Forum Kunst und Literatur Literatur Buchvorstellung "leben"

Literatur Buchvorstellung "leben"

madrilena
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Re: "leben"
geschrieben von madrilena
Guten Morgen an alle und trotz des scheußlichen, kalten, regnerischen Maiwetters wünsche ich allen eine gute Woche. Ich wollte Euch einladen, auf meine Seite bei facebook zu gehen und wenn Ihr Interesse habt, könnt Ihr mal in mein Video über mein Buch "leben", aufgenommen in der Sendung "Kaffee oder Tee" reinschauen. Würde mich sehr freuen.
LG Hilde
madrilena
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Re: "leben"
geschrieben von madrilena
als Antwort auf madrilena vom 21.05.2013, 08:59:40
Das Buch "leben" kann auch bei mir bestellt werden, sofern es keine Buchhandlung in der Nähe gibt oder man die "tolle" Antwort bekommt, das Buch wäre nicht lieferbar. Die Leute sind dann nur zu faul in dem Verzeichnis lieferbarer Bücher(VLB) nachzuschlagen. Sie verlangen dann die ISBN Nummer, aber wer kann sich schon eine so lange Nummer merken? Der Alkyon Verlag vertreibt nicht über Großhandel, sondern nur direkt, und das ist die Schwierigkeit.
Aber es ist in jeder Buchhandlung erhältlich, sofern man sich dort die Mühe macht, im VlB nachzuschauen.

Hier noch einmal eine Buchbesprechung von
"leben" ISBN 978-3-93136-65-6

Ein Leben mit Grenzerfahrungen
Hilde Möller präsentierte ihren autobiografischen Roman im AZ-Kundencenter

Die Romantikerin ist angekommen. Reisen, Alkohol, Madrid, verschiedene Beziehungen und der Wunsch zu schreiben: was sich nach Ernest Hemingway anhört ist die Geschichte der Schriftstellerin und Wahlmainzerin Hilde Möller. Anders als Hemingway hatte sich Möller nie bewusst auf die Suche nach Abenteuern und Grenzerfahrungen gemacht und ist ihnen doch nie aus dem Weg gegangen. Ihr Leben ist geprägt von einem veralteten Frauenbild und dem Versuch, daraus auszubrechen.

Am Samstagvormittag signierte Möller ihren aktuellen Roman "leben" im AZ-Kundencenter für eingefleischte Fans und interessierte Mainzer Bürger. "leben" ist im vergangenen Jahr erschienen. Der "autobiografische Roman" erzählt Hilde Möllers Lebensgeschichte durch die Augen ihres Alter Egos Hannah. Möller legt wert auf die Authentizität des Buches. "Das ist alles genau so geschehen." Die Form der autobiografischen Romans habe sie gewählt, um ihre Familie zu schützen.

Möllers Leben ist geprägt durch das ihr anerzogene Rollenverhalten. Nur einmal begehrt sie dagegen auf, heiratet aus Trotz einen Mann, mit dem ihre Eltern nicht einverstanden sind, folgt ihm in den Iran, um dort ein Hotel zu führen. Die Ehe scheitert. Ihrem "Traummann" Georg folgt sie später durch die halbe Welt: Brüssel, Ankara und dann für 28 Jahre nach Madrid - zuletzt mit sieben Kindern. Sie erlernt viele Berufe, den Wunsch zu studieren und zu schreiben erfüllt sie sich aber nicht.

Bis es zum Bruch kommt. Wie ihr Alter Ego im Buch entwickelt Hilde Möller "Selbstachtung". Was zur Krise hätte führen können endet in Erfüllung. Georg macht den Schritt mit. In einer gleichberechtigten Partnerschaft kehrt Möller Anfang der 90er Jahre nach Deutschland zurück.

Aufgeben oder weitermachen, lautet die Frage nach dem Tod ihres Mannes und der Ermordung ihres jüngsten Sohnes. Möller verkauft ihr Haus auf dem Land und zieht im Jahr 2002 nach Mainz. Hier beginnt sie, sich einen Traum zu erfüllen. Sie beginnt zu schreiben und lebt "wie ein Schriftsteller im Hotel" und das in einer Stadt "die Madrid manchmal gar nicht so unähnlich ist".


