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THEMA:   Leseprobe - erkennt es jemand?

 15 Antwort(en).

tiramisusi begann die Diskussion am 12.11.03 (22:27) mit folgendem Beitrag:

..Und gewiss war Mama zufrieden mit dem, was ihr Gott von ihr forderte, denn er forderte nichts Unangenehmes.
Er wollte erstens, dass Mutter und Tochter morgens im Bett liegen blieben, so lange es ihnen passte, und dass sie dort bequem ihren Zwieback mit Butter und Honig knabbern und Kaffee trinken sollten. Sodann befahl er ihnen zu baden und sich den Körper mit Benzoe-Elixier einzureiben, das Gesicht über dem Dampf siedender Milch zu halten und ihrem Haar mit moschusduftendem Mandelöl und ihre Fingernägel mit Mahagonitinktur Glanz zu verleihen. Darauf wandten sie sich einer Beschäftigung zu, die all ihre geschicklichkeit erforderte: dem Färben der Wimpern, der Brauen, der Lippen und der Wangen. Und wenn dies alles sorgfältig getan war, mussten sie zu Mittag essen, rauchen und Mittagsruhe halten. Um die Stunde, da sich die Sonne zum Horizont neigt, hiess es dann wieder aufstehen, würzige Kräuter verbrennen, Fruchtsäfte trinken und schliesslich zum hauptteil des tages übergehen: zu den Liedern, den Tänzen, dem fest, das bis Mitternacht dauerte.

Meine Mutter war sehr viel reicher als mein Vater, und trotz ihrer wahnwitzigen Ausgaben warf ihr Vermögen, das sie in die nicht gerade durchsichtigen ihrer brüder hineinsteckte, so grosse Einkünfte ab, dass sie davon noch jeden Monat (und immer bei ihren Brüdern) Geld zurücklegen konnte, das für meine Schwester und mich bestimmt war.
Ich kenne die geschichte meiner Mutter nicht sehr gut. Icherinnere mich jedoch, dass sie erzählte, ihre Eltern seien reiche Gasthiofbesitzer gewesen. Ihr vater, ein guter und frommer Türke, war gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf Befehl der Hohen Pforte von Istanbul nach Braila geschickt worden, um dort einen Gasthof aufzumachen und er hatte den Auftrag erhalten, alle wichtigen Persönlichkeiten zu empfangen und zu beherbergen, die der Sultan in sein pasalik sandte. Er hatte drei Frauen: zwei Griechinnen und eine Rumänin - letztere war die Mutter meiner Mutter; die anderen beiden die Mütter dreier Knaben, von denen einer wahnsinnig geworden ist und sich erhängt hat. Aber meine Mutter und ihre beiden Halbbrüder waren sich nur dann einig wenn es galt, im väterlichen Hause alles auf den Kopf zu stellen.

>>>Fortsetzung


tiramisusi antwortete am 12.11.03 (22:35):

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Wie es scheint, tat man in diesem Hause nichts interessanteres als Geld anzuhäufen und in drei verschiedenen Sprachen zwei Götter anzubeten. Die beiden Jungs verlegten sich auf den Schmuggel, und meine Mutter, damals noch sehr jung, war drauf und dran, ihnen zu folgen, als der brave Türke sich kurz entschloss, sie mit einem strengen und herzlosen Mann, meinem Vater, zu verheiraten, der sich in sie vernarrt hatte. "Wahrscheinlich" wie meine Mutter zu sagen pflegte, " in einem Augenblick, als der liebe Gott gerade einmal in der Nase bohrte!" Mein Grossvater gab meinem vater viel Gold und vermachte meiner Mutter testamentarisch einen grossen Teil seines Vermögens mit dem Recht, es nach ihrem belieben zu verwalten, jedoch unter der Bedingung, dass sie verheiratet bliebe. So wurde sie an den Man gefesselt, den sie verabscheute, doch aus Furcht, andernfalls um Hab und Gut gebracht zu werden, beugte sie sich dem Willen des Türken, war zahm wie ein Schmeichelkätzchen, errang schliesslich nach Jahren peinvoller Treue sein Vertrauen und bei seinem Tode gelang es ihr, ihm das Vermögen zu entreissen, das ihr bestimmt war und das sie ihren beiden Brüdern, die sie anbeteten, zum Aufbewáhren gab.
>>>


tiramisusi antwortete am 12.11.03 (22:44):

