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Literatur Künstler-Gedenken

RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 17.02.2021, 15:37:52
Kyber, Manfred.JPG
Lups

Herr Lups war ein Spatz. Seine Frau hieß Frau Lups. Denn dem Namen nach richten sich die Frauen nach ihren Männern.

Es war Frühling, und Frau Lups saß auf ihren Eiern. Herr Lups hatte Futter herangeschleppt. Jetzt saß er auf dem Nestrand und blinzelte in die Sonne.
Die Menschen sagen immer, dass Spatzen frech und zänkisch sind, dachte Frau Lups, womit sie natürlich nur die Männchen meinen. Ich kann es von meinem Mann eigentlich nicht finden. Ein fertiger Ehespatz ist er zwar noch nicht, aber er macht sich. Herrn Lups wurde es langweilig.

„Ich möchte mich auch mal auf die Eier setzen.“
„Nein“, sagte Frau Lups – nicht aus Eigensinn, rein aus pädagogischem Emp­finden.
„Piep!“ sagte Herr Lups empört, „es sind auch meine Eier.“
„Nein“, sagte Frau Lups – wieder nur aus pädagogischem Empfinden.

Herr Lups schlug erregt mit den Flügeln.
„Ich habe das Recht, auf den Eiern zu sitzen, ich bin der Vater“, schrie er.
„Schlag nicht so mit den Flügeln“, sagte Frau Lups, „es ist unschicklich, we­nigstens hier im Nest. Außerdem macht es mich nervös. Ihr Männer müsst immer gleich mit den Flügeln schlagen. Nimm dir ein Beispiel an mir! Ich bin stets ruhig. Gewiss sind es deine Eier. Aber es sind mehr meine Eier als deine Eier. Das habe ich gleich gesagt. Denke dran, dass du verheiratet bist!“
„Daran denke ich unaufhörlich“, sagte Herr Lups. „Aber du hast es vorhin anders gesagt. Das ist unlogisch.“
„Stör mich nicht mit deiner Logik“, sagte Frau Lups, „wir sind verheiratet und nicht logisch.“
„So“, machte Herr Lups und klappte arrogant mit dem Schnabel.
„Findest du das etwa nicht?“

Herr Lups hörte auf zu klappen.
„Ja, ja, meine Liebe“, sagte er.
Er macht sich, dachte Frau Lups.

„Ich werde jetzt in den Klub gehen“, sagte Herr Lups und putzte sich die Flügel.
„Du könntest dich auch mal auf die Eier setzen“, sagte Frau Lups vorwurfs­voll, „ich sitze schon den ganzen Vormittag darauf. Glaubst du, dass es ein Vergnügen ist? Dabei sind es deine Eier.“
Herr Lups dachte, die Sonne müsse aufhören zu scheinen. Aber sie schien weiter.

„Mir steht der Schnabel still!“ schrie er. „Eben wollte ich auf den Eiern sitzen, da waren es deine Eier. Jetzt will ich in den Klub gehen, da sind es meine Eier. Wessen Eier sind es nun endlich?!“
„Schrei nicht so“, sagte Frau Lups, „natürlich sind es deine Eier. Ich habe es dir doch schon vorhin gesagt.“
Herrn Lups wurde es schwindlig.
„Du irrst dich“, sagte er matt.
„Frauen irren sich nie“, sagte Frau Lups.
„Ja, ja, meine Liebe“, sagte Herr Lups und setzte sich auf die Eier, die nicht seine Eier und doch seine Eier waren.
„Männer sind so wenig rücksichtsvoll“, sagte Frau Lups mit sanftem Tadel, „du hast eben auch die weibliche Hand in deinem Leben zu wenig gefühlt.“
„O doch“, sagte Herr Lups und blickte auf die Krällchen seiner Gemahlin.

Frau Lups horchte aufmerksam an den Eiern.
„Eins piepst sogar schon im Ei“, sagte sie glücklich.
„Dann wird es ein Weibchen“, sagte Herr Lups.
Frau Lups sah ihren Gatten scharf an.
„Gewiss“, sagte sie, „es wird ein Weibchen. Die Intelligenz regt sich am frü­hesten.
Herr Lups ärgerte sich sehr und brütete.
„Aber das erste, das herauskommt, wird ein Männchen!“ sagte er patzig.
Frau Lups blieb ganz ruhig.
„Das, was zuerst piepst, kommt auch zuerst heraus“, sagte sie, „es wird also ein Weibchen. Im Übrigen lass mich jetzt auf die Eier! Es wird kritisch. Das verstehen Frauen besser. Außerdem sind es meine Eier.“
„Ja, ja, meine Liebe“, sagte Herr Lups.

