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THEMA:   Über Tucholsky...

 15 Antwort(en).

Literaturfreund begann die Diskussion am 24.01.06 (14:33) :

Über Tucholsky….
Anekdoten, die an Kurt Tucholsky (9.1.1890 – 21.12.1935) erinnern:

... Hinweise, Erinnerungen und Ergänzungen willkommen...!

Kurt Tucholsky behauptete einmal, Frauen könnten, keinen Brief ohne PS schreiben. Schon am nächsten. Tag erhielt er von seiner Geliebten Lisa Matthias, dem �Lottchen�, einen energischen Brief, der mit den Worten schloß: �Ich hoffe, Du bist nun überzeugt, daß wir Frauen durchaus anders sind, als Du glaubst. Hier ist: der Beweis! Dein Lottchen.�
Darunter stand:
�PS. Wer hat nun recht, Du oder ich?�
(Ja, über Tucholkys Lottchen gibt es noch mehr zu berichte; gerade ja auch aus ihrer eignen Aufzeichnungen; daraus später…!)
*

Ein häufiges Problem, mit dem sich Redakteure herumschlagen: Raumnot…! Weil Redakteure oder Mitarbeite zu viel, zu viele Zeilen schreiben (nach denen sie ja honoriert werden) - Raumnot ist das Problem vieler erfolgreicher Zeitschrift.
Nach dem Tod Siegfried Jacobsohns übernahm Kurt Tucholsky vorübergehend die Leitung der Zeitschrift „Weltbühne“.
Willi Fehse, ein Erzähler, der später mit Anthologien und einer Dichteranekdotensammlung bekannt wurde, hatte gerade als Journalist begonnen und entwickelte vor seinem Chef Tucholsky die Idee für einen Artikel!.
�Gut�, sagte der schließlich, �das werden wir bringen.�
�Und wieviel darf ich schreiben?�
Tucholsky, großzügig: �Die Hälfte!�

*
Seine mitunter reckt bissigen Bonmots verstreute Tucholsky in alle Richtungen, er verschonte dabei auch nicht die Sozialdemokraten. Die SPD bezeichnete er als Radieschen: „außen rot, innen weiß.“

Als ein Fachmann sich damit brüstete, er kenne sich genau aus, denn er mache eine bestimmte Sache schon seit zwanzig Jahren so und nicht anders, bemerkte Tucholsky skeptisch: �Man kann eine Sache auch zwanzig Jahre lang falsch machen.�

�Wer in der Öffentlichkeit Kegel schiebt�, so lautete Tucholskys Journalistenmoral (auch in eigener Sache), �muß sich von jedem sagen lassen, wieviel Punkte er geworfen hat." - Oberflächliche, dumme oder bösartige Kritik, fand Tucho, sei folglich schweigend zu quittieren. - Dass er sich mit anderen, besonders militaristischen, nationalistischen, ausbeuterischen oder judenfeindlichen Verhältnissen oder Argumenten auseinandersetzte, war natürlich ein Teil seines publizistischen Lebens.

*
Tucholsky glossierte einmal die Unsitte vieler Redner, sich in Einleitungsphrasen zu erschöpfen, bevor sie zur Sache kommen: �Fang nie mit dem Anfang an, sondern immer drei Meilen vor dem Anfang! Etwa so: „Meine Damen und Herren! Bevor ich zum Thema des heutigen Abends komme, lassen Sie mich Ihnen kurz …“


 eleisa antwortete am 24.01.06 (19:01):

Im Restaurant

Bringen Sie mir eine Portion Zahnstocher sowie das Adressenbuch.
Das ist nicht mein Revier.
Meine Frau wünscht einen Wiener Schnitzer; ich habe Zitronenschleim gewählt.
Das ist nicht mein Revier.
Bringen Sie mir einen kokainfreien Kaffee.
Wir haben in Amerika die Verhinderung; bringen Sie mir daher eine
Flasche eisgekühlten Burgunders, auch drei Gläser Whisky mit Gin sowie kein
Selterwasser .
Das ist nicht mein Revier.

Kurt Tucholsky


 Enigma antwortete am 25.01.06 (07:47):

"ALLES VERGÄNGLICHE IST NUR EIN GLEICHNIS"

Das steht auf der Grabplatte von Tucholsky auf dem Friedhof Mariefred.
Aber, obwohl eine "gute Friedhofsgängerin", war ich noch nicht da. :-))
Aber was nicht ist, kann ja noch werden!

Ein Foto von seinem Grab - she. Internet-Tipp!

Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/hintergrund/tucholsky-grab-h.htm


 Literaturfreund antwortete am 25.01.06 (14:22):

Erinnerungen an Kurt Tucholsky

Tucholsky stand neben vielen anderen demokratischen Politikern, Denkern, Dichtern und anderen Künstlern in der vordersten, gefährdeten Reihe der Verteidiger der Weimarer Demokratie.
Eine der brutalsten Drohungen, von denen Tucholsky je erfuhr, stand am 25. April 1925 im �Göttinger Tageblatt�,
„Es hat sich bis auf heute niemand gefunden, der dem Burschen den Davidstern mit der Reitpeitsche ins Gesicht gezeichnet hätte.“
*

Für heute aber erst mal freundliche, positive Erinnerungen an "Tucho":

Herbert Ihering (1920):
"Jede Zeit hat den Satiriker, den sie verdient. Daß das nachrevolutionäre Berlin Kurt Tucholsky zustimmt, spricht - trotz allem anderen - für dieses Berlin und • für diese Zeit. Kurt Tucholsky besitzt Leidenschaft, Kühle, Pathos, Ironie, Haß und Witz. Und das beste ist. daß seine Leidenschaft sich am unmittelbarsten im Witz, sein Pathos sich am elementarsten in der Ironie überträgt. Tucholskys Formulierungstalent ist außerordentlich. Aber die Pointe selbst, ihre Zuspitzung, ihre refrainhafte, leitmotivische Wiederholung ist nicht das Wesentliche. Das Wesentliche ist der ethische Wille, der dahinter steht."
*

Max Herrmann-Neiße (1932):
"Tucholsky ist unter den linken Literaten, um einmal diese saloppe Bezeichnung zu gebrauchen, einer der leider seltenen Fortschrittsfreunde und revolutionären Streiter, fiür die der Begriff Freiheit noch etwas Verehrungswürdiges, Erkämpfenswertes, Lebenswichtiges ist, etwas, das alle Parteirücksichten über den Haufen wirft. Für ihn ist die Freiheit eine unumgängliche Notwendigkeit, die einzige Atmosphäre, in der Menschen unserer Art zu atmen vermögen. [...] Tucholskys Buch ('Lerne lachen, ohne zu weinen') ist gesegnet mit reellem, verantwortungsbewußtem, gepflegtem, großzügigem Humor. Sein Humor ist nicht gelegentliche gute Laune, sondern in Erfahrung, Skepsis, Kampfstimmung bewährtes, trotz Enttäuschung, Wut und Wunden bewahrtes Lebensreservoir."

Walter Mehring (1936)
"Jede Zeile, jede Polemik von Ihrer Hand war ein Brief, gerichtet an die heroischen Dummköpfe, die Gangster mit Gymnasialbildung und die Sonnewendpriester in Gesundheits-Wellersatz-Wäsche. Die Adressaten konnten nicht einmal mogeln, sie hätten das Schreiben nicht erhalten. Es traf sie mit tödlicher Sicherheit. Man hat Ihnen den Empfang: allseitig durch Ausbrüche zügellosen Hasses bestätigt."

Josef Halperin (1936):
"Kurt Tucholsky [...] war sehr gepflegt und sehr diszipliniert. Er wirkte als ein Mann von Welt. Er hätte als Botschafter ausgezeichnete Figur gemacht. Er repräsentierte nämlich, was er hatte: Geist. Er hatte noch mehr, er hatte Mut. Wie unbändig hat er gekämpft, wie hell klang seine Fanfare für die Unterdrückten, wie ungestüm griff er die Mächtigen an! [,..] Er geißelte Deutschland aus Liebe. Er nagelte den Kleinbürger fest, aus Grauen vor der menschlichen Dummheit. Sein Witz war aus Schmerz, seine Respektlosigkeit aus Verzweiflung geboren. Er kündete den Untergang, um ihn abzuwenden."
*
Wilhelm Herzog (1936):
"Wer war Kurt Tucholsky? Ein Schriftsteller von ungewöhnlicher Begabung; unerschöpflich an Hinfallen; ein kluger Humorist; ein Satiriker von Format und -ein Kämpfer für die ewigen Menschenrechte, deren Schicksal es ist, ewig mit Füßen getreten zu werden. [...] Er hatte; viele Verwandlungen durchgemacht. Auch er war durch viele Irrtümer, Fehler. Krankheiten hindurchgegangen. Aber dieser proteusartige Mensch trug in sich einen Reichtum an Bildung, Phantasie, kritischer Vernunft und überlegener Heiterkeit, daß seine Arbeiten Tausende und aber Tausende in ihrem Lebensmut stärkten, sie bereicherten, oft entzückten."
*
*
URL - als Ergänzung zu Enigmas Bild...
(Ich war auch noch nicht dort, in der Nähe von Hindas, seinem letzten Fluchtort.)

