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Leben ist:
Die Lust zu Schaffen,
anders Leib
und Seel erschlaffen.
(Carl
Spitzweg) |
DER MALERPOET
Carl Spitzweg
„Die
einzig wahre Quelle der Kunst ist unser Herz, die Sprache eines reinen
kindlichen Gemütes.“
Dieser
Satz von Caspar David Friedrich trifft für viele wahre Künstler
zu, hat aber gleichzeitig als Leitmotiv für Spitzwegs Leben und Werk
besondere Gültigkeit.
In monatlichen
Folgen möchte ich Leben und Werk Carl Spitzwegs nach meinen Empfindungen
ein wenig nahe bringen und hoffe, daß Euch das Freude macht :-)
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Carl Spitzweg, 1839
„Der Arme Poet“ (Ausschnitt)
Neue Pinakothek, München |
Carl
Spitzweg (1808 -1885) ist wohl einer der volkstümlichsten
und populärsten deutschen Künstler. Sein Werk spricht die Menschen
– auch mich – in besonderer Weise an. Das große Interesse , das den
Bildinhalten seines Genres entgegen gebracht wird, löste und löst
bei vielen Kunstfreunden Diskussionen aus, in denen seine Kunst teilweise
als allzu populär bis hin zu Kitsch bezeichnet wird. Übersehen
wird dabei, daß der Maler innerhalb seines Themenkreises eine große
Spannweite hatte. Seine Bilder sind die Chronik eines vergangenen
Lebensstils, stimmungsvolle Einblicke in die heile Welt des Biedermeiers.
Genau beobachtet und phantasievoll ausgeschmückt, erzählen sie
von einem vergangenen Dasein. Heiter, zuweilen nicht ohne freundlichen
Spott, doch immer erfüllt von warmer Menschlichkeit.
Auch wenn die
damaligen Zeiten in Wahrheit gar nicht so freundlich waren, daß Spitzwegs
Werk also Dokument der „Guten Alten Zeit“ wurde, kann man ihm nicht anlasten.
Eduard Grützner, 1884
„Spitzweg zeichnend“
Sammlung Georg Schäfer,
Obbach |
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Vielleicht kann
man eine Vorstellung vom Werk des Malers am besten erhalten, wenn man von
Jahrzehnt zu Jahrzehnt je ein Bild genauer ins Auge faßt. Versuchen
wir, auf diese Weise die Entwicklung seiner Kunst und die Veränderungen
der Strukturen heraus zu finden.
Selbstverständlich
gelingt es mir hier nicht, allen Werken des großartigen Malers gerecht
zu werden; auch bei der enormen Themenvielfalt wird es nur möglich,
einige Schwerpunkte in einer wunderschönen Perlenkette zu setzen.
Wobei Spitzweg fast zu jeder Thematik auch noch verschiedene Versionen
interpretierte; nur teilweise werde ich sie aufgreifen, vor allem da, wo
es mir erscheint, als erzähle er uns eine Geschichte …
Übersicht
der vorgestellten Gemälde
(wird monatlich
ergänzt; Klick auf den jeweiligen Monat führt zum Bild)
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Bildbetrachtungen
des Jahres 2003
Januar |
Peinliches
Verhör (1836) |
Februar |
Der Briefbote
im Rosenthal (1858)
Die Post (1880) |
März |
Fiat Justitia
(1857) |
April |
Ein Besuch
(1850)
Der Alchimist
(1860) |
Mai |
Institutsspaziergang
(1865) |
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Bildbetrachtungen
des Jahres 2002
Januar |
Spitzwegs Leben
in Zahlen und … wie wurde er Maler? |
Februar |
Eremit, Hühnchen
bratend (1841) |
März |
Der arme Poet
(1839) |
April |
Der Sonntagsspaziergang
(1841) |
Mai |
Die Scharwache
(1870)
Die Scharwache
(Nächtliche Runden) (1875) |
Juni |
Der Witwer
(1844, 1845) |
Juli |
Mädchen
im Gebirge (um 1858)
Mädchen
mit Ziege (um 1860) |
August |
Der Hypochonder
(1865) |
September |
Der Bücherwurm
(1850) |
Oktober |
Der abgefangene
Liebesbrief (1860) |
November |
Der Schmetterlingsfänger
(1840) |
Dezember |
Ein Sonntagsjäger
(1845)
Der Sonntagsjäger
(1845)
Der Sonntagsjäger
(1848) |
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Da ist der
„Eremit,
Hühnchen bratend“, 1841 entstanden, zwei Jahre nach dem 1839 datierten
„Armen Poeten“.
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Carl
Spitzweg, 1841
„Eremit, Hühnchen bratend“
(in Privatbesitz) |
Das Bild gehört
zu den Frühwerken des Malers, der seit 1836 die Ausstellungen des
Münchner Kunstvereins belieferte. Bezeichnend für die Bilder
der ersten zehn Jahre ist, daß zumeist eine Figur Träger der
Komposition ist.
Die Malerei
grenzt noch alle Gegenstände von einander ab und schwelgt nicht in
Farben; Buntwerte sind aufgesetzt, das Blau in den Strümpfen, rote
Tupfer im Feuer (leider hier nicht gut zu sehen), das kräftige Grün
der Blätter, eine harmonische Einheit. Die Hauptperson agiert wie
auf einer kleinen Bühne.
Und Spitzweg
wählt hier erstmals ein Thema, das ihn in den Folgejahren noch oft
beschäftigt, das Ironisch-Entlarvende der sogenannten „frommen Männer“.
Dieser Mönch
hat sich zwar mit den Accessoires eines frommen Lebenswandels umgeben –
man sieht das Kreuz als unübersehbares Alibi an den Eingang der Höhle
geheftet – aber seine Andacht gilt voll dem Hühnchen über dem
Feuer. Offensichtlich haben ihn nicht Glaubensgedanken zum Einsiedler gemacht,
sondern allein das Verlangen, die kleinen wichtigen irdischen Freuden ungestört
zu genießen. Ein Heuchler also, ein freilich liebenswerter Heuchler.
Bereits hier,
wie in allen Bildern der ersten Jahrzehnte legt der Künstler Wert
auf Detailgetreue (z.B. die Falten des Mönchsgewandes), mit kleinen
versteckten Andeutungen … wirkt der Schatten des Mönchs nicht wie
der Kopf eines Teufelchens mit Hörnern?
