Leben ist: Die Lust zu Schaffen,
anders Leib und Seel erschlaffen.
(Carl Spitzweg)

DER MALERPOET Carl Spitzweg 

 „Die einzig wahre Quelle der Kunst ist unser Herz, die Sprache eines reinen kindlichen Gemütes.“
Dieser Satz von Caspar David Friedrich trifft für viele wahre Künstler zu, hat aber gleichzeitig als Leitmotiv für Spitzwegs Leben und Werk besondere Gültigkeit.

In monatlichen Folgen möchte ich Leben und Werk Carl Spitzwegs nach meinen Empfindungen ein wenig nahe bringen und hoffe, daß Euch das Freude macht :-)
 
 
 
Carl Spitzweg, 1839
„Der Arme Poet“ (Ausschnitt)
Neue Pinakothek, München

 Carl Spitzweg (1808 -1885) ist wohl einer der volkstümlichsten und populärsten deutschen Künstler. Sein Werk spricht die Menschen – auch mich – in besonderer Weise an. Das große Interesse , das den Bildinhalten seines Genres entgegen gebracht wird, löste und löst bei vielen Kunstfreunden Diskussionen aus, in denen seine Kunst teilweise als allzu populär bis hin zu Kitsch bezeichnet wird. Übersehen wird dabei, daß der Maler innerhalb seines Themenkreises eine große Spannweite hatte.  Seine Bilder sind die Chronik eines vergangenen Lebensstils, stimmungsvolle Einblicke in die heile Welt des Biedermeiers. Genau beobachtet und phantasievoll ausgeschmückt, erzählen sie von einem vergangenen Dasein. Heiter, zuweilen nicht ohne freundlichen Spott, doch immer erfüllt von warmer Menschlichkeit.
Auch wenn die damaligen Zeiten in Wahrheit gar nicht so freundlich waren, daß Spitzwegs Werk also Dokument der „Guten Alten Zeit“ wurde, kann man ihm nicht anlasten.
 
 
 
Eduard Grützner, 1884
„Spitzweg zeichnend“
Sammlung Georg Schäfer, Obbach

Vielleicht kann man eine Vorstellung vom Werk des Malers am besten erhalten, wenn man von Jahrzehnt zu Jahrzehnt je ein Bild genauer ins Auge faßt. Versuchen wir, auf diese Weise die Entwicklung seiner Kunst und die Veränderungen der Strukturen heraus zu finden.

Selbstverständlich gelingt es mir hier nicht, allen Werken des großartigen Malers gerecht zu werden; auch bei der enormen Themenvielfalt wird es nur möglich, einige Schwerpunkte in einer wunderschönen Perlenkette zu setzen. Wobei Spitzweg fast zu jeder Thematik auch noch verschiedene Versionen interpretierte; nur teilweise werde ich sie aufgreifen, vor allem da, wo es mir erscheint, als erzähle er uns eine Geschichte  …
 

Übersicht der vorgestellten Gemälde
(wird monatlich ergänzt; Klick auf den jeweiligen Monat führt zum Bild)
 
Bildbetrachtungen des Jahres 2003
Januar Peinliches Verhör (1836)
Februar Der Briefbote im Rosenthal (1858)
Die Post (1880)
März Fiat Justitia (1857)
April Ein Besuch (1850)
Der Alchimist (1860)
Mai Institutsspaziergang (1865)
Bildbetrachtungen des Jahres 2002
Januar Spitzwegs Leben in Zahlen und …  wie wurde er Maler?
Februar Eremit, Hühnchen bratend (1841)
März Der arme Poet (1839)
April Der Sonntagsspaziergang (1841)
Mai Die Scharwache (1870)
Die Scharwache (Nächtliche Runden) (1875)
Juni Der Witwer (1844, 1845)
Juli Mädchen im Gebirge (um 1858)
Mädchen mit Ziege (um 1860)
August Der Hypochonder (1865)
September Der Bücherwurm (1850)
Oktober Der abgefangene Liebesbrief (1860) 
November Der Schmetterlingsfänger (1840)
Dezember Ein Sonntagsjäger (1845)
Der Sonntagsjäger (1845)
Der Sonntagsjäger (1848)

Da ist der „Eremit, Hühnchen bratend“, 1841 entstanden, zwei Jahre nach dem 1839 datierten „Armen Poeten“.
 
Carl Spitzweg, 1841
„Eremit, Hühnchen bratend“
(in Privatbesitz)

Das Bild gehört zu den Frühwerken des Malers, der seit 1836 die Ausstellungen des Münchner Kunstvereins belieferte. Bezeichnend für die Bilder der ersten zehn Jahre ist, daß zumeist eine Figur Träger der Komposition ist. 
Die Malerei grenzt noch alle Gegenstände von einander ab und schwelgt nicht in Farben; Buntwerte sind aufgesetzt, das Blau in den Strümpfen, rote Tupfer im Feuer (leider hier nicht gut zu sehen), das kräftige Grün der Blätter, eine harmonische Einheit. Die Hauptperson agiert wie auf einer kleinen Bühne.

Und Spitzweg wählt hier erstmals ein Thema, das ihn in den Folgejahren noch oft beschäftigt, das Ironisch-Entlarvende der sogenannten „frommen Männer“.
Dieser Mönch hat sich zwar mit den Accessoires eines frommen Lebenswandels umgeben – man sieht das Kreuz als unübersehbares Alibi an den Eingang der Höhle geheftet – aber seine Andacht gilt voll dem Hühnchen über dem Feuer. Offensichtlich haben ihn nicht Glaubensgedanken zum Einsiedler gemacht, sondern allein das Verlangen, die kleinen wichtigen irdischen Freuden ungestört zu genießen. Ein Heuchler also, ein freilich liebenswerter Heuchler. 
Bereits hier, wie in allen Bildern der ersten Jahrzehnte legt der Künstler Wert auf Detailgetreue (z.B. die Falten des Mönchsgewandes), mit kleinen versteckten Andeutungen … wirkt der Schatten des Mönchs nicht wie der Kopf eines Teufelchens mit Hörnern?
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Carl Spitzweg, 1837
„Der arme Poet“
Bleistiftzeichnung
Staatliche Graphische Sammlung München