Internet-Tipp: https://www.strangnas.se/strangnas/startsidan/turism/tysk/kurtgrav.gif


 Literaturfreund antwortete am 25.01.06 (14:30):

Noch einige ehrende Erinnerungen:

Ernst Rowohlt (1948):
(Ansprache als posthume Ehrung)
"Sie waren für mich einer meiner liebsten Autoren. Wenige werden wissen, daß hinter Ihrer scharfen Feder und Ihrer unverwüstlichen Kampfeslust ein so warmblütiger und in jedem Sinne menschlicher Freund steckte. Jede Zeile, die ich von Ihnen gedruckt habe, war mir aus dem Herzen gesprochen!, denn Sie waren ein wirklicher Kämpfer gegen jegliche Reaktion, gegen jedem Blödsinn der Politiker und gegen jede spießige Gefühlsduselei und so recht ein Mann nach meinem Herzen. Sie, lieber Tucholsky, brauchten wir heute."
*
Willy Haas (1950)
"Er schrieb Betrachtungen, Gedichte, (Chansons, Glossen, Aphorismen ... manchmal war es, als reiße er sich ein Stück Fleisch aus der lebenden Brust, um das nackte Herz zu zeigen; manchmal lachte er, daß die Wände zu zittern schienen; manchmal weinte er, und manchmal dalberte er so einfach vor sich hin, wobei auch mancher blühende Unsinn herauskam.., aber er war immer da, ganz da."
*
Kurt Hiller (1968):
"Der Gesamt-Nation muß über Tucholsky gesagt werden, daß er die mit Seume, Borne, Heinrich Heine beginnende Reihe großer freiheitlicher Publizisten des deutschen Sprachbereichs, eine Reihe, welche ein halbes Jahrhundert lang unterbrochen war, neben und nach den Alfred Kerr, Theodor Wolff, Karl Kraus aufs Imponierendste fortgesetzt hat, insbesondere als Ignaz Wrobel. Kampftüchtig und ausdrucksgenial, an keine Partei gebunden, daher in sie alle hineinstrahlend und übrigens von toller Produktivität."
*
Thomas von Vegesack (1994)
"Ich kenne kaum einen anderen Schriftsteller, der sich - bei aller Sympathie für einige - so konsequent geweigert hat, sich den Ideologien seiner Zeit unterzuordnen. Und wenige haben wie er die Vermessenheit der Intellektuellen durchschaut. Anspruch auf eine führende Position im Gesellschaftsleben zu erheben. Tucholskys Schweigen wurde oft als eine Kapitulation und sein Selbstmord als eine Niederlage aufgefaßt. Aber das Schweigen war zeitbedingt und nicht endgültig. Und wir werden nie mit Sicherheit erfahren, ob Tucholsky sich wirklich das Leben genommen hat. Was nicht gestorben ist und was nicht schweigt, sind die Texte von Tucholsky. Es ist kaum eine Übertreibung zu behaupten, daß sie heute, wo der Faschismus von neuem in einer europäischen Regierung vertreten ist und die Kriegshysterie wieder auf unserem Kontinent wütet, größere Aktualität besitzen als seit langem."

*
Zur URL.:
Wo ist diese Tafel angebracht, die auf der webseite als originelle Übung für Tempora angeboten wird...?

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/xVU60gpzx


 Literaturfreund antwortete am 25.01.06 (17:53):

Über den bösen un-deutschen Tucholsky:
Ein Mann, der in der Nazizeit als Literaturhistoriker galt, Joseph Nadler, schrieb in seiner “Literaturgeschichte des Deutschen Volkes“. Bd. IV. 1941. S. 229:

