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THEMA:   Professor besteht auf Obduktion

 39 Antwort(en).

mechtild begann die Diskussion am 20.11.02 (13:34) mit folgendem Beitrag:

Obwohl die britischen Behörden Gunther von Hagens unter Androhung einer Haftstrafe verboten haben, öffentlich eine Leiche zu sezieren, will er sich nicht abhalten lassen. Der deutsche Anatomieprofessor, der mit seiner Ausstellung "Körperwelten" bereits ein Millionenpublikum anzog, erklärte, er werde die Obduktion auf jeden Fall durchführen.
Es sind bereits 500 Karten à 12 Pfund (19 Euro) verkauft worden. Scheinbar besteht ein großes öffentliches Interesse an der Veranstaltung. Sie soll auch im Fernsehn übertragen werden. Wenn die öffentliche Obduktion auf so vie Interesse stößt, hat dann die Politik das Recht so etwas zu verbieten?


Nuxel antwortete am 20.11.02 (13:55):

*Interesse*???????

Das ist meiner Meinung nach absolut krank!
Wie armselig muss es um DIE Menschen bestellt sein,die ihre
Sensationsgier auf so makabre Weise erfüllen lassen !
Wo bleibt da die Würde des versorbenen Menschen?
Es gibt genügend Fachbücher,in denen Organe,Muskeln,Sehnen,Nerven-u.Blutbahnverläufe anschaulich dargestellt werden,so man sich für die Funktionen des menschlichen Körpers tatsächlich interessiert.


wese antwortete am 20.11.02 (14:06):

@ Mechtild:

In der Tat hat die Politik (Justiz) ein Recht dazu. Das ist zumindest meine Auffassung. Das öffentliche Interesse dürfte da wirklich keine Rolle spielen. Das wird vielleicht anschaulicher, wenn man es auf andere Themen ausweitet.

Leider besteht auch ein millionenfaches Interesse an Kinderpornographie, Tierquälerei und allgemeiner Gewalt. Daraus kann man ja auch nicht das Recht ableiten, dass dies live im Fernsehen übertragen werden darf.

Damit möchte ich lediglich sagen, dass das öffentliche Interesse nicht immer konform mit geltenden Gesetzen und Moralbegriffen ist.


bello antwortete am 20.11.02 (14:32):

Immerhin hat der Herr Professor schon an vielen Orten seine "Körperwelten" ausgestellt und ist nicht daran gehindert worden. Diese Ausstellung ist genauso sensationell - wie es die öffentliche Sektion sein wird.

Obduktionen können nur von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden.
Aber was jemand mit einer Leiche macht, die ihm gehört, ist etwas anderes. Dabei gehe ich davon aus, daß "de mortuis nihil nisi bene" über allem steht.

Ich weiß sicher, daß manche Menschen dem Professor schon zu ihren Lebzeiten ihren Körper "vermachen". Und ich glaube kaum, daß der Professor auf einem anderen Wege an tote Körper kommt.

Viele der bearbeiteten Körper dienen den Medizin-Studenten als Modelle. Diese Modelle sind kühl und glatt und lassen keine Gedanken daran aufkommen, daß "dieses" ein "echter" Mensch gewesen sein könne. Modelle dieser Art gab es früher nicht. Sie sind ästhetischer als die toten, konservierten Körper auf den Marmorbänken der Anatomien.


Ursula antwortete am 20.11.02 (15:52):

Hallo mechtild,

ob die Politik die öffentliche Sektion verbieten kann, glaube ich nicht - es sei denn mit Hilfe der Justiz.
Wenn die Sektion ethische Normen o.ä. verletzt, und es - juristisch - ein anderes öffentliches Interesse zu schützen gilt, könnte ich mir vorstellen, dass die Sektion (unter Strafandrohung) verboten wird.

Gruß
Ursula


wese antwortete am 20.11.02 (16:10):

Ich habe die Frage von Mechtild anders verstanden. Und zwar, ob ein öffentliches Interesse genügt, um eine Fernsehübertragung zu rechtfertigen. Dazu sage ich nein. Aus den oben genannten Gründen.