Entscheidend für Spitzwegs Entwicklung war wohl „Der arme Poet“ (Gemälde siehe oben). Es war sein erstes wichtiges Gemälde, in dem er sich beweisen wollte. Dieses Bild reichte er zur Ausstellung im Münchner Kunstverein ein. Die Jury nahm das Bild nur auf, weil sich seine Freunde für ihn einsetzten und weil man ihn als "Münchner" nicht abweisen wollte. Seinem Bild wurde jedoch ein unvorteilhafter Platz zugewiesen, in der Erwartung, es würde vom Publikum übersehen. 
Die Thematik des Bildes war für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich, trotzdem war Spitzweg über das Echo beim Publikum überrascht. 
Wie er jedoch bemerkte, sahen die Leute nicht die von ihm in das Bild gelegte Problematik, sondern waren vielmehr durch die Art der Darstellung mit all dem Beiwerk amüsiert. Der Maler erkannte, daß er mit seiner Denkweise nicht die einfältige Selbstgefälligkeit des satten Kleinbürgertums aufrütteln konnte. Und so beschloß er, den Leuten das zu geben, was sie offenbar gerne hatten, spaßige Situationen; wobei sie nicht ahnten, daß eben sie Spitzweg zu diesen Darstellungen angeregt hatten. Er wollte ihnen künftig seine Auffassung in ihrer Lesart präsentieren.
Diese erste Ausstellungserfahrung und die aus Menschenkenntnis daraus resultierende Folgerung, gab seinen Bildern die Tendenz zu heiteren Bildgeschichten.

Wie im zwei Jahre später erscheinenden  "Eremit, Hühnchen bratend" (siehe oben), ist die Detailtreue der Darstellung von fotografischer Exzellenz, hier aber noch bis in den letzten Winkel des Bildes ausgearbeitet. Anmut und Dramatik sind vordergründig und rühren den Beschauer gleichermaßen. Schon in der von ihm zuvor angefertigten Skizze glaubt man, den zu zerdrückenden Floh in der rechten Hand des Poeten zu entdecken. 
 Später fügt Spitzweg dem Bild die zum Verbrennen gebündelten vergeblichen Dichterbemühungen hinzu; ein Bezug auf seinen eigenen fehlenden künstlerischen Durchbruch(?) „Ich sieh's schon, wenn ich von der Malerey leben müßte, ging's mir schlecht – wird schon werden.“ (Aus einem Brief Spitzwegs an seine Freunde.) Die vage Hoffnung wurde allmählich zur Wirklichkeit.
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Carl Spitzweg, 1841
„Der Sonntagsspaziergang“
Öl auf Holz 22,2 x 34,2 cm
Salzburg, Museum Augustinum

Wenn dir`s vergönnt je, dann richt es so ein,
Daß dir ein Spaziergang das Leben soll sein!
Stets schaue und sammle, knapp nippe vom Wein,
Mach unterwegs auch Bekanntschaften fein,
Des Abends kehr selig bei dir wieder ein
Und schlaf in den Himmel, den offnen, hinein!

Hin eilen die Sterne weit
in endlosem Schwung!
Schon morgen um die Zeit
Bist nimmer so jung!
Umarme hienieden
Die Gegenwart froh:
Was heut dir beschieden,
Nicht morgen ist's so!

(Carl Spitzweg)

…"Und abends tu ich dichten!“
Ja, auch das war Spitzweg; seine Gemälde waren Gedichte und seine Gedichte waren Gemälde, natürlich längst nicht so gut, aber der gleiche "Spitzbub" spricht aus ihnen und die gleichen Themen realer Gegenwart beschäftigen ihn bis in den Schlaf.

Und so ist es auch mit dem nächsten Gemälde, das wir betrachten wollen, 
„Der Sonntagsspaziergang“.
Carl Spitzweg setzt dabei auf den Wiedererkennungseffekt der Situation. In diesem Bild  sind alle  bürgerlichen Ideale von den kleinen Freuden verdichtet: In trautem Familienkreis und  vertrauter Geh-Ordnung marschiert man durch das sommerliche Feld. Der Mann voran hat es sich leger gemacht, was man von der ihm auf den Fuß folgenden  Gattin weniger behaupten kann; die Haltung ist steif, die Hand, die den Schirm hält, ist verkrampft. Mädchen haben in der Familie streng und gesittet zu sein; nur der kleine Bub geht offensichtlich unbekümmert seinem Vergnügen, dem Haschen von Schmetterlingen, nach. Alles in allem ist und bleibt es eben der Sonntag  (und nicht der Montag oder der Dienstag), an dem man spazieren geht. 
Der Blick des Künstlers ist ein freundlich-lächelnder, aber auch ein distanziert-ironischer.
Dieses Bild soll denn auch auf die Doppeldeutigkeit dieser kleinen Freuden  des Nichtstuns hinweisen: als Ausdruck von Wünschen und Tagträumen weisen sie in eine andere Zukunft, als immer nur zeitweilige Fluchten stellen sie den Alltag nicht in Frage, sondern bestätigen gegenwärtiges Leistungs- und Seindenken.< (Inhaltliche Wiedergabe nach Horst Koch, Artbook International.)

Die Bearbeitung dieses Werkes ist eine künstlerisch meisterhafte. Der Himmel ist sonnig, die aufziehenden Wolken verheißen Schwüle, ein mögliches Gewitter, man spürt fast körperliche die Hitze. Die Ferne mit der Kirche ist mit wenigen Mitteln skizziert.
Gegenüber den voran gegangenen Gemälden löst sich das Bild langsam über eine größere Fläche auf; wir haben zwar noch eine maßgebliche Ebene, in der sich die Hauptpersonen bewegen,  aber sie wird breiter (von links nach rechts); Die Detailfeinheit, z.B. in den Falten der Kleidung, ist nach wie vor bewunderungswürdig und in fotografischer Genauigkeit. 
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Machen wir einmal einen großen Sprung in der Lebens- und Schaffensentwicklung Spitzwegs, um die Vielfältigkeit vor allem in der dramaturgischen Gestaltung seiner Themen zu demonstrieren.
Seine „Scharwachen“ und „Nächtlichen Runden“ haben ihm viele Freunde erworben. Er malte dieses Thema deshalb bis in die Spätzeit hinein und behielt die technischen Mittel verhältnismäßig lange bei.
 