"Kurt Tucholsky aus Berlin ist diese ganze Welt des Teufels inbegrifflich. [. ..] Keiner der jüdischen Literaten jener Jahre hat eine Breitenwirkung erzielt wie Tucholsky Keiner der jüdischen Literaten hat eine Breitenwirkung erzielt wie Tucholsky als regelmäßiger Artikelschreiber der „Vossischen Zeitung“ und der „Weltbühne“. In seinem Häuschen am Wettersee ha er ich 1936 vergiftet, wie man sagt, weil er die Wende von 1933 nicht ertragen konnte. Tucholsky hat, gleich all diesen Juden, das Berliner Leben zum Sprechen getroffen. Chanson und Couplet waren die Formen, die er unnachahmlich beherrschte. Hämisch nachäffen war sei Stil. Von den Entleerungen dieses Mannes über das Volksbewusstsein der anderen kann nur das am ehesten noch Mögliche angeführt werden. „Die Nation ist de Abfalleimer aller Gefühle, die man anderswo nicht unterbringen kann.“ Kurt Tucholsky konnte 1927 im 26. Heft der „Weltbühne“ ungeschoren den Satz niederdrucken: „Man muß sich abgewöhnen, mit geringschätzigem Lächeln von de Tätigkeit eines zu reden, dessen Ziele unsittlich erscheinen oder sind. Zum Einbruch gehört eine Summe von Geschicklichkeit, Mut, Umsicht und Lebenskraft – zur Kriegsführung auch – zum Mädchenhandel auch“. Die deutschen Kriegsfreiwilligen sind „für den Dreck gefallen“. „Was Schlageter angeht, so haben sie – die französischen Kriegsgerichte – recht getan“. Kein Volk dieser Erde ist jemals in seiner eigenen Sprache so geschmäht worden wie das deutsche durch Tucholsky.
Von Walter Rathenau bis Kurt Tucholsky, das ist der Geist eines Zeitalters und einer Stadt. Das war das eine Berlin. Man muß den ganzen Apparat mitdenken, Hunderte von Zeitungen und Zeitschriften, Dutzende von Bühnen und Tingeltangeln, mächtige Verlagshäuser, Buchhandlungen und Kunstläden, und dieser ganze gewaltige Apparat eingesetzt zur inneren Zerstörung eines Volkes, das, von einer ganzen Welt auf das eine Knie gerungen, sich der Geier kaum erwehren konnte. Diese ganze Literatur ist keine künstlerische Angelegenheit. Sie ist der urkundliche Ausweis für ein geschichtliches Unterfangen von bestürzendem Ausmaß: gewaltsame geistige und seelische Umartung des deutschen Volkes. Diese allgemeine Perversion eines ganzen Volkes durch eine ihm fremde Literatur, war das berechnete Unternehmen des Judentums, die deutsche Seele in seine Hörigkeit zu zwingen und das deutsche Volk zum Träger der Weltrevolution, zum Werkzeug und Vollstrecker des jüdischen Messiasgedankens zu machen. Es war ein Schauspiel in seinem Umfange und in seinen Einzelheiten, dass nur Griffel und Pinsel eines jüdischen Apokalyptikers seinen Szenen gewachsen waren. George Groß, das ist der Maler dieses jüdisch-deutschen Blocksbergs."

**
Als die Schlageter-Reminiszenz geschrieben und gedruckt wurde von Nadler, konnte man in Deutschland schon nicht mehr nachlesen, was Tucho wirklich darüber geschrieben hatte:
„…und im übrigen ist Militärjustiz in allen Fällen vom Übel: nicht nur, weil sie vom Militär kommt, sondern weil sie sich als Justiz gibt, was sie niemals sein kann.“(Nachlesbar in K.T.: Werke. 1o Bde. Texte 1925; Bd. 4.S.256)
*
Joseph Nadler hat als einer der "Blut und Boden"-Germanisten Einzug in die Geschichte der Literaturschreibung gehalten. Nach 45 ließ er sich als missverstandener Universitätsprofessor darstellen. Er sei ja für „Rassenmischung“ gewesen… (Was er unternommen hätte, wenn die Hitlerei militärtechnisch gesiegt hätte, braucht man nicht zu fragen.)
*
Über Nadler:

Internet-Tipp: https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_Nadler


 Enigma antwortete am 25.01.06 (20:25):

Die Kurt-Tucholsky-Gesamtschule in Minden hat eine schöne Seite ins Netz gestellt - she. Internet-Tipp!