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madrilena
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Re: "leben"
geschrieben von madrilena
als Antwort auf madrilena vom 01.06.2013, 11:03:46
Hier wieder einmal eine Rezension zu meinem Buch "leben"

LG madrilena

"Irgendwo ist immer ein Weg"

Von Katerina Ankerhold

AUTORIN Hilde Möller möchte mit ihrem autobiographischen Roman "leben" Menschen Mut machen

"Zwei Ehen, drei Männer, vier Länder, viele Kinder, Glück und Selbstzweifel, Aufbrüche, Zusammenbrüche, Schicksalsschläge, leben!" Der Text auf der Rückseite des autobiografischen Romans "leben" von Hilde Möller klingt nach einem Leben voller Höhen und Tiefen. Ein Blick in das fast 400 Seiten starke Buch bestätigt den ersten Eindruck. Die Autorin beschreibt darin ihr Leben von ihrer Jugend bis 2002. Obwohl sie ihren eigenen und die Namen ihrer Kinder verändert habe, sei alles, was sie schreibt, wirklich passiert, betont sie. "Entweder ich schreibe so ein Buch ehrlich oder gar nicht." Die Kleinschreibung des Titels "leben" sei eine bewusste Entscheidung gewesen, erzählt sie. Er soll Aktivität ausdrücken. Dieser Gedanke wird dem Inhalt des Romans auch gerecht.

Denn aktiv gelebt hat Hilde Möller wahrlich, und tut es immer noch. 1936 geboren, wuchs die Autorin - im Roman Hannah - während des Krieges auf und erlebte die Zeit danach als junge Frau. Trotz einer schweren Herzerkrankung, aufgrund derer ihr die Ärzte von Beruf und Familie abraten, heiratet Hannah zwei Mal, reist mit ihrem ersten Mann in den Iran, begleitet ihren zweiten nach einer Hotelfachausbildung nach Brüssel und Ankara, lebt dann mit ihm 28 Jahre lang in Madrid und bekommt sieben Kinder in achteinhalb Jahren. Permanent hat sie mit den traditionellen Geschlechterverteilungen zu kämpfen. Der Überforderung nicht gewachsen, sucht sie Hilfe im Alkohol, findet aus ihrer Abhängigkeit jedoch wieder hinaus. Anfang der 1990er Jahre kehrt sie gemeinsam mit ihrem Mann nach Deutschland zurück. Nachdem sie gerade den Darmkrebs besiegt hat, bricht ihr Leben mit einem Mal zusammen, als ihr Mann plötzlich stirbt. Nur mühsam hält sie sich aufrecht und wird noch einmal niedergeworfen, als einer ihrer Söhne kurze Zeit später ermordet wird.

"Ich hatte die Wahl: entweder aufgeben oder neu anfangen", sagt Hilde Möller. Sie entschied sich für zweiteres. Seit dem Verkauf ihres Hauses vor sieben Jahren lebt die Autorin in der Seniorenresidenz "Mundus" in der Mainzer Innenstadt. Sie hält Musikvorträge und liest aus ihren Romanen. Die Standhaftigkeit, mit der sie über ihr Leben spricht, und - vor allem - die Kraft, mit der sie es gemeistert hat, sind bewundernswert. Gewiss sei nicht alles rosig, sagt sie. "Doch mein Glas ist halbvoll, nicht halbleer."

Mit ihrem Buch möchte sie den Lesern, besonders aber Frauen, Mut machen. "Es gibt keine Grenze. Irgendwo ist immer ein Weg", sagt die Autorin. Ihre wichtigste Botschaft sei die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Als das "verlogenste Jahrzehnt" bezeichnet sie die Zeit, in der sie aufwuchs. Obwohl die Frauen nach dem Krieg so viel geleistet hätten, sei die Gesellschaft zu den alten Geschlechterverteilungen zurückgekehrt. Das nächste Mal soll sie am Weltfrauentag in der Nähe von Worms aus ihrem Buch lesen. Zu kaufen gibt es Hilde Möllers Autobiografie unter anderem in den Geschäftsstellen dieser Zeitung.