Carl Spitzweg, 1875
„Die Scharwache (Nächtliche Runde)“
– Ausschnitt – 
Öl auf Leinwand, 33,4 x 54,2 cm
Neue Pinakothek, München
Carl Spitzweg, 1870
„Die Scharwache“
Öl auf Leinwand, 29,5 x 22,0 cm
Staatsgalerie Stuttgart

Wie in diesen beiden von mir ausgewählten Gemälden bringt Spitzweg seinen späten Malstil mit der Früh- und Reifezeit in bestimmten Werken zu einer interessanten Synthese. Die tragende Figur ist nicht mehr unbedingt in den Vordergrund gesetzt, jedoch erscheint sie beherrschend, sodaß das Verhalten des jeweiligen Anführers deutlich beobachtet werden kann.
Spitzweg wird nun der Maler der tonig-farbigen Nachtbilder. Wenn hier die Scharwache durch die nächtliche Stadt zieht, dann sieht man auf den ersten Blick, daß von diesen Männern keiner Diebesbande ernsthafte Gefahr droht; aber die Bilder verraten auch sofort, daß dort die Welt noch in Ordnung ist.
Und eben diese Nachtszenen sind mit großer malerischer Bravour vorgetragen, mit einer zauberhaften Beherrschung der Helldunkel-Effekte, in der sich seine wiedererwachte Liebe zur niederländischen Malerei um Rembrandt widerspiegelt.
Wir erkennen deutlich, daß dieses Nachtlicht die Entfaltung der Raumweite nicht nur in der Tiefe, sondern auch in der Breite – wie auf einer Bühne – inszeniert. Spitzweg führt Regie, die Detailgenauigkeit übernimmt wesentliche Aufgaben, die vom Betrachter nacheinander abgelesen werden sollen. Der Maler hat damit eine Zeichensprache erzeugt, die verstanden wird. 
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Diesmal schauen wir uns zwei Gemälde Spitzwegs mit dem gleichen Titel an „Der Witwer“. Ich habe sie einmal in der Bayerischen Staatsgemäldesammlung (1845) und ein anderes Mal im Städelschen  Kunstinstitut Frankfurt a. M. (1844) entdeckt und mit einander verglichen. Schaut selbst einmal, welche Unterschiede Ihr findet! Bei weiteren Recherchen fiel mir auf, daß Spitzweg wohl fast jedes seiner Werke mehrmals malte und jeweils kleine Veränderungen einbaute. (So finden wir z.B. auch den im Monat April besprochenen „Sonntagsspaziergang“, zwei Jahre später angefertigt, in dem die Figuren spiegelverkehrt von links nach rechts ins Bild laufen.) Ich denke mal, hier waren finanzielle Gründe die Ursache(?)
 
Carl Spitzweg, 1844
„Der Witwer“
Öl auf Leinwand, 58 x 66,5 cm
Städelsches Kunstinstitut
Frankfurt a. M.
Carl Spitzweg, 1845
„Der Witwer“
Öl auf Leinwand, 42,7 x 49,6 cm Bayerische Staatsgemäldesammlungen
München

Das heutige Genre gehört zu den sogenannten „Nach-Blicks-Bildern“. Der Maler macht sich dabei mit uns Betrachtern einen Spaß. Jetzt sind wir es selbst, die „hinterher schauen“, je nach Stimmung, Alter und Geschlecht mit Sehnsucht, Resignation, mit Zustimmung, leichter Beschämung oder in verträumtem „Sich-Erinnern“ ;-). 

Der eigentliche Sinngehalt dieses Nachblicks jedoch ist Resignation. Gerade hat sich der Witwer auf die Bank niedergelassen – in traurigen Gedanken an die verstorbene Gattin, still auf ihr Bild in der rechten Hand schauend – da rauschen die beiden Mädchen vorbei; lockende, verlockende Erscheinungen. Der Witwer läßt Taschentuch und Medaillon sinken und schaut den Damen nach. 
Ja, die vordere Statue in der entzückend ausgeleuchteten Parkbühne (!), Amor, greift vielsagend und verheißungsvoll nach dem Köcher! – Und dann doch wieder Resignation: die behäbige, ältliche Witwergestalt steht in komischem Gegensatz zu den biegsamen, zierlichen Mädchenfiguren. Der skeptische Gesichtsausdruck des Witwers besagt, daß er selbst auch nicht an eine so hübsche, glückliche Zukunft glauben kann.

Vorstellbar ist, daß hier der Maler selbst nicht ganz distanziert lächelnd über der Sache stand. Absage an die Liebe hat er erleben müssen, denn die Frau, die er liebte, starb, bevor sich diese Zuneigung erfüllen konnte.
Spitzwegs Junggesellenleben hoch über den Dächern von München, das von Freunden und Kunsthistorikern zumeist als märchenhaft-versponnen geschildert wurde, war in Wirklichkeit gelebte Resignation, die in seine Bilder eingegangen ist.
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Unter dem Typus-Begriff „Sennerinnen im Hochtal“ beschäftigte sich Spitzweg über einen Zeitraum von 1848 bis 1880 mit diesem Genre. Seine Maltechniken verändern sich zwar mehr oder weniger von Bild zu Bild, Ausdruck und Komposition bleiben; und so fällt es schwer, jedem Werk die genaue Datierung zuzuordnen.
 
Carl Spitzweg, um 1848
„Mädchen im Gebirge“
Öl auf Papier auf Leinwand aufgezogen, 36,3 x 25,2 cm
(Ausschnitt) 
Süddeutscher Privatbesitz
Carl Spitzweg, um 1858/1860
„Mädchen mit Ziege“
Öl auf Papier, auf Karton aufgezogen, 
36,2 x 29,0 cm
Privatbesitz
(es stammt aus dem Besitz des Kaisers Franz Josef von Österreich und war ein Geschenk an Katharina Schratt in Wien)

Beide Werke, wie alle Sennerinnen-Bilder mit Kopflast, sind von beeindruckender Prägnanz.
Spitzweg versuchte sich vorwiegend im ersten Bild mit der sogenannten Spachteltechnik, wobei er Pinsel und Pinselzwinge benutzte. Beim Weg und vor allem in der Steinpartie, die bravourös gemalt sind, wird diese Technik besonders deutlich.

