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THEMA:   Mörike-Jahr

 30 Antwort(en).

iustitia begann die Diskussion am 25.02.04 (06:53) mit folgendem Beitrag:

2004 ist ein "Mörike-Jahr".
Ich werde einige Widmungsgedichte auf Mörike einstellen, die zeigen, wie sich deutsche Autoren mit ihrem großen Lyriker beschäftigt haben.
*
Theodor M o m m s e n: Eduard M ö r i k e

Vorüber fluten stolz des Elbstroms Wellen,
Die Schiffe tragend mit dem goldnen Horte -
Der Reichtum wohnt hier wohl am weiten Porte,
Allein der Friede weilet bei den Quellen.

So will der Strom der Dichtung auch sich schwellen
Und weiter strebt er von der stillen Pforte,
Wo Blumen wuchsen am verborgnen Orte
Und wo am Waldsaum gaukelten Libellen.

Ach! Wir sind oft anmutig, oft erhaben,
Allein Gervinus stellt uns zu der Prose,
Und Recht behält er, sind wir erst begraben.

Da fand ich in dem eignen Bett von Moose
Erblühend im geheimsten Teil von Schwaben
Des reichen Liedersommers letzte Rose.
*
(Th. Mommsen, Tycho Mommsen und Theodor Storm:
Liederbuch dreier Freunde. Kiel 1843. S. 157)


DorisW antwortete am 25.02.04 (08:08):

Autsch! Das holpert aber gewaltig:
"Ach! Wir sind oft anmutig, oft erhaben,"

Das mit den Sonetten müssen wir noch üben, Herr Mommsen ;-)


Irina antwortete am 25.02.04 (08:49):

Wobei offenbar bis heute noch nicht klar ist, wie der Name Möri(c)ke geschrieben wird.
Bestes Beispiel s. Link

Internet-Tipp: https://makeashorterlink.com/?H59D52487


dirgni antwortete am 25.02.04 (09:34):

Eduard Mörike

Ein Schwabenkind, in traut umschränkter Enge
Am Quell der Heimatsagen ausgesprossen,
Von Goethes und der Griechen Hauch umflossen,
Steht deine Muse fern dem Weltgedränge.

Tiefsinnig auch durch die geheimsten Gänge
Der Menschenbrust wagt sie den Weg entschlossen,
Dann wieder übt sie ungebundne Possen
Schalkhaft im Schatten kühler Waldeshänge.

Dem Schiffer, der beschwert mit Warengütert
Vorbeizieht auf dem breiten Strom des Lebens,
Verhallt dein Lied, gleich dem Gesang der Grille.

Noch aber darbt die Welt nicht an Gemütern,
Die auch das Leise rührt, und nicht vergebens
Ward dir der Märchenzauber der Idylle.

(Paul Heyse)


Gudrun_D antwortete am 25.02.04 (11:19):

* Mörike wurde am 8.9.1804 in Ludwigsburg geboren. Dort besuchte er die Lateinschule und ab 1818 das Seminar in Urach. 1826 begann er Tätigkeit als Vikar in Nürtingen, 1827/1828 arbeitete er als Redakteur bei einer Zeitschrift. Von 1834-1843 war er Pfarrer im Ort Cleversulzbach. Mörike wurde vorzeitig pensioniert, er war dann unter anderem Literaturlehrer in Stuttgart, 1855 Hofrat und er erhielt 1856 eine Professur. Ab 1871 lebte er wieder in Stuttgart. Mörike starb am 4.6.1875 in Stuttgart. *

Nun,ich denke die Geburts-und Heimatstadt dieses grossen Dichters wird wohl wissen,wie der Name geschrieben wird.
Auch im stadtarchiv nachzulesen.


Gudrun_D antwortete am 25.02.04 (11:26):

*. Er ist's!

Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
Horch, von fern [ein]1 leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!*

Wer denkt nicht in den ersten Frühlingstagen an dieses Gedicht von Mörike


maedel antwortete am 25.02.04 (12:10):

Auch das ist Mörike.
Es erinnert mich an meine Schulzeit.
Wir hatten einen Deutschlehrer, der *Mörike* mochte
und lies uns die Gedichte auswendig lernen.