Das öffentliche Interesse dürfte ohnehin sehr zwiespältig sein und ist sicher nicht von allgemeiner Natur. Die Meinung der Kirchen, aber auch das religiöse Empfinden von Menschen dürften im Widerspruch zur Sensationsgier stehen. Auch darüber hätte ein Gericht notfalls zu befinden.


bello antwortete am 20.11.02 (16:38):

Ich bin nicht so sehr der Meinung, daß eine Sektion - auch wenn sie öffentlich erfolgt - etwas Anti-Kirchliches ist -, sofern sich die Zuschauer pietätvoll verhalten.

Bei der von mir besuchten Ausstellung der "Körperwelten" ging es so leise zu wie in einer Uni-Bibliothek - oder wie eben im Seziersaal einer Anatomie.

Und der Professor will keine Sensationen verursachen, sondern der natürlichen Eröffnung eines toten Körpers den Nachruf von etwas Ekligem nehmen.

Wer's nicht sehen will, braucht ja nicht hinzugehen. Unter den dort sitzenden Sensationslüsternen befinden sich sicherlich auch solche, die den Vorgang n i c h t als Sensation betrachten.


wese antwortete am 20.11.02 (16:58):

@ bello:

Ich gebe Dir durchaus recht, der Professor will keine Sensationen verursachen. Sein Motiv ist wesentlich einfacher, er will Geld damit verdienen.

Im Übrigen wird dem Professor auch unterstellt, dass ein Teil der Leichen von in China zum Tode verurteilten Menschen stammt. Die sind sicher nicht vorher um ihr Einverständnis gebeten worden, ob ihre Körper für ein öffentliches Schauspiel missbraucht werden dürfen. Der Zweck heiligt offenbar jedes Mittel.

Was den eigentlich Nutzen dieser Ausstellung betrifft, so habe ich einen interessanten Artikel gelesen, den ich in einem neuen Beitrag aufzeigen möchte.


wese antwortete am 20.11.02 (17:08):

Hier der Beitrag:

"Körperwelten" wirbt damit, dass die Ausstellung einen Beitrag zur Verbreitung medizinischen Wissens in der Bevölkerung leiste. Tatsächlich kann in die Anatomie des menschlichen Körpers "eingeblickt" werden, auf Muskeln, Sehnen, Knochen. Einblicke sind aber noch lange kein Wissen oder Verstehen.

Nehmen wir einmal an, es ginge nicht um die Biologie des Menschen und das sensible Thema einer Leichen-Ausstellung, sondern um eine Ausstellung über Konstruktionsprinzipien im Automobilbau. Ein Ausstellungsgegenstand könnte zum Beispiel die verwindungssteife, aufprallgesicherte Autotür sein. Wer wäre damit zufrieden, eine solche Autotür mit abgeschraubter Innenverkleidung als Ersatz für eine Erklärung und Darstellung der Konstruktionsprinzipien vorgesetzt zu bekommen?

Ich denke, wir Laien würden gern allgemeinverständlich informiert über einige wesentliche Konstruktionsprinzipien, wichtige Experimente, zum Beispiel Ergebnisse von Crashtests, einige nachvollziehbare Berechnungen, ein bißchen Materialkunde.

Zurück zur Ausstellung "Körperwelten", die so gut wie nichts dergleichen liefert. Keine Erläuterung, wie ein Skelettmuskel funktioniert oder ein Herz. Statt dessen Skelett-Muskel-Organpräparate, sozusagen die Autotür nach Abschrauben der Innenverkleidung. Nicht mehr.

Wer aus der Ausstellung kommt, weiß genauso viel oder wenig über seinen Körper und die Ursachen von Krankheiten wie vorher. Bestenfalls könnten einige der ausgestellten kranken Organe einen aufklärerischen Nutzen haben – mehr als "schwarze Pädagogik", also Erziehung durch Abschreckung, ist aber das Zeigen einer Raucherlunge auch nicht.

Klärt die Ausstellung schon nicht über den eigenen Körper auf, so leistet sie auch nichts zur besseren Bewältigung des Themas Tod. Jede(r), die/der einen sterbenden Menschen auch nur ein einziges Mal besucht, trägt dazu viel mehr bei.


bello antwortete am 20.11.02 (17:32):

Eben wurde im ZDF mitgeteilt, daß das Gesundheitsministerium die für heute angesagte Veranstaltung verboten hat.