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madrilena
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Re: "leben"
geschrieben von madrilena
als Antwort auf madrilena vom 05.07.2013, 16:13:07
Einen guten Wochenanfang wünsche ich allen. Nachdem die Hitze wenigstens für einige Tage überwunden ist, geht es wahrscheinlich den Meisten wie mir - ich atme erst mal wieder richtig durch.
Dabei kam mir die Idee, ich könnte doch noch - abgesehen von meinem Lesungstext, den Ihr vielleicht gelesen habt, das dritte Kapitel meiner Autobiographie hier einstellen. Wie ich schon mehrere Male betonte, ist "leben" autobiographisch, nur die Namen habe ich meinen Kindern zuliebe geändert.
Vielleicht macht Euch dieses Kapitel neugierig, mehr von Hannah erfahren zu wollen.
Über einen Besuch auf meiner homepage würde ich mich sehr freuen: www.hillaseven.de
madrilena


1957
Als Hannah an diesem Abend in ihr Zimmer kam – sie wohnte nicht im Internat, sondern war in einem zur Hotelfachschule gehörenden Haus untergebracht, was ihr das Gefühl gab, weniger überwacht zu sein als die anderen Schülerinnen – entschied sie sich plötzlich, das Erlebte niederzuschreiben. Für wen? Sie wusste es nicht, es war ihr auch völlig gleichgültig. Sie hatte im Gespräch mit Georg gemerkt, wie gut es ihr tat, einfach einmal die vergangenen Monate in Worte zu fassen.
Sie knipste die Stehlampe an, ihr Licht warf einen gelben Schein auf den einfachen Holztisch. Sie fachte das fast erloschene Feuer im Eisenofen an, legte einige Scheite Holz nach und atmete tief den harzigen Geruch des brennenden, Funken sprühenden Holzes ein, bevor sie die Ofentür wieder schloss. Sie griff nach einem Schreibblock, suchte sich einen Stift und setzte sich an den Tisch. Mit raschen Bewegungen fing sie an zu schreiben:
‚Es blieb uns nicht viel Zeit, das verwirrende Nebeneinander von Tradition und Moderne Teherans zu erfassen. Teestuben neben Hochhäusern. Gewirr kleiner Gassen im Bazar und die Pracht der Königspaläste. Die Stadt umgeben von den hohen schneebedeckten Bergen des Elbursgebirges.
Mr. Eshragi, der Hotelbesitzer holte uns ab, das Auto mussten wir in Teheran lassen, nur mit dem Flugzeug war die Oase Isfahan zu erreichen.
Unbegreiflich, dass mir überhaupt nicht bange war. Mehr gespannt als ängstlich war ich in diese zweimotorige Maschine eingestiegen - mein allererster Flug! Ich war unterwegs in Asien! Fern von allem, was ich bisher gekannt hatte! Nirgends Straßen von und nach Isfahan, höchstens Karawanenpfade. Außerhalb der Stadt lauerte die Wüste – unwegsam und tödlich, zumindest für mich unerfahrene Europäerin.
Aber ebenso war ich ausgeliefert einer Männergesellschaft! Wie sollte ich hier in die von den Männern verlangte Rolle der Frau schlüpfen? Nirgends allein hingehen. Nie ohne Begleitung das Haus verlassen! Keinen Pfennig Geld zu besitzen! Warum spürte ich nicht die Bedrohung, die von dieser Situation ausging? Woher nahm ich dieses unverständliche Vertrauen in eine Zukunft, in der ich als Frau irgendwo unter den unwichtigsten Dingen des Lebens rangierte, aber niemals gleichberechtigt oder gar gleichwertig neben meinem Mann? Entsprach diese Situation meiner eigenen Selbsteinschätzung?
Und ausgeliefert war ich einer Sprache, die ich weder verstand noch lesen konnte. Ich war nur neugierig, von einer geradezu unschuldigen Neugier. Und gleichzeitig nicht neugierig genug, konnte ich mich diesem Zustand doch nicht offen überlassen. Ich war zu sehr mit uns und unserer Ehe beschäftigt, als dass ich mir all des Neuen, der so anderen Kultur wirklich bewusst geworden wäre.
