Literatur Homo humanus

Bias
Bias
Mitglied

Homo humanus
geschrieben von Bias
Den Grund seines „hohen und stolzen Erfolges“ meinte der Oberstudiendirektor darin zu erkennen,
daß der „Herr Reichsminister“ einen Entwicklungs- und Bildungsgang genommen habe, „den ich den wahrhaft humanistischen nennen möchte“. Unter humanistisch aber verstehe er „ganz allgemein das Ziel, ein homo humanus, ein wirklicher Mensch, eine harmonisch gestaltete Persönlichkeit“ zu sein.

Bei der Schule handelt es sich um die Oberrealschule Rheydt, beim solchermaßen Geehrten um Dr. Paul Joseph Goebbels.
Das Datum der Ehrung war der 23. April 1933. Da war der frisch gebackene Herr Reichsminister gerade mal 36 Jahre alt.

Ich lese gerade wieder einmal (letztmals vor etwa acht Jahren) Ralf Georg Reuths Goebbelsbiographie und frage mich, auch wieder einmal, nach Gestalt und Wesen des Bösen.
Wie entsteht es, das Böse?
Entsteht es überhaupt?
Ist es bereits bei der Geburt angelegt?
Ist es verankert in der Welt, seit es Bewusstsein gibt?

Konkret:
Wie hat sich der Musterschüler (bester Abiturient seines Jahrgangs) Goebbels zu jenem entwickelt hat, als den ihn Menschen in Deutschland und Europa erleben und ertragen mussten?
Kurz: Ist das Böse im Ansatz vermeidbar? Woran wird erkannt, wo und in wem es verankert ist?
Das frage ich mich, wenn ich lese, wie schwärmerisch lobend sich ein leitender Pädagoge vor nahezu 90 Jahren über einen Mann ausgelassen hat, der für uns Heutige das personifizierte Böse darstellt.

Gibt es hier eine Antwort, die über die kritische Betrachtung des Buchautors oder die Bemerkung hinausgeht, dass anständige Menschen, aufrechte Demokraten, solche Bücher nicht lesen?
BerndHeinrich
BerndHeinrich
Mitglied

RE: Homo humanus
geschrieben von BerndHeinrich
als Antwort auf Bias vom 05.12.2022, 21:03:11
Gibt es hier eine Antwort, die über die kritische Betrachtung des Buchautors oder die Bemerkung hinausgeht, dass anständige Menschen, aufrechte Demokraten, solche Bücher nicht lesen?
geschrieben von Bias
Hallo Bias,
von mir und sicher auch anderen, könnte es eine Antwort, "über die kritische Betrachtung des Buchautors", nur geben, wenn das Buch gelesen wurde. Nachdem ich Deinen Beitrag entdeckt hatte, hab ich, in, für mich erreichbaren Büchereien, hab ich den Titel, von Ralf Georg Reuth, noch nicht gefunden.

Unabhängig davon, sehe ich wenig Möglichkeiten, auf die von Dir aufgeworfenen Fragen zum "Bösen", zu einer abschließenden Antwort zu kommen. Über aktuelle, seriöse Forschungen, zum Thema Aggression/Destruktion, bin ich nicht mehr informiert und ich bin überzeugt, dass philosophisch/theologische Aspekte, zum sog. "Bösen", dabei nicht wirklich helfen; zumindest mir wäre das zu "verschlüsselt".

An wissenschaftlichen (Hypo-)Thesen oder gar Theorien orientiert ließen sich, m.M.n. und Bezogen auf Joseph (hmmmm....) Goebbels, nur dann wirklich haltbare Aussagen treffen, wenn es denn direkte (möglichst standardisierte) direkte Kommunikationen geben würde, die auf den Themenbereich ausgerichtet gewesen wären. Zwar hat Erich Fromm, in seinem Werk "Anatomie der menschlichen Destruktion" so etwas versucht (nicht zu Goebbels) aber auch dieses ist, in meinen Augen, letztlich wissenschaftlich oreintierte Spekulation, wenn sie, bezogen auf bestimmte, reale Menschen, erfolgt(e).
In meiner therapeutischen Unterstützung/Begleitung, von hoch gewaltbereiten/gewalttätigen jungen Mit-Menschen, habe ich kein grundsätzliches "Böse" entdecken können. Allerdings sozialisationbedingte "Auswirkungen", die ich durchaus, in den Bereich der Pathologie einordnen würde.