Medea antwortete am 20.11.02 (18:29):

Ich finde es einfach nur eklig, was das passieren sollte.

Wissenschaftlich ist nichts mehr dazuzulernen - hier geht es wohl nur um die Befriedigung perverser Gelüste von morbiden Zuschauern.

Noch sollte es eine Obduktion sein - die Steigerung wäre dann wohl eine Vivisektion.

Medea.


DorisW antwortete am 20.11.02 (22:37):

Perverse Gelüste werden jeden Tag von der Bild-"Zeitung" in wesentlich höherem Maße befriedigt.

Dazu bedarf es keiner öffentlichen Obduktion.


juttam antwortete am 21.11.02 (06:17):

Von dieser Ausstellung der "Koeperwelten"
habe ich gehoert letztes Jahr.
Schon damals fand ich das Konzept ekelhaft!

Nicht dass man den menschlichen koerper in dieser
Weise "ausgestellt" hat, sondern dass die
Ausstellungsstuecke nicht Plastic-Nachahmungen
sind, sondern die wirklichen Leichen der "Teilnehmer"
an dieser mehr als nur makraben Angelegenheit.

Hat das echt jemand mit KUNST verwechselt???

Jedem Tierchen sein Plaesierchen, sag ich mir!

Aber nun, da die "Austellung" kein Geld mehr einbringt,
denkt man sich was andres aus, indem man eine
der Leichen auch noch sezieren will?

Nennt mich ruhig krass und nicht-kuenstlerisch-orientiert...aber ich finde das total
krank!!!

Der Grund zur irgendeinder Leichen-Sezierung, fuer
mich jedenfalls, liegt doch darin zu erkunden an was
der Mensch gestorben ist.

Ich nehme hier mal ganz frech an, dass der Aussteller/
Kuenster (Kuenstler ist sehr weit hergegriffen fuer mich) doch weiss an was seine "Austellungstuecke"
gestorben sind. Sonst haette er sich wohl strafbar
gemacht.

Was also ist der Sinn und Zweck die Koerper seiner
"Artisten" noch weiteren Dehmuetigungen auszusetzen
als finanzielle gruende???

Ich finde das absolut abweging und krank - und es
hat mit KUNST gar nichts zu tun!!!!


bello antwortete am 21.11.02 (08:57):

Zitat: " ... indem man eine
der Leichen auch noch sezieren will?" Zitat Ende.

Ich hatte schon oben den Unterschied zwischen "Obduktion" = Todesursache finden und "Sektion" = Eröffnung eines toten Körpers beschrieben. Die Begriffe werden oft vermischt.

Nicht zu vergessen, daß die ausgestellten Figuren alle auch seziert sind und der Professor gestern nichts anderes getan hat. Er ist Anatom, und man kann ihm vielleicht ankreiden, daß er in die kritische Öffentlichkeit geht. Aber es gibt viele Anatomie-Professoren in vielen Instituten, die Tote sezieren lassen.
Nennt Ihr deren Arbeit auch "eklig" und "pervers"?

Ob man bei den Figuren der "Körperwelten" von KUNST reden kann, ist eine andere Frage. Zumindest die "Aufbereitung" ist es. So kann man die toten Menschen später in Pyramiden über"leben" lassen.

Nota bene: mich könnt Ihr übrigens - wegen meiner Meinung zum Thema - gerne sezieren,
in diesem Falle "zerfleischen". :-)


Wolfgang antwortete am 21.11.02 (09:01):

Das Studium der menschlichen Anatomie wurde immer schon behindert oder sogar verboten, meistens aus religiösen Motiven. Dabei gibt es viele gruselige Events, der Krieg zum Beispiel, der viele Menschen fasziniert.

