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THEMA:   Stark wie der Tod ist die Liebe

 191 Antwort(en).

ricardo begann die Diskussion am 16.06.04 (10:23) :

Unter dem Apfelbaum hab' ich dich geweckt, /
dort, wo deine Mutter dich empfing, /
wo deine Gebärerin in Wehen lag.
Leg mich wie ein Siegel auf dein Herz, /
wie ein Siegel an deinen Arm!
Stark wie der Tod ist die Liebe, /
die Leidenschaft ist hart wie die Unterwelt.
Ihre Gluten sind Feuergluten, / gewaltige Flammen.
Auch mächtige Wasser / können die Liebe nicht löschen; /
auch Ströme schwemmen sie nicht weg.
Böte einer für die Liebe / den ganzen Reichtum seines Hauses, /
nur verachten würde man ihn.

Wo steht das?
Und wer ist der Dichter?


ecelle antwortete am 16.06.04 (10:33):

Spontan fällt mir - wegen der Überschrift - Rudolf G. Binding ein.
Aber siehe: es ist lediglich die Überschrift "Tod und Liebe sind groß".


Enigma antwortete am 16.06.04 (10:41):

Es steht - glaube ich - in der Bibel.
Hohelied Salomo`s??


marie2 antwortete am 16.06.04 (12:08):

Ja Enigma, es ist das Holelied Salomos.

Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich. /
Süßer als Wein ist deine Liebe.
Köstlich ist der Duft deiner Salben, /
dein Name hingegossenes Salböl; / ...

Marie2


ricardo antwortete am 16.06.04 (13:09):

ich wollte nur darauf hinweisen, daß die Bibel erfüllt ist von Poesie, der Autor wird in diesem Falle wohl nur vermutet.
Poesie, wie man sieht veraltet nicht und auch die Schöpfungsgeschichte ist ein Gedicht, und nicht etwa eine trocken naturwissenschaftliche Schilderung von der Entstehung der Welten.

Es lebe die Poesie!


Medea. antwortete am 16.06.04 (18:53):

Wie schön ist dein Gang in den Schuhen, du Fürstentocher!
Deine Lenden stehen gleich aneinander wie zwei Spangen,
die des Meisters Hand gemacht hat.

Dein Schoß ist wie ein runder Becher, dem nimmer Getränk
mangelt. Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen,
umsteckt mit Rosen.

Deine zwei Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge.
Dein Hals ist wie ein elfenbeinerner Turm.
Deine Augen sind wie die Teiche zu Hesbon am Tor Bathrabbims.
Deine Nase ist wie der Turm auf dem Libanon,
der gen Damaskus sieht.

Dein Haupt steht auf dir wie der Karmel. Das Haar auf deinem Haupt
ist wie der Purpur des Königs, in Falten gebunden.

Wie schön und wie lieblich bist du,
du Liebe voller Wonne!
Dein Wuchs ist hoch wie ein Palmbaum und deine Brüste
gleich den Weintrauben.


kawe antwortete am 17.06.04 (07:50):

ricardo,

schau mal hier:

LG, Karin.

Internet-Tipp: https://www.deutsche-liebeslyrik.de/lied/lied.htm


ricardo antwortete am 17.06.04 (09:02):

Danke Karin
Von dieser Quelle habe ich profitiert
aber ich besitze auch noch die Bibel.

Leider ist es so wie mit allen Übersetzungen, wahrscheinlich ist auch einiges dabei verloren gegangen,
Aber gleichwohl sind es wunderbare Zeilen.


Medea. antwortete am 17.06.04 (14:46):

Neue Liebe, neues Leben

Herz, mein Herz, was soll das geben?
Was bedrängt dich so sehr?
Welch ein fremdes neues Leben!
Ich erkenne dich nicht mehr.
Weg ist alles, was du liebtest,
Weg warum du dich betrübtest,
Weg dein Fleiß und deine Ruh -
Ach wie kamst du nur dazu!

Fesselt dich die Jugendblüte,
Diese liebliche Gestalt,
Dieser Blick voll Treu' und Güte,
Mit unendlicher Gewalt?
Will ich rasch mich ihr entziehen,
Mich ermannen, ihr entfliehen,
Führet mich im Augenblick,
Ach mein Weg zu ihr zurück.

Und an diesem Zauberfädchen,
Das sich nicht zerreißen läßt,
Hält das liebe lose Mädchen
Mich so wider Willen fest;
Muß in ihrem Zauberkreise
Leben nun auf ihre Weise.
Die Verändrung ach wie groß!
Liebe! Liebe! laß mich los!

(Johann Wolfgang von Goethe)


ricardo antwortete am 18.06.04 (21:50):

Dû bist mîn, ich bin dîn:
des solt dû gewis sîn.
dû bist beslozzen
in mînem herzen:
verlorn ist daz slüzzelîn:
dû muost immer drinne sîn.


ecelle antwortete am 19.06.04 (07:09):

Mittelhochdeutsch ...
Sehr schön!


wanda antwortete am 19.06.04 (09:48):

alles wunderbar und erbauend - kann im Moment aus Zeitgründen nicht mitmischen.


ricardo antwortete am 20.06.04 (08:44):

(1. Kor.13,1-8): "Wenn ich mit Menschen- ja mit Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz
oder eine klingende Schelle.
Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so daß ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir�s nichts nütze.....

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht,
... sie verträgt alles, sie glaubet alles, sie hoffet alles, sie duldet alles. Die Liebe hörtet nimmer auf......,.


Miriam antwortete am 20.06.04 (11:48):

Ich wage nun einen Schritt in die Gegenwart:

BERTOLT BRECHT

Morgens und abends zu Lesen

Der, den ich liebe
Hat mir gesagt
Daß er mich braucht.

Darum
Gebe ich auf mich acht
Sehe auf meinen Weg und
Fürchte von jedem Regentropfen
Daß er mich erschlagen könnte.


WOLF BIERMANN

Einschlaf und Aufwachelied

Schlaf ein, mein Lieb, sonst ist die Nacht
Vorbei und hat uns nichts gebracht
Als wirre irre Fragen
Gib mir dein'Arm und noch ein' Kuss
Ich muß ja durch den Schlafefluß
Und will dich rüber tragen

Wach auf, mein Lieb, du schläfst ja noch!
Komm aus den dunklen Träumen hoch
Und freu dich an uns beiden!
Die Sonne hat längst dein Gesicht
Gestreichelt, und du merkst das nicht
- das mag ich an dir leiden


Enigma antwortete am 20.06.04 (12:24):

Die zwei als Überleitung in die Gegenwart gedachten Gedichte gefallen mir auch sehr, sehr gut.
Ich schliesse mich an und poste eines, das aber wahrscheinlich auch schon bekannt sein wird.
Aber das macht es ja nicht weniger schön.

Was es ist
von Erich Fried

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe


Miriam antwortete am 20.06.04 (12:55):

ENIGMA, habe mich sehr gefreut über das schöne Gedicht.
Ja, irgendwo aus längst Gelesenem aber sehr unvollständig gespeicherten, klangen nur noch die Worte wieder:

Es ist was es ist
sagt die Liebe

Jetzt sind sie, durch Deinen Beitrag, wieder an den richtigen Platz gerückt und haben erst so ihren Sinn wiederbekommen..
Auch dies so wichtig in diesen Beiträgen : die Freude "alte Bekannte" (wie diese Verse) wiederzutreffen - und dann auch die Tatsache, dass diese alten Bekannten hier , in diesen Kreisen verkehren !


Miriam antwortete am 20.06.04 (13:05):

Erfreulich beim unerwarteten Treffen mit solchen alten Bekannten (deren Erinnerung aber völlig verblasst war) : man sieht sie nach Jahren oder Jahrzehnten wieder und stellt erfreut fest : "sieh mal an, garnicht gealtert!"


ricardo antwortete am 20.06.04 (13:07):

Noch eines zur Gegenwart:

Ich habe Dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
eine Kachel aus meinem Ofen
schenken.

Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei - verjährt -
doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
ist leise.

Die Zeit entstellt
alle Lebewesen.
Eine Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.

Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
an einem Sieb.
Ich hab dich so lieb.

Autor: Joachim Ringelnatz

Dazu etwas gezeichnetes :-))

Internet-Tipp: https://www.freiburger-stadtmusikanten.de/pics/full/schm5.jpg


Enigma antwortete am 20.06.04 (16:56):

Miriam hat Recht. Es ist schön, "alte Bekannte" in Form von Gedichten wiederzutreffen.
So ging es mir auch bei dem schönen Gedicht von Ringelnatz.

Dann will ich auch noch einmal etwas zu dem Thema beitragen:

Die Liebe
von Else Lasker-Schüler

Es rauscht durch unseren Schlaf
Ein feines Wehen wie Seide,
Wie pochendes Erblühen
Über uns beide.

Und ich werde heimwärts
Von Deinem Atem getragen,
Durch verzauberte Märchen,
Durch verschüttete Sagen.

Und mein Dornenlächeln spielt
Mit Deinen urtiefen Zügen,
Und es kommen die Erden
Sich an uns zu schmiegen.

Es rauscht durch unseren Schlaf
Ein feines Wehen wie Seide -
Der weltalte Traum
Segnet uns beide.

Gruss
Enigma


Miriam antwortete am 20.06.04 (18:16):

Ein Haiku - auch zum Thema:

In den Schnee schrieb ich:
immer will ich dich lieben -
Schnee ist geschmolzen.

(Michael Groißmeier)


marie2 antwortete am 20.06.04 (19:58):

Liebe

Wir werden uns wiederfinden
im See
du als Wasser
ich als Lotusblume

Du wirst mich tragen
ich werde dich trinken
Wir werden uns angehören
vor allen Augen

Sogar die Sterne
werden sich wundern:
hier haben sich Zwei
zurückverwandelt
in ihren Traum
der sie erwählte

Rose Ausländer


Miriam antwortete am 20.06.04 (22:33):

Hoffentlich wirft mir nun niemand vor, dass ich ein viertes Liebesgedicht hier einbringe. Aber ich konnte einfach nicht verzichten : ich fand, dass PAUL CELAN hier auch einen Platz verdient. Ausserdem gehört dieses Gedicht zu denen von P. Celan, die ich verstehe.

Zwiegestalt

Laß dein Aug in der Kammer sein eine Kerze,
den Blick einen Docht,
laß mich blind genug sein,
ihn zu entzünden.

Nein.
Laß anderes sein.

Tritt vor dein Haus,
schirr deinen scheckigen Traum an,
laß seine Hufe reden
zum Schnee, den du fortbliest
vom First meiner Seele.


marie2 antwortete am 21.06.04 (00:06):

aber Miriam, ich hoffe, Du schreibst hier auch noch ein fünftes Liebesgedicht.
Eines, das ich besonders mag von Mascha Kaleko:

Die andern sind das weite Meer.
Du aber bist der Hafen.
So glaube mir: kannst ruhig schlafen,
Ich steure immer wieder her.

Denn all die Stürme, die mich trafen,
Sie ließen meine Segel leer.
Die Andern sind das bunte Meer,
Du aber bist der Hafen.

Du bist der Leuchtturm. Letztes Ziel.
Kannst, Liebster, ruhig schlafen.
Die Andern ... das ist Wellenspiel,

Du aber bist der Hafen.


Miriam antwortete am 21.06.04 (08:05):

Guten Morgen, MARIE2, ich dachte mir eben, es gibt Zufälle, die man doch auch erzählen sollte! Ich habe Gestern hin und her überlegt, ob ich als viertes Gedicht eines von Mascha Kaleko bringen sollte, oder von Paul Celan! Habe mich dann für letzteren entschieden, denn Du hattest ja zuvor das Gedicht von Rose Ausländer gebracht. Beide, Ausländer und Celan stammen ja aus Czernowitz (Bukowina - ehemalige Provinz der Habsburgermonarchie) - sie waren auch befreundet. Ich wollte, dass sie nocheinmal hier zusammentreffen. Nun schaue ich gerade vorbei, ob bei den Gedichten etwas dazu gekommen ist, und entdecke....Mascha Kaleko !Vorläufig so viel, herzlichen Dank für Deine schönen Gedichte!


Enigma antwortete am 21.06.04 (08:21):

Ich kann nicht widerstehen, auch noch eines zu posten:

Ich will mit dem gehen

Ich will mit dem gehen, den ich liebe.
Ich will nicht ausrechnen, was es kostet.
Ich will nicht nachdenken, ob es gut ist.
Ich will nicht wissen, ob er mich liebt.
Ich will mit ihm gehen, den ich liebe.

Bertolt Brecht

Gruss
Enigma


Miriam antwortete am 21.06.04 (22:15):

Als gute Nacht Gruss doch noch ein Gedicht :

Paul Celan:

Die Halde

Neben mir lebst du, gleich mir:
als ein Stein
in der eingesunkenen Wange der Nacht.

O diese Halde, Geliebte,
wo wir pausenlos rollen,
wir Steine,
von Rinnsal zu Rinnsal.
Runder von Mal zu Mal.
Ähnlicher. Fremder.

O dieses trunkene Aug,
das hier umherirrt wie wir
und uns zuweilen
staunend in eins schaut.


iustitia antwortete am 21.06.04 (23:24):

Sicherlich eines der schönsten und schwierigsten Liebes-Gedichte der Weltliteratur:

Eduard Mörike: Peregrina
(3. Gedicht aus dem Zyklus �Peregrina�)

Ein Irrsal kam in die Mondscheingärten
Einer einst heiligen Liebe.
Schaudernd entdeckt ich verjährten Betrug.
Und mit weinendem Blick, doch grausam,
Hieß ich das schlanke,
Zauberhafte Mädchen
Ferne gehen von mir.
Ach, ihre hohe Stirn,
War gesenkt, denn sie liebte mich;
Aber sie zog mit Schweigen
Fort in die graue
Welt hinaus.

Krank seitdem,
Wund ist und wehe mein Herz.
Nimmer wird es genesen!

Als ginge, luftgesponnen, ein Zauberfaden
Von ihr zu mir, ein ängstig Band,
So zieht es, zieht mich schmachtend ihr nach!
- Wie? wenn ich eines Tags auf meiner Schwelle
Sie sitzen fände, wie einst, im Morgen-Zwielicht,
Das Wanderbündel neben ihr,
Und ihr Auge, treuherzig zu mir aufschauend,
Sagte, da bin ich wieder
Hergekommen aus weiter Welt!


iustitia antwortete am 21.06.04 (23:34):

Da es nur zweimal in der deutschen Literatur das Wort �Irrsal� (als alter Rechtsbegriff für Wirrnis, Irrtum...) auftaucht � hier noch Paul Celans Gedicht:

Paul Celan: I r r s a l

Mondhelles Herz: nun hebt sich der Schleier vom Spiegelbild
Im Busch pflückt der Engel der Schläfer die bittere Beere.
Nun tröstet mein Blut die Lanzenstiche im Schild;
erblühn die Gezeiten dem Sommer der Sternenmeere . . .

Du aber bereitest dich jetzt, daß süß dich die Linden
beschenken?
Gestürzt ist ein Rosengewölk in dein Aug voll Verzicht. . .

(Erfuhrst du von mir, wie die Träume die Schläfen versehren?)

Nicht will deine Wimper jetzt Sehnsucht und
Wellenschaum denken . . .
Hochdunkelt der Mais in den Mond und ich segne ihn nicht. . .

Verweilt, wenn die Wolke ertönt, dein Gelenk in den Spangen?
Und glimmt in den Augen aus Samt nicht das günstige Licht?

Dann bleib ich, ein Knecht deiner Tränen, gefangen
*
(Gedicht aus dem Jahr 1943; als Paul Celan in der Bukowina um sein Leben kämpfen und sich verstecken musste, als Jude vor den Deutschen, als K.u.K.-Österreicher vor den Rumänen.)


Sofia204 antwortete am 22.06.04 (10:48):

Paul Celan vom Denken befreiend -



und viel profaner das Gedicht
von Gertrud Dahlem-Stolzenbach :

Eiskristalle ums Herz
und innen der Brand!

Vereist das Gesicht, doch der
kühle Blick, der weiß,

Und durchschaut und erkennt das
laute eitle Gespreiz

Und des Geldes geile Gier und den Geiz

Und der Dummheit gewöhnliche Fratze

Und den Neid auf den Geist

Und das kalte Vipernauge der Lüge

Und die tiefen dunklen versteinten
Schächte des Bösen

-

Das weiß - Der kühle Blick im
vereisten Gesicht,

Eiskristalle ums Herz -
Aber innen der Brand.



(der Überschrift
'Stark wie der Tod ist die Liebe' gewidmet)


Enigma antwortete am 22.06.04 (16:32):

Heute kommt noch etwas von Günter Eich:

Lied vom wartenden Liebhaber

Du sagtest mir, du kämst um sieben.
Das klang mir wunderbar im Ohr.
Von allen Zahlen kam mir sieben
als schönste vor.

Nun steh ich an der Straßenecke
und schau hin und schaue her.
Wie viele Stunden ich schon warte,
weiß ich nicht mehr.

Doch seh ich, wie die Bäume sprießen,
sie waren kahl noch, als ich kam.
Ich werde zittrig in den Füßen
und ziemlich lahm.

Ich kann die Welt nicht mehr begreifen:
Wird mir die Zeit zu kurz, zu lang?
bin ich hier auf- und ab gegangen
schon jahrelang?

Vom Schädel fallen mir die Haare.
Bin ich im Traum, bin ich verhext?
Entsetzt spür ich am Kinn, wie wacker
der Bart mir wächst.

Schon weht er frei mir um die Backen,
doch ist er silbern schon und weiß.
Ich kann es länger nicht verbergen:
Ich bin ein Greis.

Die Liebe wird mir schnell vergehen,
mein greises Herz wird kalt.
Drum:Wenn du wünschest, mich zu sehen,
so komme bald!


Sofia204 antwortete am 22.06.04 (22:09):

und noch ein Celan,

( mir so guuut - gefällt)



Die Zahlen, im Bund
mit der Bilder Verhängnis
und Gegen-
verhängnis

Der drüberstülpte
Schädel, an dessen
schlafloser Schläfe ein irr-
lichternder Hammer
all das im Welttakt
besingt.


iustitia antwortete am 22.06.04 (23:02):

Noch als Nachtrag zu celans Gedicht "Die Halde" von Miriam:

Es ist ein recht frühes Gedicht aus dem Jahre 1954 von Celan, das sich mit einigem Verständnis und sozialer Phantasie erschließen lässt:
Hier "leben" - fast als abgezählte, aber unnutze Materie - Mann und Frau nebeneinander, als Steine, auf den Abgrund zurollend.
(Von Menschen, als Liebende - auf der �Halde�, die Celan schon in �Flügelnacht� vorstellte, sagt er: �Kiesel abgrundhin rollen...�
*
Das "Auge" in dem Text ist das Schwiergiste.
Ich glaube, P.C. gibt uns ein religiöses Rätsel auf: Welches Auge rollt dort, überwacht - ist trunken? D.h. von wlechem Gott erwartest und, das er dich sieht; dass er deinen Schicksalsweg - vielleicht das Ende des Weges der Steine -
übeblickt. Ob er eingreift? Ob er stark und hilfreich genug dazu ist...?
*
Oder: Wr hat eine andere Deutung für das "Auge...?