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Carl Spitzweg,
1837
„Der arme Poet“
Bleistiftzeichnung
Staatliche
Graphische Sammlung München |
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Entscheidend
für Spitzwegs Entwicklung war wohl „Der arme Poet“ (Gemälde
siehe oben). Es war sein erstes wichtiges Gemälde, in dem er sich
beweisen wollte. Dieses Bild reichte er zur Ausstellung im Münchner
Kunstverein ein. Die Jury nahm das Bild nur auf, weil sich seine Freunde
für ihn einsetzten und weil man ihn als "Münchner" nicht abweisen
wollte. Seinem Bild wurde jedoch ein unvorteilhafter Platz zugewiesen,
in der Erwartung, es würde vom Publikum übersehen.
Die Thematik
des Bildes war für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich, trotzdem
war Spitzweg über das Echo beim Publikum überrascht.
Wie er jedoch
bemerkte, sahen die Leute nicht die von ihm in das Bild gelegte Problematik,
sondern waren vielmehr durch die Art der Darstellung mit all dem Beiwerk
amüsiert. Der Maler erkannte, daß er mit seiner Denkweise nicht
die einfältige Selbstgefälligkeit des satten Kleinbürgertums
aufrütteln konnte. Und so beschloß er, den Leuten das zu geben,
was sie offenbar gerne hatten, spaßige Situationen; wobei sie nicht
ahnten, daß eben sie Spitzweg zu diesen Darstellungen angeregt hatten.
Er wollte ihnen künftig seine Auffassung in ihrer Lesart präsentieren.
Diese erste
Ausstellungserfahrung und die aus Menschenkenntnis daraus resultierende
Folgerung, gab seinen Bildern die Tendenz zu heiteren Bildgeschichten.
Wie im zwei
Jahre später erscheinenden "Eremit, Hühnchen bratend" (siehe
oben), ist die Detailtreue der Darstellung von fotografischer Exzellenz,
hier aber noch bis in den letzten Winkel des Bildes ausgearbeitet. Anmut
und Dramatik sind vordergründig und rühren den Beschauer gleichermaßen.
Schon in der von ihm zuvor angefertigten Skizze glaubt man, den zu zerdrückenden
Floh in der rechten Hand des Poeten zu entdecken.
Später
fügt Spitzweg dem Bild die zum Verbrennen gebündelten vergeblichen
Dichterbemühungen hinzu; ein Bezug auf seinen eigenen fehlenden künstlerischen
Durchbruch(?) „Ich sieh's schon, wenn ich von der Malerey leben müßte,
ging's mir schlecht – wird schon werden.“ (Aus einem Brief Spitzwegs an
seine Freunde.) Die vage Hoffnung wurde allmählich zur Wirklichkeit.
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Carl Spitzweg,
1841
„Der Sonntagsspaziergang“
Öl auf
Holz 22,2 x 34,2 cm
Salzburg, Museum
Augustinum |
Wenn dir`s vergönnt
je, dann richt es so ein,
Daß dir
ein Spaziergang das Leben soll sein!
Stets schaue
und sammle, knapp nippe vom Wein,
Mach unterwegs
auch Bekanntschaften fein,
Des Abends
kehr selig bei dir wieder ein
Und schlaf
in den Himmel, den offnen, hinein!
Hin eilen die
Sterne weit
in endlosem
Schwung!
Schon morgen
um die Zeit
Bist nimmer
so jung!
Umarme hienieden
Die Gegenwart
froh:
Was heut
dir beschieden,
Nicht morgen
ist's so!
(Carl Spitzweg)
…"Und abends tu ich dichten!“
Ja, auch das war Spitzweg;
seine Gemälde waren Gedichte und seine Gedichte waren Gemälde,
natürlich längst nicht so gut, aber der gleiche "Spitzbub" spricht
aus ihnen und die gleichen Themen realer Gegenwart beschäftigen ihn
bis in den Schlaf.
Und so ist es auch mit dem
nächsten Gemälde, das wir betrachten wollen,
„Der Sonntagsspaziergang“.
Carl Spitzweg
setzt dabei auf den Wiedererkennungseffekt der Situation. In diesem Bild
sind alle bürgerlichen Ideale von den kleinen Freuden verdichtet:
In trautem Familienkreis und vertrauter Geh-Ordnung marschiert man
durch das sommerliche Feld. Der Mann voran hat es sich leger gemacht, was
man von der ihm auf den Fuß folgenden Gattin weniger behaupten
kann; die Haltung ist steif, die Hand, die den Schirm hält, ist verkrampft.
Mädchen haben in der Familie streng und gesittet zu sein; nur der
kleine Bub geht offensichtlich unbekümmert seinem Vergnügen,
dem Haschen von Schmetterlingen, nach. Alles in allem ist und bleibt es
eben der Sonntag (und nicht der Montag oder der Dienstag), an dem
man spazieren geht.
Der Blick des
Künstlers ist ein freundlich-lächelnder, aber auch ein distanziert-ironischer.
Dieses Bild
soll denn auch auf die Doppeldeutigkeit dieser kleinen Freuden des
Nichtstuns hinweisen: als Ausdruck von Wünschen und Tagträumen
weisen sie in eine andere Zukunft, als immer nur zeitweilige Fluchten stellen
sie den Alltag nicht in Frage, sondern bestätigen gegenwärtiges
Leistungs- und Seindenken.< (Inhaltliche Wiedergabe nach Horst Koch,
Artbook International.)
Die Bearbeitung
dieses Werkes ist eine künstlerisch meisterhafte. Der Himmel ist sonnig,
die aufziehenden Wolken verheißen Schwüle, ein mögliches
Gewitter, man spürt fast körperliche die Hitze. Die Ferne mit
der Kirche ist mit wenigen Mitteln skizziert.
Gegenüber
den voran gegangenen Gemälden löst sich das Bild langsam über
eine größere Fläche auf; wir haben zwar noch eine maßgebliche
Ebene, in der sich die Hauptpersonen bewegen, aber sie wird breiter
(von links nach rechts); Die Detailfeinheit, z.B. in den Falten der Kleidung,
ist nach wie vor bewunderungswürdig und in fotografischer Genauigkeit.
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Machen wir
einmal einen großen Sprung in der Lebens- und Schaffensentwicklung
Spitzwegs, um die Vielfältigkeit vor allem in der dramaturgischen
Gestaltung seiner Themen zu demonstrieren.
Seine „Scharwachen“
und „Nächtlichen Runden“ haben ihm viele Freunde erworben.