Prof. Dr. Gunther von Hagens - der Erfinder der Plastination, der sich zuvörderst als Arzt und Wissenschaftler und nicht als Künstler versteht - weist in seiner Broschüre für Körperspender in spe auf dieses merkwürdige Kulturphänomen hin... Dass es einen auffallenden "Gegensatz zwischen der
Selbstverständlichkeit des legalisierten Tötens (Kriege, Hexenverfolgung, Todesstrafe) und dem
Verbot der Präparation" gibt.


schorsch antwortete am 21.11.02 (09:08):

Ich befürchte, dass es da "Nachahmungstäter" geben wird, die sich als Jack the Ripper ein Opfer suchen und es dem Herrn Professor gleichtun wollen....


bello antwortete am 21.11.02 (10:21):

... das sind dann keine "Nachahmungstäter", sondern Mörder.


bello antwortete am 21.11.02 (13:21):

Dies ist eine Meinung zum gestrigen Geschehen aus der 'Londoner Times' von heute:


"It would have been more professional if the medical community had done it instead of leaving it to the Germans.”


bello antwortete am 21.11.02 (15:41):

... und nun noch etwas aus Spiegel-Online von heute
(s.unten)

Internet-Tipp: https://www.spiegel.de/panorama/0,1518,223738,00.html


bello antwortete am 22.11.02 (09:01):

Auch wenn an dieser Stelle das Interesse wohl erloschen ist:
https://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=10854 = Mediziner-Reaktionen in London.

Hätte das Ganze in USA stattgefunden, wäre längst nicht so ein Wirbel entstanden -, den es allerdings am Jahresanfang in München auch wieder geben wird.

Internet-Tipp: https://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=10854


Wolfgang antwortete am 22.11.02 (14:15):

BURKHARD MÜLLER-ULRICH von der SZ war dabei und berichtet von GUNTHER VON HAGENS' Leichen-Event:

Was für ein Leben
Gunther von Hagens öffnet in London Leichen vor Publikum
https://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/getArticleSZ.php?artikel=artikel4081.php

Hier geht's zu VON HAGENS' "Körperwelten", mit denen er gerade äusserst erfolgreich in London gastiert und demnächst in München (28.2. - 15.06.2003) gastieren wird:

https://www.koerperwelten.com/de/home.asp


Felix antwortete am 23.11.02 (13:01):

Eigentlich wundert mich die radikale Polarisierung der Meinungen zu diesem Thema in keiner Weise.
Wir haben in Basel eine sehr lange anatomische Tradition.
Andreas Vesalius (1514-1564) sezierte schon Leichen vor erlauchtem Publikum ... natürlich gegen den Widerstand gewisser religiöser Kreise, die darin eine Gotteslästerung sahen. Er schuf auch die ersten wissenschaftlich brauchbaren Anatomie-Atlanten ... die heute unumstritten als grandiose Kunstwerke gelten! So ganz etwas Anderes ist doch das nicht?
Wir haben haben auch ein altes Anatomisches Museum, das ich schon als Kind bewundert hatte.
Etwas mehr Weitblick wäre hier angebracht!


bello antwortete am 23.11.02 (13:17):

Nicht daß es noch so weit kommt, daß "Operation" mit "Vivisektion" gleichgestellt wird.


schorsch antwortete am 23.11.02 (19:12):

Herr von Hagens ist meiner Meinung nach ein würdiger Nachfolger jener "Wissenschafter", die im Namen der Wissenschaft in den Konzentrationslagern und Irrenhäusern Versuche an Menschen machten. Diese waren es auch, die Hitler in seinem Wahn bestätigten, alles "unwerte" Leben müsse ausgerottet werden.

Siehe mein Buchtipp im betreffenden Forum.


Karl antwortete am 23.11.02 (21:45):

Lieber Schorsch,

da möchte ich Dir aber doch sehr heftig widersprechen. Es ist sicherlich nicht Deine Absicht, die Taten der KZ-Ärzte zu verharmlosen. Deren abscheuliche Taten sind auf keinen Fall mit einer öffentlichen Obduktion eines Leichnams zu vergleichen!

Herr von Hagen verletzt Pietätsgefühle vieler Menschen. Dies war jedoch schon zu Zeiten der ersten anatomischen Studien so. Mediziner haben sich ihre Leichen früher teilweise durch Grabraub erworben. Von dem erhaltenen Wissen profitieren wir heute alle. Wir sind auch froh, dass Ärzte bei Operationen an Frauen nicht mehr gezwungen werden wegzuschauen.

