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THEMA:   Gedichte Kapitel 15

 130 Antwort(en).

admin/Seniorentreff begann die Diskussion am 12.07.01 (23:47) mit folgendem Beitrag:

Kapitel 14 ist schon wieder "voll" ;-) und wird ins Archiv gestellt.Die Mail-Liste wird hierher übertragen.

Viel Freude in Kapitel 15.


admin/Seniorentreff antwortete am 13.07.01 (00:11):

Gedichte Kapitel 14 kann unter

www./seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a144.html

nachgelesen werden.

(Internet-Tipp: /seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a144.html)


Heidi antwortete am 13.07.01 (00:19):



Lauschende Wolke über dem Wald


Lauschende Wolke über dem Wald.
Wie wir sie lieben lernten,
seit wir wissen, wie wunderbald
sie als weckender Regen prallt
an die träumenden Ernten.


Rainer Maria Rilke


Wie schön doch so ein sanfter Sommerregen sein kann.
(auch in Kapitel 15 noch) :-)


Georg Segessenmann,alias Georg von antwortete am 13.07.01 (10:44):

Für Eva im Süden

Kommt man dann im Süden
mit seinen steifen, müden
Gliedern endlich an,
geht man erst dran
die Koffer auszupacken,
muss sich selber zwacken,
sich nicht ins Bett zu legen
und das Nichtstun zu pflegen.
Denn wie schnell, wie dumm
geht die Zeit des Urlaubs um.
Drum lass uns geniessen
die Blümlein, die spriessen
und die Vöglein, die singen
und viel Freude uns bringen.
Denn kaum ist man da,
ist das Ende schon nah.

Schorsch


sieghard antwortete am 13.07.01 (10:49):


Der Zauberlehrling

Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch.

Walle! walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Und nun komm, du alter Besen,
Nimm die schlechten Lumpenhüllen!
Bist schon lange Knecht gewesen:
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe, =
Oben sei ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopf!

Walle! walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder!
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!

Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! -
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!

Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen!
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein,
Ach, und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein!

Nein, nicht länger
Kann ichs lassen:
Will ihn fassen!
Das ist Tücke!
Ach, nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

O, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen, =
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh doch wieder still!

Willst am Ende
Gar nicht lassen?
Will dich fassen,
Will dich halten
Und das alte Holz behende
Mit dem scharfen Beile spalten!

Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! brav getroffen! =
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich atme frei!

Wehe! wehe!
Beide Teile
Stehn in Eile
Schon als Knechte
Völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

Und sie laufen! Nass und nässer
Wirds im Saal und auf den Stufen:
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister, hör mich rufen! -
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.

"In die Ecke,
Besen! Besen!
Seids gewesen!
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister."


[Johann Wolfgang von Goethe]

.


sylvia antwortete am 13.07.01 (11:24):

Ihr Zauberlehrlinge

Eure Hirne
gebären fortwärend
neue grosse Ideen
die über euch
hinauswachsen
neuen Schrecken
dess ihr nicht länger
Herr sein könnt

Doch ihr
ruft nicht
den Meister
dass er endlich
den Besen
in die Ecke stelle

svr


Heidi antwortete am 13.07.01 (11:42):


Das Karussell

Jardin du Luxembourg

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.

Sogar ein Hirsch ist da ganz wie im Wald,
nur daß er einen Sattel trägt und drüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
und hält sich mit der kleinen heißen Hand,
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgendwohin, herüber -

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und das geht hin und eilt sich, daß es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet,
an dieses atemlose blinde Spiel.

Rainer Maria Rilke


sylvia antwortete am 13.07.01 (11:57):

Die Flamingos
(Paris, Jardin des Plantes)

In Spiegelbildern wie von Fragonard
ist doch von ihrem Weiss und ihrer Röte
nicht mehr gegeben, als dir einer böte,
wenn er von seiner Freundin sagt: sie war

noch sanft von Schlaf. Denn steigen sie ins Grüne
und stehn auf rosa Stielen leicht gedreht,
beisammen, blühend, wie in einem Beet,
verfüren sie verführender als Phryne

sich selber; bis sie ihres Auges Bleiche
hinhalsend bergen in der eignen Weiche,
in welcher Schwarz und Fruchtrot sich versteckt.

Auf einmal kreischt ein Neid durch die Voli�re;
sie aber haben sich erstaunt gestreckt
und schreiten einzeln ins Imaginäre

Rainer Maria Rilke


Rosmarie S antwortete am 13.07.01 (19:05):

Zu Erich Frieds "Aber" aus Kapitel 14

Liebe Lore,

danke für das von dir eingestellte Gedicht mit Tiefgang und Tröstlichkeit! Ich habe es meiner Freundin gestern weitergegeben. Auch für die Mail-Gedichte und Link-Tipps bedanke ich mich sehr herzlich! Gerade in solchen Situationen sind die richtigen Worte besonders wohltuend!

Danke für eure Wärme und herzlichen Gruß in die Runde!

Heute haben mich die Gedichte "Der Zauberlehrling" und "Das Karussel" besonders gefreut! Habt ihr die auch mal während eurer Schulzeit gelernt? Ein paar Fetzen kann ich noch auswendig. Wie schön, mal wieder das Ganze lesen zu können!

Rosmarie


Herbertkarl Huether antwortete am 13.07.01 (21:10):


genug

genug getan gesagt
was ist wohl jetzt
wenn nicht etwas anderes wär
was zu vergessen
sich nicht lohnt

ich halte deinen
knöchernen Schädel in meinen
bleichen haenden
und denk an die zeit zurueck
als sich noch fleisch
ueber meine knochen spannte

oh zeit oh zeiten
grausamer punkt zu gehen
denn ich werde schon lange
da sein bevor du
angefangen hast zu existieren

ich warte in der mulde
des verstehens
auch wenn ich weiss
dass du keinen augenblick
an mich dachtest
denn wo sind sie alle
die unzaehligen gedanken
die nicht gehabt zu haben
ich besser dran waere

keine belohnung fuer
durchlittene gefuehle
die ich lieber
jemand anderen geben moechte

ohne verstehen
wird das gemeinte sinnlos
wenn ich sehe
wie die schuld sich anhaeuft
zu bergen von truemmern
abgebrochener beziehungslosigkeiten
um die sich keiner
einen deut mehr schert

ich auch nicht

hkh


hl antwortete am 14.07.01 (01:34):

erst dann

nicht genug gedacht
nicht genug gesagt
nicht genug verstanden
nicht genug getan
nicht genug geliebt
nicht genug gelebt
in dem einen kurzen Moment
des Sterbens

hl


Visual Sonic antwortete am 14.07.01 (14:53):

Vielleicht gefällt Euch meine Anthologie, die natürlich am Wachsen ist!? Schaut mal rein :-)

(Internet-Tipp: https://www.suityou.de/anthologie/index.htm)


Heidi antwortete am 14.07.01 (22:42):

Goethe für mlB ;-))

Das Mädchen spricht

Du siehst so ernst, Geliebter! Deinem Bilde
Von Marmor hier möcht ich dich wohl vergleichen:
Wie dieses gibst du mir kein Lebenszeichen.
Mit dir verglichen, zeigt der Stein sich milde.
Der Feind verbirgt sich hinter seinem Schilde,
Der Freund soll offen seine Stirn uns reichen.
Ich suche dich, du suchst mir zu entweichen;
Doch halte stand, wie dieses Kunstgebilde.
An wen von beiden soll ich nun mich wenden?
Sollt ich von beiden Kälte leiden müssen,
Da dieser tot und du lebendig heißest?
Kurz, um der Worte mehr nicht zu verschwenden,
So will ich diesen Stein so lange küssen,
Bis eifersüchtig du mich ihm entreißest.

***
Die Liebende schreibt

Ein Blick von deinen Augen in die meinen,
Ein Kuß von deinem Mund auf meinem Munde �
Wer davon hat, wie ich, gewisse Kunde,
Mag dem was anders wohl erfreulich scheinen?
Entfernt von dir, entfremdet von den Meinen,
Führ ich stets die Gedanken in die Runde,
Und immer treffen sie auf jene Stunde,
Die einzige; da fang ich an zu weinen.
Die Träne trocknet wieder unversehens:
Er liebt ja, denk ich, her in diese Stille �
Und solltest du nicht in die Ferne reichen?
Vernimm das Lispeln dieses Liebewehens;
Mein einzig Glück auf Erden ist dein Wille,
Dein freundlicher zu mir � gib mir ein Zeichen!

***
Die Liebende abermals

Warum ich wieder zum Papier mich wende?
Das mußt du, Liebster, so bestimmt nicht fragen:
Denn eigentlich hab ich dir nichts zu sagen;
Doch kommts zuletzt in deine lieben Hände.
Weil ich nicht kommen kann, soll, was ich sende,
Mein ungeteiltes Herz hinübertragen
Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen:
Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende.
Ich mag vom heutgen Tag dir nichts vertrauen,
Wie sich im Sinnen, Wünschen, Wähnen, Wollen
Mein treues Herz zu dir hinüberwendet.
So stand ich einst vor dir, dich anzuschauen,
Und sagte nichts. Was hätt ich sagen sollen?
Mein ganzes Wesen war in sich vollendet.

Johann Wolfgang von Goethe


weltfremd antwortete am 15.07.01 (15:46):

Meine geliebten Grillenbeinchen


grillenbeinchen, zart gesotten
küssen mir die hatz ins herz.
meine seele frisst nur motten,
süsse welt, dein schamlos' scherz.

ganz von ferne weht die klage,
kündet sacht von brut und blut.
bis zum ende aller tage
tut ein körper was er tut.

feist ein mondgesicht mich kränket,
kitzelt meinen felsenfuss.
wer sich am klavier verrenket
zeigt nur üblen überdruss.

relative relationen,
elemente, vogelfrei
eigenschaft kann sich nicht lohnen
friss dich welt, du plumper brei!

gf/2001


Brita antwortete am 15.07.01 (22:02):

Ich bin heute wunderschönen Schmetterlingen
begegnet... meine Liebe zur Natur wird mit immer intensiver...
J. W. v. Goethe hat damals zu Eckermann gesagt oder geschrieben:

Es geht doch nichts über die Freude,
die uns das Studium der Natur gewährt.
Ihre Geheimnisse sind von einer
unergründlichen Tiefe, aber es ist uns
Menschen erlaubt und gegeben, immer
weitere Blicke hineinzutun. Und gerade daß
sie am Ende doch unergründlich bleibt,
hat für uns einen Reiz, immer wieder
zu ihr heranzugehen und immer wieder
neue Einblicke und neue Entdeckungen
zu versuchen.


gregor antwortete am 16.07.01 (01:22):

Andreas Gryphius, weltfremd beobachtet

Es ist alles eitel
-oh ja, mein breiter scheitel-

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
-hast recht, du weisser mann, das wird nie anders werden-
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
-ja, ja die gen-ekstase, die macht die kuh zum schwein-
Wo jetztund Städte stehn, wird eine Wiese sein,
-ach, sollt' ich das bedauern? da ist die luft doch rein!-
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden;
-und mensch und aff' und wurm und laus, die werden brüder werden-

Was jetztund prächtig blüht, soll bald zertreten werden;
-los, tret' mir in den wanst, das mindert fressbeschwerden!-
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
-das kann mich nicht betreffen, ich bin ja noch so klein-
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden
-nun ja, das ist ein grund, gar nie gebor'n zu werden-

Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
-das sag' mal all den "machern", die werden's fix verstehn-
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
-wohl eher das "leichte mädchen", sie heiligt ihr "vergehn"-
Ach, was ist alles dies, was wir für köstlich achten,
-die schöpfung ist verfehlt, und magst du noch so schmachten...-

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
-die kuh, die frisst das grüngras und ich, ich fress das rind-
Als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfind't!
-du sprichst mir aus der seele, drum mal' ich sie geschwind-
Noch will, was ewig ist, kein einig mensch betrachten.
-ich glaub', das ist die null, die sollten wir beachten...-

gf/2001


weltenplanschneidezahn antwortete am 16.07.01 (01:42):

Alphorn-Wahnsinn

einfühlsames alphorn-blasen
bringt die damenwelt zum rasen.
sind es der alphörner zwei,
ist der ton schon einerlei.
kommt dazu ein drittes alphorn,
wird vergnügen schnell zum volkszorn.
heisst's dann gar: "alphorn, das vierte!",
ist der zorn ganz ohne hirte.
mit dem fünften alphorn endlich,
wird der wahnsinn völlig kenntlich...

gf/2001


weltfremd antwortete am 16.07.01 (09:58):

herzferkelpein

Oh notsucht so grün-
melierte du grüne,
den schnapsbock -
vergessen in duftiger vase
ja diesen besagt
von der wonne kühlgrundig
behaglich
blamiert häusereinwärts
du grüssest
in herzferkelpein

Weh dir du gebrauste
die nadeln des honigs
beseelt bleicher abgang
in blaufettem abgrund
du notsucht
entbehrst nicht der grützwurst
so wurstig so grützig

gf/2001


weltfremd antwortete am 16.07.01 (10:19):

Liebeserklärung an mein Durs-tiges Grünbein

mein durstiges grünbein
entfällt mir im schlaf.
ich hasse dich, traumsack,
verspeis' jetzt dein schaf!

mein grüniges durstbein,
ich bete dich an.
mein kopf in die schiene...
dann kommst' besser dran.

mein beiniges durstgrün,
dein schatten zerfällt.
ich sens' mir den kopf ab,
beschenk' dich, du welt.

mein durstiges beingrün,
du blutleere macht,
die freude der fäulnis
berührt dich ganz sacht.

gf/2001


weltenplanschneidezahn antwortete am 16.07.01 (10:28):

In memoriam Jakob van Hoddis

erspriesslicher nusskopf,
du gibst mir den segen.
die winde verdröhnen
mein dankesgebet.

es hämmert der giftmops
auf tassigen beinen.
er rüttelt und schüttelt
sein lob aus dem wanst.

oh weh dir, du nusskopf,
der scheinfromme giftmops,
der stiehlt dir die anmut,
besudelt dein haupt.

es rasten die pilger
auf schweißspitzen stäben.
sie büssen manierlich
der sünde geheul.

gf/2001


sieghard antwortete am 16.07.01 (14:16):


Weltende

Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut
In allen Lüften hallt es wie Geschrei
Dachdecker stürzen ab und gehen entzwei
Und an den Küsten, sagt man, steigt die Flut
Der Sturm ist da. Die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.

Jakob van Hoddis [1887 - 1942]
.
.
Gruß an gfuegen


Hans-Jürgen antwortete am 16.07.01 (14:18):

An Gregor

Wie schön ist's doch zu kritisieren,
sich über'n Weltlauf zu mokieren;
das tut man schon seit Gen'rationen.
Nur frag' ich mich: kann sich das lohnen?