Ein Beitrag daraus nachfolgend:

"Tucholskys Pseudonyme
Um Tucholskys Pseudonyme zu charakterisieren lässt man am besten ihn selbst sprechen. Im Vorwort zu einer Sammlung von Aufsätzen und Schriften, die 1928 bei Rowohlt unter dem Titel: "Mit 5PS" erscheint schreibt er:
"Wir sind fünf Finger an einer Hand.
Der auf dem Titelblatt und:
Ignaz Wrobel. Theobald Tiger. Peter Panter. Kaspar Hauser.
Aus dem Dunkel sind diese Pseudonyme aufgetaucht, als Spiel
gedacht, als Spiel erfunden - das war damals, als meine ersten
Arbeiten in der "Weltbühne" standen. Eine kleine Wochenschrift
mag nicht viermal denselben Mann in seiner Nummer haben, und
so entstanden, zum Spaß, diese Homunkuli. Sie sahen sich
gedruckt, noch purzelten sie durcheinander; schon setzten sie
sich zurecht, wurden sicherer, sehr sicher, kühn - da führten
sie ihr eigenes Dasein... Und es war auch
nützlich, fünfmal vorhanden zu sein - denn wer
glaubt in Deutschland einem politischen Schriftsteller Humor?
dem Satiriker Ernst? dem Verspielten Kenntnis des
Strafgesetzbuches, dem Städteschilderer lustige Verse? Humor diskreditiert.
Wir wollten uns nicht diskreditieren lassen und taten jeder
seins. Ich sah mit ihren Augen, und ich sah sie alle fünf;
Wrobel, einen essigsaueren, bebrillten, blaurasierten Kerl,
in der Nähe eines Buckels und roter Haare; Panter, einen
beweglichen, kugelrunden, kleinen Mann; Tiger sang nur Verse,
waren keine da, schlief er - und nach dem Kriege schlug noch
Kaspar Hauser die Augen auf, sah in die Welt und verstand sie
nicht. Eine Fehde zwischen ihnen wäre durchaus möglich. Sie
dauert schon siebenunddreißig Jahre."

Die Namen hatte Tucholsky mehr oder weniger zufällig gewählt. Wrobel hieß der Verfasser eines Rechenbuches mit dem der junge Kurt sich herumschlagen musste. Theobald Tiger und Peter Panter waren Erfindungen eines Dozenten an der juristischen Fakultät der damit fiktive Kontrahenten in einem Zivilprozess benannte. Nur Kaspar Hauser ist sehr bewusst gewählt. Der Name dieses Nürnberger Findelkindes aus dem vorigen Jahrhundert steht für den, "der in die Welt sah und sie nicht verstand." Die Arbeitsteilung war also zufällig entstanden, weil in der Weltbühne nicht alle Artikel mit demselben Klarnamen gezeichnet werden sollten.

Später stellte sich die Arbeitsteilung als praktisch heraus, Peter Panter war für Buchrezensionen und Theaterkritiken zuständig und schrieb Feuilletons in der "Weltbühne". Theobald Tiger schrieb nur in Versen und zwar als Kommentar zu Tagesereignissen und Zeiterscheinungen. Dies konnte ein Chanson fürs Kabarett sein oder ein gereimter Leitartikel. Ignaz Wrobel war politischer Kommentator, ein bissiger, satirischer Kritiker. Kaspar Hauser war ein etwas nachsichtigerer Kritiker, der die Welt eher melancholisch sah. Er, der auch andere Menschen gerne mit selbsterfundenen Namenansprache, sah durchaus auch die Risiken dieser Praxis:

�Pseudonyme sind wie kleine Menschen; es ist gefährlich, Namen
zu erfinden, sich für jemand anders auszugeben, Namen anzulegen
- ein Name lebt und was als Spielerei begonnen, endet als heitere
Schizophrenie. Ich mag uns gern."

Aber es lohnt sich, auch die anderen Beiträge anzusehen.
:-)

Internet-Tipp: https://www.ktg-minden.de/kurt.htm


 Literaturfreund antwortete am 02.02.06 (17:50):

"Herr Tucholsky – haben Sie ein paar Minuten Zeit..."

Tucholsky brillierte in den verschiedensten Kunstformen des Wortes – der journalistischen Glosse, der Satire, der Lyrik, der Prosa. Unnachgiebiger Kritiker seiner Zeit und deren Politik, zeigt sich in seinem Werk ebenso ein feines Gespür für menschliche Nöte und Schicksale. Hier einige Fragen an Tucho; sie sind ersonnen; als Antworten sind ihm seine eigenen Worte in den Mund gelegt.

Herr Tucholsky, Sie sind mittlerweile zum Klassiker geworden. In Ihrer Wirkungszeit waren Sie heftig umstritten. Sehen Sie sich als einen erfolgreichen Autor?

K. T.: Das beste Wort über künstlerische Wirkung stammt von Siegfried Jacobsohn. "Erfolg ist Mißverständnis", sagte er.

Haben Sie sich je über Ihre Rezeption durch spätere Leser Gedanken gemacht?