Jetzt begann ein Leben voller Feste, Vergnügungen und toller Liebschaften, das sich vor meinen Augen abspielte und das mein Vater trotz all seiner Gewalttätigkeiten nicht mehr verhindern konnte. Meine Mutter hätte ihm gern ihre Mitgift geschenkt, wenn er ihr nur die Freiheit wiedergegeben hätte. Doch ihm war daran gelegen, sich für den ihm angetanen Schimpf zu rächen. Am tage ihrer trennung hatte er alles mitgenommen, was ihm gehörte, und auf mich und meine Schwester weisend hatte er zu mama gesagt: "Diese beiden Schlangen lasse ich dir, das sind nicht meine Kinder, nein, die sind nach ihrer Mutter geraten!" "Wolltet ihr etwa,dass sie nach ihrem Vater geraten wären?"hatte sie erwidert. "Ihr seid ein Ausgedorrter, ein Toter, der die Lebenden am Leben hindert ... ich wundere mich schon sogar sehr, dass Ihr, verdorrt wie Ihr seid, ehemals jenen anderen, jetzt auch schon verdorrten Spross habt hervorbringen können, der so recht Euer Sohn ist, aber nicht meiner!"
Und die arme Mutter hatte recht, er hinderte sie immer mehr am leben. Da er wusste, dass meiner Mutter an ihrem Gesicht ebensoviel lag wie an ihrem leben, schlug er vor allem auf dieses Zentrum ihres Lebens ein; und in der letzten Zeit musste die Unglückliche sich oft acht oder zeht Tage pflegen, damit die blauen Flecken und die Wunden verschwanden.

.....


Sofia204 antwortete am 13.11.03 (00:31):

..es könnte von Dir selber sein.. ,-)


tiramisusi antwortete am 13.11.03 (00:41):

:-))) so lange sätze schreib ich aber nicht und mein vater mag ein durchschnittlicher mistkerl von einem ehemann gewesen sein aber geschlagen hat er meine mutter nie.


Medea. antwortete am 13.11.03 (08:32):

Vielleicht mal eine kleine Andeutung machen, liebe tiramisusi?

War der Schriftsteller ein Russe??


tiramisusi antwortete am 13.11.03 (09:26):

Aber gerne, medea:-) :

Er war der Sohn einer rumänischen Bäuerin und eines griechischen Tabakschmugglers, schrieb vor allem in Französisch und war einer der erfolgreichsten Autoren dieser Sprache in den 20ern. Romain Rolland nannte ihn den "Gorki des Balkans". Er vagabundierte zwischen Orient und Okzident und wie Gorki gehörte all seine Sympathie den Menschen am Rande der Gesellschaft. Er war ds "Zuckerpüppchen" der franz. Kommunisten, als er jedoch nach einem Besuch der Sowietunion entsetzt über die wahren Zustände im Arbeiterparadies berichtetete, rissen ihn die linken Intellektuellen vom Sockel und begann eine beispiellose Rufmordkampagne gegen ihn, die ihm schliesslich das Leben kostete.


pilli antwortete am 13.11.03 (09:58):

danke für den tipp, Angelika :-)

heureka!

ich verrate aber nix...auch der u.a. link hilft nur weiter, wenn mann oder frau die vielen dort genannten richtig zuordnet.

;-)

Internet-Tipp: https://home.t-online.de/home/totok/halbja~1.htm


DorisW antwortete am 13.11.03 (10:10):

Ach so, der :-)

Ich glaube, du hast ihn schon mal als einen deiner Lieblingsschriftsteller erwähnt, Angelika.


Medea. antwortete am 13.11.03 (11:52):

Oh ja, auch ich erinnere mich .... ;-)

und es war n i c h t Nikos Kazantzakis, sondern der
andere ... - lach


dirgni antwortete am 13.11.03 (12:21):

"Dès que l�homme est trop heureux, il reste seul ; et il reste seul, également, dès qu�il est trop malheureux."

Das ist doch von ihm?


DorisW antwortete am 13.11.03 (12:29):

Würdest du das bitte übersetzen, dirgni?


tiramisusi antwortete am 13.11.03 (12:34):

ja das ist von ihm, dirgni :-)


dirgni antwortete am 13.11.03 (14:01):

Sobald der Mensch zu glücklich ist, bleibt er allein; und er bleibt auch allein, sobald er zu unglücklich ist.

Wollt ja nur mal zur ST-Elite gehören :-) Kannte den Schriftsteller bisher nicht, hab ihn aufgrund eurer Hinweise ergoogled und dann in "citations du monde" nachgeschlagen.

Hab durch die Rätsel hier schon so manches gelernt!


tiramisusi antwortete am 13.11.03 (14:44):

also dirgni!!! nu aber :-))
du bist zu mindest für mich hier im forum eine derjenigen, die hier zur "grauen eminenz" gehören ...

keine schleimerei, ganz ehrlich gemeint.

liebe gruesse
angelika bullerkopf


Sofia204 antwortete am 13.11.03 (18:39):

dirgni von 14:01

"Sobald ein Mensch zu glücklich ist,
bleibt er allein; und er bleibt auch allein,
sobald er zu unglücklich ist."

fällt mir dazu ein anderer ein, Robert Musil,

sagt so in -einem- Satz:

.."keiner weiß warum, aber man liebt nicht,
daran erinnert zu werden,
daß die äußersten Heimlichkeiten des Leides
und der Lust, die man als die tiefsten Erregungen
des eigenen Wesens ahnt, den einen ohne Unterschied
gegen den anderen treffen; man fühlt das wie einen Eingriff,
wie ein Zunahekommen, man rückt ab,
man sucht unwillkürlich das gestörte Gleichgewicht
wiederzugewinnen und statt Mitgefühl zu empfinden
wird man von einem ruchlosen Trieb der Notwehr gedrängt,
das Gesehene als widerwärtig oder lächerlich zu fühlen."