Literatur Die Adlon-Verschwörung Philip Kerr
In diesem historischen Roman, der in seiner deutschen Übersetzung 2010 erschienen ist, versucht Philipp Kerr, vor allem die deutsche Geschichte ab 1934 in Verbindung mit Kriminalfällen darzustellen. Im Zentrum des Romans steht Bernie Gunther, der seinen Posten als Kriminalkommissar zu Beginn der NS-Herrschaft aus Protest gegen das neue Regime aufgibt und seither als Detektiv im Berliner Hotel Adlon arbeitet. Mit Hilfe der im Hotel residierenden amerikanischen Schriftstellerin Noreen Charambilides, in die er sich ver-liebt, gelingt es Bernie Gunther,Morde im Zusammenhang mit den kriminellen Machenschaften eines anderen amerikanischen Hotelgasts(Max Reles) aufzuklären. Korrupte NS-Funktionäre wollen mit Max Reles bei der Organisation der Olympischen Spielen 1936 gute Geschäfte machen. Ein Happy-End für Bernie und Noreen und eine Verhaftung des Haupttäters sind jedoch 1934 nicht möglich, weil die politi-schen Umstände und eine erfolgreiche Erpressung seitens des US-Gangsters dies verhindern. Nach einem wechselvollen Leben der Protagonisten treffen sich diese im vorrevolutionären Kuba 1954 wieder. Bernie Gunther gelingt es, die Tochter Noreens(Dinah), die auch seine Tochter ist, nur durch die Ermordung des Casino-Besitzers Max Reles vor einer verhängnisvollen Ehe mit dem Gangsterboss zu bewahren. Dabei gerät Gunther aber in die Anhängigkeit von kriminellen Regierungskreisen, die ihn zu einem längeren Engagement für den kubanischen Geheimdienst nötigen.
Die Handlung ist zwar spannend, aber dieser historische Roman ist für mich vor allem eine durch Ironie und Zynismus geprägte kritische Darstellung der NS-Herrschaft. Sehr viele prägnante und besonders aufschlussreiche Formulierungen mit Bezug auf NS-Organisationen, Träger des NS-Systems sowie die Realität des Alltagslebens in der NS-Zeit lassen auch erkennen, dass Bernie Gunther sich an moralischen Werten orientieren will und sich 1934 noch als Sozialdemokrat fühlt und keine Kompromisse mit dem NS-Regime machen will. Er reagiert jedoch manchmal impulsiv und gewaltsam und bringt sich damit in zusätz-iche Schwierigkeiten.Trotz aller beeindruckenden Kritik am NS-Regime sieht sich Bernie Gunther genötigt, während des Kriegs als SS-Führer an moralisch fragwürdigen Aktionen teilzunehmen, wobei er immer noch versucht, Exzesse zu verhindern und menschlich zu bleiben, obwohl er selber immer zynischer wird. Als Bilanz seines Lebens stellt er 1954 fest, dass er als Spielball historischer und krimineller Realitäten seine Freiheit weitgehend verloren hat. Es fällt nicht leicht, sich mit diesem Antihelden zu identifizieren.
Der Sprung des Autors aus dem Jahr 1934 ins Jahr 1954 mag trotz der Zusammenfassung der dazwischen liegenden Lebensstationen manchen Leser etwas irritieren. Auch die Konzentration auf einige wenige wesentliche Aspekte des NS-Regimes erscheint etwas lückenhaft. Diese Kritik ändert aber nichts daran, dass dieser historische Kriminalroman eine spannende und sehr eindrucksvolle Erfassung der NS-Herr-schaft ist und ein Roman mit existentialistischen Zügen, die den Leser zum Nachdenken anregen.