By the way, den Satzteil von Dir, "die über [ ... ] die Bemerkung hinausgeht, dass anständige Menschen, aufrechte Demokraten, solche Bücher nicht lesen?", empfinde ich als "wenig hilfreich", wenn es Dir ums Thema geht.

Nachträgliche fragende Ergänzung:
Benutzt R. G. Reuth, in seinem Werk, den Begriff "Homo Humanus"? Wenn ich mich richtig erinnere, dann taucht der erstmals (?) bei Heidegger auf.

pace e bene
Bernd

 
Bias
Bias
Mitglied

RE: Homo humanus
geschrieben von Bias
als Antwort auf BerndHeinrich vom 06.12.2022, 06:17:06

Guten Morgen und danke, Bernd Heinrich.


Ja, der Autor benutzt den Begriff im Eingangszitat des Schuldirektors. Er gibt halt wieder, was der sagt.
Er führt ihn nicht selbst ein.

Was den Hinweis aufs Hilfreiche betrifft: Der ist in der Hoffnung, dass er nutzt, aus der Erfahrung abgeleitet. Er zielt nicht aufs Gefallen.

Buch und Autor zu finden dürfte nicht schwerfallen, wenn Du googelst. Selbst eine Rezession wird so zu finden sein, vermute ich 
Ich bin nicht davon ausgegangen, dass das Buch in jedermanns Bücherschrank oder in allen Bibliotheken vor Ort steht.
Ich hab's halt.

Wie auch immer: "Wirklich haltbare Aussagen" zum Thema habe ich nicht erwartet. Die könnte selbst ein Psychologe nicht leisten, der sich beruflich mit Bösen beschäftigt 

Theorien, Überlegungen dazu, lassen sich u.a. bei Konrad Lorenz finden, der sich damit beschäftigt hat.
Für mich kein Grund nicht gelegentlich ebenfalls drüber nachzudenken und anzunehmen, dass das andere auch tun. Es könnte schließlich auch vorläufig weitgehend unbemerkt in mir, Nahestehenden oder selbst dem Pfarrer am Ort wirken.

Komm gut durch den heutigen Nikolaustag.
 

Anzeige

BerndHeinrich
BerndHeinrich
Mitglied

RE: Homo humanus
geschrieben von BerndHeinrich
als Antwort auf Bias vom 06.12.2022, 07:21:08
Wie auch immer: "Wirklich haltbare Aussagen" zum Thema habe ich nicht erwartet. Die könnte selbst ein Psychologe nicht leisten, der sich beruflich mit Bösen beschäftigt 
geschrieben von Bias
Hmmm ....
Jein, meine ich. Es gibt absolut "haltbare Aussagen" zu Aggression. "Das Böse" ist, wie bereits erwähnt, ein Begriff, der nicht zu den Fachtermini, in Psychologie, Medizin und, soweit mir bekannt ist, den Sozialwissenschaften, gehört. Mir persönlich ist der Begriff des Bösen, in zu starkem Maße philisophisch und theologisch, geprägt. Ein, m.M.n., letztlich definitorisch "zu unscharf", um einer seriösen direkten Forschung zugänglich zu sein.

 
Theorien, Überlegungen dazu, lassen sich u.a. bei Konrad Lorenz finden, der sich damit beschäftigt hat.
Für mich kein Grund nicht gelegentlich ebenfalls drüber nachzudenken und anzunehmen, dass das andere auch tun. Es könnte schließlich auch vorläufig weitgehend unbemerkt in mir, Nahestehenden oder selbst dem Pfarrer am Ort wirken.
geschrieben von Bias
Natürlich habe ich mich auch, mit Konrad Lorenz, beschäftigt. Er hat seine, für mich unbestreitbaren, Verdienste, für und in der Tierverhaltensforschung.
Im Bereich des menschlichen Verhaltens hat er, nach meinen Informationen, nie umfangreich geforscht, sondern seine Erkenntnisse (aus der Beobachtung von Tieren), vor dem Hintergrund einer "Instiktlehre" und der Annahme einer Genetik, auf Menschen übertragen hat. Als wissenschaftlich, würde ich solches lediglich als Hypothesenbildung bezeichnen. Insofern würde ich nicht zustimmen, dass er sich "damit" (auf den Menschen bezogen) beschäftigt hat. Daran ändert für mich, auch der Nobelpreis für Medizin nichts, wobei mir die Begründung, des Kommitees nicht bekannt ist.

