.
(Ich habe diesen Text geschrieben, als nur 2 Antworten vorhanden waren)
Bei Dir -Angelika -ergibt sich aus Deinem Wissen - und die daraus verbundene Übersicht - über Goethes Denken der richtige Weg 'tiefer hinein zu kommen'.
Ich werde mir den Westöstlichen Diwan, das 'Buch Suleika' heute noch aus der Bibliothek holen.
Wenn du Lust und Zeit hast würde ich gerne zuhören, wenn Du weiter
aus Goethes Nähkästchen plaudern würdest. Ich werde auch versuchen, den erwähnten zerlegten und wieder zusammen gesetzten W.-Ö. Diwan im Archiv ausfindig zu machen.

Marianne, auch Dir schönen Dank für die so spontane Antwort auf meine Fragen.

Am frühen Morgen fand ich dann Zugang zu diesem "stirb und werde".
Was würde sich besser eignen, als die 'Flamme', um die Wandlung vom festen Körper zu einem neuen Medium darzustellen.
Spontan fällt mir da Mephisto ein: "...hätte ich mir nicht die Flamme vorbehalten, ich hätte nichts apartes für mich"

Einen Hauch dieses " WERDE", verspürte ich ab und zu, wenn ich so vor mich hin zeichne oder male. Doch dies wird beim kreativen Tun wohl
Jedem schon begegnet sein. Auch durch interessierte Beobachtung der lebenden Natur erleben wir diese 'stirb und werde' immer wieder.

Einen guten Tag wünscht Frieder


Angelika antwortete am 06.02.03 (00:08):

Hallo Frieder,
ich freue mich, dass Du so schnell einen Weg zum Diwan gefunden hast. Im Buch "Suleika" wirst Du einige der schönsten Beispiele für deutsche Liebeslyrik finden. Übrigens war Marianne Willemer viel mehr als nur Gpethes Geliebte und Muse - sie selbst hat ebenfalls sehr schöne Verse geschrieben. Im "Buch Suleika" zum beispiel findest Du die Lieder an den Ostwind und den Westwind, beide stammen aus ihrer Feder und Goethe hat sie quasi stillschweigend in sein Werk übernommen. Erst nach dem Tod der Geliebten verriet er das Geheimnis.

Noch eine kleine Pikaterie: Der von beiden verfasste West-Östliche Diwan diente den beiden quasi auch als Dechiffrierbuch für die gegenseitigen Liebesbriefe! Durch Umsetzen der auf Band- Seiten- und Verszahl verweisenden Angaben in den Briefen konnte Goethe bzw Marianne entschlüsseln, was der/die Liebsta da schrieb ..
Im Goethe-Museum in Düsseldorf findet man solche Originalbriefe - klick mal auf den Link, dann kannst Du einen Brief von ihm an sie sehen -

Ein anderes Mal mehr
Gruss

Angelika

Internet-Tipp: https://www.goethe-museum.com/html-grosse%20images/9-035.html


Antonius antwortete am 06.02.03 (19:19):

Ich muss noch Mariannes Gedicht "an Goethen" berichtigen:

Die letzte Zeile muss - natürlich - heißen:

"Auch noch gern im Stammbuch haben."

Pardon - aber mich ritt der Teufel....


Frieder antwortete am 08.02.03 (10:24):

Westöstlicher Diwan. Joh. Wolfg. v. Goethe.
Liebe Angelika, ich habe einige Gedichte gelesen, und wieder gelesen, muß aber gestehen, um sie so zu erleben, wie du Sie - als die schönsten Liebeslieder - ankündigst, da brauchte ich eine zweite Person zum darüber zu plaudern.

Aber auch die Prosa Texte lassen die Meisterhand leicht erkennen.
Hier ein Auszug - Goethe über das Gebet - unter der Überschrift "Ältere Perser". Dir vermutl. bekannt.

"Das mentale Gebet (ist nicht jedes Gebet geistig), das alle Religionen einschließt u. ausschließt, und nur bei wenigen gottbegünstigen (das muß ich mir merken) Menschen den ganzen Lebenswandel durchdringt, entwickelt sich bei den meisten nur als flammendes, beseligendes Gefühl des Augenblicks; nach dessen verschwinden sogleich der sich selbst zurückgegebene, unbefriedigte, unbeschäftigte Mensch in die unendliche Langweile zurück fällt.
Was sagt dazu die Theologin Angelika?

Grüße von Frieder


Angelika antwortete am 08.02.03 (11:08):

Ich denke Goethe meint hier mit dem mentalen Gebet das meditative Beten durch Betrachten, wie es zB die Buddhisten praktizieren und zu dem tatsächlich nicht alle Menschen zugang finden - auch wenn es sich um gläubige Menschen handelt, die beten. Man unterschied im Mittelalter drei Formen des Gebets, an denen Goethe sich wohl noch orientierte:
1. Mündliche Gebete
2. Betrachtende Gebete (mentale Gebete oder Meditation)
3. Kontemplative Gebete oder Kontemplation

Goethe beschäftigte sich sehr intensiv mit Religionen, im besonderen mit dem Islam und dem Sufismus. Dein eingangs zitiertes Gedicht vonder "seligen Sehnsucht" geht auf eine Metapher der Sufis zurück, die r "verliebten Mücke", die im tödlichen Licht verglüht. Goethe nannte dies Gedicht einiuge Male um, so lauteten frühere Titel "Selbstopfer" und "Vollendung".

So viel für den Moment - ich eile jetzt ins Wochenende - hier liegt noch so wunderbar viel Schnee und die Sonne scheint, meine Hunde sind am liebsten an der frischen Luft und mir bekommts auch - da ist jede Minute am PC verplemperte Zeit - danke für Dein Verständnis :-)

Angelika


schorsch antwortete am 08.02.03 (18:27):

@ Angelika:
"....da ist jede Minute am PC verplemperte Zeit - danke für Dein Verständnis :-)"

Frage: Mit uns verplempert? (;--))))


Angelika antwortete am 09.02.03 (11:16):

@ach schorsch ...wenn Du die Wahl hast, zwischen winterlichem Spaziergang und Toben mit Deinen Hunden oder herumdaddeln am PC, egal wo ... was würdest Du dann wohl machen? :-)