Was nützen Angst- und Wehgeschrei,
Zynismus, Wut? Ganz einerlei
und eitel ist, wie Gryphius sagt,
daß damit man sich weiterplagt.

Die Schöpfung, meinst Du, sei verfehlt?
Wer immer nur das Schlechte wählt,
das nicht nach seinem Gusto geht,
sie nur zum kleinsten Teil versteht.


MfG Hans-Jürgen


sieghard antwortete am 16.07.01 (14:33):


Der Cartesische Hund

Wedelnd um jedes Nein das ihn fortschleift
Worte wie Flöhe im Fell, die Schnauze im Dreck

Ohren angelegt auf der Flucht vor den Nullen
Gejagt von den kleineren Übeln ins Allergrößte

Müde der leeren Himmel, die Kehle blank
Gehorcht er dem Ersten das kommt und ihn denkt


[Durs Grünbein]
.


gregor antwortete am 16.07.01 (15:34):

Die Welt, oder: Dame von des Herbstes Sein

dame von des herbstes sein
du, aus dem tag, die zu sorgen hat
lehre uns durchaus wenig und sei schöpferisch,
und dann denk dir?
und dies, und ich
und ort des ungesprochenen worts, der ungelesene
anblick in baiaes bucht
und michelangelos nachwelt
allein:
dame ist krank
womöglich kotzt sie
womöglich quält sie
sich zu normaler beherrschung

gf/2001


gregor antwortete am 16.07.01 (16:05):

Fetischmarkt

Die Bratwurst bei der wir uns kennenlernten
Bewahre ich immer noch auf
Auch die Kratzspuren vom gemeinsamen Apfelernten
Und die drei Pudel die wir zusammen entkernten
Selbst die Schokomedaillen vom Sparkassenlauf

Beim Sparkassenlauf waren wir chancenlos
Auch nach Stunden am Expander
Doch bei der Siegerehrung brauchten wir bloß
Zwei Revolver zu zücken: "Medaillen her, los!"
Das schweißte uns noch fester aneinander

In der Zoohandlung wieder Waffengewalt
Kleintiere sind ein Geschäft
Und ein Pudel ist mehr als ein Monatsgehalt
Wir nahmen gleich drei mit und duschten sie kalt
Und haben begeistert mitgekläfft

Vor der Apfelernte liebtest du mich
Auf einem Pudelfell
Bis der Beelzebub blödäugig um uns schlich
Da packten wir ihn bürsteten ihn gegen den Strich
Seit jenem Tag wurde es nie wieder hell

Die �pfel waren von mildester Reife
Mit Ausnahme ihrer Krallen
Und schmeckten wie edle Duftblumenseife
Was störte uns da ihr empörtes Gekeife
"Halts Maul Obst" hör ich uns heute noch lallen

Knapp zwei Wochen später am Bratwurststand
Gegen zwei Uhr am Nachmittag
Es war dunkel wie immer und in deiner Hand
Pommes rot und ein Rest Klebeband
Da geschah es ich weiß nicht woran es lag

Plötzlich entfuhr mir das einzige wort
Das unsre Freundschaft für immer beenden mußte
Ich wiederhol es hier nicht doch du gingst sofort
Aus dem Leim wie ein Hefeteig und Ort um Ort
Wurde dann die Welt Brot und das Brot wurde Kruste

Jetzt sitz ich allein auf der letzten Scheibe
Meinen Leib als Gedächnis krank wie nie
Wobei ich verhalten am Klebeband reibe
Und leis mit dem Zeh ins Mehl unter mir schreibe
Unwägbar bleibt jede Form von Magie

David Caspar Branselberger


paradoxon0 antwortete am 16.07.01 (16:15):

Tunnel-Ode

Oh künde ganz sämig
du zischender Tunnel
von bratschigen mäulern
so bettelarm zart

im innen des haares
voll turmsteifer brise
und deftig gezuckert
obliegt dir die macht

entkerne die böcke
bereift mit dem Störton
du bremsgeiles masttier
mit warzigem bauch

in schleimpein erbebend
beglotzt dich mein auge!
oh du der du richtest
des weltkenners blut

gf/2001


gregor antwortete am 16.07.01 (16:38):

Cybernetic haiku

Hüpf über das Blatt
durch die Löwin
die in meiner Seele kauert

Träum jetzt und sing
schaff Mythen
form Edelsteine aus fallendem Schnee

Du zerbrachst meine Seele
den Saft der Ewigkeit
den Odem meiner Lippen

Das erstickend stickige
katholische klassenzimmer
wo ich nicht wahrhaft sein kann

Verrücktes Mondkind
hüte dich vor den Sarg
trotz deinem Schicksal

Ein alter gelber Kater
liegt zufrieden da und schläft
er rührt ein Herz

Verstreute Sandalen
ein Ruf zurück zu mir selbst
so hohl mein Echo wäre

generiert von Ray Kurzweils "Cybernetic Poet"(RKCP)

(Internet-Tipp: https://www.kurzweiltech.com)


Heidi antwortete am 16.07.01 (17:06):

Wen es interessiert, mit nachstehendem Link kommt man direkt zu Cybernetic Poet ;-)))

https://poet.kurzweilcyberart.com/poetry/rkcp_overview.php3

(Internet-Tipp: https://poet.kurzweilcyberart.com/poetry/rkcp_overview.php3)


negator antwortete am 16.07.01 (17:45):

...weil er die Schöpfung nicht versteht

? Norm-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Lasertechnik-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Werbekriegs-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Hopfen-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Angestrebte-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Bürokommunikations-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Kamm-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Kater-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Unterhaltungs-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Ihn-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Selbstverteidigungskurs-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Forschungschef-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Bestand-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Himmel-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Gedichts-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Castorf-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Transport-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Globus-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Neugeschäft-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

? Anteil-Wiedergewinnung_des_Nutzlosen

generiert von Hartmut Landwehrs "Dadadata"

(Internet-Tipp: https://www.hsl.com/dada)


Hans-Jürgen antwortete am 16.07.01 (19:25):

Wäre noch zu ergänzen:

Wiedergerinnung des Sinnlosen (was immer das bedeuten mag).

Unsere neuesten "Dichter" erzeugen ihre Verse offenbar maschinell. So sind sie auch.

Im übrigen gibt es für so etwas im ST ein besonderes Forum: Eigene Lyrik - ungereimt. Ich empfehle allerdings die Einrichtung eines neuen, vielleicht mit dem Titel "Computer-Lyrik", damit keine Verwechslung mit "Handgemachtem" eintritt.


Dora Naef/Millefoglio antwortete am 16.07.01 (20:16):

Lieber Gregor,

Ich habe Deine Gedichte gelesen und bin zu tiefst erschrocken und traurig.

Es sind mir Phasen meines Lebens in den Sinn gekommen, wo ich keinen Ausweg mehr sah und so verzweifelt war, dass mir alles unnütz vorkam. Auch aus Deinen Gedichten erspüre ich diese gleiche Verzweiflung und Ohnmacht, die ich damals empfand.
Irgenwann ging dann aber ein kleines Türchen auf und langsam wurde es besser.

Glaube mir, auch für Dich wird sich ganz sicher ein Türchen öffnen. Und dann wirst Du erkennen, dass es nicht umsonst war, dass Du gelitten hast und vielleicht wirst Du sogar den tieferen Sinn dahinter verstehen.
Dann werden Deine Gedichte voller Freude und Lust sein und Deine Gedichte von heute werden Dich fremd anmuten und Du kannst nicht verstehen, solche Gedanken überhaupt gehabt zu haben.
Vielleicht wirst Du Dich sogar ein wenig schämen, solches geschrieben zu haben !

Ich kann Dir nur sagen, versuche den Schmerz zu akzeptieren, selbst im Leiden steht ein tieferer Sinn dahinter. Versuche in den kleinen einfachen Sachen dieses Lebens das Schöne zu sehen, ein Lächeln, ein gutes Wort, eine Blume, die sich öffnet, ein Baum, der seine Aeste in den Himmel reckt, wie wenn er ihn erreichen wollte. Denn wisse:

Alles was gross ist ist einfach und alles Einfache ist gross ! Suche die Einfachheit !

Versuche Du nützlich zu sein ! Deinen Mitmenschen zu nützen, zu helfen Deinem Nächsten, darin liegt eine verborgene Macht ! Wir müssen immer bei uns selbst anfangen ! Die einzige richtige Freiheit erlangen wir, wenn wir unseren Mitmenschen helfen ! Nicht unbedingt mit Geld und Gut, sondern mit unseren Gedanken, Worten und Taten.
Denk darüber nach!

Nun, versuche mir nicht böse zu sein, sondern weine oder lache lieber !


waltraud antwortete am 16.07.01 (20:46):

ich wünsche euch allen einen recht schönen abend.auch wenn der mai schon vorbei ist heute ein gedicht von goethe
Johann Wolfgang von Goethe

1749-1832



Mailied


Wie herrlich leutet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!

Es dringen Blüten
Aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch

Und Freud und Wonne
Aus jeder Brust
O Erd', o Sonne,
O Glück, o Lust!

O Lieb', o Liebe!
So golden schön,
Wie Morgenwolken
Auf jenen Höhn!

Du segnest herrlich
Das frische Feld,
Im Blütendampfe
Die volle Welt.

O Mädchen, Mädchen,
Wie lieb' ich dich!
Wie blickt dein Auge!
Wie liebst du mich!

So liebt die Lerche
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmelsdurft,

Wie ich dich liebe
Mit warmen Blut,
Die du mir Jugend
Und Freud' und Mut

Zu neuen Liedern
Und Tänzen gibst.
Sei ewig glücklich,
Wie du mich liebst!



schönen abend
gruß waltraud


ziegenbock antwortete am 16.07.01 (21:20):

das röhren des platzhirschs mit donnerhall
erschüttert die ruhe des waldes.
im konjunktiv wäre dies sicher der fall:
maschinen sind ach so was kaltes!

doch "sinnlos" und "nutzlos" sind nicht synonym,
das wissen die "neuesten dichter".
verneigen dann dennoch ihr haupt-ungetüm
vor platzhirsch-Ranicki dem richter.

die "wiedergerinnung" des "sinnlosen" ist,
g'rad' weil sie nicht nutzlos und wünschbar,
wohl eine art Hegelsche "handgemacht"-list
und futter für'n alltag der reh-schar.

das hirn, ein computer, was sonst lieber freund,
reimt sinnvoll das sonst sinnentblößte.
noch besser geht dies mit 'nem dick-fetten Joint
auf das er den platzhirsch rasch tröste...

gf/2001


weltfremd antwortete am 16.07.01 (21:41):

die welt ist alles was der fall ist(Ludwig Wittgenstein)

wenn ich so die welt betrachte
spür' ich, wie ich sie verachte;

wenn ich dann die welt bedenke,
reizt es mich, daß ich sie kränke;

wenn ich nun die welt bespeie,
kommt dies an als 'ne art "weihe";

wenn ich letztlich welt negiere,
heißt's nur, daß ich sie verziere;

also werd' ich sie beschweigen
und der rest wird sich dann zeigen...

gf/2001


Brita antwortete am 16.07.01 (21:50):

...es gibt aber auch echte Hirsche, wunderschöne....

Der Hirsch

Der Hirsch, der dunkel aus den Wäldern tritt,
Hat einen stillen und gewissen Schritt.
Ein leises Knacken im verdorrten Holz, -
Dann steht das Bild aus Stille, Kraft und Stolz.
Und meine Seele kommt und wartet mit.

Und wie der Hirsch nach frischem Wasser schreit,
Schreit meine Seele nach dem Herrn der Zeit.
Sie neigt sich tief, trinkt sich am Bache satt,
Und wie der Hirsch, der sich gesättigt hat,
Geht sie gelassen durch die Dunkelheit.

Siegbert Stehmann


negator antwortete am 16.07.01 (23:26):

Natur-Blues

Kaum atmest du wegen der Eichen auf,
da gehn schon die ersten Kastanien drauf
Natur

Kaum lassen die Kinderkrankheiten nach,
da fühlst du dich schon etwas altersschwach
Natur

Kaum erholt sich dein Land von der Trockenheit,
da macht sich bereits wieder Hochwasser breit
Natur

Kaum hast du entdeckt, welcher Wein dir schmeckt,
da hat das auch deine Leber gescheckt
Natur

Kaum lockt dich der blühende Wiesenrain,
da stellt sich dort auch schon die milbe ein
Natur

Kaum weißt du, wo man gut essen geht,
da empfiehlt dir der Arzt eine Nulldiät
Natur

Kaum geben die letzten Amseln Ruh,
da gibt schon der Kauz seinen Senf dazu
Natur

Kaum kommt der ersehnte Schlaf herbei,
da weckt dich schon wieder Amselgeschrei
Natur

Kaum daß du die Kunst zu leben erlernst,
da macht schon der bleiche Geselle ernst:
Natur

Robert Gernhardt


sieghard antwortete am 16.07.01 (23:30):


weiter so!
.


Rondo

So, voll Müdigkeit und Trauer,
endet jegliche Geschichte.
Alles macht die Zeit zunichte.
Mit der Zeit wird niemand schlauer,

da das kein Geschöpf auf Dauer
aushält, dieses stete Enden,
diese Leere in den Händen,
so voll Müdigkeit und Trauer.

Robert Gernhardt

.


Hans-Jürgen antwortete am 16.07.01 (23:38):

Da wir gerade beim "Platzhirsch" waren, *noch* etwas Zoologisches:

Ein paar Kamele, ich glaub, es war'n viere,
unterhielten sich über das Dichten
(Kamele sind, wie man weiß, kluge Tiere),
und hiervon will ich jetzt berichten.

Das erste sagte: "Ach Reime, wieso?"
"Sind nicht mehr modern", fiel das zweite gleich ein.
"Nur was sich reimt, stimmt wirklich mich froh",
sprach das dritte darauf zu den zwei'n.

Das vierte sagte: "Nun streitet euch nicht!
Die Hauptsache ist: es entsteht ein Gedicht,
ein Kunstwerk, nicht etwa ein Kunst*produkt*,
rein elektronisch nur hingespuckt."


Man kann nicht nur die Welt verachten, sondern auch ihre Verächter. (Wolkenstein)


Ich_Bin_Ferdinand_Schmatz antwortete am 17.07.01 (00:07):

Ferdinand Schmatz antwortet mineralogisch statt zoologisch

falle:
die aufgeht als perle
eingetaucht die kerle in nylon
um zu halten die
-hingestellt-
trockene seele aus perlon
in die falten der kehle
spülend des ziels

gurglung

und abgehts
zu löschen die stelle
ein pünktchen im
-als wären es staubige socken-
hals
also
runter den kühlenden wagen
beigesellt dem flattern und klagen
unter-hemd
ferne der magen
...