Miriam antwortete am 22.06.04 (23:48):

Ich wage es mal, JUSTITIA, aber mit einem grossen Fragezeichen: ob das, was ich eigentlich hier vernommen habe überhaupt stimmt? Nun ist es ja so, dass man in der Poesie sowieso seine eigenen Assoziationen produziert.

Ich sagte schon, dass ich Paul Celan nicht immer verstehe. Die Gedichte, die ich hier eingebracht habe, für die hatte ich MEINE Erklärung.
Nun zum Gedicht Halde. Wie auch in anderen Liebesgedichten, vernehme ich auch hier, wie in sich eingeschlossen Celan doch ist. Schon das Bild der Steine, die neben einander leben oder rollen hat etwas sehr hermetisches. Und die Steine, die immer runder durchs rollen werden sind sich immer ähnlicher - er sagt gleich darauf : fremder. Ich hatte das Gefühl, dass "ähnlicher" nur eingesetzt wird, um "fremder" noch mehr Gewicht zu verleihen. Was vereint oder nähert sie letztendlich einander, die beiden, die Geliebte und ihn ? ein umherirrendes, trunkenes Auge :"und uns zuweilen staunend in eins schaut". Das "in eins schaut" könnte also auch nur Illusion sein.

Es ist meine Lesensart des Gedichtes. Nichts anderes. Es würde mich aber sehr die Meinung anderer interessieren.


iustitia antwortete am 23.06.04 (08:12):

Ja, ich stimme Dir wirklich zu, Miriam.
Je näher und erfüllter und erfolgreicher Celan als Mensch und Dichter wurde - desto stärker kam seine psychische Krankheit zum Ausbruch. Ja, es gab auch böse Verleumdungen, etwa durch die Claire Goll, (Frau von Yvan G., der mit Celan befreudnet war) die soviel dummes Zeug versucht hat, um den wirklich originären, den genialsten deutschen Lyriker nach 45 zu schmähen, ihn ins Unrecht zu setzen.
Celans Briefwechsel mit seiner Frau gibt es mittlerweile schon; aus einer Besprechung weiß ich, dass sie ihm immer die Verbindung hielt und jede Hilfe für ihn gesucht und erreicht hat, aber seine Leiden, seine Attacken (auch Mordversuche an Unbeteiligten; und grundlegend Schizophrenie als Diagnose; dann verfehlte Behandlung; dann Verweigerung der Medikation) endeten für ihn der Autoaggression. Tod in der Seine. Was für eine Nichtigkeit angesichts seiner Lyrik!
Seine Lyrik war - wie sie schon in der Tendenz früh abzeichnete- hermetisch, wie Du es gesagt hast; immer unsagbarer, sozusagen Modell der Kommunikationsunfähigkeit.
Dass das Jüdische seiner Heinmat, seines Elternhauses in seinem Leben und Werk keine positive Bedeutung mehr fand nach dem Holocaust, den er ja knapp überlebte; ist für mich das Tragischste.
Er hat kunstgerecht viele jüdische oder andere religiöse Metaphern "zerbrochen", ihre finale Bedeutung, d.h. Wirkungslosigkeit gezeigt.
Ende einer Liebe, Ende einer Religion, Ende eines Lebens.
Für mich gilt als Fazit: Celan wollte niemanden deprimieren; er zeigte seine Wwunden, damit andere leben; er war ein Christus, ein ungesalbter der Poesie.


ricardo antwortete am 23.06.04 (17:40):

Hier ein Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko,
das nach meinem Empfinden zu den Anfangszeilen des Hohen Liedes zurückführt.
Ein russischer Poet von heute;

Mehr als die Liebe liebe ich Dich

Ich liebe Dich mehr als alle Natur,
denn Du bist ja selbst schon wie sie.
Ich liebe Dich mehr als die Freiheit,
denn ohne dich wär sie Gefängnis.

Ich liebe Dich ohne aufzupassen,
komm im Sturz nicht aus der Bahn.
Ich liebe Dich mehr als möglich ist,
sogar mehr als unmöglich liebe ich Dich.

Ich liebe ohne Bedenken und Säumen,
sogar besoffen und auch als Grobian,
glaub's mir � mehr als mich selbst
und in Dir noch mehr als nur Dich.

Ich liebe Dich mehr als den Shakespeare,
mehr als alles Schöne unserer Welt,
mehr als alle Musik dieser Erde �
Buch und Musik � das alles bist Du.

Ich liebe Dich mehr als des Ruhmes Glanz,
auch wenn er goldene Berge verspricht,
mehr als des Vaterlands Lorbeerkranz,
denn meine Heimat bist Du und sonst niemand.

Unglücklich dennoch? Was willst Du denn noch?
Hüte Dich, bedräng Gott mit Bitten nicht.
Ich liebe Dich doch mehr als das Glück.
Ja, mehr als die Liebe liebe ich Dich.


Enigma antwortete am 23.06.04 (18:05):

Mit Jewtuschenko habe ich mich kürzlich auch einmal befasst und das gleiche Gedicht in unserem kleinen Forum veröffentlicht.
Heute möchte ich gerne das Gedicht einer Frau hier einstellen, die wahrscheinlich auch vielen bekannt sein wird:

Ach um deine feuchten Schwingen....
von Marianne Willemer

Ach um deine feuchten Schwingen,
West wie sehr ich dich beneide,
denn du kannst ihm Kunde bringen,
was ich durch die Trennung leide.

Die Bewegung deiner Flügel
weckt im Busen stilles Sehnen,
Blumen, Augen, Wald und Hügel
stehn bei deinem Hauch in Thränen.

Doch dein mildes, sanftes Wehen
kühlt die wunden Augenlider;
Ach, für Leid müßt`ich vergehen,
hofft ich nicht, wir sehn uns wieder.

Geh denn hin zu meinem Lieben,
spreche sanft zu seinem Herzen.
Doch vermeid ihn zu betrüben
und verschweig ihm meine Schmerzen.

Sag ihm nur, doch sags bescheiden,
seine Liebe sei mein Leben.
Freudiges Gefühl von beiden
wird mir seine Nähe geben.


Heidelinde antwortete am 23.06.04 (19:31):

Mit einem modernen Liebesgedicht,
lieber Richardo will ich antworten:
"Weil ich dich lieb hab,
will ich mich kugeln und Purzelbaum schlagen,
dich Tag und Nacht auf Händen tragen,
will Regenbogen vor Wolken malen,
mit der Sonne um die Wette strahlen,
will Sterne wie Blumen vom Himmel pflücken,
dich über und über damit schmücken."
Katja Reider


marie2 antwortete am 23.06.04 (20:06):

Ehegedicht

Geliebt haben wir uns,
dass das Gras um uns sich entzündete.
doch die Glut schadete uns nicht,
so selbstvergessen waren wir.

Verfolgt haben wir uns,
dass wir uns bis ins Mark trafen,
doch die Wunden schlossen sich wieder,
da kein Blut aus ihnen kam.

Seitdem wir uns aber geeinigt haben,
zusammen alt zu werden,
verwandelt sich die Liebe in Behutsamkeit

und das Blut, das mitunter
nun aus den Rissen quillt, schmerzt
Tropfen um Tropfen wie heißes Wachs.

Günter Herburger (19779


ricardo antwortete am 25.06.04 (00:16):

Und was leichteres dazu
von Christian Morgenstern

Der Seufzer

Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis
und trämte von Liebe und Freude.
Es war an dem Stadtwall, und schneeweiß
glänzten die Stadtwallgebäude.

Der Seufzer dacht' an ein Maidelein
und blieb erglühend stehen.
Da schmolz die Eisbahn unter ihm ein,
und er sank � und ward nimmer gesehen.


iustitia antwortete am 25.06.04 (08:09):

Ein Gedicht nach Mörikes Liebesgedicht "Begegnung":

Stephanie Drissen-Täler
Des Nachhermorgens
(für einen Rekruten)

Was doch ein Lippenrausch gewesen
und hat erst des Morgens sich gelegt!
Bis feuerreife Lilienworte starben; und
rote Zungenpilger sich im Traum bewegt.

Da,im ersten Lichte, huschen Klettenblicke,
die halb verschüchert nach ihm sehn;
Sein Rosenherz den Feueratem findet -
wie gestern Körperworte jung erglühn.

Da! Enthetzt der Kerl! Will gehn! Der Dienst!
Ich Mädchen will mich ihm noch nahn:
Da sieht er herzlich und verlegen
mich ungewohnte Schläfrin an.

Er scheint zu fragen, ob ich Püppchen
my Biomasse schon zurecht gemacht,
die heut Nacht in diesem Stübchen
die Knutscherei in Unordnung gebracht.

S i e spricht von Flackerkerz:
Du Teufels Sack, du Dinkelbrot,
du bloße Uniform, du Schlackerherz,
schock-du-schwere,
Lieber! Liebe Not!
Halt mich! Hält sich, fäll mich -
will gefallen -
nein, nicht allen - nur mehr DIR!

Ach? Musst zum D i e n en!
Ah-so! Aha!
Doch komm,
ach, komm zum Minnen,
komm zum Liegen.
Ja, zurück zum Dienst!
Zum Siegen!
*
(Nach: Eduard Mörikes "Begegnung", 1832)


ricardo antwortete am 26.06.04 (10:46):

Sonett116

Laßt mich den Seelenbund,
Der Hindernisse schlichtet,
Nicht in Grenzen setzen,
Liebe ist nicht Liebe,
Die wechselnd selbst,
Der Zeiten Wechsel kennt,
Die selbst entflieht,
nur weil der andre flüchtet.

Oh nein, sie ist ein immer fester Turm,
Der auf die Wetter schaut und unberennbar.
Sie ist ein Stern für jedes Schiff im Sturm:
Man mißt den Stand,
doch ist sein Wert unnennbar.

Lieb�ist nicht der Narr der Zeit:
Ob Rosenmund
Und -wang auch kommt
vor jene Sichelhand.
Lieb ändert sich nicht alle Woch� und Stund,
Nein, sie hält aus bis an des Grabes Rand.
Ist dieses falsch,
Und scheint mein Blick getrübt,
Nie schrieb ich dann, nie hat ein Mensch geliebt.

William Shakespeare

Die Liebe ist nicht wetterwendisch, wie unser großer Dichter uns verkündet.
Sie wäre ja sonst auch nicht stark wie der Tod :-))))


iustitia antwortete am 27.06.04 (10:05):

Aus "ricardos" Beitrag - "Sonett 116" kann man nicht mehr erkennen, dass das Shakespeare-Gedicht überhaupt ein Sonett ist; der Übersetzer fehlt. Dass die Liebe "wetterwendisch" sei, kann ich nicht aus Williams Versen entnehmen, nur aus ricardos Schreib- und Klagemund.
*

Deshalb hier zwei Texte, das Original und eine Übersetzung von Wolff, ein Text, den Gutenberg.spiegel.online drucken kann, ohne Honorare an andere Dichter bzw. ihre Verlage oder Erben zahlen zu müssen.

William Shakespeare

Let me not to the marriage of true minds
Admit impediments. Love is not love
Which alters when it alteration finds,
Or bends with the remover to remove:
O no, it is an ever-fixed mark
That looks on tempests and is never shaken;
It is the star to every wand'ring bark,
Whose worth's unknown, although his height be taken.
Love's not time's fool, though rosy lips and cheeks
Within his bending sickle's compass come;
Love alters not with his brief hours and weeks,
But bears it out even to the edge of doom.
If this be error, and upon me prov'd,
I never writ, nor no man ever lov'd.
*

Sonett CXVI (Übersetzt von Max Josef Wolff)

Dem festen Bund getreuer Herzen soll
Kein Hindernis erstehn: Lieb' ist nicht Liebe,
Die, in der Zeiten Wechsel wechselvoll,
Unwandelbar nicht stets im Wandel bliebe.

Ein Zeichen ist sie fest und unverrückt,
Das unbewegt auf Sturm und Wellen schaut,
Der Stern, zu dem der irre Schiffer blickt,
Des Wert sich keinem Höhenmaß vertraut.

Kein Narr der Zeit ist Liebe! Ob gebrochen
Der Jugend Blüte fällt im Sensenschlag,
Die Liebe wankt mit Stunden nicht und Wochen,

Nein, dauert aus bis zu dem Jüngsten Tag!
Kann dies als Irrtum mir gedeutet werden,
So schrieb ich nie, ward nie geliebt auf Erden!
*
https://gutenberg.spiegel.de/shakespr/sonett/sonet116.htm
*
URL:
https://edocs.tu-berlin.de/diss/1995/horstmann_gesa.pdf
Die Arbeit von Gesa Horstmann gibt einen guten Überblick über die Sonette, insbesondere für die vielen Übersetzungen zu "Sonett 19", dem berühmten "Zeit-Gedicht".
*
Aber ich bin mir gar nicht sicher, ob hier ein ernsthafter Umgang mit einem fremdsprachigen Text der Weltliteratur (von W.S.) gemeint ist - oder ein Zufallsfund, einfach "was mit - Liebe oder so".

Internet-Tipp: https://gutenberg.spiegel.de/shakespr/sonett/sonet116.htm


ricardo antwortete am 27.06.04 (17:07):

Also ich muß etwas richtigstellen:
<Die Liebe ist nicht wetterwendisch, wie unser großer Dichter uns verkündet.
Sie wäre ja sonst auch nicht stark wie der Tod :-))))>
Das habe ich oben nach dem Gedicht von Shakespeare geschrieben,
Das Gedicht sagt doch, daß Liebe NICHT wetterwendisch sei
und das habe ich bestätigt!
Richtig lesen muß man können.

Und diese Übersetzung, von wem sie auch immer stammt, gefällt mir beonders, ich habe sie seit Jahr und Tag in meiner HP.

Was ist eigentlich gegen Zufallsfunde zu sagen?


Miriam antwortete am 27.06.04 (19:51):

Wer hat in seiner Biblothek das 66te Sonett in der Übersetzung von Wolf Biermann? Fand seine Übersetzung sehr schön - bin auch gefasst, dass manche mir jetzt mit den ...ins Gesicht springen! Macht nichts, erst das schöne Sonett, dann könnt Ihr springen!


dirgni antwortete am 27.06.04 (20:26):

In meiner Bibliothek hab ich es nicht, aber im Netz kann man vieles finden:
SHAKESPEARE, DAS 66. SONETT (Übersetzung: Wolf Biermann)

Müd, müd von all dem schrei ich nach dem Schlaf im Tod
Weil ich ja seh: Verdienst geht betteln hier im Staat
Seh Nichtigkeit getrimmt auf Frohsinn in der Not
Und reinster Glaube landet elend im Verrat
Und Ehre ist ein goldenes Wort, das nichts mehr gilt
Und einer Jungfrau Tugend wird verkauft wie�n Schwein
Und weil Vollkommenheit man einen Krüppel schilt
Und weil die Kraft dahinkriecht auf dem Humpelbein
Gelehrte Narr�n bestimmen, was als Weisheit gilt
Und Kunst seh ich geknebelt von der Obrigkeit
Und simple Wahrheit, die man simpel Einfalt schilt
Und Güte, die in Ketten unterm Stiefel schreit
Von all dem müde, wär ich lieber tot, ließ ich
In dieser Welt dabei mein Liebchen nicht im Stich.

Internet-Tipp: https://www.swr.de/imperia/md/content/unternehmen/biermann.rtf


iustitia antwortete am 27.06.04 (21:47):

Ricardo - okay, sorry, behandel Dichtung, wie Du es magst.
*
William Shakespeare
Sonett CXVI
(Übersetzung von Paul Celan)

Ich laß, wo treue Geister sich vermählen,
kein Hemmnis gelten. Liebe wär nicht sie,
wollt sie, wo Wandlung ist, die Wandlung wählen;
noch beugt sie vor dem Beugenden die Knie.

O nein, sie steht, ein unverrückbar Zeichen,
sie sieht über die Stürme weg, sie währt;
sie ist der Barke Stern, hoch, ohnegleichen -:
die Höh - ermessen, unbekannt sein Wert.

Legt sie, die Sichel, sich auch um die Wangen,
die rosigen - Lieb' ist kein Narr der Zeit.
Nicht können Stunden, Wochen sie belangen;
der Jüngste Tag, er findet sie bereit.

So ich dies hier als Wahn erwiesen seh,
so schrieb ich nie und keiner liebte je.

**
Liebe bis zum Jüngsten Tag, als Posie...?


iustitia antwortete am 27.06.04 (21:52):

Dank für die, die mitsuchen. Tatsächlich sind nur wenige Übersetzungen von Williams Sonetten im Internet.
*
ricardo: Dein Satz -
"Die Liebe ist nicht wetterwendisch, wie unser großer Dichter uns verkündet. Sie wäre ja sonst auch nicht stark wie der Tod ..." -
ist missveständlich, weil das "wie", als modale Konjunktion, nicht genau genug ist; man weiß nicht - ich jedenfalls - beim ersten Lesen, ob sich "wie" auf den gesamten Hauptsatz bezieht oder nur auf das Prädikatsnomen "(nicht) wetterwendisch".


Miriam antwortete am 27.06.04 (22:17):

Liebe DIRGNI, herzlichen Dank, Du hast mir aber eine schöne Überraschung bereitet! Ist die Übersetzung nicht schön? Ich meine, die Sprache von Biermann! - Beurteilen, in Vergleich mit dem Original, kann ich es nicht! Und schon garnicht, wo Leute vorbeischauen und über modale Konjunktion sprechen, so en passant, wie ich halt jüdische Witze erzähle!

Danke auch Dir, JUSTITIA, für die schöne Übersetzung, die wir Paul Celan zu verdanken haben.


ricardo antwortete am 27.06.04 (22:36):

iustitia
wenn du das Gedicht in meinem Eintrag gelesen hättest wäre die der Irrtum jedenfalls nicht passiert..
Die Übersetzung von Celan, finde ich, ist wie der Autor meist, mir wenig verständlich. und kapriziös.
Ich bleibe lieber bei meinen eher schlichten Vorlieben :-))))


dirgni antwortete am 27.06.04 (22:50):

Hallo Miriam,

bei der Suche von Texten mache ich noch gerne mit. Von persönlichen Stellungnahmen nehme ich Abstand Die Schwerter der Gerechtigkeit sind mir hier zu scharf und zu spitz.


iustitia antwortete am 28.06.04 (22:10):

ricardo -

weil ich den Shakespeare gelesen habe - und Deinen missverständlichen Satz - deshalb habe ich meinen Punkt angemerkt.
Celan - kapriziös? Toll voll daneben. E r kennt die jüdische und die christliche - und die deutsche als Teil der europäischen Kultur - da müsstest Du Fragen stellen lernen - statt dumme Adjektive spermieren (unfruchtbar).


ricardo antwortete am 28.06.04 (22:30):

Antonius
Du hast eben deine Ansichten, ich die Meinigen.
Da kommen wir nicht zusammen.
Und das ist auch gut so.
Die Geschmäcker sind gottlob verschieden.