Storchenbotschaft

Des Schaefers sein Haus und das steht auf zwei Rad,
Steht hoch auf der Heiden, so fruehe, wie spat;
Und wenn nur ein mancher so'n Nachtquartier haett!
Ein Schaefer tauscht nicht mit dem Koenig sein Bett.

Und kaem ihm zu Nacht auch was Seltsames vor,
Er betet sein Spruechel und legt sich aufs Ohr;
Ein Geistlein, ein Hexlein, so lustige Wicht,
Sie klopfen ihm wohl, doch er antwortet nicht.

Einmal doch, da ward es ihm wirklich zu bunt:
Es knopert am Laden, es winselt der Hund;
Nun ziehet mein Schaefer den Riegel - ei schau!
Da stehen zwei Stoerche, der Mann und die Frau.

Das Paerchen, es machet ein schoen Kompliment,
Es moechte gern reden, ach, wenn es nur koennt!
Was will mir das Ziefer? - ist so was erhoert?
Doch ist mir wohl froehliche Botschaft beschert.

Ihr seid wohl dahinten zu Hause am Rhein?
Ihr habt wohl mein Maedel gebissen ins Bein?
Nun weinet das Kind und die Mutter noch mehr,
Sie wuenschet den Herzallerliebsten sich her?

Und wuenschet daneben die Taufe bestellt:
Ein Laemmlein, ein Wuerstlein, ein Beutelein Geld?
So sagt nur, ich kaem in zwei Tag' oder drei,
Und gruesst mir mein Buebel und ruehrt ihm den Brei!

Doch halt! warum stellt ihr zu zweien euch ein?
Es werden doch, hoff' ich, nicht Zwillinge sein? -
Da klappern die Stoerche im lustigsten Ton,
Sie nicken und knicksen und fliegen davon.



Wer noch mehr lesen mag, der schaue hier nach .....

Internet-Tipp: https://gutenberg.spiegel.de/moerike/gedichte/0htmldir.htm


Irina antwortete am 25.02.04 (14:33):

Wenn die Unterschrift auf der unten angegebenen Seite "echt" ist, zeigt uns Eduard selbst, wie sein Name geschrieben wird *freu*.

Irina

Internet-Tipp: https://www.eduard-moerike.net/


Gudrun_D antwortete am 25.02.04 (15:34):

tja,irina
wer etwas besser machen will,der sollte sich vorher gründlich informieren;-)

Mörike selber wird wohl mit seiner Unterschrift beweisen,wie sein Name geschrieben wird!

Internet-Tipp: https://gutenberg-spiegel.de/autoren/signatur/mörike.gif


Gudrun_D antwortete am 25.02.04 (15:47):

da hatten wohl 2 zur gleichen Zeit den selben Gedanken;-))
und andere was zu lachen.....


Irina antwortete am 26.02.04 (08:06):

"...wer etwas besser machen will,der sollte sich vorher gründlich informieren ..." (Gudrun_D)

Zum einen: natürlich habe ich nichts "besser machen" wollen, sondern lediglich auf die verschiedenen Schreibweisen des Namens (unterschiedlich sogar auf der Webseite einer Schule) hinweisen wollen.

Zum anderen: der Webmaster wird mit Entzücken beobachten, wie Du immer wieder neu anfängst zu streiten.

www.irina.nerv


Irina antwortete am 26.02.04 (08:09):

" ... zur gleichen Zeit ..." (Gudrun_D)

??????????????????
Erst lesen müßte man, d a n n schreiben.