Er malte dieses Thema deshalb bis in die Spätzeit hinein und behielt
die technischen Mittel verhältnismäßig lange bei.
Carl
Spitzweg, 1875
„Die Scharwache
(Nächtliche Runde)“
– Ausschnitt
–
Öl auf
Leinwand, 33,4 x 54,2 cm
Neue Pinakothek,
München |
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Carl Spitzweg,
1870
„Die Scharwache“
Öl auf
Leinwand, 29,5 x 22,0 cm
Staatsgalerie
Stuttgart |
Wie in diesen
beiden von mir ausgewählten Gemälden bringt Spitzweg seinen späten
Malstil mit der Früh- und Reifezeit in bestimmten Werken zu einer
interessanten Synthese. Die tragende Figur ist nicht mehr unbedingt in
den Vordergrund gesetzt, jedoch erscheint sie beherrschend, sodaß
das
Verhalten des jeweiligen Anführers deutlich beobachtet werden kann.
Spitzweg wird
nun der Maler der tonig-farbigen Nachtbilder. Wenn hier die Scharwache
durch die nächtliche Stadt zieht, dann sieht man auf den ersten Blick,
daß von diesen Männern keiner Diebesbande ernsthafte Gefahr
droht; aber die Bilder verraten auch sofort, daß dort die Welt noch
in Ordnung ist.
Und eben diese
Nachtszenen sind mit großer malerischer Bravour vorgetragen, mit
einer zauberhaften Beherrschung der Helldunkel-Effekte, in der sich seine
wiedererwachte Liebe zur niederländischen Malerei um Rembrandt widerspiegelt.
Wir erkennen
deutlich, daß dieses Nachtlicht die Entfaltung der Raumweite nicht
nur in der Tiefe, sondern auch in der Breite – wie auf einer Bühne
– inszeniert. Spitzweg führt Regie, die Detailgenauigkeit übernimmt
wesentliche Aufgaben, die vom Betrachter nacheinander abgelesen werden
sollen. Der Maler hat damit eine Zeichensprache erzeugt, die verstanden
wird.
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Diesmal schauen
wir uns zwei Gemälde Spitzwegs mit dem gleichen Titel an „Der Witwer“.
Ich habe sie einmal in der Bayerischen Staatsgemäldesammlung (1845)
und ein anderes Mal im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt a.
M. (1844) entdeckt und mit einander verglichen. Schaut selbst einmal, welche
Unterschiede Ihr findet! Bei weiteren Recherchen fiel mir auf, daß
Spitzweg wohl fast jedes seiner Werke mehrmals malte und jeweils kleine
Veränderungen einbaute. (So finden wir z.B. auch den im Monat April
besprochenen „Sonntagsspaziergang“, zwei Jahre später angefertigt,
in dem die Figuren spiegelverkehrt von links nach rechts ins Bild laufen.)
Ich denke mal, hier waren finanzielle Gründe die Ursache(?)
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Carl Spitzweg,
1844
„Der Witwer“
Öl auf
Leinwand, 58 x 66,5 cm
Städelsches
Kunstinstitut
Frankfurt a.
M. |
Carl Spitzweg,
1845
„Der Witwer“
Öl auf
Leinwand, 42,7 x 49,6 cm Bayerische Staatsgemäldesammlungen
München |
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Das heutige
Genre gehört zu den sogenannten „Nach-Blicks-Bildern“. Der
Maler macht sich dabei mit uns Betrachtern einen Spaß. Jetzt sind
wir es selbst, die „hinterher schauen“, je nach Stimmung, Alter und Geschlecht
mit Sehnsucht, Resignation, mit Zustimmung, leichter Beschämung oder
in verträumtem „Sich-Erinnern“ ;-).
Der eigentliche
Sinngehalt dieses Nachblicks jedoch ist Resignation. Gerade hat sich der
Witwer auf die Bank niedergelassen – in traurigen Gedanken an die verstorbene
Gattin, still auf ihr Bild in der rechten Hand schauend – da rauschen die
beiden Mädchen vorbei; lockende, verlockende Erscheinungen. Der Witwer
läßt Taschentuch und Medaillon sinken und schaut den Damen nach.
Ja, die vordere
Statue in der entzückend ausgeleuchteten Parkbühne (!), Amor,
greift vielsagend und verheißungsvoll nach dem Köcher! – Und
dann doch wieder Resignation: die behäbige, ältliche Witwergestalt
steht in komischem Gegensatz zu den biegsamen, zierlichen Mädchenfiguren.
Der skeptische Gesichtsausdruck des Witwers besagt, daß er selbst
auch nicht an eine so hübsche, glückliche Zukunft glauben kann.
Vorstellbar
ist, daß hier der Maler selbst nicht ganz distanziert lächelnd
über der Sache stand. Absage an die Liebe hat er erleben müssen,
denn die Frau, die er liebte, starb, bevor sich diese Zuneigung erfüllen
konnte.
Spitzwegs Junggesellenleben
hoch über den Dächern von München, das von Freunden und
Kunsthistorikern zumeist als märchenhaft-versponnen geschildert wurde,
war in Wirklichkeit gelebte Resignation, die in seine Bilder eingegangen
ist.
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Unter dem Typus-Begriff
„Sennerinnen
im Hochtal“ beschäftigte sich Spitzweg über einen Zeitraum
von 1848 bis 1880 mit diesem Genre. Seine Maltechniken verändern sich
zwar mehr oder weniger von Bild zu Bild, Ausdruck und Komposition bleiben;
und so fällt es schwer, jedem Werk die genaue Datierung zuzuordnen.
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Carl Spitzweg,
um 1848
„Mädchen
im Gebirge“
Öl auf
Papier auf Leinwand aufgezogen, 36,3 x 25,2 cm
(Ausschnitt)
Süddeutscher
Privatbesitz |
Carl Spitzweg,
um 1858/1860
„Mädchen
mit Ziege“
Öl auf
Papier, auf Karton aufgezogen,
36,2 x 29,0
cm
Privatbesitz
(es stammt
aus dem Besitz des Kaisers Franz Josef von Österreich und war ein
Geschenk an Katharina Schratt in Wien) |
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Beide Werke,
wie alle Sennerinnen-Bilder mit Kopflast, sind von beeindruckender Prägnanz.