Ferdinand Schmatz interpretiert:
großer durst - großes maul. kein wasser, kein wein, falscher saft beglückt die ausgetrocknete, in die falle gegangene kehle. triumph des künstlichen: die kunst als stoff führt zum ziel und löscht das begehren. schnell, bewegt, jedem vergleich standhaltend, verhilft es dem fernen, abwesenden körper zum genießen, ein fallendes tröpfchen glück.


Heidi antwortete am 17.07.01 (00:11):

Mitternacht - Zeit für Nietzsche

o Mensch gib acht... - nein, kennt jeder ;-))

lieber das:

Unsere Sinne haben ein bestimmtes Quantum als Mitte, innerhalb deren sie funktionieren, d.h. wir empfinden groß und klein im Verhältnis zu den Bedingungen unsrer Existenz. Wenn wir unsre Sinne um das Zehnfache verschärften oder verstumpften, würden wir zugrunde gehn; - d.h. wir empfinden auch Größenverhältnisse in bezug auf unsre Existenz als Qualitäten.
Sollten nicht alle Quantitäten Anzeichen von Qualitäten sein? ;-)))


Ich_Bin_Ferdinand_Schmatz antwortete am 17.07.01 (00:24):

Ferdinand Schmatz liefert einen apfel-nachschlag:

saftgelaunt blieb
matschumsaumt
vom trieb
eingebrockt
die

kernung

ausgefleischt
bloss mittel
als sieb
des zweckes
hautverfasste mitte
des leckes

und nun erklärt Ferdinand Schmatz sich selbst und allen rechtschaffenen die welt:
manche launen sind saftig wie äpfel und nicht selten abhängig vom trieb. damit hat sich schon so mancher etwas eingebrockt. wie gefallenes obst bleibt er im matsch stecken, ohne zum kern vorzudringen. da auch der saum des körpers, die haut, das fleisch nicht zähmen kann, ein leck gab den ausschlag, spielt sie nur die rolle des siebes - mittel zum zweck.


Heidi antwortete am 17.07.01 (00:57):

Abenddämmerung

Eine runzelige Alte,
schleicht die Abenddämmerung,
gebückten Ganges
durchs Gefild
und sammelt und sammelt
das letzte Licht
in ihre Schürze.
Vom Wiesenrain,
von den Hüttendächern,
von den Stämmen des Walds,
nimmt sie es fort.
Und dann
humpelt sie mühsam
den Berg hinauf
und sammelt und sammelt
die letzte Sonne
in ihre Schürze.

Droben umschlingt ihr
mit Halsen und Küssen
ihr Töchterchen Nacht
den Nacken
und greift begierig
ins ängstlich verschlossene
Schurztuch.

Als es sein Händchen
wieder herauszieht,
ist es schneeweiß,
als wär es mit Mehl
rings überpudert.

Und die Kleine,
längst gewitzt,
tupft mit dem
niedlichen Zeigefinger
den ganzen Himmel voll
und jauchzt laut auf
in kindlicher Freude.
Ganz unten aber
macht sie einen großen,
runden Tupfen -
das ist der Mond.

Mütterchen Dämmerung
sieht ihr mit mildem
Lächeln zu.
Und dann geht es
langsam
zu Bette.

Chr.Morgenstern


sieghard antwortete am 17.07.01 (08:59):


Gebet in die "Morgenröte"

Ach, so gebt doch Wahnsinn,
ihr Himmlischen,
Wahnsinn, dass ich endlich
an mich selber glaube!
Gebt Delirien und Zuckungen,
plötzliche Lichter und Finsternisse,
schreckt mich mit Frost und Glut,
wie sie kein Sterblicher noch empfand,
mit Getöse und umgebenden Gestalten,
lasst mich heulen und winseln
und wie ein Tier kriechen:
nur dass ich bei mir selber Glauben finde!


[Friedrich Nietzsche 1844-1900]

.


gregor antwortete am 17.07.01 (09:41):

Schöpfer und Geschöpfe

am siebenten Tage aber legte Gott die Hände
in den Schoß und sprach:

Ich hab vielleicht was durchgemacht,
ich hab den Mensch, den Lurch gemacht,
sind beide schwer mißraten.

Ich hab den Storch, den Hecht gemacht,
hab sie mehr schlecht als recht gemacht,
man sollte sie gleich braten.

Ich hab die Nacht, das Licht gemacht,
hab beide schlicht um schlicht gemacht,
mehr konnte ich nicht geben.

Ich hab das All, das Nichts gemacht,
ich fürchte, es hat nichts gebracht.
Na ja. Man wird's erleben.

Robert Gernhardt


weltfremd antwortete am 17.07.01 (13:24):

Bewußtseins-Eliminativismus

bewußtsein, dieses leid/t-schwein,
ist volkstümlich und nur fiktion.
wer bist DU, welcher geistschrein?
der neurobiologen hohn?

bewusstsein äussert sich in sätzen:
"ich bin bewußt! ich fühle schmerz!"
will man die logik nicht verletzen,
sind solche sätze einfach scherz.

bewußtsein, greulich ineffabel,
zwingt philosophen auf die knie.
sie halten besser ihren schnabel
und meditieren über phi.

bewußtsein, dieses letzt-enigma,
entzieht sich ganz dem common-sense.
man steht hier ohne kleid da
und feiert einfach Büchners "Lenz":

"Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab,worin es fault."

gf/2001


Gila antwortete am 17.07.01 (17:17):

Letzter Rat
Bevor man dich verbrennt zu Asche
verhindere, dass man dich wasche.
Versenkt man dich dann in den Keller,
verbrennst du, ungewaschen, schneller!

Wenn sie jedoch die Absicht haben,
dich einst im Ganzen zu begraben,
dann sei appetitlich, frisch und rein -
die Würmer werden dankbar sein!
(Heinz Erhardt)


Georg Segessenmann,alias Georg von antwortete am 17.07.01 (17:37):

Lieber Ich_Bin_Ferdinand_Schmatz
ich kann nur staunen: Für einen Vierzehnjährigen legst Du eine unglaubliche Betriebsamkeit an den Tag!

Schorsch


gregor antwortete am 17.07.01 (18:19):

Biologischer Walzer

Zwischen Kapstadt und Grönland liegt dieser Wald
Aus Begierden, Begierden die niemand kennt.
Wenn es stimmt, daß wir schwierige Tiere sind
Sind wir schwierige Tiere weil nichts mehr stimmt.

Steter Tropfen im Mund war das Wort der Beginn
Des Verzichts, einer langen Flucht in die Zeit.
Nichts erklärt, wie ein trockener Gaumen Vokale,
Wie ein Leck in der Kehle Konsonanten erbricht.

Offen bleibt, was ein Ohr im Laborglas sucht,
Eine fleischliche Brosche, gelb in Formaldehyd.
Wann es oben schwimmt, wann es untergeht,
Wie in toten Nerven das Gleichgewicht klingt.

Fraglich auch, ob die tausend Drähtchen im Pelz
Des gelehrigen Affen den Heißhunger stillen.
Was es heißt, wenn sich Trauer im Hirnstrom zeigt.
Jeden flüchtigen Blick ein Phantomschmerz lenkt.

Zwischen Kapstadt und Grönland liegt dieser Wald
... Ironie, die den Körper ins Dickicht schickt.
Wenn es stimmt, daß wir schwierige Tiere sind
Sind wir schwierige Tiere weil nichts mehr stimmt.

Durs Grünbein


Wolfgang antwortete am 17.07.01 (18:46):

Endlich outen sich die Gernhardt-Fans im Forum... :-) - Hier eine schöne Geschichte von ihm zum ewigen Thema Liebe (und die Missverständnisse drumherum):

LOHENGRIN '74 (von Robert GERNHARDT)

"Du Else" "Erwin, was soll sein?"
"Ich glaub', ich dringe in dich ein!"
"Du Erwin!" "Else, ja, was ist?"
"Weißt du genau, daß du es bist?"

Diese Worte lösten in Erwin eine beträchtliche Erschütterung aus. Was? Sie zweifelte daran, daß er in sie eindrang? Wer aber sollte sonst in sie eindringen? Barsch sagte er daher:

"Ja, i c h bin in dich eingedrungen,
das hätt' ich mir gern ausbedungen.
Denn dräng' ein andrer in dich ein,
könnt' i c h nicht der Eindringling sein!"

So hatte es Else ja nun auch wieder nicht gemeint! Umd, um Erwins Wut zu dämpfen, flüsterte sie begütigend: "Man wird ja wohl noch mal fragen dürfen!" Doch, damit war sie bei Erwin an den Falschen geraten, denn der schrie:

"Weib, rede nur mit Engelszungen!
Zur Strafe wird jetzt rausgedrungen!
Wo ist mein Stock? Wo ist mein Hut?"
"Ach, Erwin" "Else! Mach es gut!"

Und ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er. "Nie sollst du mich befragen..." *fg*

aus: Robert Gernhardt, Gedichte 1954-1997, Haffmans 1999

Porträt: Robert GERNHARDT
https://www.gutenmorgenbuchladen.de/rg100500.htm

(Internet-Tipp: https://www.gutenmorgenbuchladen.de/rg100500.htm)


:-) Heidi antwortete am 17.07.01 (20:03):

Noch einmal: Mein Körper

Mein Körper rät mir:
Ruh dich aus!
Ich sage: Mach ich,
altes Haus!

Denk aber: Ach, der
sieht's ja nicht!
Und schreibe heimlich
ein Gedicht.

Da sagt mein Körper:
Na, na, na!
Mein guter Freund,
was tun wir da?

Ach gar nichts! sag ich
aufgeschreckt,
und denk: Wie hat er
das entdeckt?

Die Frage scheint recht
schlicht zu sein,
doch ihre Schlichtheit
ist nur Schein.

Sie läßt mir seither
keine Ruh:
Wie weiß mein Körper
was ich tu?

Robert Gernhardt


Heidi antwortete am 17.07.01 (20:14):

zu Gernhardt passt auch Villon *fg*

Eine verliebte Ballade

Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund,
ich schrie mir schon die Lungen wund
nach deinem weißen Leib, du Weib.
Im Klee, da hat der Mai ein Bett gemacht,
da blüht ein süßer Zeitvertreib
mit deinem Leib die lange Nacht.
Da will ich sein im tiefen Tal
dein Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.

Im tiefen Erdbeertal, im schwarzen Haar,
da schlief ich manches Sommerjahr
bei dir und schlief doch nie zuviel.
Ich habe jetzt ein rotes Tier im Blut,
das macht mir wieder frohen Mut.
Komm her, ich weiß ein schönes Spiel
im dunklen Tal, im Muschelgrund...
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!

Die graue Welt macht keine Freude mehr,
ich gab den schönsten Sommer her,
und dir hats auch kein Glück gebracht;
hast nur den roten Mund noch aufgespart,
für mich so tief im Haar verwahrt...
Ich such ihn schon die lange Nacht
im Wintertal, im Aschengrund...
Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund.

Im Wintertal, im schwarzen Erdbeerkraut,
da hat der Schnee sein Nest gebaut
und fragt nicht, wo die Liebe sei.
Und habe doch das rote Tier so tief
erfahren, als ich bei dir schlief.
Wär nur der Winter erst vorbei
und wieder grün der Wiesengrund!
... ich bin so wild nach deinem Erdbeermund!

Francois Villon


Heidi antwortete am 17.07.01 (20:41):

Spass beiseite:

blindlings
siegreich sein
wird die sache der sehenden -
die einäugigen
haben sie in die hand genommen,
die macht ergriffen
und den blinden zum könig gemacht.

an der abgeriegelten grenze stehn
blindekuhspielende polizisten;
zuweilen erhaschen sie einen augenarzt,
nach dem gefahndet wird
wegen staatsgefährdender umtriebe.

sämtliche leitende herren tragen
ein schwarzes pflästerchen
über dem rechten aug.
auf den fundämtern schimmeln,
abgeliefert von blindenhunden,
herrenlose lupen und brillen.

strebsame junge astronomen
lassen sich glasaugen einsetzen;
weitblickende eltern
unterrichten ihre kinder beizeiten
in der fortschrittlichen kunst des schielens.

der feind schwärzt borwasser ein
für die bindehaut seiner agenten,
anständige bürger aber trauen
mit rücksicht auf die verhältnisse
ihren augen nicht,
streuen sich pfeffer und salz ins gesicht,
betasten weinend die sehenswürdigkeiten
und erlernen die blindenschrift.

der könig soll neulich erklärt haben,
er blicke voll zuversicht in die zukunft.

Hans Magnus Enzensberger

(Internet-Tipp: https://www.student.informatik.tu-darmstadt.de/~andreasf/gedichte-ecke/he_blindlings.html)


negator antwortete am 18.07.01 (09:23):

Dich will ich loben: Häßliches,
du hast so was Verläßliches.

Das Schöne schwindet, scheidet, flieht -
fast tut es weh, wenn man es sieht.

Wer Schönes anschaut, spürt die Zeit,
und Zeit meint stets: Bald ist's soweit.

Das Schöne gibt uns Grund zur Trauer.
Das Häßliche erfreut durch Dauer.

Robert Gernhardt


Hans-Jürgen antwortete am 18.07.01 (09:28):

Gedichte Kap. 15

Der Nietzsche, der wünschte sich Wahnsinn -
so wird hier zitiert -; er bekam ihn.
Ein Spinner, nicht g'rade mein Freund,
empfiehlt einen "fetten Joint". (igitt)
Und ein Dichter, nach Anschein verklemmt
(vielleicht auch moralisch enthemmt),
schrieb Schmutziges - hier wird's gedruckt:
ist jemand zusammengezuckt?

Dazwischen Blabla und verrücktes Geschwätz,
*mich* fängt bestimmt keiner in schleimigem Netz!
Der Kahn sinkt 'mal wieder, mit ihm das Niveau,
kann sein, mancher freut sich, ist schadenfroh.
Ich zieh' mich zurück - noch ist's nicht zu spät -,
verordne mir lyrische Zero-Diät.

Jedenfalls *hier*!


ziegenbock antwortete am 18.07.01 (10:36):

Bye, Bye...

für jene, die sich selber richten,
indem sie ihren ruf vernichten,
indem sie alles attackieren,
was brave bürger nicht kapieren...

