Archivübersicht | Impressum

THEMA:   Ostergeschichte...?

 5 Antwort(en).

iustitia begann die Diskussion am 29.03.04 (13:46) mit folgendem Beitrag:

Wer hat Lust eine Ostergeschichte zu schreiben?
Hier ein Anfang, den man auch noch variieren kann...:

Mit einem Osterei - eine Herzgeschichte

Die Geschichte vom Herz in der Hosentasche ist so zart, daß ich mich beinahe scheue, sie niederzuschreiben. Man müßte sie aufbewahren und sich an ihr erfreuen, später einmal, wenn sie aufleuchtet als Kabinettstückchen im Schatz der Erinnerungen, Aber andererseits sind unsere Tage so angefüllt mit Lärm und Geschrei, mit sinnlosem Gerede und aufgeblasenen Nichtigkeiten, daß mir dieses kleine Ereignis am Rande des Lebens wichtig erscheint; oder steht es gar nicht so sehr am Rande?
An einem der ersten Frühlingstage kam der kleine Gymnasiast Gerhard etwas spät nach Hause.
....


hugo1 antwortete am 29.03.04 (16:34):

,,,,wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss sehn was übrigbleibt, tönt ihm sein kleinerer Bruder Alfons vollmundig mit schadenfroh strahlenden Augen entgegen und stopft sich den letzten Bissen des vorletzten mit Erdbeerkonfitüre stark bestrichenen Eierkuchen in den noch halbvollen Mund. Doch Gerhard bekümmert dies sonderlicherweise diesmal nicht. Dieses Ereignis vom Vormittag hat ihn doch mehr getroffen als er sich im ersten Moment eingestehen wollte, es läßt ihn nicht mehr los. Also ausnahmsweise erst mal ohne gehörige Gegenrede und üblichem Streitgespräch, ab in sein Zimmer das Tagebuch aus dem Versteck geholt und ,,,,,


Medea. antwortete am 29.03.04 (16:55):

Bevor er sich aber zum Schreiben an seinen alten, von der Großtante Isolde geerbten kleinen aus Mooreiche geschreinerten Schreibtisch setzt, holt er ganz behutsam das in goldenes Papier eingewickelte Schokoladenherz aus seiner Hosentasche und legt es auf die Schreibplatte.
Er bekommt noch im nachhinein rote Ohren, niemals, aber auch wirklich niemals wird er in dieses Herz hineinbeißen, er wird es in die kleine Schachtel tun, in der er seine besonderen Schätze aufbewahrt. Genau dort gehört es hin.


iustitia antwortete am 31.03.04 (09:48):

Dank an die Mitmacher...! Hier - meine Variante:

Ostern - eine Herzgeschichte
Die Geschichte vom Herz in der Hosentasche ist so zart, dass ich mich beinahe scheue, sie niederzuschreiben. Man müßte sie aufbewahren und sich an ihr erfreuen, später einmal, wenn sie aufleuchtet als Kabinettstückchen im Schatz der Erinnerungen, Aber andererseits sind unsere Tage so angefüllt mit Lärm und Geschrei, mit sinnlosem Gerede und aufgeblasenen Nichtigkeiten, dass mir dieses kleine Ereignis am Rande des Lebens wichtig erscheint; oder steht es gar nicht so sehr am Rande?
An einem der ersten Frühlingstage kam der kleine Gymnasiast Gerhard etwas spät nach Hause. Nach dem Stand der Sonne war es fast sechs Uhr; um fünf Uhr hätte er daheim sein müssen. Was nix mit der Zeitverschiebung vor Ostern zu tun hatte. Er mußte noch die Mathe- und die Frau-Englischlehrerin-Aufgabe machen, aber der Tag war so schön gewesen. Die brach liegende Gärtnerei, die verwahrlosten Trümmergrundstücke an der Straße nach Hause, das Weidengebüsch am Wegrand, alles war ein Aufatmen und er dehnte und reckte sich, schusserte mit jedem Stein, jeder Knolle auf dem Weg, kollerte mit den Jungs den Grasflecken herum und lehnte an Gitterzaun, rüttelte daran, wenn er ihm stark und stabil erschien: das Gesicht mit geschlossenen Augen der Sonne und jedem Mädchen anbietend.
Er öffnete leise die Wohnungstüre und wechselte im Vorzimmer rasch die Plötten. Mit den Heften unter dem Arm betrat er wenige Minuten später die Küche und drückte sich wortlos an seine Tischecke. Die Mutter schaute von ihrer Näharbeit auf und blickte ihn vorwurfsvoll an. Er senkte den Kopf und begann eifrig die Matheaufgabe in die Kladde zu schreiben.
Die Balgerei mit den Freunden hatte Spuren auf seiner Lumberjacke hinterlassen, einen großen Schmutzfleck über den halben Rücken, den die Mutter erst spät am Abend entdeckte. Gerhard wußte natürlich nicht, wie der Schmutz an seine Wolle geraten war. Er zog die Stirne in Falten und blickte verstohlen und traurig auf den ausgedehnten Schmutzfleck. Da schimpfte die Mutter schon: �Wie ein Ferkel hast dich wieder im Kuhlendreck gewälzt.� Er versuchte nachzudenken, dass ihm was Wasser in die Augen stieg. Ist es doch unmöglich, sich an die vielen kleinen und großen Ereignisse eines einzigen verspielten Nachmittages zu erinnern. Alles ist ein neues Ereignis. Die Mutter untersuchte auch die Hose nach Schmutzflecken. Sie war überrascht. Die Hose war ja sauber. Da entleerte sie die Taschen, um auch die Hose überbürsten zu können. �Du � du -bist eine � eine geborene -� �Was bin ich?� "Meine geborene � meine geborene Mutter!�
Die Tiefe der Taschen war beinahe unerschöpflich.