K. T.: Der felsenfeste Glaube, mit dem sich jeder Autor eines Durchfalls auf die Nachwelt beruft, hat etwas Rührendes: der Fuß stiefelt in dicken Pfützen, aber das Auge sieht mit kälbernem Ausdruck in die Sterne einer neuen Zeit. So ist es immer gewesen. Unsterblichkeit? Glaub’s nicht. Schwör sie ab. Laß sie unsterblich werden, alle miteinander. Für dich gibt es nur ein Wort, wenn du weise bist, es richtig auszusprechen. Heute.

Welche menschliche Eigenschaft reizte Sie unter anderen zu Ihrer berühmten Scharfzüngigkeit?

K. T.: Es gibt Menschen, die sind so rechthaberisch und haben eine solche Fähigkeit, sich alles, was ihnen begegnet, zu ihren Gunsten zurechtzubiegen, dass man versucht ist, sie zu fragen: "Lieber, ist Ihnen noch nie aufgefallen, dass Sie in Ihrem Leben niemals Unrecht hatten, niemals Unrecht – !" Und sie werden hitzig antworten: "Was fällt Ihnen ein! Ich habe überhaupt nur Unrecht – !" So dickköpfig sind manche Leute. Man kann sie leicht und sofort erkennen, denn sie gehören alle demselben Volksstamm an. Es sind die anderen.

Und welche waren die besonderen Bedingungen Ihres Schaffens?

K. T.: Der deutsche Satiriker tanzt zwischen Berufsständen, Klassen, Konfessionen und Lokaleinrichtungen einen ständigen Eiertanz. Das ist gewiß recht graziös, aber auf die Dauer etwas ermüdend. - Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint.
*
Forts. s. nächste Folge.


 Literaturfreund antwortete am 02.02.06 (17:54):

Lieber Tucho:
(Forts. des fingierten Interviews:)

Frage: Waren Sie als Satiriker zu bse, zu scharf? Haben Sie die Sache, die Sie vertraten, bisweilen überzogen?

K. T.: Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.

Aber gibt es für die Satire nicht auch eine Grenze?

K. T.: Satire hat eine Grenze nach oben: Buddha entzieht sich ihr. Satire hat auch eine Grenze nach unten. In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte. Es lohnt sich nicht – so tief kann man nicht schießen.

Und sonst? Ist Ihre Satire Bitterkeit oder Humor?

K. T.: Die Welt verachten – das ist sehr leicht und meist ein Zeichen schlechter Verdauung. Aber die Welt verstehen, sie lieben und dann, aber erst dann, freundlich lächeln, wenn alles vorbei ist –: das ist Humor.

Und was bleibt? Reich geworden sind Sie nicht und Sie hatten mehr Feinde wie Freunde. Was ist die Bilanz?

K. T.: Lieber Leser, alles stimmt nicht und kann nicht stimmen. Schüttle nicht gleich mit dem Kopf, wenn es bei dir ein bißchen anders ist – das ist Zufall. Wenn du aber sagst: "Das muss ich ausschneiden und Herrn Neumann schicken, dem alten Kamel!" – dann ist der Autor, wenn man von dem nicht übermäßig berechneten Honorar absieht, reichlich belohnt.
*
(Einige Fragen und die Zitate sind dem neuen Band "Tucholsky zum Vergnügen" entnommen, hg. von S. Neuhaus. Reclams UB 18392.)
*
....> Tucho-Weisheit!

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/7w9S1zyW8


 claudiawien antwortete am 02.02.06 (20:34):

Wenn ich das schon lese: "Lieber Tucho" ...

Gerade Tucholsky war eben keiner, dem eine so verbrüdernde und distanzlose Anrede gefallen hätte. Aber er kann sich natürlich nicht mehr wehren, wenn sich irgendjemand einfach die Freiheit herausnimmt, vom "Lieben Tucho" zu reden.

"Lieber Kermit", oder "Lieber Kalli" (für den Calmund) von mir aus, aber bitte nicht "Lieber Tucho".

Genauso unpassend ist es, wenn die Leute von Harald Schmidt als "Harry" reden. Peinlich, oder?


 Literaturfreund antwortete am 02.02.06 (23:16):

Natürlicho - pardono - es musso heißeno: KURTO TCHO - von Claudiawieno - dero großeneo Tucholsky-Liebaherino - zu RECHTO gerügto!

Lieso malo dieso Seito...:

DAnko füro Gnado - dasso EGO nichto geköpfeto wordeno!