...für die gibt's noch ein autogramm
zu ihrem abschied mit tamtam:
*ach wie gut, dass niemand weiss,
dass ich "zero-gutmensch" heiss'"*

gf/2001


ziegenbock antwortete am 18.07.01 (11:06):

Insult oder Invektive?

hochverehrte kreaturen,
schaut auf eure armbanduhren!
sagt mir, was ihr dort erblickt
und wer euch dies Zeichen schickt.

kreaturen, hochverehrt,
seht was euer herz beschwert:
zyklen voller saftgewalle
treiben diese feuerqualle.

kreaturen, hochversehrt,
was sind eure häute wert?
orten euch in raum und zeit,
auch wenn's innen raumlos schreit.

hochversehrte kreaturen,
tief missbrauchte genom-fuhren,
lügt euch lustig in die tasche,
konserviert die hoffnungsasche!

gf/2001


Hans-Jürgen antwortete am 18.07.01 (11:08):

*Eins* will ich noch loswerden:

Miese Gedichte, schlechte Gedanken
schwächen die Seele, lassen erkranken,
führen zum Abgrund verderblicher Sucht.
Ihr zu entrinnen,
zurückzugewinnen
innere Freiheit, hilft Flucht.

Hans-Jürgen


sieghard antwortete am 18.07.01 (13:31):


zu jenem Quasi-Abschied mit tamtam:
zu diesem Neuen im Programm:

bleib wie du bist
gut wie du bist
nehm dich wie du bist
lass dich wie du bist

.


weltenplanschneidezahn antwortete am 18.07.01 (14:13):

Liebeskasper

nachdem er geküsset die birnen
verhüllt noch in samtigem schwarz
dem fusswind verpflichtet
gebärend die theo-
-dizee
entsprang ihm ein seufzer
und hastig er fuhr gar so jenseits
den herrlichen fluss
nach oben in feindlicher stellung
speckrot das alte
genüsslicher zwerge geburt
erreicht er den radius
geflochtener welten
das reiskorn das weisse
vergessend und tiefstens gravierend
den brustkorb verbrannt schon vom worte
ergeben dem macher des schleiers
enthüllt sich ein kühlschrank aus zeit

mit schritten voll polka
die haut straff verfasst
begreift er tief süffig
die lage des kopfes
ein fixpunkt der töne
von tröpfen
ganz hold nicht den pflichten
auf nacktfreier schneise

Oh wehe
des hornes gebrüll
entgeistert kalorische körper
das knie das so brennet
im boden verbäckt

gf/2001


sieghard antwortete am 18.07.01 (14:56):



Vor ihrem Rücken sah ich die Rodung
von Köppelsbleek. Die Feuer, die
Köppelsbleek erhellten, waren noch
glühend. Ihr Schimmer fiel auf die
Schinderhütte, die weit geöffnet stand,
und färbte den Schädel, der am Giebel
glänzte. Aus Spuren, die sowohl den
Boden um die Feuerstätten als auch
das Innere der üblen Höhle zeichneten,
war zu erraten, dass die Lemuren hier
eines ihrer schauerlichen Feste abge-
halten hatten, dessen Nachglanz noch
auf dem Orte lag. Wir Menschen blic-
ken mit angehaltenem Atem und wie
durch Spalten auf solchen Spuk.

Ernst Jünger, Auf den Marmorklippen

.


Heidi antwortete am 18.07.01 (16:08):

Kontrastprogramm ;-))

Liebst du
Liebst du um Schönheit, o nicht mich liebe!
Liebe die Sonne, sie trägt ein goldnes Haar!


Liebst du um Jugend, o nicht mich liebe!
Liebe der Frühling, der jung ist jedes Jahr!


Liebst du um Schätze, o nicht mich liebe!
Liebe die Meerfrau, sie hat viel Perlen klar!


Liebst du um Liebe, o ja, mich liebe!
Liebe mich immer, dich lieb' ich immerdar.

Fr.Rückert


Heidi antwortete am 18.07.01 (16:15):

Heinrich Seidel

Leichter Sinn

Die Blumen wiegen und nicken
Im schlafenden Garten all,
Als ob sie träumend lauschten
Dem Lied der Nachtigall.

Sie singt die alte Klage:
"Ihr müsst verblühn, verwehn! "
Die Blumen nicken im Traume,
Weil sie es wohl verstehn.

Am Morgen singt die Lerche
Herab aus blauen Höhn
Die alten Jubellieder:
"O Welt, wie bist du schön!"

Die Blumen nicken freundlich
Im sonnigen Gartenraum -
Sie haben längst vergessen
Den alten trüben Traum. -


:-)) Heidi antwortete am 18.07.01 (16:16):

Heinrich Seidel

7. Ein jeglicher nach seiner Art

Der eine lebt asketisch,
Der andre sehr ästhetisch.
Der eine treibt's poetisch,
Der andere exegetisch.
Die eine liebt den Nähtisch,
Die andere den Theetisch.
Ob praktisch, theoretisch,
's hat jeder seinen Fetisch!
Drum lasst, ihr andern Narren,
Auch mir doch meinen Sparren!


Rosmarie S antwortete am 18.07.01 (18:27):

> Ich zieh' mich zurück - noch ist's nicht zu spät -,
> verordne mir lyrische Zero-Diät.

Lieber Hans-Jürgen!

Lass dich doch nicht schrecken!
Hier gibt�s halt viele Jecken.
Ein Forum ist so wie das Leben.
Mal wollen wir zu Höhrem streben,
mal sitzen wir am Boden fest.
Und gibt uns das dann auch den Rest,
so sollten wir doch nicht verzagen
und wieder neue Schritte wagen.
Du würdest hier am Platz sehr fehlen,
drum tu dich bitte etwas quälen
und lauf nicht von den Dichtern fort!
Zurück blieb doch ein Loch vorort!
Auf einen hier könnt ich verzichten.
Bedeutsam tun, kann nichts ausrichten...
Doch was DU sagst, wirkt echt und frei.
Bleib doch bitte hier dabei!

Rosmarie


Heidi antwortete am 18.07.01 (18:33):

Nietzsche:
.. Sprechen- und Schreibenkönnen heißt freiwerden: zugegeben, daß nicht immer das Beste dabei herauskommt; aber es ist gut, daß es sichtbar wird, daß es Wort und Farbe findet..

hl: wer von uns will schon beurteilen, was das Beste ist? ;-)).


Brita antwortete am 18.07.01 (19:15):

Gregor

In 5000 meter tiefe - am meeresgrund
Da wohnt wohl der gregor mit einem hund

Dort ist es dunkel, dort ist wenig luft
Es treffen sich steinbeisser in finsterer gruft

Er könnte auch auf dem mt everest hausen
Wo yeti,frost und sturm ihn umbrausen

Er sucht das extrem - nicht nur im gedicht
Er zeigt sein gefühl, er zeigt sein gesicht

Wir andern erschauern vor diesem mut
Ist alles was mutig ist - gut?

Du willst nicht gut sein, dann lass es doch
Ganz sicher für dich ein schweres joch

Ich fühl mich wohl in der goldenen Mitte
Und wünsch ein Gedicht dieser art von dir, bitte

Wo blümchen blühn und vögel singen
Wo männer und frauen nach demut ringen

Das hat doch was, das ist doch schön.

bk


Richard antwortete am 18.07.01 (19:56):

Liebe Heidi,
auch Robert T. Odeman hat zu dem Thema von Heinrich Seidel ein Gedicht geschrieben, auch ziemlich deutlich:

Jeder nach seiner Weise

Der Storch erklärte einst der Ente,
ihr Tauchen würde zwecklos sein.
Zum Grund des Teiches sie nie könnte,
da wär' ihr Schnabel viel zu klein.
Das wäre ihm nunmehr gegeben,
der Seinige wär' dafür recht.
Die Ente sagte drauf: �Mein Streben
verstehst du miss. Du kennst mich schlecht.....

Wenn ich den Kopf dort untertauche
und zeig' der Welt meinen Popo,
so heißt das, dass ich sie nicht brauche.
Das macht mich ausgefüllt und froh.
Das drück' ich aus durch diese Haltung,
das Tauchen selbst ist mir egal.
Mein Denken kriegt dadurch Gestaltung,
es heißt soviel wie: �Kannst mich mal!� �
Robert T. Odeman


;-)))) Heidi antwortete am 18.07.01 (20:03):

*grübel* ist die letzte Verszeile jetzt wohl an mich gerichtet?


Luzia antwortete am 18.07.01 (20:35):

Hier etwas von Schiller

Des Menschen Taten und Gedanken, wißt,
sind nicht wie Meeres blind bewegte Wellen.
Die innere Welt, sein Mikrokosmos, ist
der tiefe Schacht, aus dem sie ewig quellen.
Sie sind notwendig wie des Baumes Frucht,
sie kann der Zufall gaukelnd nicht verwandeln.
Hab ich des Menschen Kern erst untersucht,
so weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln.


Brita antwortete am 18.07.01 (20:37):

:-)) Meinst du das Singen der Vöglein
meinst du die Blumen im Feld
oder meinst du die Liebe?

Über all diese Dinge lohnt sich zu
lesen, zu schreiben, zu denken zu fühlen.
Aber auch wir sind Blumen - menschliche
Blumen, Tiere -menschliche Tiere....Jeder
von uns gehört zur Schöpfung.


gregor antwortete am 18.07.01 (21:09):

auf ganz speziellen wunsch hier ein wahres "gedicht der goldenen mitte"...ein solches eigenständig zu verfertigen ist mir beim besten willen nicht vergönnt...deshalb habe ich es aus einem anderen poesie-forum "geklaut":

Du.....

Bevor ich in mein Bettchen geh' nochmal in
den Himmel seh, die Sterne funkeln der Mond
der lacht, ich habe heute wieder an Dich
gedacht.
Noch bist Du fern und auch allein, aber bald
werden wir zusammen auf Wolke 7 sein.
Und die Sonne scheint in unsere herzen rein.
Und wir sind endlich nicht mehr allein.
Du schenkst mir Glück, ich schenke es Dir
zurück.

N.N./05.05.2001

recht so?

gf


weltfremd antwortete am 18.07.01 (21:43):

In Utero


1

Niemand berichtet vom Anfang der Reise, vom frühen Horror
Betäubt in den Wassern zu schaukeln, vom Druck
In der Kapsel, vom Augenblick, der sie sprengt.
Wochenlang blutig, und das Fleisch wächst amphibisch
Zuckend wie die Frösche Galvanis, in Folie eingeschweißt.
Horchen ist trügerisch und das Strampeln vergeblich
wo Liebe erwiedert und ein Herz schlägt, so nah.
Über Kloschüsseln hängend wie über offenem Grab
Erwacht bald die Scham. Und es gibt kein Zurück
Für die Hände, die füße, Farnblättchen gleich eingerollt
Oder schlafenden Mücken, für Jahrmillionen im Bernstein.
Bis es die ersten Namen gibt, später, herrscht Dunkel,
Ein Chorus aus Lauten wie Alkohol, Hoden und Elektroden.
Hautfalten kräuseln sich, daß man den Säugling erkennt.
Alles ist vorstellbar, und ein Gehirn schaut herab.
Ein Blitz zaubert Landschaft in leere Augen.
Um als Lurch zu beginnen und zu enden als Mensch...

2

Wer hätte gedacht, daß es so einfach ist, schließlich?
Das Wetter schlägt um, Reste von Gesten lösen sich auf.
Von Station zu Station geht der Körper in härterem Licht.
Als gäbe es wirklich Sprüche, die Regen machen, Regeln
Nach denen verstanden wird, ein Entsetzen, das trägt.
Mit den Tagen kommen die Tode, das "Ich bin der ich bin".
Unscharfe Photos werden vom Sonnenlicht retuschiert.
Langsam biegt sich der Stachel zurück, kühlt die Wunden.
Der Schatten des Eigenen nimmt der Welt ihr Gewicht.

Durs Grünbein


sieghard antwortete am 18.07.01 (22:01):


Vom Hier und Jetzt

aus dem Zyklus: Asche zum Frühstück

Was, wenn der Blick immer früher zurückkehrt, das brave Tier,
Dem nichts Menschliches fremd ist? Alles Neue macht es nur müde.
Überschaubar geworden, illustriert, fällt es leicht durch den Schlitz
Der entzündeten Lider: dies protzige Jetzt, dies verstiegene Hier.
Was immer piano beginnt, wie auf Mäusepfötchen und als Etüde,
Dröhnt aus sämtlichen Boxen zuletzt. Im Fortissimo schwitzt
Die versammelte Meute, laut kreischend "Pan ist tot! Pan ist tot!".
Nicht mal im Unbewußten steht Zeit so still, daß man unbeschwert
Atmend verweilen könnte. Im Nu sind die Augenblicke verpatzt,
Da der Ton noch schwebt, das Gesicht. Wiederholung droht
Jeder primären Regung. Mit einem Bleistift zur Schädelnaht quer
Kritzelt steif eine Hand den erlernten Namen. Gott, wie das kratzt.


[Durs Grünbein]

.


Heidi antwortete am 18.07.01 (22:29):

Belebter Bach

mit alten Autoreifen, Glas,
Sperrmüll und der Attrappe
eines kleinen Wehrs

aus Zellophan und Schrott,
in dem inmitten Schaums
auf einem �lfilm ausgesetzt

ein grüner Badefisch sich
zwischen Zweigen schaukelnd
leicht um seine Achse dreht.

Kommt
Wellen klaren Wassers, kommt.

(Durs Grünbein)


sieghard antwortete am 18.07.01 (22:44):



Der wahre Weg geht über ein Seil,
das nicht in der Höhe gespannt ist,
sondern knapp über dem Boden.
Es scheint mehr bestimmt stolpern
zu machen, als begangen zu werden.


[Franz Kafka]


.


Gila antwortete am 19.07.01 (01:30):

Der Berg

Hätte man sämtliche Berge der ganzen Welt
zusammengetragen und übereinandergestellt,
und wäre zu Füßen dieses Massivs
ein riesiges Meer, ein breites und tief�s,
und stürzte dann unter Donnern und Blitzen
der Berg in dieses Meer - - - na, das würd spritzen!

(Heinz Erhardt)


Das Pseudonym

Hätte man e i n e s Schreibers 6 Pseudonyme
zusammengetragen zu e i n e m Synonyme,
und wäre zu Füßen dieses Namenmassivs
ein riesiges Loch, ein breites und tief�s,
und stürzte dann unter Zetern und Lallen
der Berg in dieses Loch - - - na, der würd fallen!

(H. Erhardt möge mir verzeihen!)

;-)))))))) Gila


Georg Segessenmann,alias Georg von antwortete am 19.07.01 (08:43):

Und wär` dieser Pseudo mit all seinen -nyms
und all seinem Gestänker nicht ein Ano-nyms
und tät` er seinen Ano mal zeigen geschwind,
man würde wohl merken: der ist ja noch Kind!