Wir erkennen über der rechten Felswand wie einen Bogen die gezackte Baumbegrenzung, die wiederum zur Linken von den geraden Fichtenstämmen aufgenommen wird (im ersten Bildausschnitt fehlt leider der linke Rand), vom Rosenbusch übergeleitet hin zum Brunnen (siehe zweites Bild), sodaß sich eine ovale Einblicksöffnung ergibt, die den Blick lenkt. 
Die einzelnen Formen werden durch die Farbstruktur so gekennzeichnet, daß der untere Bildrand die Nähe zum  Betrachter deutlich ausprägt. Die rauhen Strukturen bedeuten gleichzeitig Nähe, wogegen die feinen Lasuren den Tiefenraum andeuten; eine in den 50er Jahren entscheidend von Spitzweg geprägte Malweise.
Im Schräglicht wird dies für den Betrachter besonders deutlich. Gleichzeitig bezieht der Maler aber auch das Schräglicht in die Komposition des Bildes mit ein. Wir sehen deutlich, wie von links oben die Sonne einfällt und damit räumliche Gliederungen in der Objektaufreihung entstehen.

Die junge Sennerin – ein Detail, das von Freunden mitbestimmt wurde – hat eine leicht gestreckte Figur (im Gegensatz zur gedrungenen und überdetallierten Malweise seiner Zeit) im sogenannten „schönen Schreiten“. Wir sehen hier die Tracht des Isarwinkels mit kleinen Abänderungen, wie sie auch im Loisachtal getragen wurde.
Kräftige Farben geben dem Werk Anmut und vermitteln Frohsinn. Auffallend ist der plissierte rote Rock, die geraffte blaue Schürze, das goldfarbene Mieder, von rechts nach links geknöpft und die weiße weite hemdartige Bluse.
Die Kopflast besteht aus einem flachen Korb (auf dem sogenannten Kopfring), indem zumeist die Butter – mit nassen Tüchern abgedeckt –  zu Tal getragen wurde. Das Mädchen hält in der Rechten eine Weinflasche und einen Henkelkorb mit weiteren Vorräten.

Die in die Landschaft integrierte Figur in Beziehung zur vom Licht berührten Vegetation, ergibt einen atmosphärischen Reiz von unendlichem Zauber, der mich gefangen nimmt.
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Und immer wieder finden wir bei Spitzweg Resignation, insbesondere gegenüber dem anderen Geschlecht (siehe z.B. Monat Juni „Der Witwer“).
Den schärfsten Ausdruck aber hat Resignation in der Gesamtkomposition des Gemäldes „Ein Hypochonder“ gefunden.
 
Carl Spitzweg, um 1865
„Ein Hypochonder“ 
ÖL auf Leinwand 54,0 x 31,4 cm
 Bayerische Staatsgemäldesammlungen
München
Schack-Galerie

Sehnsüchtig blickt er hinüber, >der eingebildete Kranke<, über die Straßenschlucht zum Mädchen, das wie eine ferne Erscheinung ganz unwirklich im lampenhellen Stübchen sitzt, unerreichbar weit entfernt.

Denn dieser Mann bildet sich seine Kontaktschwäche nicht nur ein – er ist mit ihr wie mit einer Krankheit geschlagen. Wie der Vogel im Bauer, wie die Pflanze im Balkonkübel, ist er in sich gefangen und kann aus eigener Kraft nicht frei werden.
Kein heiteres Bild ist es, trotz der prächtigen Farben, die im Nachmittagslicht aufleuchten.
Auch das Mädchen ist eingeschlossen in der Kammer, die im dunklen Winkel liegt, so daß die Lampe brennen muß.
Mauern, wohin man sieht; Mauern, die trennen, zerteilen, verhindern, bedrücken.

Das steile Hochformat ist typisch für die Bildfindung Spitzwegs. Es ist die aufgestockte Höhe, die gleichzeitig auch Entfernung bedeutet.

Ein Bild aus deutscher Provinz ist hier gemalt. Es ist ein Bekenntnis des Künstlers.
Für den Betrachter, der sich nicht vom schönen Schein blenden läßt, ist es ein Bild, das betroffen macht. Das Leben ist hoffnungslos, zugestellt mit Schranken, vermauert mit kleinlichem Gewinkel, voller Zwänge.
Aber in diesem Bild wird auch deutlich, daß Spitzwegs Resignation scharfsichtige, gesellschaftskritische Dimensionen hat.
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Ein weiteres Thema, dessen sich Spitzweg gern bediente und nach allen Seiten hin durchspielte, war das des Intellektuellen, durchdacht mit besonderer persönlicher Anteilnahme. Ein Sammelbecken des Ressentiments und der verbreiteten Banalität, daß in jedem Professor ein lebensuntüchtiges Unikum stecke.
Ein mich in diesem Sinne besonders ansprechendes Werk wollen wir uns heute betrachten: „Der Bücherwurm“.
 
Carl Spitzweg, um 1850
„Der Bücherwurm“
Öl auf Leinwand 49,5 x 26,8 cm
Sammlung Georg Schäfer, Obbach

Man hat den Eindruck, als spräche sich in einem solchen Bild Spitzwegs tiefe Skepsis gegenüber allen scheinbaren Fortschritten der Wissenschaftler aus.
(Technisch hat er nie gemalt, nur hier und dort einmal eine Eisenbahn gezeichnet – aber das unterstreicht nur, wie suspekt ihm diese Errungenschaften waren.)
Der Künstler befreite sich von seiner pessimistischen Weltsicht, indem er die Träger der Wissenschaften lächerlich machte, und wir können uns mit ihm befreien vom Alpdruck einer immer perfekter durchorganisierten Welt.
Und wie sieht dieser gelehrte Sündenbock in seinen extremsten Formen aus? Natürlich wie der „Bücherwurm“!

