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THEMA:   Lessings Emilia Galotti

 5 Antwort(en).

Aleshanee begann die Diskussion am 28.09.03 (10:36) mit folgendem Beitrag:

Hallo,

ich lese seit einiger Zeit begeistert an Lessings Werk Emilia Galotti. Jedes Mal fällt mir etwas anderes, neues spannendes auf, wenn ich es wieder aufschlage.

Jetzt wollte ich euch fragen: Was glaubt ihr, sind die Schlüsselszenen in diesem Buch und warum? (nicht nur z.B. die Szene als Emilia getötet wird, sondern auch welche wie, das Bündnis zwischen Odoardo und Orsina, etc.)

Außerdem habe ich noch einmal eine generelle Frage. Zu der betreffenden Zeit, also direkt in der Epoche der Aufklärung, wie stand da der Adel und die Monarchen zum Christentum oder der Kirche im allgemeinen? Der Prinz "belästigt" Emilia ja an genau dieser Stelle, wo sie in der Kirche beten will. Mir zeigt das keine Ehrfurcht gegenüber der Kirche/Gott, aber lässt sich das auch historisch rechtfertigen oder belegen?

Vielen Dank für ihre Antworten, ich würde mich sehr freuen!


tiramisusi antwortete am 28.09.03 (12:38):

Das Verhältnis vom Adel zur Kirche und dem Glauben war zu allen Zeiten bigott - im besonderen zur Zeit der Emilia Galotti. Das ist Fakt und das war zu allen Zeiten so und das sogenannte Bürgertum fühlte sich auf der sicheren Seite, denn ärmer zu sein war ja schon eine Tugend, glaubt man den Aussagen der Kirche ..

Das ganze Stück ist auf den ersten Blick eine (natürlich völlig ungerechtfertigte und übertriebene) Kritik am Adel und den "besser gestellten Leuten", an dem der skandalsüchtige "bürgerliche" Pöbel sich damals genau so aufgeilte wie es heute die Leser der Yellow Press an den Geschichten und Skandalen aus den Adelshäusern zu tun pflegen. Heute gibt es Paparazzi und Schmierfinken - damals gab es die Dichter, die sich höchst skandalöse Tragödien ausdachten, auf dass die sensationsgeile Masse die Theater stürme. Lessing hat sich dieser Tricks erfolgreich bedient - heute ist er ein Klassiker mit diesen eigentlich fürchterlichen Geschichten :-) Man übertrage die Geschichten um Lady Diana mal in Lessings Zeit - wäre bestimmt spannend, was er daraus gemacht hätte ..

Sätze wie "Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert" gesprochen von der sterbenden Emilia, zeigen, wie unglaublich narzißtisch-naiv "tugenhafte Bürgertöchterlein" vom ach so tugenhaften Bürgertum gerne dargestellt wurden. Ob die wirklich so naiv waren, bezweifle ich. Die eigene Tochter lieber zu meucheln, bevor so ein böser Prinz sie nimmt ... und das Töchterlein das auch noch in Orndung findet ... da haut Lessing den guten Bürgern und ihrer doppelten, verlogenen Moral aber ganz schön eine rein :-)

Oft wird das Stück so interpretiert, dass den "feudalen Vorstellungen von Liebe und Besitz des Adels die neue, empdindsame und aufgeklärte Denkweise des Bürgertums" gegenübergestellt wird - aber offen gestanden bezweifle ich das. Lessing ist zu klug, um so eine Geschichte in diesem Sinne interpretiert zu wissen - das ist wenigstens meine Meinung.

Persönlich finde ich den Marinelli am interessantesten und ehrlichsten - auch wenn er in der Handlung als der mieseste Dargestellt wird. Aber er ist klar zu erkennen - er kennt weder familiäre Bindung noch Liebe oder Gefühle und ist nur sich selbst treu. Er ist karrieregeil und geht auf seinem Weg nach oben über Leichen. Er glaubt, aus dem Vertrauen seines Chefs (dem Prinzen) vor allem Vorteile zu haben und die Fäden in der Hand zu haben, merkt aber gar nicht, dass er als Marionette am anderen Ende der Fäden hängt, die der Prinz so benutzt, wie er es grad braucht. Entsprechend bricht es ihm das Kreuz - solche Gestalten findet man zu Hauf in der heutigen Zeit - man muss sich nur politische und wirtschaftliche Skandale ansehen -


Aleshanee antwortete am 28.09.03 (16:18):

hallo tiramisusi!

vielen dank für die antwort. sie scheinen sich wirklich sehr gut mit dem stück auszukennen. deshalb habe ich noch eine frage, die sie mir vielleicht beantworten können...

gegen ende des stückes wird alles immer verstrickter, komplizierter. langsam steige ich nicht mehr durch, wer welche intrige spinnt...vielleicht können sie mir da weiterhelfen.

meinem eindruck nach hatte marinelli von anfang an den tod des appiani geplant und sich auch schon eine ausrede einfallen lassen, falls er damit konfrontiert werden würde (seine ehre sei verloren, da er sich nicht mehr mit appiani duellieren könnte). er redet dem prinz sogar ein, dieser sei selbst schuld, da er sich in der kirche hatte blicken lassen....so verschwören sich also theroretisch beide gegen odoardo, der verdacht schöpft - der prinz denkt so, dass er nicht verdächtigt wird...

aber glauben sie, dass er marinelli durchschaut? ganz am ende wird ja deutlich, dass er ihn wegen dem tod emilias sofort in die wüste schickt. spielt er marinellis letzte intrige mit, um ihn dann für alles verantwortlich zu machen und ihn in sicherheit zu wiegen?

wie würden sie odoardos motive einschätzen emilia zu töten? geht es ihm wirklich nur um die erhaltung ihrer moral? wenn er sie nicht töten würde, wäre er schuld am moralischen tod seiner tochter?

ich weiß es ist eine menge, aber diese dinge lassen mich einfach nicht los, ich wäre ihnen deshalb sehr verbunden, wenn sie auf die genannten fragen noch einmal eingehen könnten:)

viele liebe grüße, Aleshanee


Aleshanee antwortete am 28.09.03 (16:26):

eines hab ich noch vergessen...

wenn man nun beachtet, wie sich im 5. aufzug der prinz und marinelli gegen odoardo verschwören, wie kann man die letzte äußerung des prinzen verstehen?

" - O Galotti, wenn sie mein Freund, mein Führer, mein Vater sein wollten!"

was bezweckt er damit?

und beginnt odoardo nicht auch an emilia zu zweifeln? "wenn sie sich mit ihm verstände? wenn sie es nicht wert wäre, was ich für sie tun will?"

meint er damit, den prinzen zu töten, oder sie, um sie zu retten??

sie sehen, ich bin recht verwirrt...aber vielleicht fällt ihnen eine antwort ein...

vielen dank noch einmal dafür.

Aleshanee


dirgni antwortete am 28.09.03 (19:12):

Hallo Aleshanee,

die Interpretation von tiramisusi ist zweifellos interessant; vielleicht möchtest Du auch noch andere Gedankengänge lesen: www.lindenhahn.de/veroefft/galotti.htm


tiramisusi antwortete am 29.09.03 (08:39):

:-)
Ich seh schon, ich muss mir den ollen Lessing doch noch mal herauskramen, um Dir eine präzise Antwort zu geben, das will ich so aus dem Gedächtnis nicht riskieren. Hab also etwas Geduld - ich melde mich :-) So genau habe ich das Drama nicht mehr im Kopf - ist immerhin 36 Jahre etwa her ...