Wochen später erst habe ich die Vorschrift, niemals ohne Mann, Freundin oder Hund auf die Straße zu gehen, außer Acht gelassen. Ich streifte allein durch den überdachten Bazar und schritt vorsichtig über die wundervollsten Teppiche, die im Gewimmel der unzähligen Gassen die schmalen Fußgängerwege vor den Läden bedeckten’.
Hannah unterbrach ihr Schreiben. ‚Ich mache daraus ja fast eine Geschichte, als ginge es mich persönlich überhaupt nichts an’, staunte sie. Nachdenklich kaute sie auf dem Kugelschreiber herum, ließ noch einmal die Gespräche des heutigen Abends mit Georg an sich vorbeiziehen. Obgleich es schon ziemlich spät war, wollte sie doch diesen Faden zur Vergangenheit, den sie gemeinsam mit ihm aufgerollt hatte, nicht schon wieder loslassen.
Ob Georg schon schlief? Warum interessierte er sich so sehr für ihre Erfahrungen? Es schien keine Neugier zu sein, sondern echtes Wissenwollen.
Sie sah ihn wieder vor sich. Seine Augen, die Farbe konnte sie nicht bestimmen. Manchmal schienen sie grün und dann wieder braun.
‚Welche Farbe sie wohl hatten, wenn er mit einer Frau schlief?’ Hannah stand auf, trat vor den neben der Tür aufgehängten Spiegel, näherte ihr Gesicht dem Glas, strich mit den Fingerspitzen vorsichtig über die hohe Stirn, zog die Augenbrauen nach, zeichnete die Konturen der Nase nach – wie gut, dass sie nicht die große Nase vom Vater oder der Mutter geerbt hatte. „Du siehst aus wie meine Mutter“, hatte der Vater immer behauptet. Sie hatte diese Großmutter nie kennengelernt, sie war vor Hannahs Geburt gestorben. Auf den Bildern sah man eine fast zerbrechliche, schöne Frau, den Blick nach innen gerichtet, weltabgewandt. ‚Das bin ich gewiss nicht und zerbrechlich auch nicht’, dachte Hannah, als sie auf ihrer Körperreise bei ihrem Mund angelangt war. ‚Schamlos sehnsüchtig würde ich ihn bezeichnen’, Sie lächelte und strich ihren Pulli glatt, ‚schlank bin ich, aber schön?’ Selten hatte sie sich in ihrem Körper wohl gefühlt und verführerisch war sie sich auch noch nie vorgekommen.
‚Auf was für Gedanken mich dieser Georg bringt’. Brüsk wandte sie sich vom Spiegel ab, setzte sich an den Tisch und fing wieder an zu schreiben:
‚Isfahan – Mr. Eshragi übersetzte Harald und mir das persische Sprichwort ‚Esfahan – nesf-e-jahan’ ‚Isfahan ist die Hälfte aller Schönheiten der Welt’. Bei meiner Entdeckung der Stadt dachte ich oft an diese Hälfte aller Schönheiten, wenn ich überwältigt auf dem Kaiserplatz stand, geblendet von der märchenhaften Pracht der türkisfarbenen Kacheln an der Kaisermoschee. Oder wenn ich nichts als staunen konnte über den Reichtum der Paläste, Moscheen und verträumten Gärten. Ich schaute von der Jahrhunderte alten Brücke Pole Khaju in den ‚Ewigen Fluss’, wo sich der zweigeschossige Arkadenbau im Wasser spiegelte.
Isfahan – eine schimmernde, traumähnliche Welt. Ich stand lange auf dem großen Immam-Square. Von den zierlichen Minaretten der beiden Moscheen entlang der breiten Straße klang der Gesang des Muezzin, und ich fühlte mich hineingezogen in das rätselhafte Leben des Morgenlandes. War fasziniert von Wasserbecken, großzügigen Rasenflächen und dem Gefühl von Weite. Nachts wischte das Licht der Scheinwerfer, das die Prachtbauten anstrahlte, über den Himmel. Und ich merkte, dass er nicht überall gleich war, dieser Himmel. Ich dachte an meine Kindheit, wenn Vater uns die Sterne erklärte, die so nah schienen und vielleicht längst erloschen waren, wenn ihr Licht, das wir bewundernd betrachteten, uns erreichte. Hier empfand ich den Himmel als leuchtendes Wunder und... fremd.