Da steht er also, der Gelehrte, hoch auf der  Leiter. Über ihm das Schild „Metaphysik“ – unerreichbar –, unter ihm der Sternenglobus.
Wir sehen nicht, wo die Leiter auf dem Boden steht. Dadurch bekommt die Figur und das ganze Bild etwas Unfestes, Unsicheres.
Er steht da auf der Leiter, schwebend zwischen oben und unten – und doch hoffnungslos gefesselt. Die Bücher, die er sich zwischen die Beine gepreßt hat, hindern ihn an jeder freien Bewegung. Und das Buch, in das er seine Nase gesteckt hat, mag ihm geistige Genüsse vermitteln, reduziert aber den Horizont auf wenige Zentimeter Entfernung.

Und wieder fesseln uns Detailtreue, von den nach unten gezogenen Mundwinkeln bis zu den Beinfalten im Samtwams des Gelehrten und der Feinheit der unzähligen Bücher, deren Rückenbeschriftung man zu entziffern versucht.

„Das ist das Bild des deutschen Intellektuellen, der – so könnte man argumentieren – seine Freiheit zur Selbstfesselung mißbraucht hat und zur komischen Figur geworden ist, weil er egoistisch nur an sein Bildungsvergnügen denkt und darüber seinen Auftrag für die Gesellschaft vergessen hat. Oder hat ihn die Gesellschaft in dieses Ghetto abgeschoben, weil sie meint, seiner nicht zu bedürfen? Der Betrachter kann vor einem solchen Bild die Tatsache kompensieren, daß es klügere Leute als ihn gibt, Leute, die freier denken und unabhängiger handeln als er.“ (Jens Christian Jensen, „Carl Spitzweg – Zwischen Resignation und Zeitkritik“)
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Spitzweg war ein sehr bewußter Künstler, der für seine Werke regelrechte „Bühnenpläne“ entwarf, Auftritt und Abgang seiner Akteure, umsichtig wie ein Regisseur. Eines vergißt er dabei nie: den Betrachter!
 
Carl Spitzweg, um 1860
„Der abgefangene Liebesbrief“
Öl auf Leinwand 54,2 x 32,3 cm
Sammlung Georg Schäfer, Obbach

Beim „Abgefangenen Liebesbrief“ kommt das besonders gut zum Ausdruck. Hier wird dem Betrachter auf geradezu durchtriebene Weise geschmeichelt. Wir sehen direkt auf die Hausfront; so direkt, daß wir das Gefühl haben, uns dicht vor dem Bildgegenstand zu befinden; als der Nachbar von Gegenüber, der – selbst unbeobachtet – das Malheur schadenfroh und überlegen verfolgt. Schadenfroh, weil es ihm das Hochgefühl vermittelt, ihm könne das nicht passieren; überlegen, weil er über den Dingen stehend mehr sieht als die Akteure im Bild. Denn der Student merkt nicht, daß der Brief die falsche Person erreicht.
Spitzweg schildert besonders eindrucksvoll die siegessichere und selbstgefällige Sorgfalt, mit der der „Hübschling“ sein rotgesiegeltes Brieflein hinunterläßt. 
Im grotesken Gegensatz steht dazu der prüde Schreckens-Schafsblick der frommen ältlichen Muhme. Diese sieht ja nicht, woher das weiße Brieflein kommt; vielleicht denkt sie eher an eine wundersame Botschaft des Engels Gabriel, als an ein frivoles Studentenangebot ;-)

Und das holde Mädchen im Fenster ahnt nichts von alledem. Sie beugt sich wie eine echte Gretchenfigur, gefangen von ihrer sorglichen Arbeit wie der Vogel im Käfig (vorn rechts im Bild, diese Vergleiche erleben wir sehr häufig bei Spitzweg), rosig über das weiße Tuch.

Und wir sind die Voyeure, wir sehen alles. Sehr oft hat Spitzweg in seinen Werken diesen Trick angewandt, was gewiß dominierend  zu seiner Popularität beigetragen hat.

Faszinierend auch hier wieder die Lichtverteilung, warm und doch hart genug, um jedes Detail auszuleuchten, Präzision in der Feinarbeit. 
Ein Werk des inzwischen erfahrenen Malers, der sich seiner Wirkung auf den Betrachter wohl bewußt ist und mit seinen Gefühlen geradezu spielt.
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Skepsis und geradezu Abneigung gegenüber Fortschritt und Wissenschaft, dem wir auch im „Bücherwurm“ begegnen, prägen bereits Spitzwegs Anfangswerke.  Diesem Thema widmete er  viele Variationen. Immer ist der Gelehrte, allgemein der Intellektuelle, der Unterlegene. Die Natur entlarvt ihn als abseitige Existenz. So u.a. im  „Schmetterlingsfänger“
 
Carl Spitzweg, um 1840
„Der Schmetterlingsfänger“
Öl auf Leinwand 31 x 25 cm
Städtisches Museum Wiesbaden

Von der Entwicklung des Malers her, liegt dieses Werk zwischen dem „Armen Poeten“ und dem „Eremit, Hühnchen bratend“,

Fassungslos steht der Forscher mit seinem viel zu kleinen Netz vor den Riesenfaltern. Das heißt doch, die Natur ist mächtiger, gewaltiger als es sich das Spatzenhirn eines Gelehrten oder wie man sagt die: "Schulweisheit träumen läßt".

Die Staffage wird in diesem Bild  vom Umgebungsraum klar umrissen abgehoben. Die Technik, die mit Spitzwegs Illustrationsstil der 40er Jahre zusammenhängt, ist besonders deutlich und markant durch ihre Linearität geprägt. Der Maler beginnt jedoch bereits, den Eigengehalt und den Intensitätswert der Farbe hervor zu heben: roter Schirm, blaue Himmelflecken im Hintergrund. 