Schorsch


Rosmarie S antwortete am 19.07.01 (09:25):

"Und wär` dieser Pseudo mit all seinen -nyms
...
man würde wohl merken: der ist ja noch Kind!"

Ich denk, er will sich erfrischen
und die Alten mal richtig aufmischen... :-)))
Klick! Ich guck gar nicht mehr hin.
Vielleicht sogar schade, vielleicht hat was Sinn...

Mit einem fröhlichen Gruß in die unverdrossene Runde
Rosmarie


weltenplanschneidezahn antwortete am 19.07.01 (09:45):

Das Melken der Nelken der Nacht

das melken der nelken
in rastloser ruh
düpiert dumpfe damen
und kitzelt die kuh

das rastlose ruhen
curare-kuriert
versehrt vom vergessen
blamiert was blasiert

versehrtes vergessen
stolzierender stier
womöglich der wahnsinn
fingiert den fakir

blamiert die blasierten
Oh melker der nacht
die nelken die welken
belacht mit bedacht

gf/2001


Brita antwortete am 19.07.01 (10:06):

an gregor:
auf ganz speziellen wunsch hier ein wahres "gedicht der goldenen mitte"...ein solches eigenständig zu verfertigen ist mir beim besten willen nicht vergönnt...deshalb habe ich es aus einem anderen poesie-forum "geklaut":


Prüfungen

Ein Mensch gestellt auf harte Probe
Besteht sie, und mit höchstem Lobe,
Doch sieh da: es versagt der gleiche,
Wird er gestellt auf eine weiche!

Eugen Roth


gregor antwortete am 19.07.01 (10:54):

Kundige Kunden künden: Kündigung!

triebig ruft man in die runde:
"gössenwahn sei euer kunde!"
wenn so kunden kundig künden,
wäscht dies rein von allen sünden.

kopf, kopf, kopf, dies' geilprodukt
rücklings in die röhre guckt.
achte qualität, das wahre,
von dem laufstall bis zur bahre!

auf dem markt der marktvermarktung
plagt die plag' der magdvermagdung.
tollste symmetrie der schädel,
sushi für so'n kundenmädel.

und den kunden schleift der tremor
fusswärts links bis rechts zum steifohr.
voll verwirrung er erahnt:
kündigung, schon lang geplant!

gf/2001


Wolfgang antwortete am 19.07.01 (13:43):

Wer könnte schon diese Frage beantworten: Was ist ein gutes/schlechtes Gedicht? Doch, ernst nehmen muss man ihn schon, den Hinweis, dass Lyrik gefährlich sein kann, schlecht (oder doch gut) für die Seele, ja geradezu süchtig machend... *fg* - Vielleicht sollte vor bestimmten Gedichten der Satz stehen: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie den für Sie zuständigen Zensor. - Sage nachher keine(r), sie/er wäre nicht gewarnt worden. *ffg*

Also, es geht noch einmal um die Liebe. Zu Risiken und Nebenwirkungen...

DUETT IM BETT (von Robert GERNHARDT)

SIE:
Worte,
Worte,
nichts als
Worte.

ER:
Wenn das Worte
waren, die wir
zwischen diesen
Laken tauschten,
frag ich mich denn
doch, mein Liebling:
Was verstehst du
unter Taten?

SIE:
Laken, Liebling, Taten -
Worte, nichts als Worte!

ER:
Lauter Worte, zugegeben,
Worte aber, denen Taten
deshalb nicht zu folgen haben,
da sie selber Taten folgen,
diese dergestalt verlängernd,
dass die Süsse unsrer Taten
ufbewahrt in schönem Wort bleibt,
bis ans Ende unserer Tage.

SIE:
Sag mal ehrlich: Bist du noch zu retten?
Redest hier vom Ende unsrer Tage,
dabei hat die erste unsrer Nächte
kaum begonnen, Schatzi, also rühr dich!

ER:
Grade wollte ich die Weichheit
deines warmen Leibs besingen,
wollte dich in höchsten Tönen
als der Weiber schönstes preisen,
wusste schon die unerhörten
Bilder, die dich feiern sollten,
da zerstörst du deinen Nachruhm
mit dem schnöden Satze: Rühr dich.

SIE:
Weichheit, Bilder, Nachruhm -
Worte, nichts als Worte!

ER:
Weisst du andres
nicht zu sagen
als dein Worte,
nichts als Worte?
Dann sag ich dir:
Hüte deine
Zunge, Liebling,
sonst passiert was.

SIE:
Worte,
Worte,
nichts - na
endlich!

aus: Robert Gernhardt, Gedichte 1954-1997, Haffmans 1999


sieghard antwortete am 19.07.01 (14:37):


Weihnachten ist oft

Wer klopfet an?
ein neuer fremder Mann!
Was wollt ihr hier?
O öffnet mir die Tür.
Scher dich fort,
an einen andern Ort!

.


Heidi antwortete am 20.07.01 (05:16):

Vor lauter Lauschen und Staunen sei still,


Vor lauter Lauschen und Staunen sei still,
du mein tieftiefes Leben;
dass du weisst, was der Wind dir will,
eh noch die Birken beben.

Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,
lass deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gieb dich, gieb nach,
er wird dich lieben und wiegen.

Und dann meine Seele sei weit, sei weit,
dass dir das Leben gelinge,
breite dich wie ein Federkleid
über die sinnenden Dinge.


Rainer Maria Rilke


Luzia antwortete am 20.07.01 (08:33):

Darum ist die Welt so groß.

Bleibe nicht am Boden heften,
frisch gewagt und frisch hinaus!
Kopf und Arm mit heitern Kräften,
überall sind sie zu Haus;
wo wir uns der Sonne freuen,
sind wir jede Sorge los;
daß wir uns in ihr zerstreuen,
darum ist die Welt so groß.

Goethe


Rosmarie S antwortete am 20.07.01 (09:48):

Liebe Heidi, liebe Luzia,

wie schön, wie schön, wenn der Tag mit solchen Gedichten von Rilke und Goethe beginnen kann! :-)))) Danke!

Mit herzlichen Grüßen in die dichtende Runde. Ich freue mich auch wieder auf die selbst gemachten Gedichte! Es muss ja nicht immer Goethe sein! :-)))

Rosmarie


Heidi antwortete am 20.07.01 (19:45):


Hochseil

Wir turnen in höchsten Höhen herum,
selbstredend und selbstreimend,
von einem Individuum
aus nichts als Worten träumend.

Was uns bewegt - warum? wozu? -
den Teppich zu verlassen?
Ein nie erforschtes Who-is-who
im Sturzflug zu erfassen.

Wer von so hoch zu Boden blickt,
der sieht nur Verarmtes/Verirrtes.
Ich sage: wer Lyrik schreibt, ist verrückt,
wer sie für wahr nimmt, wird es.

Ich spiel mit meinem Astralleib Klavier,
vierfüßig - vierzigzehig -
Ganz unten am Boden gelten wir
für nicht mehr ganz zurechnungsfähig.

Die Loreley entblößt ihr Haar
am umgekippten Rheine...
Ich schwebe graziös in Lebensgefahr
grad zwischen Freund Hein und Freund Heine

Peter Rühmkorf


Wolfgang antwortete am 20.07.01 (20:11):

Respekt, Heidi.. mit RILKE den Tag beginnen und ihn mit RÜHMKORF beenden. Mit Lyrik leben, auch wenn's gefährlich wird, wenn's schön ist, aber auch, wenn's hässlich ist... Denn, was will man machen; das Atmen kann man auch nicht so einfach einstellen. - Nein, Lyrik ist oft kein Zuckerschlecken. Aber manchmal doch. :-)

GEDULD (von Robert GERNHARDT)

Du gehst nicht zum Grab,
du fühlst dich schuldig.
Wenn Tote eins nicht sind,
dann: ungeduldig.

Du stehst im Leben,
bestellst deinen Garten.
Wenn Tote eins können,
dann ist es: warten.

Gehn oder Nichtgehn
bleibt dir unbenommen.
Wenn Tote eins wissen,
dann dies: Du wirst kommen.

aus: Robert Gernhardt, Gedichte 1954-1997, Haffmans 1999


Herbertkarl Huether antwortete am 20.07.01 (20:37):


fern

fern der heimat denk ich an deine
kalten gefuehle mir gegenueber zurueck

die du dachtest bevor der sand
der kalten stiefel
uns leuchtend heimwinkte

uebel aus getanen anspruechen
schwabbert mir eine lichte welle zu

sagst du mir
was dir einfiel
als unsere gedanken noch lose waren
oder sagst du mir den einen augenblick
der schlaffen bedenklichkeit
die abzustreiten ich nicht mehr
die kraft habe

geselle der ruchlosen unvernunft
sprich dein leises lied laut
mir ins gesicht
ohne weh und klagen

verdiente es nicht so mancher
deine spiegel zu sehen

bitte leg deine haende beschuetzend
ueber mein geplagtes haupt
um ohne mich zu erlangen
was deine kälte mir bisher nicht gab

weh dem klagen der goetter

sprich mich nicht an
wenn ich denke
da der tag ohne dich
eine andere gestalt haette

hkh


paradoxon0 antwortete am 20.07.01 (20:50):

Ein Esslöffel Hirn

ein esslöffel hirn...
entnommen
der vorderen stirn
entkleidet
das tier so bigott
entsorget
gewissen zu schrott
enttaktet
der bürger geschrei
entreisset
dem papst die schalmei
entwendet
dem richter das buch
enthüllet
was unter dem tuch
entdecket
den fluch des Silen
entweihet
des weib's östrogen
entlarvet
die wunder der nacht
entbehret
des nutzlosen pracht
entkernet
des pudels natur
entziehet
der hoffung die uhr
entgeistert
das windige ich
...bereichert
des carnivors tisch

gf/2001


ES IST ZEIT FÜR EINE PAUSE
Bevor ich die lampe lösche.
Im Garten kriecht die Agonie heran;
Der Tod ist blau in der rosenfarbenen Nacht.


Das Programm lag bereits fest
Für die drei kommenden Wochen
Erst sollte mein Körper verfaulen,
Dann an der Unendlichkeit zerschellen.


Die Unendlichkeit ist innen,
Ich stelle mir die Moleküle vor
Und ihre lachhaften Bewegungen
Im erfreuten Kadaver.


Michel Houellebecq


Heidi antwortete am 20.07.01 (21:29):

aktuell

Gipfelgesichter
lächelnd, smart
nicht zynisch (dafür fehlt es an Geist)
einig im Kreis:
wie bringen wir unsre Schäfchen ins Trockne
ohne dass das Volk uns beisst?
menschenverachtend?
nein (um zu verachten muss man wahrnehmen)
der Dollarblick macht blind

die Demokratie ist tot
eingeschläfert von satten Wählern
Anarchie schafft Gewalt
Gewalt bringt den Tod
hilflos und ohnmächtig
sehe ich zu..

hl


immer noch:

ohnmächtig

manchmal hasse ich
- weiß nicht wen,
ich bin wütend und schimpfe
- weiß nicht auf wen,
ich möchte etwas ändern
- weiß nicht wie,
hilflos und machtlos
bin ich,
ein einzelner Mensch

ich will nicht resignieren
ich will kämpfen
- weiß nicht wie

hl


Heidi antwortete am 20.07.01 (21:53):

aktuell 2

Eindrücke:

betretene Gesichter
bedauern Vorgefallenes
schlechte PR!
(nicht weil ein Zwanzigjähriger starb)
harte Augen lächeln
gefällig in die Kameras
kluge Worte sollen
beschwichtigen
Almosen für die Armen
der Rest..?
nur unter vier Augen!

hl


Heidi antwortete am 21.07.01 (07:24):


Noch bist du da

Wirf deine Angst
in die Luft

Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends

Noch
duftet die Nelke
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da

Sei was du bist
Gib was du hast

Rose Ausländer


Heidi antwortete am 21.07.01 (09:19):

Sein Köpferl im Sand

Das ist ein beinhartes Protestlied. Allerdings
richtet sich die Kritik nicht gegen eine bestimmte
Gruppe, sondern gegen jedermann, der
sich betroffen fühlt - auch gegen mich selbst.

Er hat ein kleines Häuserl in der grünen Au,
er hat ein' gut'n Posten und a dicke, süße Frau.
Er tut sich bei der Arbeit nicht die Händ' verstauch'n,
er kann an jedem Sonntag a Virginia rauch'n.
Da sagt er, mir geht's gut,
auf die andern hau i 'n Hut
Hinter meiner, vorder meiner,
links, rechts - gilt's nix.
Ober meiner, unter meiner, - seh ich nix.
G'spür nix, hör nix und ich riech nix.
denk an nix, riech ich nix und tu ich nix.
Wenn der Wind weht in die Gass'n,
wenn der Wind weht am Land,
wenn der Wind weht da steckt er
sei Köpferl in Sand.

Da zeig ich ihm a Stadt aus lauter Fetz'n und Scherb'n,
ein Platz wo die Krank'n im Rinnsal sterb'n.
Gras in der Schüssel, im G'sicht die Flieg'n,
die Kinder hab'n ein' Waserbauch und Kretz'n am Hirn.
Sie stinken wie der Mist, damit's du's net vergißt.
Da sagt er:
Hinter meiner, vorder meiner,
links, rechts - gilt's nix.
Ober meiner, unter meiner, - seh ich nix.
G'spür nix, hör nix und ich riech nix.
dank an nix, rech ich nix und tu ich nix.
Wenn der Wind weht in die Gass'n,
wenn der Wind weht am Land,
wenn der Wind weht da steckt er
sei Köpferl in Sand.

Ich weiß ein Platz, da traut sich keiner was sag'n
und rühr'n sie sich a bisserl, sind's derwischt beim Krag'n
Da hol'n s' die Kieberer um viere in der Fruah,
eini in's Hefen, die Tür fest zua.
Da brechen S' ihnen d' Händ und tret'n s' in die Zähnd.
Da sagt er:
Hinter meiner, vorder meiner,
links, rechts - gilt's nix.
Ober meiner, unter meiner, - seh ich nix.
G'spür nix, hör nix und ich riech nix.
dank an nix, rech ich nix und tu ich nix.
Wenn der Wind weht in die Gass'n,
wenn der Wind weht am Land,
wenn der Wind weht da steckt er
sei Köpferl in Sand.

