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THEMA:   Brecht-Gedicht gesucht...

 8 Antwort(en).

iustitia begann die Diskussion am 22.11.04 (11:59) :

Hoffentlich kann mir jemand helfen.
Ein Freund sucht:
Es soll ein Brecht geben, das - im Englischen - etwa so anfängt:

Oh. In my youth
The springtimes were better than they are today.
The girls were prettier too
It's the last bit that pleases us old'uns.
....
*
Das wäre - deutsch - ja etwa so:

Ach, in meinen Jugend
War der Frühling schöner doch als heute.
???
*
Kennt das jemand, in den Anthologien mit Altersgedichten finde ich diesen Brecht-Text nicht.
Und fünf Bände Brecht "Gedichte" (aus der neuen Berliner/Frankfurter Ausgabe) habe ich nicht.


Enigma antwortete am 22.11.04 (12:47):

Hallo iustitia,

es heisst:

"Ach, in meinen Jugendjahren
war der Frühling schöner noch als heut.
Daß die Mädchen schöner waren,
ist das letzte, was uns Alte freut."

Gruss Enigma


iustitia antwortete am 23.11.04 (10:11):

Ja, danke, Enigma - das Gedicht vom jungen B.B. ist noch länger und noch wichtiger als ich dachte:
Es lautet ganz, so:

Bertolt Brecht: DER ALTE MANN IM FRÜHLING

Ach, in meinen Jugendjahren
War der Frühling schöner noch als heut.
Daß die schönen Mädchen schöner waren
Ist das letzte, was uns Alte freut.

Deine Mutter sagt es auch seit Jahren
Alter macht das Urteil erst gescheit.
Denn wir Alten haben viel erfahren:
Aber dieses war die schönste Zeit.

Daß die Wiesen nicht und nicht die Ähren
Wie dereinst so golden und so grün
Muß wohl sein; denn wenn sie noch so wären
Könnt ich doch nie mehr zu ihnen hin.

Aber daß die Sonne immer kälter
Wo sie doch dereinst so herrlich war -
Ist nicht gut, denn wird man merklich älter
Liebt man Sonne mehr mit jedem Jahr.

Und Gedichte, Liebende und Leben
Ist nun anders als es früher war -
Und nur wir sind immer gleiich geblieben.
Denn man haßt die Änderung im grauen Haar.
*
(Vor 1926 geschrieben. Wie alt Brecht da war, kann man nachrechnen. Aus: B.B.: Werke Bd. 8. Gedichte 1. 1968. S. 50f.)
*
Was Brecht hier vermag, ist ein psychologisches, ein kleine prophetisches Wunder: Er kann sich im Rollnetausch und in psychischer Empathie schon im Alter von etwa 25 Jahren in einen alternden, einen gealterten Menschen versetzen, ohne ihn und seiner Frühlingswünschen und Glücksbedürftigkeit zu verletzen.
*
�Ach, in meinen Jugendjahren
War der Frühling schöner noch als heut.
Daß die schönen Mädchen schöner waren
Ist das letzte, was uns Alte freut.�
**
Weil auch hier im ST manundfrau so oft lesen muss: "Früher war alles besser...!" Als ich noch jung war..., als der Staat noch ....- als die Wunder noch blühten..!" - Ja, wie war es, bzw. ER, der sich da beschwert damals? Ja, da waren die Mädchen noch gesünder... (Ja? Was und wie? Sie waren damals auch abhängig von den Männern - zuerst von dem Vater; und dann von denen des neuen Mannes, für den der Vater sich stark machte; und die Frauen waren abhängig von d e r e n Glücksvorstellungen für sich selber; meist bedingt durch die biologischen Bedürfnisse, die so stark und militärisch taten, und die Männerreligionen, die sich so glücklich taten in dem Marien-Bild der Bedürfnislosigkeit!)
*
URL - sie etwa von dem jungen, wilden B.B....:

Internet-Tipp: https://www.culture-universal.com/literature/brecht/brecht_bc.gif


carla antwortete am 23.11.04 (17:43):

Ich kannte dieses Brecht-Gedicht nicht. Ich schätze einige Brecht-Gedichte sehr, aber dieses hier gefällt mir nicht sonderlich: ich bin einfach inhaltlich nicht damit einverstanden; dann schon eher mit den Anmerkungen von iustitia.
Vor allem die Zeilen "daß die schönen Mädchen schöner waren, Ist das letzte, was und Alte freut" finde ich nicht richtig. Oder meint er damit nicht, daß die Alten sich bis zum Schluß darüber freuen, daß die Mädchen früher schöner waren? Meint er vielmehr,daß das ganz und gar nicht (ist das allerletzte) so ist? Glaube ich nicht..


iustitia antwortete am 24.11.04 (09:00):