Miriam antwortete am 28.06.04 (23:11):

An RICARDO und JUSTITIA!

Ihr kommt wohl nicht zusammen...

Aber warum lauft Ihr Euch ständig nach?


dirgni antwortete am 28.06.04 (23:48):

zurück zu Shakespeare?

Hier zwei Übersetzungen von Christa Schuenke:

LXVI

All dessen müd, nach Rast im Tod ich schrei.
Ich seh es doch: Verdienst muß betteln gehn
Und reinste Treu am Pranger steht dabei
Und kleine Nullen sich im Aufwind drehn

Und Talmi-Ehre hebt man auf den Thron
Und Tugend wird zur Hure frech gemacht
Und wahre Redlichkeit bedeckt mit Hohn
Und Kraft durch lahme Herrschaft umgebracht

Und Kunst das Maul gestopft vom Apparat
Und Dummheit im Talar Erfahrung checkt
Und schlichte Wahrheit nennt man Einfalt glatt
Und Gutes Schlechtestem die Stiefel leckt.

All dessen müd, möcht ich gestorben sein,
Blieb nicht mein Liebster, wenn ich sterb, allein.

CXVI

Nie darf ein Hemmnis reiner Seelen Bund
Im Wege stehn. Die Lieb ist Liebe nicht,
Die schwankend wird, schwankt unter ihr der Grund,
Und schon an einem Treuebruch zerbricht.

Sie ist die Boje, die kein Sturm versenkt,
Die unerschüttert steht im Zeitenstrom,
Ist Leitstern, der verirrte Schiffe lenkt;
Was Liebe kann, ermißt kein Astronom.

Liebe ist nicht der Narr der Zeit, die zwar
Selbst Rosen fällt mit ihrem Sichelschlag:
Im flinken Lauf der Zeit unwandelbar
Besteht die Liebe bis zum Jüngsten Tag.

Wenn, was hier steht, sich je als falsch ergibt,
Dann schrieb ich nie, hat nie ein Mensch geliebt.


ricardo antwortete am 29.06.04 (08:49):

Dirgni
Auf Christa Schuenke bin ich bei meinen Recherchen auch gekommen. Ich finde ihre Zeilen sehr einfühlsam und ihre Deutung von CXVI kommt der von mir oben eingesetzten sehr nahe.
Man sieht aber auch wie viel Raum für die Interpretation gegeben ist.


Enigma antwortete am 29.06.04 (09:34):

Und noch ein Beitrag. Das Gedicht einer Polin:

Liebe auf den ersten Blick

Beide sind überzeugt,
sie habe ein plötzliches Gefühl vereint.
Diese Gewißheit ist schön,
doch die Ungewißheit ist schöner.

Sie meinen, weil sie sich früher nicht kannten,
sei zwischen ihnen nie etwas geschehn.
Was sagen die Straßen dazu, die Treppen, Korridore,
wo sie aneinander seit langem hätten vorbeigehen können?

Ich wollte sie fragen,
ob sie sich erinnern -
irgendwann in der Drehtür vielleicht
Aug`in Aug`?
Ein "Pardon" im Gedränge?
Die Stimme im Hörer "falsch verbunden?"
- Ich kenne die Antwort.
Nein, sie erinnern sich nicht.

Es würde sie wundern zu hören,
der Zufall habe seit langem
mit ihnen gespielt.

Noch nicht ganz
Schicksal,
brachte er sie mal zusammen,
mal auseinander
versperrte den Weg,
sprang zur Seite,
kichernd.

Es gab Zeichen, Signale,
zwar unleserlich, na und?
Flog vor drei Jahren vielleicht
oder am vergangenen Dienstag
ein gewisses Blatt
von Schulter zu Schulter?
Es gab Verlorenes und Aufgehobenes.
Vielleicht war`s schon ein Ball
im Gebüsch der Kindheit?

Es gab Klinken und Klingeln,
auf die sich seit je
Berührung auf Berührung legte.
Koffer in der Aufbewahrung nebeneinander.
Vielleicht gab`s den gleichen Traum in ein und
derselben Nacht,
sofort nach dem Erwachen gelöscht.

Denn jeder Anfang
ist nur Fortsetzung,
und das Buch der Ereignisse
ist immer aufgeschlagen, mittendrin.

Wislawa Szymborska

Internet-Tipp: https://www.mdr.de/viaeuropa/795768.html


ricardo antwortete am 29.06.04 (14:06):

enigma
Das ist ein wunderschöner Gedanke mit der Begegnung und dem Zufall.
Er regt dazu an, aus eigenem Erleben so etwas zu erinnern....

Ein weiterer Gedanke, der mir hier im Internet zufällig begegnete:

Am Abend des Lebens bleibt nur noch die Liebe. Sie allein zählt und wird für uns sprechen und die Gezelte des Königs öffnen."

ORDENSSCHWESTER BLANDINE MERTEN OSU


iustitia antwortete am 29.06.04 (18:33):

Über das Leben der Ordensschwester Blandine Merten, die selig gesprochen wurde, s. URL; übrigens anderer Stelle noch mehr; sie war eine Ursulinin.
Und an einer Ursulinenschule, in Dorsten, habe ich das Referendariat gemacht; da habe ich Menschen kennen gelernt wie sonst kaum.

Internet-Tipp: https://www.kreis.aw-online.de/kvar/VT/hjb1989/hjb1989.3.1.htm


Enigma antwortete am 30.06.04 (08:43):

Ziemlich viel Glück

Ziemlich viel Glück
gehört dazu,
daß ein Körper auf der Luft
zu schweben beginne
Mit Brust, Achsel und Knie,
und auf dieser Luft
einem anderen Körper begegne,
wie er
unterwegs.
Die Atmosphäre macht
zwei innige Torsen aus ihnen.
Unbemerkt beschreibt ihr Entzücken
zärtliche Linien in Baumkronen.
Eine ganze Zeit noch
ist ihr Flüstern zu vernehmen,
und wie sie einander
das schenken,
was leicht an ihnen ist.

Glücklichsein beginnt immer
ein wenig über der Erde.

Aber niemand hat es beobachten können.

Karl Krolow


ricardo antwortete am 01.07.04 (06:41):

Du bist wie eine Blume,
So hold und schön und rein;
Ich schau dich an, und� Wehmut
Schleicht mir ins Herz hinein.

Mir ist, als ob ich die Hände
Auf's Haupt dir legen sollt,
Betend, dass Gott dich erhalte
So rein und schön und hold.

Heinrich Heine


Enigma antwortete am 01.07.04 (07:56):

Befragung zur Mitternacht

Wo, die meine Hand hält, Gefährtin,
verweilst du, durch welche Gewölbe
geht, wenn in den Türmen die Glocken
träumen, daß sie zerbrochen sind,
dein Herz?

Wo, welchem Kahlschlag durcheilst du,
die ich berühre wangenzart, welch ein
betäubendes Nachtkraut streift dich,
Träumerin, welch ein Furt benetzt
deinen Fuß?

Wo, wenn der hohe Himmel graut, Liebste,
rauschst du durch Traumschilf, streichelst
Türen und Grüfte, mit wessen Boten
tauscht Küsse, der leise bebt,
dein Mund?

Wo ist die Flöte, der du dein Ohr neigst,
wo das Geheul, das lautlos dein Haar
bauscht, und ich liege wie ein Gelähmter
und horch und wach und wohin
dein Gefieder?

Wo, in was für Wälder verstrickt dich
die meine Hand hält, Gefährtin,
dein Traum?

Hans Magnus Enzensberger


Sofia204 antwortete am 01.07.04 (20:03):



Ich liebe euch, kleine rote Ameisen
Mit Zange und Feuer geschmückte!

Ihr sollt auch bald an mildem Abend
Ein süßes Festmahl haben

Ihr werdet die Schönheit von mir tilgen
Die Schönheit die mir so wehtat

Ihr werdet aus meiner Haut
Seine zärtlichen Küsse trinken

Von meinen Knochen das Fleisch
Und die Erinnerung schaben

Ihr lieben Mörderinnen
Die ihr von Liebe mich befreit


Ivan Goll, Malaiische Liebeslieder


Miriam antwortete am 01.07.04 (20:17):

Lauter schöne Gedichte Heute, den Anfang machte Heine (also eigentlich Ricardo), dann Enzensberger (Dank an Enigma), und der Abschluss mit Ivan Goll (Danke Dir Sofia204). Habe mich nur mit einen kurzen (aber mir sehr lieben) Israel-Witz revanchiert.


marie2 antwortete am 01.07.04 (22:38):


Ich liebe dich nicht, wie ich eine Rose aus Salz lieben würde,
einen Topas, einen Nelkenpfeil, der das Feuer entfacht:
ich liebe dich, wie man die dunklen Dinge liebt,
heimlich, zwischen Seele und Schatten.
Ich liebe dich wie die Pflanze die nicht blüht und die
in ihrem Innern andrer Blumen Licht versteckt,
und dank deiner Liebe lebt in meinem Leibe dunkel
das dichte Arom, das aufstieg aus der Erde.
Ich liebe dich und weiß nicht wie noch wann noch wo,
ich liebe dich geradezu ohne Fragen noch Übermut,
so lieb ich dich, weil anders ich nicht lieben kann,
vielmehr auf diese Weise, in der ich und du nicht sind,
so nah, dass deine Hand auf meiner Brust ganz mir gehört,
so nah, daß ich in meinem Schlaf deine Augen schließe.

[Pablo Neruda]


Enigma antwortete am 02.07.04 (09:23):

Guten Morgen,

erst einmal habe ich auch natürlich die letzten Gedichte gelesen und genossen. Danke, auch für Miriam`s Witz in dem anderen Thread.

Da das Thema in seiner Vielfalt ja unerschöpflich ist, mache ich gleich weiter mit einem Gedicht von
Halina Poswiatowska:

"mein Geliebter ist überhaupt nicht schön
und hat einen recht schwierigen Charakter
doch wer malt mir den Himmel
in dunklem Nachmittagsviolett
wenn ich ihn gehen lasse ohne Wiederkehr

mein Geliebter hat einen heißen Mund
und eine Reihe scharfer Zähne wenn er lachend
die Forderungen der Welt erwidert
mein Geliebter hat einen Mund der aufgeht
als Halbmond über jeder meiner Nächte

mein Geliebter ist nicht zärtlich seine Augen
gehen im Straßenrechteck tanzen
er läßt die Mädchen Feuer fangen
festgeklammert an seinen Schatten
halte ich meine Liebe an den Haaren

in seinem Schatten wird der zarte Grashalm
zu einem Apfelbaum in voller Blüte"

Internet-Tipp: https://www.mdr.de/viaeuropa/404751.html


Medea. antwortete am 02.07.04 (14:40):

Nach all diesen wunder-, wunderschönen Gedichten der Moderne lasse ich noch einmal das Wölfchen aus Frankfurt zu Worte kommen.

Nähe des Geliebten

Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
in Quellen malt.

Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
der Wandrer bebt.

Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
die Welle steigt.
Im stillen Haine geh' ich oft zu lauschen,
wenn alles schweigt.

Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne.
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne.
Oh, wärst du da!


marie2 antwortete am 03.07.04 (13:30):

Klopfzeichen

Damals,
wenn sie zu ihm ging,
benützte sie nie die Klingel.
Sie klopfte ans Fenster,
klopfte an die Tür,
klopfte im Takt
seines Herzens.

Und jetzt, nach Jahrzehnten,
klopft sie noch immer
wenn sie heimkommt,
im Takt ans Fenster
und an die Tür.
Und das wird so bleiben,
so lange sein Herz schlägt
oder das ihre.

Klingeln kann jede.

Hans Manz


Enigma antwortete am 05.07.04 (10:13):

Gefällt mir gut, Marie 2.
Ich habe auch noch eines; das ist aber ein bisschen "wilder"und heisst:

Du

Da kamst Du -
ganz Geschäftigkeit;
hinter meines Wuches Schwung,
meines Brüllens Heftigkeit
gewahrtest du
einfach den Knaben.
Wie du kamst,
das Herz an dich nahmst!
Und gingst einfach damit spielen -
wie ein Mädchen mit einem Ball
(seinem Sprung und Fall).
Und jede andre von den vielen
- da Jungfer, dort Dame -
staunte : - "nein,
solchen Kerl lieben?
Der Typus ist nicht grad der Zahme,
der stürzt wild drauflos!
Die muss eine Bändigerin sein,
sicher eine Angestellte des Zoos!"
Ich aber, voller Jubel,
meinte nur mehr und noch:
keine Spur mehr von Joch
Vor Freude ganz ausser Rand und Band -
ein einziger Trubel
in Indianerland;
es war wie auf einer Hochzeit heiter,
mein Atem ging breiter.

Wladimir Majakowski


marie2 antwortete am 05.07.04 (18:23):

Ja Enigma, die Klopfzeichen von Hans Manz sind eher leise, da klopft Pablo Neruda schon weitaus heftiger gegen die Tür.


Die Frage

Liebe, eine Frage
hat Dich zerstört.

Ich bin zurückgekehrt zu Dir
aus der Ungewissheit voll Dornen.

Ich wünsche mir Dich so gerade
wie das Schwert oder der Weg.

Aber Du beharrst darauf,
einen Schattenwinkel zu wahren,
den ich nicht mag.

Meine Liebe,
versteh mich,
ich will Dich ganz,
von den Augen bis zu den Füßen, den Nägeln,
im Innern
all die Klarheit, die Du bewahrtest.

Ich bin's, meine Liebe,
der an der Tür schlägt.
Nicht das Gespenst, nicht der,
welcher früher stehenblieb
an Deinem Fenster.

Ich schlage die Türe ein,
dringe ein in Dein ganzes Leben,
komme, um in Deiner Seele zu wohnen:
Du kannst nichts tun gegen mich.

Tür um Tür musst Du auftun,
Du musst mir gehorchen,
musst die Augen öffnen,
damit ich sie durchsuche,
Du musst sehen, wie ich
mit schweren Schritten
all die Wege gehe,
die blind mich erwartet haben.

Fürchte mich nicht,
ich bin Dein,
doch ich
bin nicht der Durchreisende, nicht der Bettler,
ich bin Dein Herr,
der, auf den Du gewartet hast,
und jetzt trete ich ein
in Dein Leben,
um nie mehr fortzugehn,
Liebe, Liebe, Liebe,
um zu bleiben.

Pablo Neruda


Enigma antwortete am 06.07.04 (10:28):

Ja, marie2,
er klopft nicht, er schlägt nicht nur an der Tür, sondern sie ja auch ein...
Ich lese ihn immer wieder.

Aber jetzt mal wieder ganz anders:

Ein Liebeslied

Komm zu mir in der Nacht - wir schlafen engverschlungen.
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen.
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.

Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
und färben sich mit deiner Augen Immortellen...

Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.

Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
im hohen Rohre hinter dieser Welt.

Else Lasker-Schüler


ricardo antwortete am 07.07.04 (11:21):

Auch dies ein Liebeslied
und so einfach!
Singt jemand mit?

Botschaft
Wenn ich ein Vöglein wär'
und auch zwei Flügel hätt',
flög' ich zu dir.
I:Weil's aber nicht kann sein,:I
bleib' ich allhier.

Bin ich gleich weit von dir,
bin doch im Schlaf bei dir
und red' mit dir.
I:Wenn ich erwachen tu, :I
bin ich allein. �


Enigma antwortete am 09.07.04 (08:34):

Ich singe auf jeden Fall mit bei dem schönen Liebeslied.
Singe und schreibe:


Es wird kommen der Tag
von Lothar Zenetti

Es wird kommen der Tag,
da verlasse ich, zaghaft
zuerst, dann beherzt
meine einsame Insel.

Wage mich endlich hervor
aus dem bewährten Versteck
und der sicheren Deckung,
fast ohne Angst und ohne
noch einmal mich umzusehen.

Meine Rüstung tue ich
ab und alle die Waffen,
das Wenn und das Aber
und steige ins Boot.

Wehrlos werde ich sein
und vewundbar, ich weiß,
auf dem offenen Meer
und einzig beschützt
von der Liebe

Internet-Tipp: https://home.t-online.de/home/079142612-0001/zenetti.htm


ricardo antwortete am 10.07.04 (16:23):

Danke enigma,
für dein schönes Gedicht,
aber vor allem für das Mitsingen.
Das ist schon schade, daß mans nicht hören kann,
aber ein wenig spüren schon!
Gruß
von Ric

Eine Zeichnung,, Monet nachempfunden, kannste unten anklicken!

Internet-Tipp: https://www.freiburger-stadtmusikanten.de/admin/pics/020922_1732_1.jpg


Enigma antwortete am 11.07.04 (09:15):

Hallo,guten Morgen Alle,

Ricardo, ist die Zeichnung von Dir?
Dann könntest Du ja in einem Thread mal mehr davon zeigen.
In unserem kleinen Forum betreiben wir im Moment Gemälderaten, d.h., jemand stellt ein Bild ins Forum, und die anderen raten, aus welcher Epoche und von welchem Maler es sein könnte.Das setzt natürlich einen bestimmten Bekanntheitsgrad des Bildes voraus. Aber es macht uns Freude.
Da ich zeichnerisch völlig unbegabt bin, kann ich mich nur mit einem Gedicht (und das auch noch nicht mal von mir *g*) revanchieren:

Ich liebe dich so feurig nicht, verzeih!
Für andre sollst in Schönheit du erstrahlen;
ich lieb in dir nur die vergangnen Qualen
und meine Jugend, die schon längst vorbei.
Bisweilen, wenn dein Augenpaar ich schau
und meinen Blick in deinen Blick versenke,
sind andre Augen es, an die ich denke,
mein Herz, es spricht mit einer andren Frau.
Ich sprach mit der Gefährtin meines Glücks,
in deinen Zügen such ich andre Züge;
Das Lächeln einer längst vergangnen Liebe,
das Feuer eines längst erstarrten Blicks.

Michail J. Lermontow

Internet-Tipp: https://www.cpw-online.de/lemmata/lermontow_michail_j.htm


ricardo antwortete am 12.07.04 (08:30):

Von einer Dichterin der kleinen Dinge

Ein kleines Lied, wie gehts nur an,
dass man so lieb es haben kann,
was liegt darin?
Erzähle !
Es liegt darin ein wenig Klang,
ein wenig Wohllaut und Gesang
und eine ganze Seele.

