Gelebte Worte
Die Stunden der Nacht sind vorüber. Worte beginnen zu wandern. Hier hin - dort hin. Tief unter der Haut verwurzeln die Worte im Zwielicht des Morgens. Streifen leise durch das morgendliche Grau des Zimmers. Flüstern Geständnisse, beichten kleine Geheimnisse des Lebens, die sonst unausgesprochen blieben. Weil Liebe unteilbar ist, bedarf sie weder einer Frage noch einer Antwort.
       Blicke treffen sich. Finden sich zum traulichen Miteinander. Spannen Netze aus filigranen Silberfäden, glänzende Wunderwerke des Daseins. Verbinden sich zur Einheit des frühen Tages ohne Rücksicht auf die gesichtslose Form des Morgens. Die Nacht bleibt zurück, ist bedeutungslos geworden, ist Vergangenheit. Nur die Stunde zählt, die Stunde der Liebenden.
       Erinnerungen sprechen eine eigene Sprache, kaum einer versteht sie. Hätten die Augen Geduld, würden sie auf die kleinen Dinge achten, könnten Farben erkennen und aus dem Mosaik Bilder formen. So jedoch bleiben sie im Gewirr des Morgens hängen. Wozu fragen, wenn man die Antwort kennt? Aus dem Dunst der Vergangenheit entsteht ein Fragment der Zukunft, zwar unvollständig, dennoch bildhaft in klaren Farben. 
       Nein, Worte sind nicht Schall und Rauch, wie der Dichter sagt! »Ich liebe Dich« ist ein Abbild des Denkens, ein Synonym für ein Miteinander des Lebens, vielleicht begrenzt auf Zeit, vielleicht für die Ewigkeit; auf jeden Fall aber fliegen die Herzen in intimer Zweisamkeit empor zu den Sternen. Sie verlieren sich dort und finden sich immer wieder.
     »Ich liebe dich!« Der Sinn dieser Worte ist so bemerkenswert, dass er aufgehoben wird bis an das Ende der Tage. Man möchte ihn mit den Händen fassen und bewahren, obwohl die Vergänglichkeit des eigenen Ichs lange erkannt ist.
       Worte sind der Gesang der Seele. Einmal gesprochen sind sie fort, fliegen in die Weite. Kehren auch nie zurück, überwintern im Dunst des Erinnerns, bis sie melodiös als Duett im warmen Strudel des Frühlings erklingen, eine Sinfonie der Liebe in einer Welt der Kälte.
       Ohne Notwendigkeit, ohne jede Vorbedingung und ohne jede Suche schenken die Worte der Liebe Wärme und Vertrauen, Hingabe und Erfüllung. Im Leben eines Menschen kann nichts bedeutsamer sein als gemeinsam gelebte Stunden, Tage und Jahre. Sie allein ergeben die Quintessenz des Lebens zu zweit!

Anzeige

Kommentare (1)

Syrdal


...drum wähle stets die Worte recht,
bewahre sie vor Verschwendung,
nur dann bleibt ihr Sinn wahr und echt
und braucht auch niemals Verzeihung.

...rät Syrdal


Anzeige