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elisa7
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Für mich waren alle Deutschen reich
geschrieben von elisa7
Ich begegnete in einer Ausbildungsstätte einer jungen Frau aus Ecuador, die hier eine Ausbildung als Bürokauffrau machte. Sie erzählte mir ihre kleine Geschichte, die auch aufzeigt, wie es den Menschen anderer Länder geht, wenn sie mit unserer Kultur zusammentreffen:

"Ich bin in einem Armenviertel einer kleinen Stadt in Ecuador aufgewachsen. Vor vier Jahren bekam ich überraschend das Angebot einer deutschen Stiftung, in Deutschland eine Ausbildung als Bürokauffrau zu machen. Auf der einen Seite freute ich mich sehr darüber. So konnte ich Geld verdienen, um meine Familie zu unterstützen. Andererseits bereitete mir der Gedanke, nach Deutschland zu gehen, große Angst. Ich hatte gehört, dass die Leute dort sehr verschlossen seien. Nach einigem Überlegen nahm ich das Angebot an, weil die Ausbildung mir helfen würde, meine Fähigkeiten für meine Familie und mein Volk einzusetzen.

So kam ich vor vier Jahren nach Deutschland. Die ersten Monate waren nicht leicht. Ich verstand kein Deutsch und konnte mich nicht ausdrücken. Die Mentalitätsunterschiede machten mir zusätzlich zu schaffen. Ich bin sehr spontan, laut und fröhlich; hier sollte ich ruhig sein. Alles war so aufgeräumt und kein Müll auf der Straße. Großer Schmerz machte bereitete mir der Gedanke, dass ich hier in Deutschland jeden Tag etwas zu Essen hatte, während meine Familie und meine Landsleute oft nicht mal das Nötigste haben. Für mich waren die Deutschen alle reich: Fast jeder besaß einen Staubsauger, eine Waschmaschine und ein Auto, Dinge, die in Ecuador nur die reichen Leute besitzen. Anfangs ärgerte ich mich darüber, weil ich das als eine große Ungerechtigkeit empfand. Dann wurde mir klar, dass ich nicht eifersüchtig sein durfte. Jedes Volk hat seine Schönheit und seinen Reichtum.

Meine Arbeitskollegen und Bekannten versuchte ich so anzunehmen, wie sie waren. Oft waren die Meinungen gegensätzlich, bedingt durch unsere unterschiedlichen Kulturen. Ich verstand zum Beispiel nicht, dass die jungen Leute so früh aus dem Elternhaus ausziehen und alleine leben oder unverheiratet zusammenwohnen. Auch wenn ich diese Lebensweise nicht nachvollziehen kann, verstand ich, dass ich sie nicht verurteilen durfte.

In diesen Jahren habe ich auch andere Südamerikaner kennengelernt. Es war nicht leicht, diesen Freunden immer wieder zu sagen, dass sie Verständnis für die Deutschen entwickeln und das deutsche Volk tiefer kennenlernen sollten. Das gegenseitige Kennen, Verstehen und Akzeptieren sind für mich die Voraussetzungen, um miteinander in Frieden leben zu können.

Bald kehre ich nach Ecuador zurück. Ich bin froh über die Zeit hier, da ich viel Positives kennengelernt habe und dies mit nach Ecuador nehmen kann. Die Jahre hier waren trotz der Schwierigkeiten - oder vielleicht gerade deswegen - eine große Bereicherung. Was ich hier gelernt habe, will ich nicht nur für mich behalten, sondern auch dafür einsetzen, dass mein Volk bessere Lebensaussichten hat. V.F."
olga64
olga64
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Re: Für mich waren alle Deutschen reich
geschrieben von olga64
als Antwort auf elisa7 vom 11.08.2010, 17:16:06
Das gefällt mir gut und man kann wieder sehen, dass man andere Nationen (Völker) nur mental verstehen kann, wenn man sie versteht (gleiche Sprachen spricht). Damit werden viele Irrtümer, Vorurteile und Missverständnisse ausgeräumt.
Ich hatte vergangenen Samstag ein ebenso schönes Erlebnis: ich traf an der S-Bahn-Station in München zwei junge Amerikanerinnen, die monatelang jobbten, um sich einen Deutschland-Trip leisten zu können. Einen Tag vor ihrer Abreise warteten sie auf die S-Bahn nach Dachau - sie wollten das KZ besichtigen. Darüber unterhielten wir uns und ich fand es sehr, sehr gut, dass ich dies mit diesen jungen Frauen machen konnte und nicht automatisch innerlich erstarren musste aufgrund es grossen Unrechts, was wir Deutsche in zwei Weltkriegen verursachten.
Aber auch dies ging nur, weil wir uns gut in Englisch verständigen konnten - man würde auf viele solcher Erlebnisse verzichten müssen, wenn man nur auf seiner Muttersprache beharrt. Olga

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