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THEMA:   Kästner zum 12.Juli 2003

 9 Antwort(en).

Antonius begann die Diskussion am 06.07.03 (12:46) mit folgendem Beitrag:

Erich Kästner (1930)
Das letzte Kapitel

Am 12. Juli des Jahres 2003
Lief folgender Funkspruch rund um die Erde:
Dass ein Bombengeschwader der Luftpolizei
Die gesamte Menschheit ausrotten werde.

Die Weltregierung, so wurde erklärt, stelle fest,
Dass der Plan, endgültig Frieden zu stiften,
Sich gar nicht anders verwirklichen lässt,
Als alle Beteiligten zu vergiften.

Zu fliehen, wurde erklärt, habe keinen Zweck,
Nicht eine Seele dürfe am Leben bleiben.
Das neue Giftgas krieche in jedes Versteck.
Man habe nicht einmal nötig, sich selbst zu entleiben.

Am 13. Juli flogen von Boston eintausend
Mit Gas und Bazillen beladene Flugzeuge fort
Und vollbrachten, rund um den Globus sausend,
Den von der Weltregierung befohlenen Mord.

Die Menschen krochen winselnd unter die Betten.
Sie stützten in ihre Keller und in den Wald.
Das Gift hing gelb wie Wolken über den Städten.
Millionen Menschen lagen auf dem Asphalt.

Jeder dachte, er könne dem Tod entgehen.
Keiner entging dem Tod, und die Welt wurde leer.
Das Gift war überall. Es schlich wie auf Zehen.
Es lief die Wüsten entlang. Und es schwamm übers Meer.

Die Menschen lagen gebündelt wie faulende Garben.
Andere hingen wie Puppen zum Fenster heraus.
Die Tiere im Zoo schrien schrecklich, bevor sie starben.
Und langsam löschten die großen Hochöfen aus.

Dampfer schwankten im Meer, beladen mit Toten.
Und weder Weinen noch Lachen war mehr auf der Welt.
Die Flugzeuge irrten, mit tausend toten Piloten,
Unter dem Himmel und sanken brennend ins Feld.

Jetzt hatte die Menschheit endlich erreicht, was sie wollte.
Zwar war die Methode nicht ausgesprochen human.
Die Erde war aber endlich still und zufrieden und rollte,
Völlig beruhigt, ihre elliptische Bahn.
*
Haben wir Glück, dass wir Kästners Text lesen - und nicht erleiden müssen. Auch ein Beispiel für die Wirkung kritischer Literatur!


Medea. antwortete am 06.07.03 (14:01):

Die Gefahr, daß sich die Menschheit auf der Erde auslöscht, ist noch lange nicht gebannt - so lange nicht, wie es größenwahnsinnige Präsidenten, Diktatoren, Generäle, religiöse Irre aus allen Religionen gibt.
Erich Kästners Gedicht ist geradezu hellsichtig ......


schorsch antwortete am 06.07.03 (18:26):

...wir haben ihn ja gar noch nicht, den 12. Juli 2003.....


Antonius antwortete am 06.07.03 (19:58):

Ja, die Poeten, die Propheten!
Aber, wir müssen w a r t e n...
Erst, wenn wir den 13. JULI haben, werden wir wissen, ob wir den 12. übel-, äh, überlebt haben.
Grüße an alle Überlebenswilligen! Seien wir (über)-mutig: Zur Zeit ist nur der Iran - noch nicht mal Korea mit seiner einen Atombombe - in der US-Planung "dran". Seine Flugzeugträger möchte der Sheriff nicht einem koreanischen Atombombenangriff aussetzen.
Sieht für Europa gut aus - noch. Gift haben wir abtransportieren lassen... Ob a l l e s weg ist, weiß auch mein Sohn nicht. Er hat sich - nach seiner Pflicht - vom Bund verabschiedet. Waren zu viele Dösköppe da!
Es hilft nur der normale "Suizid" im Straßenverkehr (über 8000 Menschlein im Jahr; ne Kleinstadt wie die, in der ich geboren wurde...). Aber Kästner nehme ich nix übel - auch wenn er mal Unrecht hatte. Er ist gescheiter... Und hat tolle kritische Gedichte gegen die Lehrer um 1930/32 rum geschrieben. Und hatte Recht, der Prophet!