Internet-Tipp: https://www.ktginfo.de/Tucholsky.html


 claudiawien antwortete am 03.02.06 (08:24):

Was für ein jämmerlicher Versuch, witzig zu sein. Armer Kerl.


 Literaturfreund antwortete am 18.02.06 (18:31):

Der Titel ("Geliebter Tucho") von Sowiesonix-da ist eine Fälschung, mir unterschoben.
Es war Zitat aus einem "fingierten Interview", mit Quellenangabe...!)
"Tucho" ist gängiges Kürzel im kulturellen, journalistischen Bereich.
*
Ich habe hier in jahrelanger Mitarbeit keinen Dichter für mich vereinbart. Nie!
Ich habe aber Mitdenken und Engagement auch nur von wenigen erfahren, die Literatur als Bereicherung, nicht als Eigenheimerei betrachten: z.B. enigma, Marina!
Denen danke ich hier.

*
Es gibt 14 Foren (ohne Gewinn- oder Honorarabsichten) für Schüler oder Studenten oder Jedermann, die interessiert sind an Informationen, Materialien, Zitaten, Hilfen und Quellen zu Sprache und Literatur. Dort arbeite ich seit langem mit.
Das lohnt sich. Wegen der Herausforderungen und wg. der Rückmeldungen.
Ja, auch dort gibt's Irrtümer oder Fehlverhalten - aber keine senile Rechthabereien.
**
Ad finem:
Die Witwe Tucholskys über ihren "Tucho":

"Er [K.T.] liebte den Kleinen Mann'" erinnert sich Mary Gerold-Tucholsky, "natürlich sah er seine Schwächen und Fehler und den ganzen 'jüdischen Betrieb' des Verlages, aber: S. J. (Jacobsohn, den Herausgeber der 'Weltbühne') ließ Tucho gewähren, ließ ihn schreiben, förderte ihn, lockte die Dinge aus ihm heraus, hatte Humor und das vor allem war eine befruchtende Basis."
(M. G.-T. an Hans Schönlank (13.12.1955)
(In: M. Hepp: K.T.. Biographische Annäherungen. 1999. S. 72)
*
Ansonsten:
Hier im ST-Archiv kann man viel über K.T finden.

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/HMRwMoi4D


 kropka antwortete am 19.02.06 (19:35):

Ich möchte Dir DANKE sagen, Literaturfreund.


 Enigma antwortete am 21.02.06 (07:59):

Wie Tucholsky seinerzeit "den Deutschen" (als Primus) gesehen hat. Ob`s den heute noch so gibt?
:-))

"Der Primus
In einer französischen Versammlung neulich in Paris, wo es übrigens sehr deutschfreundlich herging, hat einer der Redner einen ganz entzückenden Satz gesagt, den ich mir gemerkt habe. Er sprach von dem Typus des Deutschen, analysierte ihn nicht ungeschickt und sagte dann, so ganz nebenbei: �Der Deutsche gleicht unserm Primus in der Klasse.� Wenn es mir die Leipziger Neuesten Nachrichten nicht verboten hätten, hätte ich Hurra! gerufen.
Können Sie sich noch auf unsern Klassenprimus besinnen? Kein dummer Junge, beileibe nicht. Fleißig, exakt, sauber, wußte alles und konnte alles und wurde - zur Förderung der Disziplin - vom Lehrer gar nicht gefragt, wenn ihm an der Nasenspitze anzusehen war, daß er diesmal keine Antwort wußte. Der Primus konnte alles so wie wir andern, wenn wir das Buch unter der Bank aufgeschlagen hatten und ablasen. Meist war er nicht mal ein ekelhafter Musterknabe (das waren die Streber auf den ersten Plätzen, die gern Primus werden wollten) - er war im großen ganzen ein ganz netter Mensch, wenn auch eine leise Würde von ihm sanft ausstrahlte, die einen die letzte Kameradschaft niemals empfinden ließ. Der Primus arbeitete wirklich alles, was aufgegeben wurde, er arbeitete mit Überzeugung und Pflichtgefühl, er machte seine Arbeit um der Arbeit willen, und er machte sie musterhaft.
Schön und gut.
Da waren aber noch andre in der Klasse, die wurden niemals Primus. Das waren Jungen mit Phantasie (kein Primus hat Phantasie) - Jungen, die eine fast intuitive Auffassungsgabe hatten, aber nicht seine Leistungsfähigkeit, Jungen mit ungleicher Arbeitskraft, schwankende, ewig ein wenig suspekte Gestalten. Sie verstanden ihre Dichter oder ihre Physik oder ihr Englisch viel besser als die andern, besser als der ewig gleich arbeitsame Primus und mitunter besser als der Lehrer. Aber sie brachten es zu nichts. Sie mußten froh sein, wenn man sie überhaupt versetzte.
Es müßte einmal aufgeschrieben werden, was Primi so späterhin im Leben werden. Es ist ja nicht grade gesagt, daß nur der Ultimus ein Newton wird, und daß es schon zur Dokumentierung von Talent oder gar Genie genügte, in der Klasse schlecht mitzukommen. Aber ich glaube nicht, daß es viele Musterschüler geben wird, die es im Leben weiter als bis zu einer durchaus mittelmäßigen Stellung gebracht haben.
Der Deutsche, wie er sich in den Augen eines Romanen spiegelt, ist zu musterhaft. Pflicht - Gehorsam - Arbeit: es wimmelt nur so von solchen Worten bei uns, hinter denen sich Eitelkeit, Grausamkeit und Überheblichkeit verbergen. Das Land will seine Kinder alle zum Primus erziehen. Frankreich seine, zum Beispiel, zu Menschen, England: zu Männern. Die Tugend des deutschen Primus ist ein Laster, sein Fleiß eine unangenehme Angewohnheit, seine Artigkeit Mangel an Phantasie. In der Aula ist er eine große Nummer, und auch vor dem Herrn Direktor. Draußen zählt das alles nicht gar so sehr. Deutschland, Deutschland, über alles kann man dir hinwegsehen - aber daß du wirklich nur der Primus in der Welt bist: das ist bitter."
(Kurt Tucholsky. Der Primus)