Ich mag Herrn von Hagen persönlich nicht, denn er geniest den Medienrummel um seine Person. Aber die Ausstellung "Körperwelten" hat das Thema Anatomie des menschlichen Körpers einem sehr großen Publikum nahegebracht. Es herrschte eine andächtige, keine marktschreierische Atmosphäre in den Ausstellungsräumen. Die wissenschaftliche Präparationsmethode von Herrn von Hagen ist von unschätzbarem Wert und stellt die Gewebe wesentlich besser dar als alles bisher Dagewesene.

Lieber Schorsch, also, auch im Zeitalter der leichtfertigen historischen Vergleiche, möchte ich deinen Vergleich nicht mitmachen.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


Barbara antwortete am 24.11.02 (00:36):

Mich stoßen die Begriffe "Leichen-Event" und "Autopsie-Show" ab. Geht es jemandem bei Verwendung dieser Begriffe um eine wissenschaftliche Aufklärung der Bevölkerung oder vorrangig um eine Verletzung von Tabus aus Publicity-Gründen?

Von der Ausstellung "Körperwelten" habe ich gehört und Berichte im TV gesehen. Auch wenn es mich große Überwindung kosten würde, diese Ausstellung zu besuchen, kann ich das Interesse am menschlichen Körper verstehen. Sicher lernt man durch diese Ausstellung mehr über die Zusammenhängen in unserem menschlichen Mechanismus. Ich glaube Karl, wenn er von der einmaligen Präparationsmethode des Herrn von Hagen begeistert ist.

In meinen Augen besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen dieser Ausstellung und einem "Leichen-Event". Den Lerneffekt der Ausstellung verstehe ich, wo bleibt jedoch ein Lerneffekt durch eine öffentliche Autopsie? Was könnte ich dort lernen, was die Ausstellung nicht bieten kann?

Ärzte in Ausbildung müssen geschult werden, einen menschlichen Körper zu öffnen, um lebensrettende Operationen ausführen zu können. Dafür müssen auch Leichen zur Verfügung stehen. Das verstehe ich. Können tote Menschen jedoch für eine Show benutzt werden? Nein, da sehe ich die Würde dieses toten Menschen erheblich verletzt, auch wenn er zu Lebzeiten seine Einwilligung dazu gegeben haben sollte - vielleicht aus dem Wunsch heraus, wenn schon nicht im Leben so doch danach noch zu einer Attraktion geworden zu sein. Vor einer sensationslüsternen Öffentlichkeit, die seiner Leichenöffnung vielleicht sogar im TV Knabberzeug futternd zuschaut, sollte man in schützen.


bello antwortete am 24.11.02 (07:59):

"Herr von Hagen verletzt Pietätsgefühle vieler Menschen," sagt Karl.
Das mag sein. Aber es bleibt jedem überlassen, in die Vorführungen zu gehen oder nicht. Ich glaube, daß diejenigen am lautesten von Sensation und Provokation anti-schreien, die sich niemals vor Ort selbst überzeugen würden, mit wieviel Ehrfurcht vor den Toten es dort zugeht.

Ich habe oben schon geschrieben, daß Ihr mich wegen meiner Meinung gern zerfleischen könnt. Vielleicht bin ich eine "schrullige Alte", die zwischen "Verschrobenheit und Wahnsinn" lebt. Aber nach einer schweren Erkrankung vor
vier Jahren fing ich an, meinen Nachlaß zu regeln. Zum Nachlaß gehört auch mein verstorbener Körper.

Wenn ich es auch schon im vorherein als angenehm empfinde, in warmes Feuer zu kommen, habe ich mir damals überlegt, ob ich wohl posthum noch eine "Leistung" vollbringen könnte, indem ich mich zu Lehrmaterial freigebe. Wenn ich tot bin, merke ich doch nichts mehr. Ich kümmerte mich ernsthaft darum, mich zur Plastination anzubieten -, bis meine Tochter mir abriet, weil nicht sie, aber ihr Bruder so etwas nicht würde ertragen können.