Durch den heutigen Tag werd ich, wie an jedem anderen "normalen" Tag, auch kommen ....  😉
Nicht wenige Franziskanische Menschen, gedenken heute (z.T. eher) unserer Schwester Henrika Faßbender.
Auch Dir einen guten Tag!

pace e bene
Bernd
 
Bias
Bias
Mitglied

RE: Homo humanus
geschrieben von Bias
als Antwort auf BerndHeinrich vom 06.12.2022, 11:23:31

Führt weg vom Anliegen, der Hinweis, dass ein Blick in die Liste seiner Bücher geeignet sein könnte die Vorstellung, Konrad Lorenz habe sein Interesse als Ethologe auf tierisches Verhalten beschränkt - genannt werden in der Regel Graugänse - zu korrigieren.
Bei genauerer Betrachtung kommt gerade die Gattung Mensch bei ihm alles andere als zu kurz.
Doch das, wie Eingangs erwähnt, nur am Rande.

BerndHeinrich
BerndHeinrich
Mitglied

RE: Homo humanus
geschrieben von BerndHeinrich
als Antwort auf Bias vom 06.12.2022, 14:36:23

Das mag sein, dass eine Erörterung, der (Hypo-)Thesen, für Dich, "weg vom Anliegen" führt aber K. Lorenz wurde ja von Dir benannt.
Wenn ich Dich, bezogen auf "weg vom Anliegen" falsch verstanden haben sollte, bitte ich um eine entsprechende Korrektur/Klärung!
Meines Wissens nach, gibt es keine gesicherte Theorie, bezogen auf Menschen, von K. Lorenz, da er in diesem Bereich nie geforscht hat.
Von daher werden, nicht nur von mir, seine Aussagen, zur menschlichen Aggressivität, letztlich als Spekulation betrachtet. Selbst seine bekannteren Schüler sollen seine Aussagen (Annahmen), verworfen haben. Das wurde mir auch, von einem guten Bekannten (Medizinstudium, Biologiestudium, Psychotherapeut, emeritierter Professor), grad per Kurzkommunikation bestätigt.

Ich lese gerade wieder einmal (letztmals vor etwa acht Jahren) Ralf Georg Reuths Goebbelsbiographie und frage mich, auch wieder einmal, nach Gestalt und Wesen des Bösen.
Wie entsteht es, das Böse?
Entsteht es überhaupt?
Ist es bereits bei der Geburt angelegt?
Ist es verankert in der Welt, seit es Bewusstsein gibt?
geschrieben von Bias

Bezogen auf Deine Fragen, im Eröffnungsbeitrag, sind für mich so, bezogen auf den überwiegendsten Teil der Humanwissenschaften, die Fragen schon deshalb nicht beantwortbar, weil "das Böse" dort überhaupt nicht thematisiert wird.
"Man" könnte nun darüber spekulieren aber solchen Formen, sich über menschliches Verhalten auszutauschen, beteilige ich mich lieber nicht.


pace e bene
Bernd

Anzeige

Bias
Bias
Mitglied

RE: Homo humanus
geschrieben von Bias
als Antwort auf BerndHeinrich vom 06.12.2022, 17:40:10

Ok, Bernd Heinrich.
Lass den Tag gut ausklingen.

aixois
aixois
Mitglied

RE: Homo humanus
geschrieben von aixois
als Antwort auf Bias vom 06.12.2022, 18:32:32

Ist das Böse im Ansatz vermeidbar? Woran wird erkannt, wo und in wem es verankert ist?

Ich bin mal so unfreundlich und antworte mit einer Gegenfrage : warum willst Du das wissen, was fängst Du mit einer (wie auch immer gearteten) Antwort an ?

Mir scheint, Du setzt das Böse gleich mit Aggression , (daher der Lorenzbezug). die ultimativ zur Vernichtung von Menschen führt, deutest daher implizit an, dass es etwas ist (Lorenz : instinkthaft im 'Wesen', in der Art angelegt), das im Menschen 'verankert' (=angelegt ?) sei und dass man es folglich erkennen könnte, an bestimmten Merkmalen, wenn man diese 'Kennzeichen' denn kennte.

