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THEMA:   Eine Puppenmutter schreibt einen Brief...

 3 Antwort(en).

iustitia begann die Diskussion am 25.10.03 (17:36) mit folgendem Beitrag:

Ein Vertrauensarzt schreibt im Namen der verloren gegangenen Puppe "Punzel" an die traurige Puppenmutter liebenswürdige Briefchen:

Chère maman, heute nur un petit billet vom Speisewagen Aßmannshausen-Paris/Est.

Gaston bringt eben den dritten Pernod, das Menu war an-genehm. Stell Dir vor! Man hat mir schon zwei Anträge gemacht. Aber schicke rasch, schicke sofort das Karierte und den Velour. Im oberen Fach!
Adresse: ,�Hotel Georges V�, avenue Georges V, man hat mir das Haus empfohlen.
Es war nicht ungefährlich, mich über eine [1] Stunde ohne Aufsicht am Bahndamm der Schilleranlage liegen zu lassen, doch sprechen wir nicht mehr davon.
Die Gegend ist niedlich, ich will ein ein wenig im Gang promenieren. Französische Zigaretten sind mir zu herb, man bleibt wohl besser bei türkischen Tabaken?
Tschüß bis gelegentlich. Ich weiß noch nicht, wie lange ich bleibe. Küsschen hinters Ohr. Grüße Doktor Wambach, ich lernte ihn bei der Abfahrt flüchtig kennen. Die Post will ich über seine Adresse leiten, sonst hast Du Ärger mit
meinen Großeltern. Punzel

P.S. Gaston macht mir Augen. Ein hübscher Bengel, etwas zu glatt, aber hübsch, sans doute!

*
Der Vertrauensarzt entpuppt sich in der letzten Lebenswoche als liebenswürdiger Großpapa...
Und das Ganze, also eine gesamte Woche mit sieben Briefen, ist ein Kunstwerk eines schon wieder vergessenen Autors...


dirgni antwortete am 26.10.03 (09:27):

Klaus Nonnenmann - Die sieben Briefe des Doktor Wambach ?


iustitia antwortete am 26.10.03 (10:40):

Ja, dirgni!

Als Belohnung noch den zweiten Brief des Püppchens, der natürlich von dem Obervertrauensarzt Wambach geschrieben wurde: Zweiter Brief der Puppe an die Mama:

O Mutti chère mamutschka, ich bin glücklich! Ich weine und bin glücklich.
Du müßtest ihn sehen! Er hat Hände wie, ich weiß nicht wie. Zart wie Ginger. Und Augen hat er, o Du Liebe, grau, grün oder so, vielleicht auch dunkelgelb. Ridicule! Ich sah nur sie und weil nicht, weiche Farbe sie haben. , um Hast Du den Velour abgeschickt und das Karierte ? Ver-giß es nicht. Adresse, wie gesagt: Hotel Georg V. Was für ein Haus! Größer als meine Puppenstube, oder sagen wir: so groß wie Ziesels Hühnerhaus, kennst Du Ziesels ?
Oder noch größer. Aber vornehm. Keiner redet laut. Ein bißchen wie Hotel Rheinterrasse.
Oh, ich weiß alles, Doktor Wambach hat's mir eben telefoniert, schöne Blamage.
Er - heißt: Gèrard, und ist ein Prinz, ein richtiger, stell Dir vor! Ich würde ihn auch als Bettler lieben, aber nun ist er mal Prinz, das ist doch besser, findest Du nicht?
Wer hätte das gedacht, als Du mich über eine [!] Stunde ohne Aufsicht am Bahndamm der Schilleranlage - doch reden wir nicht davon.
Gèrards Mutter müßtest Du sehen. Zum Fürchten schön, eine Dame. Eine richtige Fürstin. Auch so, äußerlich, weißt Du. Ich durfte lange in ihrem Coupè sitzen, sie hatten eines für sich allein, und erster Klasse, oh! Für Gèrard, Seine Gnädige Frau Mutter und Herrn Professor von Haselberg, einen Deutschen. Das ist sein Leibarzt. Komischer Name, cela! Ob es auch Seelenärzte gibt?
Die Fürstin fragte nach meinem Gepäck. Diese Schande, und ich bin nur so! Ein gelber Schuh fehlt auch, und mein Schürzchen ist am Band schon ganz verschlissen. Schicke ja gleich die Sachen! Ich glaube, Professor von Haselberg mag mich nicht. Er sprach fast kein Wort und las ein schweres Buch über Iso-bahnen oder so. Nur einmal, kurz hinter Chateau-Thierry, sagte er mit seinem suffisanten Lächeln:
�Mademoiselle haben wohl ihr Gepäck aufgegeben?�
O mon Dieu, nur Gerard liebt mich. Das spürt man. Nicht wahr, Muttilein, sowas spürt man doch?!
Morgen treffen wir uns im Bois, heimlich und allein. Nur rasch den Velour. Und Geld. Vor allem Geld, viel Geld, ich habe das Gefühl, daß man immer weiches haben sollte. Sicher kostet das etwas, so ein Hotel, größer als Zie-sels Hühnerhaus. Tausend Küsse!
Ist noch was im Schweinchen? Schick�s gleich mit!!

Deine Rapunzel

P. S. Jetzt weine ich wieder.
*
Das Motiv dieses Kurzromans einschließlich der sieben Briefe geht auf eine Anekdote zurück, die Dora Dymant, Lebensgefährtin Franz Kafkas, gestorben 1952, unter Hinweis auf ein persönliche Erlebnis Kafkas, einer Bekannten erzählt hat.
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Klaus Nonnenmann ist 1993 verstorben. Ob's z. Zt. diesen Roman "Die sieben Briefe des Doktor Wambach" noch gibt, weiß ich nicht, bei booklooker.de ist er preiswert zu haben.


Medea. antwortete am 26.10.03 (13:14):

Diese beiden Brieflein der Puppe Rapunzel haben mir so gut gefallen, daß ich auch die anderen lesen möchte. Mal sehen, was sich machen läßt....
Klaus Nonnenmann war bis bis dato unbekannt .... :-((