Ich kann aufgrund meiner Erfahrungen in diesem Zusammenhang nur sagen, daß eigentlich niemand Euere Leiche so einfach haben will. Auch die anatomischen Institute haben so viele Auflagen, daß ich mich letztendlich wieder zu einer auch neueren, aber inzwishen üblichen Methode der Feuer- und anonymen Bestattung zurück-entschlossen habe. Wenn schon, dann sauber und ohne biologische Verwesung.

Ich geh' ja schon ... :-)


WANDA antwortete am 24.11.02 (09:27):

Hier hätte ich viel zu sagen, aber jetzt nur das eine, das Abweichende.
Im Sommer war es mir vergönnt in der Uni in Padua, den ersten Seziersaal zu bewundern. Damals musste alles heimlich gehen. Die Leichen kamen aus dem Kanal und wurden unterirdisch eingeschleust. Wenn Gefahr drohte, konnte man den Leichnam, den man gerade sezierte, durch Kippen des Sezierstisches sofort verschwinden lassen, auch im Kanal.
Wo wären wir heute, wenn diese Mediziner sich an die Regeln und Vorschriften gehalten hätten?

Natürlich hinkt der Vergleich etwas.


Ursula antwortete am 24.11.02 (10:36):

Ich kann Karl nur zustimmen:

Von Hagen verletzt auch meine Pietätsgefühle und verstößt mit der öffentlichen Autopsie möglicherweise auch gegen Gesetze des ärztlichen Ethos

Das Verarbeiten von Leichen zu Kunstwerken ist in meinen Augen schlicht pervers (Nekrophilie?), und schon deshalb kann ich "Körperwelten" nichts abgewinnen - auch wenn die Ausstellung für viele Menschen informativ sein kann.

In der öffentlichen Autopsie ist für mich aber keinerlei Sinn mehr zu erkennen, sondern nur ein makabres Schauspiel, das der Selbstdarstellung des (nach meiner Ansicht psychisch abnormen) Veranstalters dient.

Außerdem ist von Hagen Anatom und kein Pathologe und dürfte von daher zur Durchführung von Autopsien gar nicht befugt sein.

Ursula


schorsch antwortete am 24.11.02 (11:33):

@Karl antwortete am 23.11.02 (21:45):

"Lieber Schorsch,

da möchte ich Dir aber doch sehr heftig widersprechen. Es ist sicherlich nicht Deine Absicht, die Taten der KZ-Ärzte zu verharmlosen. Deren abscheuliche Taten sind auf keinen Fall mit einer öffentlichen Obduktion eines Leichnams zu vergleichen!...."

Ich habe meine kurze Wortmeldung nochmals gelesen und mich gefragt, wo ich denn da "die abscheulichen Taten der KZ-Ärzte" verharmlost haben könnte. Wenn ich von "würdiger Nachfolger jener KZ-Wissenschafter" spreche, dann meine ich doch, dass weder diese noch von Hagens Respekt vor dem Menschen gehabt haben konnten oder können.
Wissenschaftliche Neugierde ist m.E. nicht dasselbe wie Sensationslust befriedigen. Und wie anders könnte denn das Herumreichen von soeben dem Leibe entrissenen, blutigen Organen durch die Sitzreihen des unkompetenten Publikums anders genannt werden, als "Befriedigung von Sensationslust"?


Karl antwortete am 24.11.02 (12:00):

Lieber Schorsch,

ich bin mir ja sicher, dass Du die Greueltaten der KZ-Ärzte nicht verharmlosen wolltest. Ich wollte nur warnen, dass durch unpassende Vergleiche eben dies passiert. Die Gleichsetzung des Sezierens eines Leichnams mit dem Quälen und Töten von Lebenden ist m.E. falsch und u.U. geeignet, letzteres zu verharmlosen.

Wolfgang hat auf die Diskrepanz hingewiesen, die es "zwischen der Selbstverständlichkeit des legalisierten Tötens (Kriege, Hexenverfolgung, Todesstrafe) und dem Verbot der Präparation" gibt.

Wenn den Toten mehr Ehrfurcht entgegengebracht wird als den Lebenden ist etwas schief.