 Literaturfreund antwortete am 24.02.06 (11:52):

Kurt Tucholsky: Rechenaufgaben aus dem Jahre 1926:
1 Bauer besitzt 1 Feld von 18 Hektar, das ihm sein Nachbar im Alter von 54 Jahren streitig macht. Wie hoch sind die Gerichtskosten, wenn der Rechtsanwalt auf gegnerischer Seite Cohn XVII heißt?
*
Das Mundwerk eines Oberpräsidenten ist 4 Meter lang und 2 Meter breit. Wie lange kann der Mann Mitglied der SPD sein, wenn er 1100 Arbeitermorde auf dem Gewissen hat?
*
1 Untersuchungsrichter läßt 1 im Verdacht des Judentums stehenden Kaufmann 11 Wochen in Haft sitzen. In welcher Zeit avanciert der Richter zum Landgerichtspräsidenten?
*
Aufgabe mit imaginären Größen:
1 sozialdemokratische Partei hat in 8 Jahren 0 Erfolge. In wieviel Jahren merkt sie, daß ihre Taktik verfehlt ist?
*
1 Volksstaat Sachsen macht sich seinen Dreck alleene. Wieviel Auguste von Sachsen braucht man, um alle Reimann-Anekdoten allein zu machen?
*
1 Kaiser kostet monatlich 50 000 Mark Arbeitslosen-unterstützung. Was kosten 2 Kaiser auf dem Thron einer Republik im Alter von 8 Jahren? (Berechne dasselbe mit der deutschen Republik - Gleichung mit einer Unbekannten!)
*
1 deutscher Richter sperrt in 1 Tage 1 Kommunisten ein. Wieviel deutsche Richter sperren alle deutschen Kommunisten in wieviel Tagen ein - ?
*
1 Kronprinz hat 1 uneheliches Kind. (Es handelt sich hier um eine theoretische Aufgabe.) wieviel Kronprinzen sind nötig, um die Mongolei zu bevölkern, wenn der dortige Sittlichkeitskoeffizient mit 218 angenommen wird?
(Die Auflösungen sind nur für die Herren Lehrer bestimmt.)
**
(Veröffentlicht in der Weltbühne“, am 31.8.1926; aus: K.T.: Werke. Bd. 4. S. S. 487f.; in: Texte und Briefe. Bd. 8. S. 380f.)
*
Die Anspielungen in diesen „Schulaufgaben“ sind so vielfältig, das ich nur drei erwähne:
„Cohn“ oder „Kohn“, galt als Synonym für „Jude“.
„1 Kronprinz“ = Anspielung auf zahlreichen Affären des Kronprinzen; z.B. mit seiner auf Schloß Oels angestellten Stenotypistin im Sept. 1925; mit dem Fall beschäftigte sich damals der Preußische Landtag.
„Sittlichkeitskoeffizient mit 218“ = Anspielung auf die Teilreform des Abtreibungsparagraphen 218 im Mai 1926.