Maria von Ebner Eschenbach

Internet-Tipp: https://www.freiburger-stadtmusikanten.de/admin/pics/020129_1827_1.jpg


iustitia antwortete am 12.07.04 (14:26):

Die von Ebner-Eschenbach ist nicht nur die Dichterin der "kleinenDinge". Sie hat viele Dramen geschrieben, die man damals nicht sehen wollte. Und Aphorismen, die heute die Männer noch immer ärgern...
Beispiele:

Das Urteil auch des weisesten Elefanten gilt einem Eselchen lange nicht so viel wie das Urteil eines andern Eselchen.

Wenn eine Frau sagt jeder, meint sie: jedermann.

Wenn ein Mann sagt jeder, meint er: jeder Mann.
*
Dann hat sie Romane und Novellen - nicht nur "Krambambuli" - verfaßt.
Diese Geschichte hier - da setze ich nur die Einleitung rein - gibt es im Internet - bis zum letzten bitteren Satz...

*

Marie von Ebner-Eschenbach: Er lasst die Hand küssen
Erzählung (1886)

�So reden Sie denn in Gottes Namen�, sprach die Gräfin, �ich werde Ihnen zuhören; glauben aber nicht ein Wort.�
Der Graf lehnte sich behaglich zurück in seinen großen Lehnsessel: �Und warum nicht?� fragte er.
Sie zuckte leise mit den Achseln: �Vermutlich erfinden Sie nicht überzeugend genug.�
�Ich erfinde gar nicht, ich erinnere mich. Das Gedächtnis ist meine Muse.�
�Eine einseitige, wohldienerische Muse! Sie erinnert sich nur der Dinge, die Ihnen in den Kram passen. Und doch gibt es auf Erden noch manches Interessante und Schöne außer dem - Nihilismus.� Sie hatte ihre Häkelnadel erhoben und das letzte Wort wie einen Schuß gegen ihren alten Verehrer abgefeuert.
(...)


ricardo antwortete am 12.07.04 (16:40):

Mal was Heiteres zur Abwechslung

Ein weiser Spruch macht jüngst die Runde
Katzen sind klüger als wie Hunde
Schwarz ist stärker als Rotgrün!
Bonn war schöner als Berlin!
Frauen sind bessere Diplomaten
Männern ist meist nicht mehr zu raten
Alte sind grau und Kinder sind rosa
Manchmal sind Verse
Schöner als Prosa!
Aber klar ist die neue die fröhliche Kunde
Katzen sind viiiiiiel klüger
als wie die Hunde....


marie2 antwortete am 13.07.04 (20:58):

Bevor das Thema im Sommerloch verschwindet, hier noch ein Liebesgedicht für den Abend:

Guten Abend!
Meiner träumenden, meiner lieben
Freundin,
Die sich wundert, den Himmel, die sie
träumte,
Nicht auf Erden zu finden, wünsch� ich
eben
Auch so träumender einen guten Abend,
Einen inneren guten Seelenaben,
Zum Einschlafen und Träumen schöner
Träume
Diese irdische lange dunkle Nacht durch.
Senket, schönste der Träume, die ihr
träumet,
Sie in selige Traumvergessenheiten,
Und nie wecke die Wirklichkeit sie hart auf,
Sie zu mahnen, dass, was sie träumt, ein
Traum sey:
Bis die Träume des Lebens hingeträumt sind,
Und die Erde zum Himmel wird; dann
wünsch� ich
Dort zum Wachen ihr einen guten Morgen.

Friedrich Rückert (1788-1866)

Rückert schrieb dieses Briefgedicht an eine junge Frau. Dieses hier ist die ursprüngliche Fassung . Später wurde das Gedicht verändert und soll viel von seinem Zauber verloren haben. Falls jemand hier eine andere Fassung hat, mailt sie mir doch bitte. Beim Googeln finde ich keine.
Ich wünsche Euch eine gute Nacht, mit schönsten Träumen.
Marie2


iustitia antwortete am 14.07.04 (11:09):

Noch eine Liebes-Gedicht - zwischen Mensch und Gott)
- Vielleicht steh es hier auch schon an anderer Stelle...; es ist so kühn - und zeigt, dass der Mensch sich sein Gottesbild macht. Immer.)

Rainer Maria Rilke:
Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe?

Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe?
Ich bin dein Krug (wenn ich zerscherbe?)
ich bin dein Trank (wenn ich verderbe?)
Bin dein Gewand und dein Gewerbe,
mit mir verlierst du deinen Sinn.

Nach mir hast du kein Haus, darin
dich Worte, nah und warm, begrüßen.
Es fällt von deinen müden Füßen
die Samtsandale, die ich bin.

Dein großer Mantel läßt dich los.
Dein Blick, den ich mit meiner Wange
warm, wie mit einem Pfühl, empfange,
wird kommen, wird mich suchen, lange
und legt beim Sonnenuntergange
sich fremden Steinen in den Schooß.

Was wirst du tun, Gott? Ich bin bange.
(Aus: Stundenbuch. 1899. In: R. M. Rilke. S. 51f.)


ricardo antwortete am 15.07.04 (10:15):

Zur Erheiterung nochmals Ringelnatz:

Die Briefmarke

Ein männlicher Briefmark erlebte
was Schönes, bevor a klebte.
Er war von einer Prinzessin beleckt
Da war die Liebe in ihm erweckt.

Er wollte sie wiederküssen
Doch hat er verrreisen müssen
So liebte er sie vergebens
Das ist die Tragik des Lebens.


marie2 antwortete am 15.07.04 (10:28):

Wintergarten

Deinen Briefumschlag
mit den zwei gelben und roten Marken
habe ich eingepflanzt
in den Blumentopf

Ich will ihn täglich
täglich begießen
dann wachsen mir
deine Briefe

Schöne
und traurige Briefe
und Briefe
die nach dir riechen

Ich hätte das früher tun sollen
nicht erst
so spät im Jahr

-Fried -

Diese Briefmarken hatten da wohl mehr Glück.
Marie2


Enigma antwortete am 15.07.04 (10:56):

Guten Morgen,

das ist er - allein wenn man schon um diese Zeit Besinnliches oder auch Lustiges lesen kann.
Danke dafür.

Dann will ich auch noch etwas zu dem Thema beitragen:

Vom Altern
Der Liebe wird alles wichtig und lieb:
eine Schattenmulde in der Wange,
das Runzelgeflecht ums Auge,
eine Kindheitsnarbe unter den Zehen,
ein verborgener Makel der Haut,
eine sichtbar werdende Ader
und die kahle Stelle im Haar.
Jeder Verlust wird auch Gewinn
und mehrt die Erinnerung.
Treuer als Lust macht Zärtlichkeit,
der Schmerz um Vergängliches erneuert.
Aus den Filtern behutsamer Trauer
bergen wir die Schönheit, die bleibt.

Christine Busta

Busta hatte ich vor längerer Zeit einmal gelesen, und nun habe ich sie durch eine Freundin wiederentdeckt.

Wer mehr über sie wissen möchte:
www.gedichtsuche.de/dichter_ueber.php?id=164

Internet-Tipp: https://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.b/b990466.htm


ricardo antwortete am 16.07.04 (18:25):

Liebe im Alter

Die alten Wurzeln


Zwei Tannenwurzeln groß und alt
unterhalten sich im Wald.
Was droben in den Wipfeln rauscht,
das wird hier unten ausgetauscht.

Ein altes Eichhorn sitzt dabei
und strickt wohl Strümpfe für die zwei.
Die eine sagt: knig, die andere sagt knaaag,
Das ist genug für einen Tag..

Christian Morgenstern


Enigma antwortete am 17.07.04 (16:52):

Wir haben viel füreinander gefühlt

Wir haben viel füreinander gefühlt,
und dennoch uns gar vortrefflich vertragen.
Wir haben oft "Mann und Frau" gespielt,
und dennoch uns nicht gerauft und geschlagen.
Wir haben zusammen gejauchzt und gescherzt,
und zärtlich uns geküßt und geherzt.
Wir haben am Ende, aus kindischer Lust,
"Verstecken" gespielt in Wäldern und Gründen,
und uns so zu verstecken gewußt,
daß wir uns nimmermehr wiederfinden.

Heinrich Heine


ricardo antwortete am 17.07.04 (17:22):

Hallo enigma
das ist ein typisches und wunderbares Heinegedicht!
Danke..
Übrigens, die Zeichnung kannst du weitergeben ich habe Interessa daran, daß sie auf Wanderschaft geht!


ricardo antwortete am 18.07.04 (18:54):

Passend zur Jahreszeit:

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogen sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Joseph von Eichendorff�


marie2 antwortete am 18.07.04 (19:43):

Ach ricardo, im Augenblick fallen die Küsse des Himmels hier ziemlich laut und stürmisch aus.


kußlied

oder lied von der mund-zu-mund-beatmung

wenn ich traurig bin
müde bin
sterben will

kommst du
mit deinem mund
zu meinem mund
werd ich gesund

hauchst du mir leben ein
hauchst mir dein leben ein
wenn ich sterben will

kommst du
mit deinem mund
zu meinem mund
wird ich gesund

dann werd ich froh
dann werd ich wach
lebe ich
schwebe ich
mit dir
hand in hand
durch ein neues land

wenn ich traurig bin
müde bin
sterben will

kommst du
mit deinem mund
zu meinem mund
wird ich gesund

wilhelm willms, song of love


ricardo antwortete am 19.07.04 (22:57):

Marie2
Das mag ja sein, aber hier etwas zur Ermutigung :-)))))

Zur Ermutigung

Lange wurdest du um die türelosen
Mauern der Stadt gejagt.

Du fliehst und streust die verwirrten Namen der Dinge
hinter dich.

Vertrauen, dieses schwerste
ABC.

Ich mache ein kleines Zeichen
in die Luft,
unsichtbar,
wo die neue Stadt beginnt,
Jerusalem,
die goldene,
aus Nichts.

Hilde Domin�


Miriam antwortete am 19.07.04 (23:47):

Ermutigung

(Peter Huchel gewidmet)

Du, laß dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit
Die all zu hart sind, brechen
Die all zu spitz sind, stechen
und brechen ab sogleich

Du, laß dich nicht verbittern
In dieser bittren Zeit
Die Herrschenden erzittern
-sitzt du erst hinter Gittern-
Doch nicht vor deinem Leid

Du, laß dich nicht erschrecken
In dieser Schreckenszeit
Das wolln sie doch bezwecken
Daß wir die Waffen strecken
Schon vor dem großen Streit

Du, laß dich nicht verbrauchen
Gebrauche deine Zeit
Du kannst nicht untertauchen
Du brauchst uns, und wir brauchen
Grad deine Heiterkeit

Wir wolln es nicht verschweigen
In dieser Schweigezeit
Das Grün bricht aus den Zweigen
Wir wolln das allen zeigen
Dann wissen sie Bescheid

Wolf Biermann


ricardo antwortete am 21.07.04 (09:00):

Verbunden mit einer Bitte!

Unaufhaltsam

�Das eigene Wort,�
wer holt es zurück,�
das lebendige�
eben noch ungesprochene�
Wort?�

Wo das Wort vorbeifliegt�
verdorren die Gräser,�
werden die Blätter gelb,�
fällt Schnee.�
Ein Vogel käme dir wieder.�
Nicht dein Wort,�
das eben noch ungesagte,�
in deinen Mund.�
Du schickst andere Worte�
hinterdrein,�
Worte mit bunten, weichen Federn.�
Das Wort ist schneller,�
das schwarze Wort.�
Es kommt immer an,�
es hört nicht auf, an-�
zukommen.�

Besser ein Messer als ein Wort.�
Ein Messer kann stumpf sein.�
Ein Messer trifft oft�
am Herzen vorbei.�
Nicht das Wort.�

Am Ende ist das Wort,�
immer�
am Ende�
das Wort



Hilde Domin


Enigma antwortete am 22.07.04 (14:40):

Schön, dass das Thema immer weiterlebt.

Dann mach ich auch mal weiter:

Wer nicht geliebt hat, wer nicht zu lieben wagt oder nicht mehr lieben kann, lebt frühlingslose Jahre.
Er ist ein im Winter erfrorener und im Lenz nicht mehr knospender Baum.
Er fristet sein Dasein im Kellergeschoss als der Gefangene seiner eigenen Fremde.

Zenta Maurina


ricardo antwortete am 23.07.04 (14:04):

Rückkehr nach Berlin

Früher: das Land,
Jeder See, jede Kiefer
Blutsverwandt.
Dann: der Betrug.
Das Gas. Kristallnacht-Flamme,
Die aus Thoralade schlug.
Nun: nicht mehr Ort.
Tote äugen von Straßenschildern.
Doch � vorhanden
In jungen Bildern
Langend, empfangend,
Verstehend verstanden
Das Wort.

Vera Lachmann (1904-1985)
zu ihrem hundertsten Geburtstag.


Enigma antwortete am 24.07.04 (07:29):

Kehrreim

Du scherzt mit mir und lachst. Du siehst mich an.
Ich hab dich lieb, weil ich nicht anders kann.

Du schweigst, als ob dein Übermut besann
sich nun. - Weil ich nicht anders kann,

antwortest du. Und du umarmst mich dann,
flüsterst, weil ich nicht anders kann,

hab ich dich lieb. Und sagst noch:Mann,
ich lieb dich so. Die Liebe sieht dich an.

Karl Krolow


ricardo antwortete am 25.07.04 (08:53):

Ich saz ûf eime steine
und dahte bein mit beine,
dar ûf satzt ich den ellenbogen;
ich hete in mîne hant gesmogen
daz kinne und ein mîn wange.
dô dâhte ich mir vil ange,
wie man zer welte solte leben.
deheinen rât kond ich gegeben,
wie man driu dinc erwurbe,
der keines niht verdurbe.
diu zwei sint êre und varnde guot,
daz dicke ein ander schaden tuot.
daz dritte ist gotes hulde,
der zweier übergulde.
die wolte ich gerne in einen schrîn:
jâ leider desn mac niht gesîn,
daz guot und weltlich êre
und gotes hulde mêre
zesamene in ein herze komen.
stîg unde wege sint in benomen;
untriuwe ist in der sâze,
gewalt vert ûf der strâze,
fride unde reht sint sêre wunt.
diu driu enhabent geleites niht,
diu zwei enwerden ê gesunt.

Walter von der Vogelweide

in neuerem Deutsch:

Ich saß auf einem Stein, hatte Bein über Bein geschlagen, den Ellbogen drauf
gestützt, in die Hand schmiegte ich Kinn und Wange. Mit allen Gedanken fragte ich
mich, wie man auf der Welt leben sollte. Ich wußte keinen Rat, wie man drei Dinge
gewinnen kann und keins verlieren und verderben. Zwei sind Ehre und Güter der Welt,
die beide sich oft befeinden, das dritte ist Gottes Gnade, in ihrem Goldglanz beide
überstrahlend. Gern hätte ich sie alle in einem Gefäß. Doch ach, es kann nicht
sein, daß weltliche Güter und Ehre und dazu Gottes Gnade in einem Herzen sich
finden. Stege und Wege sind ihnen verstellt, Verrat liegt im Hinterhalt, auf den
Straßen herrscht die Gewalt, Friede und Recht sind auf den Tod verwundet. Bevor die
zwei nicht genesen sind, gibt es für die drei nicht Schutz noch Sicherheit


Die Zeilen sind mittelhochdeutsch geschrieben, verlieren durch
Übersetzung
Zustände im Deutschen Reich (Sommer 1198)


Enigma antwortete am 25.07.04 (11:10):

Ja Ricardo, leider, so finde ich auch, verlieren die Gedichte durch Übersetzung, wie auch das folgende. Aber man kann ja beides lesen, so man will:

Under der linden

Under der linden
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
dâ mugt ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras,
vor dem walde in einem tal,
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal.

Ich kam gegangen
zuo der ouwe:
dô was mîn friedel kommen ê,
dâ wart ich enpfangen,
hêre frouwe,
daz ich bin saelic iemer mê.
kuster mich? wol tûsentstunt:
tandaradei,
seht wie rôt mir ist der munt.

Dô hat er gemachet
alsô rîche
von bluomen eine bettestat,
des wirt noch gelachet
inneclîche,
kumt iemen an daz selbe pfat.
bî den rôsen er wol mac,
tandaradei,
merken wâ mirz houbet lac.

Daz er bî mir laege,
wessez iemen
(nu enwelle got!), so schamt ich mich.
wes er mit mir pflaege
niemer niemen
bevinde daz, wan er unt ich,
und ein kleinez vogellîn:
tandaradei,
daz mac wol getriuwe sîn.

Übertragung:

Unter der Linde,
auf der Heide,
dort, wo unser beider Lager war,
da könnt ihr finden,
schön gebrochen
Blumen und Gras.
Vor dem Wald in einem Tal
tandaradei,
schön sang die Nachtigall.

Ich kam gegangen
zu der Au:
da war mein Liebster schon eher gekommen.
Da ward ich empfangen,
hehre Jungfrau!
daß ich für immer glücklich bin.
Ob er mich küßte? Wohl tausendmal:
tandaradei,
seht,wie rot mir ist der Mund!

Da hat er gemacht
so herrlich
ein Bett von Blumen.
Darüber lacht noch mancher
herzlich,
kommt er den gleichen Pfad entlang.
An den Rosen mag er wohl,
tandaradei,
merken, wo der Kopf mir lag.

Daß er bei mir lag,
wüßt`es jemand
(das verhüte Gott), so schämt`ich mich.
Was er mit mir trieb,
niemals und niemand
erfahre das als er und ich,
und ein kleines Vögelein,
tandaradei,
das kann wohl schweigen.

Walther von der Vogelweide


ricardo antwortete am 26.07.04 (16:19):

enigma
Ich hoffe du bist mir nicht gram wenn ich das Mittelalter mal verlasse und einen gerade verfertigten Limmerick zum besten gebe:

Ich bin so an Günterstäler
Und hab halt die üblichen Fähler.
Doch wenn ich im Netz
Mich umsehe jetzt
Gibt�s solchne noch viiiel viel mähler!


Enigma antwortete am 27.07.04 (15:37):

Ricardo,
wie könnte ich Dir gram sein, wenn Du einen so witzigen Limerick verfaßt?

Von mir kommt jetzt aber wieder etws "Modernes":

Ich könnte auf Dich zugehen

Ich könnte auf dich zugehen,
aber ich tue es nicht.
Ich könnte dich ansehen,
aber ich beherrsche mich.
Ich könnte von mir erzählen,
aber ich halte mich zurück.
Ich könnte dir Bilder malen,
aber ich will es dir nicht so leicht machen.
Ich könnte alles zudecken, wie sonst,
aber ich decke auf.
Ich könnte dich fragen,
aber ich brauche deine Antwort nicht.