Mit freundlichen Grüßen

Karl


bello antwortete am 24.11.02 (15:09):

Was Ursula zum Teil schreibt, ist übertrieben und zeugt von mangelnder Kenntnis über einen Sachverhalt. Sie meint:

1) "Das Verarbeiten von Leichen zu Kunstwerken ist in meinen Augen schlicht pervers (Nekrophilie?),..."

Unter Nekrophilie versteht man die Tatsache, dass Menschen sexuelle Handlungen an Toten oder Teilen von Toten vornehmen.

2) "Außerdem ist von Hagen Anatom und kein Pathologe und dürfte von daher zur Durchführung von Autopsien gar nicht befugt sein."
Alle Anatomen dieser Welt werden auf die Barrikaden gehen, wenn sie d a s lesen.

Liebe Ursula,
ich hoffe, Du bist nicht die gleichnamige Neurologin aus dem ST. Sonst müßte man sich über solche Äußerungen noch viel mehr wundern.
*************************

Es gibt ein berühmtes Gemälde einer öffentlichen Leichenöffnung - weiß nicht, Dürer? - , das vermutlich in einer Kunstgalerie hängt. Man hat sich mit solch einem Thema also schon früher befaßt.

>:-< , aber: II*(


Ursula antwortete am 24.11.02 (16:32):

Liebe bello,

was Nekrophilie bedeutet, ist mir natürlich bekannt.

In meinem Beitrag habe ich "Nekrophilie" ja auch absichtlich mit einem Fragezeichen versehen, um zum Ausdruck zu bringen, dass ich eine Neigung in dieser Richtung zumindest für möglich, mangels entsprechender Fakten aber nicht belegen kann.

Was Deinen anderen Kritikpunkt betrifft: Ein Anatom darf natürlich Leichen sezieren. Dies dient aber zur makroskopischen und mikroskopischen Präparation und Darstellung (normaler) anatomischer Strukturen und nicht - wie bei von Hagens Live-Autopsie geschehen - zur Organentnahme und deren Untersuchung auf Anomalien und Kranheiten. Das gehört meines Wissens (ausschließlich)ins Fachgebiet des Pathologen.

Wenn Du die Pressemitteilungen verfolgt hast, weißt Du, dass von Hagens ursprünglich beabsichtigt hatte, den Leichnam einer jungen Frau öffentlich zu sezieren, die zu Lebzeiten an einer Epilepsie gelitten hatte und deren krankhafte Veränderungen ihres Gehirns er demonstrieren wollte. Als dann das Verbot der britischen Behörden kam, wich er auf den Leichnam eines 72-jährigen Mannes aus ...

Gruß Ursula


Felix antwortete am 24.11.02 (18:17):

Nekrophilie in diesem Zusammenhang ist ein klarer Fehlgriff bei der Begriffswahl.
Darunter versteht man die perverse Neigung, sich an Leichen sexuell zu vergehen. (Wörterbuch der Psychologie)
Ich habe "Körperwelten" mehrmals besucht ... auch mit Jugendlichen, die mit grossem Interesse aber auch mit dem notwendigen Respekt die präparierten Leichen betrachteten. Nur eine meiner Bekannten konnten nicht lange in dieser Ausstellung bleiben, weil ihr übel geworden war.
Was ich persönlich unnötig fand, waren die Leichen in bestimmten Posen wie z.B beim Schachspielen, Reiten, Fechten etc. Dies entspricht zwar historischen Vorbildern bei anatomischen Darstellungen.
Was mir auch missfällt ist das Theater des Gunther v. Hagen, welches er rund um seine Leichenschau zu machen pflegt. Man könnte ihn auch rein äusserlich mit einem Joseph Beuys vergleichen.... sogar die Macke mit dem Schlapphut stimmt überein!


Felix antwortete am 24.11.02 (19:01):

Einen Beitrag zum ältesten "Anatomischen Theater" bei uns in Basel zeigt, dass die öffentliche Sektion einer Leiche keine Erfindung von Gunther v. Hagen ist.