Es pfeif'n die Granaten, es donnert und kracht.
Sie hock'n in der Grub'n die ganze Nacht.
Sie schieß'n auf alles, was sich rührt,
sie schieß'n, daß die Krach'n glüht.
Der Mutter ihre Buam, fall'n um als wie die Rüb'n.
Da sagt er:
Hinter meiner, vorder meiner,
links, rechts - gilt's nix.
Ober meiner, unter meiner, - seh ich nix.
G'spür nix, hör nix und ich riech nix.
dank an nix, rech ich nix und tu ich nix.
Wenn der Wind weht in die Gass'n,
wenn der Wind weht am Land,
wenn der Wind weht da steckt er
sei Köpferl in Sand.

Arik Brauer (*4.01.1929 - Mitte der 60iger geschrieben)


Brigitte So'lala antwortete am 21.07.01 (18:40):

Hallo mein Name ist Brigitte und ich bin neu hier. Ich habe im Kapitel 14 wunderschöne Gedichte gelesen. Ich sehe, dass Sie sich alle schon kennen und seit langem korrespondieren. Gerne möchte ich ab und zu auch einmal reinschauen.

Mein Beitrag zu Gedichte:

Ich habe vor kurzem 2 Bücher von Sebastian Haffner gelesen über den ersten Weltkrieg und die 20er Jahre bis zur Nazizeit. Die Bücher sind zu empfehlen, vor allem für alle die zur Generation gehören, die unter die "Gnade der späten Geburt" fallen: Darin enthalten Gedichte zu dem Leid, das die Völker im I Weltkrieg erfahren mußten, z. B. von Stefan George (Buchtitel kann ich auf Anfrage per e-mail angeben):

"Da lacht selbst grimmig,
wenn die falschen Heldenreden
von vormals klingen,
der wie Brei und Klumpen
den Bruder sinken sah
in die schandbar zerwühlte Erde, wie Geziefer.
Er ist nicht mehr der alte Gott der Schlachten".

Herzliche Grüße
Brigitte


Rosmarie S antwortete am 21.07.01 (19:21):

Liebe Brigitte,

auch ich bin hier noch nicht allzu lange dabei und zudem eher eine stille Genießerin als Aktive. Trotzdem darf ich dich sicher herzlich willkommen heißen!

Rosmarie


Brigitte So'lala antwortete am 21.07.01 (19:36):

Hallo Rosmarie,
vielen Dank, das macht mir Mut. Scheint aber sonst niemand außer uns da zu sein. Wahrscheinlich herrscht Wochenendruhe oder?

Gruß Brigitte


Heidi antwortete am 21.07.01 (21:12):


Träumerei in Hellblau

Alle Landschaften haben
Sich mit Blau gefüllt.
Alle Büsche und Bäume des Stromes,
Der weit in den Norden schwillt.

Blaue Länder der Wolken,
Weiße Segel dicht,
Die Gestade des Himmels in Fernen
Zergehen in Wind und Licht.

Wenn die Abende sinken
Und wir schlafen ein,
Gehen die Träume, die schönen,
Mit leichten Füßen herein.

Zymbeln lassen sie klingen
In den Händen licht.
Manche flüstern, und halten
Kerzen vor ihr Gesicht.

Georg Heym (1887-1912)


Brita antwortete am 21.07.01 (21:30):

Flötenspiel

Ein Haus bei Nacht durch Strauch und Baum
Ein Fenster leise schimmern ließ,
Und dort im unsichtbaren Raum
Ein Flötenspieler stand und blies.

Es war ein Lied so altbekannt,
Es floß so gütig in die Nacht,
Als wäre Heimat jedes Land,
Als wäre jeder Weg vollbracht.

Es war der Welt geheimer Sinn
In seinem Atem offenbart,
Und willig gab das Herz sich hin
Und alle Zeit ward Gegenwart.

Hermann Hesse

An seinen Sohn Martin schrieb Hesse 1940.
Ich lege Dir die letzte Fassung des neuen
Gedichtes bei. Ja, das ist komisch: während
die ganze Welt sich in Gräben und Bunkern etc.
bereit hält, um unsre bisherige Welt vollends
in Splitter zu schießen, war ich tagelang damit beschäftigt, dem kleinen Gedicht
eine bessere Fassung zu geben.....


evelyn antwortete am 22.07.01 (01:10):

Symptome
(Parodie einer Gleichung)

Wenn Sprache sich vergallopiert
benennt sie "toll" ,was " gut" floriert-
Auch "Wut" wird gerne parodiert
als "gut",wenn nichts mehr funktioniert-

wenn toll ist gut
und Wut ist gut
wenn also beides gut
dann ist die Wut
gleich toll gleich gut
ist Tollwut

und akut
sind Lähmung
Krampf
Gehirnverschluss
plus Herzversagen
Exitus.

nach 10 Wochen zurück und gelandet in diesem 15.Kapitel.Na ja-------jedenfalls grüsse ich Euch ! Evelyn


Heidi Lachnitt antwortete am 22.07.01 (01:22):

( wer "schöne" Gedichte mag sollte dieses nicht lesen)


Ein böses Gedicht

Friede, Freude, Eierkuchen
Lasst mich die heile Welt versuchen
Hunger, Armut, Not, Gewalt
Ist kein Thema für jung und alt

..schlaf, Menschlein schlafe
In der Herde laufen die Schafe
Sie fressen, blöken, laufen im Kreis
Und ihre Wolle ist blütenweiß

Die Welt ist schön es geht uns doch gut
Verdirb uns nicht den Lebensmut.
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!

Friede, Freude, Eierkuchen
Lasst mich die heile Welt versuchen
Klima, Umwelt, Embryonennot
Bei diesen Themen sieht man .. rot

..schlaf, Menschlein, schlafe
In der Herde laufen die Schafe
Dolly, so heißt das eine von ihnen
Wurde erzeugt von Menschenmaschinen

Die Welt ist schön es geht uns doch gut
Verdirb uns nicht den Lebensmut.
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!

Friede, Freude, Eierkuchen
Lasst mich die heile Welt versuchen
Globalisierung und Demonstration
Was gilt ein junger Mensch da schon

..schlaf, Menschlein, schlafe
In der Herde träumen die Schafe
Von einer Schlachtbank im kühlen Raum
Kein Thema, nur ein böser Traum

Die Welt ist schön, es geht uns doch gut
Verdirb uns nicht den Lebenssmut.
Edel sei der Mensch, hilfreich und tot!

hl


Heidi antwortete am 23.07.01 (00:00):

Zwei Seelen wohnen, ach in meiner Brust:-) ein Liebesgedicht:

Für mlB zum 1. Tag des Löwen

..
Ich kann dir keinen Zauberteppich schenken,
Noch Diamanten oder edlen Nerz,
Drum geb ich dir dies Schlüsselchen von Erz,
Dazu mein ziemlich gut erhaltnes Herz
Zum Anmichdenken.

Ich kann dir keine braven Socken stricken,
Und meine Kochkunst würde dich nur plagen.
Drum nimm den Scherben rosarotes Glas,
Der führt ins Märchenland Ichweißnichtwas
An grauen Tagen.

Ich kann dir nicht Aladdins Lampe geben,
Kein �Sesam� und auch keinen Amethyst.
Doch weil dein Herz mir Flut und Ebbe ist,
Hier, diese Muschel, schimmernd wie von Tränen,
Zum Nachmirsehnen.

Mascha Kaleko


Heidi antwortete am 23.07.01 (21:16):

Kunst und Leben

Was ihn beschäftigt
was ihn bewegt
er in seine Worte legt:
Der Dichter.

Was ihn begeistert
was ihm gefällt
er in seinen Bildern darstellt:
Der Maler

Wie er sich fühlt
wie ihm zumut
er in seine Töne tut:
Der Musiker.

Was ihn geformt
was ihm bestimmt
er Worten, Bildern und Tönen entnimmt:
Der Mensch

Robert Gernhardt
(in Gedichte 1954-1977, Haffmans Verlag 1999,
ISBN 3251004522)


Heidi antwortete am 24.07.01 (09:33):

Der Mohn

Wie dort, gewiegt von Westen,
Des Mohnes Blüte glänzt!
Die Blume, die am besten
Des Traumgotts Schläfe kränzt;
Bald purpurhell, als spiele
Der Abendröte Schein,
Bald weiß und bleich, als fiele
Des Mondes Schimmer ein.

Zur Warnung hört ich sagen,
Dass, der im Mohne schlief,
Hinunter ward getragen
In Träume, schwer und tief;
Dem Wachen selbst geblieben
Sei irren Wahnes Spur,
Die Nahen und die Lieben
Halt' er für Schemen nur.

In meiner Tage Morgen,
Da lag auch ich einmal,
Von Blumen ganz verborgen,
In einem schönen Tal.
Sie dufteten so milde!
Da ward, ich fühlt es kaum,
Das Leben mir zum Bilde,
Das Wirkliche zum Traum.

Seitdem ist mir beständig,
Als wär es so nur recht,
Mein Bild der Welt lebendig,
Mein Traum nur wahr und echt;
Die Schatten, die ich sehe,
Sie sind wie Sterne klar:
O Mohn der Dichtung! Wehe
Um's Haupt mir immerdar!

Ludwig Uhland
(Gedichte der deutschen Romantik, Hrsg.Conrady, Artemis&Winkler Verlag, ISBN 3-538-6635-2)


eva antwortete am 24.07.01 (11:02):

Von einem harmlosen Italienurlaub zurückgekehrt, war ich
ziemlich erstaunt über die zwischenzeitliche
"anarchistische Unterwanderung" unserer harmonischen
Lyrikrunde - hier meine erste Antwort :


Von der Reise heimgekommen,
hört�ich plötzlich Kriegsgeschrei -
der Sängerkrieg war ausgebrochen;
ich war wieder nicht dabei...

Jugend gibt sich als Zerstörer,
fragt zornig nach des Lebens Sinn -
Altersweisheit lächelt milde :
"Du kommst auch einmal dahin ... "

Müssen uns darob nicht grämen,
dulden wir doch dieses Spiel :
Ignoranten ernst zu nehmen,
wär�der Ehre doch zu viel !

eKr


und besser und kürzer von Wilhelm BUSCH :

Hass, als Minus und vergebens,
wird vom Leben abgeschrieben;
positiv im Buch des Lebens
steht verzeichnet nur das Lieben.
Ob ein Minus oder Plus
uns verblieben, zeigt der Schluss. -


Heidi antwortete am 24.07.01 (11:27):

"anarchistische Unterwanderung" *grö..* beinahe hätte ich das ö-Wort geschrieben ;-))

Tierwelt-Wunderwelt

Die BETTENEULE im Plumeau
wird ihres Lebens nicht mehr froh.
Wenn sie ein leises Quietschen hört,
dann ist sie durch und durch verstört.
Und flüsternd sagt sie ihrer Brut:
" Dat geit nit gut, dat geit nit gut! "

Der HABICHT fraß die WANDERRATTE,
nachdem er sie geschändet hatte.

Der KRAGENB�R in seinem Kragen
weiß nichts vom Singen und vom Sagen.
Nie sang er auch nur einen Ton.
Von Sängern dacht' er voller Hohn,
und angesichts des Sternenlichts
da blieb er stumm und sagte nichts.
Er sang nicht auf der Maienflur,
bei Diskussionen schwieg er nur.
Wie anders Goethe, Kant und Benn,
die weniger Verschwiegenen!
Sie ehret heute Flott und heer,
Vom KRAGENB�R spricht niemand mehr.

Das SCHNABELTIER, das SCHNABELTIER
vollzieht den Schritt vom Ich zum Wir.
Es spricht nicht mehr nur noch von sich,
es sagt nicht mehr:" Dies Bier will ich!"
Es sagt:" Dies Bier,
das wollen wir!
Wir wollen es, das SCHNABELTIER!"

Robert Gernhardt (Gedichte 1954-1997 s.o.)


Wolfgang antwortete am 24.07.01 (13:51):

Wenn's um den Anarchismus geht, da san mir in Bayern die Experten. Bei uns gibt es sie noch leibhaftig, die Anarchisten in der (lyrischen) Lederhose: Zum Beispiel die BIERM�SL BLOSN... Hier, als Kostprobe, a klans Liedla, freili, nicht grad gmacht für lauschige Lyrikrunden... :-)))

Das schönste Blüamerl auf der Welt, das ist das Edelweiß.
Die Sennrin sagt zu ihrem Buam: "Geh' hol' ma so a Gsträuß, dull-jöh!"

Da Bua, der macht sich auf schee staad, da Bua kommt nie zurück.
Vom Felsn hats'n obadraht, zerschmettert das Genick, dulljöh!

Und wias'n nacha gfundn ham, da war er noch ganz warm.
Die Leber an am Felsn hing, um d' Fichtn rum der Darm, dulljöh!

Und in der Hand das Edelweiß war rot von seinem Bluat.
Die Sennrin glangt eahm an den Puls, ob er funktionieren duat, dulljöh!

Die Sennrin denkt in ihrem Sinn, de Alm duat sich rentiern.
Scho wieder 10000 Mark für eine frische Niern, dulljöh!

Mit am Jodler und am Juchzer drauf geht sie da Hüttn zua.
Vor ihrem Kammerfenster, da wart' scho da nächste Bua, dulljöh!

(Internet-Tipp: https://www.biermoesl-blosn.de)


Dora/Millefoglio antwortete am 24.07.01 (15:54):

Da Neue da sind, die vielleicht nicht im Archiv nachgeschaut haben, und derjenige, der sich verabschiedet hat ganz sicher seine Neugier nicht bezwingen kann, und manchmal reinschaut, um zu erforschen, was seine ekelerregenden Gedichte angerichtet haben, will ich die Geschichte des Cronys nochmals reinkopieren, es ist wirklich viel Weisheit drin, nicht Verstandeswissen, Intellekt, sondern uralte Weisheit.
Liebe Grüsse an Alle !

Liebe Leute,

Ich habe vor einigen Wochen ein Buch gekauft. Es heisst: Das Elfen-Orakel , Botschaften aus dem Reich der Naturgeister von Tuatha Na Sidhe. Dazu gehören etwa 55 Karten mit solchen Naturwesen, alle mit ihren Namen. Ich habe mir angewöhnt, alle Tage eine Karte auszuwählen, und heute ist diese herausgekommen:

CRONY "Achte auf Deine Worte " steht darunter. Es ist ein verschmitzt lächelnder Wicht mit einem verrunzeltem Gesicht, langen spitzen Ohren mit einem violetten Wams, gelben, anliegenden Hosen spindeldürren Beinen und übergrossen Füssen, die in Schnallenschuhen stecken.Sein Blick ist wissend, weise, ironisch.