Irina


iustitia antwortete am 26.02.04 (08:11):

Die Schreibweise "Möricke" geht auf eine alte Familientradition zurück, die Mörike selber noch, als Vicar, um 1828/29, benutzt hat. Die Familie stammte aus Brandenburg, bevor sie nach Schwaben zog. Ein "ck" ist nicht sinnvoll auszusprechen: Mörik-ke...? Die erste Silbe wird aber betont. So wurde die Schreibung "ck" als fehlerhaft und unsinnig danach nicht mehr verwendet von der Familie und der Forschung; es gab aber immer wieder Liebhaber, die dieses "ck" transportiert haben in Anthologien, in Lebensromanen.


iustitia antwortete am 26.02.04 (18:26):

Karl Krolow:
Neues Wesen

Blau kommt auf
wie Mörikes leiser Harfenton.
Immer wieder
wird das so sein.
Die Leute streichen
ihre Häuser an.
Auf die verschiedenen Wände
scheint die Sonne.
Jeder erwartet das.
Frühling, ja, du bist's!
Man kann das nachlesen.
Die grüne Hecke ist ein Zitat
aus einem unbekannten Dichter.
Die Leute streichen auch
ihre Familien an, die Autos,
die Boote.
Ihr neues Wesen
gefällt allgemein.
(1968)


iustitia antwortete am 27.02.04 (21:09):

Das Mörike-Jahr geht weiter:
*
Otto Heinrich Kühner:
FRÜHLING

Von Cadiz kommt er, im
Fußmarsch, mit Löwenzahn und
Transistoren.
Gegen Mörike kann der
Winter nicht an, gegen
Marion und Yvonne, gegen die
Neugier des
Flieders.
Der Blütenstaub, taumelnd auf
das nächste Lager.
Die Türen wollen
offenstehn.
Frühling, was für eine
Erfindung aus jungen
Pferden und Marielouise!

Kommt er gewiß?
*
O.H.K. Wozu noch Gedichte? München 1983. Ulltabu 26089. S. 51.(Kühner war der Ehemann von Christine Brückner)


iustitia antwortete am 27.02.04 (21:10):

Interessiert's noch:

Günter Puchner:
Duftmann ätscht sein blohen Hut

Duftmann ätscht sein blohen Hut
wieder flügeln durch die Püffe;
zuckre, duftbegneißte Müffe
seichten baumbeölt die Glut.
Vjolkes holmen risch,
wähnen anbau sein.
- Lug, von Lenz ein klitzer Fiddelkisch!
Duftmann, kenn du schäfsts!
Dich tarrt ich verschmein!
*
(G. P.: Kundenschall. Das Gekasper der Kirschenpflücker im Winter. München 1976)- Wer kennt die Sprache, in die Mörike hier übersetzt wurde...?


iustitia antwortete am 27.02.04 (21:17):

Und noch was Biografisches, von Mörike:
....�glücklich im Blauen Tage der Poesie�

Mörike schrieb am 9. März 1829, sein - bekanntestes - Gedicht, in Anlehnung an die klassische (Liebes-)Bänder-Symbolik: Er ist's: "Frühling läßt sein blaues Band..."
Darüber schrieb er am 7. Mai 1829 an seinen "Herzensfreund" Johannes Mährlen, der sein vertrautester Freund dieser Vikariatsjahre war, die E.M. �Vicariatsknechtschaft� nannte:

[...]Da zeigte mir der Satan einen Band des Briefwechsels auf dem Tisch. Ich griff so unentschieden darnach, als wollt ich nur den Oberschlag beiläufig mustern, es war der 2te Bd. Das tolle Büchlein klebte aber in meinen Händen fest ? seine Blätter flogen eilig wie besessen von der Rechten zur Linken, ich stand bald mitten in heiliger klassischer Atmosphäre, las endlich sachte und sachter, ja ich hielt den Athem an, die ruhige tiefe Fläche nicht zu stören, in deren Abgrund ich nun senkrecht meinen Blick hinunterließ, als dürfte ich die Seele der Kunst anschauen. Einmal blick ich auf u. verliere mich in eigenem Nachdenken. Das Licht war tief herabgebrannt; ich puzte es nicht. Mein Kopf war aufs äußerste angespannt, meine Gedanken liefen gleichsam auf den Zehenspitzen, ich lag wie über mich selbst hinausgerückt und fühlte mich neben aller Feyerlichkeit doch unaussprechlich vergnügt. Statt mich niederzuschlagen hatte der Geist dieser beiden Männer eher die andere Wirkung auf mich. Gar manche Idee, das darf ich Dir wohl gestehen, erkannte ich als mein selbst erworbenes Eigenthum wieder, und ich schauderte oft vor Freuden über seiner Begrüßung. Zulezt gerieth meine Phantasie auf ganz fremde Abwege; ich durchlief die benachbarten Zellen des Irrenhauses und wühlte in der nächtlichen Frazenwelt ihrer Träume; auf die schöne Tagesklarheit Deines Büchleins grinsten tausend Narrengesichter die mit ihren tief pfiffigen Augen mich fast überredeten, die Philosophen liegen in einem entsezlichen Irrthum und nur sie, die Narren, wären hinter die Gardine des göttlichen Verstandes gekommen, wo man sehe und fast platze vor Lachen, wie HE. Schiller u. HE. Göthe*) sich mit wichtigen Mienen und Bücklingen über die Vergoldung von Nüssen und des MUNDUS IN NUCE unterhalten. Ich hatte viel zu thun um den Demonstrationen des herrlichen Zirkel* zu entrinnen, sie riefen und pfiffen mir noch lange aus Sprachröhren nach, als ich schon wieder in dem Büchlein weitermachte. Aber endlich wars doch wieder Frieden und ich pries mich glücklich im Blauen Tage der Poesie, deren Herz man in diesem Buche in abgemessenen, langsam vorgezählten Pulsen schlagen hören kann. Es war zwey Uhr, wie mein Licht herabsank. Drey Uhr, als ich einschlief...
~
*Der Briefwechsel Goethe-Schiller, in der Ausgabe in sechs Teilen. Stuttgart 1828-29.
* "Personengruppe"


iustitia antwortete am 28.02.04 (10:41):

Es gibt noch viele Mörike-Widmungsgedichte..:
Mascha Grüne:
Wonnemonat

Der Killer des Unbewußten
als Stockrosenkönig
blutig verendet
der unterdrückte Eros
Drache zwischen den Beinen
haarigen
lieblosen Patriarchats
und das im Wonnemonat
in dem kein blaues Band
mehr flattern kann
denn Mörikes Lüfte
sind vergiftet
Anilinfarben geben
den Frühling nicht wieder
und unter schwarzen Augen
blühen lediglich
die blauen Ringe
der Nächte
in denen Getränke abfließen
stundenlang

Wie raschelndes Laub, sagst du,
wie raschelndes Herbstlaub im Mai.
Kein Liebesgebrüll,
keine Energie aus Staus
keine vibrierende Knie: Der
Heilige Michael hat einfach
nix gefunden bei mir
als ein Eidechslein:

Und der Mai ist für mich
der Monat der Waschtage
(Nach einem Bauernbild des St. Michael)

In: Mörikes Lüfte sind vergiftet. Lyrik aus der Frauenbewegung 1970 - 1980. Gesammelt von Christel Göbelsmann. Bremen 1982. S. 172.


iustitia antwortete am 01.03.04 (19:28):

Das Gedicht von Puchner - "Duftmann" (= Frühling) -
ist in Rotwelch abgefasst. Es ist eine Binnenvariante des Deutschen, hat Ähnlichkeiten und Übernahmen vom Jiddischen, von der Waidmannssprache, mit vielen unerklärbaren Besonderheiten.
Infos bieten:
https://www.petermangold.de/lexikon_rd.asp?rotwelsch=A
*
Eine andere Erklärung: R o t w e l s c h ("fremde, unverständliche Sprache").
Eine Geheimsprache (von Nichtseßhaften, auch von Gaunern...), die aus einer Mischung von dt. Begriffen, Jiddisch, Jenisch, Zigeunersprache und weiteren entstanden ist.
Die wohl älteste Quelle: "Liber vagatorum" wurde um 1528 von Martin Luther erneut herausgegeben.
*
Das Buch von Günter Puchner ist vergriffen: dtv 1192: "Kundenschall. Das Gekasper der Kirschenpflücker im Winter." München 1976. Mit vielen Übersetzungen klassischer, dichterischer Texte, mit Wortkarten, mit "Zinken".
Viele Bedeutungen sind zu finden bei
https://www.etymologie.info/~e/d_/de-rotwel.html

