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THEMA:   "Ein schlimmer Tag für die Türkei"

 13 Antwort(en).

Medea. begann die Diskussion am 18.12.05 (19:06) :

war das Urteil von Camiel Eurlings, Türkeiberichterstatter des Europaparlaments, der zum ersten Prozeßtag des bekannten Schriftstellers Orhan Pamuk wegen "Beleidigung des Türkentums" nach Istanbul reiste. Nationalistische Demonstranten schmissen mit Eiern und brüllten "Verräter" und "Kollaborateur" als Pamuk den Gerichtssaal verließ - das Gericht hatte das Verfahren auf den 7. Februar vertagt, weil eine Stellungnahme vom Justizministerium noch nicht vorlag. Mit Spannung bleibt abzuwarten, wie sich die Regierung in Ankara verhalten wird.


 Literaturfreund antwortete am 19.12.05 (09:19):

Am Schicksal der Bücher und der Person Pamuks selbst wird sich viel entscheiden für die Zugehörigkeit der Türkei zum europäischen Kulturraum.
Er ist da ein Katalysator, dem wir helfen können, nicht nur durch Weitergabe von Sensationen, Diffamierungen und dummen Umständen.

Wir können z.B. den Koran in der Ausgabe von Khoury lesen (aus dem Patmos Verlag) - oder ihn als Weihnachtsgeschenk verbeiten.
*
Was von westlichen Regierungen, nicht nur der US-, an Folterungen, Lügen und Geheimorganisationen in Sachen Demütigungen, Körperverletzung, Tötung und allgemein Menschenrechtsverletzungen geboten wird, ist in meinen Augen übler, weil hier offizielle Regierungen und dreiste ministerielle Helfer, die weithin im Geheimen sich tummeln wollen, beteiligt sind, unter unser aller demokratischem Begriff.
... und ihre makabre Rechtfertigung...?
Eine Hysterie um den Begriff "Freiheit" als Geschäft; die als expansive Angstpsychose von "Erleuchteten" sich auswirkt.


 Karl antwortete am 19.12.05 (09:31):

Man stelle sich vor, jede Ansammlung von Rechtsradikalen, die einen Dichter niederschreien, würde als schwarzer Tag für Deutschland aufgewertet. Wir sollten das Augenmaß behalten.
Ich stimme Literaturfreund zu, an der offiziellen Behandlung des Falls Pamuk wird man messen müssen, ich bin gespannt.


 schorsch antwortete am 19.12.05 (10:09):

Eines jedenfalls zeigen jüngste und ältere Vorkommnisse in der Türkei schmerzlich auf: Sie ist noch eine Generation weit weg davon, in die EU aufgenommen zu werden....


 Marina antwortete am 19.12.05 (10:15):

Ja, Literaturfreund, du hast es auf den Punkt gebracht. Wir sollten gerade jetzt ganz besonders vorsichtig sein im Bewerten anderer Gesellschaften, wo rausgekommen ist, dass wir selber in der Sch. . . stecken durch unsere indirekte Beteiligung an CIA-Verschleppungen, Folter inclusive, Menschenrechtsverletzungen und sogar dem Irak-Krieg, von dem wir meinten, uns freisprechen zu können.


 Medea. antwortete am 19.12.05 (10:16):

Wie zu lesen und zu hören ist, hatte das türkische Justizministerium die seltene Möglichkeit, in den Verlauf eines juristischen Verfahrens einzugreifen, um diesen Prozeß zu stoppen, zumal die Regierung immer wieder beteuerte, daß sie mit der Anklage gegen Orhan Pamuk nicht einverstanden sei. Seine Äußerungen wären durch die Meinungsfreiheit gedeckt, nach denen 1 Million Armenier und ca. 30 000 Kurden getötet worden seien. Folglich hätte Justizminister Cemil Cicek die Genehmigung zum Prozeß verweigern können, was aber nicht geschah.
Pamuc erhält von vielen Seiten her Unterstützung, nicht nur die europäischen Beobachter, auch die Türken sehen gespannt nach Istanbul. Ich kann mir daher ebenfalls nicht vorstellen, daß das ohne Auswirkung auf die Regierung sein wird. Orhan Pamuk gilt als wichtigster zeitgenössischer Schriftsteller der Türkei.


