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THEMA:   Wolfgang Borcher "Sag' nein"

 10 Antwort(en).

carla begann die Diskussion am 23.12.05 (11:53) :

Wolfgang Borchert (1921 - 1947)

Dann gibt es nur eins!

Du. Mann an der Maschine und Mann in der Werkstatt. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Wasserrohre und keine Kochtöpfe mehr machen, sondern Stahlhelme und Maschinengewehre, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mädchen hinterm Ladentisch und Mädchen im Büro. Wenn sie dir morgen befehlen,du sollst Granaten füllen und Zielfernrohre für Scharfschützengewehre montieren, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Besitzer der Fabrik. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst statt Puder und Kakao Schießpulver verkaufen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Dichter in deiner Stube.Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst keine Liebeslieder, du sollst Hasslieder singen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Arzt am Krankenbett. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst die Männer kriegstauglich schreiben, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pfarrer auf der Kanzel. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst den Mord segnen und den Krieg heilig sprechen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du.Kapitän auf dem Dampfer. Wenn sie dir morgen befehlen,du sollst keinen Weizen mehr fahren - sondern Kanonen und Panzer, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Pilot auf dem Flugfeld. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst Bomben und Phosphor über die Städte tragen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN! ...
Du. Richter im Talar. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst zum Kriegsgericht gehen, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mann auf dem Bahnhof. Wenn sie dir morgen befehlen, du sollst das Signal zur Abfahrt geben für den Munitionszug und für den Truppentransport, dann gibt es nur eins:
Sag NEIN!
Du. Mutter in der Normandie und Mutter in der Ukraine, du, Mutter in Frisko und London, du, am Hoangho und am Mississippi, du, Mutter in Neapel und Hamburg und Kairo und Oslo ... Mütter in der Welt, dann gibt es nur eins:
Sagt NEIN! Mütter, sagt NEIN!
Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, wenn IHR nicht nein sagt, Mütter, dann:
dann: ...
- eine schlammige dickbreiige Stille wird sich heranwälzen ... grausig und gierig, unaufhaltsam ... der Reis wird in der verdorrten Erde vertrocknen, die Kartoffel wird auf den brachliegenden Äckern erfrieren und die Kühe werden ihre totsteifen Beine wie umgekippte Melkschemel in den Himmel strecken ... Korn auf den Feldern wird neben verrosteten Pflügen hingesunken sein wie ein erschlagenes Heer und ...
dann wird der letzte Mensch, mit zerfetzten Gedärmen und gepesteter Lunge, antwortlos und einsam unter der giftig glühenden Sonne und unter wankenden Gestirnen umherirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, lästernd, klagend - und seine furchtbare Klage: WARUM? wird ungehört in der Steppe verrinnen, durch die geborstenen Ruinen wehen, versickern im Schutt der Kirchen, gegen Hochbunker klatschen, in Blutlachen fallen, ungehört, antwortlos ...
- all dieses wird eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht, wenn - wenn -
wenn ihr nicht NEIN sagt.
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Dieser Aufruf klingt ein wenig veraltet, inhaltlich jedoch finde ich, daß es auch heute noch genauso gilt wie damals.

Ein gutes Neues Jahr !
Carla

Internet-Tipp: https://shop.akela-kunze.de/Gedichte/Lieblingsgedichte/Lieblingsgedichte2/lieblingsgedichte2.html#borchert1


 wirbel antwortete am 24.12.05 (08:39):

Hallo Carla,
ich meine, diesen Aufruf sollte man jedem/jeder Bundestagsabgeordnete/n zum Weihnachtsfest schicken, da die
Bundeswehr ja eine "Abgeordneten-Armee" ist. Nur mit der Zustimmung des Bundestages kann die Bundeswehr in Auslandseinsätze geschickt werden.
Da der ehemalige Verteidigungsminister Struck ja Deutschland am Hindukusch verteidigen will, haben die Abgeordneten ( wie mir scheint, aus Unkenntnis , wo der Hindukusch ist) dem zugestimmt. Ich werde an meiner Maschine ganz bestimmt NEIN sagen, sollte je von mir verlangt werden Stahlhelme zu machen.
Ich habe so meine Zweifel, ob unsere gewählten Parlamentarier 1. im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, 2. mit Vorsatz und 3. aus freiem Willen und nur dem eigenen Gewissen verantwortlich dort zugestimmt haben.
Friedliche Feiertage
Wirbel


 schorsch antwortete am 24.12.05 (13:27):

@ wirbel: "...Da der ehemalige Verteidigungsminister Struck ja Deutschland am Hindukusch verteidigen will..."

Ich interpretiere Strucks Worte so: Wenn wir nicht fähig sind, die Probleme im Hindukusch und anderwo lösen zu helfen, müssen wir uns nicht verwundern, wenn diese Probleme zu uns exportiert werden....


 majanna antwortete am 25.12.05 (20:15):

Der Textinhalt ist ja - wie alle Texte Borcherts - eine Auseinandersetzung mit den Zwängen des Nationalsozialismus sein.

Aber wir können ihn wirklich auf heutige Verhältnisse umformen, wenn wir begreifen, dass er einen Aufrufcharakter zum zivilen Widerstand hat.
Und wenn Wirbel und Schorsch ihn auf andere , nämlich Politiker angewendet wissen wollen, kann ich durchaus auch persönliche Aufforderungen zum Neinsagen finden:
Sag nein, wenn Du in Bekanntenkreisen oder am Kaffehaustisch oder beim Heurigen plumpe Ausländerhetze hörst - macht ich meistens nicht um des lieben Friedens willen.