Nach kurzer Zeit kam das erste aus dem Ei. Es war ein Männchen.
Herr Lups plusterte sich und zwitscherte schadenfroh.
„Siehst du“, sagte Frau Lups, „ich habe es dir gleich gesagt. Es wird ein Männchen. Aber ihr müsst eben alles besser wissen.“

Herr Lups sperrte den Schnabel so weit auf wie noch nie. Eine Steigerung war anatomisch undenkbar.
Aber er kriegte keinen Ton heraus. Da klappte er den Schnabel zu.
Endgültig.

Jetzt ist er ganz entwickelt, es wird eine glückliche Ehe, dachte Frau Lups und half den anderen Kleinen behutsam aus der Schale.
„Nun musst du in den Klub gehen, liebes Männchen“, flötete sie, „du musst dich etwas zerstreuen. Ich bat dich schon so lange darum. Auf dem Rückweg bringst du Futter mit.“

„Ja, ja, meine Liebe“, sagte Herr Lups.

Herr Lups hielt eine Rede im Klub.
„Wir sind Männer! Taten müssen wir sehen, Taten!!“ schrie er und gestiku­lierte mit den Flügeln.

Frau Lups wärmte ihre Kleinen im Nest.
"Seinen Namen werdet ihr tragen, alle werdet ihr Lups heißen", piepste sie zärtlich.
Denn dem Namen nach richten sich die Frauen nach ihren Männern.


Manfred Kyber
18. 2. 1880-10. 3. 1933
aus:
Ambrosius Dauerspeck und Mariechen Knusperkorn“
Rowohlt-Verlag




Fritz Katzfuß

Fritz Katzfuß war ein siebzehnjähriger Junge,
Rothaarig, sommersprossig, etwas faul,

Und stand in Lehre bei der Witwe Marzahn,
Die geizig war und einen Laden hatte,
Drin Hering, Schlackwurst, Datteln, Schweizer Käse
Samt Pumpernickel, Lachs und Apfelsinen
Ein friedlich Dasein miteinander führten.
Und auf der hohen, etwas schmalen Leiter,
Mit ihren halb schon weggetretnen Sprossen,
Sprang unser Katzfuß, wenn die Mädchen kamen
Und Soda, Waschblau, Grieß, Korinthen wollten,
Geschäftig hin und her.

Ja, sprang er wirklich!
Die Wahrheit zu gestehn, das war die Frage.
Die Mädchen, deren Schatz oft draußen passte,
Vermeinten ganz im Gegenteil, er "nöle",
Sei wie verbiestert und durchaus kein "Katzfuß".
Im Laden, wenn Frau Marzahn auf ihn passe,
Da ging es noch, wenn auch nicht grad aufs beste,
Das Schlimme käme erst, wenn er wegen Selter-
Und Sodawasser in den Keller müsse,
Das sei dann manchmal gradzu zum Verzweifeln,
Und wär er nicht solch herzensguter Junge,
Der nie was sage, nie zuwenig gebe,
Ja, meistens, dass die Waagschal überklappe,
So wärs nicht zu beleben.
Und nicht besser
Klang, was die Herrin selber von ihm sagte,
Die Witwe Marzahn. "Wo der dumme Junge
Nur immer steckt? Hier vorne muss er flink sein,
Doch soll er übern Hof und auf den Boden,
So dauerts ewig."

So sprach Witwe Marzahn.
Und kurz und gut, Fritz Katzfuß war ein Rätsel,
Und nur das eine war noch rätselvoller:
Dass, wies auch drohn und donnerwettern mochte,
Ja, selbst wenn Blitz und Schlag zusammenfielen,
Dass Fritz nie maulte, greinte, wütend wurde;
Nein, unverändert blieb sein stilles Lächeln
Und schien zu sagen: "Arme Kreaturen,
Ihr glaubt mich dumm, ich bin der Unterlegne.
Kramladenlehrling! Eure Welt ist Kram,
Und wenn ihr Waschblau fordert oder Stärke,
Blaut zu, soviel ihr wollt .Mein Blau der Himmel!"