Internet-Tipp: https://www.etymologie.info/~e/d_/de-rotwel.html


iustitia antwortete am 02.03.04 (08:26):

Aus der Vielfalt der Reaktionen, Variationen, Gegengesänge (Par-odien) zu Mörikes Frühlingsgedicht in den nächsten Tagen noch einige Beispiele:
Manfred Hausin:
Lied vom Gifttod

Gifttod läßt sein Würgeband
einfach flattern durch die Lüfte;
schwere, unbekannte Düfte
streifen unheilvoll das Land.
Gifttod freut sich schon,
will gar balde kommen.
- Horch, von nah ein leiser Sensenton!
Gifttod, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!
*
Zuerst gedruckt in: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 06.09.1971.


iustitia antwortete am 05.03.04 (21:06):

Nicht das letzte Mörike-Widmungsgedicht:

Hans Dieter Schmidt:
Der Pomeranzenfreund

Angefangenes,
leicht geneigtes
Antlitz.

Schwager Lange
wird es malen
an einem Abend
im Winter.

Thema für
Bassetthörner,
maurerische
Trauermusik.

Unaussprechliche
Küsse, Constanze,
hier kannst du
im Zählen dich üben.

Du und der liebe Gott.

Ein Fußtritt,
Salieris Eifersucht.

Im Massengrab
und immer noch
weiterreisend,
Mörike auf dem Kutschbock -
dort das himmlische
Prag.
*
?Frage an Literaturfreunde: Pomeranzen...?


linus antwortete am 06.03.04 (21:15):

Justitia beim poetischen Monolog. Merkst Du nicht, daß man darüber nicht in einem Forum diskutieren kann ?

Entschuldige die schroffe Rede, mach bitte weiter (so).


iustitia antwortete am 09.03.04 (11:04):

@ linus - auweiha. Der linus-Hahn legt keine Eier. Dass hier über Kultur und Literatur auf magerstem Niveau - und dann noch mit eigenen Reimerchen gerne gequatscht wird - weiß ich. Erschüttert mich nicht. Ich bin auf Ausnahmen gespannt. Ich erhalte Anfragen zu Texten von Borchers, Lehmann, Rilke, Mörike,Herwegh, Lessing, Dürrenmatt etc. Ja, da merk' ich, da will jemand was wissen, erarbeiten... (Und sei's auch diese Fast-Schmarotzerei von Schülern für Referate, die man gestern schon halten sollte. Wenn ich dann nach den Entwürfen frage, bekomme ich sogar anständige Vor-Arbeiten als E-Brief. Und damit Basta! Jeder kann darüber weglesen, wenn er es für nötig hält: Heute hat Mörike sein "blaues Band" - 1829 - flattern lassen. ist doch ein Erfolg - wie oft sich andere Autoren mit diesem Ideal befasst haben - und z.B. die dicke Luft überm Ruhrgebiet oder in Frankfurt/Höchst kritisiert haben...
Nein - kein Interesse...?
*
@ DorisW. � eine Ergänzung, noch zum 25.2.:

Deine Kritik betrifft das Gedicht ja nicht als S o n e t t; da ist der Strophenbau eindeutig und richtig. Was Dich anscheinend stört, ist der Rhythmus. Aber jeder Dichter kann, basierend auf einem gewählten Metrum in einzelnen Versen den Rhythmus anders gestalten. Hier hat Mommsen, ein deutscher Literaturnobelpreisträger (1902, wg. seiner �Römischen Geschichte�; wäre eine Frage für Jauch), den Rhythmus so variiert, dass er nicht klappert, sondern Silbe für Silbe betont und verstanden sein will.
Wenn Du mal bei Mörike nachliest � z.B.: �Der Gärtner� - gestalte mal den ersten Vers �Auf ihrem Leibrösslein...� im Zusammenhang mit dem Grundmetrum � so schafft man Nebenbetonungen, Rhythmusverschiebungen und wichtige, semantische Akzente.
Sich aufgrund von Schulmetrik über originelle, nicht nur gewohnheitsmäßige Dichtungen auszulassen, ist banal. Lies mal Mörikes �Idylle vom Bodensee�; ja, klassische Daktylen, mit vielen Synkopen, mit Spondeen...
*
So viel zum "Forum" - nein... Bildung als Häppchen für 500.000 �, damit man dann das Geld ... - aber Kultur vergessen kann. Spannung - wenn's nicht so viel Geld gäbe dafür, wäre die Sendung tot - und rtl knausert schon seit langem - eben mit schweren Fragen, die kein Dussel "kann". Und Jauch ist ein freundlicher Meister, ja, er kann "das"; den Verkauf von Werbezeiten.
*
@ Vivat linus! Respice finem! Respice ignoratiam! (Ist ja wohl eine allgemeine, wie Du reklamierst...!)


iustitia antwortete am 16.03.04 (13:04):

Radeck - auch über Mörike - Teil 1
Sigismund von Radecki (1891 - 1970):
F r ü h j a h r und F r ü h l i n g

�Frühjahr�, das ist eine Kalenderbezeichnung - dann und dann ist der Tag soundsoviel Stunden plus Minuten lang, und wir treten aus dem bekannten Winter in das bekannte Frühjahr. Der Frühling aber ist etwas Blühendes, Duftendes; er ist fast eine Person, wie �Jüngling� oder �Liebling� - er ergreift uns von außen, aber auch tief von innen her.
Im Frühjahr werden die Menschen krank, denn der schwarzweiße Winter hat ihre Widerstandskraft geschwächt. Am meisten sterben die Menschen im Frühjahr, wie auch der Tod am häufigsten in den frühen Morgenstunden eintritt, wenn die Gesunden, welche am Bett wachen, soeben eingenickt sind. Im Frühjahr saust manchmal ein furchtbarer Sturm die ganze Nacht, und am Morgen liegt unten alles voll von dürren, abgebrochenen Ästen.
Doch im Frühling ist der Himmel unmerklich tiefer, farbiger, �sichtbarer� geworden - er ist kein bleierner Deckel mehr, sondern eine blaue Unendlichkeit, durch welche Frühlingsgewölke segeln. Und abends ist er dunkelblau. Auch die Bäume sind jetzt am schönsten: sie sind nicht mehr schwarze Federzeichnungen wie im Winter - aber auch noch nicht verborgen hinter Laubmassen wie im Sommer, sondern die Blätter, einzelne grüne Flämmchen, bezeichnen einen kostbaren Raum, wo innen das Astwerk, dieser Charakter des Baumes, bald wildgedrängt, bald anmutig-harmonisch das Ganze trägt. Präge dir die schönen Astgestalten noch gut ein, denn bald kommt der Sommer und überwölkt das alles mit seinem Grün. So sind auch die Menschen als Kinder viel eigenartiger; doch dann wachsen sie auf und bleiben verborgen unterm gleichartigen Alltagslaub.
Frühjahr, das ist die Zeit der Kämpfe und des Fressens in der Natur, während anderseits die Liebe doch wieder den Hunger vergessen macht: manche Tiere leben jetzt eine Zeitlang wirklich nur von Luft und Liebe. Die neugeborenen oder ausgebrüteten Tierchen sind noch dumm und schmecken delikat wie alles Zarte, Junge: Raben, Krähen, Eichelhäher, Fuchs und Dachs haben jetzt ihre Feinschmeckerzeit, während die streunenden Hauskatzen die jungen Amseln bloß krallen, totbeißen und dann im Blute liegenlassen.
Aber das Singen und Zwitschern der Vögel ist nicht sofort da, sondern kommt aus kleinen Tonanfängen; das Schweigen setzt erst noch Knospen an. Vorläufig hört man nur einen regelmäßigen Zirpton, wie das Klingen aus einer fernen Schmiede. Doch bald wird es von Notenköpfchen wimmeln, wie von Staren auf den Telegraphendrähten.
In allem Lebendigen erregt jetzt der Frühling unerwartete Fähigkeiten. Auch das kleinste Pflanzenseelchen beginnt nun einen einzigen, immerfort wachsenden Gedanken zu denken, der in alle Richtungen mit nimmermüdem Abwandeln des grünen Grundthemas hinaufstrebt, hinauswinkt, hinauszittert. Doch dann, in einem letzten Entschluß, streifen sie ihre grüne Hülle ab, als ob sie Blut getrunken hätten, und brechen aus in den holden Wahnsinn der Blüten. Der verrät ihres Wesens Gestalt - düstergelb brennende Sonnen werden sie, oder schweben wie starrende Sterne mit lila Strahlen; andere werden Blaukelche, Glöckchen, zerzauste Flammenräder, Schneekristalle, Blutstropfen oder auch bloß innerstes Gefühl, das rosa errötend sich ans Licht wagt... Und als ein Nachtmahr klettert so ein Käferungeheuer hinein, daß das Ganze auf seinem Stengel ins Schwanken kommt.
Doch auch das Getier entwickelt ungeahnte Fähigkeiten - Raupen, die mühsam mit einem Buckel ihre Näpfchenfüße weiterschoben, schaffen sich einen künstlichen Tod, um als Zitronenfalter schwerelos durch die Lüfte zu gaukeln; Käfer, die kriechendsten Kriecher, bleiben stehen, lassen ganz unerwartet unter ihrem Panzer zwei Paar Flügel hervorrutschen und schwirren damit wohlgemut ab ins Blaue - und auch sonst fängt im Frühling alles zu fliegen an, vor allem die Enten, welche als schwere geflügelte Weinflaschen durch die Luft knattern.
(Forts. folgt.)