Abgesehen von der Vermischung von Ethik (das Böse) und Naturwissenschaft (Aggression - Instinkt - Triebhaftigkeit), kann und will ich der Ansicht nicht folgen, Menschen zu kategorisieren, sie aufzuteilen, in Gute und Böse. Daher meine obige Frage.

Meine simplistische küchenspsychologische Erklärung des Phanomens: bei Menschen, denen das ethische Korrektiv, die Eigenschaft des humanen Homo abhanden gekommen ist, sind 'krank', verhalten sich iwS. narzissitsch, leiden an ihren subjektiv empfundenen, ungerechten Schwächen, die sie kompensieren wollen, von mir aus auch: 'rächen' wollen.
Sich und anderen beweisen, dass sie trotz des Hinkebeins, trotz körperlicher Unterdurchschnittlichkeit oder empfundener Unvollkommenheit ( Körpergröße, Muskelmasse, Intellekt, handicaps usw.) 'etwas auf dem Kasten' haben, stark sind, Macht haben und dies eben durch (meist Körperliche, aber auch durch Psychoterror) Gewalt durchsetzen wollen.

Goebbels (verspottet als das 'Humpelstilzchen') brauchte die Symbiose mit Hitler, nur durch ihn konnte er Macht haben. Alleine hatte er ja - trotz Promotion - auf der Suche nach sich selbst, kaum was auf die Reihe gebracht, hat vieles versucht und rum gedichtert etc.
Aus fehlender Kenntnis des Humanen ist er nicht zum bösen Vernichter geworden.
Er wurde in einem katholischen Umfeld sozialisiert, war sogar auf dem Priesterseminar in der Augustinerabtei Rolduc, seine Eltern hätten ihn gerne als Pfarrer/Theologen gesehen.
Da wurde nichts in ihm 'verankert', sein Empfinden als erbärmliche Kreatur gesehen zu werden, hat ihn zu dem gemacht,  was er wurde. Die Religion hat ihm nicht helfen können (er ist ja aus der katholischen Kirche ausgetreten), sein 'Leidensgenosse' Hitler (Kompensationsmotto: gelobt sei , was hart macht, Vogel friss oder stirb, setze dich durch oder werde vernichtet) dann schon.


 
Bias
Bias
Mitglied

RE: Homo humanus
geschrieben von Bias
als Antwort auf aixois vom 06.12.2022, 19:41:28

Danke, Aixois.
Ich leiste mir Gedanken, die zu keinen Ergebnissen führen und gestehe den Luxus auch anderen Menschen zu.
Korrektur: Ich leiste sie mir nicht. Sie kommen und sind dann eben da

Was die Deutungen meiner Motive zu fragen und Goebbels' Motive zu dem zu werden, auf den wir heute schaudernd zurückblicken, mag richtig sein, was Du darstellst. Es kann aber ebenso daneben liegen.

Das ist ok, welcher Vernunftbegabte erwartet schon einen beweisfähigen, wissenschaftlichen Diskurs bei einem Thema wie diesem, in einem Forum wie diesem
 
Was ich vorläufig annehme, zu erkennen glaube, ist, dass vom Willen getriebene Menschen dazu neigen eines selbst gesetzten Ideals wegen über Leichen zu gehen und dabei eine Faszination auf andere, auch auf humanistisch Gebildete und Rationalisten ausüben.
Das Verhältnis Hitler/Goebbels' mag beispielhaft dafür stehen.

Meine Schlussfolgerung: Jedes absolut gesetzte Ideal neigt zu entarten, Böses zu zeitigen, wenn ihm alles andere untergeordnet wird.
Das Erreichen des Seelenheils, die Neuordnung der Welt, die Rettung derselben vor einem drohenden Untergang etc. sind Ziele, die sich aus meiner Sicht vorzüglich als Beispiele für propagierte, unbedingt zu erreichende ​​​Ideale solcher Art anböten.

Wäre noch die Organminderwertigkeitstheorie, der Klumpfuß - eine Deutung der anscheinend auch Reuth zuneigt.
Ob Behinderte und Behindertenverbände dieser folgen, wenn anzunehmen ist, dass sie in der Lage sind auf Gegenbeispiele zu verweisen, mag dahingestellt bleiben.
 
Doch ok.
Ich merke - das ist kein Thema welches in den Rahmen hier hineinpasst.

Anzeige