Was über ihn im Buche steht, möchte ich Euch gerne nahebringen:

Wenn Dein Herz in die Ferne hören könnte.
Wenn nur der Duft der Rose, die ich für dich gepflückt habe,
dir so nahe kommen könnte,
dass er dich in einer Umarmung umfängt.
Und wenn Deine Augen sich an dem Glanz entzünden könnten.
Kann ich mit Worten ihre Schönheit beschreiben
und sie dir bringen - um sie dir zu schenken ?

WOERTLICHE BEDEUTUNG: Alter Freund
Ein "alter Freund" ist ein unersetzlicher Gefährte, der oft mit uns ein Stück des Weges teilt, Wir haben keine Schwierigkeiten, ihm etwas zu verzeihen, von ihm nehmen wir Ratschläge an und manchmal auch einen Tadel hin. Und mit ihm teilen wir vertrauliche Dinge unseres Herzens

HERKUNFT: Im Unterschied zu vielen anderen Naturgeistern lebt Crony bequem in den Häusern der Menschen, die er jedoch sorgfältig auswählt. Es scheint so, als ob dieser Kobold eine gewisse Vorliebe für die Häuser von Schriftstellern hätte, besonders von Fabel - Erfindern und Autoren und Abenteuer - oder Phantasie - Erzählungen. Aber, ob es sich um Autoren handelt oder nicht, seine Aufgabe ist es jedenfalls, in den Menschen eine grössere Aufmerksamkeit für den Sprachgebrauch zu erwecken, von dem er sagt: Oh weh, sie müssen ihn halt benutzen
Oft sitzt er unsichtbar zwischen Stapeln von Aufzeichnungen auf Schreibtischen, wo er mit Neugier die Gedanken der Menschen beobachtet, die wie feine Rauchsignale dem veränderlichen Rythmus ihres kreativen Schwungs folgen.
Oder er spaziert pfeifend in jenem unvermeidlichen Durcheinander, das häufig die Künstler begleitet, zwischen den auf Schreibtischen herumliegenden Dingen auf und ab.
Manchmal enthüllt sein Lächeln die unbekümmerte Ironie seines humorvollen Geistes, wenn die kreative Ader seines "Schützlings" gefährlich auf Abwegen begibt. Viele Erfolgreiche Schriftsteller haben, ohne es zu wissen, seine klugen Vorschläge befolgt; seine originellen Lösungen haben ihnen oft geholfen, die unvermittelt auftauchenden Flauten zu überwinden, in denen die Handlung einer Geschichte sich manchmal festfahren kann.

BOTSCHAFT : Ich möchte dir von Wörtern erzählen, die so leicht aus dem Munde der Menschen kommen, dass diese inzwischen ihrer Sprache nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit widmen. Jedes Wort ist wie ein Pfeil, der vom Bogen der Gedanke abgeschossen wird, wer sie abschiesst, ist jedoch auch für sie verantwortlich, damit sie nicht wie wilde Pferde frei in alle Richtungen davonstieben und in ihrem Schwung das, was sie antreffen, über den Haufen rennen. Wörter können Freude oder Mut bringen; sie können Hoffnung und Liebe schenken, aber auch Angst und Leid verursachen, und oft bleiben sie im Herzen dessen, der sie erhält, noch lange lebendig.
Sie sind die universellen Schlüssel unserer Gedanken; die Sprache, die sie ausdrückt und miteinander in Verbindung setzt und sie manifestiert und aktiv werden lässt.
Jedes Wort sollte daher wie eine Note sein, die ihren genauen Platz in der Harmonie eines Musikstückes einnimmt. Die Musik kann lieblich oeder mächtig, bedeutungsvoll oder anonym, beziehungsweise hart und schrecklich sein, je nach" Anschlag" und dem Mosaik von Noten in der Partitur.

EMPFEHLUNG: Dein Gedanke sollte klar und bewusst die Worte, die Du benutzen wirst, auswählen, denn diese sind eine Manifestation der Gedankenenergie; sie sind ihre Ueberträger, durch die ein Gedanke sich manifestiert.
Und diese Energie ist umso stärker, je mehr du dich konzentriest.
Möge deine Willenskraft aus dem Herzen kommen, damit du das, was du sagst, nicht heftig überfliesst wie ein Fluss beim Hochwasser der Emotionen, der Wut, der Impulsiivität der gewöhnlichen Gefühle. Mögen deine Worte,wenn möglich, eine Umarmung der Seele sein und die Liebe und die Wahrheit überbringen, die du im Herzen trägst !"

Ich habe mich in diesen "Crony "verliebt.
Das Buch und die Karten sind bein Aquamarin Verlag erhältlich.


Heidi antwortete am 25.07.01 (00:48):

Hier noch ein "nettes" Gedicht von Robert Gernhardt ;-)
(Quellenangabe s.o.)

Amnesie

1
Viele schöne Dinge sah ich
Inseln aus dem Wasser ragen
Freunde, ihr könnt mich erschlagen
Wenn ich ihre Namen kenne.

Tiere sah ich auf den Klippen
Vögel durch die Lüfte schweben
Alles würde ich drum geben
Wüßte ich noch, wie sie hießen.

Jemand sah an meiner Seite
All die Tiere, all die Orte
"Worte, Worte, nichts als Worte"
seufzte sie, wenn ich benannte.

2
Vermutlich habe ich auch Seehunde gesehen.
Mit Sicherheit Gemsen.
Sie grasten im Tal. Seelenruhig. Wie Kühe.
Blöde Bande.

Vieles wird undeutlich mit den Jahren.
Manches ununterscheidbar.
Die habe ich geliebt? Den gehaßt?
Oder vice versa?

3
Ja, das war's wohl. Mehr ist nicht zu sagen.
Sonst noch Antworten?


Brita antwortete am 25.07.01 (09:00):

Doch heimlich dürsten wir...

Anmutig, geistig, arabeskenzart
Scheint unser Leben sich wie das von Feen
In sanften Tänzen um das Nichts zu drehen,
Dem wir geopfert Sein und Gegenwart.

Schönheit der Träume, holde Spielerei,
So hingehaucht, so reinlich abgestimmt,
Tief unter deiner heitern Fläche glimmt
Sehnsucht nach Nacht, nach Blut, nach Barbarei.

Im Leeren dreht sich, ohne Zwang und Not,
Frei unser Leben, stets zum Spiel bereit,
Doch heimlich dürsten wir nach Wirklichkeit,
Nach Zeugung und Geburt, nach Leid und Tod.

Hermann Hesse


Heidi antwortete am 25.07.01 (11:09):

;-)) Villon:

Die Ballade von den allgemeinen Redensarten

Ein Fisch, der oben schwimmt, riecht nicht mehr frisch,
und ist das Weib im Bett kein Marmelstein,
(von Kuckuckseiern weiß kein Nest sich rein)
wird auch der Mann zufrieden sein am Tisch.
Die gute Zeit vergißt man in der schlechten,
ein Baum, der Gummi schwitzt, ist wurzelkrank,
in jedem Haufen gibt es nicht "Die drei Gerechten",
und auch die Spötter sitzen oft nicht auf der gleichen Bank.
Ich kenne alles, bis auf Punkt und Strich,
ich kenn nur einen nicht, und der bin ich.

An einer Hose seh ich, wo ihr Träger war,
und in die Kutte paßt ein Pfaffe nur hinein,
ob sie noch Jungfrau ist, wird erst nachdem uns offenbar,
und wie der Diener, also muß der Herr beschaffen sein.
Nicht hinter jedem Schleier waltet Frömmigkeit,
und wer vom Henker schwätzt, fühlt auch das Eisen schon.
Oft kommen Hurensöhne ganz legal zu einem Thron,
und wer die Mutter freit, dem klagt die Tochter bald ihr Leid.
Ich kenne alles, bis auf Punkt und Strich,
ich kenn nur einen nicht, und der bin ich.

Nicht Dornen immer, auch die Rosen stechen,
viereckig kann der Wagen sein, doch nie ein Rad,
der Schleicher wird mit Gott noch leiser sprechen,
die Flügel hat der Wind und nicht das Blatt.
Ich kenn' den Geizhals schon am Gang,
er macht nur kleine, vorsichtige Schritte,
Verschwender leben überall im Überschwang,
und wer betrunken ist, kennt keine Mitte.
Ich kenne alles, bis auf Punkt und Strich,
ich kenn nur einen nicht, und der bin ich.

Fran�ois Villon Texte
Freie deutsche Nachdichtungen von Paul Zech

(Internet-Tipp: https://www.walther-nienburg.de/Villon/redens.html)


Heidi antwortete am 25.07.01 (11:23):

weil das Kapitel 15 ganz und gar nicht symmetrisch ist( mir gefällt das) :-))



SYMMETRIE

O Gegenwart, wie bist du schnelle,
Zukunft, wie bist du morgenhelle,
Vergangenheit so abendrot!
Das Abendrot soll ewig stehen,
Die Morgenhelle frisch drein wehen,
So ist die Gegenwart nicht tot.

Der Tor, der lahmt auf einem Bein,
Das ist gar nicht zu leiden,
Schlagt ihm das andre Bein entzwei,
So hinkt er doch auf beiden!


(Joseph von Eichendorff)

Einen schönen Tag noch an alle


eva antwortete am 25.07.01 (20:56):

Während meiner Urlaubsreise kam ich auch bei der Burg
Hauenstein in Südtirol vorbei, da fiel mir der alte
einäugige Wolkensteiner ein (Oswald von Wolkenstein, ca.
1377 - 1445) und ich suchte was Eindrucksvolles heraus -
leider ziemlich lang, daher gleich in der nhd.Übersetzung.
Jedenfalls wirft der Text ein grelles Licht auf die "gute
alte Zeit" und das lustige Leben der "alten Rittersleut" ... - armer Oswald !!


Durch Berberland, Arabien,
durch Armenien und Persien,
durchs Tatarenland nach Syrien,
durch Byzanz ins Türkenland,
nach Georgien - solche Sprünge habe ich verlernt.
Durch Preußen, Russland, Eiffenland,
nach Litauen, Livland, über die Nehrung,
nach Dänemark, Schweden, nach Brabant,
durch Flandern, Frankreich, England
und Schottland bin ich lange nicht gezogen,
durch Aragonien und Kastilien,
Granada und Navarra,
von Portugal und Spanien
bis zum Finstern Stern,
von der Provance nach Marseille -
nein hier in Ratzes am Schlern
bleibe ich in meinem Hausstand,
widerwillig,
und lasse mein Elend wachsen.
Auf einem schmalen runden Kofel,
umgeben von dichtem Wald,
sehe ich Tag für Tag
nur hohe Berge und tiefe Täler,
zahllose Felsen, Büsche, Baumstümpfe und Schneestangen.
Und eines bedrückt mich mit Angst :
daß mir der Lärm meiner kleinen Kinder
in die oft geplagten Ohren
eingedrungen ist.

Was mir je an Ehren erwiesen worden ist
von all den Fürsten und Königinnen
und was ich je an Freuden erlebt habe,
das büße ich jetzt alles ab unter einem kleinen Dach.
Meine Qual zieht sich in die Länge.
Ich brauche eine Menge von guten Einfällen,
seit ich um das tägliche Brot sorgen muß.
Noch dazu wird mir dauernd gedroht.
Und kein rotes Mündlein tröstet mich.
Die mir früher gehorchten, lassen mich jetzt im Stich.
Wohin ich auch blicke, stoße ich nur noch
auf Schlacken von Köstlichkeiten.
Statt meiner früheren Gesellschaft
sehe ich jetzt nur Kälber, Geissen, Böcke, Rinder
und ungeschlachte Leute, schwarz, häßlich
und ganz rotzig im Winter.
Die machen mir eine Stimmung wie Sauerwein und Vieh.
Aus Angst schlage ich oft meine Kinder
und treibe sie in die Ecke.
Dann kommt ihre Mutter hergebraust,
die fängt nicht schlecht zu schelten an;
wenn ich von ihrer Faust was kriegte,
das würde ich wohl spüren.
Sie sagt: "Wie hast du nun die Kinder
zu einem Fladen geprügelt."
Vor ihrem Zorn graut mir dann,
doch spüre ich ihn fast immer,
scharf und spleißend.

Meine Unterhaltung ist sehr abwechslungsreich :
lauter Eselsgesang und Pfauengeschrei;
davon wünschte ich mir keinen Deut mehr.
Der Bach rauscht mir mit Hurlahei
meinen Kopf kaputt, daß er ganz matt wird.
So trage ich mein Teil an Ungemach.
Von täglichen Sorgen und schlechten Nachrichten
ist Hauenstein selten verschont.
Könnte ich sie doch einfach abwenden !
Oder tät�s ein anderer - ich wollte ihm immer dankbar sein.
Mein Landesfürst ist mir gram,
weil schlechte Leute mich nicht leiden können;
meine Dienste sind ihm unwillkommen,
das schädigt und schmerzt mich;
da doch sonst bei meinem heiligen Eid
kein Fürstenhaus
in seinem herrlich schönen Herrschaftsgebiet
mir je an Besitz, Leib, Ehre und gutem Ruf
etwas zuleide getan hat.
Meine Freund hassen mich alle miteinander
ohne Grund, davon muss ich alt werden.
Ich klage es der ganzen Welt,
den Frommen und den Weisen
und auch vielen großen, edlen Fürsten,
die sich ehren und preisen lassen,
daß sie mir armen Wolkensteiner
nicht erlauben, die Wölfe zu zausen,
und ganz zu vertreiben.


sieghard antwortete am 25.07.01 (22:09):


Die Frage bleibt

Halte dich still, halte dich stumm,
Nur nicht fragen, warum? warum?

Nur nicht bittere Fragen tauschen,
Antwort ist doch nur wie Meeresrauschen.

Wies dich auch aufzuhorchen treibt,
Das Dunkel, das Rätsel, die Frage bleibt.


[Theodor Fontane]

.


Heidi antwortete am 26.07.01 (00:05):

Wortaufschüttung

Wortaufschüttung, vulkanisch,
meerüberrauscht.

Oben
der flutende Mob
der Gegengeschöpfe: er
flaggte - Abbild und Nahbild
kreuzen eitel zeithin.

Bis du den Wortmond hinaus-
schleuderst, von dem her
das Wunder Ebbe geschieht
und der herz-
förmige Krater
nackt für die Anfänge zeugt,
die Königs-
geburten.

Paul Celan


Heidi antwortete am 26.07.01 (00:09):

Singbarer Rest

Singbarer Rest - der Umriß
dessen, der durch
die Sichelschrift lautlos hindurchbrach,
abseits, am Schneeort.

Quirlend
unter Kometen-
brauen
die Blickmasse, auf
die der verfinsterte winzige
Herztrabant zutreibt
mit dem
draußen erjagten Funken.

- Entmündigte Lippe, melde,
daß etwas geschieht, noch immer,
unweit von dir.