iustitia antwortete am 16.03.04 (13:06):

Radecki 2:

S. von Radecki: Frühjahr und Frühling

Aber auch die Schwäne beginnen einander zu verfolgen - gradhalsig, ganz dicht überm Wasserspiegel, wobei die Schwimmpfoten spuren und die langen Flügelenden beim Hinunterschlagen das Wasser berühren, so daß die beiden schlangenhaften weißen Gespenster in einem Silberstaub dahinrasen. Wenn sie aber verliebt sind, schmiegen sie ihre Hälse ineinander wie ein Paragraphenzeichen und tunken immer gleichzeitig ins Wasser.
Bei den Menschen ist der Frühling hauptsächlich an den Augen zu erkennen: teils legen sie Sonnenbrillen an [welche die Frauen etwas Geheimnisvolles, Kindern jedoch etwas Froschartiges geben], teils aber beginnen die Menschen sich jetzt wieder in die Augen zu sehen. Und dann kommt in der Stadt jener eine Tag, wo alle Frauen plötzlich schöner aussehen - ganz wie mein Strauch im Garten plötzlich einen Tag hat, wo überall Bienen auf seinen gelben Blüten herumkriechen.
Übrigens brauchen jetzt die Mädchen beim Klavierspielen mehr Pedal.
Und das Merkwürdigste: auch die Sprache, die man doch in Büchern gedruckt glaubt, beginnt auf einmal sich zu regen und zu blühen wie ein tausendästiger Baum, der in die Menschenseele gepflanzt ist. Aus den Knorpeln brechen grüne Blätter hervor, und die Sprache fängt an zu keimen und zu reimen: Herz und Schmerz streben einander zu, Raum und Traum, Liebe und Triebe, Ferne und Sterne, vor allem aber Luft und Duft. Das sucht sich alles und findet sich, denn das lebt jetzt alles in einer gegenseitigen Ahnung:
Horch, von fern ein leiser Flötenton ...
Frühjahr ist etwas, das sich alljährlich brav wiederholt. Aber Frühling, nein, der ist immer einmalig, der kann sich nicht wiederholen, ebensowenig wie die Ewigkeit.
(S. von Radecki: Im Vorübergehen. München 1959.
*
S.v.R. kannte wohl nicht die schwäbischen Äolsharfen, die Windharfen, die Mörike so gern beschrieb.


