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THEMA:   Übertragung der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels

 15 Antwort(en).

Miriam begann die Diskussion am 09.10.04 (10:00) :

Da die ARD die Übertragung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels aus ihrem Programm gestrichen hat, möchte ich darauf hinweisen, dass man auf PHOENIX dieses Kulturereignis verfolgen kann.

Die life Übertragung aus der Paulskirche findet am Sonntag, den 10.10 um 11 Uhr statt.

Mit Spannung erwarte ich die Rede des Preisträgers; wer ihn schon mal erlebt hat, weiss wie klug und geistreich dieser ungarische Schriftsteller ist.

Auch auf die Laudatio kann man sich freuen. Sie wird gehalten von Michael Naumann.


Miriam antwortete am 09.10.04 (17:45):

Der ungarische Schriftsteller Peter Esterhazy, der am Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, tritt am Montag in Köln auf.
Hier einige kurze Auszüge aus der Rede, die er da halten wird:


Wohin, es gibt kein Wohin

Es gibt einen Witz mit abgelaufener Garantie: Die kommunistische Partei ist zur Korrektur von Fehlern entstanden, die es ohne sie gar nicht gäbe.
So irgendwie scheint auch der Mensch zu funktionieren: Er bemüht sich um die Abwendung von Katastrophen, die es ohne ihn nicht gäbe. Oder wie Josif Wissarionowitsch Stalin es mit epigrammatischer Schönheit ausdrückte: Sind Menschen, sind Probleme, sind keine Menschen, sind keine Probleme.

Menschen sind. Viele Menschen. Der erschrockene Mensch möchte zwischen Mensch und Mensch unterscheiden. Als ob eine unmenschliche Tat nicht menschlich wäre. Jeder ist ein Mensch, der ein Mensch ist. Darin gibt es keine Hierarchie, es gibt keine erste Welt, zweite Welt, dritte Welt, man kann nicht die durch das Grundstück führenden Wege absperren, jemand klettert immer mit einem Teppichmesser zwischen den Zähnen über den Zaun, man kann nicht vor der Dienerschaft Französisch sprechen. Man kann sich nicht verkriechen.

Als wir vor einigen Jahren eine Zeit lang in Berlin wohnten, unternahmen wir mit den beiden kleineren Kindern einen didaktischen Familienausflug nach Buchenwald, sie hatten noch kein Lager gesehen, jetzt wollten sie. Ein solcher Ausflug generiert unvermeidlich Sätze, die brutal und unmittelbar den allgegenwärtigen Skandal aufzeigen.
"Zuerst nach Weimar, Eis essen plus Goethe, und dann ins KZ, oder umgekehrt?" das ist kein Zynismus, da kann man nichts machen.
Die Kinder ertrugen es schwer, unter anderem, weil dort auch Imre Kertesz gewesen war, den sie gut kennen und mögen, sie sahen sich also alles mit konkretem Entsetzen an. Als sie dann einen Karren zum Transport der Leichen sahen und untem am Rand eine Art Blutrinne, denn die europäische Rationalität hatte erkannt, dass die von den Toten abgegebene Flüssigkeit Probleme verursachen würde, und der praktische Sinn, die Technik, die Zivilisation konzentrierten sich in dieser kleinen Rinne, diesem kleinen aber geistreichen Eifall, und dies war es , nicht die erschreckenden Statistiken, die vielen Millionen Toten, nicht die schockierenden Bilder, sondern diese kleine Einbuchung war es, die ihre Fantasie in Gang setzte -

Fortsetzung folgt


Miriam antwortete am 09.10.04 (18:18):

- der Kleine, der undisziplinierter und wilder ist, begann nervös mit den Armen zu schlagen wie ein schwerer Vogel, der fliegen möchte, wiegte den Kopf und sagte mit gedämpfter Stimme, als hasste er jemanden, immer wieder: Gehen wir weg von hier! "Gehen wir weg von hier!"

Und das Mädchen - sie, deren Blick zu beschreiben ich schuldig bleibe - senkte die Augen und sprach meiner Ansicht nach einen der wichtigsten Sätze über den Holocaust: "Wohin?"

Wohin, es gibt kein Wohin, alles ist hier, und alles sind wir. Mag sein, dass das Gute gegen das Schlechte kämpft - aber höchstens in uns. Man kann es nicht portionsweise auf Menschen (besonders auf Länder) verteilen, guter Mensch, schlechter Mensch. Wer wären die guten? Vielleicht Sie hier? Oder, damit die Lächerlichkeit und Unhaltbarkeit der Behauptung sofort durchschaubar zu machen: vielleicht ich?

Hinter uns liegt das vermeintlich endlose Jahrzehnt falscher Ruhe, das von sich dachte, alles geht und alles kann gehen, mit großen Fragen muss und kann man sich nicht beschäftigen. Ich weiß nichts oder ich weiß alles, das ist ohne Belang. Der erschrockene Mensch wagt der Welt nicht ins Gesicht zu sehen, der zu ruhige zuckt die Schultern oder zwinckert ironisch, ohne in dieses Gesicht zu sehen. Beider Sprache ist die Sprache des Selbstmitleids. Des disziplinierten Egoismus und des Opportunismus. Oh, bloß niemandem wehtun und vor allem nicht uns selber wehtun! Im zentrum dieser Sprache steht die Plattitüde, die geistreiche oder neuerdings die strenge Plattitüde - um alles zu verdecken.
Statt des Persönlichen: persönlicher und kollektiver Egoismus.

