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THEMA:   07.02.: 125ster Geburtstag von Martin Buber

 4 Antwort(en).

Angelika begann die Diskussion am 07.02.03 (21:06) mit folgendem Beitrag:

Der Philosoph Martin Buber gilt als Pionier des interreligiösen Dialogs. Fast immer, wenn Religionsführer zum Frieden aufrufen, beziehen sie sich auf den Gelehrten, der vor 125 Jahren, am 8. Februar 1878, in Wien geboren wurde. Seine Idee von der Solidarität der Religionen als Schutzwall gegen atheistische und totalitäre Herrschaftssysteme ist für Friedhelm Pieper, den Generalsekretär des internationalen Rates für Christen und Juden, nach wie vor Ansporn. "Ich glaube, Martin Bubers Lehren haben ihre Zukunft noch vor sich", meint er.

Buber selbst hat seine Ideen gelebt. Sein erstes Ziel war - begründet durch seine Erziehung - die Aussöhnung der zwei großen jüdischen Strömungen in Europa. Er selbst wuchs bei seinem Großvater in Lemberg auf, einem Talmudgelehrten in der Tradition des Chassidismus. Diese vor allem in Osteuropa ausgeprägte Glaubensform setzte auf die Verinnerlichung des religiösen Lebens, auf Mystizismus und Intuition. Mit 14 Jahren kehrte Buber nach Wien zurück und studierte dort später Philosophie und Kunstgeschichte. Dabei entfremdete er sich vom Chassidismus und wandte sich den weltläufigeren Ideen des westeuropäischen Judentums zu. Als Wendepunkt in seinem Leben gilt die Begegnung mit Theodor Herzl, dem Gründer der zionistischen Bewegung. Mit ihm kämpfte er um die Heimkehr seines Volkes nach Palästina. Dafür schien es im wichtig, dass die Juden untereinander ihre religiösen Wurzeln entdeckten und gegenseitig akzeptierten.

Gleichzeitig suchte Buber auch den Dialog mit dem Christentum. Von 1923 lehrte er an der Universität Frankfurt jüdische Religionswissenschaften und Ethik. Sein Wohnsitz nahm er in Heppenheim an der Bergstraße, wo er für viele Juden zu einer wichtigen Anlaufstation wurde. Gemeinsam mit seinem Freund Franz Rosenzweig begann eine neue Übersetzung des Alten Testaments ins Deutsche, in der er den Originaltext von christlichen Interpretationen befreite. Sie fand vor allem im Protestantismus große Beachtung.

Als Adolf Hitler 1933 an die Macht kam, legte Buber seine Professur nieder und arbeitete nur noch in der jüdischen Erwachsenenbildung. Mehrmals erhielt er Redeverbot, und seine Lehrerlaubnis wurde eingeschränkt. �Ich habe hier keine Luft zum Atmen mehr�, schrieb er in sein Tagebuch und flüchtete 1938 nach Palästina. Keinen Moment zu früh, denn in der Reichspogromnacht wurde auch in sein Haus eingebrochen und Bücher verbrannt.

In Israel lehrte Buber an der Universität Jerusalem und setzte sich dort unermüdlich für die Versöhnung zwischen Arabern und Juden ein. Als er am 13. Juni 1965 starb, folgten auch einige Araber dem Trauerzug. Eine wirkliche Gemeinde hat der Religionswissenschaftler in seiner neuen Heimat jedoch nie gefunden. "Den radikalen Zionisten war er zu religiös und den Religiösen war er zu individualistisch", erklärt Pieper.

In Deutschland wird das Andenken an Buber, der 1952 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, vor allem vom internationalen Rat für Christen und Juden wachgehalten. Seine Zentrale sitzt im ehemaligen Buber-Haus in Heppenheim. Seit wenigen Monaten wird seine Arbeit zudem von einer Martin-Buber-Stiftung finanziert.

Die Martin-Buber-Gesellschaft in Heidelberg trägt in ihrer Zeitschrift �Im Gespräch� ebenfalls die Gedanken des Religionswissenschaftlers weiter. Nicht zuletzt verleihen die Christlich-Jüdischen Gesellschaften seit 1968 zur �Woche der Brüderlichkeit� die Buber-Rosenzweig-Medaille. Mit ihr werden Persönlichkeiten geehrt, die die Verständigung zwischen Nationen und Religionen vorangebracht haben. Zu ihnen zählen unter anderem der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt und der Geiger Yehudi Menuhin.
(quelle: dpa)


Antonius antwortete am 08.02.03 (00:13):