Und dann wieder die Augenblicke, wenn früh am Morgen, im rötlichen Schein der aufgehenden Sonne Kamelkarawanen als unwirkliche Silhouette gegen den beginnenden Tag mit weichem Hufschlag am Hotel vorbeizogen’.
Abermals unterbrach sich Hannah. ‚Über das Entsetzen muss ich schreiben, mein Entsetzen und diese grauenvolle Hilflosigkeit der Armut gegenüber in diesem reichen Land. Wie bei den alten Frauen vor Teheran...’.
Sie sah wieder die Bilder, die sich eingebrannt hatten. 40 Grad im Schatten der Wüstenstadt. Frauen, die im schlammigen Wasser des breiten Straßengrabens ihre Kleider wuschen, daneben verendete gurgelnd ein Hund und ein paar Meter weiter tauchte ein Kind sein erhitztes Gesicht ins schmutzige Nass. In der Stadt war die Ruhr ausgebrochen, jeden Tag rollten Militärkrankenwagen durch die Straßen. Mit Lautsprechern wurden die Menschen aufgefordert, sich gegen die Epidemie impfen zu lassen.
Es gab noch andere Arten des lautlosen Sterbens. Der tote alte Mann unter dem Maulbeerbaum. Verhungert. Nur ein paar lächerliche Meter vom Hotel entfernt, wo es für die vielen ausländischen Gäste fast jede ausgefallene Spezialität gab.
‚Ich muss das alles aufschreiben, auch wenn ich noch nicht weiß, für wen.
Weiß ich es wirklich nicht? Ist es nicht für Georg, einem eher unwirklichen Georg, den ich mir zwar als imaginären Gesprächspartner ausgesucht habe, dem ich den Text aber vielleicht nie geben werde?’
Er hatte sie mit seinen vorsichtigen Fragen überhaupt erst auf den Gedanken gebracht, über alles, was die letzten Monate für sie bedeuteten, zu sprechen oder zu schreiben. Es war leichter, wenn sie sich vorstellen konnte, dass sie an jemand Bestimmten schrieb und noch leichter, wenn dieser Jemand nichts mit ihr zu tun hatte. Sie konnte ehrlich sein, sich selbst und diesem ‚Niemand’ gegenüber.
‚Ich könnte doch auch an meine Mutter schreiben!’
Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte sie diesen Gedanken sofort wieder weg. Sie beschwor das Bild der Mutter: eine energische, alles anpackende schmale Frau, nur wenig kleiner als sie selbst. Nie gab es eine Umarmung, nie Zärtlichkeiten, und doch immer das starke Gefühl, Mutter war für sie da. Solange es Mutter gab, konnte nichts wirklich Schlimmes geschehen. Und manchmal, doch meist nur kurz, sah sie hinter der Mutter die andere Frau, die sie auch war, voller Sehnsucht und Träume. Dann stand Mutter am Fenster und sang Arien aus Madame Butterfly. „Eines Tages sehen wir“, nur war für sie dieser Tag nie gekommen. Sängerin hatte sie werden wollen. Warum machte sie es sich so unendlich schwer, ihre Gefühle zu zeigen? Warum diese Distanz zu ihren Töchtern? Nein, an die Mutter konnte sie nicht schreiben, lieber an jemanden, der vor Wochen in ihrem Leben noch nicht existiert hatte? Entschlossen beugte sie sich wieder über die Blätter:
‚Wir wohnten hinter dem Hotel, umgeben von hohen Mauern in einem lang gestreckten, einstöckigen Haus mit vielen einzelnen Zimmern, die alle auf eine Terrasse hinausgingen. Mr. Eshragi hatte Harald und mir drei dieser nebeneinander liegenden Räume gegeben, spartanisch eingerichtet und doch luxuriös durch die edlen Teppiche.
Wir hatten einen alten Diener, Kemal sprach ein paar Worte Englisch und war monatelang einer der wenigen Menschen, mit denen ich sprechen konnte, wenn Harald... ja, wenn Harald wieder einmal seine häufigen Schweigezeiten hatte. Sie setzten völlig unvermutet ein, es ging ihnen kein Streit voraus, keine Diskussion, nichts, er sprach nur einfach tage-, wochenlang kein Wort mit mir. Und ich spürte, dass ich ihm nicht mehr wichtig war.