Das Bild, prachtvoll gemalt und kühn fast eine abstrakte Gestaltwelt einbeziehend, entdeckt die Komik des gelehrten Fachmannes, indem es dessen Hilflosigkeit bloßstellt. Die lächerliche Kleidung der Hauptperson unterstreicht den Eindruck. Trotz der übergroßen Brillengläser scheint er die Natur nicht zu erfassen; im Gegenteil, der Maler läßt uns mit dem Gelehrten durch eben diese starken Gläser die Schmetterlinge in unrealistisch verzerrter Größe sehen. 
Die  bühnenmäßige Beleuchtung des Akteurs und das Ziel seines Einsatzes, vor allem der erste Schmetterling, versetzen den Betrachter  ungewollt in eine Art Spannungszustand: wie lange wird wohl der Falter den Fänger noch foppen, wird er nicht jeden Moment der Szenerie entfleuchen? Das Objekt entzieht sich der Erforschung, Veränderungen in der Lebenszeit finden nicht statt. Ein Wunschgedanke des Malers und vieler seiner Zeitgenossen.
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In vielen Bildern Spitzwegs finden wir uns im Wald wieder, eine Kulisse, die der Maler besonders bevorzugte. Leider ist es mir nur gelungen, das Werk von 1845 in Schwarz-Weiß wiederzugeben; dennoch passen beide Gemälde wie zu einem Zyklus, den man gemeinsam betrachten sollte.
Hier zeigt sich der Märchenerzähler Spitzweg als frivoler Pfiffikus. Nein,. das könnte uns nicht passieren, gerade genüßlich Brotzeit zu machen und dabei vom Rehbock überrascht zu werden – die Flinte unerrreichbar am Baum. ;-)
 
Carl Spitzweg, 1845
„Der  Sonntagsjäger“
Öl auf Leinwand
Privatbesitz
Carl Spitzweg, 1845
„Ein Sonntagsjäger“
38,7 x 15,6 cm
Kunstsammlung der Universität,
Göttingen
Carl Spitzweg, um 1848
„Der Sonntagsjäger“
Öl auf Leinwand 41,0 x 33,3 cm
Süddeutscher Privatbesitz

An diesen drei Werken wird besonders deutlich: Nicht nur der Blick des Betrachters ist es, den der Maler einkalkuliert, wenn er sein Bild entwirft, es ist vielmehr das Blicken überhaupt, das er fast als Grundmotiv seiner Kunst ansieht.
So wie das erste und zweite Sonntagsjäger-Bild von dem ungleichwertigen Blick von Mensch zu Tier, vom Überraschten zum Überrumpler, vom Unsicheren zum Überlegenen geprägt ist – so, genau so bildet das Blicken den eigentlichen Angelpunkt vieler Bilder Spitzwegs.

Herrlich dieser Menschenblick, den wir durch die gesamte Kopf- und Körperhaltung des Jägers erahnen, den das Tier in königlichem Selbstbewußtsein dessen, daß es sich auf heimischem Boden geborgen weiß, zurückgibt; dieser sich kreuzende Wechselblick wird zur entscheidenden Bildachse gemacht.
Wobei das zweite Bild fast wie eine Fortsetzung des ersten erscheint, wie der Zeitlupen-Ablauf der Erschreckensbewegung. 

Beim dritten Sonntagsjäger-Bild ist es, als spinne dieses Gemälde die Geschichte weiter fort, die die andere in einer ersten Szene darstellen.
Nun hat sich der Jäger endlich sein Gewehr geholt, läßt Picknick Picknick sein und schaut der entschwindenden Beute hinterher. Der verstörte Blick ist nun auf uns gerichtet, wir werden angestiert, als wären wir das Tier, das ihm gerade ein Schnippchen geschlagen hat.

Die Komik der Bilder liegt nicht nur in der jämmerlichen Figur des Bürgers im Jägerkostüm, sondern beruht nicht zuletzt auf dem Hochgefühl, das es dem Betrachter vermittelt und ihn unversehens zum Zielpunkt des Guckens macht.
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Ein besonders zartes Gemälde, fast so, als wolle Spitzweg an dieser Stelle einer nicht zugestandenen Jugendliebe ein Denkmal setzen, ist das
Peinliche Verhör.
 
Carl Spitzweg, um 1835/36
„Peinliches Verhör“
Öl auf Holz 20,5 x 16,0 cm
 Privatbesitz

Dieses Werk wird der Frühzeit des Malers, um 1835/36, zugeschrieben.
Vor einem Kornfeld hat ein Jäger eine junge Dame gestellt. Die Linienführung ist hier besonders anmutig, das Gesichtchen des Mädchens erahnt man in zarter Unschuld, was durch die Feinheit der Fransen am Tuch und die fein abgestimmten Farbnuancen des Kleides noch unterstrichen wird. 
Der Jäger dagegen wirkt im einfarbigen Braun sachlich und nüchtern. Und obwohl es sich hierbei offensichtlich um eine "Standpauke" handelt – der am Boden liegende Zylinder, das Stöckchen und das Tuch deuten auf die versteckte Anwesenheit eines Kavaliers hin – (der deutende Finger des Verhörenden läßt kaum einen anderen Schluß zu), hat die Anmut des Mädchens offenbar auch den Jäger verzaubert. Seine Miene ist trotz des Ernstes der Situation liebevoll. 
Die im Hintergrund sichtbare Vogelscheuche soll wohl die Gefahr, die einem jungen Mädchen durch ein männliches Wesen droht, übertrieben und dennoch schelmisch unterstreichen.

Ich habe dieses Werk bewußt dazwischen geschoben, um auf die enorme Themenvielfalt des Malers zu verweisen. Ganz abgesehen davon, daß ich es schon auf Grund der hellen zarten Farbtöne besonders liebe ;-))
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Heute stellen wir einmal das zauberhafte Gemälde „Der Briefbote im Rosenthal“ von 1858 dem Bild „Die Post “ von 1880 gegenüber.
 
Carl Spitzweg, um 1858
„Der Briefbote im Rosenthal“
Öl auf Leinwand, 73,5 x 48,5 cm
 Marburg, Universitätsmuseum 
für  Kunst- und Kulturgeschichte
Carl Spitzweg, um 1880
„Die Post“ Öl auf Karton, 33 x 22 cm
Essen-Bredenay, Gesellschaft Kruppsche Gemäldesammlung, Villa Hügel

Es erweist sich hier zunächst einmal, daß Spitzweg über Jahrzehnte hin an der einmal erfundenen Bildgestalt festhielt.
Der Bühnenraum ist hier wie dort nach sehr ähnlichen Prinzipien errichtet. Beide Male öffnet er sich rechts im Hintergrund in eine schmale, hohe Schlucht, die ins Dunkel führt; beide Male ist die Mitte des Bühnenbodens hell erleuchtet, als strahle ein Scheinwerfer von irgendwo links oben herab.