DorisW antwortete am 16.03.04 (20:53):

Ach iustitia, Schulmetrik hab ich keine im Kopf, nur meine eigene Vorstellung von dem, was klappert, und dem, was klappt ;-)

Und "Sonett" darf sich vielleicht alles schimpfen, was ins richtige Schema passt - trotzdem gehen mir manche ins Ohr und manche nicht.

Mein Lieblingssonett ist von dem alten Paul Fleming - vielleicht hast du auch raunen hören, dass Barock wieder "in" ist oder wird - dann passt er ja hierher, der Olle (1609-1640):

"Sei dennoch unverzagt. Gib dennoch unverloren.
Weich keinem Glücke nicht. Steh höher als der Neid.
Vergnüge dich an dir, und acht es für kein Leid,
hat sich gleich wider dich Glück, Ort und Zeit verschworen.

Was dich betrübt und labt, halt alles für erkoren.
Nimm dein Verhängnis an. Laß alles unbereut.
Tu, was getan muß sein und eh man dir's gebeut.
Was du noch hoffen kannst, das wird noch stets geboren.

Was klagt, was lobt man doch? Sein Unglück und sein Glücke
ist ihm ein jeder selbst. Schau alle Sachen an:
Dies alles ist in dir. Laß deinen eitlen Wahn,
und eh du förder gehst, so geh in dich zurücke.

Wer sein selbst Meister ist und sich beherrschen kann,
dem ist die weite Welt und alles untertan."


DorisW antwortete am 16.03.04 (20:53):

P.S. Mehr über und von Fleming, dem Wortgewaltigen:
https://news.lesen.ch/d/autoren/detail.cfm?ID=92

Internet-Tipp: https://news.lesen.ch/d/autoren/detail.cfm?ID=92


DorisW antwortete am 16.03.04 (20:57):

... und noch ein P.S. zum Thema "Sonette",
diesmal von Gernhardt, aber nur als Link, aus Rücksicht auf zartfühlende Gemüter ;-)

https://www.fulgura.de/sonett/karussel/253.htm

Internet-Tipp: https://www.fulgura.de/sonett/karussel/253.htm


dirgni antwortete am 16.03.04 (21:32):

Hallo DorisW,

danke für diesen link!
Hat es mich nur amüsiert? Denk ich nun gar darüber nach? Sollt es mich vielleicht empören (ausgerechnet zum Thema Mörike-Jahr)?

Ich kopiere es mir wohl in meine persönliche Lyrik-Datenbank, so zartfühlend bin ich ja denn doch nicht.


DorisW antwortete am 17.03.04 (07:13):

Hi Dirgni,
nee, ich will niemanden empören und dich schon gar nicht :-)

Es fällt mir nur schwer, den Mund zu halten, wenn sich eine Gelegenheit ergibt, auf den guten alten Gernhardt hinzuweisen. Von Mörike haben wir uns nun allerdings ziemlich entfernt (sorry Antonius).

Trotzdem noch ein weiteres P.P.P......S:
Robert Gernhardts Sonett "Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs" habe ich durch Lutz Görner kennengelernt, den ich allen Lyrikliebhabern immer gerne ans Herz lege. Lutz Görner rezitiert Gedichte, und zwar meisterhaft. Es ist eine Lust, ihm zuzuhören und dabei Altes und vermeintlich Verstaubtes genauso zu genießen wie zeitgenössische (ulkige und ernste) Lyrik. Habe gerade die Balladen-CD zweimal verschenkt. Kam gut an :-)

Internet-Tipp: https://www.rezitator.de/vita.html


dirgni antwortete am 17.03.04 (08:11):

Hallo DorisW,

"Es ist eine Lust, ihm zuzuhören" - da hast Du recht. Ich habe eine zeitlang Lutz Görner regelmäßig im 3sat gehört.