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          Georg von Signau: Noch weit bis Eden


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Kunos in Richtung des Fensters und begann, ihre Flügel zu schwingen. Die Stille im Raum

wurde unerträglich, man glaubte, das Sirren der Flügel zu hören. Plötzlich erhob sich die

Libelle in die Luft. Sie schwebte über Kunos Augen ein paarmal hin und her. Dann flog sie

höher, zog einen Kreis über den Köpfen der Menge und entschwand durch das Fenster.

Die Starre im Raum wich plötzlich emsiger Geschäftigkeit. Kathrin begann nun, das

Wams wieder zuzuknöpfen, was sie ja schon vorher hatte tun wollen. ,,Seht doch mal her",

raunte sie plötzlich. ,,Von der Wunde ist überhaupt nichts mehr zu sehen!" Und alle

konnten und wollten sich überzeugen. Aber wie sie auch gewissenhaft prüften: die Haut

Kunos hatte sich spurlos geschlossen.

Alle standen nach getanem Werk noch lange im Zimmer. Schliesslich war es Jufli,

der wieder das Wort ergriff: ,,Wir wollen nun alle bei allem was uns heilig ist, schwören,

dass keiner auch nur ein Sterbenswörtchen nach draussen dringen lässt. Schwört ihr?" ,,Wir

schwören es!" riefen alle mit erhobener rechter Hand in den Raum.

Ein Knecht wurde ins Dorf geschickt. Der Geistliche kam und segnete Kuno. Er

wollte wissen, wie denn Kuno zu Tode gekommen sei. Einhellig erzählten sie ihm die

Geschichte, wie ihr Herr plötzlich am Tisch zusammengebrochen und verstorben sei. Der

Geistliche war es so zufrieden und sandte seinerseits einen Boten zur Regierung, die das

Nötige für die Beisetzung veranlasste. Die Verwaltung des Schlosses mit seinen

Besitzungen übernahm die Regierung.


Ein Jahr später: Das schauerliche Erlebnis war schon fast vergessen. Da kamen von der

Stadt vier Schergen auf Rössern ins Schloss geritten. Ein Herold blies auf seinem Cornett

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