 hugo1 antwortete am 19.12.05 (10:50):

hallo schorsch,,vor ca drei Generationen wurde die Europäische Gemeinschaftam 25. März 1957 in Rom von sechs Mitgliedsstaaten gegründet.
Zu der Zeit proklamierte die Türkei ein Ermächtigungsgesetz, um den wachsenden Widerstand auszuschalten, dafür wurde der zuständige Poliiker ( Adnan Menderes )am 17. September 1961 noch auf Imrali gehängt.. 1963 schloss die Türkei mit der damaligen EWG ein Assoziations-Abkommen ab. 1971 führten die Veränderungen an der Verfassung noch zu repressiven Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung. 1974 bestzten die Türken einen Teil Zyperns. 1980 gabs noch Miltärputsche, es wurden wichtige Reformen zu Demokratisierung des Landes durchgeführt, das Kriegsrecht sukzessive aufgehoben. 1983 das Verbot der kurdischen Sprache außer Kraft gesetzt. 1991 wurden Paragraphen aus dem Gesetzestext entfernt die kommunistischen und islamistischen Parteien das politische Handeln verboten. Unter Özal wurden die Mediengesetze des Landes liberalisiert und Private Fernsehsender zugelassen,,,
,,und genau zu dieser Zeit wurden plötzlich wir Ostdeutschen in die EU aufgenommen und die Polen Tschechen usw bald mit dazu. Da hatten die Türken schon einen viel gewaltigeren, steinigeren Weg aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurückgelegt. Uns Ostdeutschen fiel der EU-Beitritt nach der Wende förmlich in den Schoß, die Türken mussten und müssen ihn unter kompliziertesten Bedingungen erkämpfen.
Ja, und genau hier setzt meine Kritik an uns Deutschen an. Wir stellen Forderungen, zwingen zu Terminen drücken auf Vorbedingungen die wir selbts niemals bereit gewesen wären, zu erfüllen und durchzustehen. Die hundert Jahre Vorsprung an technischem Know How die Deutschland noch vor ca 40 Jahren hatte sind auf vielleicht 20 Jahre zusammengschmolzen und werden nach Beitritt der Türkei schnellestens auf unter 10 Jahre angeglichen sein. Was bilden wir uns eigentlich ein, wer wir sind. Anstatt zu helfen wo wir nur können (und wir könnten das auf vielen Gebieten) ziehen wir uns in eine Schmollecke zurück, nörgeln wo wir nur die kleinste Lücke sehen, stellen teilweise, fast unlösbare terminliche Forderungen und lassen unseren erhobenen Zeigefinger in einer Art Dauerstarre verharren. Steht uns das zu ? Ich würde allen Deutschen -besonders allen Ostdeutschen- raten, sich mit Großmannsansprüchen gegenüber anderen Beitrittskandidaten zrückzuhalten. Ich genieße die Vorzüge dieser Situation(Europa ohne Grenzen, eine Währung usw.)warum sollte ich es anderen nicht gönnen, also sollten wir unter die Arme greifen und nicht blockierend im Wege rumstehen.
Es sei denn, es nicht gewollt, aber dann sollten wir -verdammt nochmal- ehrlich genug sein und es offen heraus sagen und nicht auf dem Umweg "übertriebener Forderungen" nichtzuüberwindende Stolpersteine in den Weg legen.


 schorsch antwortete am 19.12.05 (17:42):

hugo1 könnte es sein, dass du vom wirklichen Thema ablenkst?
Du wirfst Ostdeutschland in die Waagschale und vernachlässigst, dass Ost- und Westdeutschland immer hin mal EIN Land waren, dessen Wiedervereinigung nur ein Frage der Zeit war. Das Wissen von Recht und Gesetz waren schon seit sehr langer Zeit grundlegende Bestandteile der Tradition.
Die Türkei aber schwankt seit vielen Jahrzehnten zwischen arabischem Feudalismus und Anlehnungen an westliche Begriffe. Im Moment schwankt sie doppelt: Die Fortschrittlichen nämlich nach dem Westen, die Rückständigen nach dem Östlichen, das weniger Wert auf Toleranz legt als auf traditionelle islamische Werte. Auch die Fortschrittlichsten in der Regierung beugen sich immer wieder diesen Traditionen. Und so lange das so ist, ist die Türkei noch nicht reif für uns.
Sorry, ich möchte es ihnen ja gönnen. Aber im Moment sind die Nachteile ihres Noch-nicht-dabei-Seins für uns kleiner als wenn wir uns vor lauter Kompromissen und Nachgeben selbst aufgeben würden.....


 majanna antwortete am 19.12.05 (17:56):

Was habt Ihr denn von Orhan Pamuk gelesen?