Spitzweg versuchte
sich vorwiegend im ersten Bild mit der sogenannten Spachteltechnik, wobei
er Pinsel und Pinselzwinge benutzte. Beim Weg und vor allem in der Steinpartie,
die bravourös gemalt sind, wird diese Technik besonders deutlich.
Wir erkennen
über der rechten Felswand wie einen Bogen die gezackte Baumbegrenzung,
die wiederum zur Linken von den geraden Fichtenstämmen aufgenommen
wird (im ersten Bildausschnitt fehlt leider der linke Rand), vom Rosenbusch
übergeleitet hin zum Brunnen (siehe zweites Bild), sodaß sich
eine ovale Einblicksöffnung ergibt, die den Blick lenkt.
Die einzelnen
Formen werden durch die Farbstruktur so gekennzeichnet, daß der untere
Bildrand die Nähe zum Betrachter deutlich ausprägt. Die
rauhen Strukturen bedeuten gleichzeitig Nähe, wogegen die feinen Lasuren
den Tiefenraum andeuten; eine in den 50er Jahren entscheidend von Spitzweg
geprägte Malweise.
Im Schräglicht
wird dies für den Betrachter besonders deutlich. Gleichzeitig bezieht
der Maler aber auch das Schräglicht in die Komposition des Bildes
mit ein. Wir sehen deutlich, wie von links oben die Sonne einfällt
und damit räumliche Gliederungen in der Objektaufreihung entstehen.
Die junge Sennerin
– ein Detail, das von Freunden mitbestimmt wurde – hat eine leicht gestreckte
Figur (im Gegensatz zur gedrungenen und überdetallierten Malweise
seiner Zeit) im sogenannten „schönen Schreiten“. Wir sehen hier die
Tracht des Isarwinkels mit kleinen Abänderungen, wie sie auch im Loisachtal
getragen wurde.
Kräftige
Farben geben dem Werk Anmut und vermitteln Frohsinn. Auffallend ist der
plissierte rote Rock, die geraffte blaue Schürze, das goldfarbene
Mieder, von rechts nach links geknöpft und die weiße weite hemdartige
Bluse.
Die Kopflast
besteht aus einem flachen Korb (auf dem sogenannten Kopfring), indem zumeist
die Butter – mit nassen Tüchern abgedeckt – zu Tal getragen
wurde. Das Mädchen hält in der Rechten eine Weinflasche und einen
Henkelkorb mit weiteren Vorräten.
Die in die Landschaft
integrierte Figur in Beziehung zur vom Licht berührten Vegetation,
ergibt einen atmosphärischen Reiz von unendlichem Zauber, der mich
gefangen nimmt.
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Und immer wieder
finden wir bei Spitzweg Resignation, insbesondere gegenüber dem anderen
Geschlecht (siehe z.B. Monat Juni „Der Witwer“).
Den schärfsten
Ausdruck aber hat Resignation in der Gesamtkomposition des Gemäldes
„Ein
Hypochonder“ gefunden.
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Carl Spitzweg, um 1865
„Ein Hypochonder“
ÖL auf Leinwand 54,0
x 31,4 cm
Bayerische Staatsgemäldesammlungen
München
Schack-Galerie |
Sehnsüchtig
blickt er hinüber, >der eingebildete Kranke<, über die Straßenschlucht
zum Mädchen, das wie eine ferne Erscheinung ganz unwirklich im lampenhellen
Stübchen sitzt, unerreichbar weit entfernt.
Denn dieser
Mann bildet sich seine Kontaktschwäche nicht nur ein – er ist mit
ihr wie mit einer Krankheit geschlagen. Wie der Vogel im Bauer, wie die
Pflanze im Balkonkübel, ist er in sich gefangen und kann aus eigener
Kraft nicht frei werden.
Kein heiteres
Bild ist es, trotz der prächtigen Farben, die im Nachmittagslicht
aufleuchten.
Auch das Mädchen
ist eingeschlossen in der Kammer, die im dunklen Winkel liegt, so daß
die Lampe brennen muß.
Mauern, wohin
man sieht; Mauern, die trennen, zerteilen, verhindern, bedrücken.
Das steile Hochformat
ist typisch für die Bildfindung Spitzwegs. Es ist die aufgestockte
Höhe, die gleichzeitig auch Entfernung bedeutet.
Ein Bild aus
deutscher Provinz ist hier gemalt. Es ist ein Bekenntnis des Künstlers.
Für den
Betrachter, der sich nicht vom schönen Schein blenden läßt,
ist es ein Bild, das betroffen macht. Das Leben ist hoffnungslos, zugestellt
mit Schranken, vermauert mit kleinlichem Gewinkel, voller Zwänge.
Aber in diesem
Bild wird auch deutlich, daß Spitzwegs Resignation scharfsichtige,
gesellschaftskritische Dimensionen hat.
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Ein weiteres
Thema, dessen sich Spitzweg gern bediente und nach allen Seiten hin durchspielte,
war das des Intellektuellen, durchdacht mit besonderer persönlicher
Anteilnahme. Ein Sammelbecken des Ressentiments und der verbreiteten Banalität,
daß in jedem Professor ein lebensuntüchtiges Unikum stecke.
Ein mich in
diesem Sinne besonders ansprechendes Werk wollen wir uns heute betrachten:
„Der Bücherwurm“.
Carl Spitzweg,
um 1850
„Der Bücherwurm“
Öl auf
Leinwand 49,5 x 26,8 cm
Sammlung Georg
Schäfer, Obbach |
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Man hat den
Eindruck, als spräche sich in einem solchen Bild Spitzwegs tiefe Skepsis
gegenüber allen scheinbaren Fortschritten der Wissenschaftler aus.
(Technisch
hat er nie gemalt, nur hier und dort einmal eine Eisenbahn gezeichnet –
aber das unterstreicht nur, wie suspekt ihm diese Errungenschaften waren.)
Der Künstler
befreite sich von seiner pessimistischen Weltsicht, indem er die Träger
der Wissenschaften lächerlich machte, und wir können uns mit
ihm befreien vom Alpdruck einer immer perfekter durchorganisierten Welt.
Und wie sieht
dieser gelehrte Sündenbock in seinen extremsten Formen aus? Natürlich
wie der „Bücherwurm“!
Da steht er
also, der Gelehrte, hoch auf der Leiter. Über ihm das Schild
„Metaphysik“ – unerreichbar –, unter ihm der Sternenglobus.
Wir sehen nicht,
wo die Leiter auf dem Boden steht. Dadurch bekommt die Figur und das ganze
Bild etwas Unfestes, Unsicheres.