Ja, Buber, das ist schon ein besonderer Religionslehrer. Weil ich jetzt, nach meiner Dienstzeit, evangelische Theologie studiere, kuck ich viel in die AT-Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig. - Im Berlin der 20er und (frühen) 30er Jahre hat sich kaum ein katholischer oder evangelischer Theologe mit den großen jüdischen Lehrern beschäftigt. Da lief man aneinander vorbei.
Da - in der Übersetzung - findet man viele, ganz natürliche, d.h. kulturelle Hinweise, auf Lebenszusammenhänge, da staune ich immer wieder. Z.B. habe ich die "versuchte Opferung Abrahams", auch gerade wg. der Angst seiner Mutter, neu lesen gelernt.
Danach gab es bei den Juden keinen "Infantizid" mehr; es war jetzt durch Gott garantiertes Stammesgesetz, dass kein Kind mehr "geopfert" wurde - weil man dem Gott das als Pflicht zu schulden meinte...
Eine wahrlich wichtige kulturelle Stufe für die Familienbindung - und die Rechte und Möglichkeiten der Frau, dass sie kein Kind mehr an einen Wüstengott abtreten musste.


Angelika antwortete am 08.02.03 (09:55):

Hallo Antonius - ja, da gebe ich Dir recht und auch heute beschäftigt man sich leider viel zu wenig mit ihm. Mir ist es ohnehin unverständlich, dass sich so viele Protestanten immer noch an Lutherische Übersetzungen halten, wo es längst wort- und sinngenauere Bibelübersetzungen gibt. (B�TW will ich Luthers Arbeit und ihn als Person damit sicher nicht schmälern).

Wenn es Dich interessiert - hier ein interessanter Link, auf dem Du viel über Martin Buber findest - m.E. besonders lesenswert der Beitrag von Andreas Schmidt.

Angelika

PS eines der nachdenkenswertestesten Zitate von Martin Buber:
"Liebe ist die Verantwortung eines Ich für ein Du."
Für den Satz alleine lohnt es, sich mit ihm zu beschäftigen.

Internet-Tipp: https://www.buber.de/de/index.html


Antonius antwortete am 08.02.03 (22:02):

Buber zu seiner Lebensleistung, der Bibel-Übersetzung:
MARTIN BUBER
Bekenntnis

Ich bin einst mit leichtem Kiele
Ums Land der Legende geschifft,
Durch Taten, Werke und Spiele
Unlässig den Sinn nach dem Ziele,
Und im Blut das berückende Gift -
Da ist einer auf mich niedergefahren,
Der faßte mich an den Haaren
Und sprach: Nun stelle die Schrift.

Von Stund an hält die Galeere
Mir Gehirn und Hände in Gang,
Das Ruder schreibt Charaktere,
Mein Leben verschmäht seine Ehre
Und die Seele vergißt, daß sie sang.
Alle Stürme müssen stehn und sich neigen,
Wenn grausam zwingend im Schweigen
Das Wort des Geistes erklang.

Hau in den Fels deine Taten, Welt!
In der Flut ist Schrift erstellt.
(Aus dem Band "Nachlese". Heidelberg)


Antonius antwortete am 11.02.03 (12:14):

MARTIN BUBER: Ein Gebet (aus den Chassidischen Geschichten):
Der Kosnitzer Rabbi sprach zu Gott: "Herr der Welt, ich bitte dich, du mögest Israel erlösen. Und willst du nicht. So erlöse die Gojim!"
(Eine schöne Sammlung von Martin Buber: "Hundert chassidischen Geschichten" liegt in einer Manesse-Ausgabe vor, Zürich 2000.)
*
Und noch eine Parabel von Martin Buber:

Die fünfzigste Pforte

Ein Schüler Rabbi Baruchs hatte, ohne seinem Leh-rer davon zu sagen, der Wesenheit Gottes nachgeforscht und war im Gedanken immer weiter vorgedrungen, bis er in ein Wirrsal von Zweifeln geriet und das bisher Gewisseste ihm unsicher wurde. Als Rabbi Baruch merkte, daß der Jüngling nicht mehr wie ge-wohnt zu ihm kam, fuhr er nach dessen Stadt, trat unversehens in seine Stube und sprach ihn an: �Ich weiß, was in deinem Herzen verborgen ist. Du bist durch die fünfzig Pforten der Vernunft gegangen. Man beginnt mit einer Frage, man grübelt, ergrübelt ihr die Antwort, die erste Pforte öffnet sich: in eine neue Frage. Und wieder ergründest du sie, findest ihre Lö-sung, stößest die zweite Pforte auf - und schaust in eine neue Frage. So oft und fort, so tiefer und tiefer hinein. Bis du die fünfzigste Pforte aufgesprengt hast. Da starrst du die Frage an, die kein Mensch erreicht; denn kennte sie einer, dann gäbe es nicht mehr die Wahl. Vermissest du dich aber, weiter vorzudringen, stürzest du in den Abgrund.� �So müßte ich also den Weg zurück an den Anfang?� rief der Schüler. �Nicht zurück kehrst du�, sprach Rabbi Baruch, �wenn du umkehrst; jenseits der letzten Pforte stehst du dann, und stehst im Glauben.�

Ein Stückchen Gottes-Erfahrung; auch Auseinandersetzung mit Kafka..