Aus dem Kölner Stadt-Anzeiger vom 9/10 Oktober 2004


pilli antwortete am 09.10.04 (19:21):

"Oh, bloß niemandem wehtun und vor allem nicht uns selber wehtun! Im zentrum dieser Sprache steht die Plattitüde, die geistreiche oder neuerdings die strenge Plattitüde - um alles zu verdecken.
Statt des Persönlichen: persönlicher und kollektiver Egoismus."

...

na dann hoffe ich mal sehr vorsichtig, daß nun ein warmer herbstwind, besonders die "geistreichen plattitüden", die verlogene höflichkeit und sonstiges unnützes selbstbemitleidendes geplapper durchs forenfenster wirbelt :-)

oh...lach

"bloß niemand wehtun"...

:-)


Miriam antwortete am 10.10.04 (00:06):

Die Tatsache, dass er fehlinterpretiert wird, dass seine Worte von einer von ihm gemeinten Ebene, in eine ganz andere umgedeutet werden, sollte einen Schriftsteller und Denker doch nicht daran hindern, uns seine Gedanken mitzuteilen.


Miriam antwortete am 10.10.04 (09:58):

Heute habe ich die Liste aller Preisträger des Friedenspreises, seit 1950, im Google gefunden und ausgedruckt. Diese Liste enthält auch die Namen der Laudatoren.

Gefreut hat es mich unter anderem, da ich die Rede von Leszek Kolakowski (Preisträger 1977) so wunderbar fand. Aber auch die Rede der Laudatorin, damals eine verhältnismässig junge Frau, die nicht nur sehr gut über das Werk Kolakowskis sprach, sondern auch viel Wärme ausstrahlte. Ich wuste aber nichtmehr wer diese bemerkenswerte Frau war.

Heute in der Liste habe ich ihren Namen gefunden.
Es wa Gesine Schwan.

Internet-Tipp: https://www.tour-literatur.de/preise/friedenspreisbuchhandel.htm


pilli antwortete am 10.10.04 (10:18):

den schriftsteller sicherlich nicht...ich dachte da eher an die vielen geistreichen selbstgespräche im forum. :-)

heute gebe ich der frühherbstlichen sonne und einem *sommersonntagmorgenbrunch* den vorzug und werde den teufel tun, mich an so einem herrlichen tag irgendwelchen übertragungen zu widmen. :-)

sicherlich wirst du die liste nun auch noch anbieten wollen obwohl wohl Jedermann und Frau bei heftig quälendem interesse schon zu finden wüßte, wo watt steht. :-)

:-)))


ortie antwortete am 10.10.04 (11:18):

Leider hat sich Peter heute zu gut rasiert.


Miriam antwortete am 10.10.04 (12:52):

Hat kerlek szepen, ezek a mondokak, kit erdekelnek?
Engemet bisztosan nem!


ortie antwortete am 10.10.04 (15:00):

n'nanga def, miriam.


Miriam antwortete am 11.10.04 (15:11):

Unter dem Titel "Schrecklicher Unruhestifter" hier ein sehr guter Beitrag über Peter Esterhazy und seiner wunderbaren Rede gestern in der Paulskirche, natürlich von der Sendung "Kulturzeit"!

Heute um 19:20 auf 3sat. Hier schon vorweg der Text des Beitrags.

Internet-Tipp: https://www.3sat.de/kulturzeit/specials/71473/index.html


ortie antwortete am 11.10.04 (16:57):

Du versorgst die hiesigen Leser ja so rundum, Miriam, daß man sich die Sendung bei Phoenix gestern hätte ersparen können.

"Wunderbar" fand ich die Rede nicht, aber als eine bestaunenswerte Mischung aus Satire und Ernsthaftigkeit.


Miriam antwortete am 11.10.04 (17:28):

@ortie,

deine Bemerkung mit der Versorgung der hiesigen Leser, ehrt mich natürlich. Nur stimmt sie nicht, wenn ich dann lese, "daß man sich die Sendung bei Phoenix gestern hätte ersparen können." Vielleicht aber satirisch gemeint.

Na ja, Satire ist eine sehr individuelle Angelegenheit.
Deswegen wahrscheinlich auch unsere unterschiedlichen Wertungen der Rede Esterhazys.
Es kann aber auch sein, dass ich diesbezüglich den Vorteil habe, näher an seinen "Verschlüsselungen", aufgewachsen zu sein. Und dies beinhaltet selbstredend keine Wertung.


pilli antwortete am 11.10.04 (18:35):

selbstredend keine wertung? :-)

na datt hat doch glatt noch einen bemerkenden eintrag verdient, ansonsten scheint es so, Miriam, daß deine begeisterung nicht ausgereicht hat, daß es zur anregenden diskussion reichte, wie schade! :-)

vielleicht findet sich noch jemand oder ist der diesjährige empfänger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels ähnlich unbekannt wie die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek?

:-)


ortie antwortete am 12.10.04 (09:47):

Fehlt manchen Foren-Schreibern die offline-Zuhörerschaft?


mart antwortete am 15.10.04 (12:47):

Die Laudation von Naumann für P. Esterhazy im untenstehendem Link:

Internet-Tipp: https://www.zeit.de/2004/43/Esterhazy2