Ich könnte dich so lieben,
wie ich es immer getan habe,
aber ich wähle einen anderen Weg.
Du wirst merken,
daß ich nicht immer da sein werde,
weil das oft genug hieß,
daß ich abwesend war.
Ich werde nicht sofort kommen,
wenn du nach mir rufst.
Du wirst mich hartnäckig finden,
daran wirst du meine Zuwendung erkennen.
Ich werde dir widerstehen,
daran wirst du dich bilden können.
Ich werde schweigen lernen
und nicht mehr daran leiden.

Ich tue alles,
weil ich glaube,
daß ich dich nur finden werde,
wenn ich dich nicht mehr so suche,
als hätte ich kein eigenes Leben
und meins hinge an deinem.

Ich weiß jetzt,
nur wenn ich dich so verliere,
wie ich dich einmal hielt,
wirst du dich finden,
vielleicht in Armseligkeit und Tränen,
aber du wirst dich finden.

Das wird auch der Moment sein,
wo du mich zum ersten Mal
so entdecken wirst,
wie ich bin.
Dann wirst du ganz neu
die Wahl haben,
mich zu lieben
oder nicht.

Ulrich Schaffer

Internet-Tipp: https://www.ulrich-schaffer.com/schaffer.htm


ricardo antwortete am 28.07.04 (18:54):

Lieder zur Ermutigung

I
UnsereKissen sind naß
von den Tränen
verstörter Träume.

Aber wieder steigt
aus unseren leeren
hilflosen Händen
die Taube auf

Hilde Domin, sie wurde 95 Jahre alt
und Ehrenbürgerin der Stadt Heidelberg.


Enigma antwortete am 30.07.04 (07:01):

Ricardo, für mich ist Hilde Domin ein Ausnahmemensch. Einmal von der Bedeutung ihrer Lyrik her und auch von ihrer Persönlichkeit, denn sie ist zurückgekommen und hat verziehen...

Die Augen strahlend wie Gold und kristallklar die Wange
und lieblicher der Mund als eine purpurne Blume,
marmorweiß der Hals und leuchtend die Brüste
und die Füße weißer als die silberne Thetis!
Wenn aber auch in den Locken Silberfäden schimmern,
an den weißen Halm kehr ich mich überhaupt nicht.

Rufinos , 1.Jh.n.Chr.

Internet-Tipp: https://www.deutsche-liebeslyrik.de/fremd/epigramme1.htm


ricardo antwortete am 30.07.04 (08:40):

Liebe enigma
Da haben wir beide eine gemeinsame Vorliebe :-))

Hier noch etwas zum Nachdenken:
Fürchte dich nicht davor, etwas Neues zu beginnen.
Denk daran: Die Arche Noah wurde von Amateuren gebaut,
Die Titanic von Fachleuten!


ricardo antwortete am 01.08.04 (09:21):

Zu den Ferien passt besser:

Buttervögelken sett dik
Qp mine Hand, op mine Hand,
I daun dik nischt tau Leide.
Et soll ik nischt tau Leid gescheihe.
Will mer dine bunten Flittchen seihe,
Bunte Flittchen meine Freude....


Enigma antwortete am 02.08.04 (08:29):

Das ist ja ganz reizend, Ricardo. Wenn man dem Buttervögelken nichts antut, setzt es sich vielleicht auch auf die Hand, und man kann seine bunten Flittchen aus der Nähe sehen. :-)))

Nun noch ein kleines Gedicht zum Thema:

Mein Liebchen hat das Herz sich abgeschlossen,
den Schlüssel drauf geworfen in die See.
Dort hängt er tief, wo die Korallen sprossen,
vergebens taucht nach ihm hinab mein Weh.

Friedrich Rückert


iustitia antwortete am 02.08.04 (21:36):

Ist nachzulesen, vor mehr als zwei Jahren übersandt:

Eduard Mörike:

Das Geheimniß
(Nach Walter von der Vogelweide)

Internet-Tipp: /seniorentreff/de/diskussion/archiv4/a233.html


ricardo antwortete am 02.08.04 (22:15):

enigma
laß dich nicht irritieren, das Gedicht ist von Rückert und einem Vers von W. von der Vogelweide nachempfunden


Enigma antwortete am 03.08.04 (10:23):

Guten Morgen ,

Ricardo,
den Link von Iustitia fasse ich etwas anders auf.
Meines Erachtens wollte er nur einen Hinweis geben auf ein Gedicht (eben "Das Geheimniß" nach Walther von der Vogelweide, sehr nett angekündigt als :"Noch ein Tandaradei-Gedicht"). Da es in dem Thread bereits gepostet war, reichte ja der Hinweis darauf. Ich habe es mit Vergnügen gelesen und mir auch ausgedruckt.
Ich glaube, dass es sich so verhielt, aber genau weiss ich es natürlich auch nicht.

Lieben Gruss
Enigma



Enigma antwortete am 04.08.04 (08:17):

Friederike Mayröcker

Wie und warum ich dich liebe
für Ernst Jandl
zum 70. Geburtstag

wenn du es bist bin ich nicht sicher ob ich es bin
was dich bedroht ist bedrohlich für mich
der Spiegel in den ich blicke an jedem Abend
hält mir gleichzeitig entgegen dein Bildnis und meines
das Geheimnis im Dunkel deines Herzens ist nicht
um von irgendjemandem gelüftet zu werden
es zieht mich an am gründlichsten und am tiefsten
und ist vermutlich das Motiv meiner unbeirrbaren Liebe


marie2 antwortete am 04.08.04 (16:29):

paar, über 50

dass nur noch eines von beiden
eine weitere lebensphase wird haben
müssen
und sie noch lange nicht kommen
und kurz sein
möge

ernst jandl


ricardo antwortete am 05.08.04 (22:56):


Phidile
Ich war erst sechzehn Sommer alt,
Unschuldig und nichts weiter,
Und kannte nichts als unsern Wald,
Als Blumen, Gras und Kräuter.

Da kam ein fremder Jüngling her;
Ich hatt ihn nicht verschrieben,
Und wußte nicht wohin noch her;
Der kam und sprach von Lieben.

Er hatte schönes langes Haar
Um seinen Nacken wehen;
Und einen Nacken, als das war,
Hab ich noch nie gesehen.

Sein Auge, himmelblau und klar!
Schien freundlich was zu flehen;
So blau und freundlich, als das war,
Hab ich noch keins gesehen.

Und sein Gesicht, wie Milch und Blut!
Ich habs nie so gesehen;
Auch, was er sagte, war sehr gut,
Nur konnt ich nichts verstehen.

Er ging mir allenthalben nach,
Und drückte mir die Hände
Und sagte immer O und Ach,
Und küßte sie behende.

Ich sah ihn einmal freundlich an
Und fragte, was er meinte;
Da fiel der junge schöne Mann
Mir um den Hals und weinte.

Das hatte niemand noch getan;
Doch wars mir nicht zuwider,
Und meine beiden Augen sahn
In meinen Busen nieder.

Ich sagt ihm nicht ein einzig Wort,
Als ob ichs übel nähme,
Kein einzigs, und - er flohe fort;
Wenn er doch wieder käme!
Mathias Claudius


Enigma antwortete am 06.08.04 (08:13):

Guten Morgen,

ein sehr schönes Gedicht Ricardo. Das muss ich auch noch in einem Gedichtband haben.

Ich habe auch noch eines gefunden, das mir gefällt:

Mein Käthchen

Mein Käthchen fordert zum Lohne
von mir ein Liebesgedicht.
Ich sage:Mein Käthchen verschone
mich damit, ich kann das nicht.

Ob überhaupt ich dich liebe,
das weiss ich nicht so genau;
Zwar sagst du ganz richtig, das bliebe
gleichgültig; doch, Käthchen, schau:

Wenn ich die Liebe bedichte,
bedicht`ich sie immer vorher.
Denn wenn vorbei die Geschichte,
wird mir das Dichten zu schwer

Frank Wedekind


marie2 antwortete am 06.08.04 (11:41):

Ballade vom Brennesselbusch

Liebe fragte Liebe: ,,Was ist noch nicht mein?"
Sprach zur Liebe Liebe: ,,Alles, alles dein!"
Liebe küßte Liebe: ,,Liebste, liebst du mich?"
Küßte Liebe Liebe: ,,Ewig, ewiglich ,,

Hand in Hand hernieder stieg er mit Maleen
Von dem Heidehügel, wo die Nesseln stehn,
Eine Nessel brach er, gab er ihrer Hand,
Zu der Liebsten sprach er: ,,Uns brennt heißrer Brand!

Lippe glomm auf Lippe, bis die Lust zum Schmerz,
Bis der Atem stockte, brannte Herz an Herz,
Darum, wo nur Nesseln stehn am Straßenrand,
Wohn wir daran denken, was uns heute band!" �

Spricht von Treu die Liebe, sagt sie ,,ewig" nur, -
Ach, die Treu am Mittag gilt nur bis zwölf Uhr,
Treue gilt am Abend, bis die Nacht begann, -
Und doch weiß ich Herzen, die verbluten dran.

Krieg verschlug das Mädchen, wie ein Blatt verweht,
Das im Wind die Wege fremder Koppeln geht,
Und ihr lieber Liebster stieg zum Königsthron,
Eine Königstochter nahm der Königssohn.

Sieben Jahre gingen, und die Nessel stand
Sieben Jahr an jedem deutschen Straßenrand,
Wer hat Treu gehalten? Gott alleine weiß,
Ob nicht wunde Treue brennet doppelt heiß!

Bei der Jagd im Walde stand mit schwerem Sinn,
Stand am Knick der König bei der Königin,
Nesselblatt zum Munde hob er wie gebannt,
Und die Lippe brannte, wie sie einst gebrannt:
,,Brennettelbusch,
Brennettelbusch so kleene,
Wat steihst du so alleene!
Brennettelbusch,
Wo is myn Tyd 'eblewen,
Un wo is myn Maleen?"

,,Sprichst mit fremder Zunge?" frug die Königin.
,So sang ich als Junge", sprach er vor sich hin.
Heim sie ritten schweigend, Abend hing im Land, -
Seine Lippen brannten, wie sie einst gebrannt!

Durch den Garten streifte still die Königin,
Zu der Magd am Flusse trat sie heimlich hin,
Welche Wäsche spülte noch im Sternenlicht,
Tränen sahn die Sterne auf der Magd Gesicht:
,,Brennettelbusch,
Brennettelbusch so kleene,
Wat steihst du so alleene!
Brennettelbusch,
Ik hev de Tyd 'eweten,
Dar was ik nich alleen!"

Sprach die Dame leise: ,,Sah ich dein Gesicht
Unter dem Gesinde? Nein, ich sah es nicht!"
Sprach das Mädchen leiser: ,,Konntest es nicht sehn,
Gestern bin ich kommen, und ich heiß Maleen!" �

Viele Wellen wallen weit ins graue Meer,
Eilig sind die Wellen, ihre Hände leer,
Eine schleicht so langsam mit den Schwestern hin,
Trägt in nassen Armen eine Königin.---
Liebe fragte Liebe: ,,Sag, weshalb du weinst?"
Raunte Lieb zur Liebe: ,,Heut ist nicht mehr einst!"
Liebe klagte Liebe: ,,Ist's nicht wie vorher?"
Sprach zur Liebe Liebe: ,,Nimmer - nimmermehr."
Börries Freiherr von Münchhausen-

Als ich 10 war, mussten wir diese Ballade auswendig lernen. Unsere Lehrerin hatte damals großen Liebeskummer.


ricardo antwortete am 07.08.04 (22:28):

Schön Marie ist deine Reminiszenz an die Lehrerin

Kaum zu glauben:
Heinrich Heine schrieb über
Die Engel

Freilich, ein ungläubger Thomas,
Glaub ich an den Himmel nicht,
Den die Kirchenlehre Romas
Und Jerusalems verspricht.

Doch die Existenz der Engel,
Die bezweifelte ich nie;
Lichtgeschöpfe sonder Mängel,
Hier auf Erden wandeln sie.

Nur, genädge Frau, die Flügel
Sprech ich jenen Wesen ab;
Engel gibt es ohne Flügel,
Wie ich selbst gesehen hab.

Lieblich mit den weißen Händen,
Lieblich mit dem schönen Blick
Schützen sie den Menschen, wenden
Von ihm ab das Mißgeschick.

Ihre Huld und ihre Gnaden
Trösten jeden, doch zumeist
Ihn, der doppelt qualbeladen,
Ihn, den man den Dichter heißt.

Von Heinrich Heine�


ricardo antwortete am 09.08.04 (16:53):

Klein Ännchen

Klein Ännchen von der Mühle
Saß eines abends kühle
Auf einem breiten Stein,
Auf einem breiten Stein.

Kaum hat sie angefangen,
Da kam der Prinz gegangen,
Ein Ritter jung und schön,
Ein Ritter jung und schön.

Klein Ännchen, hast du Eltern?
Ach nein ich habe keine!
Komm mit mir in mein Schloß.
Komm mit mir in mein Schloß.

Als Fürstin sollst du leben,
In Samt und Seide schweben,
In Gold und Edelstein
Sollst du begraben sein.
Sollst du begraben sein.


Enigma antwortete am 10.08.04 (09:40):

Guten Morgen,

das arme Ännchen, Ricardo. Was hilft ihr denn da Samt und Seide?:-))

Ob ich dich liebe, weiß ich nicht

Ob ich dich liebe, weiß ich nicht.
Seh ich nur einmal dein Gesicht,
seh dir ins Auge nur einmal,
frei wird mein Herz von aller Qual.
Gott weiß, wie mir so wohl geschicht!
Ob ich dich liebe, weiß ich nicht.

Goethe


ricardo antwortete am 10.08.04 (13:42):

Wunderschönes Gedichtel!
Ich werde es Ännchen aufsagen :-))))


Enigma antwortete am 11.08.04 (08:55):

Ja bitte, Ricardo, das arme Ännchen braucht auch so etwas.*g*

Liebst du um Schönheit

Liebst du um Schönheit,
o nicht mich liebe!
Liebe die Sonne,
sie trägt ein gold`nes Haar.
Liebst du um Jugend,
o nicht mich liebe!
Liebe den Frühling,
der jung ist jedes Jahr.
Liebst du um Schätze,
o nicht mich liebe!
Liebe die Meerfrau,
die hat viel Perlen klar.
Liebst du um Liebe,
oh ja mich liebe!
Liebe mich immer,
dich lieb ich immerdar!

Friedrich Rückert


ricardo antwortete am 11.08.04 (22:42):

Hallo enigma
hier noch eines meiner liebsten Gedichte von Goethe

Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest,
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!


Enigma antwortete am 12.08.04 (08:20):

Das war ein sehr schönes Gedicht, Ricardo.

Die Liebe
von Rainer Kunze

Die liebe
ist eine wilde rose in uns
sie schlägt ihre wurzeln
in den augen,
wenn sie dem blick des geliebten begegnen
sie schlägt ihre wurzeln
in den wangen,
wenn sie den hauch des geliebten spüren
sie schlägt ihre wurzeln
in der haut des armes,
wenn ihn die hand des geliebten berührt
sie schlägt ihre wurzeln,
wächst wuchert
und eines abends
oder eines morgens
fühlen wir nur:
sie verlangt
raum in uns
die liebe
ist eine wilde rose in uns
unerforschbar vom verstand
und ihm nicht untertan
aber der Verstand
ist ein messer in uns,
zu schneiden der rose
durch hundert zweige
einen himmel


ricardo antwortete am 13.08.04 (08:31):

Mir haben es die alten Lieder angetan, die uns als Kindern vorgesungen wurden:

Sah ein Knab ein Röslein stehn
Röslein auf der Heiden,
War so jung und war so schön
Lief er schnell es nah zu seh'n
Sah's mit vielen Freuden
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.

2. Knabe sprach: "Ich breche dich,
Röslein auf der Heiden."
Röslein sprach: "Ich steche dich,
Daß du ewig denkst an mich,
Und ich will's nicht leiden."
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.


3. Und der wilde Knabe brach
's Röslein auf der Heiden;
Röslein wehrte sich und stach,
Half ihm doch kein Weh und Ach,
Mußt es eben leiden.
Röslein, Röslein, Röslein rot,
Röslein auf der Heiden.
Goethe


Enigma antwortete am 15.08.04 (07:25):

Die mag ich auch gerne,Ricardo, aber auch andere...

Wir sind aufeinander angewiesen....

Wir sind aufeinander
angewiesen,
wir brauchen alle einen,
der unsere Widersprüche
in sich aufhebt
und sich nicht verweigert,
einen,
der redet,
auch wenn er schweigt.

Christine Busta


ricardo antwortete am 16.08.04 (09:40):

Danke enigma, wir sollten zu unserem Vergnügen hier weiter machen!

Das Fräulein

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück!

Von wem wohl?
Dem alten Spötter Heinrich Heine


Enigma antwortete am 17.08.04 (07:12):

Genau so, Ricardo, zu unserem Vergnügen machen wir weiter...

In ihrer Schönheit wandelt sie

In ihrer Schönheit wandelt sie
wie wolkenlose Sternennacht;
Vermählt auf ihrem Antlitz sich
des Dunkels Reiz, des Lichtes Pracht:
Der Dämmrung zarte Harmonie,
die hinstirbt, wenn der Tag erwacht.
Kein Licht zuviel, kein Schatten fehlt -
sonst wär`s die tiefe Anmut nicht,
die jede Rabenlocke strählt
und sanft verklärt ihr Angesicht,
wo hold und hell die Seel erzählt
von lieben Träumen, rein und licht.
O diese Wang, o diese Braun,
wie sanft, wie still und doch beredt,
was wir in ihrem Lächeln schaun!
Ein frommes Wirken früh und spät,
ein Herz voll Frieden und Vertraun,
und Lieb, unschuldig wie Gebet.

George Gordon Lord Byron (1788-1824)


marie2 antwortete am 17.08.04 (14:52):

Ich freue mich, wenn ein Gedicht im Mailfach liegt, über ein neues ebenso wie über eines, das ich länger nicht mehr gelesen habe.
Vor einiger Zeit las ich bei Ulla Hahn:

Was bewirkt ein Gedicht?
Dichter sind Dealer. Gedichte Stoff. Sie sollen süchtig machen. Nach einer Wahrheit, die es so sonst nirgends gibt. Auch nach Schönheit. Jedoch: Schönheit allein erzeugt nur den Rausch, der ins Leere fallen lässt.
Gedichte sollen langsam wirken. Chronisch vergiften. Mit Erkenntnissen über uns selbst. Das ist gefährlich. Das Gift bleibt im Körper, die Erkenntnis im Kopf. Das ist nicht immer angenehm. Wir leben bequemer naiv. Indes: das richtige Gift, richtig dosiert, stärkt.
Gedichte sind Stoff, in dem wir uns nicht verlieren. Wir finden immer mehr von uns selbst. Gedichte nehmen uns ins Gebet, decken auf, was wir zudecken möchten. Jede Lawine beginnt mit einer Schneeflocke. Zumindest die müssen Autor und Leser gemeinsam haben, sonst kommt nichts ins Rollen. Was bewegt wird, ist unkalkulierbar. Der Henker und sein Opfer lesen Hölderlin.
Das Gedicht ist so harmlos und gefährlich wie der Leser selbst. Er muss bereit sein, die Lawine zuzulassen, sonst wird aus den Schneeflocken nicht mal ein Ball. Jeder hat das Recht, sich so dumm zu stellen, wie er will. Das Gedicht ist einfach nur da. Es hat allein die Macht, die der Leser ihm einräumt. Es kommt vor, dass einer aufschrickt beim Lesen eines Verses wie beim Anruf des Appollinischen Torso in Rilkes Gedicht: Du musst ein Leben ändern!