So ging die Zeit, und Fritz war wohl schon siebzehn,
Ein Oxhoft Apfelwein war angekommen
Und lag im Hof. Von da sollts in den Keller.
Fritz schlang ein Tau herum, und weil die Hitze
Groß war und drückend, was er wenig liebte,
So warf er seinen Shirting-Rock beiseite,
Nicht recht geschickt, so dass der Kragenhängsel
nach unten hing. Und aus der Vordertasche
Glitt was heraus und fiel zur Erde. Lautlos.
Fritz merkt es nicht. Die Witwe Marzahn aber,
Schlich sich heran und nahm ein Buch (das war es)
Vom Boden auf und sah hinein: "Gedichte.

Gedichte, erster Teil, von Wolfgang Goethe."
Zerlesen wars und schlecht und abgestoßen
Und Zeichen eingelegt: ein Endchen Strippe,
Briefmarkenränder, und als dritt und letztes
(Zu glauben kaum) ein Streifen Schlackwurstpelle,
Die Seiten links und rechts befleckt, befettet,
Und oben stand, nun was? stand "Mignonlieder",
Und Witwe Marzahn las: "Dahin, dahin
Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn."

Nun war es klar. Um so was träg und langsam,
Um Goethe, Verse, Mignonlieder.
Armer Lehrling,
Ich weiß dein Schicksal nicht, nur eines weiß ich:
Wie dir die Lehrzeit hinging bei Frau Marzahn,
Ging mir das Leben hin. Ein Band Goethe
Blieb mir bis heut mein bestes Wehr und Waffen,
Und wenn die Witwen Marzahns mich gepeinigt
Und dumme Dinger, die nach Waschblau kamen,
Mich langsam fanden, kicherten und lachten -
Ich lächelte, gradso wie du gelächelt,
Fritz Katzfuß, du mein Ideal, mein Vorbild.
Der Band von Goethe gab mir Kraft und Leben,
Vielleicht auch Dünkel .... All genau dasselbe
Nur andres Haar und - keine Sommersprossen.


Theodor Fontane
30. 12. 1819 - 20. 9. 1898


GoethesGartenWeimar.jpg
Clematis


 
Maikel
Maikel
Mitglied

RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von Maikel
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 18.02.2021, 08:40:28

Danke dafür, besonders für die schönen Worte vom Herrn Geheimrat. Ein kleiner Garten ist wirklich ein Stück vom Glück 😊. Ich vermute, Goethes Ansichten zum Thema Garten kam erst später in seinem Leben, er war ja als durchaus reisefreudig bekannt 😁, aber wenn ich mich recht erinnere, war er auch immer wieder froh, wenn er nach Weimar zurückkehrte.

RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf Maikel vom 18.02.2021, 10:09:33

Danke, lieber Maikel!

Wir schätzen den Herrn Geheimrat Goethe grundsätzlich falsch ein.

Weshalb war er wohl Geheimrat? Wir übersehen, dass er Minister war,
ja, er hat gearbeitet! Er war ja Angestellter von Herzog Carl August.

 

"In Weimar wurde Goethe nicht nur zum engen Freund und Vertrauten des jungen Herzogs Carl August, sondern stieg auch zum Staatsminister und Geheimrat auf – der Beginn einer politischen Karriere in einem Europa, das von Krieg, Umbruch und Neuordnung geprägt war.

Planet Wissen"

Er hat Pflanzen- und Steinuntersuchungen gemacht.

sein Gartenhaus an der Ilm - Wikipedia
Weimar_Goethe_Gartenhaus_1900-Wikipedia.jpg
Grüssle
Clematis
 

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Maikel
Maikel
Mitglied

RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von Maikel

***


Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind
und unser kleines Leben ist von einem Schlaf umringt.

Der Narr hält sich für weise,
aber der Weise weiß, dass er ein Narr ist.

Der Feige stirbt schon vielmal, eh er stirbt,
die Tapfern kosten einmal nur den Tod.


William Shakespeare


***

 
RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Ein sehr frühes "Guten Morgen" in die Runde und als Erstes ein besonderer Dank an Dich, liebe Ingeborg. Ich habe mich gerade köstlich amüsiert über die Geschichte der kleinen "Familie Lups". Wie herrlich ist das denn ... :-)

Mir ist heute nach Herrn Einstein und em Dalai Lama ... mit diesen Gedanken möchte ich Euch hier bei Witziges und Be-Denkliches ein schönes Wochenende wünschen!