Mart antwortete am 06.07.03 (22:50):

Kannst Du mir bitte so ein Gedicht anführen. Danke


Antonius antwortete am 06.07.03 (23:22):

Okay, bitte sehr, und dass die Texte weite Verbreitung finden - und nicht nur die PISA-Kreterien und -folgen - sondern auch die Entlassung von 3/4 der Lehrer organisiert werden kann (man müsstt nur einen Kommunikationstext durchführen lassen.)

Nein, der Autor ist kein Haus- und Hofschreiber, den der Ex-Ministerpräsident von Niedersachsen zu seinem privaten Vergnügen eingestellt hätte - in der Absicht, die faulen Säcke über Vers und Reim aufs Korn nehmen möchte...#als Bundeskanzler hat er ja schwere Augaben zu stemmen: Übeflutungen, Kriege im fernen IRAK...

Nein, Erich Kästners Kritik an den Lehrern 1930, der er eine noch schärfere nachreichte:
Auf geht�s�s: Der Stilschlacht erster Teil:

Erich Kästner: Von faulen Lehrern

Zu lernen ist schwer. Zu lehren noch schwerer.
Mir ist diese Thema gut bekannt.
Ich kenne den deutschen Volksschullehrer
aus erster Hand.

Ich weiß, daß er sich die ersten zehn Jahre
mit hohen Idealen balgt.
Dann aber läßt seine Seele Haare
Und er verkalkt.

Nun trabt er auf tänzelnden Steckenpferden
zur Altersgrenze und läßt sich Zeit.
(Ich sollte selbst mal Lehrer werden
und weiß Bescheid.)

Ein jeder spezialisierte sich. Nämlich:
Der erste sucht Berge, die er besteigt;
der zweite frißt sich langsam dämlich;
der dritte geigt.

Der vierte betreibt Familiengeschichte.
Der fünfte hockt ständig vorm Hühnerstalle.
Nur in der Schule, beim Unterrichte,
da gähnen sie alle.

Sie wurden, das Volk zu erziehen, berufen!
Nun stehn sie herum und marschieren am Ort.
Und nur auf ihres Gehaltes Stufen
schreiten sie fort.

Einst hungerten sie nach geistiger Nahrung
und wahren Freunde gepflegten Lateins.
Jetzt sind sie verstopft mit Paukererfahrung
und Einmaleins.

Sie könnten für Deutschland Größeres leisten
als Leute mit Namen und großem Maul.
Sie könnten. Sie sollten! Aber die meisten
von ihnen sind faul.
(Zuerst in: "Jugend". Nr. 26. 1930. S. 567)

Damals - 1930? Da wurde gegen Kästner protestiert, Abos abbestellt - und ein Redakteuer ließ sich erpressen, den Kästner erst mal aufs Eis zu legen...
Der ließ eine weitere gekonnte Sottise drucken, anderswo, nachdem die kritisierten Lehrer bei der Redaktion der �Jugend� böse Leserbriefe abluden und Kündigungen abließen: Die Antwort wurde aber nicht gedruckt. Die Reaktion, äh, Redaktion hatte Angst...!!

Erich Kästner
An die beleidigten Lehrer

Die Lehrerschaft hat erklärt:
�Kästner hat uns beleidigt.�
Es wird Zeit, daß sie erfährt,
wie Kästner sich verteidigt.

Er läßt euch hierdurch sagen:
ihr brachtet den Kindern zwar bei,
nach dem Akkusativ zu fragen
und was eine Gleichung sei.

Aber er hatte sich mehr erträumt!
Er sah eure höhere Pflicht.
Diese habt ihr versäumt.
Diese tatet ihr nicht!

Zwölf Jahre, behauptet er,
vergingen seit dem Krieg.
Zwölf Jahre sind es her,
seit er euch liebte und schwieg.

Jetzt steht er von euch entfernt.
Sein herz wurde immer schwerer.
Das Volk hat nichts gelernt.
Und ihr wart des Volkes Lehrer!

Ihr fandet nur dafür zeit,
das Einmaleins zu lehren.
Nun sind sie wieder soweit
und spielen mit Schießgewehren.

Sie saßen in euren Klassen.
Sie waren in eurer Hut.
Nun wollen sie wieder hassen.
Nun wollen sie wieder Blut.