Ich las vor einiger Zeit: Rot ist mein Name".
anstelle einer eigenen langatmigen Rezension, folgenden Link

Internet-Tipp: https://www.br-online.de/kultur/literatur/lesezeichen/20020127/20020127_1.html


 Medea. antwortete am 19.12.05 (18:37):

Vor ein paar Tagen las ich einen recht interessanten Artikel über die türkischen Generäle, die sich trotz aller Reformen immer noch wie die wahren Herren im Lande fühlen. In der Tradition Ata Türks stehend äußern sie sich zu vielen Themen, die in einer Demokratie wohl Sache der Politik sein sollten. Sie erheben Anspruch auf ein überparteiliches Wächteramt über den Staat und es sei schon erstaunlich, wie sich Politiker im Umgang mit den Generälen verhielten. Als Beispiel erinnere ich mich, daß Ministerpräsident Erdogan die Wiedereinführung eines Modells ins Gespräch brachte, in dem junge Türken gegen Zahlung von mehreren tausend Euro den 18monatigen Wehrdienst auf eine lediglich mehrwöchige Grundausbildung reduzieren können. Eine sicher problematische Geschichte, auch und gerade wegen der Wehrgerechtigkeit, denn aus den wohlhabenden Familien könnten sich die Wehrpflichtigen freikaufen. Da ließen die Generäle verbreiten, daß die Armee eine negative Antwort geben werde, somit kam dieser Vorschlag gar nicht erst in die Diskussion.
Schon eine erstaunliche Sache: Generäle, die ihr Nein in aller Öffentlichkeit zu Vorschlägen einer Regierung abgeben
und wohl auch in der Lage sind, sich dann durchzusetzen, wenn sie es für nötig halten.


 hugo1 antwortete am 19.12.05 (19:55):

die Türken "Gottes Knüppel" oder "seine Strafe",
"Das türkische Heer ist das Heer des Teufels". (Martin Luther)
das Papsttum hat das letzte Jahrtausend seiner Geschichte mit der Lösung der Türkenfrage verbracht" (Kardinal Newmann 1854"
Die Belagerung Wiens durch die Osmanen, ein bleibender Grund zur Verteufelung dieser Spezies?

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/IO7KKPhiA


 Enigma antwortete am 20.12.05 (08:14):

Ich bin überzeugt davon, dass Pamuk freigesprochen wird.
Und ich bin auch überzeugt davon, dass die Türkei auf "dem richtigen Wege" ist, wenn der Weg auch lang und schwierig ist, wie hugo 1 schon dargestellt hat. Er läßt sich eben nicht mit dem eines anderen europäischen Landes vergleichen.

Im übrigen haben die Generäle die Möglichkeit des "Freikkaufens" von einem Teil des Wehrdienstes nicht verhindern können, denn ein Ex-Kollege hat davon Gebrauch gemacht. Wobei ich allerdings nicht genau weiß, ob diese Möglichkeit den Türken, die im Ausland lebten, vorbehalten blieb.


 Medea. antwortete am 20.12.05 (11:18):

Die Möglichkeit des Freikaufens von einem Teil des Wehrdienstes gab es bereits, muß dann wohl aber später gecancelt worden sein. Erdogan hatte in den vergangenen Tagen von einer 'Wiedereinführung' dieses Modells gesprochen. Dagegen hatten die Generäle Front gemacht.


 Enigma antwortete am 23.01.06 (08:53):

Na ja, nun ist er nicht gerade freigesprochen worden, weil der Prozess eingestellt wird.
Offenbar hat das Justizministerium sich für nicht entscheidungsbefugt erklärt.

Und das ist in meinen Augen auch ein Erfolg, selbst wenn man davon ausgeht, dass bei der türkischen Justiz nicht Einsicht, sondern wahrscheinlich eher die Reaktionen im Ausland die entscheidende Rolle gespielt haben.