Liebe Grüße
von GertiK

SchwierigeZeit.jpg

Phantasie.jpg

RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 19.02.2021, 05:07:55
Guten Morgen @GertiK
hast zwei prominente Gäste mitgebracht!
Nur  immer hereinspaziert!



Goethe, Catharina Elisabeth.jpg


Frau Rat von Goethe an Christiane Vulpius

den 17. Mertz 1801

Liebe Tochter!

Tausend Dank vor Ihren lieben Brief, Sie haben mich dadurch sehr glücklich gemacht - beehren Sie mich zuweilen mit Ihrer lieben Zuschrift, und ich werde immer dadurch verjüngt wie ein Adler! Wohl mögte ich einmahl das weimarer Theater das überall berühmt ist sehen - aber du Lieber Gott! Ich und Reißen!! Ich wünscht ich hätte Frau von La Roche Ihren Muth und Ihre Reiße seligkeit, den habe ich aber nicht, und da wird es wohl so bey dem alten bleiben.

Tantzen Sie immer liebes Weibgen Tantzen Sie - frölige Menschen die mag ich gar zu gern - und wenn sie zu meiner Familie gehören habe ich sie doppelt und dreyfach lieb - Wäre ich eine Regirende Fürstin, so machte ich es wie Julius Cäsar lauter fröliche Gesichter müßten an meinem Hof zu sehen seyn denn das sind der Regel nach gute Menschen, die ihr Bewusstsein froh macht - aber die Duckmäußer die immer unter sich sehen - haben etwas vom Kain an sich die fürchte ich - Luther hat Gott zu Kain sagen laßen warum verstelts du deine Geberde, aber es heißt eigendlich im Grundtext - warum läßt du den Kopf hängen.
Leben Sie wohl - vergnügt und Tantzen wo Sie Gelegenheit dazu finden - darüber wird sich hertzlich freuen die sich nent
Ihre
treue Mutter Goethe


Clematis


 

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RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 19.02.2021, 08:30:05
Erhardt, Heinz.jpg
Erhardt, Heinz-Purzelbum.jpg

Erhardtc291008796eb8bece9fccf42e1d65f6c.jpg

lieben Morgengruß
Clematis

 
RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 20.02.2021, 07:17:48
BrunnenAlt-3.JPG
der alte Brunnen an der Stadtmauer in Schorndorf

Weltgeheimnis


Der tiefe Brunnen weiß es wohl,
Einst waren alle tief und stumm,
Und alle wußten drum.
Wie Zauberworte, nachgelallt
Und nicht begriffen in den Grund,
So geht es jetzt von Mund zu Mund.

Der tiefe Brunnen weiß es wohl;
In den gebückt, begriffs ein Mann,
Begriff es und verlor es dann.
Und redet' irr und sang ein Lied –
Auf dessen dunklen Spiegel bückt
Sich einst ein Kind und wird entrückt.
Und wächst und weiß nichts von sich selbst
Und wird ein Weib, das einer liebt
Und – wunderbar wie Liebe gibt!
Wie Liebe tiefe Kunde gibt! –
Da wird an Dinge, dumpf geahnt,
In ihren Küssen tief gemahnt ...
In unsern Worten liegt es drin,
So tritt des Bettlers Fuß den Kies,
Der eines Edelsteins Verlies.

Der tiefe Brunnen weiß es wohl,
Einst aber wußten alle drum,
Nun zuckt im Kreis ein Traum herum.



Hugo von Hofmannsthal
1. 2. 1874 - 15. 7. 1929

Clematis
Bergkristall-473.jpg
Bergkristall





 
RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied

Guten Morgen an die fleißigen Leser und Schreiber :-)

Ich wünsche Euch einen schönen Sonntag!
Genießt den schönen Tag, der er werden soll :-)

Grüßle
GertiK

DeinWeg Kopie.jpg

 

RE: Anekdoten und Aphorismen - Witziges und Be-Denkliches
geschrieben von ehemaliges Mitglied
als Antwort auf ehemaliges Mitglied vom 21.02.2021, 06:46:45

Ja, liebe @GertiK, das ist so was mit den Mauern.

Trotta, Margarethr von.jpg

TrottaBoulevard-der-stars-IMG_0895x.JPG

Bin vorhin mal wieder rausgeflogen.
deshalb mach ich es erstmal kurz

Clematis



hat geklappt
 

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