Er steht da
auf der Leiter, schwebend zwischen oben und unten – und doch hoffnungslos
gefesselt. Die Bücher, die er sich zwischen die Beine gepreßt
hat, hindern ihn an jeder freien Bewegung. Und das Buch, in das er seine
Nase gesteckt hat, mag ihm geistige Genüsse vermitteln, reduziert
aber den Horizont auf wenige Zentimeter Entfernung.
Und wieder fesseln
uns Detailtreue, von den nach unten gezogenen Mundwinkeln bis zu den Beinfalten
im Samtwams des Gelehrten und der Feinheit der unzähligen Bücher,
deren Rückenbeschriftung man zu entziffern versucht.
„Das ist das
Bild des deutschen Intellektuellen, der – so könnte man argumentieren
– seine Freiheit zur Selbstfesselung mißbraucht hat und zur komischen
Figur geworden ist, weil er egoistisch nur an sein Bildungsvergnügen
denkt und darüber seinen Auftrag für die Gesellschaft vergessen
hat. Oder hat ihn die Gesellschaft in dieses Ghetto abgeschoben, weil sie
meint, seiner nicht zu bedürfen? Der Betrachter kann vor einem solchen
Bild die Tatsache kompensieren, daß es klügere Leute als ihn
gibt, Leute, die freier denken und unabhängiger handeln als er.“ (Jens
Christian Jensen, „Carl Spitzweg – Zwischen Resignation und Zeitkritik“)
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Spitzweg war
ein sehr bewußter Künstler, der für seine Werke regelrechte
„Bühnenpläne“ entwarf, Auftritt und Abgang seiner Akteure, umsichtig
wie ein Regisseur. Eines vergißt er dabei nie: den Betrachter!
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Carl Spitzweg,
um 1860
„Der abgefangene
Liebesbrief“
Öl auf
Leinwand 54,2 x 32,3 cm
Sammlung Georg
Schäfer, Obbach |
Beim „Abgefangenen
Liebesbrief“ kommt das besonders gut zum Ausdruck. Hier wird dem Betrachter
auf geradezu durchtriebene Weise geschmeichelt. Wir sehen direkt auf die
Hausfront; so direkt, daß wir das Gefühl haben, uns dicht vor
dem Bildgegenstand zu befinden; als der Nachbar von Gegenüber, der
– selbst unbeobachtet – das Malheur schadenfroh und überlegen verfolgt.
Schadenfroh, weil es ihm das Hochgefühl vermittelt, ihm könne
das nicht passieren; überlegen, weil er über den Dingen stehend
mehr sieht als die Akteure im Bild. Denn der Student merkt nicht, daß
der Brief die falsche Person erreicht.
Spitzweg schildert
besonders eindrucksvoll die siegessichere und selbstgefällige Sorgfalt,
mit der der „Hübschling“ sein rotgesiegeltes Brieflein hinunterläßt.
Im grotesken
Gegensatz steht dazu der prüde Schreckens-Schafsblick der frommen
ältlichen Muhme. Diese sieht ja nicht, woher das weiße Brieflein
kommt; vielleicht denkt sie eher an eine wundersame Botschaft des Engels
Gabriel, als an ein frivoles Studentenangebot ;-)
Und das holde
Mädchen im Fenster ahnt nichts von alledem. Sie beugt sich wie eine
echte Gretchenfigur, gefangen von ihrer sorglichen Arbeit wie der Vogel
im Käfig (vorn rechts im Bild, diese Vergleiche erleben wir sehr häufig
bei Spitzweg), rosig über das weiße Tuch.
Und wir sind
die Voyeure, wir sehen alles. Sehr oft hat Spitzweg in seinen Werken diesen
Trick angewandt, was gewiß dominierend zu seiner Popularität
beigetragen hat.
Faszinierend
auch hier wieder die Lichtverteilung, warm und doch hart genug, um jedes
Detail auszuleuchten, Präzision in der Feinarbeit.
Ein Werk des
inzwischen erfahrenen Malers, der sich seiner Wirkung auf den Betrachter
wohl bewußt ist und mit seinen Gefühlen geradezu spielt.
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Skepsis und
geradezu Abneigung gegenüber Fortschritt und Wissenschaft, dem wir
auch im „Bücherwurm“ begegnen, prägen bereits Spitzwegs Anfangswerke.
Diesem Thema widmete er viele Variationen. Immer ist der Gelehrte,
allgemein der Intellektuelle, der Unterlegene. Die Natur entlarvt ihn als
abseitige Existenz. So u.a. im „Schmetterlingsfänger“.
Carl Spitzweg,
um 1840
„Der Schmetterlingsfänger“
Öl auf
Leinwand 31 x 25 cm
Städtisches
Museum Wiesbaden |
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Von der Entwicklung
des Malers her, liegt dieses Werk zwischen dem „Armen Poeten“ und dem „Eremit,
Hühnchen bratend“,
Fassungslos
steht der Forscher mit seinem viel zu kleinen Netz vor den Riesenfaltern.
Das heißt doch, die Natur ist mächtiger, gewaltiger als es sich
das Spatzenhirn eines Gelehrten oder wie man sagt die: "Schulweisheit träumen
läßt".
Die Staffage
wird in diesem Bild vom Umgebungsraum klar umrissen abgehoben. Die
Technik, die mit Spitzwegs Illustrationsstil der 40er Jahre zusammenhängt,
ist besonders deutlich und markant durch ihre Linearität geprägt.
Der Maler beginnt jedoch bereits, den Eigengehalt und den Intensitätswert
der Farbe hervor zu heben: roter Schirm, blaue Himmelflecken im Hintergrund.
Das Bild, prachtvoll
gemalt und kühn fast eine abstrakte Gestaltwelt einbeziehend, entdeckt
die Komik des gelehrten Fachmannes, indem es dessen Hilflosigkeit bloßstellt.
Die lächerliche Kleidung der Hauptperson unterstreicht den Eindruck.
Trotz der übergroßen Brillengläser scheint er die Natur
nicht zu erfassen; im Gegenteil, der Maler läßt uns mit dem
Gelehrten durch eben diese starken Gläser die Schmetterlinge in unrealistisch
verzerrter Größe sehen.