Ich gehöre wohl zu den Süchtigen.

Marie2


Enigma antwortete am 18.08.04 (07:33):

Marie 2,

in diesem Sinne bin ich nicht nur süchtig, sondern auch chronisch vergiftet. *g* Und will es obenfrein auch noch bleiben!

Die Fahrt zur Geliebten

O brich nicht Steg, du zitterst sehr!
O stürz nicht Fels, du dräuest schwer!
Welt, geh nicht unter, Himmel, fall nicht ein,
eh ich mag bei der Liebsten sein!

Ludwig Uhland


ricardo antwortete am 19.08.04 (22:02):

Zu guter Letzt

Als Kind wußte ich:
Jeder Schmetterling
den ich rette
jede Schnecke
und jede Spinne
und jede Mücke
jeder Ohrwurm
und jeder Regenwurm
wird kommen und weinen
wenn ich begraben werde

Einmal von mir gerettet
muß keines mehr sterben
Alle werden sie kommen
zu meinem Begräbnis

Als ich dann groß wurde
erkannte ich:
Das ist Unsinn
Keines wird kommen
ich überlebe sie alle

Jetzt im Alter
frage ich: Wenn ich sie aber
rette bis ganz zuletzt
kommen doch zwei oder drei?

Erich Fried�


Enigma antwortete am 20.08.04 (10:42):

Guten Morgen,
das ist auch toll, Ricardo. Fried gefällt mir fast immer.

Diesmal komme ich wieder klassisch daher:

Menschenbeifall

Ist nicht heilig mein Herz, schöneren Lebens voll,
seit ich liebe? Warum achtetet Ihr mich mehr,
da ich stolzer und wilder,
wortereicher und leerer war?

Ach, der Menge gefällt, was auf den Marktplatz taugt,
und es ehret der Knecht nur den Gewaltsamen.
An das Göttliche glauben
die allein, die es selber sind.

Friedrich Hölderlin


ricardo antwortete am 21.08.04 (22:33):

Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget
und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.

Friedrich Hölderlin


enigma
Wünsche dir eine gute Nacht


Enigma antwortete am 22.08.04 (07:32):

Guten Morgen, Ricardo,

heute Morgen hatte ich direkt Dein schönes Gedicht zu lesen. Da fängt der Tag doch gut an.

Und nun lasse ich Miriam Frances zu Wort kommen. Die kann es auch, obwohl sie meint, dass sie es nicht kann :-)))

Ich kann nicht von Liebe schreiben...

Ich kann nicht von Liebe schreiben
Nicht so, dass es dich trifft.
Es würde die Liebe vertreiben,
zwänge ich sie zu bleiben
in irgendeiner Schrift.

Ich kann nicht von dir erzählen.
Nicht so, wie ich dich seh`.
Die Worte, die mir fehlen,
sind nirgendwo zu stehlen,
aus keinem ABC.

Ich kann noch nicht einmal schlafen,
du brauchst den ganzen Traum.
Hör auf, mich so zu strafen.
Sei so was wie ein Hafen
oder ein großer Raum.
(Miriam Frances)


ricardo antwortete am 23.08.04 (10:26):

Hallo ihr lieben
hier ein Gedicht zur Jahreszeit von C.F. Meyer
heute nur noch wenigen bekannt.

Fülle

Genug ist nicht genug! Gepriesen werde
Der Herbst! Kein Ast, der seiner Frucht entbehrte!
Tief beugt sich mancher allzureich beschwerte,
Der Apfel fällt mit dumpfem Laut zu Erde.

Genug ist nicht genug! Es lacht im Laube!
Die saftge Pfirsche winkt dem durstgen Munde!
Die trunknen Wespen summen in die Runde:
"Genug ist nicht genug!" um eine Traube.

Genug ist nicht genug! Mit vollen Zügen
Schlürft Dichtergeist am Borne des Genusses,
Das Herz, auch es bedarf des Überflusses,
Genug kann nie und nimmermehr genügen!

von Conrad Ferdinand Meyer�



Enigma antwortete am 23.08.04 (11:05):

Guten Morgen alle und eine schöne Woche.

Nur liebend ist dein Herz ein Herz

Was ist die Welt, wenn sie mit dir
durch Liebe nicht verbunden?
Was ist die Welt, wenn du in ihr
nicht Liebe hast gefunden?
Verklage nicht in deinem Schmerz
des Herzens schönste Triebe.
Nur liebend ist dein Herz ein Herz,
was wär es ohne Liebe?
Wenn du die Liebe nicht gewannst,
wie kannst du es ermessen,
ob du ein Glück gewinnen kannst,
ob du ein Glück besessen?

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben


ricardo antwortete am 26.08.04 (09:15):

Kommentar zum politischen Forum:-)))))

Der Philosoph
Ein Philosoph von ernster Art,
Der sprach und strich sich seinen Bart:
�Ich lache nie. Ich lieb' es nicht,
Mein ehrenwertes Angesicht
Durch Zähnefletschen zu entstellen
Und närrisch wie ein Hund zu bellen;
Ich lieb' es nicht, durch ein Gemecker
Zu zeigen, daß ich Witzentdecker;
Ich brauche nicht durch Wertvergleichen
Mit andern mich herauszustreichen,
Um zu ermessen, was ich bin,
Denn dieses weiß ich ohnehin.
Das Lachen will ich überlassen
Den minder hochbegabten Klassen.
Ist einer ohne Selbstvertraun
In Gegenwart von schönen Fraun,
So daß sie ihn als faden Gecken
Abfahren lassen oder necken,
Und fühlt er drob geheimen Groll
Und weiß nicht, was er sagen soll,
Dann schwebt mit Recht auf seinen Zügen
Ein unaussprechliches Vergnügen.
Und hat er Kursverlust erlitten,
Ist er moralisch ausgeglitten,
So gibt es Leute, die doch immer
Noch dümmer sind als er und schlimmer.
Und hat er etwa krumme Beine,
So gibt's noch krümmere als seine.
Und tröstet sich und lacht darüber
Und denkt: Da bin ich mir doch lieber.
Den Teufel lass' ich aus dem Spiele.
Auch sonst noch lachen ihrer viele,
Besonders jene ewig Heitern,
Die unbewußt den Mund erweitern,
Die, sozusagen, auserkoren
Zum Lachen bis an beide Ohren.
Sie freuen sich mit Weib und Kind
Schon bloß, weil sie vorhanden sind.
Ich dahingegen, der ich sitze
Auf der Betrachtung höchster Spitze,
Weit über allem Was und Wie,
Ich bin für mich und lache nie."
W.Busch�


Enigma antwortete am 27.08.04 (09:38):

...ich bin für mich und lache doch :-))). Ist schön, aber reimt sich nicht...

Mit der Zeit lernst du

Mit der Zeit lernst du,
daß eine Hand halten nicht dasselbe
ist wie eine Seele fesseln und daß
Liebe nicht anlehnen bedeutet und Begleitung nicht Sicherheit.
Du lernst allmählich, daß Küsse
keine Verträge sind und Geschenke
keine Versprechen.
Und du beginnst,
deine Niederlagen erhobenen Hauptes
und offenen Auges hinzunehmen mit
der Würde des Erwachsenen, nicht
maulend wie ein Kind.
Und du lernst, all deine Straßen
auf dem Heute zu bauen, weil das
Morgen ein zu unsicherer Boden ist.
Mit der Zeit erkennst du, daß sogar Sonnenschein die Haut verbrennt,
wenn man zuviel davon abbekommt.
Also bestell deinen Garten und
schmücke selbst dir deine Seele
mit Blumen, statt darauf zu warten,
daß andere dir Kränze flechten.
Und bedenke, daß du wirklich standhalten kannst..und wirklich stark bist.
Und daß du einen eigenen Wert hast.

Kelly Priest


iustitia antwortete am 27.08.04 (16:32):

(Ausgewählt wegen der Einnerung an die Frau des "Brieffträgers"....; diese Biermann-Ballade war die erste die ich 1973 in einem Deutschlesebuch fand, als ich meinen "Dienst" antrat in der Schule...)

Wolf Biermann

Die Ballade von dem Briefträger William L. Moore aus Baltimore, der im Jahre 63 allein in die Südstaaten wanderte. Er protestierte gegen die Verfolgung der Neger. Er wurde erschossen nach einer Woche. Drei Kugeln trafen seine Stirn.

Sonntag,
da ruhte William L. Moore
von seiner Arbeit aus.
Er war ein armer Briefträger nur,
in Baltimore stand sein Haus.

Montag,
ein Tag in Baltimore,
sprach er zu seiner Frau:
"Ich will nicht länger Briefträger sein,
ich geh nach Süden auf Tour - that's sure".
Black and White, unite! Unite!
schrieb er auf ein Schild
White und Black, die Schranken weg!
Und ging ganz allein

Dienstag, ein Tag im Eisenbahnzug,
fragte William L. Moore
manch einer nach dem Schild, das er da trug,
und wünschte ihm Glück für die Tour.
Black and White, unite! Unite!
stand auf seinem Schild.
White and Black, die Schranken weg!
Und er ging ganz allein.

Mittwoch,
in Alabama ein Tag,
ging er auf die Chaussee,
weit war der Weg nach Birmingham,
taten die Füße ihm weh.
Black and White, unite! Unite!
stand auf seinem Schild.
White and Black, die Schranken weg!
Und er ging ganz allein.

Donnerstag
hielt der Sheriff ihn an,
sagte "Du bist doch weiß!"
Sagte "Was gehn dich die Nigger an?
Junge, bedenk den Preis!"
Black and White, unite! Unite!
stand auf seinem Schild.
White and Black, die Schranken weg!
Und er ging ganz allein.

Freitag
lief ihm ein Hund hinterher,
wurde sein guter Freund.
Abends schon trafen Steine sie schwer -
sie gingen weiter zu zweit.
Black and White, unite! Unite!
stand auf seinem Schild.
White and Black, die Schranken weg!
Und er ging ganz allein.


Sonna'mt,
ein Tag, war furchtbar heiß,
kam eine weiße Frau
gab ihn eine'n Drink, und heimlich sprach sie:
"Ich denk wie Sie ganz genau."
Black and White, unite! Unite!
stand auf seinem Schild.
White and Black, die Schranken weg!
Und er ging ganz allein.

Last Day
Sonntag, ein blauer Sommertag,
lag er im grünen Gras -
blühten drei rote Nelken blutrot
auf seiner Stirne so blaß.
Black and White, unite! Unite!
stand auf seinem Schild.
White and Black, die Schranken weg!
Und er starb ganz allein.
Und er bleibt nicht allein.
**

(Heute haben die Menschrechtsverletzungen andere Formen...)


iustitia antwortete am 27.08.04 (16:46):

Für Enigma - und alle, die sich erinnern - an "Hey Jude"!

The Beatles
(John Lennon/Paul McCartney)

Hey Jude, don�t make it bad
Take a sad song and make it better
Remember, to let her into your heart
Then you can start to make it better

Hey Jude, don�t be afraid
You were made to go out and get her
The minute you let her under your skin
Then you begin to make it better

And anytime you feel the pain
Hey Jude refrain
Don�t carry the world upon your shoulders
For well you know that it�s a fool
Who plays it cool
By making his world a little colder

Hey Jude, don�t let me down
You have found her now go and get her
Remember (Hey Jude) to let her into your heart
Then you can start to make it better

So let it out and let it in
Hey Jude begin
You�re waiting for someone to perform with
And don�t you know that it�s just you
Hey Jude, you�ll do
The movement you need is on your shoulder

Hey Jude, don�t make it bad
Take a sad song and make it better
Remember to let her under your skin
Then you�ll begin to make it better
Better, better, better, better, better, better

Naa na na nananaa naa, hey Jude
...

Internet-Tipp: https://thm-br1r2.search.vip.scd.yahoo.com/image/160786549


ricardo antwortete am 27.08.04 (22:13):

Heute warein wunderschöner Tag!
Dazu mein Liebling W. Busch


Frühling, Sommer und dahinter
Gleich der Herbst und bald der Winter -
Ach, verehrteste Mamsell,
Mit dem Leben geht es schnell!

Scheint dir auch mal das Leben rauh,
Sei still und zage nicht;
Die Zeit, die alte Bügelfrau,
Macht alles wieder schlicht.
W.Busch�


Enigma antwortete am 28.08.04 (08:58):

Guten Morgen alle,

@Iustitia. Danke für den Song-Text von "hey Jude". Mein Lieblingssong war damals "Imagine". Da werde ich jetzt auch mal den Text suchen. So kommt man auf Ideen...nach dem Motto:"Viele wissen mehr als eine(r)."

@Ricardo
...die alte Bügelfrau hat aber auch viel zu tun...:-)))


Der Garten des Herrn Ming

Im stillen Gartenreiche des alten Gärtners Ming,
da schwimmt in einem Teiche ein Wasserrosending.
Den alten Ming in China entzückt sie ungemein.
Er nennt sie Catharina, chinesisch Ka-Ta-Rain.

Mit einer Pluderhose und sehr verliebtem Sinn
geht er zu seiner Rose am Rand des Teiches hin.
Er singt ein Lied und fächelt der Rose Kühlung zu.
Die Rose aber lächelt nur für den Goldfisch Wu.

Sie liebt das goldne Fischchen, das oft vorüberschießt
und auf dem Blättertischchen den Rosenduft genießt.
Doch Wu, der Goldfisch-Knabe, der lockre Bube, gibt
ihr weder Gruß noch Gabe, weil er ein Hühnchen liebt.

Er liebt Schu-Schu, das kleine, goldrote Hühnerding.
Jedoch Schu-Schu, die Feine, liebt nur den Gärtner Ming.
So liebt Herr Ming Cathrina, Cathrina liebt den Wu,
Wu liebt Schu-Schu aus China, den Gärtner liebt Schu-Schu.

Man liebt sich sanft und leise. Doch keiner liebt zurück.
Und niemand in dem Kreise hat in der Liebe Glück.
Sie leben und sie warten, sind traurig und verliebt
in diesem kleinen Garten, von dem es viele gibt.

James Krüss


Medea. antwortete am 29.08.04 (07:03):

Guten morgen Enigma,

so etwas Hübsches habe ich lange nicht gelesen.
Danke schön.


Enigma antwortete am 29.08.04 (10:01):

Guten Morgen Medea und alle,

jetzt kommt dafür etwas Trauriges ;-)))

Eine traurige Geschichte
Josef Viktor von Scheffel

Ein Hering liebt`eine Auster
im kühlen Meeresgrund.
Es war sein Sinnen und Trachten
ein Kuß von ihrem Mund.

Die Auster, die war spröde,
sie blieb in ihrem Haus;
ob der Hering sang und seufzte,
sie schaute nicht heraus.
Nur eines Tages erschloß sie
ihr dürftig Schalenpaar;
sie wollte im Meeresspiegel
beschauen ihr Antlitz klar.

Schnell kam der Hering geschwommen,
streckt seinen Kopf herein
und dacht`an einem Kusse
in Ehren sich zu freun!

O Harung, armer Harung,
wie schwer bist du blamiert!
- Sie schloß in Wut die Schalen,
da war er guillotiniert.

Jetzt schwamm sein toter Leichnam
wehmütig im grünen Meer
und dachte:"In meinem Leben
lieb`ich keine Auster mehr!"


marie2 antwortete am 31.08.04 (20:55):

Bevor ich sterbe

Noch einmal sprechen
von der Wärme des Lebens
damit doch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könnte warm sein

Bevor ich sterbe
noch einmal sprechen
von Liebe
damit doch einige sage:
Das gab es
Das muß es geben

Noch einmal sprechen
Vom Glück der Hoffnung auf Glück
damit doch einige fragen:
Was war das
Wann kommt es wieder?

- Erich Fried �

Für meine Freundin, die bald ihren Liebsten verlassen muss, die Liebe aber wird über den Tod hinausdauern.

Marie


Enigma antwortete am 01.09.04 (07:43):

Mein Gott, wie traurig, Marie. Es gibt Situationen, da kann man kaum noch etwas sagen. Aber es hat mich auch jemand verlassen (müssen). Und die Liebe dauert wirklich über den Tod hinaus.

Über ein Grab hin

Je länger du dort bist,
umso mehr bist du hier.
Je weiter du fort bist,
umso näher bei mir.
Du wirst mir notwendiger
als das tägliche Brot ist.
Du wirst lebendiger,
je länger du tot bist.

Börries von Münchhausen


ricardo antwortete am 02.09.04 (16:55):

Mal wieder was ganz anderes
in Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen:

�God Bless America

God Bless America
Land that I love,
Stand beside her, and guide her,
Through the night, with a light fom above.
From the mountains to the prairies,
To the oceans white with foam,
God Bless America,
Land that I love.
Stand beside her, and guide her,
Through the night, with the light from above.
From the mountains to the prairies,
To the oceans white with foam.
God Bless America,
My home, sweet home.
God Bless America,
My home, sweet home.

Irving Berlin
Einwanderer aus Sibirien


Enigma antwortete am 03.09.04 (08:53):

Auch wieder ganz anders:

Liebesglut
von Wilhelm Busch

1.
Sie liebt mich nicht. Nun brennt mein Herz
ganz lichterloh vor Liebesschmerz.
Vor Liebesschmerz ganz lichterloh
als wie gedörrtes Haferstroh.

Und von dem Feuer steigt der Rauch
mir unaufhaltsam in das Aug`,
da ich vor Schmerz und vor Verdruß
viel tausend Tränen weinen muß.

Ach Gott! Nicht lang ertrag ich`s mehr!-
Reicht mir doch Feuerkübel her:
die füll ich bald mit Tränen an,
daß ich das Feuer löschen kann.


2.
Seitdem du mich so stolz verschmäht,
härmt ich mich ab von früh bis spät,
so daß mein Herz bei Nacht und Tag
als wie auf heißen Kohlen lag.