So habt ihr Deutschland erzogen!
Und da stellt ihr euch hin und sprecht:
"Kästner, der Kerl hat gelogen."
Nein, der Kerl hat recht!

(E.K.: Zeitgenossen, haufenweise. Werke. Bd. I. Gedichte. München 1998. S. 345f.)


schorsch antwortete am 07.07.03 (09:01):

Seis nun ein Kästner, W. Busch oder schorsch:
mit der Zeit werden sie alle grantig und morsch.
Und wie sie sich ärgern und plagen ganz arg:
ihr Ende ist das gleiche: im hölzernen Sarg!


js antwortete am 07.07.03 (09:26):

Seis nun ein Kästner, W. Busch oder schorsch:
mit der Zeit werden sie alle grantig und morsch.
Und wie sie sich ärgern und plagen ganz arg:
ihr Ende ist das gleiche: im hölzernen Sarg!

Doch trotzdem lohnt sich jeden Tag,
Zu prüfen ob man sich noch mag.
Denn mindestens die halbe Zeit,
Soll man für Schönes sein bereit.
Und wär es nur ein Sonnenstrahl,
Der vorspitzt aus dem tiefen Tal,
Ein Lächeln einer armen Seele,
Ein Funkeln einer Tropfsteinhöhle.

u.s.w.

auch ich schätze ihn sehr, wohnte gar nicht so weit entfernt von mir, als Kind, ich wusste aber davon nichts.


Mart antwortete am 07.07.03 (23:06):

Danke!

Erich Kästner hatte aber ein durchaus differenziertes Bild über die Schule und die Lehrer.

(https://www.kaestner-im-netz.de/leben/hintergruende/Schule/schule.html)
�Er hatte zu Hause Lehrer als Menschen kennengelernt, die lachen konnten und freundlich waren. In der Schule, die er später wiederholt als �Kinderkaserne� bezeichnete, traf er auf Lehrerfeldwebel, die mit dem Rohrstock Wissen und Gehorsam erzwingen wollten.
Selbstständiges Denken war weder gefordert noch erwünscht � zumindest nicht bei den Kindern aus ärmeren Familien, die auf der Volksschule bleiben mussten und nicht eine der höheren Schulen besuchen durften. Ihnen winkte höchstens der Sprung ins Lehrerseminar, in dem Volksschullehrer ausgebildet wurden. Dass Schule auch ganz anders sein konnte, stellte Kästner fest, als er sich aus dem Lehrerseminar, das er von 1913 bis 1917 besuchte, verabschiedete.
Er wechselte auf das Dresdener König-Georg-Gymnasium, wo er 1919 das Abitur mit Auszeichnung machte. Hier traf er Lehrer, wie er sie sich als Kind vorgestellt hatte. Er erlebte zum ersten Mal Professoren, �die sich während des Unterrichts zwischen ihre Schüler setzten und diese, auf die natürlichste Weise von der Welt, wie ihresgleichen behandelten.�
(In: Zur Entstehungsgeschichte des Lehrers in: Der tägliche Kram, S.91)
In seinem Kinderroman �Das fliegende Klassenzimmer� hat Kästner 1933 solchen verständnisvollen Lehrern, die durch Persönlichkeit statt Gewalt überzeugen, ein Denkmal gesetzt und in seiner �Ansprache zum Schulbeginn� mahnt er wohl nicht nur die Schüler kritisch und selbstbewusst zu sein, indem er fordert: �
*Laßt euch die Kindheit nicht austreiben!�
*Haltet das Katheder weder für einen Thron, noch für eine Kanzel!�
*Nehmt Rücksicht auf diejenigen, die auf euch Rücksicht nehmen!�
*Seid nicht zu fleißig!�
*Lacht die Dummen nicht aus!�
*Mißtraut gelegentlich euren Schulbüchern!�


Antonius antwortete am 08.07.03 (00:20):

Ja, sein Aufruf, Lehrern und/oder Lesebüchern zu misstrauen, stand immer bei mir in den ersten Wochen in einer Klasse 5 auf dem Plan. Zehn Jahre lang in dem eingeführten Lesebuch unserer Schule.
Kästner war ja Lehrer... Er wusste vom Zwangshandeln und von den Sadisten; von denen, die sich nicht mehr an die eigene Kindheit erinnern können, aber lehren, verschrecken und sich aufblähen wollen.