Wie einfach sich solche Worte hinschreiben ließen, ihre Aussage aber zu erleben, das war nicht einfach gewesen. Morgens, wenn ich aufwachte, wagte ich kaum, die Augen zu öffnen. Ich wollte es nicht wissen, aber natürlich blinzelte ich doch vorsichtig zu Harald hin. Sein Gesichtsausdruck verriet schon, heute würde er nicht sprechen und morgen nicht und eine Woche lang nicht und manchmal auch viel länger... da war eine Mauer, an der meine Fragen, Bitten, mein Flehen um Aufmerksamkeit, um simple Antworten abprallten. Diese endlosen stummen Tage. Manchmal schaute mich Kemal so mitleidig an. Ich glaube, er fühlte mehr, als dass er es wusste, wie einsam ich war.
Und die Frauen? Für sie war ich eine Exotin, außerdem gab es ja keine Verständigungsmöglichkeiten. An manchen Abenden gesellte ich mich zu ihnen, wenn sie sich in einem separaten Teil des Gartens versammelten. Fremd saß ich unter ihnen. Nur zu den unzähligen Kindern, die um uns herum tobten, spürte ich Nähe. Sie begegneten mir noch unbefangen. Die Mütter und Großmütter starrten mich an, rauchten ihre Wasserpfeifen, diskutierten, riefen nach den Kindern, und stopften unentwegt Süßigkeiten in sich hinein. Die alten Frauen hüllten sich, noch schwarz gekleidet, in ihre Schleier, während die jungen, fast triumphierend das Moderne ihrer Gesellschaft verkörperten. Auch der jetzige Schah, Mohammed Reza Pahlewi, verlangte wie sein Vater per Gesetz das Verbot der Schleier. Eine junge Betriebswirtin erzählte mir einmal in einem erstklassigen Englisch, dass den verschleierten Frauen auf den Straßen Teherans die Burka abgenommen und auf rasch errichteten Scheiterhaufen verbrannt wurde. Sie selbst trug Minirock und war geschminkt. Sie lebte leider in Teheran, ich habe sie nach diesem Abend nie mehr gesehen.
Niemand war da, der das Schweigen aufgelöst hätte. Plötzlich erinnerte ich mich wieder an die zögerlichen Erzählungen der Schwiegermutter. Harald, als ihr Ältester, war verantwortlich für die Familie, er war Beschützer, Vater der beiden Brüder und Sohn in einem. Für ihn war die Mutter der wichtigste Mensch in seinem Leben, danach kam erst einmal nichts und niemand, ich wohl an allerletzter Stelle. Und ich brauchte lange, bis ich das begriff’.
Wieder unterbrach Hannah das Schreiben. Sie wollte nicht aufschreiben, dass sie sich selbst am allerwenigsten begreifen konnte. Warum wehrte sie sich nicht, begehrte auf, verlangte ihre Rechte? Sie stützte den Kopf in die Hand und starrte auf den runden Lichtfleck, den die Lampe auf ihren Tisch warf. Welche Rechte denn? Bei wem sollte sie sie einklagen? Wem hätte sie davon sprechen können? Und - gestand sie sich denn überhaupt irgendwelche Rechte zu? Woher kam nur diese fatalistische Einstellung, diese Fügsamkeit, die so gar nicht zu ihrer sonstigen Art zu passen schien? Warum war Selbstwert ein Gefühl, das ihr fremd war?
Sie stand auf und trat ans Fenster. Draußen hatte mittlerweile ein kleiner Schneesturm eingesetzt, Straßen und Bürgersteige waren weiß verschneit. Hannah fror, sie kramte nach einem dicken Pulli und legte nochmals Holz auf die Glut.
‚Georg wollte Persönliches von mir wissen? Ob er damit umgehen kann, wenn ich ihm von meiner Einsamkeit spreche? Und dem Heimweh?’ Es war ein so qualvolles Gefühl von Entwurzelung, vom hilflosen Verlassensein in einem luftleeren, dunklen Raum ohne den geringsten Laut, ohne eine menschliche Verbindung, während um sie herum das Leben lärmte.
madrilena
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Re: "leben"
geschrieben von madrilena
Hier ein Kommentar aus der Schweiz zu meinem Buch "leben" - ISBN Nr. 978-3-934136-65-6 erschienen im Alkyon Irmgard Keil Verlag
Gruß madrilena