Teil 2 - folgt-


iustitia antwortete am 31.03.04 (09:50):

Teil 2:
Ostern ...
Und Mutter häufte alles Möglichen auf den Küchentisch. Ein Stück Gitterstahl, grob gefeilt. Den Lohnzettel eines Kanalarbeiters namens Lothar, einen Plütt mit abgebrochener Klinge, einen Bernstein, einen roten Stein, ein Stück Kreide, den Stumpf eines Stiftes, ein verrotztes Taschentuch. Kork, Nägel, ein kleiner Schlüssel, ein Schneckenhaus, ein Stückchen trocknes Kaugummi, ein Federchen, Büroklammern, Bindfaden, ein meterlanges Stück Sisal, eine weinrote Glasscherbe, eine dunkelgrüne. Und ganz zuletzt ein kleines Holzherz - nein, ein deformiertes Holzei, mit der Laubsäge ausgeschnitten, geglättet, verschmiert und schmutzig, mit einer Inschrift, die kaum noch zu lesen war.
Aber Mama, die geborene Entzifferin aller Unart, las flink die Worte, die in drei wackligen Reihen mit Rotstift auf das Sperrholz geschrieben waren. �In iniger Liebe - deine Doris." Sie verbesserte: �Innig wird mit zwei ,n' geschrieben, das hört man doch beim Sprechen, innig, richtig innig." Dann erst wurde ihr klar, was dieses kleine Ei bedeuten konnte. In inniger Liebe, mein Gott, mein Gerd ist doch erst zwölf Jahre alt. Da hörte sie ihn im Badezimmer singen, falsch aber innig, innig mit zwei �N"; und dann das kratzende Geräusch der Drecksbürste auf den Schuhen. Sie mußte ihn sehen, jetzt, in diesem Augenblick.
Als sie in das Badezimmer trat, hielt er in seiner innigen Arbeit inne und blickte zu ihr auf. Weich und offen, mit klaren Augen, hob sich sein Gesicht ihr entgegen. Wie ehrlich und schutzlos dieses Gesicht war. Sie zögerte; das Herzchen hielt sie in der Hand, hinter ihrem Rücken verborgen. Sie drückte die Hand fest zu und spürte, wie sich die Spitze des Herzchens in ihre Handfläche bohrte. �Was schleppst du alles in den Hosentaschen herum! Jeden Schmarrn klaubst du auf.� Sie konnte sich nicht enthalten zusagen: �Ganz komische Dinge schleppst du da mit dir herum.� Er lächelte. Als er sah, dass sie sein Lächeln nicht erwiderte, senkte er schuldbewußt den Kopf. Man weiß nie genau, woher die Dinge kommen, die sich in den Hosentaschen verlieren und die sich erst bei einer genauen Visite wiederfinden.

Teil 3 folgt---


iustitia antwortete am 31.03.04 (09:55):

Teil 3: Osterherz...

Sie beobachtete ihn. Gerd errötete nicht. (Nein, Mädchen, äh, Frauen gegenüber nicht!)
Er wurde nicht verlegen. Sie atmete auf und lächelte. Er bohrte mit der Spitze der Drecksbürste auf dem Schuh herum. �Mutti, bitte, den Kaugummi lass mir doch! Und das Stück Eisen vom Zaun - das werde ich putzen und lackieren und das Holz, das Ei von Do - das will ich sauber reiben und ein �N� einfügen.�
Er kämpfte um seine Schätze mit der Beredsamkeit eines Dorfschulzen im Wahlkampf um den Erhalt der Eiche auf dem Anger, aber doch mit einem Unterton der Hilflosigkeit in der Stimme. Von der Doris sagte er nichts. Vielleicht hatte er es vergessen oder er glaubte ihr nicht.
Die Mutter kehrte in die Küche. Gerhard kratzte wieder an seinen Schuhen herum und stimmte ein neues Lied an. Zitternd, innerlich innig, noch leise, dass er den Text deutlich überlegt: �Brüder! Zur Sonne! Zur Mutter!� � Er korrigierte, sprach gegen die Melodie: Brüder � zur Mutter, zur gebo-re-nen So-zi-a-� Er brach ab.
Er beruhigte sich, tief im Innern: �Das muss ich noch üben. Das will ich hinkriegen. Jetzt erst noch das Stück vom Staketenzaun retten! Hoffentlich hat�s die Mutter nich weggeschmissen. Ist doch von dem Zaun � den ich � ach, was! Hat noch Zeit. Erst muss ich Rechtsanwalt werden!�
Und laut singend kehrte er zur Mutter in die Küche zurück: �Brüder! Zur Sonne! Zur Frei - -�
�Gib Ruh. Gerd! Wir essen. Lothar kommt später.�
Leiser: �Zur Mutter...- ja - Mutter�
"Sing nich so'n Zeug! Das bezahtl dir niemand! - Red lieber rum! Das kannste! Das sagt dir deine -"
"Meine geborene - äh - Mutter - äh, so - du, Demokratin."