Und war es dir nicht heiß genug,
das Herz, das ich im Busen trug.
So nimm es denn zu dieser Frist,
wenn dir`s gebacken lieber ist.
:)))


marie2 antwortete am 03.09.04 (21:50):

Wenn
ich dir
wiederbegegne
auf der Wiese
im Mond
wirst du
drei Worte sagen

Drei Worte wie einst

Ein Wunder
wir starben
und leben doch

Traum
einer Kindheit
und
Wiedergeburt

Rose Ausländer


ricardo antwortete am 06.09.04 (09:37):

Drei Rose im Garte
Drei Tanne im Wald,
Im Summer ischs lustig,
Im Winter ischs kalt!

Ein Kinderreim aus dem Buch
Allerleihrauh
von Hans Martin Enzensberger


ricardo antwortete am 08.09.04 (18:26):

Hymne an Rußland

Ich liebe deiner Räume Schwermut
Mein liebes Rußland, heil�ges Land,
Des Schicksals Urteil voller Wermut
Schäm ich mich nicht und halt ich stand.

Lieb sind mir alle deine Wege,
Und drohe auch des Wahnwitz Pfad
Mit Finsternis und Grabgehege �
Ich biege nun einmal nicht ab.

Kein Dämon werd� von mir befohlen,
Denn wie ein Stoßgebet bereit
Will ich vier Worte wiederholen:
"Die Weite, welche Traurigkeit!"

Fjodor Sologub
1903


iustitia antwortete am 09.09.04 (15:26):

Fedor Sologub (1863-1927):
(Deutsch von Dietrich Wörn)

Ich bin der Gott einer geheimnisvollen Welt,
die ganze Welt ist nur in meinen Träumen.
Ich werde mir ein Götzenbild
weder auf der Erde noch im Himmel schaffen.

Meine göttliche Natur
werde ich niemand enthüllen.
Ich mühe mich ab wie ein Sklave, aber für die Freiheit
rufe ich die Nacht, die Ruhe und die Finsternis.
(1896)

Internet-Tipp: https://www.stanford.edu/~gfreidin/images/poets/sologub_tn.jpg


ricardo antwortete am 12.09.04 (09:39):

Sonett 105

Sagt nicht, mein Lieben wär Vergötterung,
stellt meinen Liebsten nicht als Abgott hin,
weil jeder Vers und jede Huldigung,
die ich verfass, nur einen preist: nur ihn.
Oh, er ist gut, morgen so gut wie heut,
beständig ist er, wie's noch keinen gab.
Deshalb hat auch mein Vers Beständigkeit;
beschreibt ein Ding, sieht von den andern ab.
�Schön, gut und treu�,
wie ich's auch dreh und wende,
�Schön, gut und treu�, such andre Worte schon,
doch dann bin ich mit meiner Kunst am Ende.
Einzeln sieht man sie oft � schön gut und treu,
doch nie war ein Mann Wohnstatt aller drei.

William Shakespeare


ricardo antwortete am 16.09.04 (10:59):

Wenn einer der mit Mühe kaum
geklettert ist auf einen Baum,
Schon denkt daß er ein Vogel wär,
So irrt sich der!

W. Busch
unverkennbar!


Enigma antwortete am 19.09.04 (08:35):

Jewgeni Jewtuschenko

Als dein Gesicht

Als dein Gesicht vor mir sich hob
und aufging über meinem Leben,
begriff ich erst: Erbärmlich arm
war ich. Nichts konnte ich dir geben.
Du schenktest mir den Wald, den Fluß,
das Meer in immer neuen Farben
Durch dich erst war die Welt für mich
gemacht aus Regenbogenfarben.
Jetzt hab ich Angst, es könnte sein,
der Sonnenaufgang geht zu Ende,
die Freudentränen trocknen ein.
Jetzt hab ich Angst. Und doch, ich wende
mich nicht dagegen, weil ich weiß:
ich hab aus Liebe Angst - ich liebe.
Ich gäbe, gegen meine Art,
was drum, wenn diese Angst mir bliebe.
Von Angst bin ich gepackt, von Angst,
wie schnell solch Augenblick vorüberweht.
Für mich sind alle Farben tot,
wenn dein Gesicht mir untergeht.


ricardo antwortete am 21.09.04 (10:34):

Die Rehlein beten zur Nacht,
hab acht!
Halb neun!
Halb zehn!
Halb elf!
Halb zwölf!
Zwölf!

Die Rehlein beten zur Nacht,
hab acht!
Sie falten die kleinen Zehlein,
die Rehlein.

Christian Morgenstern �


Enigma antwortete am 21.09.04 (11:11):

Nur für Dich
von Hans Kruppa

Für Dich lasse ich meine Blicke aufblühen,
gehe in meinen Gefühlen baden,
putze meine Gedanken,
bis sie glänzen.

Für Dich tanze ich auf einem Bein,
singe laut auf offener Straße,
mache mich zum Gespött der Leute.

Für Dich bringe ich mir die Flötentöne bei,
heule den Mond an,
frühstücke um Mitternacht.

Für Dich nehme ich das Leben
auf die leichte Schulter
und gehe damit
bis ans Ende der Welt -
wenn Du dort auf mich wartest.


iustitia antwortete am 22.09.04 (08:32):

Guten Morgen - zuerst Heine - dann...:

Also:
HEINRICH HEINE

Auf meiner Herzliebsten Äugelein
Mach ich die schönsten Kanzonen.
Auf meiner Herzliebsten Mündchen klein
Mach ich die besten Terzinen.

Auf meiner Herzliebsten Wängelein
Mach ich die herrlichsten Stanzen.
Und wenn meine Liebste ein Herzchen hätt,
Ich machte darauf ein hübsches Sonett.

*
Dann ein wirkliches Sonett (eines von einem Germanisten und Lyriker und Prosaiker, was ungewöhnlich ist in deutschen Landen):

HANS ULRICH TREICHEL
Über den Sonetteschreiber Brecht

Er hat ganz ohne Scham davon gesprochen:
Vom Arsch der Weiber und der Männer Hirn
Er hätte öfter gern nach Schnaps gerochen
Doch meistens ließ er sich Kamille rühren

Drum frag ich mich: Was soll man davon halten
Ein Zigarilloraucher ist nun mal kein Stier
Er ging am liebsten ohne Bügelfalten
Und abends schrieb er dann: Sie griff nach mir

Das war den Frauen sicher recht: das Plätten
Ist kein Genuß, und das Geplättetwerden
Ist auch nur was für abgezogene Betten

Ganz abgesehen davon glaub ich nicht
Daß es für ihn was Schönres gab auf Erden
Als frischgereimte Wollust im Gedicht

*
Die pornografischen Brecht-Gedichte sind, glaube ich, bekannt - oder...?

Internet-Tipp: https://www.wu-wien.ac.at/usr/h96d/h9651295/Diddl/Liebe/29%20liebe%20Streicheleinheiten!.jpg


ricardo antwortete am 22.09.04 (10:39):

Joethe is mir immer noch lieber

Beruf des Storches

Der Storch, der sich von Frosch und Wurm
An unserm Teiche nähret,
Was nistet er auf dem Kirchenturm,
Wo er nicht hingehöret?


Dort klappt und klappert er genug,
Verdrießlich anzuhören;
Doch wagt es weder alt noch jung
Ihm in das Nest zu stören.


Wodurch - gesagt mit Reverenz -
Kann er sein Recht beweisen,
Als durch die löbliche Tendenz
Aufs Kirchendach zu . . .

Johann Wolfgang Goethe


Enigma antwortete am 22.09.04 (12:21):

Guten Morgen,

...beide gefallen mir, Ricardo. Typisch, wieder auf nichts verzichten wollend....:-)))


Stefan Zweig
Die Zärtlichkeiten

Ich liebe jene ersten bangen Zärtlichkeiten,
die halb noch Frage sind und halb schon Anvertraun.
Weil hinter ihnen schon die anderen Stunden schreiten,
die sich wie Pfeiler wuchtend in das Leben baun.

Ein Duft sind sie, des Blutes flüchtigste Berührung,
ein rascher Blick, ein Lächeln, eine leise Hand -
sie knistern schon wie rote Funken der Verführung
und stürzen Feuergarben in der Nächte Brand.

Und sind doch seltsam süß, weil sie im Spiel gegeben,
noch sanft und absichtslos und leise nur verwirrt.
Wie Bäume, die dem Frühlingswind entgegenbeben,
der sie in seiner harten Faust zerbrechen wird.

Internet-Tipp: https://www.kirjasto.sci.fi/szweig.htm


ricardo antwortete am 24.09.04 (18:46):

Der du meine Wege mit mir gehst,
Jede Laune meiner Wimper spürst,
Meine Schlechtigkeiten duldest und verstehst �
Weißt du wohl, wie heiß du oft mich rührst?
Wenn ich tot bin darfst du gar nicht trauern.
Meine Liebe wird mich überdauern
Und in fremden Kleidern dir begegnen
Und dich segnen.
Lebe, lache gut!
Mache deine Sache gut!

Joachim Ringelnatz


Enigma antwortete am 25.09.04 (09:40):

Nichts kann mein brennend Herze niederzwängen
von Louise Labé

Seit erst die Liebe grausam trat ins Leben,
vergiftend meine Brust mit ihrer Glut,
brannte sie täglich - und der Göttin Wut
hat mich nicht eine Stunde freigegeben.
Wieviel der Mühen sie auch mag verhängen,
wie oft mir drohn mit unheilvoller Wendung,
denk ich den Tod selbst als des Seins Vollendung.

Nichts kann mein brennend Herze niederzwängen.
Je härter Lieb uns anfällt, scharf in Waffen,
je fester läßt sie Gegenwehr sich straffen
und macht in ihrem Streit uns stets belebt.
Hoff nicht, sie werde je sich hilfreich neigen!
Die über Götter sich und Menschen hebt,
will gegen Starke stärker noch sich zeigen.

Internet-Tipp: https://www.frankreich-experte.de/fr/6/lit/labe.html


ricardo antwortete am 27.09.04 (11:13):

Das Alter
� � � � �
Das Alter ist ein höflich Mann:
Einmal übers andre klopft er an;
Aber nun sagt niemand: Herein!
Und vor der Türe will er nicht sein.
Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,
Und nun heißts, er sei ein grober Gesell.

Goethe


Enigma antwortete am 27.09.04 (12:49):

Das Maß der Liebe
von Marie Luise Kaschnitz

Wie du mir nötig bist? Wie Trank und Speise
dem Hungernden, dem Frierenden das Kleid,
wie Schlaf dem Müden, Glanz der Meeresreise
dem Eingeschlossnen, der nach Freiheit schreit.

So lieb ich dich. Wie dieser Erde Gaben
Salz, Brot und Wein und Licht und Windeswehen,
die, ob wir sie auch bitter nötig haben,
sich doch nicht allezeit von selbst verstehen.

Und tiefer noch. Denn auch die ungewissen
und fernen Mächte, die man Gott genannt,
sie drangen mir zu Herzen mit dem Küssen,

den Worten deines Mundes, und die Blüte
irdischer Liebe nahm ich mir zum Pfand
für eine Welt des Geistes und der Güte.


Enigma antwortete am 28.09.04 (09:41):

Manfred Hausmann:
Zwischen Abend und Morgen

Leb wohl zur Nacht, leb wohl! Vielleicht geschieht`s,
daß wir im Traum uns wiedersehn
und wie die Reime eines Liebeslieds
todsüchtig ineinanderwehn.

Denn je mehr ich dein bin
um so tiefer bin ich mein.
Denn je mehr ich mein bin,
um so tiefer bin ich dein.

Ich bin im Traum in dich hineingegangen
wie in ein Bild auf einer Nebelwand.
Nun ist es Tag, Verwunschenheiten hangen
gleich Schleiern um die Schläfen mir und Wangen,
und meine Hand ist wunderlich befangen,
wenn sie sich hebt, als sei sie deine Hand.

Internet-Tipp: https://www.blumenthal.de/blumenthal/info/hausmann_html


ricardo antwortete am 01.10.04 (09:20):

Von einem meiner Lieblingspoeten:

Ich
Die Ehre hat mich nie gesucht;
sie hätte mich auch nie gefunden.
Wählt man, in zugezählten Stunden,
ein prächtig Feierkleid zur Flucht?

Auch Schätze hab ich nie begehrt.
Was hilft es sie auf kurzen Wegen
für Diebe mehr als sich zu hegen,
wo man das wenigste verzehrt?

Wie lange währt's, so bin ich hin,
und einer Nachwelt untern Füßen?
Was braucht sie wen sie tritt zu wissen?
Weiß ich nur, wer ich bin.

G.E. Lessing


Enigma antwortete am 01.10.04 (09:58):

Guten Morgen,

ja Ricardo, ist schon wichtig zu wissen, wer man ist.... oder zumindest zu glauben es zu wissen... :-))

Und nun noch einmal Heinrich Heine:

Mein Herz ist wie die Sonne

Daß du mich liebst, das wußt ich,
ich hatt es längst entdeckt;
doch als du mir`s gestanden,
hat es mich tief erschreckt.

Ich stieg wohl auf die Berge
und jubelte und sang;
ich ging ans
Meer und weinte
beim Sonnenuntergang.

Mein Herz ist wie die Sonne
so flammend anzusehn,
und in ein Meer von Liebe
versinkt es groß und schön.


ricardo antwortete am 02.10.04 (11:14):

Lessing starb ein Jahr nach seiner Frau, die selbst den Tod erlitt nach der Geburt des einzigen Kindes. Und das Kind war nicht lebensfähig.

Aber sein Humor und seine erfrischende Art zu dichten sind unsterblich geblieben.

Hänschen Schlau
�Es ist doch sonderbar bestellt,�
Sprach Hänschen Schlau zu Vetter Fritzen,
�Daß nur die Reichen in der Welt
Das meiste Geld besitzen.�


ricardo antwortete am 03.10.04 (16:40):

Mondnacht

Joseph von Eichendorff

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.


Enigma antwortete am 04.10.04 (07:28):

Die Schöne
Serbisches Zigeunerlied

Guten Morgen, du Schöne!
Für einen Blick von dir
sind tausend Dinar wenig.
Für deine Brust
werde ich zehn Jahre zu Fuß gehn.
Für deine Lippen
werde ich die Sprache vergessen.
Für deine Schenkel
gebe ich mich zum Sklaven.
Guten Morgen, du Schöne!
Steig auf den Apfelschimmel und reite Galopp.
Ich warte auf dich im Wald.
Mit einem Zelt ungeborener Kinder,
mit Nachtigallen und einer Hyazinthe,
mit einem Bett aus meinem Leib,
mit einem Kissen aus meiner Schulter.
Guten Morgen, du Schöne!
Kommst du nicht, zieh ich das Messer aus dem Brot,
wische die Krumen vom Messer
und treffe dich mitten ins Herz.


ricardo antwortete am 06.10.04 (18:11):

O wie ists möglich dann,
Daß ich dich lassen kann,
Hab dich von Herzen lieb,
Das glaube mir.
Du hast das Herze mein
So ganz genommen ein,
Daß ich kein andern lieb,
Als dich allein.

Volkslied


Enigma antwortete am 07.10.04 (08:48):

Annette von Droste-Hülshoff:
Verliebt

Mutter, löse die Spangen mir!
Mich hat ein Fieber befallen.
Denn das Fenster ließest du auf,
das immer sorglich verhängte,
und im Garten ich Mädchen sah,
die warfen Ringe im Kreise,
flatternd selber, ein Blütenschnee,
vom leichten Winde getragen.
Immer flöten nun Stimmen mir,
und immer Spiegel mir flirren,
blind geworden bin ich schon ganz,
taub werd ich nächstens werden.
Mutter, löse die Spangen mir!
Mich hat ein Fieber befallen.


Enigma antwortete am 09.10.04 (08:20):

Grammatik
(angeblich ein Spruch aus Indien)

Ein Neutrum ist das Herz, so hat
Grammatik mich belehrt;
drum, als es hin zur Liebsten zog,
hab ich`s ihm nicht verwehrt;
was mag für Unglück denn geschehn,
wenn Neutra zur Geliebten gehn? -
Doch nun bleibt`s dort und kost mit ihr
und will nicht mehr zurück zu mir!
Was tu ich da? Wie schaff ich`s fort?
Wie bring ich es zur Ruh?
O Panini, o Panini, mein Unglück wurdest du!


Enigma antwortete am 10.10.04 (08:43):

Eduard Mörike
Aus der Ferne


Weht, o wehet, liebe Morgenwinde!
Tragt ein Wort der Liebe hin und wieder!

Er:
Vor der Stadt, wo du hinausgeritten,
auf dem Maultier, du mit den Begleitern,
Stund um Stunde sitz ich dort in Trauer,
wie ein scheuer Geist am hellen Tage.

Sie:
Weder Freude hab ich, die mich freute,
weder Kummer, der mir naheginge,
als nur jene, daß du mein gedenkest,
als nur diesen, daß ich dich nicht habe.

Er:
Ist ein Stein, darauf dein Fuß getreten,
fliegt ein Vogel, der vielleicht dich kennte,
jedem Höckenweibe möcht ich`s sagen,
laut am offnen Markte könnt ich weinen.

Weht, o wehet, liebe Morgenwinde!
Tragt ein Wort der Liebe hin und wieder!

Er:
Sollt ich Trost bei den Genossen suchen?
Noch kein Fröhlicher hat wahr getröstet.

Sie:
Kann ich meinesgleichen mich vertrauen?
Halb mit Neid beklagten sie mich Arme.

Er:
In der Halle, wo sie abends trinken,
sang ein hübsches Mädchen zu der Harfe;
ich kam nicht zur Halle, saß alleine,
wie ein kranker Sperber auf der Stange.

Sie:
Auf den Altan zogen mich die Mädchen:
"Komm, die schönen Jünglinge zu sehen,
die vorüberziehn im Waffenschmucke."
Ungern folgt ich, mit verdroßnen Augen.

Weht, o wehet, liebe Morgenwinde!
Tragt ein Wort der Liebe hin und wieder!

Er:
Die Korallenschnur von deinem Halse,
die du noch zum Abschied mir gegeben,
tausendmal am langen Tage drück ich,
tausendmal bei Nacht sie an den Busen.

Sie:
Dieses Balsamfläschchen an der Kette,
weg muß ich`s von meinem Herzen nehmen.
Mich befängt ein Liebeszauberschwindel,
Wohlgeruch der Liebe will mich töten.

Er:
Eine Nacht, ach, hielt ich dich im Arme,
unter Küssen dich auf meinem Schoße;
Ein Jasminzweig blühte dir im Haare,
kühle Lüfte kamen durch das Fenster.

Sie:
Heut im Bette, früh, es dämmert`eben,
lag ich in Gedanken an den Liebsten:
Unwillkürlich küßt ich, wie du küssest,
meinen Arm, und mußte bitter weinen.