Kommentar zum Roman "leben" beim Bookcrossing Ring/Ray:
"Nun bin ich fast durch mit dem Buch. Es ist ergreifend geschrieben. Ein bisschen erinnert mich manches an meine Mutter - sie gebar 11 Kinder. Aber das Leben der beiden Frauen ist doch sehr unterschiedlich verlaufen. Diese Unruhe in Hilde Möller, immer irgendwo anders sein zu wollen und alles perfekt machen zu müssen ohne Hilfe - und dann der Kampf um die Gleicberechtigung und das Wachsen ihres Selbstwertgefühls - alles wunderbar wiedergegeben."

madrilena
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Re: "leben"
geschrieben von madrilena
Ein Kommentar bei Amazon über mein Buch "leben"

leben - kein Ratgeber, aber dennoch ratgebend 8. August 2013
Von Gamone
Die Tragödie gleich auf den ersten Seiten hat mich ins Buch hineingezogen und nicht mehr losgelassen.
Die Aufs und Abs in ihrem gefüllten Leben sind sehr lebendig beschrieben. Nachvollziehbar, auch wenn ich mir oft gedacht habe: "Warum macht sie das?" Ein so offenes Buch zu schreiben, in dem man selbst oft nicht gut wegkommt, erfordert viel Mut und erhält meinen Respekt!

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madrilena
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Re: "leben"
geschrieben von madrilena
als Antwort auf madrilena vom 13.08.2013, 13:41:31
Dagmar hat in Amazon zu meinem Buch "leben" erschienen im Alkyon Verlag folgende Rezension geschrieben. Danke Dagmar
Gruß madrilena

Von Dagmar
wenn ich ein Buch in die Hand nehme
mache ich mir so meine Gedanken
über den Titel
was erwartet mich?
und dann
fange ICH an zu lesen...

schonungslos offen und ehrlich,
erscheint mir das Buch

es wird noch nicht einmal der Versuch gemacht,
gelebte schwierige Situationen zum Vorteil zu verschönern

sachlich werden Zweifel, Enttäuschungen und lebensbedrohende Situationen erzählt

die einzelnen Geschehnisse
erlebe ICH hautnah
die Freude, Ohnmacht und Verzweiflung
ICH spüre die Tränen - In MIR ist das Gefühl alles selbst zu durch- bzw erleben.

wirklich spannend und lebensnah
Seite für Seite
ICH war in einer Stille, als ich das Buch zu Ende gelesen habe

Sehnsucht, Liebe,
Wehmut, Ängste, lebensbedrohende Situationen
dies alles in einem kleinen Buch gebündelt
das ist die Kunst zu

l e b e n
madrilena
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Re: "leben"
geschrieben von madrilena
als Antwort auf madrilena vom 22.08.2013, 21:15:47
"leben" - Hilde Möller liest im Stadtteiltreff Gonsenheim
Lesung und Frauenfrühstück

Die bekannte Autorin Hilde Möller wird am 19.9.2013 im Rahmen des
Internationalen Frauenfrühstücks im Stadtteiltreff aus ihrem Buch „leben" vorlesen. Frau Möller war bereits zweimal im Stadtteiltreff zu Gast.