Besonders deutlich aber wird im Vergleich der beiden Werke  die malerische Entwicklung Spitzwegs. Fest und plastisch ist die Bühne für den „Briefboten“ eingerichtet. Die Farben sind glatt, seidig, in sich geschlossen stehen sie in schön abgewogener Buntheit für sich. Die Zeichnung ist deutlich – perspektivisch verdeutlicht! 

Der Maler zaubert hier ein Biedermeierambiente, das es so nie gegeben hat.
Er "lichtet" also nicht "ab", was er während seiner Reisen gesehen hatte, er malte nicht, was ihm vor Augen war, sondern er bannte mit realistischen Mitteln eine Idealwelt und war sich dessen absolut bewußt. Man kann hier von einer Dialektik sprechen, die der verdeutlichten Entrückung. 
Und weil das Imaginäre dieser Scheinwelt so genau erfaßt ist, als sei sie abgeschildert, vergißt der Betrachter, wie künstlich und kunstvoll die Bildwelt dieses außerordentlichen Meisters in Wahrheit ist, obwohl gerade dies ihm bewußt werden sollte. So ist es fast zu einem Mißverständnis gekommen, daß man Spitzweg für den Inbegriff des Biedermeier-Zeitgenossen und -Malers gehalten hat, der er so bestimmt nicht war. Und – ganz wichtig, dabei die gesellschaftliche Kritik, die in fast jedem seiner Werke bei genauer Betrachtung deutlich wird, vergessen wird. 

Wie auch immer, „Der Briefbote im Rosenthal“ ist für mich eins der zartesten und anmutigsten Gemälde Spitzwegs überhaupt. Man bekommt Lust, sich beim Betrachten des Gemäldes seinen eigenen Phantasien hinzugeben und sich eine passende Geschichte auszudenken …

Anders  das  Bild „Die Post“. Es wirkt durch den leicht zerfaserten Farbauftrag, das über die Fläche gestrichene Gelb-Braun merkwürdig gespenstig.
Das gesamte Szenarium, Konturen und Schattengrenzen, Lichtflächen und Figuren sind in Bewegung. Die Kulissen scheinen zu zerbröseln. Die Kleinstadtidylle atmet Vergänglichkeit und Zerfall.
Es wäre interessant zu erforschen, in wie weit der Künstler in zeitlichen Bezügen dachte. Immerhin entstand „Die Post“ etwa fünf Jahre vor seinem Ableben, im 73sten Lebensjahr. Melancholie und Auflösungsgedanken waren ihm nicht fremd; vielleicht stellte sogar der schwankende Postwagen mit seinen in scharfem Trab daher kommenden Pferden eine symbolisierte Todesfahrt dar(?)
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Heute lernen wir unseren „Meister“,  trotz Schalk und Anmut in Farben und Beleuchtung auch dieses großartigen Werkes, von einer sehr politischen Seite kennen, seine „Fiat Justitia“.
Etwas, das man ihm eigentlich gar nicht zutraute(?)
 
Carl Spitzweg, 1857
„Fiat Justitia“
Öl auf Leinwand 48,5 x 25,6 cm
Berlin, Bundespräsidialamt 
der Bundesrepublik Deutschland

Spitzweg, der nur wenige Jahre zuvor die Bürgerwehr der 48er Revolution in einer Folge von Holzschnitten distanziert-süffisant auf die Schippe genommen hatte, wird in diesem 1857 gemalten Werk deutlich:
Da steht vor nackter Wand auf dem Geländerpfeiler einer nach unten führenden Treppe die Justitia-Figur.
Das Schwert ist wohlerhalten, die Binde sitzt fest vor den Augen, aber die Waage ist unbrauchbar:
eine Schale fehlt!!!
Von gerechter Abwägung von Schuld und Strafe, von Verurteilung und Freispruch kann keine Rede sein.
Der Polizist lugt unter seinem federgeschmückten Hut aufmerksam um die Ecke.
Hier bleibt dem Bürger nur die Möglichkeit, das Versagen der Justiz und ihrer Hüter resignierend zur Kenntnis zu nehmen.

Spitzweg war selbst Mitglied der Bürgerwehr und man darf vorausschicken, daß der Künstler gewußt hat, worum es damals ging – nämlich um bürgerliche und politische Freiheiten und eine demokratische Verfassung; es gibt eine Reihe von Darstellungen der Malers aus dieser Zeit, die ihren Ausdruck, teilweise ins Groteske gesteigert, darin finden.
Als Höhepunkt der revolutionären Bewegung erscheint die Freigabe des Tabakrauchens, und selbst darüber wagt man sich nicht zu unterhalten.

Dennoch verlangen wir vermutlich zu viel, wenn wir von Spitzweg klare Parteinahme in der Politik fordern. Die französischen Malerkollegen wie z.B. Daumier waren umringt von Gefährten und anderen großen Künstlern, für die die politische Auseinandersetzung selbstverständlich war. In Deutschland findet man – mit wenigen Ausnahmen –  nichts dergleichen.
Spitzweg ist sogar aufmerksamer, aufrichtiger, schärfer und genauer als die meisten seiner Künstlerkollegen.
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Zwei wundervolle Werke des gleichen Genre – wir werden sofort an den „Bücherwurm“ erinnert –  wollen wir heute betrachten. 
 
Carl Spitzweg, um 1850
„Ein Besuch“
Öl auf Karton, 21,9 x 26,8 cm
Privatbesitz
Carl Spitzweg, um 1860
„Der Alchimist“
Öl auf Leinwand, 36 x 38 cm
Privatbesitz
Staatsgalerie Stuttgart

Ja, da ist er wieder, der Intellektuelle; Spitzweg äußert in seinem Tagebuch von 1849, daß den Gelehrten ein Vogel erst dann interessiere, wenn er ausgestopft und lateinisch benannt sei („Spitzweg auf der Reise nach Prag“, München 1963, S.16).
In  „Der Besuch“ übt der Maler deutlich Kritik. Da sitzt der Büchergelehrte in seiner Klause. Wir sehen keine Tür, nur das offene Fenster verbindet ihn mit der Welt. Es geschieht etwas, ein Vogel hat sich auf dem Fensterbrett niedergelassen und sieht den Gelehrten an. Wieder dieser Blick herüber und hinüber, an den wir uns im „Sonntagsjäger“ erinnern. Auch hier werden zwei Unvereinbarkeiten einander angeglichen: Der Gelehrte hockt da wie ein großer Vogel, seine Hakennase springt vor wie ein Schnabel …
Die Amsel ist der Bote von außerhalb, den der Gelehrte erstaunt anschaut. Der Wissenschaftler ist, so will es wohl der Maler zum Ausdruck bringen, gefangen in seiner engen kleinen Behausung, Natur stößt auf Naturferne.
Die Begegnung bringt dem Betrachter das Absurde der Stubengelehrsamkeit zum Bewußtsein, die offenbar die Sonne nicht beachtet, das Leben nicht spürt, die Wirklichkeit nicht wahrnimmt.

