Literatur Schöne Lyrik

Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
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 Das ist das Haus am schwarzen Moor
(Georg Weerth 1822 – 1856)

Das ist das Haus am schwarzen Moor,
wer dort im letzten Winter fror,
der friert dort nicht in diesem Jahr –
er sank schon längst auf die Totenbahr’.

Das ist das Haus am schwarzen Moor,
das Haus, wo der alte Jan erfror.
Zur Thür gewandt das weiße Gesicht,
starb er und wußt’ es selber nicht.

Er starb. – Da kam, wie ein scheues Reh,
der Tag und hüpfte über den Schnee.
„Guten Morgen Jan! Guten Morgen Jan!“ –
Der Jan keine Antwort geben kann.

Da erhuben die Glocken ihr hell Geläut,
sie sangen und klangen und riefen so weit:
„Guten Morgen Jan! Guten Morgen Jan!“ –
Der Jan keine Antwort geben kann.

Da kamen die Kinder aus der Stadt:
„Wir wissen, wie lieb er uns alle hat:
„Guten Morgen Jan! Guten Morgen Jan!“ –
Der Jan keine Antwort geben kann.

Tag, Glocken und Kinder er nicht verstund.
Da nahte die sonnige Mittagstund’,
da nahte ein armes Weib: „Mein Jan,
„willst essen und trinken nicht, alter Mann?“

 „Sieh, was ich brachte Dir aus der Stadt;
„sollst froh nun werden und warm und satt!“ –
Die Alte sah lange auf ihren Jan,
da fing sie bitter zu weinen an.

Da weinte sie an dem schwarzen Moor,
am Moor, wo der alte Jan erfror;
da weinte sie ihr brennend Weh
hinunter in den kalten Schnee.




 
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
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Das Veilchen
Ein Veilchen auf der Wiese stand
Gebückt in sich und unbekannt;
Es war ein herzigs Veilchen.
Da kam eine junge Schäferin,
Mit leichtem Schritt und munterm Sinn,
Daher, daher,
Die Wiese her, und sang.
 
Ach! denkt das Veilchen, wär ich nur
Die schönste Blume der Natur,
Ach, nur ein kleines Weilchen,
Bis mich das Liebchen abgepflückt
Und an dem Busen matt gedrückt!
Ach nur, ach nur
 
Ein Viertelstündchen lang!
Ach! aber ach! das Mädchen kam
Und nicht in acht das Veilchen nahm,
Ertrat das arme Veilchen.
Es sank und starb und freut‘ sich noch:
Und sterb ich denn, so sterb ich doch
Durch sie, durch sie,
Zu ihren Füßen doch.
Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)
 
 
Maikel
Maikel
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel

Eine Brieffreundin sandte mir dieses dramatische Gedicht.



 

***


Else Lasker-Schüler
(1869-1945)



Weltflucht


Ich will in das Grenzenlose
Zu mir zurück,
Schon blüht die Herbstzeitlose
Meiner Seele,

Vielleicht ists schon zu spät zurück.
O, ich sterbe unter euch!
Da ihr mich erstickt mit euch.

Fäden möchte ich um mich ziehen
Wirrwarr endend!
Beirrend,
Euch verwirrend,
Zu entfliehn
Meinwärts.


***




Mit den Gedichten von Else Lasker-Schüler habe ich mich noch nicht näher befasst, dies werde ich nun aber nachholen.

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Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
https://www.youtube.com/watch?v=yiejY8d4xVE

Ein Hund und eine Katz’
(Theodor Fontane)

Ein Hund und eine Katz’ verloren
schon früh die teuren Eltern beid’,
ein alter Freund mit langen Ohren
erbarmte sich der jun
gen Leut’.

Ein Esel war’s und beiden Seelen
mit gleicher Liebe zugetan;

die Pflegekinder zu vermählen,
das war von je sein Lieblingsplan.

Zwar sah er zwischen Hund und Katze
oft einen eingefleischten Hass,
doch hing er an dem alten Satze:
Im Ehestande gibt sich das.

Zwar sprach die Katz: „Oh Pflegevater,
lass ab, so du nicht Stein und Erz,
ich lieb’ des Nachbars schwarzen Kater,
und ihm allein gehört mein Herz.“

Es sprach der Hund: „Wohl fühl’ ich Minne,
so wahr als ich ein Pinscher bin.
Doch streben alle meine Sinne
nur nach der Bologneserin.

Umsonst! Trotz allem Widerstreben
und allem Flehn von Katz und Hund,
- der Esel war ein Esel eben -
bestand er auf den Ehebund.

Der Krieg ist da; nachts schleicht die Katze
zu Nachbars schwarzem Kater hin. –
Der Pinscher huldigt seinem Schatze,
der kleinen Bologneserin.


Ich denke dass der Esel inzwischen eingesehen hat, dass Hund und Katz lediglich miteinander toben und spielen können - wie im obigen Video zu beobachten. Das müßte selbst der dümmste Esel begreifen. 

 
LisaK
LisaK
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von LisaK
als Antwort auf Sirona vom 06.04.2024, 08:54:34
Liebe Sirona,
" Eseleien" können die einfachsten Dinge komplizieren.
Ich hab´ sehr geschmunzelt über den Hund und die Katz´.
Herzliche Grüße
Lisa
 
Einfach Liebe 1.png

O glücklich, wer ein Herz gefunden
O glücklich, wer ein Herz gefunden,
das nur in Liebe denkt und sinnt
und mit der Liebe treu verbunden
sein schönres Leben erst beginnt!
 
Wo liebend sich zwei Herzen einen,
nur eins zu sein in Freud und Leid,
da muss des Himmels Sonne scheinen
und heiter lächeln jede Zeit.
 