„leben" ist ein autobiografischer Roman, in dem Frau Möller ihr Leben mit allen Höhen und Tiefen schildert: „Zwei Ehen, drei Männer, vier Länder, viele Kinder, Glück und Selbstzweifel, Aufbrüche,

Zusammenbrüche, Schicksalsschläge, leben".

Wir laden alle Frauen ganz herzlich ein! Die Veranstaltung beginnt um
9.30 Uhr, nach der Lesung wollen wir gemeinsam frühstücken. Bitte eine Kleinigkeit für das gemeinsame Buffet mitbringen! (Eva Krenz)
madrilena
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Re: "leben"
geschrieben von madrilena
als Antwort auf madrilena vom 27.08.2013, 16:52:06
Kommentar in Amazon zu meinem Buch "leben" erschienen im Alkyon Verlag.
Über mein Leben kann man auch einiges auf meiner homepage erfahren www.hillaseven.de. Über einen Besuch dort würde ich mich freuen.

Waltraud Hoffmann in Amazon
Ich habe Frau Möllers Buch von der ersten bis zur letzten Seite verschlungen und konnte viele Situationen und Erlebnissen regelrecht miterleben. Sie lässt an Ihrem bewegten Leben teilnehmen scheut es nicht tiefe Einblicke in ihre Gefühle zu geben. Ich habe mich mit ihr gefreut, auch mit ihr getrauert, (selbst ihre Erfahrungen bestätigt) weil Freude und Trauer so dicht beieinander liegen. leben ist Geschichte einer großartigen Frau, die sich niemals scheute in unbekannte Länder und Gebiete aufzubrechen, oftmals Grund zum aufgeben gehabt hätte und Gott sei Dank immer wieder die Kraft fand weiter zu leben.
madrilena
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Re: "leben"
geschrieben von madrilena
als Antwort auf madrilena vom 05.07.2013, 16:13:07
Wie oft musste ich hören, "wie kann man nur so viel von sich preisgeben". Dieser Satz bezog sich auf die Autobiographie "leben", erschienen im Alkyon Verlag Marbach. Ich möchte dann immer fragen, wie eine Autobiographie eigentlich ausschauen soll, was sie vermitteln möchte? Ist nicht Ehrlichkeit das oberste Gesetz? Schönmalerei - das ist für mich Feigheit. Ich wollte zu meinen Verfehlungen, zu meinen Verzweiflungen, zu vielen auswegslos erscheinenden Situation nach Tod und Mord, mit einem Wort: einfach zu meinem Leben und zu mir und meinen Erfahrungen stehen. Sie haben mich zu der Frau gemacht, die ich heute bin und... einen Weg gefunden zu haben, gibt vielleicht den Menschen, vor allem den Frauen, die aufgeben wollen, Mut. Nein, es sollte kein Ratgeber sein, nur die Erfahrung vermitteln: Jetzt erst Recht!

"leben" über den Dächern,
Varitante "VaTa" -
Rezension bezieht sich auf: leben: autobiografischer Roman (Taschenbuch)
"leben"
Welch eine Fülle tut sich Dir immer wieder im Erinnern auf!
Gelebt und unvergessen.
Geliebt, geweint und immer wieder gehofft!
Geschaut, gelesen und geschrieben.
Menschen begegnet, flüchtig oder im Gespräch, auch still im Gegenüber.
Geschaut und wieder geschrieben.
Vorgelesen, mitgeteilt.
Dargeboten Klänge aus Heute und Gestern.
Welch eine Fülle!
Erleben, erkennen, einander zuordnen,

"leben"

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