Es war warm, ich war müde, hatte Durst und Hunger.
Ich setzte mich etwas abseits der Straße auf der ich mich befand, auf einen kleinen Hügel und machte Rast.
Während ich so da saß, sah ich die Straße zurück.
Da wo ich zuletzt gegangen war, lag noch leichter Staub in der Luft, waren meine Spuren noch zu sehen.
Die Straße führte in unzähligen Kurven über Berge und Hügel, verschwand nach kurzen geraden Stücken zwischen Hügeln in einem Tal, um kurze oder längere Zeit später, wieder als Steigung aufzutauchen.
Die Landschaft links und rechts der Straße war einmal bunt und man konnte ahnen, wie fröhlich es da wohl sein mußte.
Dann war es plötzlich grau und dunkel und es sah aus, als wolle der Himmel herabstürzen.
Ich sah Menschen durch grüne Wiesen und goldfarbene Felder gehen.
Ich konnte Tiere erkennen die auf saftigen Weiden standen, oder die einzeln oder in Gruppen durch die Wälder streiften.
Ich konnte Bäume, Häuser, Kirchen, Büsche, Wälder, Bäche, Flüße, kleine grünfarbige Teiche und himmelblaue Seen erkennen, und große und kleine Ortschaften und Städte.
Selbst da wo es grau war, war alles mit Leben erfüllt.
Manches lag unter einem hellen oder grauen Dunst oder Nebel, anderes wurde von dunklen Wolkendecken überdacht, aus denen Regen in Strömen floß und Blitze zuckten.
Und trotz der Entfernung glaubte ich den Hall des Donners zu hören.

Die kleinen Staubwolken am Fuße des Hügels hatten sich gelegt und ich konnte erkennen, daß sich die Landschaft unter mir nahtlos an das zurückliegende Bild anreihte, mit Leben erfüllt war, und daß ich mir bekannte Dinge und Menschen erkennen konnte.
Ich sah lange nachdenklich zurück, betrachtete den Wechsel von hell und dunkel, von bunt und grau, und fragte mich, wo ich wohl hergekommen war und wo ich gerade sein mochte.
Nach einiger Zeit sah ich die Straße nach vorn, denn ich wollte wissen, wohin sie führt.
Zu meiner Verwunderung lag die Straße schnurgerade und verlor sich ohne Ende in der Ferne.
Kein Berg, kein Hügel, keine Kurve und kein Tal unter-brach den Verlauf der Straße und soweit der Blick reichte, war das Land eben und farblos.
Da war nur die Straße, die wie mit dem Lineal gezogen, als endloser Strich am Horizont im Nichts verschwand.
Beklommenheit beschlich mich und ich fragte mich, ob es nicht besser wäre umzukehren.

Warum konnte ich nichts sehen ?

Warum war da außer der Straße nichts ?

War es nicht sinnvoller, dahin zurück zu gehen, wo ich hergekommen war und sah was auf mich zukam ?

Auch wenn ich zurückschauen und Bekanntes sehen konnte, so war es doch Vergangenheit.
Und würde ich den selben Weg zurückgehen, so wäre es meine Zukunft mit allen Fragen, Möglichkeiten, Gefahren und all den anderen Dingen, wie in der unbekannten Richtung meiner Straße, nur wäre die Umgebung bekannt oder vertraut.
Kann das was Vergangenheit ist, zu einer sinnvollen Zukunft werden, nur weil man einen Weg unter anderen Voraussetzungen zurückgeht und der einem vertraut erscheint weil man ihn schon einmal gegangen ist ?

Doch dann packte mich die Neugier.
Irgendwo mußte diese Straße ja hinführen, eine Ende haben.
Und irgendwann mußte diese farblose und leere Landschaft ja auch wieder Farbe, Leben, Berge und Tälern Platz machen.
Als ich gegessen und getrunken und mich wieder erholt hatte, ging ich den kleinen Hügel hinab, sah noch einmal nachdenklich und voller Zweifel zurück und setzte meinen Weg fort.

Die Straße war immer gleich, ich hatte nicht auf die vergangene Zeit geachtet und dennoch war mir, als hätte sich ständig etwas verändert.
Obwohl sich das Band der Straße auch weiterhin schnurgerade in die Ferne zog, war ich nicht mutlos oder enttäuscht und ließ mich von der Neugierde antreiben.

Ich ging und ging und ging.

Als ich wieder müde wurde, suchte ich mir einen Platz zum Rasten.
Nach einiger Zeit fand ich wieder einen kleinen Hügel, ging hinauf und setzte mich.
Ich war überzeugt, daß ich das, was ich bei meiner letzten Rast gesehen hatte, nicht mehr sehen konnte.
Zu lange war ich durch diese öde Landschaft gelaufen, immer geradeaus dem Horizont entgegen.

Ich sah zurück und traute meinen Augen nicht.
Was ich sah war ein ähnliches Bild wie beim letzten Mal.
Jetzt verstand ich, warum ich gespürt hatte, daß sich etwas veränderte während ich auf der Straße ging.

Was vor mir lag war die Zukunft die ich nicht kannte, von der ich nichts wußte und die Straße war mein Leben.
Was hinter mir lag war die Vergangenheit die ihr momentanes Ende mit den Spuren am Fuße des Hügels hatte, also mit meiner Gegenwart..
Und mit jedem Schritt den ich vorwärts ging, bekam die Straße ihre Kurven und die Landschaft ihre Berge, Hügel, Täler, Wälder, Farben und Wettereinflüße.

Weshalb aber hatte ich die Veränderungen nicht wahrgenommen ?

Die Frage war einfach zu beantworten.

Ich hatte mich nur darauf konzentriert, was am sichtbaren Ende meiner Straße sein könnte, ich war zu beschäftigt damit gewesen, meine Zukunft rechtzeitig erkennen zu können.

Aber war das der Sinn des Lebens ?

Die Zukunft im Voraus erkennen, abschätzen und planen zu können und dabei die nächstgelegenen Veränderungen erst dann wahrzunehmen, wenn sie Vergangenheit sind ?

Das Bild das sich mir bei jeder Rast bot, wenn ich zurück sah, erfüllte mein Herz mit Freude, aber es war Vergangenheit.

Ich erkannte, wieviel man im Leben an schönen Dingen verliert, wenn man sich ausschließlich nach vorn, auf die Zukunft konzentriert und aus Furcht, man könnte etwas übersehen oder von etwas überrascht werden, keinen Blick zur Seite wagt.
Es war mir klar geworden, daß es kein Zurück geben konnte, aber auch daß ich nicht immer erst bei der nächsten Rast die Schönheiten als Vergangenheit, sondern als Gegenwart geniessen wollte.

Von nun an ging ich ohne Angst auf meine Straße zurück und immer weiter auf den Horizont zu.
Nur Neugierde beherrschte mich und das endlose Band das am Horizont verschwand, verursachte mir kein Unbehagen mehr, sondern sagte mir "solange da vorne nichts ist, solange geht mein Leben weiter."
Erst wenn das Band ein Ende hat, kommt der Tod auf mich zu.
Ob ich ihn, wenn es soweit ist, erkennen kann ?

Vielleicht steht er aber auch irgendwann schon am Fuße des Hügels und wartet bis ich meine Rast beendet habe und auf die Straße zurück will.

Ach was soll´s.

Noch kann ich in beide Richtungen sehen und was unten am Hügel sein wird, werde ich sehen, wenn ich unten bin.

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