Paul Celan


sylvia antwortete am 26.07.01 (10:06):

Wünsch dir was
sagte die gute Fee

Alt und weise
möchte ich werden
und unerschrocken.
Eine eigensinnige Alte
mit silbernen Haaren
ohne Strümpfe
in lila Sandalen.
Und Lachfalten
möchte ich haben.
Ganz viele.

Anne Steinwart


Dietlinde antwortete am 26.07.01 (13:44):



Treulose Kahnfahrt

Aber der Traum ist ein Kahn
zu dem falschen Ufer.
Du steigst ein
an dem schimmernden Holzsteg des Gestern.
Du bist eingeladen
zu einer Fahrt über rosa Wolken
unter rosa Wolken,
wolkengleich.

Ein Hauch der Luft
Du bist so leicht,
der Kahn so steuerlos,
das Wasser so spiegelglatt.
So sanft verlierst Du die Richtung:
du bist noch unterwegs nach der Wiese im Licht,
wenn der Sand schon unter dem Kiel knirscht
im Schatten der Weiden.

Hilde Domin

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


evelyn antwortete am 26.07.01 (20:57):

aus Kornett (Rilke)

RAST

Rast
Gast sein
nicht immer selbst seine Wünsche bewirten mit
kläglicher Hast
nicht immer feindlich nach allem fassen
einmal sich alles geschehen lassen
und wissen,was geschieht ist gut --
Auch der Mut
muss sich einmal strecken
und sich am Saume seidener Decken
in sich selbst überschlagen
-----
einmal die Locken offen tragen
und den weichen offenen Kragen
und in seidenen Sesseln sitzen
und bis in die Fingerspitzen
so..nach dem Bad sein--

warum lernt man sowas mit 18 auswendig und denkt dran das ganze Leben?


sieghard antwortete am 26.07.01 (21:42):


Haus ohne Fenster

Der Schmerz sargt uns ein
in einem Haus ohne Fenster.
Die Sonne, die die Blumen öffnet,
zeigt seine Kanten
nur deutlicher.
Es ist ein Würfel aus Schweigen
in der Nacht.

Der Trost, der keine Fenster findet
und keine Türen und hinein will,
trägt erbittert das Reisig zusammen.
Er will ein Wunder erzwingen
und zündet es an,
das Haus aus Schmerz.


[Hilde Domin]

.


Heidi antwortete am 26.07.01 (21:56):

Eine andere Art von Rast, eine andere Art von Haus, ein noch unfertiger Dank an meine neue Heimat :-), entstanden heute auf dem Nachhauseweg

Meine Stadt

Meine weiche, warme Stadt
Mit deinen kleinen, aneinander gekuschelten Häusern
Die dem weiten Himmel seinen Platz lassen
Deinem runden Pflaster, dass schnelle Schritte
Nicht zulässt
Mit deinen großen mächtigen Kirchen
Und dem kleinen Schloss in Deiner Mitte
Deinem Fluss, der noch seinem natürlichen Lauf folgt
Von Grün umwachsen
Deinen vielen Brunnen, alte und neue
die mir leise etwas zuflüstern
Du sprichst die Sprache meiner Kindheit
Du gibst mir Geborgenheit und Ruhe
Ich mag dich, kleine Stadt

hl


Dietlinde antwortete am 27.07.01 (08:33):



Hilde Domin 27.7.1909 hat heute Geburstag

Im Tor schon

Im Tor schon
hobst du den Blick.
Wir sahen uns an.

Eine große Blüte stieg
leuchtend blaß
aus meinem Herzen.

Hilde Domin



Nicht müde werden

Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.


Hilde Domin





27.7.1909 Hilde Domin
Eigentlich Hilde Palm, deutsche Lyrikerin. Die Tochter eines jüdischen Rechtsanwalts wurde 1909 in Köln geboren. Im Oktober 1932 emigrierte sie vor den Nationalsozialisten nach Italien und später nach Großbritannien. In der Dominikanischen Republik hatte sie eine Professur inne. Dort begann sie mit dem Schreiben. 1954 kehrte sie nach Deutschland zurück. Als ihre bekanntesten Gedichte gelten "Nur eine Rose als Stütze" (1959) und "Von der Natur nicht vorgesehen" (1974). Ihre Gedichte basieren auf einer einfachen Struktur und sind knapp formuliert. Sie überraschen durch surrealistische Wendungen. Hilde Domin gilt als eine der bedeutendsten Dichterinnen der klassischen Moderne. 1974 verfasste sie ihre Autobiografie. Die mehrfach ausgezeichnete Autorin lebt in Heidelberg.
www.onlinekunst.de/julizwei/Hilde_Domin.htm
Eine private Homepage portraitiert Hilde Domin und bietet ein Werkverzeichnis.
www.poesie-im-netz.de/gedichtedomin.htm
Einige Gedichte Hilde Domins auf den Seiten von "poesie-im-netz".


Das Gefieder der Sprache

Das Gefieder der Sprache streicheln
Worte sind Vögel
mit ihnen
davonfliegen

Hilde Domin






RE: Hilde Domin 27.7.1909
von Dietlinde 27.Jul.2001 08:14

(Internet-Tipp: https://easy.to/haikulinde)


sieghard antwortete am 27.07.01 (08:58):


Ja, Dietlinde, hab auch dran gedacht. Damals
war sie zu einer Dichterlesung im Freiburger
AudiMax.


30. Juni 1965, Mittwoch

Hilde Domin, Verschiedene Gedichte

Und eine große Blüte stieg
leuchtend blass
aus meinem Herzen
Diese Vögel
ohne Schmerzen
diese leichtesten goldenen
Vögel
dahintreibend
über den Dächern

Am Hause meiner Kindheit blühte
im Februar
der Mandelbaum
ich hatte geträumt
er werde blühen


.


eva antwortete am 27.07.01 (09:56):

Hier eine wunderschöne Ballade von Werner BERGENGRUEN :

Der Hund in der Kirche.

Wie gedacht ich jenes Tags der Worte,
die das Weib aus Kanaan gesprochen :
"Fressen doch die Hündlen von den Brocken,
die von ihrer Herren Tische fallen."

In der dörflich bunten, halbgefüllten,
in der sommerlich geschmückten Kirche
betete der Priester am Altare :
"Dieses reine, unbefleckte Opfer,
milder Vater, wollest du gesegnen ."

Durch die Stille, die der Bitte folgte,
klang ein dünnes, trippelndes Bewegen
von der Tür, im Rücken der Gemeinde,
zaghaft erst, verlegen, dann geschwinder.
Viele Augen wandten sich zur Seite.
Manche Fromme runzelte die Stirne,
gern bereit, ein �rgernis zu nehmen.

Auf den schwarz und weiss geschachten Fliesen
kam ein kleiner Hund auf kurzen Beinen
flink den Mittelgang entlanggelaufen,
ohne Abkunft, bäuerlicher Artung,
missgefärbt und haarig wie ein Wollknäul,
aber drollig, jung und voller Neugier.

Tief am Boden lag die schwarze Nase,
witternd, schnuppernd suchte er die Richtung.
Er verhielt, er hob die rechte Pfote
eingewinkelt an, er hob die Ohren
und mit freudigem Kläffen schoß er schräge
ganz nach vorne zu den linken Bänken,
wo gedrängt die kleinen Mädchen knieten.
Ihrer eine, sonntäglich gekleidet,
siebenjährig, schlank und schmalgesichtig,
ward von jäher Röte übrflutet,
und behend den dunkelbraunen Scheitel
neigte tief sie über ihr Gebetbuch.

Doch nun stießen sie die Nachbarinnen
kichernd an, voll Eifer und nicht ohne
eine kleine heilige Schadenfreude.

Selig, daß die Herrin er gefunden
mit dem Stummelschwänzchen munter wedelnd,
suchte durch Gewirr der Kinderfüße
sich der Hund zu ihr hindurchzuzwängen.

Kein Verleugnen half mehr, und die Kleine,
zitternd fast und nicht mehr Herr der Tränen,
schnellte auf und schob sich widerwillig
durch die Reihe, schon den Hund im Arme,
knickste in des Hochaltares Richtung
und begann geschwind zur Tür zu flüchten
auf den schwarz und weiß geschachten Fliesen.

Und ein Sonnenstrahl fiel durch das bunte
Fenster und beglänzte ihre Haare
und das rote, glühende Gesichtchen.

Doch noch war der Ausgang nicht gewonnen,
als das Glöckchen hell zur Wandlung schellte.
Alle knieten. Und das Kind hielt inne,
wandte sich und mit gesenktem Scheitel
ging es hurtig in die Kniee neder.
Sorglich mit der Linken hielt die Kline
eng den Hund gepreßt an ihre Brüstchen
und bekreuzte gläubig mit der Rechten
sich und ihn.
Da lächelte am Pfeiler
fromm der Löwe Hieronymi.
Das Getier der heiligen Geschichten,
dieses schneller, jenes erst mit Zögern,
schwer verstehend, wie es manches Art ist,
tat ihm nach auf Bildern und Altären
überall. Es hoben an zu lächeln
Ochs und Esel und der Fisch des Jonas,
Lucä Stier und des Johannes Adler,
Hund und Hirsch des heiligen Hubertus,
Martins Pferd und des Georgius Streithengst,
Lamm und Taube, endlich die gekrümmte
Schlange unterm Fuß der Gottesmutrer.

Aus der Orgel aber stieg verstohlen
silberhell ein winziges Gelächter,
tropfte, perlte, wenigen vernehmlich.
Doch dann schwoll sie auf und rief mit Jauchzen :
"Lobt Ihn, alle Kreatur !"


Dietlinde antwortete am 27.07.01 (10:17):



Lieber Sieghard,
wie schön, dass du sie persönlich erlebt hast, Hilde Domin!

Die Verse, die Du von ihr hier präsentiert hast, sind unglaublich poetisch und einfühlsam! Lieben Dank!

Dietlinde


Brita antwortete am 27.07.01 (21:17):

Klage

Uns ist kein Sein vergönnt. Wir sind nur Strom,
Wir fließen willig allen Formen ein:
Dem Tag, der Nacht, der Höhle und dem Dom,
Wir gehn hindurch, uns treibt der Durst nach Sein.

So füllen Form um Form wir ohne Rast,
Und keine wird zur Heimat uns, zum Glück, zur Not,
Stets sind wir unterwegs, stets sind wir Gast,
Uns ruft nicht Feld noch Pflug, uns wächst kein Brot.

Wir wissen nicht, wie Gott es mit uns meint,
Er spielt mit uns, dem Ton in seiner Hand,
Der stumm und bildsam ist, nicht lacht noch weint,
Der wohl geknetet wird, doch nie gebrannt.

Einmal zu Stein erstarren! Einmal dauern!
Danach ist unsre Sehnsucht ewig rege,
Und bleibt doch ewig nur ein banges Schauern,
Und wird doch nie zur Rast auf unsrem Wege.

Hermann Hesse


Dietlinde antwortete am 28.07.01 (13:43):



Aufforderung

Bei meinem ersten Aufenthalt
in der Wüste
kamen Gärten
mit Blütenmeeren,
Regengüssen,
Geheimnissen der Vegetation zu mir.

Nichts konnte ihnen antworten.

Hole was du brauchst
aus der Luft, hörte ich,
ergreife den Augenblick im Flug.

In den Nerven begann das Licht.

- Walter Helmut Fritz -
(Aus: Mit einer Feder aus den
Flügeln des Ikarus)


Dietlinde antwortete am 28.07.01 (19:32):





Rosa Hortensie

Wer nahm das Rosa an? Wer wusste auch,
dass es sich sammelte in diesen Dolden?
Wie Dinge unter Gold, die sich entgolden,
entröten sie sich sanft, wie im Gebrauch.

Dass sie für solches Rosa nichts verlangen.
Bleibt es für sie und lächelt aus der Luft?
Sind Engel da, es zärtlich zu empfangen,
wenn es vergeht, grossmütig wie ein Duft?

Oder vielleicht auch geben sie es preis,
damit es nie erführe vom Verblühn.
Doch unter diesem Rosa hat ein Grün
gehorcht, das jetzt verwelkt und alles weiss.

Rainer Maria Rilke


Dietlinde antwortete am 29.07.01 (09:52):





Römische Fontäne
Borghese

Zwei Becken, eins das andre übersteigend
aus einem alten runden Marmorrand,
und aus dem oberen Wasser leis sich neigend
zum Wasser, welches unten wartend stand,

dem leise redenden entgegenschweigend
und heimlich, gleichsam in der hohlen Hand,
ihm Himmel hinter Grün und Dunkel zeigend
wie einen unbekannten Gegenstand;

sich selber ruhig in der schönen Schale
verbreitend ohne Heimweh, Kreis aus Kreis,
nur manchmal träumerisch und tropfenweis
sich niederlassend an den Moosbehängen

zum letzten Spiegel, der sein Becken leis
von unten lächeln macht mit Übergängen.

Rainer Maria Rilke


Ich spüre hautnah die Erfrischung!


sieghard antwortete am 29.07.01 (12:06):


Springquell

Es steigt der Quelle reicher Strahl
Und sinkt in eine schlanke Schal'.
Das dunkle Wasser überfließt
Und sich in eine Muschel gießt.
Es überströmt die Muschel dann
Und füllt ein Marmorbecken an.
Ein jedes nimmt und gibt zugleich
Und allesammen bleiben reich,
Und ob's auf allen Stufen quillt,
So bleibt die Ruhe doch im Bild.


Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898)

.


Herbertkarl Huether antwortete am 29.07.01 (14:13):


haerte

leg die harschen runden des erdachten
links hinter deinem haupte ab
und geh einen schritt des weges
gemeinsam mit mir

ich lasse dich vorbei an meinen gestaden
der absoluten unvernunft
die lachend du meintest
mir schon wieder nehmen zu koennen

doch ich widerspreche dem allgemeinem
in mir mit scharfen worten
des protestes

lass mich in ruhe mit deinen gedanken
die zu erlangen
du nicht faehig erscheinst

nimm niemals den selben weg zweimal
sondern loese die angst auf abstrusen wegen
ohne meine hilfe

ich schaue dann mal an dir vorbei
ob zu helfen ich ein anrecht haette
denn so hart
wie die sachen dich geben
bist du wieder auch nicht

unzaehlige male
sah ich dich
auf dem ruecken liegend
und gluecklich warst du dabei keinesfalls


vergiss nicht meine weissagungen
die ich herablassend in deine haende warf


wir sehen uns wieder
und wieder
und wieder
wer weiss wie lange schon

kein trennendes wo ich dich begleite
ohne dass du mich verlangst

hkh