Das ist eine Thematik, die Spitzweg immer wieder aufgriff und variierte, so auch in dem etwa zehn Jahre später entstandenem Werk „Der Alchimist“.
Mißtrauisch beugt sich der Chemikus über seine  Destilationsanlage und schaut skeptisch auf den Rezipienten, den Glaskolben, in dem sich das Destillat sammeln soll. Doch der auf dem Strohkranz aufliegende Behälter scheint so verdreht, daß die ankommende Flüssigkeit vermutlich an der Außenwand herunter laufen wird. (Leider kann man diese Details auf der obigen Abbildung nicht recht erkennen ;-(.
Viel Ahnung scheint der alte Herr von der Materie also nicht so haben, sonst hätte er das Malheur bemerken müssen, fast hat man sogar als Betrachter Furcht, das Ganze flöge Sekunden später in die Luft(?).

Interessant ist die gleiche Kopfhaltung der Intellektuellen in diesen beiden Werken sowie im Bücherwurm, kurzsichtig, verspannt, ungesund.
Spitzweg lehnte diese Menschen, vergleichbar mit dem Fortschritt überhaupt, ab; er tut es aber wiederum so liebevoll, daß durch die Überzeichnung zwar keinerlei Sympathie beim Zuschauer für die Wissenschaftler, aber dafür herzliches Mitgefühl, ja Mitleid geweckt wird.

Interessant ist weiter, daß der Maler ab 1850 beginnt, zwischen Bunt- und Tonwert Differenzierungen vorzunehmen; Blau, Grün und Mattviolett geben einen fast müden Farbklang und unterstreichen damit den Gegensatz  zum Leben bedeutenden Sonnenlicht in dieser Art von Gemälden besonders.
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Ein herrliches Gemälde, an dem ich mich nicht sattsehen kann, ausgebreitet vor dem Beschauer, kleine Geschichten erzählend, der Institutsspaziergang.
 
Carl Spitzweg, um 1865
„Institutsspaziergang“
Öl auf Leinwand,  32,1 x 54,2 cm
Neue Pinakothek München

Wir kennen Spitzwegs Gelehrtenstuben, Poeten, Gratulanten, Schildwachen und nicht zuletzt die verwinkelten Gassen und Plätze süddeutscher Städte. Weniger bekannt sind die Landschaften, die er malte – sie gehören zum Besten, was die Kunst des 19. Jahrhunderts hervorgebracht hat.
Bereits der Titel des Werkes deutet allerdings an, daß keine reine Landschaft gemeint ist. Einerseits sehen wir einen wunderschönen sonnigen Tag, der sich ideal für ein Picknick eignen würde und die Bauern links im Bild bestätigen dies. Aber die Gruppe in Schwarz stört diesen Eindruck. So formal und still wie sie durch die sengende Hitze marschiert, mag man nicht glauben, daß hier ein Spaziergang unternommen werden soll.

Auf einem Feldweg ziehen 14 Schülerinnen heran, in schwarzen langen Kleidern, weißem Wechselkragen und gelben Strohhüten mit blauen Bändern.
Die erste, anscheinend die Musterschülerin, trägt einen gelben Schirm. Die anderen führen Essenskörbchen oder Blumensträuße mit sich. Eine Emsige liest während der Wanderung im Gebetbuch und eine andere pflückt am Wegrain einige Blumen.
Am äußersten rechten Rand der Gruppe bemerken wir eine dunkelhäutige Schülerin, die mit ihrer blonden Freundin dem verliebten Husaren und seinem Mädchen hinterherschauen, die soeben im Begriff sind, auf einer schattigen Bank vielleicht Zärtlichkeiten auszutauschen.
Die beiden gestrengen klösterlichen Lehrerinnen unter ihrem Sonnenschirm haben die Gefahren und die Verderbnis der Umgebung schon entdeckt; mit abwehrend erhobener Hand werden die beiden Mädchen belehrt, daß es Verschiedenes gibt, was nicht gesehen werden darf.

Im Kontrast zu dieser streng behüteten Gruppe, breitet der Maler das weite, freie Land aus, das unter einem lichten, sommerlichen Himmel dahin träumt. (Der Himmel nimmt in der Höhe des  Originals fast die Hälfte des Bildes ein, aus Platzgründen habe ich auf eine exakte Darstellung verzichten müssen.)
Die Sonne liegt warm über den Wiesen und Feldern, Bauern haben sich im Schatten eines Holunderstrauches niedergelassen und genießen den heiteren Tag. Fast möchte man selbst den Duft der durchsonnten Fluren einatmen und glaubt das Lied der aufsteigenden Lerche zu hören.
Im Hintergrund sehen wir das einladende Städtchen Dinkelsbühl, das mit hohen Türmen von einer stolzen Vergangenheit zu berichten scheint.

Die schwarze strenge Gruppe scheint nicht in das Bild zu passen, sie bildet einen unmittelbaren Gegensatz zur idyllischen freien Natur, die gleichmaßen durch die gemächliche Gelassenheit der ruhenden Bauern und das  zärtlich umschlungene Pärchen widergespiegelt wird.
Der Betrachter wird aufgefordert an der Bildhandlung teilzunehmen. Die Gegensätze werden spürbar und veranlassen eine zu genießende Komik.
Wie so oft in seinen Werken demonstriert der Maler auch hier die Weite und Unbeirrbarkeit der Natur und das subjektive Verhalten der Menschen.
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Hier geht es zu Spitzwegs Leben in Zahlen und
…  wie wurde er Maler?