Ja, carla -

Brecht - als junger Kerl - stellt "Alte" vor - und vielleicht will er sich selber im Alter mal davor hüten, obwohl das nur schwerlich gelungen ist - s. Schüttes Film mit dem Bierbicherl als B.B. - dass sie so sehr nach "schönen Frauenbildern" gieren; anstatt z.B. glücklich und zufrieden sein zu können über ihre eigene geistige und soziale Entwicklung, wo die körperliche nun eben recht stark nachlässt. Und nur im typischen Pessismus die Rechthaberei und der Rückgriff auf früher einsetzte: Ja, damals, da war ich... - ein junger Gott!
Als aber ja auch die jungen, hübschen Frauen sich lieber für die damalig jungen, attraktiven Männer interessierten.


mart antwortete am 24.11.04 (11:12):

Brecht und die Frauen, Brecht und seine Frauen sind natürlich ein eigenes Kapitel. Wie ausführlichst dokumentiert haben Frauen für sein literarisches Werk eine überragende Bedeutung, aber auch sein machohafter Umgang mit ihnen.


Brecht konnte in seiner Jugendzeit in Augsburg genügend sexuelle Erfahrungen sammeln, sodaß er bereits als Junger aus dem Blickwinkel eines Alten sentimentalst zurückschauen konnte.


"Was brauchen den Dirnen die Stirnen breit sein

Viel besser, die Hüften sind breit.

Es kommt mehr heraus, und es geht mehr hinein

Und das fördert die Seligkeit."

(Brecht: Gedichte über die Liebe)

Internet-Tipp: https://www.anarchismus.at/txt1/brecht.htm


Vorlesefunktion  iustitia antwortete am 26.11.04 (10:24):

Ja - mart -
Danke für die Seite mit den vielen Einzelheiten über Brecht als bösen Mann - und seine Frauen - als gute Frauen!
Das haben diese Schuldzuweisungen an sich: Was Brecht schreibt, sei männlich-domnimierend; was die Frauen, die mit ihm, für ihn, auch bezahlt und geliebt oder gelobt oder gefeuert wurden, weiblich, weise, gut.
So stimmen aber die Rollenzuweisungen nicht: B.B. hat diese Texte (Gedicht oder Stücke wie von der "Courage") als gesamte Handlung zu verantworten. Die vielen Männerfiguren, Krieger, Verführer oder politisch Korrupten werden karikiert, ironisch bis satirisch abgehandelt, ins Unrecht gesetzt - das hat Brecht als Theatermann vorgemacht und wird heute wieder geleugnet. Übrigens auch die kirchlichen Gewaltherrscher, die glaubten, ihrem Gott zu dienen und nur der Fratze eines gewalttätigen Kriegsgottes ihre Opfer brachten, nämlich an den Unerfahrenen, Untergebenen, an den zum Kampf Dressierten, an den Frauen, an den Müttern.
Wer hat wohl noch im 1. Weltkrieg von den Schlachtfeldern geschrieben und so das Gedicht beschlossen:
"Nur die Mütter weinten
Hüben und drüben." (In: "Moderne Legenden")
*
Auch die Weihnachtsberichte in Gedichten oder in der Erzählung "Das Paket des lieben Gottes" zeigen, dass B.B. die Erlösungs- und Kindleinsgeschichten nicht für einen klingelnden, beweihräucherten Mythos, für zwei oder drei Tage dauernd hielt, sondern in ihnen die Sehnsucht der Geschundenen und Abhängigen nach Licht, Leben, Freiheit und Glück gestaltete.
Ja, B.B. zeigte, dass die Gewaltherrscher, samt Bischöfen und Päpsten, nicht einem Gott dienten, sondern ihrem eigenen, gewissenlosen, herrschaftlich-gewalttätigen Bild von einem "Gott", dem - um Siege über andere Ethnien, Klassen oder Nationen oder Kapitalgewinnen durch Soldaten und Henker und rechtlos Schuftende zu erringen - die Geschundenen geopfert werden konnten. Pech! wer unten oder auf der falschen Seite der Geschichte war.
*
Alle Frauen aus Brechts Umkreis haben die gute, kreativen Zeiten genossen; niemand hat sich beschwert, wenn es auch in der Liebe klappte (was immer ein Risiko und ein Spiel ist); alle haben frei und freiwillig ihm oder für die gemeinsame Arbeit in den Stücken oder Projekten gelebt. Die Weigel war die Stärkste.
Die Ruth Berlau war, nachdem sie B.B in Dänemark und in den ersten Zeiten des Exils sehr stark und erfolgreich geholfen hat, psychisch sehr früh derangiert. (Und als Alkoholikern hätte sie Recht auf psychologische Hilfe gehabt, ja; aber das von B.B. zu verlangen und ihn vor den anderen Frauen herauszufordern oder herabzusetzen, je nach Laune, ist typisch für zickig-unattraktives Verhalten; bis zur nächsten Nüchternheit und zur nächsten Verzweiflung. Aber B.B. hat sie nicht weggeschickt. Nur: Sie fühlte sich nicht krank und stellte nur ihre Forderungen. Da gibt es dumm-dreiste Einzelheiten aus den (noch unveröffentlichten) Briefen an B.B., die nur unverschämt, hilflos, depressiv-erpresserisch sind, eben pathologisch.
*
M I C H interessieren in erster Linie nicht die privaten Liebesgeschichten von Homer über Goethe bis Brecht. Sie haben als Künstler ihre Texte überliefert, nicht ihre Privatpersonen; das machen dann immer voyeuristiode finanziell Interessierte, denen das Werk nicht wichtig ist - oder weil sie sich nicht mit dem auseinandersetzen wollen. Oder - hier z.B. den "Marxisten", der B.B. nie war - einfach mit der Epoche des Marxismus abgewirtschaftet sehen wollen.
B.B. war Materialist - und zwar ein sinnlicher, politisch wahrlich ein Prophet. Aber das ist häufig peinlich einzusehen.
*
Bei Homer ist es am schön-besten: Da weiß man nur, dass er blind war; wenn nicht auch das noch eine Metapher ist dafür, dass er nichts Unnötig-Zufälliges sehen wollte, sondern nur seinen Epen und ihrem Geist lebte. (Ganz sicherlich: von Frauen umhegt und gepflegt und psychisch gestärkt, von Musen.)