Sag nein, wenn Du unzulässig für jedwede sinnlose Aktivität eingespannt werden sollst - aus lauter Bequemlichkeit nehme ich jeden Werbezettel dankend entgegen ( und schmeiße in ungelesen ins nächste Abfallküberl.

Sag nein, wenn irgendwelche Werbeaktionen Dich als alten Menschen über den Tisch ziehen wollen - na ja, das schaffe ich schon meistens.


Marianne


 schorsch antwortete am 26.12.05 (10:06):

Sag nein, wenn dich die Jungen in den Abfalltopf schmeissen wollen, der mit "Alt = senil" angeschrieben ist.....


 Literaturfreund antwortete am 26.12.05 (20:34):

"Jungen" vorzuwerfen, sie würden "Abfalltöpfe" aufstellen - dazu hat auch Borchert gesagt: "Sag: NEIN!"
*
Dass sind ja Abgeordnete, Volksstatistiker, Rentenfachleute, Vertreter, Präsidenten, Staatsbeamtete, FDP-Agenten, Aktientreiber, Ackermänner, Werbefachleute und Kriegstreiber, Hindukusch-Verwalter, die "uns" (mich nicht; ich verbiete mir das hündisches Denken!) auf- und einreden, wir müssten "gewinnen", in der ganzen Welt Krieg führen, um "Krieg" zu verhindern - und dann kommt er (der "Verkriegte"!) aus einer Schweizer Ecke zu Weihnachten hierhin "angekriegt", äh - angekrochen - und predigt in Parolen Krieg - gegen "Junge" (ach, es war ja nur "metaphorisch..."?? Aber es ist Missbrauch von Sprache; wenn einem bei Borcherts Humanismus nicht einfällt, dass man Gott nicht mehr als Kriegsgott missbrauchen darf und Steuergesetze, die den reichsten die Rettung ihrer Gelder in privatkassen aufzwingt – und so seine Altersweisheit – Solidar-Senilität - herausstellt!
Wer Hilfe (im Alterskrieg... - gegen wen?) braucht, redet ja anders, oder? Und der kriegt auch meine Hilfe. Egal wo! Wer daraus „Poesie“ drischt, kriegt verbale Prügel (wenn ich glaube, dass er das verkraften kann; obwohl's vielleicht nix mehr nützt)!
Ich bin jung genug, um zu sehen, wer von Partien, Investoren, Banken und "Alten" an Werbung, Generationen-Krieg und Altendaseins-Verdoofung und Renten-Beschiss verdient!
*
Ich arbeite jede Woche stundenweise in einer Gastkirche, die es seit dem15. Jh. gibt: für Arme, Kranke, Hilflose, Haschbrüder und -schwester, Brüder der Straße, Neurotisierte - und auch (einmal!) für einen Verhetzten, der die Lichter am Marienaltar dort ausspucken wollte.
Als er zu Recht gewiesen und der Kirche vertrieben werden sollte - habe ich ihn einfach gefragt: „Sie haben aber viel runterschlucken müssen, in ihren Leben…?“ Und er fühlte sich angesprochen. Und hat geweint.. – und nicht Politikphrasen ausgespuckt - überhaupt nicht mehr gespuckt!
*
Soviel - zur guten Weihnacht!

Die Gastkirche in Recklinghausen gehört - in alter Tradition - zur modernen "city-pastoral", der man von Hamburg bis Frankfurt finden kann, wenn man sie aufsuchen will.
*
Zur URL.:
Ein Bildchen einer bescheidenen Kirche, wo nicht gehetzt wird, nicht gegen "Berber", nicht gegen Spucker; nicht rhetorisch Krieg geführt wird; wo gerade bei den „Brüdern von der Straße“ (die am Heiligabend eingeladen waren) erlebbar wird, dass das Christentum erst als religiöses Angebot anfangen kann, wenn man die Menschenrechte gelten lässt; überall.

(Sorry, schorsch! Wenn du dich jetzt persönlich getroffen fühlst, tut's mir Leid!)
*
Wer Borchert etwas angemessener verstehen möchte, kann ja bis zum 6. Januar „Die drei dunklen Könige“ zu verstehen versuchen.
*
Text:
https://www.tyskopgaver.dk/koenigetext.htm

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/zHNcLrizt


 schorsch antwortete am 27.12.05 (10:37):

Literaturfreund, warum sollte ich mich denn persönlich getroffen fühlen? Was du schreibst, kann ich ja vollumfänglich unterschreiben.


 Literaturfreund antwortete am 27.12.05 (11:31):

Danke, schorsch, für die gute Nachricht!

*

Hier ein prima Beispiel, wie ein piffige "Alte" einen alten Beamten nachweihnachtlich ein bisschen ärgert:

Touché in der taz 27.12.2005..:

Internet-Tipp: https://www.taz.de/pt/.nf/gif.t,tom.d,1135681200


 schorsch antwortete am 27.12.05 (17:40):

Was nach dem Anklicken auf dem Bildschirm erschien:

Ungueltiger Zugriff
Tschüss


 majanna antwortete am 27.12.05 (18:07):

Bei mir auch, Schorsch!


 Literaturfreund antwortete am 27.12.05 (23:09):

Ja, vergebens...! Tut mir Leid.
Aber bei der "taz" muss ich nächstens einen anderen Weg angeben, dass man vom Titelbild ausgehend zu Touché Karikatur gelangt.
Heute Abend aber ist schon die heutige Ausgabe geschlossen.


*
Als Ausgleich...?
...wie ein noch sehr junger Kritiker, Heiko Sakurai, der auch für die WAZ zeichnet, die ökonomische Situation der Großen Weihnachtsleute-Koalition sieht:

Internet-Tipp: https://www.cicero.de/pic_gal/1135348450.gif