Die bühnenmäßige
Beleuchtung des Akteurs und das Ziel seines Einsatzes, vor allem der erste
Schmetterling, versetzen den Betrachter ungewollt in eine Art Spannungszustand:
wie lange wird wohl der Falter den Fänger noch foppen, wird er nicht
jeden Moment der Szenerie entfleuchen? Das Objekt entzieht sich der Erforschung,
Veränderungen in der Lebenszeit finden nicht statt. Ein Wunschgedanke
des Malers und vieler seiner Zeitgenossen.
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In vielen Bildern
Spitzwegs finden wir uns im Wald wieder, eine Kulisse, die der Maler besonders
bevorzugte. Leider ist es mir nur gelungen, das Werk von 1845 in Schwarz-Weiß
wiederzugeben; dennoch passen beide Gemälde wie zu einem Zyklus, den
man gemeinsam betrachten sollte.
Hier zeigt
sich der Märchenerzähler Spitzweg als frivoler Pfiffikus. Nein,.
das könnte uns nicht passieren, gerade genüßlich Brotzeit
zu machen und dabei vom Rehbock überrascht zu werden – die Flinte
unerrreichbar am Baum. ;-)
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Carl Spitzweg,
1845
„Der
Sonntagsjäger“
Öl auf
Leinwand
Privatbesitz |
Carl Spitzweg,
1845
„Ein Sonntagsjäger“
38,7 x 15,6
cm
Kunstsammlung
der Universität,
Göttingen |
Carl Spitzweg,
um 1848
„Der Sonntagsjäger“
Öl auf
Leinwand 41,0 x 33,3 cm
Süddeutscher
Privatbesitz |
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An diesen drei
Werken wird besonders deutlich: Nicht nur der Blick des Betrachters ist
es, den der Maler einkalkuliert, wenn er sein Bild entwirft, es ist vielmehr
das Blicken überhaupt, das er fast als Grundmotiv seiner Kunst ansieht.
So wie das
erste
und zweite Sonntagsjäger-Bild von dem ungleichwertigen Blick von
Mensch zu Tier, vom Überraschten zum Überrumpler, vom Unsicheren
zum Überlegenen geprägt ist – so, genau so bildet das Blicken
den eigentlichen Angelpunkt vieler Bilder Spitzwegs.
Herrlich dieser
Menschenblick, den wir durch die gesamte Kopf- und Körperhaltung des
Jägers erahnen, den das Tier in königlichem Selbstbewußtsein
dessen, daß es sich auf heimischem Boden geborgen weiß, zurückgibt;
dieser sich kreuzende Wechselblick wird zur entscheidenden Bildachse gemacht.
Wobei das zweite
Bild fast wie eine Fortsetzung des ersten erscheint, wie der Zeitlupen-Ablauf
der Erschreckensbewegung.
Beim dritten
Sonntagsjäger-Bild ist es, als spinne dieses Gemälde die
Geschichte weiter fort, die die andere in einer ersten Szene darstellen.
Nun hat sich
der Jäger endlich sein Gewehr geholt, läßt Picknick Picknick
sein und schaut der entschwindenden Beute hinterher. Der verstörte
Blick ist nun auf uns gerichtet, wir werden angestiert, als wären
wir das Tier, das ihm gerade ein Schnippchen geschlagen hat.
Die Komik der
Bilder liegt nicht nur in der jämmerlichen Figur des Bürgers
im Jägerkostüm, sondern beruht nicht zuletzt auf dem Hochgefühl,
das es dem Betrachter vermittelt und ihn unversehens zum Zielpunkt des
Guckens macht.
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Ein besonders
zartes Gemälde, fast so, als wolle Spitzweg an dieser Stelle einer
nicht zugestandenen Jugendliebe ein Denkmal setzen, ist das
Peinliche
Verhör.
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Carl Spitzweg,
um 1835/36
„Peinliches
Verhör“
Öl auf
Holz 20,5 x 16,0 cm
Privatbesitz |
Dieses Werk
wird der Frühzeit des Malers, um 1835/36, zugeschrieben.
Vor einem Kornfeld
hat ein Jäger eine junge Dame gestellt. Die Linienführung ist
hier besonders anmutig, das Gesichtchen des Mädchens erahnt man in
zarter Unschuld, was durch die Feinheit der Fransen am Tuch und die fein
abgestimmten Farbnuancen des Kleides noch unterstrichen wird.
Der Jäger
dagegen wirkt im einfarbigen Braun sachlich und nüchtern. Und obwohl
es sich hierbei offensichtlich um eine "Standpauke" handelt – der am Boden
liegende Zylinder, das Stöckchen und das Tuch deuten auf die versteckte
Anwesenheit eines Kavaliers hin – (der deutende Finger des Verhörenden
läßt kaum einen anderen Schluß zu), hat die Anmut des
Mädchens offenbar auch den Jäger verzaubert. Seine Miene ist
trotz des Ernstes der Situation liebevoll.
Die im Hintergrund
sichtbare
Vogelscheuche soll wohl die Gefahr, die einem jungen Mädchen durch
ein männliches Wesen droht, übertrieben und dennoch schelmisch
unterstreichen.
Ich habe dieses
Werk bewußt dazwischen geschoben, um auf die enorme Themenvielfalt
des Malers zu verweisen. Ganz abgesehen davon, daß ich es schon auf
Grund der hellen zarten Farbtöne besonders liebe ;-))
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Heute stellen
wir einmal das zauberhafte Gemälde „Der Briefbote im Rosenthal“
von 1858 dem Bild „Die Post “ von 1880 gegenüber.
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Carl Spitzweg,
um 1858
„Der Briefbote
im Rosenthal“
Öl auf
Leinwand, 73,5 x 48,5 cm
Marburg,
Universitätsmuseum
für
Kunst- und Kulturgeschichte |
Carl
Spitzweg, um 1880
„Die Post“
Öl auf Karton, 33 x 22 cm
Essen-Bredenay,
Gesellschaft Kruppsche Gemäldesammlung, Villa Hügel |
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Es erweist sich
hier zunächst einmal, daß Spitzweg über Jahrzehnte hin
an der einmal erfundenen Bildgestalt festhielt.
Der Bühnenraum
ist hier wie dort nach sehr ähnlichen Prinzipien errichtet. Beide
Male öffnet er sich rechts im Hintergrund in eine schmale, hohe Schlucht,
die ins Dunkel führt; beide Male ist die Mitte des Bühnenbodens
hell erleuchtet, als strahle ein Scheinwerfer von irgendwo links oben herab.