Vorlesefunktion  Enigma antwortete am 26.11.04 (12:29):

Auch ich bin nicht ganz einverstanden mit einer - wie ich finde - sehr einseitigen Darstellung des Verhältnisses von Brecht zu den verschiedenen Frauen, die ihn in Lebensphasen oder auch nur für kurze Zeit beglt haben. Ähnlich ist ja z.B. das Verhalten Picasso`s beschrieben worden; ich erinnere mich, dass er sogar als "Ungeheuer" im Umgang mit Frauen beurteilt wurde, jedenfalls in manchen Abhandlungen.
Aber da frage ich mich, wer die Frauen denn zu der Übernahme solcher Rollen gezwungen hat? Sie sind ihnen sicher nicht aufgezwungen, sondern allenfalls von ihnen akzeptiert worden. Und die Motive der Frauen kann ich leider nicht nur in uneigennützigen Gefühlen, sondern oft auch in ganz handfesten Interessen erkennen, wie etwa, dass von dem dem "Glanz des Genies" ja immer etwas für die "Vertrauten" abstrahlt, oder auch der höhere soziale Status, den sie durch solche Beziehungen gewinnen konnten.

Sicher haben die Geschlechterrollen auch immer mit tradierten Normen zu tun, aber wirklich selbständige Frauen haben auch in der Vergangenheit gezeigt, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen und auch Partner selbst wählen - und auch wieder verlassen - konnten (she. z.B. George Sand). Aber ist da nicht viel sachlicher geschildert worden, dass sie ihren Mann, Alfred de Musset oder vielleicht auch Chopin verlassen hat?
Sie und auch andere haben sich eben nicht "als Opfer angeboten!"


Vorlesefunktion  iustitia antwortete am 29.11.04 (10:17):

Ein schönes Beispiel für die Entstehung von Brecht-Texten, auch im Zusammenspiel von Brecht als Schreiber und einigen Frauen, die mit ihm lebten, mit ihm und für ihn arbeiteten, ist die Parabel �Fahrend in einem bequemen Wagen� (1937).
Hier wird aus einem gemeinsamen Erlebnis, in dem Brecht und Berlau unterschiedlicher Meinung sind, ein Text, der dieses wenig solidarische Verhalten des �Meisters� (also auch jeden Mesnchen, der über sich selber nachdenkt) kritisiert, ein allgemeiner Text über die unterlassene Hilfe in vielen Situationen, Gefahren oder Chancen...

B.Brecht:
Fahrend in einem bequemen Wagen

Auf einer regnerischen Landstraße
Sahen wir einen zerlumpten Menschen bei Nachtanbruch
Der uns winkte, ihn mitzunehmen, sich tief verbeugend.
Wir hatten ein Dach und wir hatten Platz und wir fuhren vorüber
Und wir hörten mich sagen, mit einer grämlichen Stimme: nein
Wir können niemand mitnehmen.
Wir waren schon weit voraus, einen Tagesmarsch vielleicht
Als ich plötzlich erschrak über diese meine Stimme
Dies mein Verhalten und diese
Ganze Welt.

(B.B.:Bd. 14. S. 363)
*
Anm. des Herausgebers der �Berliner und Frankurter Ausgabe� der Werke Brecht. 1993:
zu: �Fahrend in einem bequemen Wagen� (T: Typoskript. E: 1937):
Das Gedicht geht auf ein authentisches Ereignis in Brechts Exilzeit zurück. Ruth Berlau fährt 1937 mit Brecht in Dänemark in ihrem Auto, als jemand mitgenommen werden will.,, Ruth Berlau will anhalten, Brecht jedoch sagt: �Nein, wir können niemand mitnehmen�. Berlau kommentiert mit �Scheußlich!�, fährt aber weiter. Brecht verfaßt das Gedicht als Abbitte und schickt es seiner Freundin. Berlau moniert, daß er ihren Kommentar vergessen habe (Aufzeichnung Berlaus, Februar 1950; im Nachlaß Brechts).