Die Liebe, nur die Lieb ist Leben:
Kannst du dein Herz der Liebe weihn,
so hat dir Gott genug gegeben,
freu dich, die ganze Welt ist dein!
Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), deutscher Dichter
 
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf Maikel vom 03.04.2024, 13:50:30

Dieses Bedürfnis des Zurückziehens aus der Welt haben viele große Geister empfunden und sich deshalb oft in die Einöde begeben, um neue Kraft aufzutanken. Viele aber sind dort geblieben und fristeten zufrieden ihr Dasein als Eremit.

LG Sirona

 


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Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
als Antwort auf LisaK vom 08.04.2024, 07:32:35

In dem Gedicht zeigt Fontane seine humorvolle Seite, aber auch seine große Tierliebe. Das Spiel von Hund und Katz' im Video fand ich einfach herrlich und habe mit Vergnügen dieser Eintracht zwischen den unterschiedlichen Tieren genossen. Daran könnte sich so mancher streitlustige Mensch ein Beispiel nehmen. 😁

LGN Sirona

 

Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Gemaelde_Grossmutter.jpg

Gefragt nach seinen bevorzugten Künstlern antwortete Papst Franziskus:
Ich habe viele Autoren geliebt, die sehr unterschiedlich sind. Dostojewskij und Hölderlin liebe ich sehr. Von Hölderlin möchte ich das Gedicht zum Geburtstag seiner Großmutter erwähnen, das von großer Schönheit ist. Es ist für mich auch spirituell sehr schön. Es schließt mit dem Vers: ..... dass dir halte der Mann, was er als Knabe gelobt. Das hat mich sehr gerührt, denn ich habe meine Großmutter Rosa sehr geliebt. Sie hat mich sogar den Anfang der Promessi sposi auswendig lernen lassen.(Ende Zitat)


Meiner verehrungswürdigen Großmutter 
Zu ihrem 72. Geburtstag
(Fr. Hölderlin)

Vieles hast du erlebt, du teure Mutter! und ruhst nun
glücklich, von Fernen und Nahn liebend beim Namen genannt,
mir auch herzlich geehrt in des Alters silberner Krone
unter den Kindern, die dir reifen und wachsen und blühn.

Langes Leben hat dir die sanfte Seele gewonnen
und die Hoffnung, die dich freundlich in Leiden geführt.
Denn zufrieden bist du und fromm, wie die Mutter, die einst den
Besten der Menschen, den Freund unserer Erde, gebar. –

Ach! sie wissen es nicht, wie der Hohe wandelt' im Volke,
und vergessen ist fast, was der Lebendige war.
Wenige kennen ihn doch und oft erscheinet erheiternd
mitten in stürmischer Zeit ihnen das himmlische Bild.

Allversöhnend und still mit den armen Sterblichen ging er,
dieser einzige Mann, göttlich im Geiste, dahin.
Keines der Lebenden war aus seiner Seele geschlossen
und die Leiden der Welt trug er an liebender Brust.

Mit dem Tode befreundet' er sich, im Namen der andern
ging er aus Schmerzen und Müh siegend zum Vater zurück.
Und du kennest ihn auch, du teure Mutter! und wandelst
glaubend und duldend und still ihm, dem Erhabenen, nach.

Sieh! es haben mich selbst verjüngt die kindlichen Worte,
und es rinnen, wie einst, Tränen vom Auge mir noch;
und ich denke zurück an längst vergangene Tage,
und die Heimat erfreut wieder mein einsam Gemüt.

Und das Haus, wo ich einst bei deinen Segnungen aufwuchs,
wo, von Liebe genährt, schneller der Knabe gedieh.
Ach! wie dacht ich dann oft, du solltest meiner dich freuen,
wann ich ferne mich sah wirkend in offener Welt.

Manches hab ich versucht und geträumt und habe die Brust mir
wund gerungen indes, aber ihr heilet sie mir.
O ihr Lieben! und lange, wie du, o Mutter! zu leben
will ich lernen; es ist ruhig das Alter und fromm.

Kommen will ich zu dir; dann segne den Enkel noch einmal,
daß dir halte der Mann, was er, als Knabe, gelobt.




 
Maikel
Maikel
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Maikel
***


August von Platen-Hallermünde
(1796-1835)



Sommer


O wonnigliche Reiselust,
an dich gedenk ich früh und spat!
Der Sommer naht, der Sommer naht,
Mai, Juni, Juli und August,
da quillt empor,
da schwillt empor
das Herz in jeder Brust.

Ein Tor, wer immer stille steht,
drum Lebewohl und reisen wir!
Ich lobe mir, ich lobe mir
die Liebe, die auf Reisen geht!
Drum säume nicht und träume nicht,
wer meinen Wink versteht.


***
Sirona
Sirona
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RE: Schöne Lyrik
geschrieben von Sirona
Helmstedt.jpg

Bildquelle:
https://www.hallo-helmstedt.de/


Vor Helmstedt

Der Sommervogel sang sein letztes Lied
am Himmel schwer die Regenwolken stehen
durch fremde Straßen irr ich wund und müd
und möchte so gern, so gern nach Hause gehen.

Durch weite Lande meine Sehnsucht fliegt
und weiß nicht, wo sie ihren Frieden find.
Ist’s, wo mein Haus in Schutt und Trümmern liegt?
Ist’s, wo die Friedhofstannen flüstern leis im Wind?

Seit meines Kindes Seele von mir ging,
kann mir die Erde  nicht mehr Heimat werden
und immer wieder kommt mir’s in den Sinn
unstet und glücklos muß ich sein auf Erden.

Elfriede Daum (1946)

(Mit Einverständnis des Enkels der Verfasserin weitergegeben.)





 

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