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THEMA:   S p r a c h e - deutsch und russisch

 5 Antwort(en).

iustitia begann die Diskussion am 21.01.05 (16:06) :

Wladimir K a m i n e r berichtet in all seinen Büchern von der deutschen und russischen Gegenwart und ihrer Geschichte. In �Deutsch für Anfänger� erzählt er von seinen Anfängen als deutschsprachiger Autor und von Lesungen vor Jugendlichen, für die er ein Garant von Realität und sozialem Umgang in unserer Gesellschaft ist.
*
Wladimir Kaminer: Deutsch für Anfänger
(Erzählschluss)

Als ich 1990 nach Deutschland aufbrach, hatte ich nur einen alten russisch-deutschen Sprachführer aus der Bibliothek meiner Mutter dabei, extra für diesen Anlass enteignet. Das dünne Heft von 1957 bewies schon in den ersten Sätzen seine Nutzlosigkeit: �Wie komme ich zur Sowjetischen Botschaft?�, stand dort; und: �Ich muss dringend den sowjetischen Botschafter sprechen.� Die Sowjetische Botschaft stand nicht auf meiner Liste der Berliner Sehenswürdigkeiten, und der sowjetische Botschafter war der Letzte, den ich sprechen wollte. Meine Englischkenntnisse hatten sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf natürliche Weise aus dem Kopf verflüchtigt. Wer war noch mal Desmond gewesen, und als was hatte Molly gearbeitet? [Figuren aus dem Englischlehrbuch in Russland.]
Also fing ich in Berlin auf der Straße und in den Kneipen noch einmal von vorne an, die neue Sprache zu lernen. Später ging ich in einen Sprachkurs der Humboldt Universität. Schnell erkannte ich dort das System. Anders als in meiner Heimatsprache kann man im Deutschen alle Worte zusammensetzen, Substantive mit Adjektiven verbinden oder umgekehrt, man kann sogar neue Verben aus Substantiven ableiten. Dabei entstehen völlig neue Redewendungen, die aber vorn allen sofort verstanden werden. Anfangs experimentierte ich viel in der U-Bahn. Meine ersten Versuchskaninchen waren die Fahrausweiskontrolleure, die siech immer wieder gerne auf einen komplizierten Wortaustausch einließen. �Ihr Kurzstreckentarif ist nach einer Zwanzigminutenstrecke abgelaufen�, sagten sie zum Beispiel.
�Ich habe den Langstreckentarif nicht gefunden und wollte nur einmal kurzstrecken, habe aber die Ausstiegsgelegenheit leider verpasst�, antwortete ich.
�Die kommen wir für Sie organisieren�, meinten die Kontrolleure, �steigen Sie bitte mit aus.�
Mit oder aus? Aus oder mit? Ich war begeistert von der Flexibilität und Sensibilität dieser Sprache.
*
Forts. folgt.


 iustitia antwortete am 21.01.05 (16:08):

Kaminer (Forts.):

Später, als ich zu schreiben anfing, betitelte ich alle meine Geschichten, ja sogar Bücher mit diesen zusammengeklappten wunderbaren Weiten, die immer wieder neue Farben in die Sprache brachten. Die Russendisko zum Beispiel würde auf Russisch nur flach als �Russkaja Diskotheka� ausfallen. Und Militärmusik ist ebenfalls im Russischen nicht sagbar.
Inzwischen ist meine Bekanntschaft mit der deutschen Sprache dreizehn Jahre alt. Und ich weiß, dass das einst begehrte Englisch (�) bloß eine Entgleisung des Plattdeutschen ist. Meine Heimatsprache Russisch ist sehr bildhaft und ausdrucksreich, man kann im Russischen für alles dutzende von treffenden Wörtern finden, die aber hier im Westen keiner versteht. Im Deutschen reimt sich dafür alles auf den Endungen, wenn man nur will. Diese Sprache hat mit den Gleisen bis an den Horizont nichts zu tun, sie ist vielmehr eine Art Lego-Baukasten, in dem alle Teile zueinander passen. Was man daraus baut, ist jedem selbst überlassen. Neulich zum Beispiel zeigte meine Schwiegermutter, die kein Deutsch kann, unserer siebenjährigen Tochter ein Foto von mir mit der Bildunterschrift �Schriftsteller Kaminer� und fragte sie, was da steht. �Ist doch klar�, sagte Nicole, �Schriftsteller - das ist ein Teller mit Schrift.� Meine Schwiegermutter guckte sich daraufhin das Foto noch einmal genauer an, konnte aber nirgendwo einen Teller entdecken. Deutsch bleibt nach wie vor geheimnisvoll.
*(Aus: Wladimir Kaminer. Ich mache mir Sorgen, Mama. Goldmann MANHATTAN. 2004)
*
Kaminer versteht mehr von Sprache mitzuteilen als z.B. die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. � Aber leider wird er wohl nie einen Nobelpreis erhalten. Mal sehen, welche deutschen Preise er bekommt.
*
Über Kaminer - s. diese URL:

Internet-Tipp: www./seniorentreff/de/diskussion/archiv6/a712.html


 wanda antwortete am 22.01.05 (08:57):

Wir üben uns in kreativem Schreiben - eine Gruppe an der Uni - wenn es um Kurzgeschichten geht, wird immer Kaminer als Vorbild genommen, weil er in kurzen prägnanten Sätzen die Sache auf den Punkt bringt. Ich liebe den versteckten Humor.


 seewolf antwortete am 22.01.05 (11:56):

Mann - iustitia...

hattest Du "Friedfertigkeits-Wasser" getrunken vor dem Schreiben?

Danke für diesen Beitrag !


 iustitia antwortete am 22.01.05 (14:18):

Dank für Zustimmung; liegt ja an Kaminer - und dass ich sein Werk kenne; auch weil ich russische Literatur aller Zeiten mag.
Aber ich "trinke" nicht, auch nicht "vorher..." oder "nachher"; sondern dann, wenn es mir passt.
Ich reagiere auf Dumheiten kritisch oder satirisch, wie auch russische oder gute anderssprachige Autoren.

URL - mehr von Kaminer:
https://www.cicero.de/97.php?ress_id=7&item=421

Internet-Tipp: https://www.cicero.de/97.php?ress_id=7&item=421


 iustitia antwortete am 25.01.05 (11:20):

Kaminer:

Warum lächelt Putin nie?

https://www.cicero.de/97.php?ress_id=7&item=291

Internet-Tipp: https://www.cicero.de/97.php?ress_id=7&item=291