Besonders deutlich
aber wird im Vergleich der beiden Werke die malerische Entwicklung
Spitzwegs. Fest und plastisch ist die Bühne für den „Briefboten“
eingerichtet. Die Farben sind glatt, seidig, in sich geschlossen stehen
sie in schön abgewogener Buntheit für sich. Die Zeichnung ist
deutlich – perspektivisch verdeutlicht!
Der Maler zaubert
hier ein Biedermeierambiente, das es so nie gegeben hat.
Er "lichtet"
also nicht "ab", was er während seiner Reisen gesehen hatte, er malte
nicht, was ihm vor Augen war, sondern er bannte mit realistischen Mitteln
eine Idealwelt und war sich dessen absolut bewußt. Man kann hier
von einer Dialektik sprechen, die der verdeutlichten Entrückung.
Und weil das
Imaginäre dieser Scheinwelt so genau erfaßt ist, als sei sie
abgeschildert, vergißt der Betrachter, wie künstlich und kunstvoll
die Bildwelt dieses außerordentlichen Meisters in Wahrheit ist, obwohl
gerade dies ihm bewußt werden sollte. So ist es fast zu einem Mißverständnis
gekommen, daß man Spitzweg für den Inbegriff des Biedermeier-Zeitgenossen
und -Malers gehalten hat, der er so bestimmt nicht war. Und – ganz wichtig,
dabei die gesellschaftliche Kritik, die in fast jedem seiner Werke bei
genauer Betrachtung deutlich wird, vergessen wird.
Wie auch immer,
„Der
Briefbote im Rosenthal“ ist für mich eins der zartesten und anmutigsten
Gemälde Spitzwegs überhaupt. Man bekommt Lust, sich beim Betrachten
des Gemäldes seinen eigenen Phantasien hinzugeben und sich eine passende
Geschichte auszudenken …
Anders
das Bild „Die Post“. Es wirkt durch den leicht zerfaserten
Farbauftrag, das über die Fläche gestrichene Gelb-Braun merkwürdig
gespenstig.
Das gesamte
Szenarium, Konturen und Schattengrenzen, Lichtflächen und Figuren
sind in Bewegung. Die Kulissen scheinen zu zerbröseln. Die Kleinstadtidylle
atmet Vergänglichkeit und Zerfall.
Es wäre
interessant zu erforschen, in wie weit der Künstler in zeitlichen
Bezügen dachte. Immerhin entstand „Die Post“ etwa fünf
Jahre vor seinem Ableben, im 73sten Lebensjahr. Melancholie und Auflösungsgedanken
waren ihm nicht fremd; vielleicht stellte sogar der schwankende Postwagen
mit seinen in scharfem Trab daher kommenden Pferden eine symbolisierte
Todesfahrt dar(?)
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Heute lernen
wir unseren „Meister“, trotz Schalk und Anmut in Farben und Beleuchtung
auch dieses großartigen Werkes, von einer sehr politischen Seite
kennen, seine „Fiat Justitia“.
Etwas, das
man ihm eigentlich gar nicht zutraute(?)
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Carl Spitzweg, 1857
„Fiat Justitia“
Öl auf Leinwand 48,5
x 25,6 cm
Berlin, Bundespräsidialamt
der Bundesrepublik Deutschland |
Spitzweg, der
nur wenige Jahre zuvor die Bürgerwehr der 48er Revolution in einer
Folge von Holzschnitten distanziert-süffisant auf die Schippe genommen
hatte, wird in diesem 1857 gemalten Werk deutlich:
Da steht vor
nackter Wand auf dem Geländerpfeiler einer nach unten führenden
Treppe die Justitia-Figur.
Das Schwert
ist wohlerhalten, die Binde sitzt fest vor den Augen, aber die Waage ist
unbrauchbar:
eine Schale
fehlt!!!
Von gerechter
Abwägung von Schuld und Strafe, von Verurteilung und Freispruch kann
keine Rede sein.
Der Polizist
lugt unter seinem federgeschmückten Hut aufmerksam um die Ecke.
Hier bleibt
dem Bürger nur die Möglichkeit, das Versagen der Justiz und ihrer
Hüter resignierend zur Kenntnis zu nehmen.
Spitzweg war
selbst Mitglied der Bürgerwehr und man darf vorausschicken, daß
der Künstler gewußt hat, worum es damals ging – nämlich
um bürgerliche und politische Freiheiten und eine demokratische Verfassung;
es gibt eine Reihe von Darstellungen der Malers aus dieser Zeit, die ihren
Ausdruck, teilweise ins Groteske gesteigert, darin finden.
Als Höhepunkt
der revolutionären Bewegung erscheint die Freigabe des Tabakrauchens,
und selbst darüber wagt man sich nicht zu unterhalten.
Dennoch verlangen
wir vermutlich zu viel, wenn wir von Spitzweg klare Parteinahme in der
Politik fordern. Die französischen Malerkollegen wie z.B. Daumier
waren umringt von Gefährten und anderen großen Künstlern,
für die die politische Auseinandersetzung selbstverständlich
war. In Deutschland findet man – mit wenigen Ausnahmen – nichts dergleichen.
Spitzweg ist
sogar aufmerksamer, aufrichtiger, schärfer und genauer als die meisten
seiner Künstlerkollegen.
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Zwei wundervolle
Werke des gleichen Genre – wir werden sofort an den „Bücherwurm“
erinnert – wollen wir heute betrachten.
Carl Spitzweg, um 1850
„Ein Besuch“
Öl auf Karton, 21,9
x 26,8 cm
Privatbesitz |
|
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Carl Spitzweg, um 1860
„Der Alchimist“
Öl auf Leinwand, 36
x 38 cm
Privatbesitz
Staatsgalerie Stuttgart |
Ja, da ist er
wieder, der Intellektuelle; Spitzweg äußert in seinem Tagebuch
von 1849, daß den Gelehrten ein Vogel erst dann interessiere, wenn
er ausgestopft und lateinisch benannt sei („Spitzweg auf der Reise nach
Prag“, München 1963, S.16).
In „Der
Besuch“ übt der Maler deutlich Kritik. Da sitzt der Büchergelehrte
in seiner Klause. Wir sehen keine Tür, nur das offene Fenster verbindet
ihn mit der Welt. Es geschieht etwas, ein Vogel hat sich auf dem Fensterbrett
niedergelassen und sieht den Gelehrten an. Wieder dieser Blick herüber
und hinüber, an den wir uns im „Sonntagsjäger“ erinnern.