Still, o stille nun, ihr Morgenwinde!
Wehet morgen in der Frühe wieder.


Enigma antwortete am 12.10.04 (07:39):

Ich setze auf die Liebe

Wen der Himmel retten will,
dem schenkt er die Liebe.
Ich setze auf die Liebe.
Wenn Sturm mich in die Knie zwingt
und Angst in meinen Schläfen buchstabiert,
ein dunkler Abend mir die Sinne trübt,
ein junger Mensch den Kopf verliert,
ein alter Mann den Abschied übt.
Das ist doch das Thema,
den Hass aus der Welt zu entfernen
und wir bereit sind zu lernen,
dass Macht, Gewalt, Rache und sogar Sieg
und sogar Sieg, nichts anderes bedeuten
als ewigen Krieg
auf Erden und dann auf den Sternen.
Die einen sagen, es läge am Geld.
Gut, das ist sicher nicht ganz falsch.
Die anderen sagen, es wäre die Welt;
sie läge in den falschen Händen.
Da ist auch manches richtig dran.
Aber jeder weiss es immer besser
woran es liegt, nur, es hat noch niemand
noch niemand den Hass besiegt,
ohne ihn selbst zu beenden.
Er kann mir sagen, was er will,
und kann mir singen, wie er`s meint
und mir erklären, was er muss,
und auch begründen, wie ers braucht.
Ich setze auf die Liebe..
Schluss....

Hanns Dieter Hüsch


Enigma antwortete am 22.10.04 (08:09):

Peter Maiwald
Man hört auf mich

Ich habe gesagt: Wolken:
bedeckt die Geliebte,
wenn ihr die Sonne zu heiß wird.
Fluß, teile dich, wenn sie ans Ufer kommt.
Häuser: nehmt sie auf, wenn sie ermüdet
und Tische: laßt sie zu.
Wiesen: bindet ihr einen Strauß
und Vögel: singt ihr ein Lied,
wenn sie erwacht. Steine:
geht aus dem Weg, den sie nimmt
und Berge: versetzt euch, wenn nötig.
Meere: tragt ihren Körper zu den Kontinenten.
Städte: seid freundlich.
Menschen: liebt, die ich liebe.
Ich habe das gesagt. Nun geh.
Hab keine Angst. Man hört auf mich.

Internet-Tipp: https://www.lyrikwelt.de/autoren/maiwald.htm


ricardo antwortete am 23.10.04 (23:40):

Mal wieder wat anderes:

Früher, da ich unerfahren
Und bescheidner war als heute,
Hatten meine höchste Achtung
Andre Leute.

Später traf ich auf der Weide
Außer mir noch andre Kälber.
Und nun schätz' ich sozusagen,
Erst mich selber.

Wilhelm Busch


Enigma antwortete am 24.10.04 (08:36):

Guten Morgen, lieber Ricardo,
das heisst ja wohl, dass Du schon wieder zu Hause bist. Schön, ich freue mich für Dich.
Na, dann kann`s ja weitergehen... :-))
Gruss Enigma


Selma Meerbaum-Eisinger
Träume

Es sind meine Nächte,
durchflochten von Träumen,
die süß sind wie junger Wein.
Ich träume, es fallen die Blüten von Bäumen
und hüllen und decken mich ein.
Und alle diese Blüten,
sie werden zu Küssen,
die heiß sind wir roter Wein
und traurig wie Falter, die wissen: sie müssen
verlöschen im sterbenden Schein.
Es sind meine Nächte,
durchflochten von Träumen,
die schwer sind wie müder Sand.
Ich träume, es fallen von sterbenden Bäumen
die Blätter in meine Hand.
Und alle diese Blätter,
sie werden zu Händen,
die zärteln wie rollender Sand
und müd sind wie Falter, die wissen: sie enden
noch eh`sie ein Sonnenstrahl fand.
Es sind meine Nächte,
durchflochten von Träumen,
die blau sind wie Sehnsuchtsweh.
Ich träume, es fallen von allen Bäumen
Flocken von klingendem Schnee.
Und all diese Flocken
sie werden zu Tränen.
Ich weinte sie heiß und wirr -
begreife meine Träume, Geliebter, sie sehnen
sich alle nur ewig nach dir.


ricardo antwortete am 26.10.04 (15:32):

Danke enigma
wäre doch schade, wenn der Faden nicht weiter gesponnen wird!

Freudvoll
���������������������� Und leidvoll,
���������������������� Gedankenvoll sein,
���������������������� Langen
���������������������� Und bangen
���������������������� In schwebender Pein,
���������������������� Himmelhoch jauchzend,
���������������������� Zum Tode betrübt;
���������������������� Glücklich allein
���������������������� Ist die Seele, die liebt.

Goethe


Enigma antwortete am 27.10.04 (18:05):

Ja Ricardo, wir spinnen, wir spinnen.... immer weiter..:-)

Heimweh

Anders wird die Welt mit jedem Schritt,
den ich weiter von der Liebsten mache;
Mein Herz, das will nicht weiter mit.
Hier scheint die Sonne kalt ins Land,
hier deucht mich alles unbekannt,
sogar die Blumen am Bache!
Hat jede Sache
so fremd eine Miene, so falsch ein Gesicht.
Das Bächlein murmelt wohl und spricht:
Armer Knabe, komm bei mir vorüber,
siehst auch hier Vergißmeinicht!
- Ja, die sind schön an jedem Ort,
aber nicht wie dort.
Fort, nur fort!
Die Augen gehn mir über.

Hilde Fürstenberg


ricardo antwortete am 31.10.04 (08:23):

enigma
einen schönen Sonntagmorgen wünscht dir
Ricardo

An die Freude
Freude, schöner Götterfunken
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

friedrich Schiller


Enigma antwortete am 31.10.04 (13:15):

Guten Tag Ricardo,

Dir auch noch einen schönen Sonntag....

Der Wein der Liebenden

Strahlend ist heut der Raum!
Ohne Sporen und Zügel und Zaum,
sprengen wir, hoch auf dem Wein,
in den Zauberhimmel hinein!

Zwei Engeln gleich, die Fiebergluten
unerbittlich überfluten,
wollen wir uns der gläsern-blauen
Spiegelung der Ferne anvertrauen!

Vor dem sanften Flügelschlagen
weiser Wirbel fortgetragen,
gleichem Rausche hingegeben.

Meine Schwester, laß uns schweben,
fliehen, rastlos, ohne Ruh,
dem Paradies der Träume zu.

Charles Baudelaire


ricardo antwortete am 05.11.04 (10:48):

Hallo enigma

Nach der Wahl kan man sowat auch mal bringen:

God Bless America
Land that I love,
Stand beside her, and guide her,
Through the night, with a light fom above.
From the mountains to the prairies,
To the oceans white with foam,
God Bless America,
Land that I love.
Stand beside her, and guide her,
Through the night, with the light from above.
From the mountains to the prairies,
To the oceans white with foam.
God Bless America,
My home, sweet home.
God Bless America,
My home, sweet home.

Irving Berlin
Einwanderer aus Sibirien�



Enigma antwortete am 06.11.04 (08:17):

Hallo, guten Morgen Ricardo,

Peter Maiwald
Aus "Balladen von Samstag auf Sonntag"

Will sein: Der Liebsten Bett,
daß sie von harter Erd
kein Spüren hätt.

Will sein: der Liebsten Schuh,
daß sie an keinem Stein
sich stoßen tu.

Will sein: der Liebsten Kleid,
daß sie an keinem Frost
ein Wunden leid.

Will sein: der Liebsten Brot,
daß sie kein Grimmen und
kein Sorg bedroht.

Will sein: der Liebsten Aug,
daß sie vermehrter säh,
was Welt ihr taug.

Will sein: der Liebsten Baum,
daß sie ein Schatten find
und hell ein Traum.

Will sein: der, der ich bin
daß sie von meiner Art
käm zu sich hin.


ricardo antwortete am 07.11.04 (16:15):

Danke enigma
Dafür hier eine Ballade von Heinz Ehrhardt

Es war einmal ein stolzer Ritter,
der wurde beim Turnier nur Dritter.
Das ging dem Armen derart nah,
daß man ihn lebend nicht mehr sah.
Er starb am siebenzehnten Maien -
an einem warmen Tag - im Freien.
Er wollte niemand bei sich haben,
so mußte er sich selbst begraben. -

Ja, Dritter ist für einen Ritter bitter !


Enigma antwortete am 09.11.04 (08:38):

Neues Gesicht

Ich habe gelernt, mich um Liebe nicht zu sorgen,
sondern ihr Erscheinen mit ganzem Herzen
zu ehren.
Die dunklen Geheimnisse
des Blutes zu erforschen
kopflos und schwindlig
auf der Hut,
um den Anschwall der Gefühle zu wissen
rasch fließend
wie Wasser.
Die Quelle scheint
ein unerschöpflicher Brunnen
in unseren zwei- und dreifachen
Ichs zu sein;
das neue Gesicht, das ich
dir zuwende
hat noch kein anderer auf der Welt
jemals gesehen.

Alice Walker


ricardo antwortete am 10.11.04 (17:08):


enigma
du bist glaub ich, noch jünger :-)))))

Hier ein weiterer H.Erhardt.

Der Fels
Wenn Dir ein Fels vom Herzen fällt,
so fällt er auf den Fuß Dir prompt !
So ist es nun mal auf der Welt:
ein Kummer geht, ein Kummer kommt ...


Enigma antwortete am 11.11.04 (07:47):

Guten Morgen Ricardo,

Irrtum, ich bin nicht mehr jung.
Aber ich identifiziere mich auch nicht immer mit dem, was ich schreibe (ausser, wenn es um die Vertretung von eigenen Meinungen ginge, natürlich). :-))

Supermänner
Wenn Du Supermänner suchst,
wirst Du Supermänner finden.
Sie warten auf Dich,
nur auf Dich, schöne Frau,
sie warten auf Dich unter Linden.

Leider kannst Du Linden nicht
von Buchen unterscheiden.
Das ist freilich Pech für Dich.
Wie wär`s mit uns beiden?

Dieter Füssel


ricardo antwortete am 12.11.04 (09:07):

Christian Morgenstern, 1871-1914

Die Rehlein beten zur Nacht,
hab acht!
Halb neun!
Halb zehn!
Halb elf!
Halb zwölf!
Zwölf!

Die Rehlein beten zur Nacht,
hab acht!
Sie falten die kleinen Zehlein,
die Rehlein.


marie2 antwortete am 12.11.04 (19:05):

Joseph Freiherr von Eichendorff (1788-1857)

DAS KALTE LIEBCHEN

Er. Laß mich ein; mein süßes Schätzchen!
Sie. Finster ist mein Kämmerlein.
Er. Ach, ich finde doch mein Plätzchen.
Sie. Und mein Bett ist eng und klein.

Er. Fern komm' ich vom weichen Pfühle;
Sie. Ach, mein Lager ist von Stein!
Er. Draußen ist die Nacht so kühle.
Sie. Hier wird's noch viel kühler sein.

Er. Sieh! die Sterne schon erblassen.
Sie. Schwerer Schlummer fällt mich an. -
Er. Nun, so will ich schnell Dich fassen.
Sie. Rühr' mich nicht so glühend an!

Er. Fieberschauer mich durchbeben.
Sie. Wahnsinn bringt der Toten Kuß.
Er. Weh! es bricht mein junges Leben!
Sie. Mit ins Grab hinunter muß.


Enigma antwortete am 13.11.04 (08:54):

Guten Morgen,

und nochmal ganz anders:

Erich Mühsam
Liebesweh

Zähre rieselt mir um Zähre
in des Betts zerwühltes Laken.
Bange Angstgedanken haken
sich an meiner Seele Schwere.
Schmerzgekrümmt sind meine Beine;
traurig triefend hängt der Bart
von den Tränen, die ich weine, -
und die Nase trieft apart...
Ach, es ist der Traum der Liebe,
den ich durch die Seele siebe.
Ach, es ist der Liebe Weh,
das mich zwickt vom Kopf zur Zeh. -
Armes Herz. Die Träume wittern
fernen Trost. Ich spann`die Ohren, -
fernherflüsternd, traumverloren,
murmelt ein geliebter Mund:
Schlapper Hund! :-)


ricardo antwortete am 15.11.04 (18:02):

Von schönsten wesen wünscht man einen spross
Dass dadurch nie der schönheit rose sterbe:
Und wenn die reifere mit der zeit verschoss
Ihr angedenken trag ein zarter erbe.
Doch der sein eignes helles auge freit
Du nährst dein licht mit eignen wesens loh �
Machst aus dem überfluss die teure zeit �
Dir feind und für dein süsses selbst zu roh.
Du für die welt jezt eine frische zier
Und erst der herold vor des frühlings reiz:
In eigner knospe gräbst ein grab du dir
Und � zarter neider � schleuderst weg im geiz.
Gönn dich der welt! Nicht wie ein schlemmer tu:
Esst nicht der welt behör � das grab und du!

William Shakespeare


marie2 antwortete am 16.11.04 (22:02):

die liebe

die liebe
die liebe
ist sand
im getriebe

wo zwei
verliebte sind
entsteht ein
wirbelwind

die liebe
die liebe
ist sand
im getriebe

sie geht
durch wände
und entfacht
brände

die liebe
die liebe
ist sand
im getriebe

sie baut
brücken
versetzt
in entzücken
kennt kein prahlen
zerfällt in strahlen

sie durchbricht den teufelkreis
schmilzt berge aus eis
lässt die erde erbeben
gibt toten das leben

die liebe
die liebe
ist sand
im getriebe

wilhelm willms

@ Enigma
noch einmal wilhelm willms. Dein Gedicht in Gedichte 33 brachte mich zum Regal aufräumen, zwei Willms Bände sind wieder aufgetaucht.
Gute Nacht
Marie


Enigma antwortete am 17.11.04 (08:48):

Guten Morgen alle und

hallo,marie2,

das passiert mir auch öfter mal, dass ich durch irgendwelche Beiträge an etwas erinnert werde, von dem ich denke, dass es in meinen Regalen doch da "irgendwo noch etwas gibt, das mir früher mal vertrauter war...".
Aber - so wiederentdeckt - macht es ja dann erneut Freude.

Gabriela Mistral
Vebirg mich

Verbirg mich, damit die Welt nicht errate, wer ich bin.
Verbirg mich, wie der Baumstamm sein Harz verbirgt.
In den Falten des Schattens will ich dich umduften,
als wäre ich ein Kautschuktropfen.
Dich wird es besänftigen.
Niemand wird wissen, woher deine Sanftmut....
Ich bin häßlich, wenn du nicht bei mir bist,
gleich den Dingen, die von ihrem Platz gerissen sind;
wie die Wurzeln, die auf der Erde liegen blieben.
Warum bin ich nicht so klein wie die Mandel in ihrem Kern?
Mach mich zu einem Tropfen deines Blutes!
Ich werde dir in die Wange steigen,
in dir wohnen, gleich der Glut, der feurigsten,
im Blatte eines Weinstocks.
Wenn du wieder seufzt,
werde ich aus deiner Brust emporsteigen,
in sie zurücksinken, mich in dein Herz schleichen,
mit deinem Atem an die Luft fliehen
und aufs neue einkehren.
In diesem Spiel werde ich sein mein ganzes Leben lang.


Vorlesefunktion  pilli antwortete am 29.11.04 (18:10):

Am fernen Abend

Du bist so weit von mir entfernt
Am Abend zwischen deinen Freunden;
Meist ist das Dunkel über uns entsternt...
Dann leide ich wie unter Feinden.
Doch glühen die Lichte in den Wolkenzweigen,
So sind sie alle unser Eigen.

Und manchmal kommt ganz weich die Luft
Und streichelt meine und dann deine Wange.
Und deine Stimme ist es, die mich ruft,
Aus allen Stimmen gleitend, in der Halle.
- Und mich umarmen viele Himmel in dem Schalle.

Ich finde aber auch in deinen Augen keine Rast
Und keinen Trost im stummen Zuspruch deiner Reden -
Ich fiel der Liebe und sie mir zur Last.
Mein letzter Schimmer leuchtet heim den Gast,
Ein stilles Kleinod für jedweden.

Und weiß, daß du alleine lieb mich hast ... ganz alleine.
Und bin ich dir auch unbegreiflich fast,
So sagen all die weichen Worte, daß ich weine.
(Else Lasker-Schüler)


 Enigma antwortete am 01.12.04 (11:03):

Text: Michael Kunze
Song: Vangelis

Dreizehn Türen

Manchmal bist Du mir ganz nah.
Ich wachs in Dich hinein.
Manchmal kann ich Dir sogar
meine Angst verzeihn.
Manchmal bist Du mir so fern.
Manchmal verlierst Du mich.
Manchmal hab ich Dich nur gern,
doch manchmal lieb ich Dich.

Dreizehn Türen
führn aus diesem Traum.
Doch wo bist Du?
Dreizehn Türen
führn aus diesem Raum.
Eine aber bleibt zu.
en Schlüssel dafür
hast Du....

Internet-Tipp: https://www.engelen.demon.nl/geheimn.htm


 pilli antwortete am 02.12.04 (21:50):

Rudern zwei

Rudern zwei
ein boot,
der eine
kundig der sterne,
der andre
kundig der stürme,
wird der eine
führn durch die sterne,
wird der andre
führn durch die stürme,
und am ende ganz am ende
wird das meer in der erinnerung
blau sein

(Reiner Kunze)

...

meine mum wählte den folgenden text (vertont von E. Grieg), der bei ihrer Hochzeitsfeier vorgetragen wurde:

"Still wie die Nacht und tief wie das Meer, soll deine Liebe sein!
Wenn du mich liebst, so wie ich dich, will ich dein eigen sein.
Heiß wie der Stahl und fest wie der Stein soll deine Liebe sein!"

aus, die beerdigungs-zeremonie für meinen vater zu gestalten.
meine tochter hat es wiederum an ihrem Hochzeitstag für ihren allerliebsten gesungen und uns alle damit überrascht.


 Enigma antwortete am 03.12.04 (09:21):

Guten Morgen,

Pilli, das sind schöne Erinnerungen.
Ich kenne das Lied auch und finde es sehr schön, aber ich weiss nicht, von wem das vertont ist, das ich kenne. Mal nachforschen!!
Danke.

Ludwig Verbeek
Dichterliebe

Ich baue ein Haus
von Wörtern
um dich

Wenn alles
vermauert ist
stehe ich draußen,

fällt mit dem Punkt
die Tür ins Schloß.

Mach mich davon
mit dem einzigen
Schlüssel

Internet-Tipp: https://www.vsbonn.de/autoren/verbeek.htm


 hl antwortete am 03.12.04 (19:53):

Zu diesem Thema ist inzwischen das Kapitel II eröffnet. Die beiden letzten Gedichte wurden übernommen.

Bitte dort weiter schreiben. Danke!