1588 richtete in Basel der angesehene Medizinprofessor und Stadtarzt Felix Platter (1536-1614) ein erstes sog. anatomisches Theater nach dem Vorbild eines Amphitheaters ein. Tief unten in der Mitte stand - erhellt von Kerzen und Fackeln- ein drehbarer Sektionstisch. Kreisförmig sind nach hinten ansteigend mehrere Reihen von Sitzbänken und Stehplätzen angeordnet. 6 Jahre später-1594- entsteht in Padua eine ähnliche Einrichtung, die noch heute besteht.

Felix Platter nahm etwa 300 Sektionen vor. Die Sektion erfolgte öffentlich und war in Basel ein gesellschaftliches
Ereignis ersten Ranges. Nicht der Streit um die Richtigkeit der alten medizinischen Texte bzw. der eigenen Beobachtungen steht im Vordergrund, sondern der Unterhaltungswert für das Publikum. Alle, die gesellschaftlichetwas auf sich hielten, drängten zu diesem Ereignis. Die vorderen Reihen waren der Prominenz vorbehalten, den Medizinprofessoren und den herausragenden Personen des öffentlichen Lebens, die zweite Reihe war für die Kandidaten der Medizin reserviert, die übrigen Plätze standen den Chirurgen (Barbieren) und dem übrigen Publikum gegen entsprechendes Eintrittsgeld offen. Die wissenschaftliche Bedeutung dieser Schausektionen war
relativ gering. Die eigentliche Einführung der pathologischen Anatomie und damit der wissenschaftlichen Autopsie erfolgte erst durch den italienischen Arzt und Naturforscher Giovanni Battista Morgagni (1682-1771) durch die Veröffentlichung des Werkes "Ueber den Sitz und die Ursachen der Krankheiten, aufgespürt durch die Kunst der
Anatomie" 1761. Morgagni wollte in seiner Arbeit die Beziehungen zwischen Krankheitssymptomen,
Krankheitsverlauf und Sektionsbefund darlegen. Einen Höhepunkt der Sektionstätigkeit erlebte man im Wien des
19. Jahrhunderts. Dort wurde nahezu jeder verstorbene Patient eines Krankenhauses obduziert. Karl Freiherr von
Rokitansky (1804-1878) soll während seiner Laufbahn allein 30.000 Sektionen durchgeführt und 70.000 Sektionen überwacht haben. In diese Zeit fiel die Gründung der Pathologie Basel.

Internet-Tipp: https://www.patho.unibas.ch/d/Al_Gesc.html


WANDA antwortete am 25.11.02 (08:16):

danke Felix, für mich ist das interessant und so genau wusste ich das nicht, gruss Wanda


schorsch antwortete am 25.11.02 (10:28):

Ich denke: parallel zum verlorenen Respekt vor dem Leben geht auch der Respekt vor dem Tod verloren....


bello antwortete am 25.11.02 (14:43):

Es ließ mir keine Ruhe.
Das von mir oben zitierte Gemälde ist von Rembrandt.
Ihr könnt es Euch unter dieser Adresse ansehen:
https://www.iit.edu/~premed/rembrandt.jpg

Aber ich warne: ein Arm der Leiche zeigt dort schon sein Inneres :-)

Internet-Tipp: https://www.iit.edu/~premed/rembrandt.jpg


Karl antwortete am 25.11.02 (16:08):

Danke für den Link, bello.


juttam antwortete am 03.12.02 (05:14):

Meine Guete....

Pathologie und Sezierungen im Namen der Wissenschaft und des Lernens haben zu der
Rettung unendlich vieler Leben beigetragen.

Auch wenn es kein schoenes Thema ist...es musste
sein! - Muss sein!

Religioese Einstellungen und natuerlich auch die
grausamen Schandtaten einger Verrueckter haben
das Ihre dazu beigetragen Sezierungen und Pathologie
im Allgemeinen in Verruf zu bringen.

Aber hier handelt es sich doch ausschliesslich um
jemanden der offensichtlich Kunst mit unnotwendigen
Aktionen gegen den Koerper eines Toten verwechselt -
oder zumindest hofft dass Andre das Konzept verwechseln
und in Geld umsetzen fuer besagten "Kuenstler".

Pathologie und Sezierungen an sich sind weder
ekelhaft, noch krank - sie werden es aber wenn
sie der "Unterhaltungs Akt" des Abends sind.