Auch hier werden zwei Unvereinbarkeiten einander angeglichen: Der Gelehrte
hockt da wie ein großer Vogel, seine Hakennase springt vor wie ein
Schnabel …
Die Amsel ist
der Bote von außerhalb, den der Gelehrte erstaunt anschaut. Der Wissenschaftler
ist, so will es wohl der Maler zum Ausdruck bringen, gefangen in seiner
engen kleinen Behausung, Natur stößt auf Naturferne.
Die Begegnung
bringt dem Betrachter das Absurde der Stubengelehrsamkeit zum Bewußtsein,
die offenbar die Sonne nicht beachtet, das Leben nicht spürt, die
Wirklichkeit nicht wahrnimmt.
Das ist eine
Thematik, die Spitzweg immer wieder aufgriff und variierte, so auch in
dem etwa zehn Jahre später entstandenem Werk „Der Alchimist“.
Mißtrauisch
beugt sich der Chemikus über seine Destilationsanlage und schaut
skeptisch auf den Rezipienten, den Glaskolben, in dem sich das Destillat
sammeln soll. Doch der auf dem Strohkranz aufliegende Behälter scheint
so verdreht, daß die ankommende Flüssigkeit vermutlich an der
Außenwand herunter laufen wird. (Leider kann man diese Details auf
der obigen Abbildung nicht recht erkennen ;-(.
Viel Ahnung
scheint der alte Herr von der Materie also nicht so haben, sonst hätte
er das Malheur bemerken müssen, fast hat man sogar als Betrachter
Furcht, das Ganze flöge Sekunden später in die Luft(?).
Interessant
ist die gleiche Kopfhaltung der Intellektuellen in diesen beiden Werken
sowie im Bücherwurm, kurzsichtig, verspannt, ungesund.
Spitzweg lehnte
diese Menschen, vergleichbar mit dem Fortschritt überhaupt, ab; er
tut es aber wiederum so liebevoll, daß durch die Überzeichnung
zwar keinerlei Sympathie beim Zuschauer für die Wissenschaftler, aber
dafür herzliches Mitgefühl, ja Mitleid geweckt wird.
Interessant
ist weiter, daß der Maler ab 1850 beginnt, zwischen Bunt- und Tonwert
Differenzierungen vorzunehmen; Blau, Grün und Mattviolett geben einen
fast müden Farbklang und unterstreichen damit den Gegensatz
zum Leben bedeutenden Sonnenlicht in dieser Art von Gemälden besonders.
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Ein herrliches
Gemälde, an dem ich mich nicht sattsehen kann, ausgebreitet vor dem
Beschauer, kleine Geschichten erzählend, der Institutsspaziergang.
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Carl Spitzweg, um 1865
„Institutsspaziergang“
Öl auf Leinwand,
32,1 x 54,2 cm
Neue Pinakothek München |
Wir kennen Spitzwegs
Gelehrtenstuben, Poeten, Gratulanten, Schildwachen und nicht zuletzt die
verwinkelten Gassen und Plätze süddeutscher Städte. Weniger
bekannt sind die Landschaften, die er malte – sie gehören zum Besten,
was die Kunst des 19. Jahrhunderts hervorgebracht hat.
Bereits der
Titel des Werkes deutet allerdings an, daß keine reine Landschaft
gemeint ist. Einerseits sehen wir einen wunderschönen sonnigen Tag,
der sich ideal für ein Picknick eignen würde und die Bauern links
im Bild bestätigen dies. Aber die Gruppe in Schwarz stört diesen
Eindruck. So formal und still wie sie durch die sengende Hitze marschiert,
mag man nicht glauben, daß hier ein Spaziergang unternommen werden
soll.
Auf einem Feldweg
ziehen 14 Schülerinnen heran, in schwarzen langen Kleidern, weißem
Wechselkragen und gelben Strohhüten mit blauen Bändern.
Die erste,
anscheinend die Musterschülerin, trägt einen gelben Schirm. Die
anderen führen Essenskörbchen oder Blumensträuße mit
sich. Eine Emsige liest während der Wanderung im Gebetbuch und eine
andere pflückt am Wegrain einige Blumen.
Am äußersten
rechten Rand der Gruppe bemerken wir eine dunkelhäutige Schülerin,
die mit ihrer blonden Freundin dem verliebten Husaren und seinem Mädchen
hinterherschauen, die soeben im Begriff sind, auf einer schattigen Bank
vielleicht Zärtlichkeiten auszutauschen.
Die beiden
gestrengen klösterlichen Lehrerinnen unter ihrem Sonnenschirm haben
die Gefahren und die Verderbnis der Umgebung schon entdeckt; mit abwehrend
erhobener Hand werden die beiden Mädchen belehrt, daß es Verschiedenes
gibt, was nicht gesehen werden darf.
Im Kontrast
zu dieser streng behüteten Gruppe, breitet der Maler das weite, freie
Land aus, das unter einem lichten, sommerlichen Himmel dahin träumt.
(Der Himmel nimmt in der Höhe des Originals fast die Hälfte
des Bildes ein, aus Platzgründen habe ich auf eine exakte Darstellung
verzichten müssen.)
Die Sonne liegt
warm über den Wiesen und Feldern, Bauern haben sich im Schatten eines
Holunderstrauches niedergelassen und genießen den heiteren Tag. Fast
möchte man selbst den Duft der durchsonnten Fluren einatmen und glaubt
das Lied der aufsteigenden Lerche zu hören.
Im Hintergrund
sehen wir das einladende Städtchen Dinkelsbühl, das mit hohen
Türmen von einer stolzen Vergangenheit zu berichten scheint.
Die schwarze
strenge Gruppe scheint nicht in das Bild zu passen, sie bildet einen unmittelbaren
Gegensatz zur idyllischen freien Natur, die gleichmaßen durch die
gemächliche Gelassenheit der ruhenden Bauern und das zärtlich
umschlungene Pärchen widergespiegelt wird.
Der Betrachter
wird aufgefordert an der Bildhandlung teilzunehmen. Die Gegensätze
werden spürbar und veranlassen eine zu genießende Komik.
Wie so oft
in seinen Werken demonstriert der Maler auch hier die Weite und Unbeirrbarkeit
der Natur und das subjektive Verhalten der Menschen.
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Hier geht
es zu Spitzwegs Leben in Zahlen und
…
wie wurde er Maler? |